Chihiro und Kohaku von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 11: Der See im Wald II ------------------------------ Hallo zusammen, hier ist das neue Chihiro Kapitel. Mann, jetzt sind es schon über 50000 Worte und ich wollte doch vielleicht so maximal 30000 Worte schreiben und längst fertig sein. Aber irgendwie krieg ich die Geschichte nicht so recht vorwärts und es fallen mir immer noch Sachen ein, die ich erzählen muss, bevor die beiden sich endlich kriegen können. Hach, ist das alles kompliziert, das Erzählen und Schreiben und sowieso alles! Pazu Der See im Wald II Chihiro schlief in dieser Nacht äußerst schlecht, träumte immer wieder von dem roten Gebäude im Wald, dem Tunnel, der hindurch führte, dem Wartesaal auf der anderen Seite, wo auch immer das sein mochte, und der wunderbaren Landschaft dort. Mehrfach schreckte sie mitten in der Nacht hoch, mit stark klopfendem Herzen und dem heftigen Gefühl, dass sie kurz davor war, sich an etwas wesentliches zu erinnern. Als sie am Sonntagmorgen aufstand, hatte sie leichte Kopfschmerzen und war so entsetzlich müde, dass sie überhaupt keine Lust verspürte, mit Ayaka und Ichiyo den ganzen Tag lang zu pauken. Aber es half nichts, sie würde sich zusammenreißen müssen. Eine halbe Stunde vor Zehn versuchte sie noch einmal wie Tags zuvor einen Papierschnipsel durch den Raum schweben zu lassen, aber sie konnte sich vor Müdigkeit kaum konzentrieren und es gelang ihr nicht. Überhaupt schien ihr der gestrige Tag bereits so unwirklich, dass sie zweifelte, ob nicht alles doch nur Einbildung gewesen war. Während der ganzen Zeit, nachdem Ayaka und Ichiyo dann gekommen waren und sie miteinander lernten, war sie an diesem Tag sogar noch hibbeliger als ihre Freundin. Ichiyo musste die beiden andauernd wieder zur Raison rufen, was aber selten länger als eine halbe Stunde vorhielt bevor entweder Chihiro oder Ayaka zu gibbeln anfingen. Gegen fünf Uhr am Nachmittag machten die Drei sich wie am Samstag auf, um noch einmal zu versuchen zum See zu gelangen und dort ein wenig zu planschen. Leider war das Wetter längst nicht so schön wie am Tag zuvor, der Himmel war bedeckt und es war bei vielleich 25 °C drückend schwül. Im Wald herrschte eine leicht dämmerige gedrückte Stimmung und es war wesentlich Stiller als am Vortag, als hätte sich die Stimmung auch auf die Tiere und Vögel übertragen. Da Chihiro versichert hatte, dass sie sich weigern würde noch einmal durch den Tunnel zu gehen, um auf die andere Seite des roten Gebäudes und so zum See zu gelangen, schlugen sich die Drei frühzeitig in die Büsche und trafen in etwa dort auf den Bach, wo Chihiro Ayaka vor fast einem Jahr das erste mal getroffen hatte. Diesem Bachlauf folgten sie, was sich als schwieriger erwies, als sie gehofft hatten, denn mehrfach mussten sie sich durch dichtes Unterholz kämpfen oder über umgestürzte Bäume klettern. Chihiro hatte dabei erstaunlicherweise die geringsten Probleme, weil sie sich als kleinste und dünnste am ehesten überall hindurchquetschen konnte. Auf einmal, nachdem sie sich durch ein weiteres Gebüsch geschlagen hatten, öffnete sich der Wald in eine große Lichtung von ca. einem Kilometer Durchmesser, in deren Mitte sich der See befand. Rechts von ihnen, etwa hundert Meter entfernt, mündete der Weg, der durch das rote Gebäude und den Tunnel hindurch sie gestern ebenfalls zum See hätte führen sollen. Eingefasst war das in der leicht trüben Stimmung an diesem Tag wie verwunschen wirkende Gewässer von wild wucherndem Schilf und Bambusgras. An einigen Stellen allerdings reichte die Wiese, die sich zwischen dem Waldrand und dem Ufergürtel auf vielleicht zehn bis zwanzig Metern erstreckte, auch direckt bis an das Wasser heran. An einer dieser Stellen liessen sie sich nieder, breiteten ihre Badetücher aus und entledigten sich der Kleidung, unter der sie ihre Badesachen trugen. Chihiro machte sich zunächst daran, ihren aufgekommenen Hunger mit ein paar Reisbällchen und einer Tafel Schokolade zu stillen, während Ayaka und Ichiyo sofort in den See sprangen, und begannen dort sofort wild zu planschen. "Chihiro, komm doch auch ins Wasser.", rief Ayaka nach einer Weile, nachdem Chihiro mit ihrem Imbiss fertig war und den beiden auf ihrem Badetuch hockend beim planschen zusah, "Los komm schon, das Wasser ist angenehm warm." "Genau Chihiro, es macht richtig spass!", schloss sich Ichiyo an und liess sich demonstrativ vornüber der Länge nach ins flache Wasser platschen. Chihiro hatte jedoch überhaupt keinen Bock ebenfalls Nass zu werden, denn während sie gegessen hatte, war ihr die Frage, wie denn wohl die andere Seite des roten Gebäudes aussähe, nicht mehr aus dem Sinn gegangen. "Hört mal, ihr beiden, ich hab jetzt keine Lust zu baden, ich schaue mich mal ein wenig hier um.", informierte sie deshalb Ayaka und Ichiyo. "Na gut Chihiro, dann eben nicht.", rief Ayaka zurück, wobei sie Ichiyo ins Wasser stiess, "Aber verschwinde nicht einfach so, wie gestern." Chihiro war bereits aufgestanden und ging in Richtung des Weges. "OK, aber fangt bloss nicht wieder an, nach mir zu suchen.", erwiederte sie. Langsam ging sie den Weg entlang, sah sich neugierig um und liess die Umgebung auf sich wirken. Alles erschien ihr, als währe es wie in einem Traum, als währe es nicht wirklich real. Sie kam um eine Biegung des Weges und dann sah sie auch schon nicht weit entfernt das rote Gebäude. Es sah im Grossen und Ganzen genau so aus, wie von der anderen Seite, erstreckte sich rechts und links in den Wald hinein, hatte im Obergeschoss eine Reihe von Fenstern und in der Mitte war der Ausgang des Tunnels, vor dem ebenso wie auf der anderen Seite, eine grinsende Steinstaue Wache hielt. Nachdenklich kam Chihiro näher. Wieso waren Ayaka und Ichiyo offenbar hier heraus gekommen, während sie in diesem Wartesaal gelandet war, überlegte sie. Das ergab alles doch überhaupt keinen Sinn. Was wohl passieren würde, wenn sie von dieser Seite durch den Tunnel gehen würde? Chihiro trat direkt vor den Tunneleingang und fast sofort begann ein Sog einzusetzen, wie sie ihn auch von der anderen Seite her kannte. Sie atmete einmal tief ein, machte zögerlich einen Schritt in den Tunnel hinein, noch einen und war kurz darauf mitten im Tunnel. Da sie nun schon einmal so weit gekommen war, ging sie auch den Rest des Weges und betrat zu ihrer Verwunderung den Wartesaal durch die rechte der drei Öffnungen an der Rückwand des Raumes. Diesmal verspürte sie jedoch keine Furcht mehr, denn nach dem gestrigen Tag hatte sie mit so etwas fast gerechnet, sondern ihre Neugier gewann die Oberhand. Dass sie irgend wo anders war, als in der Nähe des Waldsees, zeigte sich daran, dass der Himmel außerhalb des Wartesaales unter dem Uhrenturm strahlend blau, die Luft angenehm und würzig war und eine herrliche laue Brise wehte. Das alles interessierte sie jedoch nicht besonders, sie nahm es eher beiläufig zur Kenntnis. Viel wichtiger schien ihr die Frage, was geschehen würde, wenn sie wieder durch eine der drei Öffnungen in der Rückwand des Wartesaales ging. Wo würde sie dann hin gelangen? Entschlossen marschierte sie durch die mittlere der drei Öffnungen, wobei sie unwillkürlich an die andere, die dem See abgewandte Seite des Gebäudes mitten im Wald dachte. Und siehe da, kurz darauf kam sie genau auf der Seite aus dem Tunnel, an die sie gedacht hatte. Chihiro konnte mittlerweile gar nichts mehr überraschen, so dass sie auch keine Angst mehr hatte, sondern das Ganze eher spannend und irgendwie lustig fand. Scheinbar musste sie sich nur vorstellen, zu welcher Seite des Gebäudes sie wollte, und konnte dann einfach durch den Tunnel dorthin gehen. Aufgeregt über die Entdeckung umrundete sie den Grinsestein einmal und trat dann wieder an den Tunneleingang heran. Konzentriert stellte sie sich die andere Seite des Gebäudes vor, auf welcher der Waldsee lag und trat dann in den Tunneleingang hinein. Nichts geschah, kein Sog setzte ein, genau wie sie gehofft hatte. Angestrengt versuchte Chihiro das andere Ende des Tunnels zu erkennen, um zu erkennen, ob der Ausgang nun am Waldsee mündete oder im Wartesaal, hatte jedoch keinen Erfolg. Was soll's, dachte sie bei sich, marschierte in den Tunnel und gelangte kurze Zeit später in die trübe Abendstimmung auf der anderen Seite des Gebäudes am Waldsee. Chihiro sah sich genau um, konnte jedoch keine Veränderung gegenüber vorhin feststellen, als sie den Tunnel betreten hatte, und die Statue vor dem Eingang grinste beflissen nach Vorne und Hinten. Irgendwie schien dieser Durchgang durch das rote Gebäude eine Art Tor zu sein, überlegte sie, und es bringt mich an die Seite des Tunnel, an die ich gerade denke. Nein, das konnte auch nicht ganz richtig sein, schließlich hatte sie eigentlich an gar nichts gedacht, als sie mit ihren Eltern vor einem Jahr dort hindurch gegangen war, denn damals hatte sie den Wartesaal ja noch gar nicht gekannt. Und genau so war es ja auch gestern gewesen. Trotzdem hatte das "Tor" sie in diesen Wartesaal gebracht, obwohl sie gar nicht dorthin gewollt hatte. Sie drehte sich um, dachte an den Wartesaal und trat in die Tunnelöffnung. Sofort setzte der Sog ein, schien sie hereinziehen zu wollen. Schnell trat sie einen Schritt zurück, woraufhin der leichte Sog sofort aufhörte. Mehrfach wiederholte sie das Experiment und achtete dabei auch besonders auf den gegenüber liegenden Tunnelausgang. Jedes Mal, wenn sie in die Tunnelöffnung trat und an den Wartesaal dachte, setzte augenblicklich der leichte Sog ein und der Tunnelausgang schien kurz zu verschwimmen, als ob sich ein Durchgang, ein Tor öffnen würde. Dachte sie jedoch an den Ausgang im Wald, geschah nichts. Merkwürdigerweise öffnete sich das Tor aber auch, wenn Chihiro an irgendetwas anderes als an die Gegenseite dachte. Noch merkwürdiger allerdings fand sie, war dass Ayaka bereits mehrfach durch diesen Tunnel gegangen war, ohne dass etwas passiert war, und Ichiyo war ja gestern auch hindurch gegangen ohne im Wartesaal zu landen. Vielleicht öffnete sich der Durchgang ja auch nur für sie selbst. Vielleicht währen ihre Eltern im letzten Jahr ja gar nicht dort hin gelangt, dachte sie erschrocken, wenn sie brav im Auto sitzen geblieben währe, wie ihre Mutter es gesagt hatte und sie nicht alle mehr als zwei Wochen verschwunden. Sollte sie Ayaka und Ichiyo von ihrer Entdeckung erzählen? Gestern Abend hatten sie ihrer leicht wirren Geschichte zwar höflich zugehört, doch hatten sie ihr auch wirklich geglaubt? Nein, sie musste es den beiden zeigen. Wenn sie nachher nach Hause gingen, würde sie zustimmen, den kurzen Weg durch den Tunnel zu nehmen, anstatt wieder den Bach entlang durch das Unterholz zu tapern. Beim Durchgang durch den Tunnel würde sie dann an den Wartesaal denken, um den beiden zu zeigen, dass alles was sie gestern erzählt hatte, der Wirklichkeit entsprach. Wenn es klappte konnte sie den beiden den Wartesaal unter dem Uhrenturm zeigen, die Wiesen und die wunderbare Landschaft dort. Wenn es nicht klappte, würde niemand etwas bemerken, außer ihr selbst natürlich. Chihiro holte einmal tief Luft um sich zu sammeln, drehte sich um und marschierte entschlossen zu Ayaka und Ichiyo zurück. Die beiden hatten inzwischen das Wasser verlassen und spielten am Waldrand Fußball, was hieß, dass Ayaka den Ball schießen durfte und Ichiyo im Tor stehend, welches von zwei jungen Bäumen gebildet wurde, den Ball halten musste. Ichiyo erblickte sie zuerst. "Hallo Chihiro, da bist du ja wieder." Er winke ihr zu und machte so auch Ayaka auf sie aufmerksam. Diese hatte sich gerade den Ball zurecht gelegt, war ein paar Schritte zurückgegangen, um Anlauf zu nehmen, als Chihiro näher kam. "Mann, du hast dich aber lange umgesehen.", meinte sie leicht spöttisch, "Du warst ja mindestens 'ne Stunde weg." Damit rannte sie los und zimmerte den Ball an dem überraschten Ichiyo vorbei ins Tor. "O entschuldige Ayaka, ich hatte einen Moment lang nicht aufgepasst.", entfuhr es Ichiyo sofort automatisch, so dass die Mädchen zuerst ihn und dann einander verblüfft anblickten, bevor sie gemeinsam begannen loszukichern. "Verzeihung, habe ich irgend etwas falsch gemacht?", fragte er verwirrt. "Nein, du hast nichts falsch gemacht, Ichiyo, du sollst dich nur nicht dauernd entschuldigen, wenn du gar keine Schuld hast. Ich hab doch geschossen, weil ich gesehen hatte, dass du noch nicht fertig warst, um dich zu überraschen.", erbarmte sich Ayaka einer Erklärung und Ichiyo wurde sofort knallrot, weil er wieder mal ins Fettnäpfchen getreten war. Er tat Chihiro leid und so warf sie Ayaka einen strengen Blick zu, als diese spontan erneut losprusten wollte. Ayaka riss sich dann auch zusammen, holte den Ball aus dem Wald zurück und legte ihn wieder auf die Abschussposition. Weil sie wieder Hunger bekommen hatte, holte Chihiro sich noch etwas zu Essen aus ihrem Rucksack, und sah dann den Beiden beim Ballspielen zu. Sie war erstaunt, wie flink und geschmeidig Ichiyo war, wenn er sich bewegte. Wenn man ihn so sah, schmächtig und mit Brille, traute man ihm sportlich nicht viel zu, was auch für ihn selber zu gelten schien, aber er war wirklich flink und schnellkräftig. Reaktionsschnelligkeit allerdings schien nicht seine große Stärke zu sein, aber sobald er einmal sein Ziel anvisiert hatte, federte er präzise darauf zu, war jedoch meisten etwas zu langsam, weil er einfach zu spät reagiert begonnen hatte. Ayakas Bewegungen erinnerten Chihiro eher an die von Jungen, so richtig burschikos waren sie. Sie machte kräftige, weit ausholende Bewegungen, die für ein Mädchen völlig untypisch waren, und besaß eine Ausstrahlung aggressiver Souveränität. Wenn sie keine Zöpfe gehabt hätte, würde Chihiro sie für einen Jungen gehalten haben. Schuss um Schuss gab Ayaka auf das Tor ab, wobei sie meistens Siegerin blieb und Ichiyo überwand. Erneut startete sie, traf den Ball hart und satt, so dass er genau in Richtung von Ichiyo Kopf flog. Dieser machte vor Schreck eine rudernde Bewegung, erwischte den Ball noch irgendwie und lenkte ihn so von seinem Kopf ab. Der Ball prallte daraufhin gegen den linken Baum des Tors und von dort geradewegs in Chihiros Gesicht, die keine Chance hatte, zu Reagieren. Mit einem dumpfen "Poff" prallte er dann von ihrem Kopf fort, wurde hoch hinaus in die Luft geschleudert und landete etwa 70 bis 80 Meter weiter draußen auf dem Wasser im See. Völlig perplex stand Chihiro mit offenem Mund da. Eigentlich müsste es jetzt weh tun, dachte sie, in Erwartung des Schmerzes, der aber nicht kam. Dann wurde ihr bewusst, dass sie den Aufprall des Balles gar nicht gespürt, sondern nur einen leichten Luftzug gefühlt hatte, als ob der Ball sie überhaupt nicht berührt hätte. "Chihiro, Chihiro, hast du dir weh getan?", schrie Ayaka mit Panik in der Stimme, rannte zu ihr hin und nahm sie in den Arm. Aus eigener schmerzvoller Erfahrung wusste sie, wie weh ein Volltreffer mit einem Fußball im Gesicht tun konnte. Chihiro schüttelte den Kopf. "Keine Sorge Ayaka, es hat nicht weh getan. Ich habe kaum etwas gespürt.", beruhigte sie ihre Freundin und Ichiyo, der inzwischen auch zu ihr herüber gekommen war, legte seine Hand auf ihre Schulter und sah ihr besorgt in die Augen. "Es war genauso, wie letztes Jahr.", sagte er leise, "Weißt du, als Bunzo, dieser Blödmann, dir die Ohrfeige gegeben hatte." Ayaka und Chihiro sahen ihn fragend an. "Was meist du damit?", wollte Ayaka wissen, "Was hat denn eine Ohrfeige mit einem Ball zu tun?" "Na ja, ich stand bei der Ohrfeige doch genau hinter Chihiro.", erinnerte er sich, "Und als Bunzo sie traf, das leuchtete ihr Haarband kurz violett auf. Chihiros Kopf aber hatte sich gar nicht gerührt, obwohl Bunzo sich bei dem Schlag die Hand geprellt hatte." "Ja? Ist das so gewesen?", wunderte sich Chihiro, die von Ayaka inzwischen aus der Umarmung entlassen worden war, "Ich kann mich gar nicht an die Ohrfeige erinnern, mir war vor lauter Hunger vorher schon ganz schlecht und dann bin ich deswegen auch umgekippt." "Genau so ist es gewesen.", meinte Ichiyo, "Genau wie jetzt. Ich habe es aus dem Augenwinkel gesehen, aber es war eindeutig. Als dich der Ball traf, leuchtete dein Haarband auch wieder violett auf und schau doch mal, wo der Ball gelandet ist, mit welcher Wucht er weggeflogen ist. Er ist mit viel größerer Wucht von dir weggeprallt, als er dich getroffen hat." Alle Drei sahen sich nach dem Ball um, der in etwa 100 m Entfernung auf dem Wasser im See trieb. "Du hast recht. So weit kann ich den Ball gar nicht schießen.", erkannte die verblüffte Ayaka, "Ich schaff es vielleicht vom Strafraum bis zu Mittellinie, also vielleicht 30 m. Aber soo weit...." Sie wandte sich wieder Chihiro zu. "Zeig doch mal her dein Haarband.", forderte sie. Bereitwillig gab sie es Ayaka, die es eingehend betrachtete. "Mann, mir war ja noch nie aufgefallen, wie hübsch es ist.", staunte sie, "Wo hast du das denn bloß her? Vielleicht kann ich da ja auch welche für meine Zöpfe kriegen." "Ich weiß nicht, wo ich es her habe.", meinte Chihiro, ganz genau beobachtend, was Ayaka damit anstellte. "Wie, du weißt es nicht?", zweifelte sie überrascht, "Das kann doch gar nicht sein. So was vergisst man doch nicht." Aber Chihiro zuckte bloß mit den Schultern. "Also gut, dann wollen wir das mal ausprobieren.", bestimmte Ayaka dann, "Ich mach mir das Teil in die Haare und dann wirft Ichiyo mir den Ball gegen den Kopf. Dann werden wir ja sehen, ob es was bewirkt." "Ja aber, und was ist, wenn ich dir weh tue?", wandte Ichiyo zögernd ein, während Ayaka das Haarband um ihren linken Zopf machte. "Blödsinn! Das schaffst du nie.", protzte die jedoch voller Selbstvertrauen, "Ich hab' mindestens schon tausend mal einen Ball geköpft und weh getan hat das noch nie, außer ich hab' ihn auf die Nase gekriegt. Aber jemand müsste mal den Ball holen, hmmm." Womit sie Ichiyo unverwandt anblickte. "OK, ich geh ja schon.", beeilte dieser sich zu sagen, drehte sich um, rannte zum See und ins Wasser. Er musste viel weiter raus in den See, als beim Planschen zuvor gewesen war, so weit, dass er schwimmen musste. Und so dauerte es eine Weile, bis er den Ball zurück geholt hatte. "So, du wirfst mir jetzt den Ball zu und du, Chihiro, guckst, ob das Haarband was macht, leuchtet oder so.", kommandierte Ayaka dann, stellte sich vor das "Tor" und ging in Stellung für den Kopfball. Vorsichtig warf Ichiyo ihr den Ball von unten ausholend zu, während Chihiro das Haarband nicht aus den Augen ließ. Zielsicher traf sie den Ball und beförderte ihn unter lautstarkem Jubeln zwischen die beiden Bäume, die das Tor markierten. "Tooooor, Toooor!!! Und hiermit hat Ayaka Fukazawa das Golden Goal geschossen und damit den WM-Titel für Japan gesichert.", kommentierte sie lautstark ihren "Erfolg". Dann drehte sie sich mit einem Ruck zu Chihiro und fragte: "Und? Hat das Haarband irgendwie geleuchtet?" Diese schüttelte den Kopf. "Na ja, irgendwie hat sich der Kopfball auch angefühlt wie immer.", meinte Ayaka, "Aber so schnell wollen wir nicht aufgeben. Ichiyo! Wirf den Ball diesmal doller. So kann den ja ein Baby köpfen." Sie probierten es noch mehrere Male und jedes mal wurde Ichiyo mutiger, als er sah wie sicher Ayaka den Ball beherrschte, und warf ihn heftiger. Aber es passierte überhaupt nichts, die Kopfbälle fühlten sich an wie immer und das Haarband weigerte sich einfach zu leuchten. Dann aber hatte Chihiro eine Idee. Vielleicht war es ja so ähnlich wie bei dem Tunnel durch das rote Gebäude, dachte sie. Das Haarband machte, was sein Träger wollte, genauso wie der Tunnel sie an den Ort brachte, an den sie dachte. Wenn also Ayaka den Ball köpfen wollte, ließ das Haarband das auch zu und wurde nicht aktiv. Aber bei Bunzos Ohrfeige und bei dem Balltreffer vorhin, hatte sie nicht getroffen werden wollen und war zudem auch überrascht worden. Also hatte das Haarband sie irgendwie beschützt, Bunzos Hand und den Ball irgendwie abgewehrt. "Ayaka, du musst die Augen zu machen und darfst nicht versuchen den Ball zu köpfen.", schlug sie daraufhin vor, "Sonst funktioniert es wahrscheinlich nicht." Wenn Ayaka die Augen zu machte, würde sie den Ball nicht köpfen wollen, weil sie ihn nicht sehen könnte, und sie wüsste auch nicht, wann der Ball sie träfe, so dass er sie überraschen würde. Dann währe die Situation sie gleiche, wie bei den beiden Malen, wo es bei ihr funktioniert hatte. "Hä? ... Na gut, wenn du meinst.", gab sie zurück und stellte sich tapfer mit geschlossenen Augen vor Ichiyo auf. Vorsichtig warf er den Ball, diesmal wieder von Unten ausholend, genau gegen Ayakas Kopf, und siehe da, er wurde so heftig zurückgeschleudert, dass Ichiyo Mühe hatte, ihn zu fangen. Ayaka hörte den Rückprall des Balles und Ichiyos verblüfftes "Uff", so dass sie die Augen öffnete. "Ist es schon vorbei? Ich habe gar nichts gemerkt.", fragte sie erstaunt, "Hat es geleuchtet?" "Ja, Ayaka, es hat geleuchtet.", bestätigte Chihiro, die das ganze gespannt beobachtet hatte, "Es hat zwar nur ein ganz bisschen geleuchtet, aber es hat geleuchtet!" "Wow, das ist ja Cool.", entfuhr es ihr begeistert, "Noch mal, noch mal, aber diesmal stärker". Sie baute sich stocksteif noch einmal vor Ichiyo auf und kniff die Augen in übertriebener Weise zusammen. Dieser tat ihr den Gefallen und warf ihr den Ball mit einer Schlagwurfbewegung etwas kräftiger an den Kopf. In dem Augenblick, als der Ball Ayakas Kopf zu berühren schien, leuchtete das Haarband an ihrem linken Zopf diesmal heller auf und schleuderte den Ball mit so großer Wucht gegen Ichiyos Brust zurück, dass dieser einen Satz rückwärts machte und sich auf den Hosenboden setzte, wo er hustend sitzen blieb. "Au Mann, das war heftig.", presste er hervor, wobei er nach Luft jappste. Dabei blickte er mit skeptischer Mine auf seine Brust herunter, wo die Haut von dem Aufprall schnell eine tiefrote Färbung annahm, röter noch, als er im Gesicht zu werden pflegte. Es brannte ziemlich stark und er bekam kaum Luft. Chihiro lief sofort zu ihm hin, um nach ihm zu schauen, und auch Ayaka, die jetzt ihre Augen geöffnet hatte, glotzte mit offenem Mund auf Ichiyo herab. "Hui, bin ich das gewesen?", rief sie ungläubig und sprang ebenfalls zu ihm hin, "Ichiyo, hast du dir weh getan? Komm, ich helf dir hoch." "Nein, ist nicht so schlimm.", röchelte er, immer noch nach Luft schnappend, nahm Ayakas dargebotene Hand und ließ sich von ihr auf die Beine helfen. "Ich glaube, wir sollten das nicht weiter ausprobieren.", meinte Ayaka besorgt, "Komm Chihiro, hier hast du dein Haarband zurück." "Hallo, ihr drei.", sagte plötzlich eine melodische weibliche Stimme, gerade als Ayaka das Band von ihrem linken Zopf herunterziehen wollte. Chihiro, Ayaka und Ichiyo wandten ihre Köpfe der Stimme zu und erblickten eine schöne junge Frau, die wenige Meter entfernt aus dem Boden gewachsen zu sein schien und sich höflich vor ihnen verbeugte. Sie war barfuss und trug ein leichtes blaues Sommerkleid, passend zu ihren strahlend blauen Augen. Trotz ihrer Augenfarbe besaß sie eindeutig japanische Gesichtszüge, war keine Europäerin. Bei näherem Hinsehen, schien sie jedoch nicht so jung zu sein, wie sie im ersten Augenblick erschien, sondern wirkte auf seltsame Art völlig alterslos. "Ich bin Manami und ich wohne hier in der Nähe", stellte sie sich vor, "Ihr müsst entschuldigen, aber ich habe euch schon die ganze Zeit, die ihr hier seid, beobachtet. Was ihr da eben gemacht habt, war sehr, äh, interessant. Dürfte ich das Haarband wohl auch einmal sehen?" Chihiro und ihre Freunde erwiderten die Verbeugung und sahen einander dann ratlos an. Wo war diese Frau hergekommen, wo wohnte sie, denn außer dem roten Gebäude schien kein anderes in der Nähe zu sein. Und von wo aus hatte sie sie beobachtet, ohne dass sie es bemerkt hatten? Die ganze Situation schien völlig unwirklich und ein wenig unheimlich. "Hallo Frau Manami. Äh, das Haarband gehört mir aber nicht.", sagte Ayaka dann vorsichtig, nahm es aus ihrem Haar und gab es Chihiro zurück. Chihiro ging ein paar Schritte auf die Frau zu und fragte dann: "Warum wollen sie es sehen? Und wenn sie es mir nicht wieder geben?" "Was ich eben gesehen habe, deutet auf echte Magie hin.", antwortete diese, "Das Haarband schein ein sehr starker Talisman zu sein. Ich möchte wissen, wer ihn gemacht hat und wie ein kleines Mädchen wie du daran gekommen bist. Aber du brauchst keine Angst zu haben, ich werde es dir wiedergeben." "Magie, woher wissen sie, dass es Magie ist?"; wollte Chihiro spontan wissen und Ayaka fragte: "Sind sie eine Hexe?", woraufhin Manami lächeln musste und erwiederte: "Nein, ich bin keine Hexe, aber ich habe mich etwas mit Zauberei beschäftigt, rein aus, äh, beruflicher Neugier. Würdest du es mir zeigen, hm." Chihiro war von ihrer Stimme und ihrem Blick aus diesen blauer als blauen Augen wie hypnotisiert, so dass sie ihre Hand vorstreckte und der Frau das Haarband hinhielt. Diese griff danach, aber als sie Chihiros Hand berührte, zuckte sie zuerst überrascht zurück, bevor sie es dann mit nachdenklichem Gesichtsausdruck doch entgegen nahm. Sie hielt Chihiros Haarband einige Momente imit beiden Händen umschlossen, wobei sie die Augen schloss, bevor sie mit einem Seufzer mehr zu sich selbst murmelte: "Es ist mächtiger, als ich dachte.". Sie hockte sich vor Chihiro hin und fasste deren Haar mit dem Band wieder zu einem Zopf zusammen. Leise sagte sie zu Chihiro: "Du musst gut darauf aufpassen, es ist sehr wertvoll. Und zeig niemandem, was es kann. Es ist nicht gut, wenn ihr einfach damit herumspielt.". Dann blickte sie Chihiro noch einmal nachdenklich an, bis sich ihr Gesicht plötzlich aufhellte und sie fragte: "Sag mal, bist du nicht die kleine Sen? Ein guter Bekannter hat mir von deinen Eskapaden letztes Jahr erzählt. Das würde jedenfalls so einiges erklären. Zum Beispiel wo du das Haarband her hast." Chihiros Herz setzte einen Schlag aus. Sen? Ich Name war doch nicht Sen. Trotzdem wusste sie, dass Manami auch recht hatte und sie einmal Sen gewesen war, irgendwann. "Aber mein Name ist doch gar nicht Sen, sondern Chihiro.", sagte sie trotzdem, da ihr nicht einfallen wollte wieso sie Sen gewesen war. "Ist schon gut, Chihiro.", sagte Manami lächelnd und strich dem Mädchen über das Haar, "Hm, kannst dich an nichts erinnern, oder? Dann wollen wir es dabei auch belassen, ist schon besser so.". Damit stand sie auf und verbeugte sich noch einmal vor Ayaka und Ichiyo. "Ich würde mich freuen, wenn ihr mich öfter mal besuchen kommt. Es ist immer so einsam und langweilig hier.", verabschiedete sie sich, drehte sich um und ging einfach fort. Alle drei verbeugten sich leicht verwirrt vor der fortgehenden Frau, blickte ihr nach, wie sie langsam den See umrundete und auf der anderen Seite verschwand, als wenn sie sich in Luft aufgelöst hätte. "Huh, das war aber merkwürdig.", schüttelte sich Ichiyo, "Da ist einem ja eine Gänsehaut den Rücken hinunter gelaufen." "Ja, die war seltsam!", ergänzte Ayaka hinzu, "Hast du ihre Augen gesehen. Nicht einmal Rundaugen (Europäer) haben soo blaue Augen." "Ja, merkwürdig war sie schon, aber ich fand sie trotzdem Nett.", legte Chihiro sich fest, die immer noch ein wohlig warmes und leicht schwindeliges Gefühl von dem Moment hatte, als Manami ihr den Zopf gebunden und sie gestreichelt hatte. "O Mist, jetzt fängt es auch noch zu Regnen an.", schimpfte Ayaka, als sie bemerkte, dass es leicht zu nieseln begonnen hatte, "Ich geh mal und hol den Ball. Er muss irgendwo da in den Wald gesprungen sein.". Sie rannte los und verschwand zwischen den Bäumen, während Ichiyo und Chihiro ihr Sachen zusammenrafften, in den Rucksack stopften und sich flugs anzogen. Auch Ayakas Sachen packen sie schnell zusammen und legten ihre Kleider zurecht, die sie zuoberst in ihren Rucksack packten, damit sie nichts Nasses anziehen musste. Eine viertel Stunde später kam Ayaka wieder aus dem Wald geschlichen und zog eine Fleppe, wie Chihiro es bei ihr noch nie gesehen hatte. "Scheiße, verdammte Kacke, der Ball ist weg.", fluchte sie frustriert. "Aber Ayaka, so was sagt man doch nicht.", sagte Ichiyo automatisch, seiner Erziehung gehorchend, woraufhin Ayaka ihn wütend anfuhr: "Ach du, halt doch die Schnauze. Warum hast du den Ball auch nicht fest gehalten, du Blödmann!" Ichiyo schossen sofort die Tränen in die Augen, hatte er doch gedacht, dass Ayaka ihn mögen würde, so wie er sie gerne hatte. Chihiro ging zu Ayaka hin, um sie zu beruhigen, und nahm sie bei der Hand. "Komm Ayaka, es ist doch nur ein Ball. Zieh dich erst einmal an und dann gehen wir alle suchen.", beruhigte sie ihre Freundin, wobei sie sie zu ihrem Rucksack herüber zog. Während Ayaka sich mit muffeliger Mine anzog, ging Chihiro zu Ichiyo, der wie ein Häufchen Elend auf einem Baumstumpf hockte. Sie setzte sich neben ihn und legte ihren Arm um seine Schulter. "Ichiyo, Ayaka hat das nicht so gemeint, sie ist nur traurig, weil ihr Fußball weg ist.", sagte sie leise in sein Ohr, "Komm, hilfst du mir suchen?" Ichiyo schniefte: "OK, gehen wir suchen.", womit er aufstand und in Richtung des Waldes ging. Chihiro folgte ihm, aber Ayaka, die sich inzwischen angezogen und etwas beruhigt hatte, rief: "Ichiyo, es tut mir leid. Ihr, ihr braucht jetzt nicht suchen. Ich hab sowieso noch einen Ball zu Hause, ist also nicht so schlimm. Außerdem kannst du ja nichts dafür, ich wollte doch, dass du den Ball wirfst. Komm, wir gehen nach Hause, bevor wir alle klatschnass werden." Nach Ayakas Entschuldigung, fasste Ichiyo sich schnell wieder und gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg. Ayaka schlug die Richtung zum Bach ein, aber Chihiro erklärte sich zur Überraschung aller bereit, den kürzeren, schnelleren und vor allem auch trockeneren Weg durch den Tunnel zu nehmen. Als sie das rote Gebäude erreichten, überlegte Chihiro kurz, ob sie den Plan, den sie sich vorhin zurecht gelegt hatte, noch umsetzen sollte, aber sie fand, dass Ayaka und Ichiyo ein Ablenkung brauchten, um den blöden Streit von eben zu vergessen und so dachte sie konzentriert an den Wartesaal, als sie durch den Tunnel gingen. "Schau mal, wie hell der Ausgang erleuchtet ist.", bemerkte Ichiyo, als sie etwa die Hälfte des Weges durch den Tunnel zurück gelegt hatten, "Als wenn dort die Sonne scheinen würde." Die Sonne schien aber nicht, sondern der Wartesaal war hell mit Lampen erleuchtet und der Ausgang war dunkel, als ob draußen bereits Nacht währe. Auf den Bänken hatten duzende merkwürdiger Gestalten Platz genommen, andere standen in Gruppen zusammen und unterhielten sich angeregt. Keine dieser Gestalten nahm zunächst von ihnen Notiz, als sie durch die linke Tunnelöffnung in der Rückwand des Raumes in diese Szene platzten. Chihiro selber war mehr verwundert und neugierig, als erschrocken, während Ayaka und Ichiyo wie erstarrt waren und sich mit aufgerissenen Augen unwillkürlich krampfhaft an Chihiro festklammerten. Direkt ihnen gegenüber saß ein riesiges Etwas auf dem Boden, dass wie ein Konglomerat aus verschiedenen Wurzeln und Ästen aussah, jedoch über Hörner verfügte und einen dichten, rosafarbenen Pelz besaß. Es blickte sie aus mehreren großen Facettenaugen an. Noch ehe sie sich an den Anblick gewöhnt hatten, wurde Ichiyo von hinten angestupst und ärgerlich von einer Art riesigem Vogel mit gelbem Federkleid angefiept. Chihiro zog daraufhin Ayaka und Ichiyo etwas zu Seite, da sie immer noch genau vor dem Tunnelausgang standen und ihn so blockierten. Kaum hatten sie ihn frei gemacht, strömte eine ganze Prozession duzender dieser Vogelwesen aus dem Tunnel. Ayaka, die das ganze mit vor Angst geweiteten Augen beobachtet hatte, riss sich mit einem Quieken von Chihiro los und stürmte mit lautem Gekreische in den mittleren Tunnel, um aus der Situation zu entkommen. Wenige Augenblicke darauf kam sie aus dem rechten der drei Tunnel wieder herausgerannt und stieß mit einem Wesen zusammen, dass wie eine Art grüne Kartoffel aussah, jedoch in einen feinen, mit Blumen bedruckten Seidenkimono gewandet war. Mit einem Schnauben verzog es sein Gesicht zu einer Maske des Ekels, hielt sich die überdimensionale Nase mit einer seiner vier Hände zu und machte mit den drei anderen eine abwehrende Geste in Ayakas Richtung, die schockiert und keuchend dastand. "Iiieee, ein Meeensch.", machte das Wesen mit hoher, näselnder Stimme, "Was hat der den hier zu suchen. Bedieeenung, Bediiiiieeeeeeenung. Bäh, grausiger Service hier, ich werde mich bei Madame Yubaba beschweren." Mit den drei freien Armen wollte es nach Ayaka greifen, um sie fortzuschieben. Diese lief jedoch mit einem erneuten Quieker panisch davon, umrundete eine Säule, rammte fast gegen eine Bank, blieb beinahe an einer der Wurzeln dieses Wesens hängen und stürmte dann in den linken Tunnel hinein, um kurz darauf aus dem mittleren wieder heraus zu kommen, wo sie mit kalkbleichem Gesicht wie angewurzelt stehen blieb. Mühsam löste sich Chihiro, die überhaupt keine Angst verspürte, von Ichiyo, ging zu Ayaka herüber, um sie von dem Tunnelausgang weg zu ziehen. "Mann Ayaka, reiß dich zusammen und benimm dich.", zischte sie, "Keiner tut dir hier was." Mehrere andere Gestalten wurden jetzt auf die Drei aufmerksam, darunter ein Wesen, dass wie ein riesiger weißer Rettich aussah und in mittelalterliche Reisekleidung gehüllt war. Langsam stapfte es zu ihnen herüber. Mittlerweile war ein Affe in einem Pagenanzug durch den Ausgang von draußen herein gekommen und verkündete mit lauter Stimme: "Sehr verehrte Gäste, die Fähre zum Badehaus legt in wenigen Minuten ab. Bitte versammeln sie sich am Anlegesteg.". Sein Blick schweifte durch die runde und blieb an Chihiro, Ayaka und Ichiyo hängen, so das er hinzufügte: "Alle sind willkommen, alle außer ... Menschen!" Der Rettich, der Chihiro unheimlich bekannt vorkam, baute sich mit seinem mächtigen Bauch vor ihnen auf, verbeugte sich und sagte mit tief grollender Stimme: "Verehrte Sen, ich freue mich, dass es ihnen gut geht, aber es währe besser, wenn ihr jetzt wieder ginget." Chihiro und Ichiyo verbeugten sich artig, wobei Ichiyo die Bewegung mehr oder weniger automatisch mitmachte, weil er sich so heftig an Chihiro klammerte. Ayaka starrte ihn nur mit blödem Gesichtsausdruck an und verbeugte sich nicht, was der Rettich aber einfach ignorierte. Er drehte sich gemächlich um und begann in Richtung des Ausganges zu watscheln. Die meisten Gestalten bewegten sich mittlerweile auch mehr oder weniger eilig zum Ausgang während Chihiro Ayaka und Ichiyo zum mittleren Tunnel herüber zog. Gemeinsam warteten sie kurz, bis er frei wurde und gingen dann hinein, wobei Chihiro angestrengt an den Tunnelausgang auf der Seite des roten Gebäudes dachte, an der nach Hause führte. Kurze Zeit später verließen sie den Tunnel in fortgeschrittener Dämmerung im prasselnden Regen. Schweigend machten sie sich auf den Rückweg, wo sie schnell durchnässt waren, und Chihiro hatte Schwierigkeiten überhaupt zu gehen, weil sich ihre beiden Freunde immer noch schockiert an ihr festhielten. Wenigstens war der Regen lauwarm, so dass sie nicht frieren mussten. Chihiro merkte, dass Ayaka und Ichiyo zu verwirrt und geängstigt waren, um jetzt zu reden. Sie mussten dass Erlebte erst einmal verarbeiten, also ließ sie die beiden in Ruhe in Ruhe. Sie machte sich außerdem Vorwürfe, dass sie in diese Situation geraten waren, was hatte sie die beiden auch mit auf die andere Seite nehmen müssen. Selbst war sie von den dort anwesenden Gestalten zwar überrascht aber nicht geängstigt worden, denn diese Wesen waren ihr größtenteils vertraut gewesen. Sie war ihnen schon einmal begegnet, nur konnte sie sich einfach nicht erinnern, wo. Dann fiel ihr siedend heiß ein, was diese Gestalten waren. Es waren die japanischen Naturgottheiten, die Kami, die dort hin gekommen waren, um ... um was zu tun? Sie hatte das Gefühl, dass sie es eigentlich wissen müsste. Auf jeden Fall hatte dieser dicke Rettichgott sie gekannt, wie auch sie sich an ihn erinnern konnte, und mit dem gleichen Namen angeredet, wie die merkwürdige Frau Manami vorhin am See: Sen. Diese hatte nicht nur ihren Namen erraten, von dem ihr ein Bekannter erzählt hatte, sondern auch gewusst, dass etwas ihr Gedächtnis blockierte, so dass sie sich an nichts erinnern konnte. Wenn dieser Rettichgott ihren Namen kannte, bedeutete das, dass die Frau etwa auch den Göttern begegnet war? Oder war sie am Ende selber eine Göttin. Sie wollte Manami sofort am nächsten Tag besuchen gehen, schließlich war sie ja von dieser dazu aufgefordert worden. "Du sag mal Chihiro, das mit dem Haarband vorhin, das war wirklich Cool.", sagte Ayaka plötzlich gut gelaunt in Chihiros Gedanken hinein, "Und du weißt wirklich nicht, wo du es her hast? Ob wirklich echte Magie darin steckt?" Chihiro war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie Ayaka und Ichiyo sie los gelassen hatten. "Ja genau." pflichtete Ichiyo ihr ebenso gut gelaunt bei, "Aber diese Frau, diese Manami, die war wirklich ein wenig unheimlich. Wie die auf einmal wie aus dem Nichts aufgetaucht ist." Chihiro versuchte verwundert die Gesichter ihrer Freunde in der tiefen Dämmerung zu erkennen, konnte aber die Gesichtszüge nicht ausmachen. Die Äußerungen ihrer Freunde verwirrten sie ein wenig. Waren sie eben nicht noch völlig verängstigt und schockiert gewesen. Jetzt benahmen sie sich, als wenn das alles nie passiert währe. Wenn sie über den Wartesaal voll von Kami gesprochen hätten, hätte sie das verstanden, aber das jetzt war einfach absurd, als ob es nie passiert wäre. Gerade wollte sie an ihrem eigenen Verstand zweifeln, als es ihr wie Schuppen von den Augen fiel. Sie hatten es vergessen! Genau wie sie vergessen hatte, was sie dort auf der anderen Seite letztes Jahr erlebt hatte. Irgendeine Magie hatte es sie vergessen lassen. "Sagt mal, als wir vorhin durch den Tunnel gegangen sind,", fragte sie deshalb vorsichtig, "da ist euch doch nicht etwas aufgefallen?" "Was soll uns denn aufgefallen sein?", wollte Ichiyo leicht verwirrt wissen, "Wir sind auf der einen Seite hinein gegangen und auf der anderen wieder heraus gekommen, wie das Tunnel so an sich haben. Auf jeden Fall ist mir aber aufgefallen, dass es angefangen hat zu Regnen. Sauwetter!" "Genau, lass uns schneller gehen, ich will nicht noch nasser werden und am Ende noch eine Erkältung kriegen.", fügte Ayaka hinzu. Sie hatten jetzt das Ende des Waldweges erreicht und konnten den großen alten Baum sehen, wie er sich gegen den nachtgrauen Himmel abhob. Gemeinsam kämpften sie sich den vom Regen glitschig gewordenen Abhang zu Chihiros Haus hinauf, bevor sie sich dann von ihr bis zum nächsten Wochenende verabschiedeten und durch den Regen die Strasse entlang nach Hause rannten. In ihrem eigenen Haus wurde sie von ihrer Mutter empfangen, die vor Sorge bereits ganz aufgelöst war, denn es ging, wie sich herausstellte, bereits auf 11 Uhr Abends zu. Chihiro konnte sich nicht erklären, wieso sie so lange weg gewesen war. Ihrem Zeit- und Hungergefühl nach, hätte es höchstens so gegen Neun sein dürfen. Jedenfalls war sie dankbar für die Fischsuppe, die ihr ihre Mutter warm gehalten hatte und von der sie dann mehrere Teller voll herunterschlürfte, bevor sie gegen Mitternacht erschöpft ins Bett fiel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)