Nothing to lose von ChogaRamirez (Arkham Origins) ================================================================================ Kapitel 82: All In. Ich will sehen. ----------------------------------- Das Spiel entwickelt sich wie erwartet. Während Harvey wie immer kein sonderlich großes Glück geschweige denn ein sonderlich gutes Pokerface hat und stattdessen seine Erdnüsse dezimiert, indem er sie verliert oder isst, schlage ich mich noch verhältnismäßig gut. Ich war schon immer ein recht vorsichtiger Spieler, der seinen Schaden begrenzt, in dem er keine allzu großen Risiken eingeht. Gegen dich komme ich mit dieser Technik allerdings nicht an. Es war nicht anders zu vermuten: Du bist ein hervorragender Spieler. Deine Mimik ist schwer zu durchschauen. Im Gegenzug beobachtest du Harv und mich aber ganz genau und weißt, wann du etwas riskieren kannst und wann du Vorsicht walten lassen musst. Eigentlich ist es mir ziemlich egal, dass du die ersten paar Runden ständig gewinnst. Ich erhoffe mir einfach, dass dich das Pokerspiel von deinem Trübsal ablenkt und du dich endlich mal entspannst. Um ehrlich zu sein, würde das nicht nur dir, sondern auch mir und Barbara gut tun. Als hätte er meine Gedanken gelesen, lenkt Harv das Gespräch auf mein Töchterlein, während er sich ein paar Erdnüsse in den Mund schiebt. "Wie geht es eigentlich der Dame des Hauses?" Ich zucke mit den Schultern. "Die meiste Zeit bewegt sie sich irgendwo zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. Wobei sie heute überraschend gut drauf ist. Im Vergleich zu gestern fast eine Hundertachziggrad-Drehung." Und natürlich ist es nicht auszuschließen, dass du irgendetwas damit zu tun hast ... Für mich läuft das Spiel erstaunlich gut - ganz im Gegensatz zu Harvey, der seinen Haufen schon deutlich dezimiert hat. Meine Erdnüsse haben sich mittlerweile verdoppelt, wobei das Meiste tatsächlich von Harvey gekommen ist. Er spielt ziemlich riskant, aber leider hat er das Pokerface nicht so gut drauf wie ich. Mit einer hochgezogenen Augenbraue schiele ich über den Rand meiner Brille zu Harvey, der sich gerade wieder eine Erdnuss in den Mund schiebt und frage mich unwillkürlich dabei, wie viel Einsatz er noch essen will. Man könnte bei dem Eifer, mit dem er die Erdnüsse vernichtet, fast auf den Gedanken kommen, dass er das mit Absicht macht. Knapp schüttle ich den Kopf und gebe mir eine mentale Ohrfeige. Dass hier ist nicht der richtige Moment für Paranoia. Ich sollte die ganze Sache einfach als unverfängliches Pokern ansehen und nicht schon wieder nach Hintergedanken bei euch beiden suchen. Viel geredet haben wir bisher nicht, außer ein bisschen oberflächliches Geplänkel. Doch als Harvey dann plötzlich nach Barbara fragt, rutsche ich augenblicklich ein Stückchen auf dem Stuhl nach unten. Betont desinteressiert versuche ich die Erdnüsse auf meinem Haufen zu zählen und rechne schon fest damit, dass sowohl du, als auch Harvey jetzt versuchen, mich über die Beziehung zu Barbara auszuquetschen. Fast hätte ich deine Antwort mit »Sie ist schwanger, klar hat sie da Stimmungsschwankungen« kommentiert, doch im letzten Moment verkneife ich es mir. Stattdessen stehe ich wortlos auf, gehe zur Kaffeemaschine und fülle meine Tasse mit der schwarzen Brühe, die für meinen Geschmack viel zu dünn ist. Die Müdigkeit nagt gewaltig an mir und ich wünsche mir, dass der Löffel im Kaffee stehen bleibt. Um mich weiter aus dem für mich eher unangenehmen Thema herauszuhalten, starre ich aus dem Küchenfenster und nippe an meiner Tasse. Unbewusst zupfe ich dabei an meiner Kleidung herum, besonders an der Hose, die eigentlich nur noch von den Hüftknochen auf Position gehalten wird und wünsche mir eine Zigarette. Ich verkneife mir ein Seufzen, als du die Flucht ergreifst, nur weil Babs erwähnt wird. Bei all den Dingen, mit denen sich dein hyperintelligentes Köpfchen beschäftigt, scheint noch immer nicht bei dir angekommen zu sein, dass sie meine Tochter ist und rein zufällig hier wohnt, wodurch es vorkommen kann, dass ich über sie spreche, ohne eure Beziehung analysieren zu wollen. Jetzt darf ich mich nicht mal mehr freuen, wenn mein Kind gut gelaunt ist, weil der Herr dann gleich eine Panikattacke bekommt. Ich werfe Harv einen Blick zu und verdrehe die Augen. Er lacht schnaubend. "Na, ist doch schön, dass es ihr gut geht", meint er beiläufig. "Komm wieder her, Edward, kein Grund die Flucht zu ergreifen. Mann, ich hab nicht vor, dich mit Handschellen an den Tisch zu fesseln und zu verhören." Seine übliche Direktheit lässt mich kurz auflachen. Da ich wieder mit dem Dealen an der Reihe bin, schnappe ich mir den Stapel. Du kommst schon wieder dazu, wenn du keine Gefahr mehr witterst. Mit gerunzelter Stirn drehe ich den Kopf ein Stück in Harveys Richtung und sehe ihn aus den Augenwinkeln skeptisch an. Wie kommt er denn jetzt auf dieses schmale Brett? Ich wollte mich doch nur nicht an diesem Thema beteiligen und eine Tasse Kaffee. Das hat doch nichts mit Flucht zu tun. "Ich wollte eigentlich nur mal eine Pause machen und ...", erwidere ich vorsichtig und deute knapp auf die Hintertür, während du mit den Karten beschäftigt bist. "Aber gut, nächste Runde ...", füge ich hinzu und nähere mich mit der Kaffeetasse wieder dem Tisch. Ich muss zugeben, dass ich eine Pause wirklich gut gebrauchen kann. Durch den nicht vorhandenen Schlaf fühlt sich mein Hirn wie zu weich gekochte Nudeln an und die Koffeintabletten helfen auch nur bedingt. Ein paar Stunden schlafen ist gerade wirklich sehr verlockend, aber da ich nicht das geringste Interesse verspüre, wieder einen der heftigen Albträume zu haben, muss ich da wohl oder übel durch. Während ich mir mein Blatt ansehe, was erstaunlich gut ist, reibe ich mir müde über den Nacken und recke den Hals, um die Verspannungen loszuwerden. Deine Aussage, dass du nur »Pause machen« wolltest, lasse ich unkommentiert. Rein zufällig natürlich genau dann, wenn das Gespräch heikel für dich wird. Ich beschließe, das Thema einfach ruhen zu lassen und weiterzumachen. Meine Lust, jetzt den nächsten Streit anzuzetteln, hält sich gelinde gesagt in Grenzen. Es wäre viel zu schade, wenn wir den Abend, der bisher eigentlich sehr angenehm verläuft, so einfach gegen eine Wand fahren würden. Nach einem Blick auf meine Karten ist mir schon klar, dass ich in dieser Runde recht schnell folden werde. Viel zu schlecht, um auf Risiko zu spielen oder zu bluffen. Harvey hingegen hat mal wieder ein breites Grinsen im Gesicht, das sein gutes Blatt wie immer verrät. Wenn er sich doch nur etwas beherrschen würde. Selbstverständlich ist dir nichts anzusehen. Es dauert nicht lange, da hat Harv seinen Einsatz zweimal selbstsicher erhöht, ich bin ausgestiegen und nur ihr beide seid noch übrig. Bei Harveys selbstsicherem Grinsen, was er hinter seinen Karten versucht zu verstecken, würde selbst der letzte Dorftrottel merken, dass er ein gutes Blatt hat. Wenn ich wetten müsste, würde ich sagen, dass er beim Kartentausch Glück hatte und jetzt einen Flush in der Hand hält. Mit einer andeutungsweise angehobenen Augenbraue betrachte ich meine Karten, werfe dann Harvey einen Blick zu und dann meinen restlichen Erdnüssen. Harv hat bereits zweimal großzügig erhöht, weswegen sein Haufen nur noch aus wenigen Erdnüssen besteht. Ich habe noch wesentlich mehr Einsatz über. Das Beste wäre, wenn ich jetzt das Spiel beende, damit ich meine Pause bekomme. Mit meinem Blatt, einem Vierling, stehen die Chance sehr gut, dass ich gewinne. Deswegen zuckt kurz mein Mundwinkel, als ich alles auf eine Karte setze und meinen Haufen Erdnüsse mit den Worten "All In" in die Mitte schiebe. "Ich will sehen", füge ich hinzu und sehe Harvey über den Rand meiner Brille mit meinem besten Pokerface an. Amüsiert sehe ich zu, wie Harvey genervt grunzt, als die Karte offen auf dem Tisch liegen. Tja, das war wohl nichts. Da hat er sich mal wieder übernommen. "Vielleicht solltest du ihm mal Unterricht im Pokerface Halten geben, Edward", stichele ich grinsend und ernte einen angesäuerten Blick von Harv, den er allerdings genauso wenig halten kann wie sein Pokerface. Er beginnt zu lachen und ich falle mit ein. "Das war wohl ein Satz mit x", feixt er und zweigt sich eine Handvoll Erdnüsse von deinem Gewinn ab, die er sich ungerührt in den Mund steckt. "Aber beim nächsten Mal kriege ich dich." Diese Drohung ist natürlich mehr als lächerlich. Es scheint nahezu unmöglich, dass einer von uns gegen dich gewinnt. Schon gar nicht Harv. Eigentlich ist es fast schon amüsant, wie Harveys Grinsen in sich zusammen fällt, als ich mein Blatt offenbare. Aber mehr als ein kurzes Zucken der Mundwinkel bekomme ich gerade nicht mehr zustande. Mit einem lautlosen Seufzen schiebe ich die Erdnüsse zu mir und ignoriere dabei, dass Harvey sich eine Handvoll davon genehmigt. Da ich jetzt mit Geben dran bin, kann ich mir jetzt erstmal die Pause gönnen, die ich inzwischen wirklich dringend nötig habe. Ein bisschen frische Luft tut mir sicherlich gut, wenn ich meinen Verstand weiterhin benutzen möchte. "Gebt ihr mir ein paar Minuten ...?", frage ich an niemand bestimmten gerichtet und warte die Antwort gar nicht erst ab, als ich mir erhebe und zielstrebig die Küche durch die Hintertür verlasse. Die Zigarettenschachtel, die ich Jim aus seiner Manteltasche entwendet habe, liegt noch genauso auf dem Fensterbrett, wie ich sie zurück gelassen habe. Und trotz der Nikotinpflaster ist das Bedürfnis nach einer Zigarette im Moment ziemlich groß. Deswegen genieße ich es richtig, mit geschlossenen Augen auf der Holzbank zu sitzen und zu rauchen. Doch leider ist dieses Vergnügen viel zu schnell wieder vorbei und da es sicher sehr auffällig wäre, muss ich wohl oder übel wieder zurück in die Küche. Allerdings wandert der Rest in der Kaffeekanne in meine Tasse, ehe ich mich wieder an den Tisch setze, die Karten mische und dann austeile. Dieses Mal ist mein Blatt ziemlich mies und auch nach dem Kartentausch habe ich nicht mehr als ein Paar zu bieten. Harvey und ich nutzen deine Abwesenheit, unser Gespräch über Babs ein wenig zu vertiefen. Ich erzähle ihm von der momentanen Situation und wie es mit der Schwangerschaft steht. Harv ist ein guter Gesprächspartner, da er selbst Kinder hat und weiß, wie anstrengend eine Frau sein kann, wenn sie schwanger ist. Er klopft mir mitfühlend auf die Schulter, als ich ihre Stimmungsschwankungen schildere. "Sieh's positiv. In ein paar Wochen ist sie wieder normal", erinnert er mich. "Na ja. Dann haben wir stattdessen ein kleines Kind im Haus, das jede Nacht schreit", kontere ich lachend. Aber eigentlich freue ich mich auf mein Enkelkind. Nicht zuletzt, weil ich die Hoffnung hege, dass du in deiner Entscheidung vielleicht um einiges klarer wirst, wenn du deinen Sohn oder deine Tochter erst mal im Arm hältst. Als das Spiel weitergeht, fängt es für mich eher mau an. Auch Harvey guckt nicht allzu fröhlich, was bei ihm grundsätzlich auf ein mittelmäßiges Blatt schließen lässt. Die Runde plätschert so dahin, bis wir schließlich alle unsere Karten auf den Tisch legen. Das Ergebnis des ersten Spiels nach meiner Pause ist wie vorgesehen ziemlich mies. Mit meinem Pärchen kann nicht viel ausrichten und spätestens zu dem Zeitpunkt, als wir alle die Karten auf den Tisch legen, bereue ich es, dass ich nicht ausgestiegen bin. Dass ist dann wohl auch der Moment, an dem ich mir eingestehen muss, dass ich mich derzeit nicht auf mein Bauchgefühl verlassen kann. Deswegen werfe ich bei den nächsten Spielen direkt nach dem Pflichteinsatz meine Karten weg und begnüge mich damit, an meiner Tasse zu nippen, die sich viel zu schnell leert, und euch beiden zuzusehen, wie ihr die Sache unter euch ausmacht. Und anscheinend ist das Glück nun auf Harveys Seite, denn sein Erdnusshaufen wird zusehends höher. Als ich nach ein paar Runden wieder ein gutes Blatt auf der Hand habe, setze ich nur zögerlich, auch wenn meine Chancen gut stehen. Zumindest glaube ich das, aber darauf wetten würde ich nicht. Ich bin kaum in der Lage, die Gewinnchancen im Kopf auszurechnen. Und so kommt es, wie kommen muss, dass ich mit meinem Drilling gegen Harveys Full House verliere. Deine Niederlage gegen Harv ist geradezu schockierend. Erst halten wir sie für einen glücklichen Zufall, allerdings häufen sich solche Ereignisse. Deine Gewinne werden deutlich geringer, bis du irgendwann komplett mit dem Kopf woanders zu sein scheinst. Harv und ich tauschen einen Blick. Bei uns beiden könnte man eine solche Verschlechterung vielleicht auf den Alkohol schieben, denn wir haben beide dem Bier recht gut zugesprochen. Du hattest allerdings nichts außer Kaffee, weswegen man dich kaum als betrunken bezeichnen könnte. Eigentlich müsstest du uns von Runde zu Runde mehr abziehen können. Als du schließlich ein weiteres Mal haushoch gegen ein Blatt von Harv verlierst, das nicht mal sonderlich beeindruckend ist, schüttle ich den Kopf. "Ich glaube, uns verlässt allmählich die Konzentration", sage ich und achte absichtlich darauf, im Plural zu sprechen. "Was haltet ihr davon, wenn wie das Spiel für beendet erklären?" Eigentlich ist es schon peinlich, wie einfach Harvey und auch du gegen mich gewinnen können, je länger wir pokern. Aber es ist kein Wunder, da sich meine Hirnwindungen immer mehr verknoten und ich zweimal hinsehen muss, um einen Drilling zu erkennen. Mehr als das bekomme ich auch nicht mehr zustande, denn ich werfe beim Kartentausch nur noch die falschen Karten ab und verpasse sogar mehr als einmal den Moment, um auszusteigen. Deswegen bin ich sogar ganz froh darüber, als du vorschlägst, dass wir das mit dem Pokern für heute lassen. Am liebsten würde ich mich jetzt hinlegen und bis morgen Abend durchschlafen. Allerdings ist das für mich keine Option, die mir gefällt. Kurz frage ich mich, ob ich es riskieren kann, ins Gästezimmer zu verschwinden, um mir mehr als eine Koffeintablette einzuwerfen, doch es wäre wohl zu auffällig. Der Blick, mit dem du mich bedenkst, gefällt mir auch nicht sonderlich. Anscheinend bin ich doch nicht so gut im schauspielern wie ich dachte. Ich wollte, dass Keiner in diesem Haus etwas von dem mitbekommt, was momentan mit mir los ist. Aber so, wie du mich ansiehst, ist dieser Plan ganz grandios gescheitert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)