Living Things von nici89 (Nothing) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Tropfen für Tropfen fielen hinab in ihr nasses Grab. Der rote Schleier des Lebens flatterte in diesem wie ein Vorhang bei einem geöffneten Fenster im Sturm. Seine seidenen Ränder verschwammen immer mehr mit der Klarheit seiner Umgebung und doch versuchte es seine Stärke zu behalten. Aber dieser sinnlose Kampf hatte keinen Sieger – es gab nur Verlierer und die verblassende Erinnerung. Die Sonne versenkte sich hinter den endlosen Weiten des Horizonts. Der Himmel, welcher noch vor wenigen Augenblicken noch in Aquamarin gekleidet war, wechselte sein Gewand. Die Nacht brach an und hüllte den Himmel in ein Schwarz, was keine Wiederauferstehung duldet. Und doch regte sich leben in dieser Finsternis. Ganz sacht floss ein Fluss in seinem Bett dahin. Sein Lauf war durch die Jahrhunderte ausgewaschen und von vergangen Dekaden geprägt. Der Wind jagte einzelne Wehen durch die herabhängenden Äste der knochigen Weiden. Sie wiegten sich in ihm und versuchten den kühlen Hauch der Nacht in ihrer Mitte zu halten. Doch der Atem der Natur entschwand immer wieder seinem hölzernen Gefängnis. Nur Bruder Mond durchbrach als heller Schein die nahende Finsternis. Das wenige Licht, dass er spendete brach auf der glatte Oberfläche des dahinseichenden Flusses. Es erschien der verzerrte Spiegel zu einer anderen vergessenden Welt durch den stillen Beobachter hoch oben am Himmelszelt. Und doch war er nicht der Einzigste, der in dieser Finsternis ausharrte und seiner Gedankenwelt nachhing. Etwas Schwarzes regte sich in mitten dieser ruhigen Idylle. Langsam zog er gierig die Luft ein und blies diese durch seinen leicht geöffneten Mund wieder aus. Die kleinen weißen Wölkchen, welche durch regierende Kälte der Nacht zum Leben erwachten vereinigten sich mit dem aufsteigenden Nebel. Der blasse Schleicher zog über den Ufer hinweg und umhüllte die sitzende Gestalt mit einer Decke aus perlweißem Nichts. Die aufsteigende Feuchtigkeit der Erde verfing sich in den dunkel Haar des Sitzenden. Kleine Seen bildeten sich an den Spitzen des schwarzen Schopfes. Ein Seufzen entfloh den blass roten Lippen. „Es ist ruhig. Sehr ruhig!“, dachte sich der Sitzende. „Hier könnte ich sterben … “, fügte er nach einigen Augenblicken des Schweigens gedanklich hinzu. Das sanfte Lächeln, was sich um seine Mundwinkel erahnen ließ erreichte jedoch nicht seine grünen Augen. Zuviel war in der Vergangenheit vorgefallen. Zu viel Schmerz hatte seine junge Seele ertragen müssen um je wieder ein ehrliches Lächeln der Welt schenken zu können. Mit einem kleinen verzweifelten Lachen durch brach er die Dunkelheit. „Es ist doch zum Verzweifeln. Nicht mal das krieg ich auf die Reihe. Selbst für das Ende bin ich zu feige – Mal wieder“, flüsterte er mehr zu sich selbst und doch waren die Weiden seine stummen Zuhörer. „Aber so war es schon immer gewesen. Er, das Kind aus einer angeblichen Vorzeige- Familie. Die Schwester immer perfekt – Nie auch nur ein Fehlerchen ist ihr unterlaufen. Denn Sie bekam immer alles, was sie wollte.“, sinnierte er weiter. Kopfschüttelnd vertrieb er die Bilder aus seiner Vergangenheit. Ein Schrei durchbrach die Stille. Sein letzter Versuch all dies hinter sich zu lassen. Sein letzter Versuch sich selbst zu beweisen, dass er am Leben ist. Doch auch dieser Hilfeschrei blieb ungehört, wie die vielen davor - die schwarze Kleidung, die Pullover im Hochsommer und die dunklen Augenringe in dem immer blasser werdenden Gesicht. Keiner sah es oder niemand wollte es sehen. Und irgendwann war es genug. Seine Weltanschauung war nicht mehr und er begann den immer lauter werdenden Stimmen in seiner Umgebung Glauben zu schenken. „Du hättest nie geboren werden dürfen. Für dich gibt es keinen Platz auf dieser Welt, Bastard!“, spie am ihm ins Gesicht. Ihm war die Hoffnung genommen worden. Hoffnung, die er dringend brauchte um sich selbst vor den Worten der anderen schützen zu können. Doch niemand gab sie ihm, alle gaben den Sonderling auf. Bis er es selbst tat. Sein einziger Freund war die Rasierklinge in seinem Nachtschrank, die in fast jeder Nacht durch die zarte Haut seiner Arme schnitt. Ein stummer Hilferuf, der irgendwann nicht mehr half. Es verlor alles, was ihm je etwas bedeutete. Erst seine Freunde, dann seine geliebte Großmutter und zuletzt seinen Lebensmut. Er wollte Schlussmachen – hatte es versucht und ist doch gescheitert. Man fand ihn in der rotgeträkenden Badewanne. In letzter Sekunde schenkte man ihm das zweite Leben. „Leben! Ich darf leben?“, sprach die liebliche Stimme des Sitzenden in die Dunkelheit. Es war keine Frage, es war eine Feststellung. Langsam erhob sich die Gestalt und schloss den Mantel enger um seinen zierlichen Körper. „Leben heißt, dass ich, ich sein kann!“, flüstere er wie ein Mantra vor sich her als er die letzten Schritte hinab zum Ufer nahm. Langsam glitt seine linke Hand in die Seitentasche seiner Jacke. Ehrfürchtig zog er seinen alten Freund aus dessen unscheinbaren Versteck. Die Klinge lang in seiner offenen Hand. Das herabfallende Mondlicht zeigte für alle Augen sichtbar die getrockneten, roten Spuren seiner Taten. Mit erhobenem Haupt schloss er die Augen und ballte beide Hände zu Fäusten. Den Schmerz, welcher dabei seine linke Hand durchzog ignorierte er. „DU hast heut zu letzten Mal von meinem Blut gekostet“, sagte er der Dunkelheit entgegen. Mit Schwung holte er aus und versenkte seinen alten Freund in der Schwärze des Flusses. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)