Majestulös von Phase (Beiträge zu den Quartalswettbewerben) ================================================================================ Kapitel 1: Lass es krachen, Enrico! ----------------------------------- Lass es krachen, Enrico! Mit nachdenklicher Miene saßen sich Johnny und Robert gegenüber, zwischen ihnen das Schachbrett, auf dem sie sich gerade ein strategisches Gefecht der besonderen Art lieferten. Das laute Wummern des Basses der Musik ein paar Räumlichkeiten entfernt, schien sie dabei weniger zu stören. Robert schob seinen Läufer nach vorne und wirkte verschlossener denn je. Als Johnny nach seinem Turm griff, erklang ein lautes Scheppern und Klirren, gefolgt von einer Mischung aus kreischendem Lachen und panischem Rufen. Roberts Augenbrauen schoben sich nach oben und für einen kurzen Moment schien er unschlüssig zu sein, ob er aufstehen und nachsehen sollte oder nicht. „Da musst du jetzt durch“, meinte Johnny, während er seinen Zug beendete, und sah seinen Freund an, „Sie werden schon noch etwas von deinem Schloss übrig lassen. Und selbst wenn – Enrico muss ja für alles aufkommen, was heute schief läuft. Sieh es einfach als heilsame Lernmöglichkeit für ihn an.“ Eine Weile lang setzten sie ihr Spiel fort, schweigend folgte Zug auf Zug und die Chancen für Johnny zu gewinnen, stiegen von Mal zu Mal. Genervt seufzte der Schotte auf und bedachte sein Gegenüber mit einem vorwurfsvollen Blick. „Bei Gott, Robert! Nicht dass ich etwas dagegen hätte, aber du bist ja wirklich überhaupt nicht beim Spiel.“ „Mich beschäftigt es einfach.“ „Du packst doch sowieso vor jeder Feier deine wertvollsten Sachen weg – und von den Rüstungen hast du noch massig auf dem Speicher. Die Fenster sind Repliken, die Wandteppiche genauso. Enrico kommt für sämtlichen Schaden auf – du musst dir also keine Gedanken machen.“ Robert sah ihn skeptisch an und Johnny wirkte irritiert. „Worum geht es dir dann?“ „Hältst du mich auch für einen Langweiler?“ „Gottverdammt, Enrico, was wollen die ganzen Leute hier?!“, Roberts Augen fixierten den Italiener, der verlegen mit den Schultern zuckte. Der forsche Tonfall des Deutschen war ungewöhnlich für ihn, verbarg er seinen Unmut doch sonst hinter einer kalten Fassade und der Etikette. Johnny entschied sich daher schnell dazu, sich aus diesem Konflikt besser herauszuhalten – in einem gewissen Sicherheitsabstand konnte er es sich trotzdem nicht nehmen lassen, dem Ganzen zu folgen. Immerhin wurde hier gerade Enrico zur Schnecke gemacht. „ Du hast uns doch zu deiner Silvesterparty eingeladen!“ „Nein, Enrico. Ich habe ein paar befreundete Beyblader eingeladen. Diese Masse an Leuten, die ich nicht mal kenne, habe ich mit Sicherheit nicht eingeladen.“ „Na ja, es kann sein, dass ich noch ein paar Freunde gefragt habe, ob sie nicht auch mitkommen wollen“, Enrico zuckte mit den Schultern und schien sich der Gefahr, in der er sich aktuell befand, nicht bewusst zu sein, „Also meine Freunde auf Facebook.“ „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“, donnerte Roberts Stimme durch den Raum, im nächsten Augenblick jedoch schloss er die Augen, atmete tief durch und löste die Fäuste, zu denen er seine Hände geballt hatte. „In Ordnung. Das ändert die Sache auch nicht mehr...“, nachdenklich fuhr er sich durch die Haare, griff dann nach seinem Handy, „Ich werde die Polizei anrufen und die Party räumen lassen.“ „Das kannst du doch nicht machen!“, empörte sich Enrico, „Die Leute erwarten eine geniale Party! Wenn du jetzt die Polizei rufst, ist die ganze Stimmung im Eimer!“ „Das ist mir egal, Enrico. Außerdem hast du das vor deinen Freunden zu verantworten – nicht ich. Ich wollte zum Jahresabschluss eine Feier unter Freunden – nicht eine wilde Saufparty mit schlechter und viel zu lauter Musik, bei der am Ende noch meine Kunstschätze gestohlen werden oder zu Bruch gehen.“ „Weißt du, Robert, was dein Problem ist? Du bist ein Spießer, ein elender Langweiler und Spielverderber.“ Das saß. Robert starrte Enrico an und schien für einige Augenblicke nicht zu wissen, was er dazu sagen sollte. Der Italiener stand mit verschränkten Armen vor ihm und blickte eingeschnappt zur Seite. Langsam ließ Robert sein Handy sinken und packte es wieder in die Hosentasche. Mit ernstem und strengem Blick musterte er sein Gegenüber. „In Ordnung, Enrico. Du sollst deine Feier haben. Allerdings nur unter gewissen Konditionen“, er zögerte, denn was er vorhatte klang in seinem Geist nach allem, aber nicht nach einer guten Idee. Zielgerichtet trat er zum Schreibtisch, kramte etwas hervor und hielt dann dem überraschten Enrico Zettel und Papier hin. „Wenn du willst, dass deine Leute bleiben dürfen, dann wirst du die Verantwortung für die Feier übernehmen, dich um das Aufräumen kümmern und für sämtlichen Schaden aufkommen, klar? Wenn du damit einverstanden bist, dann schreibe und unterschreibe Folgendes: Hiermit versichere ich, Enrico Giancarlo, dass ...“ „Angekratztes Ego lässt grüßen?“, Johnny schob beiläufig seinen Läufer nach vorne und zuckte dann mit den Schultern, „Weißt du, Robert, ich sitze nur deshalb hier mit dir, weil ich es nötig habe, meinem Teamcaptain in den Arsch zu kriechen.“ Mit vorwurfsvoller Miene sah Robert Johnny an, der nicht sonderlich angetan davon schien, dass einer seiner Türme nun nicht mehr unter seinen Figuren weilte. „Das ist alles andere als eine vernünftige Antwort.“ „Tja, für dämliche Fragen nur das Beste“, langsam lehnte sich der Schotte in seinem Sessel zurück und blickte Robert ernst an. „Brauchst du wirklich eine Antwort auf deine Frage? Das klingt ja so gar nicht nach dir. Was soll ich sagen? Die Geschmäcker sind verschieden - und auch die Interessen der Menschen. Wenn jemand sagt, dass etwas langweilig ist, ist das ja keine objektive Beurteilung, sondern eine höchst subjektive Einschätzung. Ich würde also nicht zu viel darauf geben – immerhin sind wir beide uns auch darüber einig, dass Enricos Dates und Partys nichts weiter als eine sinnfreie Zeitverschwendung sind. Es liegt eben im Auge des Betrachters.“ Mit verschränkten Armen saß er einen kurzen Moment schweigend da, eher er fortfuhr: „Ich empfinde dich nicht als langweilig. Manchmal ist es vielleicht ein bissen ermüdend, wenn du vom Hundertsten ins Tausendste gehst... aber generell würde ich ja meine Freizeit nicht mit dir verbringen, wenn es mir keinen Spaß machen würde.“ „Das klang erstaunlich vernünftig“, murmelte Robert mit fast ein wenig anerkennendem Tonfall, während er den nächsten Zug machte. „Gewöhn‘ dich nicht dran“, Johnnys Augen flitzten über das Schachbrett und im nächsten Moment hatte er ein triumphierendes Lächeln auf den Lippen. Nur noch ein paar Züge und er würde es schaffen, die Partie für sich zu entscheiden, dessen war er sich mittlerweile sehr sicher. Seine Hand fuhr zu seinem Läufer, er schob ihn ein paar Felder und verkündete dann voller Stolz: „Schach.“ Dass Robert das Ganze mit einem milden Lächeln hinnahm, verunsicherte ihn wiederum sehr. Erst als der Deutsche nach seinem Turm griff, wurde ihm klar, wo sein Fehler lag. Dieser gottverdammte Turm, warum hatte er ihn übersehen?! Sein Läufer war aus dem Spiel und zu allem Überfluss hatte er die Falle, in die Robert ihn die ganze Zeit über gelockt hatte nicht bemerkt. „Schachmatt.“ Johnnys Mund klappte förmlich auf und er starrte mit wildem Blick auf das Spiel, um sicher zu gehen, dass sein König tatsächlich nicht mehr zu retten war. „Das ist unfair!“, empörte er sich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Das, mein lieber Jonathan, ist Schach.“ Genervt schnaubte Johnny auf und schnippste dann seinen König quer durch den Raum. Robert seufzte und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Noch eine Runde“, murrte Johnny und begann damit seine Figuren wieder aufzubauen, Robert sah ihm mit argwöhnischem Blick dabei zu. „Deinen König holst du selbst wieder.“ „Den brauch ich nicht – ich spiele diesmal ohne König, dann kannst du mich nicht Schachmatt setzen“, stellte Johnny sachlich klar und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Gegenüber verdrehte genervt die Augen. „Du kannst kein Schach ohne König spielen!“ „Oh doch – schau mir nur dabei zu, wie ich das kann.“ „Ich weiß wirklich nicht, wie ich vorhin auch nur für einen Augenblick denken konnte, dass du dich seit neuestem sehr reif verhältst.“ „Tja, ich auch nicht“, nachdem Robert keinerlei Anstalten machte, seine Figuren in ihre Ausgangspositionen zurück zu bringen, begann Johnny damit sie aufzubauen und zu ordnen, „Du fängst an.“ Es ist unnötig zu erwähnen, dass Johnny auch in dieser Runde wieder den Kürzeren zog. Er hatte jedoch keinerlei Gelegenheit, sich über diese Tatsache zu beschweren, denn die Partygäste grölten laut den Countdown von zehn bis null, die Turmuhr der kleinen Schlosskappelle schlug zwölf Uhr und das neue Jahr brach mit einem prachtvollen Feuerwerk an. Robert und Johnny wurden davon zugegebenermaßen ziemlich überrascht, hatten sie die Uhrzeit nicht im Auge behalten. „Na dann wünsche ich dir mal ein gesundes, neues Jahr, Robert.“ „Gesundes, neues Jahr, Jonathan. Ich würde dir ja ein Glas Sekt oder Champagner anbieten, aber ich befürchte unsere Gäste haben sich bereits an meinen Vorräten vergangen.“ Johnny schnaubte, blickte dann zur Balkontür. „Kann man von da aus das Feuerwerk sehen?“ „Ziemlich gut sogar. Aber lenke nicht davon ab, dass ich das Schachspiel gewonnen habe.“ „Whatever. Bilde dir da bloß nichts drauf ein.“ Gemeinsam gingen sie nach draußen und beobachteten das Feuerwerk der umliegenden Dörfer. Die Nacht war klar, wenn auch recht frisch, und man konnte sehr weit sehen und den bunten Lichtern zusehen. Unten machten weiterhin die Gäste der Party einen Heidenlärm, dem Robert und Johnny jedoch erst wieder ihre Aufmerksamkeit zuwendeten, als er sich in panisches Geschrei wandelte. Verblüfft blickten sie hinab, als die Menschenmenge sich hastig den Weg in den Garten freikämpfte, wobei es zu einem großen Gedränge kam, da die meisten direkt vor der Tür stehen blieben und so die übrigen nicht an ihnen vorbei ins Freie kamen. Über die Köpfe der Gäste hinweg flogen ein paar Silvesterkracher und ein feiner, dichter werdender Rauchfaden zog sich aus dem Festsaal nach draußen. Mit offenem Mund starrten Johnny und Robert auf das Spektakel, das sich unter ihnen abspielte. Robert konnte ein entgeistertes Kopfschütteln nicht unterdrücken und seufzte gequält, als er nach seinem Handy griff, um die Feuerwehr zu rufen. „Ich hoffe die Stimmung ist jetzt nicht dadurch im Eimer, dass ich die Feuerwehr gerufen habe“, kommentierte Robert trocken, als er den etwas schockiert dreinblickenden Enrico erreicht hatte. Der sah etwas verlegen drein und zuckte mit den Schultern. „Na ja, kommt vor. Die Mädels wollten in ihren Minikleidern nicht raus in die Kälte, um sich das Feuerwerk anzusehen. Deshalb dachten wi-... ein paar Leute, dass es gar keine schlechte Idee wäre, das Feuerwerk drinnen zu machen...“ Er runzelte die Stirn, fast so, als wäre ihm plötzlich klar, was für eine dämliche Idee das gewesen war. „Mir ist es gleich, ich gehe jetzt ins Bett“, meinte Robert und grinste etwas schief, „Da du dich dazu bereit erklärt hast für sämtlichen Schaden aufzukommen und dafür zu sorgen, dass das Grundstück begehbar ist, wenn morgen Vormittag die ganzen Kinder zum Prosten kommen, ist das alles hier sowieso nun dein Problem und nicht meines.“ „Was?! Das war aber-...“ „...genau das, was du mir vor wenigen Stunden schriftlich und unterschrieben zugesagt hast. Sorry, aus der Nummer kommst du so leicht nicht mehr raus. Du kannst ja ein paar von deinen Freunden, also ich meine die, die nicht im Krankenhaus gelandet sind, fragen, ob sie dir helfen wollen. Ansonsten lasse ich dir für den restlichen Schaden in den nächsten Tagen die Rechnung zukommen – ich möchte da zunächst einen Gutachter engagieren.“ Als er sich mit einem „Gute Nacht!“ abwendete, starrte ihm Enrico entsetzt hinterher. Johnny währenddessen senkte seine Handykamera und freute sich schon sehr darauf, das ganze Debakel online zu stellen. Kapitel 2: Die Wette -------------------- Die Wette „Was hast du eigentlich für gute Vorsätze für das nächste Jahr gemacht, Enrico?“, Bianca sah den jungen Italiener, der zwischen ihr und Rosetta auf dem Sofa saß und seine Arme um die beiden Mädchen gelegt hatte, erwartungsvoll an. Sie befanden sich auf Enricos Silvesterparty – im Hintergrund spielte eine Liveband auf einer Bühne fetzige Musik, zu der der Großteil der zahlreichen jugendlichen Gäste begeistert tanzte. Um ein wenig Ruhe zu haben, hatten sich Robert, Johnny, Oliver und Enrico samt Anhang zu einer Sitzecke im hinteren Teil des Raumes verzogen. Seither unterhielten sie sich über verschiedene Themen und warteten auf das neue Jahr. „Ich brauche doch keine guten Vorsätze“, grinste Enrico und zwinkerte ihr zu, „Ich bin perfekt, wie ich bin.“ Robert räusperte sich hörbar, Johnny schnaubte und Oliver zog skeptisch die Augenbrauen nach oben, während Rosetta und Bianca kicherten. Enrico runzelte sichtlich irritiert die Stirn ob der Reaktionen seiner Freunde. „Welche Vorsätze habt ihr euch denn gemacht?“ „Keine“, meinte Robert sachlich, „Es hat sowieso keinen Sinn, weil man sie doch wieder bricht. Wenn ich etwas ändern möchte, dann mache ich das sofort und schiebe es nicht auf ein weit entferntes Datum. Letzteres zeigt doch nur, dass man gar nicht wirklich dazu bereit ist, das Problem sofort anzugehen, sondern sich lediglich ein später als Ausrede zu Recht legt, um sein eigenes Gewissen zu beruhigen.“ Johnny rollte gelangweilt mit den Augen: „Ich sehe ehrlicherweise keinen Grund dazu.“ „Ich habe mir ein paar Gedanken gemacht“, Oliver setzte ein stolzes Lächeln auf, „Als Vorsatz habe ich mir genommen, dass ich es in diesem Jahr in jedem Fall auf das Cover der Beyblader’s Health schaffen werde.“ Genervt stöhnte Johnny auf. „Oliver so funktioniert das nicht – außerdem wissen wir alle bereits seit zwei Monaten, dass du das Angebot für Februar bekommen hast. Ist ja nicht so, als hättest du uns das sofort erzählen müssen.“ Der Franzose lächelte ihn beinahe ein wenig herablassend an, als er sein Weinglas zurück auf den Tisch stellte. „Bitte kein Neid, Johnny. Ich bin mir sicher, irgendwann werden sie dich auch darum bitten. Wenn ihnen die wichtigen Leute ausgegangen sind.“ Johnny warf ihm einen giftigen Blick zu und öffnete bereits den Mund für eine Entgegnung, als Rosetta dazwischen ging: „Ihr braucht aber Vorsätze, damit der Neujahrszauber auch wirken kann.“ Enrico schien darin seine Chance zu sehen, bei den Mädchen zu punkten. „Für euch beide würde ich doch alles tun! Entscheidet ihr beiden Hübschen doch, welchen Vorsatz ich mir nehmen soll.“ „Ach, Enrico, so funktioniert das doch nicht. Der gute Vorsatz muss doch aus deinem Herzen kommen!“, Bianca knuffte ihm in die Seite und fasste dann seine Hand, „Ich möchte jetzt tanzen!“ „Wie wäre es, wenn du und Bianca schon mal ohne mich auf die Tanzfläche geht und ich mache mir erst einmal ein paar Gedanken über das neue Jahr und was ich ändern möchte?“ Die beiden Mädchen hatten nichts dagegen und während sie elegant und wild zur Musik tanzten, versank Enrico ein wenig tiefer im Polster der Couch. „Weiß du, Enrico, wenn ich dir einen Vorschlag für einen guten Vorsatz machen darf“, meinte Robert, der seit jeher der Beziehung Enricos mit den beiden Mädchen sehr skeptisch gegenüberstand, „Wie wäre es, wenn du dich mal für eine Beziehung entscheiden würdest?“ Johnny lachte trocken. „Das klingt doch für mich nach der Grundlage für eine kleine Wette.“ „Was meinst du?“ „Robert hat es doch vorhin selbst gesagt: Vorsätze werden gebrochen. Wir wetten, wer von uns am längsten durchhält – also vom Datum her. Ich habe keine Lust mit den unterschiedlichen Zeitzonen zu rechnen“, der Schotte lehnte sich zurück und grinste, „Der Gewinner darf sich von den anderen irgendeinen Wunsch erfüllen lassen.“ „Das klingt ja ganz nett“, stimmte Enrico zu, „Aber du vergisst, dass wir keine Vorsätze gemacht haben.“ „Ich schon“, setzte Oliver an, doch seine Teamkameraden übergingen seine Bemerkung mit einem Augenrollen. „Die Vorsätze machen wir uns gegenseitig, das ist wesentlich reizvoller“, Johnny sah Robert an, als warte er auf eine Bestätigung, doch der Deutsche wirkte skeptisch. „Und was stellst du dir da vor? Dass wir von dir verlangen, dass du deine Aggressionsprobleme unter Kontrolle hältst?“ Enrico prustete laut und fing einen bösen Blick des Schotten auf. „Ich bin da eindeutig dafür! Und Robert, für dich wäre es dann wohl am passendsten, wenn du mal aufhörst, deine ätzenden Vorträge zu halten.“ Robert starrte den Italiener vorwurfsvoll an, doch der war sehr stolz auf seine Idee und Johnny und Oliver nickten zustimmend. „Dann sind wir uns bisher einig? Keine Aggressionen für Johnny und keine Vorträge für Robert?“ „Und für Enrico gilt der Vorsatz, dass er mal seine Weibergeschichten in den Griff bekommt – eine Beziehung sollte länger dauern als nur zwei Wochen und was deine On-Off-Beziehung zu Bianca und Rosetta, die du nebenbei führst, betrifft... Entscheide dich, ob du mit den beiden oder doch anderen Mädchen zusammen bist und lege dich endlich auf eine Beziehung fest.“ „So schlimm ist das doch gar nicht“, maulte Enrico. „Und was ist mit mir?“, Oliver schien erstaunlich gespannt, welchen Vorsatz er erhalten würde. Seine drei Freunde sahen sich einige Momente schweigend an. „Wie wäre es“, begann Johnny, „wenn du dich mal ein bisschen wie ein Mann verhältst?“ „Nichts gegen dich, Oliver. Aber manchmal verhältst du dich echt wie ein Mädchen.“ „Was soll denn das heißen?!“ „Na ja, deine Hobbys, dein Aussehen, dein Verhalten... Das wirkt schon alles ein bisschen ähm... schwul.“ „Ich habe eine Freundin!“, empörte sich Oliver, „Und was sollen diese oberflächlichen sexistischen Vorurteile? Nur weil ich ein Kerl bin darf ich nicht kochen oder malen, oder was?“ „Darum geht’s nicht mal. Aber-... Versuch dich einfach etwas männlicher zu verhalten, okay?“, Enrico merkte deutlich, wie sehr er Oliver mit seinen Worten verärgerte, deshalb suchte er auch sogleich das Weite: „Nachdem das geklärt ist – die Mädchen warten auf mich. Ich bin dann mal auf der Tanzfläche.“ Kaum war er gegangen, beäugte Oliver Robert und Johnny kritisch, die ihr Interesse plötzlich sehr auffällig ihren Getränken zuwandten. „Ihr denkt also, ich verhalte mich wie ein Mädchen?“ Glücklicherweise blieb ihnen eine Antwort erspart, denn in dem Moment lenkte ein Tumult auf der Tanzfläche ihre Aufmerksamkeit auf sich. Dort stand Enrico, hielt sich die Wange, während er sichtlich darum bemüht war, Bianca, Rosetta und ein drittes Mädchen zu beruhigen, die ihm kurz darauf ein paar bösartige Bemerkungen an den Kopf warfen und das Weite suchten. „Lange hat er ja nicht durchgehalten“, kommentierte Robert und lehnte sich zurück. „Was hast du anderes erwartet?“, Johnnys breites Grinsen zeigte, dass es ihm nicht sonderlich viel ausmachte, dass der Italiener gleich als erstes ausgeschieden war. Mit hängenden Schultern kam Enrico zu seinen Freunden zurück und zuckte dann mit den Achseln. „Warum habe ich auch Katy eingeladen? Ich hätte ihr vielleicht sagen sollen, dass unsere Beziehung beendet ist, seit ich mich gestern wieder mit Rosetta und Bianca vertragen habe...“ „Und vor allem hättest du das Ganze klären sollen, bevor du die Wette eingegangen bist“, rieb Johnny noch einmal Salz in die Wunde und erntete dafür einen bitterbösen Blick, als Enrico sich ihm gegenüber auf das Sofa setzte. „Immerhin habe ich soetwas wie ein Liebesleben im Gegensatz zu manch anderen Leuten am Tisch.“ „Netter Versuch“, kommentierte Johnny beiläufig und verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber damit reizt du mich bestimmt nicht.“ Währenddessen war ein Bediensteter zu ihnen an den Tisch heran getreten und erkundigte sich, ob alles in Ordnung war oder jemand Hunger hätte. Oliver wirkte etwas unschlüssig, ehe er fragte, welche Speisen denn zur Auswahl standen und ob es darunter auch solche gab, die als kalorienarm einzuschätzen waren. Als er die skeptischen Blicke seiner Freunde sah, zuckte er verlegen mit den Schultern. „Ich muss auf meine Figur achten, ich habe ein paar Kilo zugenommen.“ Enrico stöhnte genervt auf. „Oliver, auf soetwas wie Kalorien schauen doch nur Mädchen!“ „Heißt das, ich darf nicht auf mein Gewicht achten, nur weil ich männlich bin? Wer kommt denn auf so eine dämliche Ansicht? Soll ich etwa fett und ungepflegt sein, nur damit ihr aufhört zu behaupten, dass ich mich weibisch aufführe?“ „Du könntest ja Sport treiben“, konterte Johnny, „anstatt immerzu nur zu Hause zu hocken und zu malen. Dann ist das sowieso kein so großes Problem mehr.“ „Hah! Das sagt derjenige, der aufgrund seiner ungesunden und fettreichen Ernährung in den letzten Wochen fleissig zugelegt hat“, giftete Oliver zurück. Johnny sah ihn wütend an. „Ich habe nicht zugelegt! Nicht viel zumindest. Das sind Muskeln, weil ich soviel Sport mache!“ „Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Deine Speckröllchen sind ja mehr als deutlich zu sehen.“ Was auch immer es genau gewesen war, das das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht hatte, es endete darin, dass Oliver und Johnny sich prügelnd auf dem Boden landeten und Robert nur kopfschüttelnd daneben stand und genervt versuchte die beiden Streithähne auseinander zu bringen. „Das ist ein absolut inakzeptables Verhalten! Ihr beiden benehmt euch wie die kleinen Kinder und gebt damit das gesamte Team der Lächerlichkeit preis. Klärt das wie vernünftige Menschen und hört sofort mit diesem Unsinn auf. Ihr seid so ungehobelt!“ Als sie wenig später alle vier wieder gemeinsam beisammen saßen, herrschte Stille zwischen ihnen – abgesehen von Oliver, der einen seiner Fingernägel betrauerte, der bei dem Gerangel mit Johnny abgebrochen war. „Wer war das nochmal, der vom Neujahrszauber gesprochen hatte?“, erkundigte sich der Schotte, der einen Beutel mit Eiswürfeln auf sein rechtes Auge hielt. Seine Teamkollegen schwiegen einen Augenblick, dann ergriff Robert das Wort und erntete zum ersten Mal in seinem Leben die volle Zustimmung seiner Freunde: „Ich denke, es wäre am besten, wenn wir alle die Sache einfach ganz schnell wieder vergessen.“ Kapitel 3: Erinnerst du dich an Las Vegas? ------------------------------------------ Wie genau es passiert war, konnte sich keiner der beiden so wirklich erklären. Aber es war passiert, das ließ sich nicht abstreiten. Sie konnte dafür jedoch noch nicht einmal den übermäßigen Alkoholkonsum verantwortlich machen – immerhin hatte sie keinen Tropfen Alkohol getrunken. Ob ihr irgendjemand etwas in ihr Getränk gemischt hatte? Anders konnte sich Jasmin absolut nicht vorstellen, wie sie ausgerechnet in Johnny McGregors Bett gelandet war. Vielleicht lag es aber auch einfach nur am Fluch dieser verdammten Stadt – schließlich hieß es nicht umsonst ‚what happens in Vegas, stays in Vegas‘. Sie verfluchte in Gedanken die Tatsache, dass sie überhaupt an diesem dämlichen Ausflug teilgenommen hatte, obwohl sie von Anfang an ein schlechtes Gefühl gehabt hatte. Aber es war zu reizvoll gewesen: Die BBA hatte junge Nachwuchs-Beyblader aus Europa zu einer Trainingswoche eingeladen – mit minimaler finanzieller Eigenbeteiligung, sofern gewisse Voraussetzungen gegeben waren, die die Teilnehmerzahl auf ein Minimum beschränkten. Versprochen war ein Mentoring-Programm mit erfolgreichen Beybladern gewesen. Bekommen hatten sie die Majestics. Die anfängliche Begeisterung ob der Betreuung hatte schnell nachgelassen, als sich zudem herausgestellt hatte, dass (der in ihren Augen durchaus gutaussehende) Johnny McGregor ein mehr als offensichtliches Problem mit ihr oder ihrem Beybladestil hatte – vielleicht auch mit beidem. Er nörgelte an allem Möglichen herum und als sie ihn deshalb anzickte, zeigte sich deutlich, dass sie so gar nicht miteinander klar kamen. Es endete damit, dass sie die Trainingsgruppe wechseln musste und zu Oliver kam, was ihr nur recht war. Das Training verlief reibungslos und die Woche verging fast wie im Flug. Mit dem Schotten hatte sie glücklicherweise nur noch bei den Mahlzeiten und während des Abendprogramms zu tun. Zumindest bis zur Abschlussfeier. Was genau passiert war, dass sie beide gemeinsam im Hotelzimmer endeten, wusste sie nicht mehr. Auch an die Nacht konnte sie sich nicht erinnern. Aber eindeutiger hätte die Situation wirklich nicht sein können. Was nun? Neben ihr begann sich Johnny, der bis eben noch ruhig geschlafen hatte, zu regen und er schlug die Augen auf. Als er Jasmin neben sich erkannte, keuchte er erschrocken auf und fiel beinahe rückwärts aus dem Bett. „What the fuck?!“ „Ja, ich denke das trifft es vermutlich recht gut“, kommentierte Jasmin trocken, während sie die Decke ein wenig höher zog und den Schotten aufmerksam musterte, der sie wie eine gefährliche Giftschlange anstarrte. „Soll das ein schlechter Scherz sein?“ Für einen kurzen Augenblick überlegte Jasmin mit einem bissigen Kommentar zu kontern, hielt sich dann jedoch zurück – immerhin waren ihr kurz nach dem Aufwachen exakt die gleichen Fragen durch den Kopf gegangen. „Ich will dich mit Sicherheit nicht enttäuschen, aber Tatsache ist“, meinte sie mit bemüht ruhiger Stimme, „dass das Sperma sicherlich nicht von mir hier platziert wurde.“ Sie deutete auf ein paar Flecken auf der Decke und Johnny erstarrte, blickte ihr mit entsetzter Miene ins Gesicht, fast so, als hoffe er zu erkennen, dass sie ihn doch nur hereinlegen wollte. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dich gevögelt zu haben!“, rechtfertigte er sich, wobei er recht aufgebracht wirkte. „Tja, und ich kann mich nicht daran erinnern gevögelt worden zu sein. Und trotzdem liegen wir nun beide hier“, Jasmin war selbst erstaunt, wie ruhig sie die Tatsache hinnahm. Vermutlich gerade weil sie sich nicht erinnerte. So blieben ihnen doch andere Peinlichkeiten erspart. „Es lässt sich nun sowieso nicht mehr ändern. Auch wenn ich mich wirklich frage, warum ich ausgerechnet mit dir im Bett gelandet bin.“ Johnnys Blick verdüsterte sich. „Versteh mich nicht falsch, Mädchen. Ich habe wirklich nichts gegen dich. Aber das ist wirklich inakzeptabel.“ Sein Gegenüber sah ihn skeptisch an und zog die Augenbrauen nach oben. „Was?!“ „Dafür, dass du angeblich nichts gegen mich hast, hast du mich die vergangene Woche ziemlich nieder gemacht“, Jasmin lehnte sich zurück und ließ sich in das weiche Kopfkissen plumpsen. „Sofern ich mich recht erinnere, beruhte das ja wohl auf Gegenseitigkeit“, Johnny zögerte einen Augenblick, biss sich auf die Unterlippe und wich ihrem Blick aus, „Ich habe kein Problem damit, wenn mir jemand Paroli bietet. Ich finde das... sexy.“ „Moment! Du warst doch derjenige, der mich aus deiner Gruppe gekickt hat!“ „Wie bitte? Wenn ich mich recht erinnere, hast du das beantragt!“ Sie starrten sich an und ihnen wurde klar, dass in der ganzen Angelegenheit noch eine dritte Person eine größere Rolle spielen musste. Sie konnten nicht ahnen, dass sie diesen Umstand Candy, Johnnys recht gut beybladender Exfreundin, zu verdanken hatten. Vermutlich war sie es auch gewesen, die ihnen irgendetwas in die Getränke gegeben hatte – um Johnny abzuschleppen und Jasmin, von der sie bemerkt hatte, dass Johnny ein gewisses Interesse an ihr hegte, mit einem anderen Kerl los zu werden. Pech nur, das dieser Plan daneben gegangen war und nun alle drei Parteien mit dem Ausgang nicht sonderlich glücklich waren. Johnny fuhr sich durch die Haare, dachte über seine Karriere und die Klatschpresse nach und wie schon so manches Mädchen ihn dazu ausgenutzt hatte, für ein paar Tage bekannt zu werden. Er musterte Jasmin kritisch. „Das Alles bleibt unter uns, verstanden? Zu niemandem ein Wort!“ „Was in Vegas passiert, bleibt in Vegas, nicht wahr?“ Und so war es tatsächlich zunächst gewesen. Johnny hatte erwartet, dass dennoch ein großer Skandalartikel über ihn in den Zeitungen kam, doch er wartete vergebens. Das Mädchen hielt Wort und im Gegensatz zu manch anderen Beziehung, die er gehabt hatte, lag sie ihm auch nicht in den Ohren mit dem, was passiert war. Bei den deutschen Beyblademeisterschaften, die drei Wochen später stattgefunden hatten und bei denen sich Jasmin wie zu erwarten im Viertelfinale an Robert die Zähne ausgebissen hatte, trafen sie sich wieder. Ihr Wiedersehen endete, wie es enden musste: Sie hatten sich in den Haaren und es folgte ein Date, das im Desaster endete – aber sie beide waren darin übereingekommen, dass sie das unbedingt wiederholen müssten. Zwei weitere Wochen später, in denen sie sich relativ regelmäßig gesehen hatten, stand Jasmin vor der Tür zu Johnnys Arbeitszimmer. Sie holte tief Luft, klopfte an und als die Bestätigung kam, trat sie ein. Der Schotte schien gerade etwas an seinem Computer zu arbeiten, blickte jedoch auf, als sie herein kam und nickte ihr kurz zu. Für einen Augenblick wartete sie, bis Johnny fertig getippt hatte. Als er seine Arbeit beendet hatte, stand er auf und trat zu ihr, um ihr einen flüchtigen Kuss auf den Mund zu geben. Weiter waren sie in ihrer Beziehung noch nicht gekommen. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass du heute vorbei kommst. Was ist los?“ „Wir müssen reden. Über das, was in Las Vegas passiert ist.“ Für einen kurzen Augenblick herrschte Stille zwischen ihnen, dann verschränkte Johnny die Arme vor der Brust und lehnte sich mit düsterem Gesichtsausdruck gegen seinen Schreibtisch. „Wir hatten gesagt wir vergessen die Sache und reden nicht wieder darüber.“ Seine ganze Haltung verriet, dass er einem Gespräch zu diesem Thema nicht sonderlich wohlwollend gegenüber stand und es wohl eher darin enden würde, dass er sie rauswarf, als dass sie sich tatsächlich wie normale Menschen unterhalten würden. „In Ordnung“, murmelte Jasmin genervt. Sie fuhr sich durch die kurzen Haare und musterte Johnny aufmerksam. „Ich war heute bei meinem Frauenarzt, um mir die Pille verschreiben zu lassen.“ Für einen kurzen Augenblick glaubte sie, eine Mischung aus Erstaunen und einer gewissen Befriedigung auf dem Gesicht ihres Fast-Freundes zu sehen, dann setzte er ein selbstgefälliges Grinsen auf, das jedoch zu ihrer Genugtuung verschwand, als sie weitersprach: „Er hat gemeint, dass ich mir das ein bisschen früher hätte überlegen sollen.“ „Was?“ „Ich bin schwanger.“ Kapitel 4: Der Notfallplan -------------------------- Die europäische Meisterschaft war nur noch einen Tag entfernt und die Majestics hatten sich in den letzten Monaten ausgiebig darauf vorbereitet. Sie hatten nicht nur mit ihren Beyblades trainiert, sondern auch darin, sich gegenseitig zu vertrauen und ein Team zu werden. Nach dem Debakel des Kampfes gegen die Bladebreakers war ihnen schmerzlich klar geworden, dass sie auf Dauer nur dann vorankommen würden, wenn sie eben auch ihre sozialen Fähigkeiten verbesserten. Sämtliche positive Entwicklungen wurden jedoch über den Haufen geworfen, als das Unerwartete passierte: Robert wurde krank. Eine Grippe fesselte ihn ans Bett, sodass es nicht so aussah, als wäre es ihm möglich, den ersten Kämpfen beizuwohnen. Damit hatten sie nicht nur ihr bestes Pferd im Stall verloren, sondern auch ihren Teamcaptain. Und da Robert nie einen Stellvertreter ernannt hatte, weil er wohl geahnt hatte, wie es enden würde, stand nun die Frage im Raum, wer während seiner Krankheit seine Rolle während der Meisterschaften einnehmen würde. Damit nahm das Unglück seinen Lauf. Sie befanden sich bereits im Clementine Hotel in Basel und hatten ihre Zimmer und den Trainingsraum, der ihnen zugeteilt worden war, bereits bezogen. Nun standen sie im Vorzimmer von Olivers Hotelsuite und diskutierten miteinander. „Ich werde sicherlich nicht antreten, wenn so ein Hohlkopf wie du das Kommando hat!“, fuhr Johnny aufgebracht Enrico an, der mit den Schultern zuckte und die Bemerkung erstaunlich gelassen überging. „Ach, und du bist besser geeignet? Nenne mir einen Grund, warum ausgerechnet du, der Kindskopf unseres Teams, Roberts Platz einnehmen solltest!“ „Das verrate ich dir gerne, Enrico. Ich bin auf der europäischen Rangliste auf Platz zwei – direkt hinter Robert. Und damit bin ich besser als du“, Johnny tippte ihm mehrfach herausfordernd auf die Brust, bis Enrico seine Hand gereizt beiseite Schlug und die Arme verschränkte. „Das soll dich zu einem besseren Anführer machen? Mach‘ dich bitte nicht lächerlich. Deine aufbrausende und herablassende Art wäre für unser Team während des Turniers sicherlich alles andere als förderlich.“ „Ich lasse mich immerhin nicht permanent von irgendwelchen Mädchen ablenken. Dir geht es doch bei allem immer nur um deinen Spaß – wir müssen das Turnier aber ernst nehmen, um weiter zu kommen!“ So ging das schon eine gute Stunde. Oliver rieb sich genervt mit seinen Fingern über die Schläfen, denn die Lautstärke der beiden Streithähne verursachte bei ihm allmählich Kopfschmerzen. Anfangs hatte er versucht, die beiden zu beschwichtigen und ihnen klar zu machen, dass er in diesem Fall sowieso die einzige sinnvolle Wahl war. Das hatte dazu geführt, dass die beiden ihn böse angestarrt hatten, bis er sich mit einem Seufzen aus dem Wortgefecht herausgehalten hatte. Mit etwas Glück waren die beiden bald heiser, so dass er ihnen verständlich machen konnte, dass er immer noch der Vernünftigste hier im Raum war und er somit Robert vertreten würde. Da jeweils Enrico und Johnny durchdrehen würden, wenn der anderen Teamchef würde, war er außerdem nunmal tatsächlich die einzige Alternative. „Wie kommt es überhaupt“, meinte er nach einer Weile, in der er sich katastrophale Szenarien mit jeweils Johnny und Enrico als Captain ausgemalt hatte, „dass Robert nie festgelegt hat, wer seinen Platz einnimmt, wenn er mal ausfällt?“ Er hatte augenblicklich die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Teamkollegen, die ihn ein wenig irritiert ansahen. Johnny runzelte nachdenklich die Stirn, ließ Enricos Hemdkragen los und senkte seine Hand, mit der er dem Italiener eben noch gedroht hatte. „Hat er nicht mal gesagt, dass er eine Art Notfallplan hat, sollte mal etwas schief laufen?“ „Davon höre ich zum ersten Mal“, murmelte Enrico und strich seine Kleidung glatt. „Das wiederum könnte daran liegen, dass du bei sämtlichen Besprechungen lieber an deinem Smartphone herumspielst und auf Twitter und Facebook unterwegs bist, anstatt zuzuhören“, kommentierte Johnny ungewöhnlich gelassen. Nun, da er sich an den Notfall-Plan erinnert hatte, war er sich ziemlich sicher, dass Robert ihn zum Stellvertreter ernannt hatte. Immerhin kannte Robert sein Potenzial und sie waren sehr gut miteinander befreundet. Oliver hingegen war der festen Überzeugung, dass für Robert er die einzige sinnvolle Alternative war, während Enrico klar war, dass er der einzige war, der in Frage kam: es war einfach gut fürs Image, wenn er Chef wurde. „Wo hat er denn diesen Notfallplan?“, erkundigte sich Enrico nun durchaus interessiert und lächelte. „Ich denke bei unserer Beyblade-Teamausrüstung. Alles andere würde ja wenig Sinn ergeben“, vermutete Oliver und erhob sich von seinem Sitzplatz, „Aber bitte versprecht mir, dass ihr Roberts Entscheidung akzeptieren werdet und dann aufhört euch zu zoffen – egal wie sie ausfallen wird.“ „Natürlich“, bestätigten Enrico und Johnny fast gleichzeitig und sie beäugten sich skeptisch. „Dann sollten wir nun wohl am besten Mal in unseren Unterlagen im Trainingsraum nachsehen, ob wir etwas finden.“ Gemeinsam gingen sie in den Trainingsraum, dazu mussten sie zunächst den Aufzug nehmen. Auf dem Weg gab es ein paar Sticheleien zwischen Enrico und Johnny, die Oliver mit einem genervten Augenrollen überging. Im Raum angekommen öffnete Oliver den Safe, in dem das Team alles Wichtige untergebracht hatte, bei dem die Gefahr bestand, dass irgendjemand – seien es nun Fans oder Saboteure – es entwendete. Es war nicht so schwer, wie sie erwartet hatten, den Notfallplan zu finden, denn es war ein relativ schwerer, schlanker Umschlag, den Robert versiegelt hatte, sodass die Gefahr, dass jemand seinen Beschluss las, ohne, dass es dazu einen Anlass gab, relativ gering ausfiel. Immerhin wollte es sich niemand mit Robert verscherzen, da seine Bestrafungen meist äußerst unangenehm waren. Oliver brach vorsichtig das Siegel, öffnete den Umschlag und fischte ein Handy und einen Bogen beschriebenes Papier heraus. „Was schreibt er?“, erkundigte sich Enrico neugierig, während Johnny irritiert das Handy anstarrte: „Und was hat es bitteschön damit auf sich?“ „Das werden wir beides erfahren, wenn ihr mich denn mal vorlesen lassen würdet“, murmelte Oliver genervt und begann die sorgfältige und edle Schrift zu lesen: „Meine werten Teamkollegen, Dass ihr diesen Brief hier in den Händen haltet und lest bedeutet, dass ich aktuell verhindert bin (ich hoffe es ist nichts Ernstes und ich weile zumindest noch unter den Lebenden). Jedes Team braucht gerade aus solchen Gründen einen Stellvertreter für seinen Teamcaptain und ich habe mich wirklich intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wer von euch dreien am Geeignetsten ist, um diese Position einzunehmen. Ihr habt alle gute Eigenschaften, die euch als Anführer auszeichnen würden: Johnny, du bist stark und nur schwer klein zu kriegen. Dagegen bist du, Oliver, sehr diszipliniert und du behältst auch stets den Überblick, während ich zugeben muss, dass du, Enrico, wirklich außergewöhnlich geschickt bist – nicht nur mit deinem Beyblade, sondern auch darin, deinen Gegner abzulenken. Auf der anderen Seite wird die Entscheidung für mich auch nicht einfacher, wenn ich mir anschaue, welche Charakterzüge jeden einzelnen von euch zu einer schlechten Wahl machen. Johnny, du bist leider viel zu aufbrausend und daher leicht zu manipulieren, ganz davon abgesehen, welche Gefahr dein Dickkopf darstellen kann. Oliver hingegen – du bist viel zu sehr ein Feingeist und ich bezweifle wirklich, dass es dir gelingt, dich dauerhaft gegen Enrico und Johnny durchzusetzen. Nur indem man eine Angelegenheit ignoriert, wird sie noch lange nicht gelöst. Du, Enrico, bist wiederum zu verantwortungslos, um ein Team zu führen. Als Playboy würdest du vermutlich dein eigenes Wohl und dein Ansehen über das stellen, was das Richtige für das Team wäre. Und egal für welchen von euch dreien ich mich entscheiden würde, ein Konflikt wäre so oder so vorprogrammiert. (Zudem ist mir übrigens bewusst, dass jeder einzelne von euch dreien jetzt erst einmal eingeschnappt und wütend ist. Kommt damit klar und lernt endlich euch wie Erwachsene zu benehmen.) Ihr versteht in welchem Dilemma ich mich befinde? Wie kann ich also die richtige Entscheidung für das Team treffen? Ich finde das ein wenig viel verlangt. Ich bin nach reichlichen Überlegungen daher nach wie vor der festen Überzeugung, dass es das Beste ist, wenn ich keinen Stellvertreter ernenne. Ihr habt alle drei herausragende Fähigkeiten, die ihr kombinieren solltet um gemeinsam den besten Weg zu finden – als Team und nicht indem ihr versucht euch gegenseitig zu übertrumpfen. (Und solltet ihr doch mal der Versuchung erliegen, denkt bitte daran, dass ich es problemlos mit euch dreien gleichzeitig aufnehmen kann.) Sollte es doch zu schwerwiegenden Schwierigkeiten kommen, benutzt das beigelegte Telefon. Sollte mir nichts allzu schlimmes widerfahren sein, werde ich zwar mein reguläres Handy ausgeschaltet haben, um meine Ruhe zu haben, aber mein Notfalltelefon wird an sein. Die Nummer ist unter der Ziffer 1 eingespeichert. Aber ich ermahne euch, nur anzurufen, wenn es wirklich irgendein Problem gibt, dass ihr nicht auf die Reihe bekommt! In diesem Sinne wünsche ich euch viel Erfolg als Team und wünsche euch alles Gute. Freundliche Grüße, Robert.“ Die drei Beyblader starrten den Brief an. „Soll das ein schlechter Scherz sein?“, Johnnys Stimme klang aufgebracht, doch Oliver seufzte nur. „Ihr erinnert euch daran, wie wir ausgemacht haben, die Entscheidung zu akzeptieren?“ Eine Weile lang herrschte Schweigen. Enrico war der erste, der die Stille durchbrach: „Wer hat Robert eigentlich zu unserem Chef gemacht?“ Kapitel 5: Das Frühlingsfest ---------------------------- Einmal im Jahr veranstaltete das britische Edel-Internat Higher Education for Aristocratic Youths ein großes Frühlingsfest – zu dieser Gelegenheit standen die Schultore jedem offen, der sich die Einrichtung einmal genauer ansehen wollte. Dementsprechend pompös wurde dieses Fest aufgezogen. Neben zahlreichen Veranstaltungen bereiteten auch die Schüler für die Festwoche verschiedene Aktionen und Angebote vor, sodass auch Enrico, Oliver, Robert und Johnny eingebunden waren und alle Hände voll zu tun hatten. Während Restaurants, Wellnessoasen oder auch Spiele angeboten wurden, hatte sich Enrico gemeinsam mit Robert einer Gruppe angeschlossen, die eine Versteigerung vorbereiteten: Schüler, die aufgrund bestimmter Fähigkeiten sehr begehrt waren, konnten ersteigert werden um beispielsweise Nachhilfe zu geben. Das Geld, das eingenommen wurde, sollte einem wohltätigen Zweck zugute kommen. Während Enrico ein Date anbot, bestand Roberts Beitrag aus der Unterstützung in jedweden Sprachen, die er beherrschte. Was bei dem breiten Sprachenangebot der Schule durchaus ein begehrtes Gut war – gerade weil Robert für gewöhnlich anderen Schülern eine derartige Hilfe verweigerte, weil sie ihm zu zeitaufwendig erschien. Ausnahme bildeten hierbei seine Freunde, die jedoch nie auf dieses Angebot zurückgriffen. Oliver richtete gemeinsam mit dem Kunstkurs eine Ausstellung her, in der verschiedenartige Schülerarbeiten dargeboten wurden (die auch käuflich zu erwerben waren) und zu denen es auch Führungen gab. Johnny hingegen hatte sich dazu bereit erklärt, bei ein paar der schulischen Sportwettkämpfe mitzumachen, die seit einigen Jahren das Highlight der Frühlingsveranstaltung waren. Die vorbereitete Versteigerung lief ziemlich gut – es waren viele Schüler, Eltern und auch Gäste anwesend, die fleißig boten. Roberts Wert war recht schnell in die Höhe geschossen und Johnny sah mit skeptischer Miene dabei zu, wie ein paar Mädchen begeistert und kichernd boten. Erst als die Versteigerung beinahe vorüber war, trug der Schotte zur Verwunderung aller selbst ein Angebot bei und ersteigerte seinen besten Freund. Was genau Johnny damit bezweckte wusste keiner so genau, hatten doch Robert und er tagtäglich genug miteinander zu tun und mit sehr großer Wahrscheinlichkeit hätte der Deutsche Johnny sogar ohne zu zögern ein wenig Nachhilfe gegeben, ohne dass dieser Geld dafür hätte bezahlen müssen. Als nächstes war Enrico an der Reihe. Sein Gebot schnellte ungebremst in die Höhe und voller Begeisterung und mit lautem Kreischen überboten sich die Mädchen gegenseitig. Natürlich beteiligte sich auch ein Quotenmann an der Versteigerung. Enrico genoss die Aufmerksamkeit sichtlich, wurde jedoch blass, als sich ein gewisses Mädchen in die Versteigerung einmischte, von der er wusste, dass sie niemals eine gute Nachricht war: Megan. Seit jeher bereitete ihm alles, was mit diesem unmöglichen weiblichen Wesen zu tun hatte, nur Schwierigkeiten und wenn es ein Mädchen gab, das er niemals um ein Date bitten würde, war es Megan. Nun ja, er musste zugeben, einmal hatte er es versucht, was darin geendet hatte, dass sie ihm einen Vortrag darüber gehalten hatte, was für ein verantwortungsloser und verlogener Playboy er war und dass wenn er es noch einmal wagte sie auf ein Date anzusprechen, sie ihm das Leben zur Hölle machen würde. Warum war es nun ausgerechnet Megan, die für ihn bot? Er hätte zu gerne geglaubt, dass das Mädchen ein gewisses Interesse an ihm entwickelt hatte, doch er wusste es besser: Megan war auf Ärger aus – und zwar auf seine Kosten. Dennoch bemühte er sich ruhig zu bleiben und auch weiterhin zu lächeln, selbst als deutlich wurde, dass Megan das Rennen gemacht hatte und er nun einen Tag ihrer Wahl gemeinsam mit ihr verbringen musste. Vielleicht hätte er doch lieber beim Hostclub mitmachen sollen... Dennoch gab er sich tapfer und nahm seine Niederlage hin, in der Hoffnung, dass das Ganze halb so schlimm würde, wie er befürchtete. Im Anschluss an die Versteigerung gab es ein Treffen für terminliche Absprachen und Enrico hörte bereits von ferne, wie Robert und Johnny miteinander diskutierten, wie sie es selbst nannten. Jedem Außenstehenden war jedoch klar, dass sie sich einfach stritten. „Immerhin habe ich dich ersteigert!“, schimpfte der Schotte aufgebracht, während Robert die Arme vor der Brust verschränkt hatte und ihn gelassen ansah. „Du hast ersteigert, dass ich dir Nachhilfe in irgendeiner Sprache gebe, nicht, dass wir Videogames zocken.“ „Ich habe Geld dafür bezahlt, also kann ich ja wohl entscheiden, was wir machen?“ „Ach und du meinst, nur weil du im Kaufhaus eine Hose kaufst, du aber lieber ein Hemd willst, ist die Hose auf einmal ein Hemd? Im Ernst, mit dem Argument kommst du nicht weit.“ Johnny biss sich auf die Unterlippe und meinte dann etwas ruhiger: „Wir könnten die Spiele auf Französisch zocken.“ So ging es noch eine Weile hin und her, doch wie das Ganze endete, bekam Enrico nicht mit, da in dem Moment Megan seine Aufmerksamkeit forderte. „Hör zu, mir gefällt das Ganze auch nicht“, murmelte sie mit mürrischer Miene, „Aber ich brauche deine Hilfe. Das ist der einzige Grund für das alles, kapiert?“ „Du... brauchst meine Hilfe?“, fragte der Italiener verdutzt und starrte das Mädchen an, als wäre sie eine Außerirdische. „Wer bist du und was hast du mit Megan gemacht?“ Sie verdrehte ihre Augen. „Der Spruch ist schon so alt, dass er nicht mehr lustig ist. Und jetzt nimm in deinem Leben bitte einmal etwas ernst, verstanden?“ Enrico wirkte weiterhin etwas skeptisch, da es doch seiner Meinung nach ungewöhnlich war, dass jemand, der einen so gar nicht leiden konnte, einen um Hilfe bat, bemühte sich jedoch darum, ihrer Bitte nachzukommen. „Worum geht es denn?“ „Ich habe einen fanatischen Fan, der mich seit einer Weile belästigt“, meinte sie nach kurzem Zögern, „Es ist niemand von der Schule, da bin ich mir sicher. Genauso gut weiß ich jedoch, dass er sich heute bestimmt hier herumtreibt und irgendetwas versuchen wird. Deshalb brauche ich jemanden, der in meiner Nähe ist und der mein Freund sein könnte. Ich hoffe, dass er dadurch sein Interesse an mir verliert.“ Enrico schwieg eine Weile, dann sah er sie erstaunlich ernst an. „Das ist nichts, womit du spaßen solltest, Megan. Wende dich an die Polizei. Und vor allem such dir Hilfe von Leuten, die wissen, wie man mit so etwas umgeht – und nicht von mir.“ Das Mädchen zog ihre Augenbrauen nach oben. „Danke für den Tipp, darauf wäre ich nie gekommen, du Genie. So oder so habe ich dich ersteigert – also erwarte ich auch die Dienstleistung. Und zwar heute. Ganz egal, was du dazu sagst.“ Sie blickte ihn düster an und zum ersten Mal fiel Enrico bewusst auf, dass sie sich für den heutigen Tag erstaunlich schick gemacht hatte. Sie trug ein buntes frühlingshaftes Kleid, ein wenig dezentes Makeup, hatte silbernen Schmuck angelegt und ihre Haare besonders schick frisiert. Hatte sie das Ganze von Anfang an geplant gehabt? Wie auch immer die Antwort ausfiel – sie hatte gezahlt und er würde sich an seinen Teil der Abmachung halten. Der Italiener seufzte und überlegte für einen Augenblick, wer wohl dickköpfiger war: Johnny oder Megan. „In Ordnung, aber ich sage dir gleich, dass das sicherlich nicht deine Probleme lösen wird.“ „Das lass mal meine Sorge sein“, mit den Worten hatte sie ihn am Arm gepackt und ihn mit sich aus dem Raum gezogen. Enrico hatte sich das Date, als er sich für die Versteigerung beworben hatte, zugegeben anders vorgestellt. Ein heißes Mädchen und er am Strand, in einem Eiscafé oder im Kino. Das wäre es gewesen. Aber mit Megan auf dem Schulfest? Er konnte sich wahrlich schönere Dinge vorstellen. Gemeinsam erkundeten sie die einzelnen Veranstaltungen und Angebote und es war vermutlich das erste Mal, dass er Megan lächeln sah. Er musste zugeben, dass sie bei weitem nicht so übel war, wie er immer gedacht hatte. Eigentlich war sie ja doch ganz nett, wenn sie einen nicht gereizt anfuhr oder böse anstarrte. Sie überzeugte Enrico sogar davon, dass er ihr an einem Schießstand (in diesem Jahr hatte sich wohl eine Gruppe als Thema ‚Jahrmarkt‘ gewählt) einen Preis schießen sollte. Zu seinem Leidwesen brauchte er etliche Anläufe, was sich für ihn wie eine Bloßstellung anfühlte, aber als er letzten Endes Megan den dicken Teddybären in die Hand drückte und sie ihn förmlich anstrahlte, war es die Sache allemal wert. Was ihn doch schwerlich verunsicherte, war die Tatsache, dass sein Herz einen Satz tat, als er sie so glücklich sah. Es war fast wie... er schüttelte den Kopf. Er konnte sich vieles leisten, aber sicherlich nicht, dass er sich in so ein schwieriges Mädchen verliebte. Als nächstes schleppte Megan ihn zu einer Achterbahn, was diesmal sie selbst bezahlte – schon allein das Angebot Enricos, dass er das ebenfalls übernehmen könnte, sorgte dafür, dass sie ihn düster musterte und sie ihn fragte, ob er glaube, dass sie als Frau nicht genauso das Recht hätte zu bezahlen, wie er. Er beließ es dabei – und verfluchte die Tatsache, dass er zugestimmt hatte, mit ihr auf die Achterbahn zu gehen. Während Megan sichtlich Spaß hatte, tat sich Enrico schwer, sein Image des heißen Playboys aufrecht zu erhalten und nicht einfach laut zu schreien. Erstaunlicherweise schien jedoch Megan mitbekommen zu haben, dass er sich unwohl fühlte und anstatt ihn ein zweites Mal auf das Fahrgeschäft zu schleppen schlug sie vor, dass sie eine Kleinigkeit essen könnten. Sie gingen zu einem kleinen Crêpes- und Pfannkuchen-Bistro, in dem sie sich niederließen und sich während sie aßen ein wenig unterhielten. Durch die gute Stimmung ermutigt, entschied sich Enrico dazu, sie einmal gezielt danach zu fragen, was sie nun eigentlich für ein Problem mit ihm hatte. Für einige Zeit sah sie ihn schweigend an, dann stocherte sie in ihrem Essen herum. „Es geht nicht grundsätzlich gegen dich“, meinte sie dann, „Ich hasse nur dein Frauenbild.“ „Was bitte?“, Enrico starrte sie mit großen Augen an, denn bisher hatte sich noch kein Mädchen bei ihm über seine Behandlung beschwert. „Wir sind kein schmückendes Beiwerk zum Angeben und wir können sehr wohl für uns selbst denken. Ich weiß nicht, warum so viele Tussen es sich gefallen lassen, sich von euch Männern so klein halten zu lassen und jedwede Eigenverantwortung abzugeben, aber ich finde es ekelhaft. Und Kerle wie du, die ein Mädchen nach dem anderen als Freundin haben, das stolz vor ihren Freunden präsentieren und dabei so tun, als seien wir einfach irgendein Objekt wie ein neues Smartphone, fördern das geradezu. Letzten Endes bilden sich die Weiber auch noch ein, sie seien nichts wert, wenn sie nicht begehrt werden.“ Enrico starrte sie für einen Augenblick lang fast sprachlos an, ehe er zur Seite sah. „So habe ich das ehricherweise bisher nicht gesehen, Megan. Es ging mir nie darum, irgendwelche Mädchen zu einem Gegenstand zu degradieren. Ich genieße einfach deren Anwesenheit, nicht mehr.“ „Du solltest mehr über das, was du tust, nachdenken“, murmelte Megan und schob sich ein Stück Pfannkuchen in den Mund, „Im Ernst.“ „Das finde ich jetzt schon ein wenig grob“, Enrico blickte sie skeptisch an, „Außerdem gehst du bei uns Männern nur vom Schlimmsten aus. So sind wir gar nicht. Weißt du was? Ich werde es dir beweisen. Ich versuche von nun an nicht so oberflächlich mit den Mädchen umzugehen.“ „Viel Erfolg dabei“, der Sarkasmus und die Zweifel waren nicht zu überhören und Megan begann wieder damit in ihrem Essen herumzustochern. Gerade weil sie seine Intentionen so kritisch hinnahm, entschloss sich Enrico dazu, sich wirklich darum zu bemühen, sich zu bessern. Einfach, damit sie nicht mehr grundlos behaupten konnte, dass er Schlechtes im Sinn führte. Nach einiger Zeit des Schweigens, in der sie fertig gegessen und bezahlt hatten, setzte Enrico wieder sein charmantes Playboy-Lächeln auf. „Was möchtest du jetzt machen?“ Den restlichen Tag verbrachten sie auch weiterhin sehr abwechslungsreich. Enrico hatte von Zeit zu Zeit das Gefühl, dass sie beobachtet wurden, doch er konnte niemanden ausmachen, der sich irgendwie auffällig verhielt. Vermutlich hatte ihn einfach Megans Stalker-Geschichte verunsichert. Nach ein paar weiteren Attraktionen schlossen sie den Tag mit einem Konzert. Eine Gruppe musikalisch begabter und interessierter Mitschüler hatten sich zusammengetan und Stücke geschrieben, die allesamt wirklich gut waren. Die Stimmung war fantastisch und wer nicht mittanzte, sang zumindest den Refrain mit. Nach dem Konzert waren sowohl Enrico, als auch Megan erschöpft. Es war bereits weit nach Mitternacht, als Enrico Megan zu ihrem Zimmer brachte. Zu seiner eigenen Überraschung hatte er den Tag genossen und er hatte das Gefühl, Megan ein wenig besser zu verstehen. Eigentlich war sie wirklich sehr nett, wenn man sie erst einmal näher kannte. „Und du meinst, der Typ hört jetzt auf dich zu belästigen?“, fragte Enrico, doch Megan zuckte nur mit den Schultern. „Ich sage an dieser Stelle vermutlich am besten ‚nein‘, sonst bildest du dir am Ende nur ein mein großer Retter in der Not zu sein. Und das bist du mit Sicherheit nicht“, im Gegensatz zu ihren bisherigen Unterhaltungen hatte ihre Stimme diesmal nicht vorwurfsvoll oder boshaft, sondern erstaunlich ruhig geklungen. Enrico hatte fast schon mit einer solchen Antwort gerechnet und er lächelte. „Vielleicht solltest du wirklich nicht immer vom Schlimmsten ausgehen. Ich muss zugeben, ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, aber ich fand den Tag mit dir wirklich sehr schön. Vielleicht sollten wir das einmal wiederholen?“ Als er Megans genervten Blick sah, wusste er, dass er mal wieder ins Fettnäpfchen getreten war. „Nicht als Date“, meinte er hastig und zuckte verlegen mit den Schultern, „Aber ich finde dich wirklich nett. Wir könnten uns näher kennen lernen und...“ „Giancarlo, das reicht jetzt!“, meinte sie bestimmt und schüttelte den Kopf, „Das war eine einmalige Sache. Mach dir keine falschen Hoffnungen.“ Enrico beugte sich ein Stückchen nach vorne, umfasste ihre linke Hand und führte sie wie zu einem Handkuss zu seinem Mund. „Und wenn ich mir richtige Hoffnungen mache?“ Für einen kurzen Moment wirkte Megan sprachlos, dann hob sie ihre rechte Hand und gab dem jungen Italiener eine Ohrfeige. Mit einem letzten herabschätzenden Blick machte sie auf dem Absatz kehrt und eilte in ihr Zimmer. Zurück ließ sie einen bedrückt dreinblickenden Italiener, der sich seine schmerzende Wange hielt. Etwa eine Stunde, nachdem Megan sich in ihr Zimmer zurückgezogen und es sich auf ihrem Bett bequem gemacht hatte, klopfte es an ihrer Tür. Sie hatte gar keine Chance zu reagieren, denn die Tür flog bereits auf und Theresa trat mit ein paar Zetteln in der Hand und ihrer Digitalkamera um den Hals ein. Sobald die Tür wieder zu gefallen war, meinte sie aufgeregt: „Ich habe die Fotos!“ Auf Megans Gesicht zeichnete sich ein Lächeln ab und sie machte ihrer Freundin Platz, die ihre Kamera und die Bilder auf dem Bett platzierte, dann aber zunächst einmal in Richtung Badezimmer verschwand. „Entschuldige mich aber erst einmal.“ Es dauerte nicht lange, da kam sie zurück und plapperte munter darauf los. „Hast du dir die Bilder angesehen? Sie sind klasse geworden, das perfekte Material, um damit zu arbeiten“, sie unterbrach sich und ließ sich auf das Bett plumpsen, „Mein Favorit ist ja eindeutig das letzte Foto. Das, wo er dir die Hand küsst und du so überrascht schaust. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt davon ausgehen, dass du was für ihn empfindest!“ „Welches Foto meinst du?“, fragte Megan erstaunt und scannte mit ihren Augen die ausgebreiteten Abbildungen ohne fündig zu werden. Auch Theresa schien nun zu bemerken, dass das Foto fehlte, von dem sie sprach. Irritiert runzelte sie die Stirn und griff nach der Kamera. „Ich kann es dir auf der Speicherkarte zeigen – hier ist-... Das verstehe ich nicht! Irgendwo muss es doch sein?“ Sie klickte mehrfach die einzelnen Bilder durch, doch von besagtem Schnappschuss gab es keine Spur. „Vielleicht hattest du dir nur eingebildet, dass du es fotografiert hast.“ „Nein, ich hatte es doch vorhin noch in der Hand... Das kann doch wirklich nicht wahr sein...“ Theresa war ernsthaft verwirrt, doch nach einer Weile sah sie ein, dass das Suchen keinen Sinn hatte. Sie unterhielten sich eine ganze Zeit und besprachen ihr weiteres vorgehen mit den Fotos – es war fünf Uhr morgens, als Theresa endlich wieder samt Bildern und Kamera ging. Als Megan sich sicher war, dass sie alleine war, zog sie ein Foto unter ihrem Kopfkissen hervor. Sie hatte es entwendet, als Theresa auf die Toilette verschwunden war und alleine dessen Existenz hatte sie soweit beunruhigt, dass sie es von der Kamera gelöscht hatte. Sie blickte auf das Motiv, wie Enrico ihre Hand hielt, ihr in die Augen sah und Megan sichtlich mit sich rang, dem Charme des Italieners nicht zu erliegen. Wenn sie jedoch ehrlich zu sich selbst war, was ihr in diesem Fall wirklich schwer fiel, hatte er sich schon vor einiger Zeit einen Platz in ihrem Herz gestohlen. Nicht, dass sie das jemals vor irgendjemandem zugegeben hätte. Sie führte ihre Lippen zu dem Foto, küsste es vorsichtig. „Vielleicht irgendwann einmal.“ Kapitel 6: Attentat ------------------- Robert war sich nicht ganz sicher, welchen Anblick er erbärmlicher finden sollte: Die Menschenmenge, auf die er vom Fenster aus herabblicken konnte und die sich in einer riesigen Traube vor den Eingangstüren versammelt hatte, bestehend aus unzähligen Fans und Paparazzi, die ganz begierig darauf warteten, dass sie jemand über die neusten Entwicklungen informierte; oder aber sie selbst, wie sie sich hier in diesem Hotelzimmer verschanzt hatten, um jedweden Interviewfragen und neugierigen Blicken zu entgehen, sichtlich gezeichnet von den Ereignissen der letzten Stunden. Enrico ging unruhig zwischen Badezimmer und Sitzecke hin und her, Oliver hing in einem der Sessel und starrte stur vor sich hin und er selbst – er wusste gar nichts mit sich anzufangen, schaffte er es nicht einmal einen klaren Gedanken zu fassen. In ihm nagte die Sorge und die Angst und während er sich immer wieder einredete, dass er als Teamcaptain die Fassung zu wahren hatte und er sich deshalb zusammenreißen musste, war ihm durchaus bewusst, dass er mehr als deutlich seine innere Unruhe nach außen trug. Er erwischte sich dabei, wie er auf seiner Unterlippe herumkaute und ließ den Fenstervorhang, den er leicht angehoben hatte, langsam wieder sinken. Es hatte etwas Bizarres, dass sie in so einer Situation keine andere Möglichkeit hatten, als sich zurückzuziehen und abzuwarten. Das war nun mal das Los eines Stars, dem man sich zwangsläufig fügen musste, ob man es wollte oder nicht. Das Privatleben war eine heikle Sache, Geheimnisse und Skandale eine beliebte Ablenkung für solche Menschen, die selbst keinen Lebensinhalt vorweisen konnten. Gab es ihnen doch die Chance zu sehen, dass auch die Leute, die es zu etwas gebracht und etwas aus sich gemacht hatten, nicht besser dran waren. Solange man eine Person von öffentlichem Interesse war, und das waren sie nun einmal, war es schwer eine ruhige Minute zu finden, wenn einen das Leben hart traf. „Das ist absolut inakzeptabel...“, dass er seine Gedanken laut ausgesprochen hatte, realisierte er erst, als Enrico anhielt und ihn mit erstaunlich ernster Miene ansah. Auch ihm war die Anspannung ins Gesicht geschrieben, doch er wirkte ein wenig gefasster, als Robert sich in diesem Augenblick fühlte. „Du kennst die Spielregeln, Robert“, ob der Unterklang in Enricos Stimme eher mitleidig oder vorwurfsvoll war, konnte Robert nicht sagen. Vermutlich war es eine Mischung aus beidem. „Du hast sie uns schon so oft vorgebetet und dann hast du dich selbst nicht daran gehalten. Was hast du erwartet?“ „Was Enrico meint ist“, Oliver wirkte recht ruhig und sein Blick verriet, dass er durchaus Verständnis für Alles aufbrachte, „die ganze Sache ist völlig außer Kontrolle geraten. Du hast es mit deiner Reaktion nicht unbedingt verbessert. Aber ich will dir daraus keinen Vorwurf machen, ich kann dein Verhalten durchaus verstehen. Trotzdem wird es davon nicht besser.“ Olivers Haltung duldete keinen Widerspruch, obwohl Robert für einen kurzen Augenblick mit dem Gedanken spielte, sich für alles zu rechtfertigen. Aber damit hätte er nur sich selbst etwas vorgemacht. Er hatte falsch reagiert, er hatte sich gehen lassen. Und nun würde er die Konsequenzen für sein Handeln tragen müssen. Enrico seufzte und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. „Immerhin konntest du Johnny das Leben retten, oder?“ Nur zu gerne hätte er sich den Kummer mit diesen Worten schön geredet. Aber nur weil seine Wiederbelebungsversuche tatsächlich Erfolg gezeigt hatten, hieß das noch lange nicht, dass der Schotte auch die nachfolgende Operation überstand. Wäre er nicht so erschüttert gewesen und wäre seine gesamte Aufmerksamkeit nicht darauf fokussiert gewesen, dafür zu sorgen, dass Johnny trotz Schussverletzung und hohem Blutverlust überlebte, bis der Notarzt vor Ort war, wäre er vermutlich einfach auf den Attentäter los gegangen und hätte irgendetwas unvorstellbar Grausames mit diesem Typen angestellt. So war er stattdessen so sehr damit beschäftigt gewesen Johnny zu beatmen und ihm eine Herzmassage zu geben, nachdem plötzlich sein Herz zu schlagen aufgehört hatte, dass er gar nicht daran gedacht hatte, sich irgendwie darum zu kümmern, wie es überhaupt dazu gekommen war, dass Johnny blutend vor ihm am Boden lag. Dann war Johnny irgendwann tatsächlich wieder zu sich gekommen. Robert hatte seine Hand fest auf die Wunde gepresst, um die Blutung zumindest ein wenig zu stillen, und dem panisch zitternden Bündel in seinen Armen leise beruhigende Worte zugeflüstert, ihn sanft auf den Schopf geküsst. Die quälenden Minuten waren nur von dem Gedanken erfüllt gewesen, Johnny vielleicht für immer zu verlieren. Er hatte vollkommen vergessen gehabt, dass er sich in all der Zeit unter der Beobachtung von irgendwelchen dahergelaufenen Leuten befunden hatte, die nichts Besseres zu tun gehabt hatten, als zu gaffen, während Johnnys Leben am seidenen Faden hing. Aus dem eigentlichen Attentat wurde dann plötzlich ein Beziehungsdrama und Johnny war noch nicht einmal in ein Krankenhaus gebracht worden, als sie auch schon von Reportern umringt gewesen waren, die ihnen irgendwelche dämliche Fragen gestellt hatten – erst die Polizei verschaffte ihnen Ruhe und den Sanitätern den nötigen Platz, als sie sie abschirmten. Letzten Endes hatten sie Enrico, Oliver und ihn zur Befragung in das Hotel gebracht. Sie hatten alles erzählt, was sie wussten und Robert hatte erfahren, dass die Polizei den Täter – oder zumindest einen Tatverdächtigen - bereits festgenommen hatte. Das Motiv war weiterhin unklar. Vermutlich war es einer dieser Typen gewesen, der seinen Namen einmal in der Zeitung lesen wollte. Die Festnahme ärgerte ihn fast, hatte er so keine Möglichkeit mehr eigenständig gegen den Täter vorzugehen. So hieß es ein paar Jahre Gefängnis. Dabei hatte der Kerl seiner Meinung nach so viel Schlimmeres verdient... Als sie vor ein paar Tagen miteinander geschlafen hatten, hatte Johnny ihn völlig unvermittelt gefragt, was wohl wäre, wenn er nicht mehr da wäre. Robert hatte nicht groß darüber nachgedacht, inzwischen kam es ihm fast so vor, als hätte Johnny geahnt, was passieren würde. Seit sie zusammen gekommen waren, hatten sie sich darum bemüht, es geheim zu halten. Nur ihre Eltern und Oliver und Enrico hatten sie in ihre Beziehung eingeweiht, weil sie bald das Gefühl hatten, es den Menschen, denen sie nahe standen, auch schuldig zu sein. Auch wenn es einige Überwindung gekostet hatte. „Die Frage ist jetzt lediglich“, Olivers Stimme riss Robert aus seinen Gedanken und als er aufblickte bemerkte er, dass sowohl Enrico, als auch Oliver ihn genauestens musterten, „Verstecken wir uns weiter hier in diesem Zimmer und hoffen, dass uns keiner Fragen stellt – oder gehen wir ins Krankenhaus und schauen wie es um Johnny steht?“ Nach dem Anschlag war es undenkbar, dass auch nur einer von ihnen ohne polizeilichen Schutz auf die Straße ging - gerade solange das tatsächliche Motiv der Tat noch unklar war. Das bedeutete, dass es nahezu unmöglich war, dass sie ungesehen verschwanden. Die Reporter und die Fans würden auf sie aufmerksam werden, sie belagern und am Ende mit unzähligen Fragen über Johnnys Zustand und vermutlich auch die Beziehung zu Robert löchern. Es war ihr Glück, dass die Polizisten, die für ihre Sicherheit abgestellt worden waren, sich durchaus verständnisvoll zeigten und nach einer Absprache mit ihren Vorgesetzten eine relativ geschützte Route vorschlugen. Über die Tiefgarage des Hotels gelangten sie in ein recht unscheinbares Auto mit verdunkelten Scheiben, das sie über einen gewissen Umweg zum Krankenhaus brachte. Auch dort warteten bereits unzählige Schaulustige darauf, dass sich etwas tat – sei es, dass die Majestics aufkreuzten, oder dass die Polizei oder das Krankenhaus neue Informationen herausgaben. Einige Leute hatten Kerzen und Blumen aufgestellt, bei deren Anblick Roberts Magen sich zusammenzog. Seiner Meinung nach suggerierte das schon fast, dass sie mit Johnnys Tod rechneten. Zumal diese Mitleidsbekundungen rein gar nichts an irgendetwas änderten. Weder würde es Johnny dadurch besser gehen, noch würde es dafür sorgen, dass irgendeiner der Beteiligten sich besser fühlte. Vermutlich hatten die Polizisten das Krankenhauspersonal über ihre Ankunft informiert, denn sie wurden unbemerkt über den Hintereingang in das Gebäude gebracht. Hier waren sie nicht mit einer kreischenden Menge konfrontiert und nachdem einige Reporter und Fans die Eingangshalle blockiert und die Ärzte und Pfleger behindert hatten, hatte die Polizei Personenkontrollen eingerichtet, um ein Ausarten der Situation zu verhindern. Menschen, die sich unnötig lange und ohne klare Zielvorgabe in den Räumlichkeiten aufhielten, wurden ebenso vor die Tür gesetzt wie solche, die sich gezielt nach Johnny erkundigten. Robert war erleichtert, dass sie zumindest hier nicht gleich belagert würden, auch wenn nach wie vor genügend neugierige Augen auf ihnen ruhten. Mit jedem Schritt, den sie näher zum Aufzug kamen, wurde das heftige Klopfen seines Herzens unangenehmer und alles in ihm zog sich zusammen. Auch wenn die Gewissheit über Johnnys Zustand ihn sicherlich aus dem Zustand der Ungewissheit befreien würde, fragte Robert sich, ob er das überhaupt wollte. Denn wenn Johnny es nicht geschafft hatte... „Blumen“, Olivers Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und er fuhr erschrocken zu ihm herum. Tatsächlich gab es in der Eingangshalle ein kleines Blumengeschäft. „Du könntest welche kaufen. Johnny wird sich darüber bestimmt freuen.“ Robert zögerte und wagte es nicht, seine Gedanken auszusprechen, die sich alleine darum drehten, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass sein Freund überhaupt noch unter den Lebenden weilte. Doch Oliver schien zu wissen, worüber er nachdachte und fügte im sanften Ton an: „Statt vom Schlimmsten auszugehen, solltest du, bis wir es genau wissen, die Chance, dass alles gut ausgegangen ist, hoch halten. Auf mich wirkst du im Moment fast so, als hättest du Johnny bereits abgeschrieben.“ Roberts Gesicht zeigte deutlich seine Betroffenheit und seine innere Unruhe und Oliver legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Er hat es geschafft, da bin ich mir sicher. Er ist ein zäher Brocken und ein verdammter Sturkopf, oder? Und jetzt kauf‘ ein paar Blumen, dann fühlst du dich sicherlich auch etwas besser.“ Es sei denn Johnny ist doch tot, schoss es Robert durch den Kopf. Er wagte es allerdings nicht, seine Gedanken laut auszusprechen. Im Grunde hatte Oliver durchaus Recht. Solange sie keine Sicherheit hatten, hatte es keinen Sinn, sich das Schlimmste auszumalen. Vermutungen machten die Wartezeit nur noch unangenehmer und brachten keine Gewissheit. Ohne ein weiteres Wort marschierte Robert auf das Geschäft zu und kaufte den seiner Meinung nach schönsten und größten Blumenstrauß. Ihn in seiner Hand zu halten, gab ihm einen gewissen Halt, wenngleich es in ihm fast ein wenig das Gefühl des Verrates an Johnny vermittelte, zweifelte er doch tief in seinem Inneren nach wie vor daran, dass es bei dieser Sache tatsächlich zu einem Happy End kommen würde. Als er zu Enrico und Oliver zurückkehrte, blickte der Italiener skeptisch auf den prächtigen Blumenstrauß. „Und wie sollen wir damit alle in den Aufzug hinein passen?“ „Na, ich bin davon ausgegangen, dass du die Treppen nimmst“, murmelte Robert, wobei ihm nicht wirklich nach Scherzen zu Mute war. Stattdessen fühlte sich jeder Muskel in seinem Körper starr und verkrampft an, als er sich in den Lift begab. Die Übelkeit, die in ihm aufstieg, deutete er fast als schlechtes Omen. Wenn er es nur endlich wüsste... Wie die beiden Polizisten, die sie begleiteten, ihnen mitgeteilt hatten, würde ein Arzt sie über den genauen gesundheitlichen Zustand ihres Teamkollegen informieren. Genaueres hatten die Männer selbst nicht gewusst, aber Robert machte das Warten und die Ungewissheit beinahe verrückt. Warum solche Umstände? War es vielleicht tatsächlich zu spät gewesen und nun sollte ihnen der Arzt schonend beibringen, dass sie alles in ihrer Macht stehende getan hatten, es aber nicht gereicht hatte? Während Oliver und Enrico leise miteinander sprachen, hing Robert seinen ganz eigenen Gedanken nach, erst als der Aufzug zum Stehen kam und sich seine Türen öffneten, kehrte er in die Realität zurück. Er trat zur Seite um zu sehen, wohin die beiden Polizisten sie führen würden und folgte ihnen. Seine Augen suchten auf den Weg die Umgebung nach irgendwelchen Anzeichen ab, wie es um Johnny stand. War da ein mitleidiger Blick? Oder fiel der Name in einem Gespräch? Jedes Kopfschütteln erschien ihm wie ein Todesurteil und jedes Tuscheln wie das Vorenthalten der so sehr gewünschten Informationen. Der Gang führte zu einer Abzweigung und während der eine Weg zu einer der Stationen führte, schien der zweite verschiedene Büros und Untersuchungszimmer zu beherbergen. Letzteres war die Route, die sie einschlugen, doch als Robert die schwere Glastür hinter sich schloss, wären ihm fast die Blumen aus der Hand gefallen. Er spürte das Zittern, das ihn überkam und das Rasen seines Herzens raubte ihm beinahe den Atem. Gebannt starrte er durch das dicke Glas und sah zu, wie eine Hand voll Pflegerinnen und Pfleger ein Krankenhausbett in den gegenüber liegenden Gang fuhr. Er hatte sofort den Polizisten bemerkt, der neben dem Bett herging, und im nächsten Augenblick wanderten seine Augen zu dem Patienten. Er hatte Johnny schon in besserem Zustand gesehen, aber in dem Moment, als er ihn bewusstlos da liegen sah, spürte er, wie ihn eine Woge der Erleichterung überkam, die seine Knie weich werden ließ. Was danach genau geschehen war, wusste er nicht mehr genau. Er hatte weder Enrico, noch Oliver Bescheid gegeben, war sich nicht einmal sicher, ob sie bemerkt hatten, dass er verschwunden war. Irgendwann hatte er vor der Zimmertür gestanden und obwohl der Wachmann etwas verwundert dreingeblickt hatte, hatte er ihn wohl durchaus als Robert Jürgens erkannt und ihn deshalb durchgelassen. Die Pfleger waren gerade damit beschäftigt, die Gerätschaften zurechtzumachen, an die sie Johnny anschlossen. Ein Apparat war mit seinem Finger verbunden, ein anderer mit der Atemmaske, die er trug. Von seinem Arm aus führte ein rotgefärbter Schlauch zu einer Bluttransfusion. Das Gewirr aus Schläuchen verunsicherte Robert, zumal er nicht genau sagen konnte, was es mit welchem Gerät auf sich hatte. Als eine Krankenschwester ihn bemerkt hatte, hatte sie ihm aufmunternd zugelächelt, gemeint, dass das schon wieder werden würde und ob sie etwas für ihn tun könne. Ein wenig verloren und mit trockenem Mund hatte er dagestanden und mit einem Blick auf den Blumenstrauß nicht mehr als das Wort „Vase“ herausbekommen. Die Schwester zeigte sich verständnisvoll, verließ das Zimmer und nach und nach waren auch die übrigen Pfleger mit Johnnys Verkabelung, wie Robert es empfand, fertig und gingen. Robert wusste nicht so recht, ob es Erleichterung war, die ihn überkam, oder doch eher der Kummer ob des Anblicks, der sich ihm bot. Die Tatsache, dass Johnny zumindest nicht auf der Intensivstation untergebracht war, beruhigte ihn insofern, dass es hieß, dass sein Zustand stabil war und Robert nicht zu fürchten hatte, dass doch noch irgendetwas Schlimmes passierte. Johnny wirkte selbst im Schlaf erschöpft und sein Gesicht war fahl, sein Atem ging schwer, aber regelmäßig. Während er weiter unschlüssig im Raum stand und dem leisen Surren und Piepsen der Maschinen zuhörte, kam auch schon die Krankenschwester mit der Vase zurück. Sie nickte Robert freundlich zu, nahm ihm die Blumen ab und stellte sie in das Wasser und anschließend auf das Fensterbrett neben Johnnys Nachttischchen. Erst jetzt beachtete er seine Umgebung genauer. Das Zimmer war ein Einzelzimmer, ein Teil des Raumes war mit zwei Sesseln und einem Tisch ausgestattet, daneben eine kleine Zimmerpalme und zwei große Kleiderschränke. An der Wand am Fußende des Bettes hing ein Fernseher, darunter befand sich ein kleiner Esstisch mit zwei Stühlen. Die Fenster an der Seite des Zimmers waren groß und deckten die gesamte Breite des Zimmers ab, allerdings waren die Vorhänge zugezogen, sodass nur die Lampen an der Zimmerdecke für Licht sorgten. Das Badezimmer war gesondert abgetrennt – Robert bezweifelte jedoch, dass Johnny es allzu schnell wieder selbstständig nutzen konnte. Erst als die Krankenschwester wieder aus dem Zimmer verschwunden war, schaffte es Robert sich zu überwinden, näher an das Bett heranzutreten. Sanft berührte er Johnnys Wange, fuhr ihm durch die zerzausten Haare. Erst jetzt, als er hier stand, Johnnys Hand hielt und allmählich realisierte, dass alles ein gutes Ende nehmen würde, überrollten Robert förmlich die Gefühle, seine Beine gaben nach und er sackte heulend auf die Knie. Wahrscheinlich hätte sich Johnny ein gefälliges Lächeln abgerungen, wenn er Roberts emotionale Reaktion gesehen hätte und ihm im Anschluss gesagt, dass er sich wie ein kleines Mädchen verhielt. Und vermutlich war letzteres auch der Gedanke von Oliver und Enrico gewesen, als sie ihren Freund und Teamcaptain am Boden des Krankenzimmers neben Johnny vorfanden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)