Creepypasta Extra 3: Last Judgement von Sky- (Die Thule-Verschwörung) ================================================================================ Kapitel 7: Ein neuer Mitspieler ------------------------------- Sally hatte es schließlich geschafft, Pristine zu orten. Sie befand sich tatsächlich in Deutschland, nämlich in einem sehr abgeschiedenen Teil von Bayern, wo die Thule-Gesellschaft ihren Hauptsitz hatte. Sogleich machten sich Christine, Thomas und Vincent auf den Weg, während Harvey, Anthony, Nathaniel und Sally das Buch suchen wollten. Sie gingen auf den Dachboden und kletterten durch das Gemälde, durch welches sie in Evans Galerie gelangten. Nathaniel zögerte aber, denn ihm war das alles nicht geheuer. „Was genau ist das?“ „Ein Portal, durch welches wir in eine andere Dimension gelangen. Diese Dimension besteht aus unendlich vielen verschiedenen Welten, die aus den Träumen der Menschen erschaffen wurden und sie werden durch Wesen erhalten, die wir Dream Weaver nennen.“ Zwar verstand Nathaniel nicht alles, was sein Halbbruder da erzählte, aber er gab sich damit zufrieden. Dennoch war deutlich zu sehen, dass er große Angst hatte, denn er würde zum ersten Mal sein Haus verlassen. Hilfesuchend klammerte er sich an Anthony, der ihm zärtlich den Kopf streichelte. „Keine Angst, wir sind alle bei dir. Wir passen auf dich auf und dann wird dir auch nichts passieren.“ Nachdem er auch einen guten Zuspruch von Harvey bekam, nahm Nathaniel all seinen Mut zusammen und kletterte schließlich auch durch das Bild. Kaum, dass er die Galerie betreten hatte, sank er in die Knie und bekam leichte Atemprobleme, sodass Harvey erst einmal helfen musste. Sie hörten Schritte und sahen, wie Amara und Evan herbeigeeilt kamen. „Hey, wie ist es gelaufen? Habt ihr Johnny gefunden?“ „Fragt nicht“, gab Thomas schroff zurück und schon ahnten sie, dass da etwas gehörig schiefgelaufen sein musste. Sie sahen die Bandagen an Christines Händen und erfuhren von Vincent schließlich, was geschehen war. Evan schüttelte verständnislos den Kopf. „Aber hat Harvey nicht gesagt, Johnny wäre auf unserer Seite?“ „Wir vermuten, dass es nur Show war, weil er seine wahren Absichten verschleiern wollte. Jedenfalls müssen wir das Buch vor ihm finden und ihm die Schlüssel wieder abnehmen.“ „Und wie wollt ihr das anstellen, wenn er euch dermaßen verprügelt hat?“ fragte Amara unsicher und hantierte mit ihrem Regenschirm herum. „Soll ich euch helfen?“ „Wir wurden überrascht und waren nicht vorbereitet. Du solltest hier bleiben und dich bereithalten, falls etwas passieren sollte. Evan, wir teilen uns in Gruppen auf und brauchen zwei verschiedene Portale. Einen Standort kann Sally dir schon mal nennen. Fragt sich nur, wie wir herausfinden wollen, wo das Buch ist.“ Das war tatsächlich eine sehr schwierige Frage, da es überhaupt keine Hinweise gab, die irgendjemand hinterlassen hatte, der mit Johnnys Erinnerungen geboren wurde. Doch dann kam Harvey eine Idee und er wandte sich an Anthony. „Könnten wir es nicht noch einmal mit einer Hypnose versuchen und sehen, ob es nicht vielleicht doch noch irgendeinen Hinweis in Chris’ Erinnerung geben könnte? Einen Versuch wäre es jedenfalls Wert.“ Hier musste der Konstrukteur aber überlegen, denn das war etwas kniffliger, als Harveys Erinnerungen im hypnotisierten Zustand zu lesen. Immerhin war Chris lediglich ein sekundäres Bewusstsein, das heißt, sie mussten erst einmal an Harvey vorbei. „Ist Chris überhaupt damit einverstanden?“ „Also er sagt gerade Egal was nötig ist, um eine Katastrophe zu verhindern, tu es einfach. Ich hab nichts zu verbergen. Na hör mal Chris, da sind auch sehr private Dinge dabei.“ „Keine Sorge, ich bin Profi. Aber ich fürchte, dass ich es alleine nicht schaffen werde. Wir müssen euer beider Unterbewusstsein voneinander getrennt halten, sonst bringe ich noch irgendetwas durcheinander, oder komme gar nicht erst zu Chris durch. Vincent, ich brauch deine Hilfe. Du musst dafür sorgen, dass ich uneingeschränkten Zugriff auf Chris’ Erinnerungen habe, ohne dass Harvey im Weg ist. Das dürfte für dich ja kein Problem darstellen.“ Vincent, der zurzeit eine Ausbildung machte, um ebenso wie Anthony Hypnotherapeut zu werden, kam hinzu und nachdem Anthony Harvey hypnotisiert hatte, begannen sie nun mit ihrer Arbeit. Die anderen sahen ihnen gespannt zu, nur Nathaniel war nicht ganz sicher, was das zu bedeuten hatte und wandte sich fragend an Christine. „Was machen die mit Harvey?“ „Sie haben ihn in Trance versetzt. Er schläft also quasi und das macht es für Anthony und Vincent einfacher, an seine Erinnerungen zu kommen. Sie können diese sozusagen wie einen Film abspielen und sogar Gefühle, Charaktereigenschaften und andere Dinge bei Harvey ändern und ihn sozusagen zu einem völlig anderen Menschen machen, wenn sie wollen. Sie können ihn sogar dazu bringen, dass er alles tut, was sie wollen. Das ist eine äußerst gefährliche Gabe, deswegen setzt Anthony sie auch nur dann ein, wenn diejenigen einverstanden sind, oder wenn es absolut notwendig ist. Er hat auch Hinrich auf diese Weise getötet.“ Als Nathaniel das hörte, war er zunächst erschrocken. Sein Bruder Anthony sollte Hinrich getötet haben? Aber er machte gar nicht den Anschein, als könne er so etwas tun. Christine erklärte, dass Anthony das tun musste, weil Hinrich seine Freunde in ernsthafte Lebensgefahr gebracht hatte und er auch Sally retten wollte. Um Hinrich besiegen zu können, hatte Anthony ihn hypnotisiert und ihn dazu gebracht, sich selbst die Kehle durchzuschneiden. Nach einer Weile holte Anthony Harvey aus der Trance raus und erklärte „Das Buch befindet sich in einer gesicherten Anlage, die schwer bewacht ist. Offenbar ist es Thule schon längst gelungen, es sicherzustellen.“ „Dann klauen wir es ganz einfach“, sagte Sally schließlich und schien sich das Ganze recht einfach vorzustellen. „Wir haben ja Anthony und der kann uns für die anderen quasi unsichtbar machen. Ich werde ein Ablenkungsmanöver starten und ihr geht los und holt das Buch. Im Anschluss machen wir uns auf den Weg zu den anderen und werden Pristine einheizen.“ Tatsächlich klang Sallys Plan gar nicht mal so schlecht und wenn Anthony so darüber nachdachte, war es tatsächlich der perfekte Plan. Wenn Sally alle Aufmerksamkeit auf sich lenkte und Chaos stiftete, konnten Anthony, Nathaniel und Harvey mühelos bis zum Tresor, in welchem sich das Buch befand. Denn selbst wenn sie sich für die Augen der Männer unsichtbar machen konnten, so würde man sie trotzdem auf den Überwachungskameras sehen. Und da Sally durch ihre Fähigkeiten klar im Vorteil war, war sie die ideale Wahl. Auch Harvey war einverstanden. „Falls doch noch etwas schief laufen sollte, wird Amara uns wieder rausboxen.“ Evan und Viola machten sich sogleich an die Arbeit, das zweite Portal zu erstellen, um die anderen so nah wie möglich an das Buch heranzubringen. „Es gibt leider ein Problem“, sagte Evan schließlich. „Ich kann leider kein Portal im Tresor erstellen und mitten im Gebäude wäre auch zu gefährlich, weil andere es entdecken und hierhergelangen könnten. Damit würden wir uns dieser Pristine auf dem Silbertablett präsentieren.“ „Schon gut, es genügt, wenn du uns nahe genug heranbringst, dass wir keine Ewigkeit brauchen, um zum Stützpunkt zu kommen.“ Thomas verabschiedete sich derweil kurz und stieg durch ein anderes Bild. Offenbar wollte er sein Schwert ersetzen, das Johnny zerstört hatte. „Warum kämpft Thomas eigentlich immer mit so einem altmodischen Ding?“ fragte Vincent und wandte sich schließlich an Christine, die den etwas eigensinnigen Ex-Stasi schon über 50 Jahre kannte. „Damals gab es keine Schalldämpfer, um lautlos zu töten. Außerdem kann Pistolen und Gewehren die Munition ausgehen. Ein Schwert hingegen ist immer eine lautlose und effektive Waffe. Thomas ist ein Nahkämpfer und kann deshalb mit einem Schwert besser kämpfen.“ Wenig später kam Thomas mit voller Montur zurück und erklärte in kurzen und knappen Worten, dass er wieder kämpfen könnte. Sein Arm war wieder vollständig geheilt und nachdem er sein Schwert mit dem Generator verbunden hatte, war auch seine Spezialausrüstung fertig. Thomas hatte eine Abneigung gegen Blut, weshalb er sich eine Konstruktion gebaut hatte, die auf das Prinzip eines Elektroskalpells basierte: Der kleine tragbare Generator an seinem Gürtel leitete Wechselstrom in die Klinge, sodass nur sehr wenig Blut austrat und das Gewebe gleichzeitig viel besser zerschnitten werden konnte. In der Chirurgie wurde so etwas sehr häufig verwendet. Nachdem sie alle bereit waren, verteilten sie sich auf ihre jeweiligen Gruppen und Viola ging zurück in Evans Zimmer, um Amara wieder abzulösen. Sie wünschten einander viel Glück und so trennten sich ihre Wege. Nathaniel hielt sich an Anthony fest und atmete tief durch. Christine klopfte ihm aufmunternd zum Abschied auf die Schulter. „Alles wird gut werden, keine Sorge. Anthony und die anderen werden gut auf dich aufpassen.“ Doch Nathaniel hatte trotzdem Angst, denn hier in der Galerie war immer noch geschlossener Raum. Aber wenn er durch dieses Bild kletterte, würde er zum ersten Mal in seinem Leben offenes Gelände betreten. Keine Decken und Wände, sondern ein unendlich weiter Himmel mit Horizont und eine Landschaft, die er nicht vollständig überblicken konnte. Und genau das machte ihm Angst. Aber Christine hatte Recht: Wenn er bei Anthony und den anderen blieb, konnte eigentlich nichts passieren. Harvey war ja auch ganz nett und Sally war so stark, dass sie mit Sicherheit die anderen beschützen konnte. Jetzt lag es auch an ihm, stark zu sein. Seine Fähigkeiten waren stark genug, um andere Menschen zu steuern. Vielleicht konnte er sie einsetzen, um Anthony und den anderen zu helfen, ohne sie dabei in Gefahr zu bringen. Vorsichtig kletterte er als Nächster durchs Bild, Harvey war der Letzte. Tatsächlich kamen sie in einer kleinen Hütte raus, die wohl in der Vergangenheit mal ein Schäferverschlag gewesen war. Hier drin war es eng, es roch muffig und nur eine marode Holztür trennte sie vor dem offenen Gelände. Nun hielt sich Nathaniel auch an Harvey fest, so als bräuchte er jetzt doppelten Halt. Da die Tür aufgrund der rostigen Scharniere klemmte, setzte Sally eine Druckwelle frei, die das alte Ding vollständig aus den Angeln schleuderte. Grelles Sonnenlicht fiel in die Hütte und Anthonys Augen, die immer noch lichtentwöhnt waren, schmerzten und er musste seine Sonnenbrille wieder aufsetzen. Aber wenigstens verspürte er auf der Haut keine Schmerzen mehr. Kein Brennen, als würden seine Knochen wie geschmolzenes Blei glühen und keine Ausschläge auf der Haut, die wie schwere Verbrennungen aussahen. Und seltsamerweise hatte er auch überhaupt keine Angst mehr, obwohl er in den letzten Wochen so hart gekämpft und trotzdem kaum Fortschritte gemacht hatte. Und jetzt konnte er jetzt einfach so in die Sonne gehen. Er spürte die angenehme Wärme auf seiner Haut und war so überwältigt, dass ihm sogar die Tränen kamen. Was von Nathaniel ein schreckliches Versehen und für die anderen augenscheinlich ein hinterhältiger Angriff gewesen war, war für ihn die Befreiung von seiner Krankheit, die ihm immer ein normales Leben verwehrt hatte. Nun konnte er endlich hinaus in die Welt, ohne das Licht meiden zu müssen aus Angst vor Schmerzen. Nathaniel hatte ihm aus einer Unbedachtheit heraus seine Lebensqualität zurückgegeben. Nein… nicht zurückgegeben. Er hatte sie ihm erst geschenkt. Sein Blick wanderte zu seinem Halbbruder, der starr geradeaus starrte und dem die Angst ins Gesicht geschrieben stand. Kein Wunder, denn vor ihm lag eine riesige Welt, die er noch nie zuvor gesehen hatte. In seinen Augen war die gleiche Angst zu sehen, wie einst bei ihm, als er noch nicht einmal das Licht einer Lampe ertragen konnte. In diesem Augenblick war ihm sofort klar, dass er Nathaniel jetzt beistehen musste. Dieser Junge mit der unglaublichen Gabe brauchte einen großen Bruder. Anthony beugte sich hinunter, nahm die Sonnenbrille ab und sah ihm tief in die Augen. „Hab keine Angst, ich bin ja bei dir. Versuch einfach auf den Boden zu sehen, wenn es dir hilft.“ Nathaniel nickte und klammerte sich fest an ihn. Harvey klopfte dem Konstrukteur auf die Schulter und flüsterte ihm zu „Das machst du wirklich gut. Er beruhigt sich langsam wieder. Er scheint ein so großes Vertrauen in dich zu haben, dass er sogar seine größte Angst überwindet.“ Sally wurde ein wenig ungeduldig und drängte die anderen, endlich zu gehen. Jeden Moment konnte Johnny auftauchen und gegen ihn hatten sie nicht gerade die besten Karten. Der Stützpunkt befand sich knapp eine Viertelstunde Fußmarsch entfernt und in der Zeit leistete Anthony wirklich gute Arbeit, Nathaniel Mut zu machen und dafür zu sorgen, dass er nicht noch versehentlich seine Fähigkeiten freisetzte. Und die Ruhe, die die anderen ausstrahlten, halfen Nathaniel, sich deutlich zu entspannen und sich langsam auf seine neue Umgebung einzulassen. Zwar erschrak er sich, wenn er neue Geräusche wie etwa Vogelgezwitscher oder das Rauschen des Windes hörte, aber die Gelassenheit der anderen machte ihm schnell klar, dass es keinerlei Bedrohung gab. Schließlich, als sie einen kleinen Hügel erreicht hatten, blieben sie stehen und sahen in einem Tal eine große Anlage. „Da drin befinden sich mindestens 100 Menschen, ich kann aber keine sonderlich starke Aura wahrnehmen, die entweder von Johnny oder Pristine stammen könnte.“ „Aber vermutlich wird er bald hier aufkreuzen, weil er durch unsere Augen sehen kann und damit weiß, was wir gerade tun. Darin liegt ja der Trick: Wir werden uns das Buch schnappen, Amara wird uns einen Durchgang öffnen und uns direkt zu Christine und den anderen bringen. Johnny kommt uns hinterher und dann werden wir ihm die Schlüssel abluchsen. So sieht der Plan aus. Wer weiß, vielleicht reicht Nathaniels Kraft aus, um sogar ihn lahmzulegen. Dann könnten wir ihm selbst die Schlüssel wieder wegnehmen.“ „Fragt sich nur, wie wir die Schlüssel aus seinem Körper kriegen sollen. Immerhin sind es keine Schlüssel zum Anfassen, sondern konzentrierte Energie.“ Da hatte Harvey nicht ganz Unrecht, aber Sally war sich sicher, dass sie das schon irgendwie hinkriegen würde. Und sie war optimistisch, dass sie es mit Nathaniel zusammen schaffen konnte, wenn sie ihm die richtigen Anweisungen gab. „Ich kann nur beherrschen, was tot ist und kein Eigenleben besitzt. Die Nekromantie erlaubt es mir, auch kinetische Kräfte auszuüben und elektrische Felder zu manipulieren. Deshalb kann ich Menschen Brust und Kopf zerfetzen, oder elektrische Geräte manipulieren. Aber Nathaniel ist zu weitaus mehr in der Lage. Nicht nur, dass er den Verstand der Menschen beherrschen kann, er kann auch Einfluss auf die Vitalität nehmen, sei es bei Menschen, Tieren oder Pflanzen. Und ebenso kann er auch die Energie aller Lebewesen beeinflussen. Nur kann er diese Kraft nicht beherrschen, zumindest noch nicht. Ich denke aber, wir kriegen das schon irgendwie hin.“ Sie gingen gemeinsam zum Stützpunkt hin und während Sally sämtliche Überwachungskameras sabotierte, begann Anthony damit, das Unterbewusstsein der Söldner zu infiltrieren und ihre Wahrnehmung zu manipulieren. Es war kein großer Aufwand dafür zu sorgen, dass man sie zwar sah, aber nicht bemerkte. Im Grunde wurden die Informationen, die von den Augen über die Nerven zum Gehirn gesendet wurden, so weit gefiltert, damit das Bewusstsein nicht allzu stark belastet wurde. Also sortierte es Dinge aus, die als nicht wichtig erachtet wurden, sodass man sie zwar mit den Augen sah, aber nicht wahrnahm. Das machte Anthony und die anderen quasi unsichtbar. Schließlich, als Anthony den Wachmann am Tor dazu gebracht hatte, ihm die Tür zu öffnen, teilten sie sich auf, nachdem Sally auch den Rest der Überwachungssysteme zerstört hatte. Indem sie alle Aufmerksamkeit auf sich lenkte, konnten die anderen ungehindert weiter. Wenig später hörten sie Schüsse und laute Schreie. Nathaniel bekam Angst und fragte besorgt, ob mit Sally alles in Ordnung sei. „Keine Sorge“, sagte Anthony schließlich. „Sally ist bereits seit 200 Jahren tot.“ „Was? Wie… wieso ist sie dann hier?“ „Sie ist eine so starke Nekromantin, dass sie keinen menschlichen Körper mehr braucht. Sie hat sich einen eigenen erschaffen, der unserem zwar ähnlich ist, aber er funktioniert anders. Soll also heißen, dass sie gewisse Ähnlichkeiten mit Johnny hat.“ Das beruhigte den Jungen und so setzten sie ihren Weg fort. Anthony, der sich nach Chris’ Erinnerungen richtete, ging voran und Harvey blieb hinter Nathaniel. Eine Sirene ertönte und eine Reihe schwer bewaffneter Söldner lief an ihnen vorbei. Zuerst war Harvey ein wenig nervös und griff schon zur Waffe, aber zu sehen, dass diese Männer sie gar nicht beachteten, war schon etwas seltsam. „Unglaublich, wozu Konstrukteure in der Lage sind. Theoretisch könnt ihr ja wirklich alles machen. Menschen dazu bringen, euch all ihr Erspartes zu überlassen, oder sie dazu zu bringen, Selbstmord zu begehen. Wirklich unheimlich. Chris fragt gerade, ob das schon mal einer gemacht hat.“ „Ja, ihr Name war Mary Lane. Sie hat Schüler dazu gebracht, Selbstmordclubs zu gründen. Es war immer das gleiche Schema: Die Gruppe wird von einer Mary Lane Doppelgängerin angeführt, diese begeht mit den anderen Selbstmord. Eine überlebt aber und wird die neue Mary Lane. Das ging eine ganze Zeit lang so, bis es Hannahs Sohn gelang, sie zu töten, indem er ihren Körper zerstörte.“ „Wie? Ein Baby hat sie getötet?“ „Noah war ein menschlicher Dream Weaver, weil Thomas ein Konstrukteur und Hannah eine Träumerin war. Beide ergänzten sich in ihren Fähigkeiten und weil Noah seine Mutter beschützen wollte, setzte er instinktiv seine Kräfte ein. Also eine ähnliche Situation wie bei Nathaniel. Zum Glück ist es Amara gelungen, seine Kräfte vollständig zu absorbieren, bevor noch ein Unglück geschehen konnte. Der Kleine hätte schlimmstenfalls die ganze Realität zerstören, oder die schlimmsten Alpträume in unsere Welt holen können.“ Sie bogen um eine Ecke ab und blieben an einem Aufzug stehen. In diesen stiegen sie ein und fuhren ins untere Stockwerk. Harvey holte sein Handy heraus und begann eine Nummer zu wählen. Anthony sah ihn neugierig an und fragte „Wen rufst du an?“ Doch er antwortete nicht. Irgendwie schien sich der Glanz in seinen Augen geändert zu haben und er spürte, dass sich die Gehirnströme verändert hatten. Ja, sie waren nicht mehr so chaotisch und fühlten sich nicht wie zwei verschiedene Lieder an, die zur gleichen Zeit gespielt wurden. Nein, es war jetzt so, als würde jetzt eine völlig andere Musik gespielt werden. Aber sie passte weder zu Chris, noch zu Harvey. Was zum Teufel passierte hier nun? Harvey hielt sich das Handy ans Ohr und begann nun mit seinem Telefonat. „Hi Ezra, ich bin jetzt drin. Ja, du kümmerst dich um die anderen. Okay, ich brauch auch sicherlich nicht lange. Wir verfahren, wie geplant. Bis später.“ Damit legte er wieder auf und nun spürte es Anthony deutlich: Das war eindeutig nicht Harvey, sondern eine ganz andere Person. Lag etwa eine gespaltene Persönlichkeit vor? Nein, selbst wenn, dann würden sich die Gehirnströme immer noch stark ähneln. Diese waren wie Fingerabdrücke, aber diese Ströme waren gänzlich anders. Und außerdem spürte er etwas Unmenschliches an Harvey. Er überlegte schon, ob er seine Waffe ziehen sollte, aber das würde auch nichts bringen. Dann würde er ja Harvey verletzen und Nathaniel könnte seine Kräfte versehentlich freisetzen und sie alle in Gefahr bringen. Stattdessen stellte er sich schützend vor seinem Halbbruder und fragte „Wer zum Teufel bist du und was hast du mit Harvey gemacht?“ Der Schauspieler hob die Augenbrauen und schien erst jetzt die beiden zu bemerken, dann aber lächelte er gutmütig und erklärte „Mein Name ist Cedric und ich hab mir die Freiheit erlaubt, den Körper eures Freundes kurz auszuborgen, indem ich meine Seele in seinen Körper transferiert habe. Nun gut, mit drei Seelen ist es zwar etwas eng hier drin, aber Nathaniel ist eindeutig zu stark für mich und ich wollte mich lieber nicht mit dir anlegen.“ „Du… du hast deine Seele in Harveys Körper transferiert? Und warum?“ „Es würde zu lange dauern, auch meinen Körper herzuschaffen. Und da es dringend ist, hab ich eben diesen Weg gewählt.“ „Und was willst du überhaupt von uns?“ „Von euch will ich nichts. Von Thule will ich etwas und das könnte euch sicherlich auch interessieren: Ich bin Detektiv für Parapsychologie und ein guter Freund von Johnny. Thule hält hier in diesem Gebäude unzählige Mischlinge gefangen und experimentiert an ihnen. Viele von ihnen sind schon gestorben, andere werden es bald.“ Nathaniel verstand nicht, was das bedeutete und warum sich Harvey auf einmal Cedric nannte. Aber er spürte wohl, dass da etwas passiert war und so machte er sich ganz klein in der Ecke. Cedric sah das und hob die Hände. „Ich will euch nichts tun, okay? Alles was ich will ist, die anderen zu befreien.“ „Welche anderen?“ „Die Mischlinge, die hier gefangen gehalten werden. Einige von ihnen haben schon die ersten Säuberungsversuche miterlebt und sollen nun endgültig hingerichtet werden. Zusammen mit einigen anderen führe ich eine Befreiungsaktion durch. Wir holen zum letzten großen Schlag gegen Thule aus und werden Pristine ein für alle Male das Handwerk legen.“ „Wie viele werden gefangen gehalten?“ „Mindestens 20. Sie befinden sich im untersten Kellergeschoss und sollen heute vergast werden. Ich hab die Gelegenheit genutzt, während Ezra zum Hauptsitz geht.“ „Und wer ist Ezra?“ „Mein älterer Bruder.“ Anthony betrachtete Harvey oder besser gesagt Cedric misstrauisch, denn ihm war nicht entgangen, dass er erwähnt hatte, dass er ein Freund von Johnny war. Was zum Teufel wurde hier bloß gespielt? „Was hast du mit Johnny zu schaffen?“ „Nun, er will sich um Pristine kümmern und hat mir und Ezra die Befreiung der Mischlinge anvertraut. Es steht euch natürlich frei zu entscheiden, ob ihr uns dabei helfen wollt. Keine Sorge, ich passe gut auf Harveys Körper auf. Ich hab auch kein Interesse daran, jetzt hier mit euch zu diskutieren.“ Der Aufzug hielt an und Cedric ging einfach los, Anthony folgte ihm mehr oder weniger zusammen mit Nathaniel. Er wusste nicht, wie er diese seltsame Situation nun deuten sollte und was das zu bedeuten hatte. Offenbar war dieser Cedric übernatürlich begabt. Womöglich ähnlich wie Sally oder Nathaniel, weil er Seelen transferieren konnte, oder aber… „Bist du ein höheres Wesen?“ „Zur Hälfte. Meine Mutter war eine Menschenfrau. Ezra und ich waren damals beim letzten großen Krieg dabei gewesen und unsere Eltern wurden damals getötet. Mich hätten sie beinahe auch umgebracht, wenn Ezra, Christine und Johnny uns nicht gerettet hätten. Also liegt es nur in meinem Interesse, alles zu tun, um Thule aufzuhalten und die gefangenen Mischlinge zu retten.“ Da Anthony momentan die Hände gebunden waren, weil dieser Cedric quasi Harvey als Geisel genommen hatte, folgte er ihm, bis sie ein tiefes Kellergeschoss erreichten. Mehrere Wachen standen schwer bewaffnet da, doch da feuerte Cedric mehrere Schüsse aus Harveys Pistole ab und tötete sie durch gezielte Kopfschüsse. „Johnny hat wirklich ein gutes Timing. Da ihr schon mal hier seid, macht es mir die Sache umso einfacher, die anderen zu befreien.“ „Was meinst du damit?“ „Nun ja, Johnny ist ein ziemlich guter Stratege. Er hat euch mit dem Buch geködert und sozusagen vorausberechnet, dass ihr hierher kommen würdet. Auf diese Weise kann ich die Gefangenen ohne allzu große Verluste befreien.“ „Er wusste, dass das Buch hier ist?“ „Natürlich. Er hat sogar zugelassen, dass Thule das Buch in die Hände kriegt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)