Denn die Prophezeiung sagt von Skeru_Seven ================================================================================ Kaan war schon nicht mehr in ihrem Zimmer, als sie erwachte. Entweder zog er wieder ruhelos durch die Gegend oder er hielt es doch nicht für sehr klug, sich gegen die speziellen Regeln der Siedlungsbewohner zu stellen. Lavanya war es einerlei, so konnte sie sich in Ruhe umziehen und bereitmachen, ohne ihn erst aus ihrem Zimmer zu dirigieren, was wieder unverhältnismäßig lange gedauert hätte. Während sie sich die Arme und den Hals mit einem Lappen abrieb, erinnerte sie sich an wenige Fetzen des Traums von letzter Nacht; irgendeine Taube, die gegessen wurde. Sie träumte selten und wenn, dann immer nur solches undurchsichtiges Zeug. Vielleicht war es einfach ein Zeichen gewesen, dass sie bald wieder Fleisch essen wollte, sie wusste es nicht. Das Unterbewusstsein würfelte gerne unsinnige Symboliken und wahre Aussagen zusammen und präsentierte es auf abgedrehte Weise. Sie sollte sich lieber auf das Hier und Jetzt konzentrieren und wieder eine Diktierbiene losschicken, immer noch in der Hoffnung, dass sie bei ihrem Lehrmeister eintraf und auch abgehört wurde. Ansonsten erwies sich der Vormittag nur wie eine Wiederholung des vorangegangenen Tages. Vasin war unverantwortlich fleißig und wurde dafür gefeiert und von Felipa umsorgt, Kaan stillschweigend geduldet und Lavanya so gut wie nicht wahrgenommen, wenn sie sich denn auf dem Platz aufhielt. Allerdings blieb das Wetter ebenfalls unverändert und schien die gesamte Siedlung braten zu wollen, weshalb Lavanya ihr kühles Zimmer der heißen Stadt vorzog. Dort hatte sie sich mit Essen und Wasser eingedeckt und betrachtete durch den Reflektor die Felsenköpfe. Vielleicht ergab sich dadurch eine Strategie, die sie Vasin mitteilen konnte, damit er sich auf seine große Aufgabe besser vorbereiten konnte anstatt nur seine Energie und Karrenladungen an Steinen zu verpulvern. Stundenlang starrte sie auf die modifizierte Tonscherbe, sah zu, wie die Felsen über die Ebene glitten und zeitweise hüpften, versuchte dahinter ein Muster zu erkennen und ärgerte sich, ohne Ton auskommen zu müssen. Es bestand die Möglichkeit, dass sie auf irgendeine Weise miteinander kommunizierten, dies aber nur taten, wenn sie sich ungestört fühlten. Irgendwann gab sie erschöpft auf; sie hatte nichts Brauchbares erreicht. *** Kaan randalierte nicht wahllos, aber er nahm es in Kauf, dass die umstehenden Gebäude in Mitleidenschaft gezogen wurden. Bei Vasin beschwerte sich deswegen niemand, warum sollte er also ein schlechtes Gewissen haben? Da es hier außer Felsen und Sand kaum andere Materialien gab, nutze er sie. Er ließ selbsterschaffene Windböen den Sand aufnehmen und wie einen Sturm durch die engen Gassen fegen. Falls sich jemand dort befand, würde er nichts mehr sehen. Vielleicht auch nicht mehr atmen können. Aber er musste einsehen, dass Vasin außer Steine zerstören nichts geleistet hatte. Keine Sandsturmbeschwörung, kein Schweben lassen von Felsen; nichts, wofür man auch nur einen Hauch Feingefühl benötigte. Weil er das einfach nicht konnte und keiner auf den Gedanken kam, dass nicht nur reine Gewalt die Felsen beseitigen konnte. Diese Gedanken beflügelten Kaan zu noch extremeren Experimenten; er überhörte jegliche Warnungen, die sie jemals in den Unterrichtsstunden zu hören bekommen hatten, und packte alle seine negativen Empfindungen in die Energieströme, die aus seinen Fingern schossen. Er war hier der Überlegene, er war derjenige, der hier etwas ausrichten konnte, nicht sein unfähiger Kollege. Wenn er nur genug auf sich aufmerksam machte, erkannte das vielleicht einer dieser ahnungslosen Bewohner und wies den Rest auf ihren fatalen Fehler hin. Dann hatte er endlich wieder einen Grund, ehrlich und aufrichtig über Vasin zu lachen. *** Vasin sah aus der Nähe noch furchtbarer aus als durch den Reflektor. Schlafmangel und Sonnenbrand zeichneten sein Gesicht, der enorme Energieverlust ließ seine Bewegungen schlaff und taumelnd wirken und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er sich selbst völlig zugrunde gerichtet hatte. Lavanya war entsetzt, was er aus sich gemacht hatte, um diesen Menschen zu zeigen, dass sie nicht falsch lagen. Es war ihre Aufgabe, ihn zur Vernunft zu bringen. Als er wieder eine Pause einlegte, ohne die er längst besinnungslos zusammengebrochen wäre, nahm sie ihn kurzerhand am Arm und führte ihn in eine Seitenstraße, um ein ernstes Wörtchen zu wechseln. Die strafenden Blicke Felipas hinderte sie nicht an daran. „Vasin, du musst aufhören.“ Auffordernd fasste Lavanya ihn an der Schulter, um ihrem gesagten Nachdruck zu verleihen. „Wenn du so weitermachst, wirst du dich umbringen.“ Und das wäre wohl kaum das Ziel der Siedlungsbewohner. Es dauerte kurz, bis ihre Worte zu ihm durchdrangen, aber dann schlug er wütend ihre Hand weg. Sehr kraftvoll fühlte es sich nicht an. „Ich muss gar nichts, nur üben. Morgen ist es soweit, haben sie mir gesagt.“ Sein Blick irrte ruhelos zwischen ihrem Gesicht und dem Weg zurück zum Marktplatz hin und her. „Morgen ist der Tag.“ Das war das letzte, was sie gerade gebrauchen konnte. „Aber das schaffst du nicht!“ Nicht so, nicht in diesem Zustand. Das musste er doch einsehen, das konnte ihm nicht entgehen. „Sei still“, fuhr er sie gereizt an; so aufgebracht benahm er sich sonst nur gegen Kaan. „Du hast doch keine Ahnung. Ich zeigs dir. Und Kaan. Ich werds euch allen zeigen.“ Er verstand nicht, was sie ihm sagen wollte, er verwechselte ihre Sorge um seine Gesundheit mit den Zweifeln an seinen Fähigkeiten. Die hatte sie auch, das konnte sie nicht bestreiten, aber um die ging es hier nicht. Bevor sie ein weiteres Mal versuchen konnte, an seine Vernunft zu appellieren, ließ er sie einfach stehen. „Vergiss es. Du schaffst das nicht. Du gehst morgen drauf und das wars dann mit deiner Heldentat.“ „Sagt der richtige. Ich hab wenigstens die Möglichkeit, ein Held zu sein. Wer hat die Anforderung nicht geschafft? „Nur, weil ich Lavanya geholfen hab. Du hättest sie nämlich dabei in Stück gerissen. Aber das kannst du nicht zugeben, weil du ja der Retter von dieser dämlichen, zurückgebliebenen Dorfsiedlungstadt bist, die außer uns kein Mensch kennt. Du wirst sie befreien. Von Felsengehirnen. Lächerlich!“ „Ja, das werde ich, glaub es mir.“ „Ich glaub dir gar nichts. Hör dir mal selbst zu, du bist vollkommen irre.“ „Und du bist verhext neidisch und zu stolz, um es zuzugeben!“ Das Gebrüll schien kein Ende zu nehmen; während Kaan und Vasin gestern Abend noch verhältnismäßig ruhig gewesen waren, schien heute die ganze Sache zu eskalieren. Schlafmangel bei beiden Parteien förderte Gereiztheit, die sich nun vor dem großen Tag endgültig entlud. Die Gefahr bestand, dass es nicht bei verbalen Anfeindungen blieb, die sich immer nur im Kreis drehten und immer den Punkt aufgriffen, dass Vasin aufgrund eines ungerechten Vorteils Kaan geschlagen hatte. Ein Blick auf den Reflektor verriet Lavanya, dass es inzwischen auf der anderen Seite der Wand tatsächlich zu Handgreiflichkeiten kam. Eine Tatsache, die sie nicht ignorieren konnte, normalerweise wussten ihre Kollegen, wo die Grenzen verliefen. Heute hielt sich keiner daran. Eilig lief Lavanya ins Nachbarzimmer, wo Kaan Vasin zu Boden gerungen hatte, ihn niederdrückte und ihm einen heftigen Schlag ins Gesicht verpasste. „Du wirst morgen gar nichts tun, verstanden?“, zischte er ihm zu und wehrte eine Hand ab, die ihm die Schmerzen heimzahlen wollte. Allerdings war Kaan momentan eindeutig in der überlegenen Position, sein ganzes Gewicht lag auf Vasins Brustkorb und drückte ihm die Luft aus den Lungen, dass er kaum atmen konnte. Lavanya handelte ohne lange nachzudenken und packte Kaan am Kragen, um ihn von seinem Rivalen herunterzuziehen, doch das ließ er sich nicht gefallen. Er packte sie am Arm und riss sie nach vorne, sodass sie über seinen Fuß stolperte und schmerzhaft auf dem Steinboden landete, natürlich mit den immer noch nicht verheilten Knien zuerst. Ihr Schmerzensaufschrei übertonte für einen kurzen Moment die Szene, ließ aber keinen der beiden in seinem Handeln stocken. Kaan hämmerte mit seinen Fäusten auf Vasin ein, der versuchte, ihn davon abzuhalten und selbst auszuteilen. „Hört endlich auf!“, schrie sie aufgebracht und hilflos die zwei an, während sie einen Weg suchte, am schmerzfreisten auf die Beine zu kommen. Keiner nahm von ihrem kläglichen Schlichtungsversuch Notiz, stattdessen verlor Kaan völlig den Sinn für die Realität, legte seine Hände um Vasins Hals und drückte zu. Was er damit bezwecken wollte, wusste nur er allein, dass es nicht gut enden konnte, war Lavanya sofort klar. Bevor sie ihn erneut von Vasin zerren konnte, brach dieser in Panik aus. Er bekam aus zwei Gründen kaum noch Luft, konnte sich kaum wehren, kein Bitten und Betteln hätte ihn noch erlösen können. Und doch musste er Kaan loswerden, um nicht Gefahr zu laufen, ohnmächtig zu werden oder Schlimmeres zu erleiden. Ohne sich seines Handels klar zu werden, tat er das, was er in den letzten Tagen andauernd getan hatte: Er sammelt seine Energie und ließ sie durch seine Hände frei. Sie durchschlug Kaans Brust, hinterließ ein fürchterliches Loch und riss eine handgroße Lücke in die Zimmerdecke. Steine und Kaans Blut flogen Vasin entgegen, ohne dass er zu realisieren schien, was er getan hatte. Stattdessen wirkte er wie erstarrt, als Kaan zusammenbrach und ihn endgültig unter sich vergrub. Nun befiel Lavanya das Gefühl, von einem unsichtbaren Wesen die Luft abgeschnürt zu bekommen; das Bild vor ihren Augen ergab keinen Sinn und trotzdem verstand irgendein schrecklich rationaler Teil ihres Verstandes, was vorgefallen war. Kaan war tot und Vasin daran in einem gewissen Maß Schuld. Nach viel zu langer Zeit begann sie, wie wahnsinnig zu schreien, ohne etwas dagegen tun zu können. Sie verstand nicht einmal, weshalb sie das tat, das drehte die Zeit nicht wieder zurück. Dafür riss es Vasin aus seinem verwirrten Zustand; er schob Kaans Leiche von sich hinunter, schaute hektisch zwischen ihr und der schreienden Lavanya hin und her, betrachtete eingängig sein vollgeblutetes Hemd und lief schließlich aus dem Zimmer. Er ließ sie in ihrem Schock einfach allein und machte sich davon. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)