Modern world with problems... von Ike_Schwarzfluegel ({HicksxAstrid}) ================================================================================ Kapitel 7: Ohnezahn ------------------- Aufgedreht wie ein Kreisel kurz vorm loslassen saß Astrid zähneklappernd hinter dem Steuer ihres Autos, beide Hände fest um einen dampfenden Iso-Becher voll Kaffee geschlossen und die Augen gespannt durch die Frontscheibe auf das Haus der Haddocks gerichtet. Neben ihr hatte Raffnuss die Rücklehne des Beifahrersitzes zurück gelehnt und war so laut am schnarchen, dass jeder Regenwald dieser Welt darunter zu leiden haben müsste. Sie hatte unbedingt darauf bestanden, Astrid bei ihrer Überwachungs- und Spionageaktion, wie sie es so schön betitelt hatte, zu unterstützen doch kaum war der Motor abgestellt und der Kaffee verteilt worden, war die Thorsten-Schwester auch schon eingeschlafen. „Tolle Hilfe!“ hatte Astrid gemurmelt. Doch eigentlich kam ihr der Schlaf von Raffnuss ganz gelegen, den sie wollte Hicks allein verfolgen. Was sie hier tat war mehr als eine einfache Verfolgung. Es war ein Vertrauensbruch. Sollte Hicks sie dabei erwischen, wie sie ihn verfolgte, würde das ernsthafte Konsequenzen für ihre Freundschaft mit sich ziehen. „Pah, als ob da noch mehr zu Bruch gehen konnte!“ hatte sie beiläufig gedacht. Doch sie wusste, dass dieser Gedanke idiotisch war. Trotz der mehrmonatigen Funkpause zwischen ihnen war Hicks immer noch ihr bester Freund und die einzige Person auf der Welt, der sie blind ihr Leben anvertrauen würde. Ein guter Zuhörer, wenn niemand zuhörte, ein Verteidiger, wenn sie allein stand und eine Stütze, an die sie sich lehnen konnte, wenn alles drohte, auf sie herab zu stürzen. Und das alles riskierte sie nun zu verlieren, wenn sie sich dumm anstellte. Astrid nahm den nächsten Schluck ihres Kaffees und sie wünschte sich, ihr Auto vor der Reise noch einmal zur Inspektion gebracht zu haben. Dann hätte man den Schaden an der Heizung rechtzeitig feststellen und reparieren können und sie würde jetzt nicht frieren. Frieren. Im Sommer. Noch eines dieser unglaublichen Eigenschaften dieser Region. Das ganze Jahr über war es kalt. „Globale Erwärmung am Arsch!“ kommentierte sie die Kälte knapp. Dann jedoch wurden alle trüben und finsteren Gedanken bei Seite geschoben, als sie dank des Lichtes der Straßenbeleuchtung erkennen konnte, wie die Vordertür des Hauses geöffnet wurde und jemand hinaus lief. Eine Person mit grünem Kapuzenpulli, brauner Lederjacke und einem geschultertem Rucksack. „Da bist du ja endlich!“ sagte sie zufrieden und beobachtete, wie Hicks die Straße entlang wanderte, trittsicher den Weg in den Wald nehmend. Als Astrid sich sicher war, dass er sie nicht bemerken würde, verließ sie den Wagen, nahm ihren Rucksack und steckte die Axt an den Gürtel und schloss dann leise die Wagentür hinter sich, bevor sie flinken Fußes die Verfolgung aufnahm. Es fiel ihr leicht im Dunkeln sich rasch hinter einem parkenden Auto oder einer Ecke zu verstecken, wenn Hicks sich mal umsah, was er ziemlich häufig tat. Doch gleichzeitig wurde es auch schwer, den Jungen im Auge zu behalten, denn besonders hell gekleidet war er nicht. Und dann erreichten sie den Wald und Astrid begann zum ersten Mal an ihrem Plan zu zweifeln. Es war völlig unmöglich, problemlos Hicks durch den Wald zu folgen, ohne ihn aus den Augen zu verlieren und sich selbst dabei zu verlaufen. „Astrid, hör auf zu zögern. Du bist eine Hofferson. Du verirrst dich nicht... außerdem hat dein Smartphone GPS, im Notfall kann dich der NSA überall finden!“ scherzte sie leise und folgte dann beherzten Schrittes dem Pfad in den Wald. Mit der Zeit dämmerte es auch langsam und mit jeder Minute wurden die Sichtverhältnisse besser. Doch gleichzeitig hieß dass für Astrid, um so vorsichtiger zu sein, damit Hicks sie nicht bemerkte. Jedes mal, wenn sie ein neues Versteck erreichte, wartete sie, bis der Junge nur noch undeutlich zu erkennen war, bevor sie raschen Schrittes weiterging, um wieder einige Meter aufzuholen. Dann versteckte sie sich wieder und beobachtete aus ihrer Deckung heraus, welchen Weg Hicks genommen hatte. „Wow, ist ja ziemlich einfach. Ich frage mich, wie die Zwillinge das verhauen konnten!“ Doch mit der Zeit würde das Terrain immer felsiger und steiler. Hicks Weg führte die beiden immer tiefer ins Gebirge, vorbei an klaren, fließenden Bächen, entlang steiler Abhänge und mit Hilfe eines umgestürzten Baumstammes über einen tiefen Abgrund. Es wurde schnell klar, dass Hicks wegen der Beinprothese nicht mehr der talentierte Kletterfuchs von früher war, mit dem sie zusammen jeden Baum und jedes Dach in ihrer Kindheit unsicher gemacht hatten. Wann immer er einen Punkt erreichte, denn er nicht überwinden konnte, weil, zum Beispiel der Steilhang wirklich zu schwierig war, bog er für einen längeren aber einfacheren Weg ab, um dennoch ans Ziel zu kommen. Astrid selbst hatte es da einfacher. Sie konnte die Steilwand mühelos hochklettern, wobei sie ihre neue Axt zur Hilfe nahm, was die ganze Sache sogleich um ein vielfaches erleichterte. Und trotz ihrer Bemühungen und ihrer Vorsichtig geschah, was sie die ganze Zeit im Hinterkopf befürchtete. Sie verlor ihn. Die Sonne hatte sich inzwischen gezeigt und nun konnte sie deutlich ihre Umgebung erkennen. Doch von ihrem Freund fehlte plötzlich jede Spur. Immer wieder drehte sie sich im Kreis, ließ ihren Blick durch den Wald schweifen. Doch sie fand ihn nicht mehr. „Verdammte SCHEIßE!“ Wütend schmiss sie die Axt zu Boden und die Klinge grub sich einige Zentimeter ins brüchige Felsgestein. Dann ließ sie sich auf einen moosbedeckten Baumstumpf nieder und atmete erst einmal tief ein und wieder aus. „Was habe ich falsch getan? Ich hab ihn doch immer im Auge behalten, habe ihn nie zu weit gehen lassen, sodass ich seinen Weg nicht verfolgen konnte. Und trotzdem ist er weg. Wieso? Wie macht er das? Ich fasse es nicht, ein Krüppel hat mich abgehängt!“ rief sie wütend und raufte sich die Haare. Doch sogleich bereute sie, was sie gesagt hatte und ihre Schultern sackten zusammen, als sie laut seufzte. Sie hatte sich vergessen, hatte Hicks einen Krüppel genannt und nun fühlte sie sich schuldig. So schuldig wie das eine mal, als sie ihren Vater einen unsozialen Saftsack genannt hatte. Zu ihrer Verteidigung, er hatte sich damals selbst einen riesen Schnitzer erlaubt. Nun überlegte Astrid, was sie tun sollte. Auf eigene Faust weiter suchen, mit der Hoffnung, Hicks wieder zu finden? Quasi zufällig über ihn zu stolpern? Wie hoch waren da wohl ihre Chancen? Zehn Prozent? Acht Prozent? „Vermutlich weniger als einen!“ sagte sie frustriert. Doch nun war sie hier, irgendwo im nirgendwo und der Tag war noch jung. Und wenn Astrid eines war, dann stur. Also zog sie die Axt wieder heraus, befestigte sie an ihrem Gürtel und ging weiter. Vielleicht half es, wenn sie die ganze Situation methodisch angehen würde? Hicks war körperlich stark eingeschränkt, somit also auch seine Mobilität und die Möglichkeit an Wegen, die er genommen haben könnte. Das klang zwar gemein, war aber ein Fakt, der sich nicht abstreiten ließe. Also musste sie einen Weg nehmen, der einfach zu folgen war. Die Zeit verging und schon bald hatte Astrid jegliches Zeitgefühl verloren. Sie wusste nicht ob sie schon Stunden oder erst Minuten unterwegs war, als sie schließlich den Rand einer großen, malerischen Senke erreichte. Ein kleines, verstecktes Tal, fernab neugieriger Augen und auf einmal keimte in ihr wieder Hoffnung auf, denn eine Innere Stimme sagte ihr: „Du hast gerade ins Schwarze getroffen!“ Ein Bach floss durch das Tal, gespeist von einem kleinen Wasserfall, der aus dem Felsgestein heraus sprudelte. Nur wenige Tannen versperrten die Sicht hinauf zum blauen Himmel und deshalb strahlte viel Sonnenlicht hinein. Zwischen weißen Felsen, die aus dem Erdreich ragten wuchsen hohe Gräser und Bergblumen in den verschiedensten Farben. „Das... ist ja das reinste Paradies!“ Astrid machte, verträumt vom Anblick, der sich ihr bot, einen Schritt nach vorne, näher auf den Abhang zu, der hinab ins Tal führte. Doch der Boden war nicht fest. Nein, stattdessen setzte er sich aus losen Steinen und Kies zusammen und als Astrid ihren unüberlegten Schritt nach vorne setzte, rutschte der Kies unter ihrem Stiefel weg. Sie verlor das Gleichgewicht, stürzte und rutschte in einer kleinen Kieslawinen hinab ins Tal. Sie stieß einen spitzen und lauten Schrei aus, bis sie endlich zum stillstand kam und erst einmal eine Weile vor Schmerzen stöhnend am Boden liegen blieb. Sie hatte sich die Haut an den Händen aufgeschürft und aus einem tiefen Krater an der Wange quoll Blut hervor, doch alles in allem nichts ernstes. Und obwohl ihre Knochen protestierten, stemmte sich das blonde Mädchen auf die Beine und sah sich um. Sie war am Grunde des Tals angekommen. Zwar hatte sie sich eine andere Art vorgestellt, hier herunter zu kommen, aber jedenfalls war sie jetzt da. Nun konnte sie weiter nach Hicks suchen. Sie folgte dem Bach, bis sie den Wasserfall erreichte und damit das Tal ein mal komplett durchquerte. Hier waren die Wände besonders Steil, führten geradewegs hinauf und ließen keine Möglichkeit dar, an ihnen hinauf zu klettern. Doch eine Höhle führte hinter den Wasserfall und als sie sich dem Eingang näherte, blickte ihr nur Dunkelheit entgegen. „Hicks?“ rief sie, bekam aber keine Antwort. „Hm, sollte ich doch Pech haben?“ fragte sie sich und war schon dabei, wieder umzudrehen, als ein lautes Grummeln aus der Höhle zu ihr hinaus drang. Wie erstarrt blieb Astrid in der Bewegung stehen. Ihr Herz schlug unnatürlich schnell, hatte aber bei dem Geräusch selber beinahe einen Aussetzer gehabt. Langsam und mit einem ersten Anflug von Panik wand sie sich wieder der Höhle zu. „H-Hallo?“ Wieder das Geräusch, doch dieses Mal ähnelte es eher einem Knurren. Dann hörte man schwere Schritte. Sie kamen näher. „Okay Hicks... du hast mich erwischt. Toll, wie du mich erschreckt hast, geschieht mir recht, was?“ redet sie nervös drauf los, während sie langsam einen Schritt nach den anderen nach hinten machte. Das Knurren wurde lauter, drang nun auch öfters aus der Höhle heraus. „I-ist gut... Hicks. Du kannst... du kannst damit aufhören!“ Dann jedoch offenbarte sich ihr etwas, was sie in ihrem ganzen Leben nicht mehr vergessen würde. Ein riesiges Ungetüm aus schwarzen Schuppen trat aus der Finsternis der Höhle. Getragen von vier starken Beinen zermalmte es kleinere Felsen unter den scharfen Krallen. Ein langer Schwanz peitschte durch die Luft, zwei große Flügel wurden ausgestreckt, als das Ungetüm die Höhle verließ, was es sogleich doppelt so groß erscheinen ließ. Zwei grüne Augen mit schlitzförmigen Pupillen fixierten sie, als sei sie ein wehrloses Stück Beute. Aus seiner halb geöffneten Kehle drang wieder ein bedrohliches Knurren und Donnern. „Ein... Drache...“ flüsterte Astrid, erfüllt von Ehrfurcht und panischer, unbeschreiblicher Angst. Ihre Schritte stoppten, als ihre Beine jegliche Kraft verloren hatten, weiter zu gehen. Die Angst hatte sie gelähmt wie ein Gift, ihre Axt hing völlig unnütz an ihrem Gürtel. „Er... er wird mich töten... er wird mich töten... er wird mich töten... er wird mich töten!“ erklang immer wieder ihre eigene, panische Stimme in ihrem Kopf. Sie schrie sich selbst an, versuchte sich aus der Angststare zu befreien, damit sie umdrehen und die Beine in die Hand nehmen konnte. Doch es gelang ihr nicht und der Drache kam ihr immer näher. Seine Nüstern verengten und weiteten sich bei jedem Schnaufen, die Flügelmembranen vibrierten in der Luft und sein Knurren wurde immer intensiver. Astrid schloss die Augen, während Tränen über ihr Gesicht liefen. Nun blieb ihr nichts mehr übrig, als auf das unabwendbare Ende zu warten. Sie hörte, wie der Drache ihr immer näher kam, dann zuckte sie unter seinem lauten Gebrüll zusammen, worauf ihre Beine nachgaben und sie auf die Knie fiel. Sie spürte bereits den heißen Atem des Drachen im Gesicht. Der Geruch von totem Fisch ließ ihr übel werden und sie rang damit, sich nicht zu übergeben. In der Stunde ihres Todes wollte sie wenigstens etwas Würde bewahren. Doch dann vernahm sie weitere Schritte, leichtere, die über den Kiesboden liefen, dann ein schlittern und eine ihr wohl vertraute Stimme. „HALT!“ Das Knurren des Drachens hörte schlagartig auf, der heiße Atem verschwand und sie konnte nun jemanden schwer atmen hören. „Zurück. Beruhige dich, mein Freund. Sie tut dir nichts!“ Das war Hicks. Und er sprach mit dem Drachen?! „Komm, geh zurück. Sie ist eine Freundin, bitte beruhige dich wieder, Ohnezahn!“ Ohnezahn? Dieses Monster hatte einen Namen? Nun endlich wagte sich Astrid, die Augen wieder zu öffnen. Hicks stand vor ihr, den Rücken zu ihr gekehrt und beide Arme erhoben. Der Drache hatte die Flügel wieder angelegt und die Augen waren aufgegangen, wie bei einer Katze, die sich freute, ihr Herrchen wieder zu sehen. Hicks trat auf den Drachen zu und kurz darauf drückte es ihm die Nase gegen die offene handfläche. Kurz darauf streichelte Hicks ihm über den gesamten Kopf. „Ja, du bist ein guter Junge. Na komm, Ohnezahn. Leg dich wieder hin und schlafe weiter, okay?“ Der Drache nickte, als hätte er jedes Wort verstanden, dann drehte er sich um und sprang mit einigen leichtfüßigen Bewegungen zurück in die Höhle. Hicks drehte, als Ohnezahn nicht mehr zu sehen was, sich zu Astrid um und streckte ihr die Hand entgegen. „Alles in Ordnung bei dir?“ fragte er mit besorgter Miene. Doch nun wurde es dem Mädchen doch zu viel und sie beugte sich hustend nach vorne. Kurz darauf erbrach sie sich vor Hicks Füßen, kippte dann zur Seite und wurde ohnmächtig... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)