Die Nelke von pandine ================================================================================ Kapitel 2: Aufgekommene Unsicherheit ------------------------------------  Die Monate rannen vorbei. Julian und Liang verbrachten sehr viel ihrer Zeit, eigentlich jede Sekunde miteinander, doch Thomas sahen sie meistens nur sehr selten. Dieser war ständig unterwegs und tat, was er schon immer hatte tun wollen. Das Leben von den Reichen und Schönen genoss er sehr, mittlerweile hatte er sich einen Platz in der Börse reserviert. Dennoch brachte ihn etwas ins Nachdenken. Was wäre, wenn Julian ihn in das Unglück stürzen würde? Es wäre nicht sehr vorteilhaft für ihn. Nach langem Hin und Her, wie er dieses Problem am besten eliminieren könnte, entschied er sich für die einzige Möglichkeit, die er sah: Julian musste fort. Er plante alles sehr präzise. Er würde Liang, der sich ja sowieso ständig in seiner Nähe aufhielt, dazu bringen, ihm Julians Kette, die er noch nie abgelegt hatte, selbst wenn man es mit Gewalt versuchte, auszuhändigen, als Beweis dafür, dass Julian nicht mehr unter den Lebenden weilt. Andernfalls würde ihm selbst das Jenseits drohen. Thomas hatte keinerlei Skrupel, so einen Plan zu entwerfen und auch auszuführen. Er selbst würde natürlich nicht am Tatort sein, er wäre irgendwo weit weg. Der Tag rückte immer näher, und als er dann endlich da war, nahm Thomas sich beim Herausgehen Liang zur Seite. „Liang, ich muss dich um etwas bitten.“ „Ja?“ „Bring Julian um.“ Zuerst glaubte Liang, nicht richtig gehört zu haben und schaute den Ziehvater seines Geliebten verständnislos an. Als dieser sich jedoch laut und deutlich wiederholte, wollte er laut und empört aufschreien. Seine Verwirrung hatte sich in pure Entrüstung und Angst um seinen Liebsten verwandelt. „Halt die Klappe. Wenn du mir nicht seine Kette bringst, von der wir ganz genau wissen, dass er sie niemals ohne tot zu sein übergeben würde, als Beweis. Solltest du das nicht machen, geht es dir selbst an den Kragen.“ Thomas hatte diese Worte Liang eindringlich in das Ohr geflüstert. Danach entfernte er sich wieder. „Verstanden?“ Liang schluckte, nickte aber. Zufrieden zog Thomas sich zur Jagd in den umliegenden Wäldern zurück, es war eines seiner neuen Lieblingsbeschäftigungen, und ließ einen geschockten Liang zurück. Dieser hatte sich erschöpft in einen der Stühle plumpsen lassen, die in der Nähe standen. Es war noch früh am Tag, Julian schlief friedlich in seinem Zimmer. Wie konnte Thomas von ihm so etwas Derartiges verlangen? Liang verstand die Welt nicht mehr, spürte jedoch, dass der Alte seine Drohung ernst meinte. Aber so etwas konnte er nicht tun, nein, das würde er niemals über das Herz bringen. Er liebte ihn doch so sehr, er würde es niemals können, dessen war er sich sicher. Aber sein eigenes Leben dafür geben? Julian würde unheimlich traurig sein und auch das wollte er nicht. Thomas selbst umzubringen erschien ihm auch grausam. Er wollte niemanden töten. Gab es eine Möglichkeit, die ihn aus dieser Situation retten würde? Ihm fiel keine ein. Er wusste nicht, wie lange er sich schon in diesem verzwicktem Teufelskreis befand, als eine vertraute Stimme hinter ihm gähnte. Er drehte sich um und sah das Objekt seiner Gedankengänge, Julian, wie er sich gerade streckte. „Mmmh! Morgen“, begrüßte dieser ihn, immer noch im Halbschlaf. „Wieso“, fing er an, unterbrach sich selbst aber gleich darauf mit einem Gähnen, „bist du eigentlich immer“, Gähnen, „so früh wach?“ Er rieb sich ein wenig den Schlaf aus den Augen. „Guten Morgen. Ich weiß nicht. Hast du denn gut geschlafen?“ Bei seinem Anblick hatte sich Liangs Herz wieder aufgehellt. Nein, er würde ihm nicht das Leben nehmen können, selbst wenn er wollte. „Joa. Und, was machen wir heute?“ „Hmmm.“ Der gebürtige Chinese sah den anderen eindringlich an. Nein, er würde es nicht tun. Niemals. „Habe ich etwas im Gesicht?“, fragte Julian, etwas verunsichert durch den starrenden Blick des Anderen. Dieser schüttelte energisch den Kopf. Schweigend breitete er seine Arme aus und hoffte, dass Julian seinen Wink verstehen würde. Dies tat er auch, trappelnd überbrückte er die Distanz zwischen ihnen und setzte sich mit einem leisem Plumpsen auf Liangs Schoß. „Ist etwas passiert?“ Liang schickte sich an, ihm von dem Vorfall mit Thomas zu erzählen. Als er jedoch den Mund öffnete, um zu erzählen, klappte er ihn sogleich wieder zu. Nein, er konnte doch nicht Julians reine Seele derart beflecken! „Es ist nichts“, lächelte er stattdessen, wenn auch wenig überzeugend. Julian allerdings gab sich damit zufrieden, er wollte den Älteren nicht dazu drängen, etwas zu sagen, das er nicht wollte. Er schmiegte sich noch mehr in Liangs Schoß ein und klammerte sich an ihn, die Müdigkeit hatte wieder die Oberhand gewonnen. „Wenn du noch so müde bist, wieso bleibst du nicht einfach noch länger im Bett?“, lachte Liang, etwas entspannter. „Ich wollte dich sehen“, murmelte Julian unverständlich und vergrub seinen Kopf an Liangs Brust. Sanft streichelte der andere ihm über den Kopf, lächelte und genoss diesen Moment. Sie fühlten sich wohl, wie sie so aneinander geschmiegt dasaßen und einfach an nichts dachten, einfach nur ihre Nähe und Wärme austauschten. Nach einer Weile konnte man, wenn man ganz genau hinhörte, ein leises Schnarchen wahrnehmen. Liang musste sich sehr zusammenreißen, um nicht laut loszuprusten und damit unweigerlich Julian, der auf seinem Schoß erneut eingeschlafen war, zu wecken. Amüsiert strich er ihm ein paar Strähnen aus seinem Gesicht, um es besser betrachten zu können. Tatsächlich, wie ein kleiner Engel ruhte Julian mit geschlossenen Augen auf seinem Schoß. Fast wäre selbst Liang bei diesem Bild in Quieken aufgegangen, doch mit letzter Mühe konnte er sich noch beherrschen. Mit erhitztem Gesicht wendete er seinen Blick von dem Engelchen auf seinem Schoß und versuchte, sich mit dem Blick in die ruhigen Berge zur Ruhe zu zwingen. Auf einmal erwachte Julian wieder. Genüsslich streckte er sich, ehe er dann doch wieder in Liangs Schoß zurück plumpste. Er klammerte sich mit wohligem Lächeln an Liangs Brust, worüber dieser sanft schmunzelte konnte. Wie konnte er Julian auch böse sein! Das würde er wohl niemals sein. Und niemals würde er ihn töten. Sein Ausdruck verhärtete sich, als die unangenehmen Erinnerungen wieder kamen. Nein, dachte er grimmig, das würde er nicht tun. Niemals. Der Tag verging schneller, als Liang es erwartet hatte. Das lag wohl allein an den sonnigen Stunden, die er mit Julian verbracht hatte. Die beiden waren heute im Haus geblieben und haben sich dort ihre Zeit vertrieben. Als der Abend dann aber schon dämmerte, verkrampfte Liang. Er würde sich Thomas stellen, er würde nicht kneifen. Dennoch erfasste ihn eine gewisse Unruhe. „Aua, du tust mir weh“, rief Julian mit einem leicht schmerzlichem Ton aus. Sofort lockerte Liang seinen Griff um ihn. Der Ältere hatte, während sie so schweigend auf der Terrasse saßen wie am Morgen auch schon, unbewusst im Fluss der düsteren Gedanken seine Arme noch enger um Julian geschlossen. „Entschuldige.“ „Macht nichts, aber sag mir doch endlich, was los ist!“ Schmollend blickte der Kleinere den Größeren an. „Ich bin ja nicht blöd“, fügte dieser noch hinzu. Wieder nur ein entschuldigendes Lächeln von Liang. „Wieso kannst du es mir denn nicht sagen?“ „Vielleicht ein anderes Mal, ja?“ Julian sah ihn wütend an, ehe er sich erhob und lautstark in sein Zimmer stampfte. „Wie ich sehe ist er noch am Leben“, schlich sich plötzlich eine Stimme in den Raum, die Liang nie wieder hören wollte. Erschrocken drehte er sich zu Thomas um, der im Türrahmen zum Wohnzimmer stand. „Du...“, knurrte Liang, seine Laune sank sich augenblicklich. „Ja, ich. Und du scheinst mich nicht ernst zu nehmen, Junge.“ Mit bedrohlicher Miene kam er langsam an Liang heran. „Wieso lebt er noch?“ „Ich werde ihn nicht töten. Wieso soll ich jemanden töten, der keiner Fliege etwas zu Leide tut?“ Und den ich aus tiefstem Herzen liebe, fügte er im Stillen hinzu. Seine Stimme klang fest und sicher, obwohl er innerlich doch zitterte. Er versuchte, es nicht nach außen dringen zu lassen. „Ein störrisches Kind bist du! Gut, ich lasse dir noch den morgigen Tag, weil ich ja so nett bin. Aber länger nicht!“, zischte Thomas und verschwand dann wieder durch die Tür hinaus, wohin er ging, wusste wohl nur er. Nun merkte Liang, dass es Thomas wirklich ernst war. Aber ihm war es auch ernst. Dennoch musste er jetzt darüber nachdenken, wie er sein und Julians Leben erhalten konnte. Es konnte doch nicht so schwer sein, den Alten auszutricksen... Er holte tief Luft und dachte dann geordnet darüber nach, anders würde er, so gut kannte er sich schon, nicht weiterkommen, es würde eher alles in Kopfschmerzen und Chaos ausarten. Was hatte Thomas nochmal gesagt? Er wolle die Halskette Liangs als Beweis haben... Es wäre doch nicht so schwer, ihm ein Plagiat vorzusetzen, oder...? Liang krallte sich an diesen Gedanken. Sobald er ausgedacht war, setzte Liang sich gedanklich schon an einen Plan. Es dauerte nicht lange und er hatte alles bedacht, morgen früh würde er ihn umsetzen können, doch vorher stand etwas Wichtigeres an. Er sollte sich wieder mit Julian versöhnen. Julian hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen. Dort hatte er sich auf sein Bett geworfen, sich sein Kissen geschnappt, es umklammert und war immer noch sauer auf der Matratze hin und her gerollt, während er merkwürdige Geräusche des Zorns von sich gab. Wieso wollte Liang ihm das bloß nicht sagen? Hatte er etwa eine Affäre? Bei diesem Gedanken erstarrte Julian. Der Schock stand ihm klar ins Gesicht geschrieben, kalter Angstschweiß brach aus ihm heraus. Nein, das konnte nicht sein... oder? Er würde ihn doch nicht betrügen, oder? Oder? Frust entlockte Julian einen weiteren, bizarren Laut in sein Kissen. Was, wenn es wirklich stimmte? Oder machte er sich zu viele Gedanken? Hach, wieso konnte er es nicht einfach rausrücken? Dann hätte Julian diese fiesen Fantasien jetzt nicht, aber er bekam sie auch einfach nicht wieder heraus. Er seufzte, nun erschöpft von der ganzen Sache. Warum war auch alles so kompliziert? Da hörte er auf einmal, wie an seiner Tür geklopft wurde und die Person, die die Quelle all seines Herzschmerz war, sprach: „Julian?“ Es krampfte ihm allein bei diesem einem Wort das Herz zusammen. War es aus dem Mund eines Betrügers gekommen? „Kann ich hereinkommen?“ Julian wusste es nicht. Am liebsten würde er Liang auf den Mond schießen, andererseits würde er dadurch auch nichts Neues erfahren. Aber es würde ihn schmerzen, ihn zu sehen. Aber er wollte ihn doch sehen, wollte ihn umarmen, seine Wärme spüren... „Ich komme einfach herein, okay?“ Julians Herz klopfte wie wild, als sich leise die Tür öffnete und ein ihm wohlbekanntes Gesicht im Türspalt erschien. „Meine Güte, Julian! Du weinst ja!“ Liang eilte hastig zu ihm, als er die im Flurlicht glitzernden Tränenspuren sah, die Stirn in Falten gelegt. Jetzt merkte es auch Julian selbst. Tränen hatten seine Haut benetzt, doch wann hatte er angefangen zu weinen? Hatte er schon lange geweint? Er wusste es nicht. Schnell wischte er erst mit seinen Händen, und vergrub dann, nachdem er gemerkt hatte, dass es nicht sonderlich viel gebracht hatte, seinen Kopf wieder in sein Kissen. Es war auch feucht. „Was ist los?“ Julian ertrug die Besorgnis in Liangs Stimme fast nicht. Er schüttelte einfach nur den Kopf, schluchzte, obwohl er den Grund nicht kannte, nicht kennen wollte. Während er so seiner Verzweiflung freien Lauf ließ, schien auch Liang langsam zu merken, weshalb er weinte. „Es tut mir Leid.“ Behutsam umschloss der Größere den Kleineren. Zitternd lag dieser nun in seinen Armen, sanft wiegte er ihn hin und her. Jedoch wollte Julian nicht aufhören zu weinen. „S-sag mir doch en-endlich, was l-los ist!“, brachte er zwischen seinen Schluchzern hervor, auch wenn er die Wahrheit vielleicht gar nicht wissen wollte. Dennoch. Alles war besser als diese Ungewissheit. Sanft streichelte Liang ihm über den Kopf. „Ja, ist ja gut.“ Wie ein kleines Kind wiegte er ihn in seinen Armen, bis Julian sich einigermaßen beruhigt hatte. Er wischte sich hier und da noch eine Träne aus den Augen, sah den Älteren dann aber mit gefasster Miene an, auch wenn alles in seinen Gedanken alles andere als Gefasstheit herrschte, es war die reinste Achterbahn der Gedanken, auch wenn die Richtung meistens nach tief, tief unten zeigte. „Sag doch endlich was los ist!“ Liang zögerte. Er wollte Julian unter keinen Umständen mit hineinziehen. „Dann sag doch, was dich bedrückt.“ Diesmal weigerte Julian sich, seine Gedanken preiszugeben. Er kaschierte sein hochrotes Gesicht indem er dieses an die Brust des Anderen presste. Manchmal war er wirklich zu albern. „Na, dann sag ich es auch nicht.“ „Das ist fi-ies!“ Es klang wie ein erneuter Beginn von Weinen. „Ich kann dir aber etwas anderes sagen.“ „Und zwar?“ Julians Gesicht war leider noch nicht bereit, ihn anzusehen. „Ich liebe dich.“ Und Julian fing sogleich ein weiteres Mal an Tränen zu vergießen. Der Andere war jedoch vollkommen verwirrt von seiner Reaktion. Er hatte doch nichts Falsches gesagt, oder? In Julians Gedanken aber hatte die traurige Achterbahnfahrt eine schwungvolle Wendung nach oben gefunden, doch davon ahnte Liang nicht einmal etwas. Als Julian sich endlich dazu aufraffen konnte, wieder in Liangs Gesicht zu sehen, bemerkte er den fragenden Ausdruck sofort. „Ach, es ist nichts.“ „Wirklich? So wie du eben und eben davor geweint hast...“ Skeptisch musterte Liang ihn. „Ja, wirklich.“ „Sicher?“ „Jap.“ „Wirklich sicher?“ Liang rückte noch näher an Julian heran, prüfend blickte er in dessen Gesicht. Überrumpelt wollte der Jüngere sich zurückziehen, doch da spürte er auch schon das Körpergewicht Liangs auf sich ruhen. Völig perplex versuchte er, die Situation zu begreifen. Liang hatte Julian mit einem erleichtertem Seufzer umarmt und ihn dabei, aus Versehen, mit seinem Schwung endgültig auf das Bett gerissen. Nun lagen die beiden dort, Liang hatte seine Arme um Julians Hals geschlungen. „Dann glaube ich dir mal“, murmelte er in dessen Nacken, wohl wissend, dass er dies nicht mochte. Julian entfernte sich auf der Stelle von Liang, sein Gesicht hatte die Farbe einer äußerst reifen Tomate. „Mach. Das. Nie. Wieder“, brachte er immer noch knallrot hervor und wahrte einen Sicherheitsabstand. „Aber du reagierst immer so niedlich“, neckte Liang ihn. Darauf konnte der Kleinere nichts mehr erwidern. Er drehte sich beleidigt und mit einem gedanklichem Chaos von dem Größerem weg. „Ach komm, jetzt sei doch nicht so beleidigt.“ Liang sah seinen Vorteil, dass Julian seine Bewegungen nicht sehen und, im besten Fall, auch nicht hören konnte. Leise pirschte er sich an den immer noch eingeschnappten Jungen an und knuddelte ihn dann von hinten durch. Überrascht ließ Julian sich durch knuddeln, auch wenn er immer noch etwas sauer war. Aber Liangs Geruch, seine Wärme und einfach alles an dem Anderem ließ ihn sich geborgen fühlen. Sie genossen die Nähe ihres Liebsten. „Julian, möchtest du mit mir morgen in das Dorf fahren?“, fragte Liang dann. „Wieso nicht? Was möchtest du dort denn machen?“ Der Kleinere löste sich ein wenig aus seinem Griff, um ihn ansehen zu können. „Ach, ich dachte es wäre schön, eine ähnliche Kette wie du zu haben.“ „Ähm... okay?“ Julian verstand es zwar nicht ganz, aber es war ihm eigentlich auch egal. Seine Liebe war gegenseitig und das war es, was für ihn im Moment am wichtigstem war. Der Hahn kündigte den nächsten Morgen mit einem leicht heiserem Krähen an. Die Sonne war noch lange nicht an diesem Herbstmorgen bereit, sich zu zeigen, sodass Liang und Julian sich nicht sofort auf den Weg machen konnten. In der morgendlichen Dunkelheit, die auch noch von den Schatten der Bergen verstärkt wurde, machten sich beide fertig. Sie gingen nicht oft in das Dorf, sie hatten es eigentlich auch nie nötig. Doch heute wollten sie eine etwas... exzentrische Persönlichkeit besuchen, die ihre eigene Häuslichkeit so gut wie nie verließ. „Meinst du, sie wird eine Kopie machen?“, fragte Julian, während sie nebeneinander sitzend im Wohnzimmer auf das Grauen des Morgens warteten. „Naja, Kopie wohl eher nicht. Sie wird es wohl hier und da dann zu ihrer eigener Version machen.“ Und genau das bereitet mir Probleme, fügte er im Stillen hinzu. „Und sicherlich wird sie meinen Auftrag nicht ablehnen, ich habe ihr schließlich auch schon viel gemalt.“ „Deine Werke mag sie ziemlich gerne.“ Julian kuschelte sich an Liang, er war im Halbschlaf und war es überhaupt nicht gewohnt, so früh aufzustehen. Er hatte auch noch nie einen Sonnenaufgang erlebt. „Ja, aber meinen Charakter nicht“, lachte Liang trocken. Jedes Mal war es das reinste Vergnügen, sie zu besuchen. Sie nörgelte und nörgelte ohne Ende, wobei sie Julian in allen Tönen lobte. „Ich weiß auch nicht, woran es liegt“, seufzte Julian. Kurz darauf war er weggetreten, gleichmäßig atmete er ein und aus. Liang ließ ihn einfach schlafen, es war ja noch nicht so weit. Sie waren eigentlich nur so früh aufgestanden, weil Julian, der nun wieder friedlich schlief, endlich einmal den Sonnenaufgang sehen wollte. Aber er schaffte es nicht wirklich. Die Wanduhr tickte im rhythmischem Sekundentakt über der Tür. Nichts schien ihren ruhigen Lauf stören zu können, nichts brachte sie aus der Ruhe. Liang verstrickte sich in seinen eigenen Gedanken, darauf bedacht, Julian nicht mit irgendwelchen starken, impulsiven Bewegungen zu wecken. Er wagte es nur, seinen Kopf sanft zu streicheln, dabei stahl sich ein wohliges Lächeln auf beide Gesichter. Doch schon kitzelte der erste, verlockende Sonnenstrahl Liangs Wange. Der goldene Strahl rief Liang zu höchster Eile. Er nahm Julian hastig auf den Arm und hoffte, ihn dabei zu wecken, und hastete nach draußen. Julian wachte tatsächlich durch das viele Geruckel auf, war aber immer noch etwas schlaftrunken. Aber der Anblick, der sich ihm bot, schleuderte ihn endgültig aus dem Schlaf. Zwischen den zwei Bergspitzen, die direkt gegenüber der Terrasse waren, lugte zaghaft ein Strahl hervor, der das Tal in ein mystisches, goldähnliches Licht tauchte. Doch aus diesem Zögern wurde langsam ein immerfort schreitendes Höhersteigen. Die Sonne wagte sich aus ihrem Platz im Schatten der Berge an den Himmel, hoch und höher hinaus. Und keine Wolke trübte das sich erhellende Blau des Himmels. „So, fertig?“, fragte Liang lächelnd. Julian sah immer noch mit den großen, begeisterten Augen eines Kindes den Himmel mit ihrer hellen Scheibe an. Dieser schien erst jetzt aus seiner Starre zu erwachen. „Äh, ja, klar, sicher“, stammelte er vor sich hin. Er wurde ein wenig rot, weil ihm seine ausgeartete Begeisterung doch ein wenig peinlich war. „Okay, dann gehen wir jetzt los.“ Liang zog Julian, den er mittlerweile abgesetzt hatte, leicht an der Hand in Richtung Tür. Zusammen traten sie nach draußen und marschierten den Landweg zum Dorf entlang. Es war ein freundlicher Morgen, und, nachdem die Sonne sich gezeigt hatte, auch ein heller. Die Vögel hatten schon länger ihre lieblichen Lieder angestimmt, Bienen und Hummeln summten geschäftig durch die Wiesen. Es war ein idyllischer Morgen für einen wahrscheinlich weniger harmonischen Abend. „Liang? Alles in Ordnung? Du hast so eine komische Stirnfalte“, bemerkte Julian auf einmal und tippte diese Falte auf dem verbissenem Gesicht des anderem an. „Ach, wirklich?“ Liang beeilte sich, seine Stirn wieder zu glätten. „Besser?“ „Besser“, grinste Julian und hüpfte ein paar Schritte voraus. Da blieb er nachdenklich stehen. Er ahnte, dass Liang ihm etwas verschwieg, aber er hatte sicherlich einen guten Grund dafür, oder? Er konnte ihm doch vertrauen, oder? Er seufzte. Wieso musste alles manchmal so kompliziert sein? „Geht es dir nicht gut?“ Liang hatte seinen Seufzer gehört und legte seine Stirn sofort wieder in Sorgenfalten. „Ja, ja. Und hör doch mal auf, ständig diese Stirnfalten zu haben“, lachte Julian mit versuchter Fröhlichkeit. Dennoch schaute er kurz darauf unsicher in jede andere Richtung, in der er Liang nicht sehen musste. „Es tut mir leid.“ Überrascht schaute er doch in seine Richtung. Wofür entschuldigte er sich? „Aber... w-wieso denn?“ Völlig überrumpelt hatte er angefangen zu stottern. „Ich kann es dir noch nicht sagen. Ich bitte dich einfach darum, mir zu vertrauen, okay?“ Vorsichtig, ja zögernd schloss Liang den Kleineren in die Arme. Drückte ihn an sich. „D-du tust mir noch weh“, lächelte Julian traurig, sichtlich erdrückt von Liangs starken Schuldgefühlen. Eilig ließ dieser los und sah verlegen zu Boden. „Ich vertraue dir.“ Liangs Gesicht hellte sich wieder auf, jedoch blieb dieser gewisse Schatten als eine Stirnfalte. „Mann!“, beschwerte sich Julian daraufhin lautstark. „Was sagte ich nochmal wegen dieser Falte?“ „Ju-li-an!“, fiel sie dem Jüngstem der zusammengefundenen Dreiergruppe in die Arme. „Du besuchst mich schon so früh am Morgen? Wie komme ich an diese Ehre?“ Sie strahlte ihn regelrecht an, als sie ein gewisses Störobjekt ihrer Freude entdeckte. „Och mann, wieso hast du den denn auch mitgebracht? Dabei dachte ich, dass ich endlich...“ Sie sah ihn neckend an. „Verzeihung“, griff das Störobjekt mit dem Namen Liang Shen in das Gespräch ein, weil Julian in diesem Moment mit hochrotem Kopf undeutlich vor sich hin stotterte, „aber ich möchte dich um einen Gefallen bitten.“ „Achja?“ Sie sah ihn schnippisch an. „Worum geht es?“, gab sie dann nach. „Ich hätte gerne, dass du mir so eine ähnliche Kette wie die von Julian anfertigst.“ Er winkte den Kettenbesitzer zu sich heran und fischte mit einem spitzbübisch angehauchtem Lächeln die Kette aus Julians T-shirt Ausschnitt und zeigte sie ihr. „Hmm... Das sieht interessant aus. Was bekomme ich dafür?“ Sie musterte immer noch prüfend die Kette. „Na, eines meiner Bilder natürlich. Ich zeichne gerne eines, während du modellierst.“ Er grinste. „Es heißt nicht modellieren, das weißt du genau! Was ich mache ist wahre Kunst!“ Er hatte mit dieser Reaktion gerechnet und jedes Mal erfrischte sie ihn aufs Neue. „Es ist wirklich dein Charakter“, murmelte der arme Tomatenkopf, der von den beiden Älteren nur geärgert wurde. Liang tat hingegen so, als hätte er nichts gehört. „So, dann kommt mal rein in die gute Stube!“ Sie bedeutete den beiden, hinein zu treten. Nachdem sie in einem relativ kleinem Flur ihre Schuhe ausgezogen hatten und die Treppe, die ca. einen Meter vor der Eingangstür aus dem gleichen, hellbraunem Holz wie die Wände und der Boden gezimmert war, hochgegangen waren, fanden sie sich in einem großem, lichtdurchflutetem Raum wieder, in dem allerlei Zeug herumstand. „Liang, die Sachen stehen dort, wo sie immer sind. Wehe, du enttäuschst mich!“ Sie drohte ihm mit dem ausgestrecktem Zeigefinger, ehe sie Julian zu sich rief. „Und du kommst mit mir, ich brauche schließlich die Vorlage.“ Sie grinste ihn schelmisch an, als sie ihn verschleppte. Liang machte sich Sorgen, ob sie nicht etwas mit ihm anstellen würde, setzte sich dann aber seufzend auf seinen Platz in einer Ecke des Raumes. Die Leinwand stand schon auf der Staffelei, er drehte sie noch ein wenig so hin, dass er in den Raum und nicht aus dem Fenster schauen konnte. Dann begann er, die Grundfarben auf die Palette zu drücken, den Pinsel und andere Utensilien zurechtzulegen. Als alles stand, war er soweit. Es konnte beginnen. Ein Schub Kreativität durchströmte seinen Körper, als er seiner Fantasie freien Lauf ließ. Aus dem Zimmer mit den großen Panoramafenstern und hellbraunem Holzboden wurde ein Ballsaal mit großen Bogenfenstern, in das warmes Licht hineinschien. Holz wurde zu glattem, poliertem Stein mit Holzmaserung; auch versteinertes Holz genannt. Die Staffeleien verwandelten sich in Ballbesucher eines Balls, der tagsüber stattfand. Ein frohes Volksfest mit ebenso fröhlicher Musik schallte durch den Saal und beglückte die tanzenden Besucher. Einfach gekleidete Leute mischten sich unter die teuren Luxusleinwände und Farben wurden jedermanns Accessoire. Unbewusst fing er an, zu summen. „Die Kette legst du niemals ab, oder?“, fragte sie sicherheitshalber nochmal nach. Sie litt mit ihm, als er eine relativ ungemütlich gebückte Pose einnehmen musste, damit sie die beste Sicht hatte auf den Anhänger hatte. Sie waren in einem Raum, der weniger Tageslicht zu ließ. Er befand sich neben dem großem Raum und diente ihr als Ruhestätte für ihre, wie sie es nannte, „wahre Kunst“. Er verneinte und schüttelte den Kopf. Sie seufzte. „Dann muss es so klappen. Wir können auch Pausen machen, sag, wenn du nicht mehr kannst, okay?“ Er nickte. Dann schob sie hier und da ein Werkzeug zurecht, bevor ihre künstlerische Phase beginnen konnte. Als sie die Augen schloss und kurze Zeit später wieder aufschlug, wirkte sie wie verwandelt. Ein Ausdruck von höchster Konzentration lag auf ihrem Gesicht. Präzise begann sie, das Stück Keramik – eine einfache Scheibe, die der Größe der Kette entsprach – mit diversen Werkzeugen zu bearbeiten. Langsam, aber stetig formte sie ein Abbild, nein, ihr Abbild der Kette. Es verging gerade mal eine halbe Stunde, als Julian um eine Pause bat, weil sein Rücken das nicht mehr lange mitmachen würde. Verständnisvoll riss sie sich aus der Konzentration und machte etwas zu essen für die drei. Während sie nun in der Küche werkelte, trat Julian sich streckend in den Raum, in dem Liang sich befand. Dieser saß mit konzentriert-entspannter – er konnte es nicht richtig definieren – Miene vor der Leinwand, die sich nun langsam mit Farben gehüllt hatte. Soweit er es in Erinnerung hatte, war Liang gerade an der Grundierung dran. Um ihn nicht zu stören, schaltete Julian den Rückwärtsgang ein. Ab und zu warf er einen Blick nach hinten, damit er über nichts fiel. Leise entfernte er sich von ihm, als er auf einmal doch über etwas rücklings stolperte. Es polterte laut, Julian bereitete sich innerlich schon auf einen harten Aufprall vor. Da griff eine Hand nach einem seiner wild herum rudernden Arme, der letzte Versuch seinerseits, sein Gleichgewicht wiederzufinden. Ein kräftiger Ruck beförderte ihn wieder auf die Beine. Liang war sich rechtzeitig von seiner Arbeit aufgestanden und ihn aufgefangen. Nun kam er aber nicht drum, Julian in seine Arme zu ziehen. „Hoppala!“, rief er lachend aus, während er halb die Walzerhaltung einnahm. In seinen Ohren surrte immer noch leise Musik, die ihn erheiterte und seine Beine bewegte, seinen Körper in Schwung brachte und seine Laune auf einen Hochpunkt beförderte. Leicht errötet legte Julian nach einigem Überlegen dann doch seine Hand auf die Schulter des Größeren. Ihn störte es ausnahmsweise mal nicht, die Frauenrolle übernehmen zu müssen. Gelassen summend glitt das Paar beinahe über die Fläche des Raumes, irgendwann summte Julian mit Liang. Es herrschte eine gelassene Ball- oder Feststimmung, sie waren so miteinander beschäftigt, dass sie in all ihrer Fröhlichkeit und all ihren manchmal ausgetauschten Zärtlichkeiten nicht bemerkten, wie sie den Raum betrat. Sie nippte an einer dampfenden Tasse dunkler Schokolade und beobachtete die beiden lächelnd. Dann überbrückte sie leise die Distanz zwischen ihr und der Staffelei, auf die sie sonst keinen Blick werfen dürfte. Die Regeln eines Künstlers waren ziemlich eindeutig: Kein Werk darf beim Entstehen gesehen werden. Nun brach sie die eiserne Regel aus Neugierde, was den doch eher zurückhaltend stillen, jungen Mann dazu brachte, in solcher Freude aufzugehen. Mit ausdrucksloser Miene sah sie sich das Bild an, auch wenn sie sich innerlich wie ein Honigkuchenpferd freute. Es war ein schönes Bild, auch wenn es noch nicht fertig war. Ihr stachen zwei Personen, die im Hintergrund waren, ins Auge. Nun musste sie doch wieder grinsen. Sie wusste nicht, ob es Liang bewusst war, dass er sich und Julian in diese Szenerie gesetzt hatte. „Danke, Mica. Die Kette ist wirklich schön geworden.“ Liang hielt die Kette, die der Julians sehr ähnelte und die nun um seinen Hals baumelte, in das goldene Abendlicht. „Das will ich wohl hoffen! Ich habe schließlich einen ganzen Tag damit verbracht“, erwiderte sie schnippisch, jedoch auch nicht ganz ohne Stolz auf ihr vollbrachtes Werk. „Dein Bild ist aber auch nicht schlecht.“ Sie hatte ihre Beobachtung keinem der beiden erzählt und es schien auch niemand anderem aufgefallen zu sein. Egal, sie mussten es ja nicht unbedingt wissen. „Danke auch von mir“, lächelte Julian. Sein Nacken schmerzte zwar ein wenig, aber das war es wert. Liang und er trugen ähnliche Ketten! Das grenzte an Paarketten oder Partnerlook. „Gern geschehen!“ Sie nahm seine Hände und schüttelte sie lachend. „Kommt mich doch mal wieder besuchen, ja?“ „Gerne!“, rief Julian aus, auch er stimmte in ihr fröhliches Lachen ein. Liang stand etwas abseits und lächelte nur. Sie fragte sich insgeheim, ob es derselbe war, der mit Julian so vergnügt und innig durch das Atelier getanzt war. „So, dann bis bald!“ Julian winkte ihr noch einmal zu, ebenso Liang, ehe sie beide den Weg nach Hause einschlugen. Sie winkte ihnen auch noch eine kurze Weile nach, verschwand dann aber wieder in ihr Haus. Sie hatte ein Bild aufzuhängen und sie war auch versucht, diese zwei Menschen im Hintergrund irgendwie einzukreisen, ließ es aber sein. Die Erinnerung, dass sie da waren, musste genügen. „Heute war ein toller Tag!“ Julian streckte sich im abendlichem Licht. Sie waren heute den ganzen Tag außer Haus gewesen. Mit einem Hauch von Rot dachte er an den Tanz mit Liang. Ihn wunderte es immer noch, wie er so fröhlich und locker sein konnte, doch es verunsicherte ihn nicht. Er wollte ihn öfter so sehen, noch viel, viel öfter. „Ja“, sagte auch Liang nach einer Weile. Sein Lächeln war mit jedem Schritt ein wenig verblasst, ihm machte wieder ein trüber Ausdruck der Sorge Platz. Nun, da die Musik in seinem Kopf aufgehört hatte zu spielen, kehrten seine alten Sorgen wieder zurück. Angespannt verkrampfte er seine Hand, in der Julians lag. „Liang, du tust mir weh“, kam es abrupt von Julian. Ruckartig ließ Liang los, ein entschuldigender Ausdruck lag auf seinem Gesicht. „Mann, Liang!“ Ohne ein weiteres Wort sagen zu müssen, glättete der Angesprochene seine Sorgenfalte. Daraufhin brach Julian in ein Kichern aus, welches rasch zu einem herzhaftem Lachanfall wurde. Liang wusste nicht wieso, aber als er sah, wie Julian sich vor Lachen den Bauch hielt und den befreienden, wunderbaren Klang von seinem Lachen hörte, überkam es ihn auch. Lachend und Lachtränen weinend gingen sie die Landstraße bis zu ihrem zu Hause entlang, während ihre Hände fest ineinander geschlungen waren, als würden sie sich nie wieder los lassen wollen. Doch bald nahm der Ernst des Lebens wieder die Oberhand. Liang bat Julian, in sein Zimmer zu gehen, und nicht vor morgen wieder herauszukommen. Etwas skeptisch und neugierig erklärte er sich einverstanden, auch wenn er sich wohl heimlich raus schleichen würde. Nun wollte er doch endlich wissen, was es mit dieser Heimlichtuerei auf sich hatte. Während Julian sich erst einmal in sein Zimmer zurückzog, tigerte Liang im Wohnzimmer auf und ab. Die Kette hatte er sich inzwischen vom Hals genommen und hielt sie in der Hand. Wann würde Thomas endlich kommen, damit er das endlich hinter sich hatte? Aber warte. Was würde er danach machen? Er konnte Julian nicht den Rest von Thomas' Leben verstecken. Da wurde ihm auch die Zeit, darüber nachzudenken, genommen. Erneut stand Thomas in der Tür, blickte erleichtert auf die Kette in Julians Hand. „Du hast es also vollbracht.“ Er lächelte zufrieden. „Das hätte ich aber als allerletztes von dir gedacht“, gab Thomas dann zu. Liang starrte ihn die ganze Zeit einfach nur hasserfüllt an, in seinem Inneren regte sich ein Hauch Genugtuung. Er ahnte ja nicht, dass Julian noch lebte. „Naja, jedenfalls ist dieser Bengel Julian also endlich tot. Jetzt habe ich meine Ruhe.“ Er hatte sich inzwischen hingesetzt und entspannt die Augen geschlossen, die Kette wollte er gar nicht näher betrachten. „Du wolltest was?“, rief dann plötzlich eine laute, sehr vertraute Stimme. Julian stand dort, wo eben noch Thomas gestanden hatte. Sein Gesicht war mit Zorn und Hass erfüllt. Wann war er dorthin gekommen? Wie viel hatte er mitbekommen? „I-ich? N-nichts“, stotterte Thomas vor sich hin, fassungslos starrte er regelrecht auf den quicklebendigen Jungen. Hatte Liang gelogen? Ja, so musste sein. Aber woher kam die Kette? Missmutig blickte er auf die Kette, die gerade überdeutlich um seinen Hals baumelte und auf das geschickte Plagiat. Erst bei näherem Betrachten erschloss er, dass es zwei unterschiedliche waren. Sofort war ihm klar, wer dieses Plagiat angefertigt hatte. Es gab nur eine Person im Umkreis, die solche Werke so anfertigte. Auch in ihm hatte sich mit dem Fortschreiten seiner Gedanken Hass aufgestaut. „Ach wirklich?“, schnitt Julians Stimme durch den Raum. „Du hast Liang dazu gezwungen, mich zu töten!“ Ihm war alles klar geworden. Alles erschien ihm klar vor seinen Zorn erfüllten Augen. Der Grund, weshalb Liang diese Kette anfertigen ließ. Wieso er die letzten Tage so merkwürdig war. „Ja, was regt dich denn so auf?“, fragte Thomas betont ruhig. Ihm wurde wieder die Gefährlichkeit seiner Situation bewusst, als seine Hand unwillkürlich zuckte. „Ich denke, dass weißt du ganz genau“, knurrte Julian. Sein Wunsch hatte sich schon entfaltet. Langsam und mit gequältem Gesichtsausdruck näherte sich Thomas dem Kamin, nahm kalte, schwarze Asche und rieb sich damit ein. Liang verfolgte diese Prozedur mit Staunen. Was hatte Julian nur vor? Bald war Thomas ganzer Körper mitsamt seiner teuren Kleidung voll von den schwarzen Überresten der warmen Abende am Kamin. Nur feine Spuren dort, wo Tränen sich einen Weg durch den Ruß gebannt hatten, sah man Spuren von sauberer Haut. Nun hinterließ er eine feine Spur aus schwarzen, sehr feinen Körnern, als er in die Küche ging. Mit immer noch fuchsteufelswildem Blick folgte Julian ihn. Was zur Hölle hatte er sich gewünscht? Für Liang war es immer noch ein einziges Rätsel. Er würde Thomas doch nicht dazu bringen, sich selbst umzubringen, oder? Liang packte Julian am Arm. „Julian, was hast du mit ihm vor?“ Er sah ihn besorgt an. „Was sollte ich schon mit ihm vorhaben?“ Julians Verstand klärte sich allmählich wieder. Als es ihm wie Schuppen von den Augen fiel, wurde ihm das Ausmaß seiner Handlung bewusst. „Was hattest du mit ihm vor?“, fragte Liang noch einmal, nun sehr besorgt. Er hasste Thomas zwar wie die Pest, aber seinen Tod konnte er nicht verantworten. „Ich-“ Julians Erklärung wurde überfällig, als Thomas laut aufschrie und in der Küche herum hampelte wie ein Irrer. Schnell eilten die beiden nach, um nachzusehen, warum er so schrie. Thomas hantierte in der Küche herum, sprang wild auf und ab, fächelte sich mit der Hand Luft zu und weinte. In seiner anderen Hand hielt er etwas Rotes, Langes. „Ähm... Du hast ihn jetzt nicht ernsthaft...“ Liang sah Julian ungläubig an, der sich hinter einer hochroten, trotzigen Miene versteckte. „Was denn? Das war eben mein erster Einfall“, verteidigte sich der Angeklagte, während das Opfer immer noch auf der Suche nach etwas war, das seinen brennenden Rachen lindern würde. „Du bist echt unglaublich.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)