Sommer unter dem Sternenhimmel von Alaiya (Wenn Welten aufeinander treffen) ================================================================================ Prolog: 嵐 --------- Eine warme Brise wehte vom Meer aus in die Wohnung, brachte das Windspiel, das im Fenster hing, zum klingen. Natsuki lehnte gegen den Fensterrahmen und sah hinaus, wobei ihr rotes Haar im Licht der untergehenden Sonne beinahe zu brennen schien. Tief atmete sie die Meeresluft ein, ehe sie sich zu Hoshie umdrehte. „Sie kommen“, flüsterte sie. Das Mädchen erwiderte nichts. Stattdessen sah sie die junge Frau nur an. Diese ging nun zu ihr hinüber. „Wir sollten gehen.“ Noch immer antwortete Hoshie nicht, machte auch keine Anstalten aufzustehen, so dass Natsuki sich schließlich neben sie kniete und sich vorbeugte, um sie auf die Wange zu küssen. „Komm, Hoshi“, flüsterte sie. „Ich will nicht gehen“, antwortete diese nun schließlich. „Aber ich bin doch bei dir.“ Natsuki drückte ihre Hand, doch Hoshie schüttelte den Kopf. Sie wich dem Blick ihrer Freundin aus. „Das ist es doch“, erwiderte sie leise. Sie zögerte kurz, ehe sie fortfuhr. „Du wirst gehen, nach dieser Nacht, nicht?“ Darauf erwiderte Natsuki nichts, sondern legte nur die Arme um sie und zog sie an sich heran. Sie drückte Hoshie fest an sich und strich ihr sanft durchs Haar. „Ja, ich werde gehen“, antwortete sie schließlich leise. Sie flüsterte die Worte in das Ohr Hoshies und klang dabei genau so betrübt, wie diese sich fühlte. Nun hob auch Hoshie die Hände, um sie auf Natsukis Schultern zu legen. Sie wollte nicht weinen, aber dennoch konnte sie Tränen in ihren Augen brennen spüren. Schließlich löste sich Natsuki weit genug von ihr, um sie küssen zu können. Es war ein sanfter, sehnsüchtiger Kuss, währenddessen sie Hoshie das Amulett in die Hände drückte, ehe sie sich von ihr löste. „Komm.“ Hoshie holte tief Luft und sah auf das golden schimmernde Amulett in ihren Händen, das mit chinesischen Zeichen und der Gestalt eines mystischen Wesens verziert war. Eine rote Kordel hing an ihm herab. Schließlich stand sie auf. Noch immer war ihr Herz schwer, doch sie wusste, dass ihr ja doch kaum eine Wahl blieb. „Ja, lass uns gehen“, antwortete sie mit brüchiger Stimme. Natsuki lächelte matt und nickte. Dann nahm sie die Hand ihrer Freundin und gemeinsam verließen sie das Ryukan, das aktuell größtenteils verlassen war. Hier am Rand von Naha waren die Gebäude beinahe dörflich und viele noch nach alter Technik und demnach aus Holz gebaut. Einige der meist eher kleinen Häuser, die zwar teilweise in die Länge gezogen waren, aber selten über mehrere Etagen verfügten, standen dicht gedrängt an niedrige Gartenmauern, andere waren von Büschen umgeben. Eine alte Treppe führte hinter dem Ryukan den Hang zwischen einigen Büschen und Palmen hinab in Richtung des Strandes. Nun sah es auch Hoshie. Draußen über dem Meer, baute sich ein Berg aus dichten, dunklen Wolken auf, hinter dem die Sonne langsam aber sicher verschwand, sodass die Ränder des Wolkenberges in Flammen zu stehen schienen. Hoshie spürte den Wind des aufziehenden Sturms. Immer kräftiger werdende Böhen wehten ihnen entgegen. Ihr war klar, dass dies kein einfacher Sturm war. Nein, es waren sie. Long Wangh und sein Auserwählter. Ihr Herz klopfte, während sie Natsuki zum Strand hinab folgte. Obwohl sie nach diesem Sommer schon lange akzeptiert hatte, dass es mehr in dieser Welt gab, als sie es je für möglich gehalten hätte, so kam es ihr doch so unwirklich vor. Ja, es war beinahe wie ein schlechter Witz. Doch wer erlaubte sich diesen Witz mit ihr? Der Körper Natsukis war von Licht umgeben, als sie das Ende der Treppe erreichten, und begann sich zu verwandeln. Unter hellem Leuchten verformte sich ihr ganzer Körper, während auch das Amulett, das Hoshie noch immer in den Händen hielt, aufleuchtete. Sie spürte, wie warmer Wind ihren Körper umspielte. Ein warmer Wind, der vom Meer her kam und sie nun in die Höhe hob. Auch sie war von Licht umgeben und spürte gleichzeitig, wie die Energie in ihren Körper floss. Sie selbst hätte es Magie genannt, doch mehr als einmal hatte Natsuki sie verbessert, dass es etwas anderes war, eine Energie, die aus der Natur der Inseln stammte. Natsuki hatte mehr als einmal versucht, es ihr zu erklären, doch so sehr sie sich auch bemüht hatte: Für Hoshie klang es doch nur wie eine lange Umschreibung für das, was sie als Magie verstand. Wie sonst war so etwas möglich? Ihr Körper veränderte sich. Sie wurde etwas größer, ihr Haar färbte sich silbern und wuchs ebenfalls, während sich ihre Kleidung in einen kurzen Kimono verwandelte und eine flache Hanagasa ihr Haar zurückhielt. Als alles begonnen hatte, hatte es sie es albern gefunden. Ja, es war wie in einem jener lächerlichen Anime, die sie als kleines Mädchen gesehen hatte und in denen magische Mädchen gegen Monster aus fremden Welten kämpften, um die Menschen zu beschützen. Etwas, das – so hatte sie immer gedacht – außerhalb von Anime und Manga niemals passieren würde. Immerhin war sie immer eine rationale Person gewesen, fasziniert von Naturwissenschaften. Nicht, dass sie nicht auch ab und an von magischen Kräften geträumt hätte, doch war sie sich immer dessen bewusst gewesen, dass es nicht mehr war, als das: Eine Träumerei. Eine dumme Fantasie. Und doch war sie nun in einem solchen Traum gefangen und sie wusste, dass sie auch wenn in dieser Nacht alles enden sollte, sie nie wieder zu dem Leben zurückkehren konnte, dass sie bis zu Beginn von diesem Sommer geführt hatte. Während der bunte Bingata-Kimono, in dem ein ein Blumenmuster aus glitzerndem Garn gewebt war, ihren Körper umhülte, blieben ihre Füße barfuß. Als sie das nächste Mal den Boden berührten, stieß sich Hoshie von diesem ab und schwebte in Richtung des Himmels, der hier im Osten, jenseits der Wolkenfront noch immer rot und orange leuchtete. Ein Knurren ließ sie sich umsehen. Natsuki sprang über die Dächer einiger alter Häuser Ihr Körper glich nun der einer seltsamen Kreatur. Ihr Fell war weiß, bis auf die Mähne, die den beinahe drachenhaften Kopf umgab beinahe golden zu schimmern schien, und den ebenso goldenen, geschwungenen Schweif. Ihr Körper war dabei beinahe so groß, wie der eines Ponys, auch wenn ihre Beine im Verhältnis zu ihrer Körpergröße bei weitem nicht so lang waren, wie Pferdebeine. Obwohl Hoshie im Süden Japans aufgewachsen war, hatte sie sich doch erschrocken, als sie Natsuki das erste Mal in dieser Gestalt gesehen hatte. Mittlerweile wirkte sie jedoch genau so vertraut, wie Natsukis menschlicher Körper, der eigentlich auch nur ein Werk von Magie war. Natsuki war ein Shiisa, ein Schutzgeist der Inseln, wie sie diese schon seit Jahrtausenden verteidigten. Auch die weiße Shiisa stieß sich nun vom Boden ab, schwebte jedoch anders als Hoshie in dieser Gestalt nicht, sondern rannte durch die Luft, als würde ein unsichtbarer Boden sie tragen. So schwebten – oder rannten, im Fall von Natsuki – sie schließlich der Wolkenfront entgegen, durch die sie nun auch einige Blitze zucken sahen. So sehr sie sich auch vor dem, was nun kommen würde, fürchtete, so kam sie nicht darum sich zu fragen, wie Long Wangh selbst aussehen würde. „Hab keine Angst, Hoshie“, knurrte Natsuki neben ihr, als sie die Wolken schließlich erreichten. Hoshie nickte nur. Der Wind hier war nun stark und versuchte sie zurückzuwerfen, doch ihre Magie – oder besser die Magie Natsukis – schützte sie davor. Nun zuckten die Blitze überall um sie herum und sie wusste, dass sie ohne Magie allein von ihrer Hitze Verletzungen davon tragen müsste. Dann schließlich sah sie ihn. Das erste, was sie von dem Drachen sah, war ein Stück massigen, schlangenhaften Körpers, der sich neben ihnen durch die Wolken schlängelte. Dieses Stück allein war mindestens halb so breit, wie sie groß war. Sie schluckte. „Ich bin bei dir“, wiederholte Natsuki erneut und drückte ihren Körper nun an Hoshies Bein. Diese nickte nur. Dann hörte sie über das Donnern und das hier allgegenwärtige Heulen des Windes hinweg etwas anderes: Ein Knurren. Ein Knurren so laut, dass es sie wortwörtlich erzittern ließ. Hoshie schloss die Augen. Sie berührte das Amulett, das nun am Bund des Yukata befestigt war. Ein Ball aus Licht löste sich aus dem Amulett und verblieb in ihrer Hand, in der sich daraus ein Schwert formte. Dieses Schwert stieß sie in die Luft, wo es selbst einen Windstoß auslöste, der die Wolken um sie herum verdrängte und so eine Art Saal von vielleicht zweihundert oder dreihundert Metern Durchmesser zwischen den Wolken formte, in dem sie nun schwebten. Das seltsame an dieser Magie war, dass sie immer wusste, was sie tun musste. Sie hatte nie darüber nachdenken müssen. In dem Saal in den Wolken, der immer wieder vom Licht der umher zuckenden Blitze erhellt wurde, waren sie jedoch nicht allein, denn nun, da die Wolken ihn nicht mehr verdeckten, konnten sie den Drachen sehen. Die massive schlangenartige Gestalt war über und über von dunkelblauen Schuppen bedeckt, die von dem Regenwasser wie von einem natürlichen Film bedeckt wurden. Die Unterseite des Körpers war wie von Silber, während das Haar, das aus dem Rücken und dem Kopf des Drachen herauswuchs, wie der Schaum auf den Wellen des Meeres schimmerte. Es war ein mächtiges Ungetüm, das sie nun mit einem eisigen Blick ansah, der deutlich machte, dass dieses Geschöpf nicht minder totbringend, wie majestätisch war. „Da sind sie, endlich“, knurrte der Drache nun, mit einer Stimme, die so laut war, dass es schien, als würde sie von überall her widerhallen. Doch neben dem Drachen war da noch eine andere Gestalt. Ein weiterer Mensch, der neben dem riesigen Drachenkönig aussah, wie eine Ameise zu Füßen eines Menschen. Es war ein Junge, gehüllt in ein blaues, lockeres Gewand, das seine bloße Brust nur zum Teil bedeckte. Das Gewand war im Stil der Hakama, war jedoch wie ein chinesischer […] gebunden. Hoshie hatte ihn den Sommer über immer wieder aus der Ferne gesehen, doch er hatte sie nie angegriffen. In der Hand des Jungen war eine Lanze, ein Guandao, deren Spitze in die Tiefe zeigte. „Nun, so sehen wir die Auswahl dieses Jahrzehnts“, meinte der Drache und lachte, was klang, wie das Grollen des Donners selbst. „Und es wird so enden, wie jedes Jahr“, erwiderte Natsuki. Der Kopf des Drachens schnellte zu ihnen vor, was Hoshie dazu brachte, unwillkürlich in die Höhe zu fliegen, um den scharfen Zähnen zu entgehen. Doch Natsuki verharrte in der Luft, bis der Drachenkopf nur noch kaum mehr als einen halben Meter von ihr entfernt war und inne hielt. „Dich habe ich noch nicht gesehen“, meinte der Drache. „Du bist ein neuer Shiisa, ja? Ein weiterer Schutzgeist?“ „Ja“, erwiderte Natsuki kühl. „Nun lass es uns zu Ende bringen, Long Wangh.“ „Es wird nie zu Ende sein“, entgegnete der Drache und auch wenn seine Stimme laut aus allen Richtungen widerhallte, meinte Hoshie ihr so etwas wie Häme entnehmen zu können. Doch nun, da sie über dem Drachen und über Natsuki schwebte, sah sie zu dem Jungen, der noch gar nichts gesagt hatte, sondern einfach nur an derselben Stelle schwebte wie zuvor. Er wirkte so klein und da sie ihn schon vorher aus der Ferne gesehen hatte, war sie sich sicher, dass es nicht nur an dem riesigen Drachenkönig lag. Ja, tatsächlich schien der Junge nicht besonders alt zu sein, um einige Jahre jünger als sie. Und sie fragte sich, ob er überhaupt kämpfen wollte – ob er überhaupt einen Grund hatte zu kämpfen. Denn sie konnte sich kaum vorstellen, dass irgendein Mensch in einem so jungen Alter dieselbe Zerstörung herbei zu führen wünschte, die Long Wangh beabsichtigte. Sie schwebte vorsichtig zu dem Jungen hinüber und streckte ihm die Hand entgegen. „Du musst nicht kämpfen, wenn du nicht willst“, sagte sie und lächelte ihn an. Von Nahem sah er nicht älter aus, als vielleicht dreizehn oder vierzehn. „Du kannst einfach aufgeben.“ Der Junge hob den Kopf und sah sie an, wobei sein dunkles Haar, das von dem Wind herumgewirbelt wurde, seinen Kopf beinahe wie eine Krone umgab. „Das ist so einfach gesagt“, erwiderte er mit kühler Stimme. „Doch was weißt du schon?“ Überrascht ließ Hoshie ihre Hand sinken. Dabei waren es weniger die Worte des Jungen, die sie überraschten, als die stille Verzweiflung in seinen Augen. Dann geschah alles auf einmal ganz plötzlich. Sie hörte Natsuki nach ihr rufen und dann spürte sie einen harten Schlag gegen ihren Rücken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)