Die Zeit deines Lebens von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 30: Schmetterlingseffekt. --------------------------------- 12. Juli 2010 Seufzend ließ er sich am Küchentisch nieder und studierte die Zeitung, die im interessante Jobangebote aufzeigten sollte, um sein Leben endlich wieder besser in den Griff zu bekommen. Doch je länger er sich die Annoncen über Minijobs ohne Aufstiegsmöglichkeiten durchlas, desto frustrierter wurde er. Niedergeschlagen fuhr er sich durch die kurzen Haare und schob die Zeitung beiseite, um sich am Tisch besser abstützen zu können. „Lass mich raten…es ist wohl wieder nichts Gescheites dabei, oder?“, ertönte eine behutsame Stimme, als Joe schiefgrinsend aufblickte. „Nein. Wahrscheinlich muss ich dich doch noch länger belästigen“, antwortete er leicht beschämt und konnte nicht fassen, dass er sich schon knapp zwei Wochen bei ihr durchschnorrte. „Du belästigst mich doch nicht“, lächelte sie sanft und setzte sich ihm mit einer dampfenden Tasse Kaffee gegenüber. „Ich finde es sehr schön Gesellschaft zu haben und abends ist wenigstens ein Mann im Haus. Da habe ich gleich viel weniger Angst.“ Sie grinste und zwinkerte ihm verschwörerisch zu. Er war sich wirklich nicht sicher, ob er das als Kompliment auffassen sollte. Wahrscheinlich würde sie einen potenziellen Einbrecher eher K.O. schlagen als er. Sie war eben eine taffe junge Frau, die wusste, was sie von ihrem Leben erwartete und wie sie ihre Ziele auch erreichte. Er hingegen, landete vom Regen in der Traufe und bereute es von Tag zu Tag mehr, sein Medizinstudium aufgegeben zu haben. Sein Vater hatte es geschafft. Er war am Boden der Tatsachen angelangt und hatte keinerlei Möglichkeiten mehr, dass zu vollenden, was er sich vorgenommen hatte. Unzufrieden ließ er den Kopf hängen und ließ zu, wie die Hoffnungslosigkeit sein Herz vereinnahmte. „Was soll ich denn jetzt nur machen? Ich kann noch nicht mal eine Packung Milch bezahlen, wie soll ich da jemals mein Studium beenden können?“, fragte er verzweifelt und sah ihr direkt in die Augen. Ihr Blick wurde auf einmal ganz weich, als sie ihre Hand nach ihm ausstreckte und sanft auf seiner niederlegte. „Joe, ich weiß, dass du im Moment eine schwierige Zeit durchmachst, aber du darfst nicht aufgeben.“ Angespannt presste er die Lippen aufeinander und entzog sich langsam ihrem nett gemeinten Aufheiterungsversuch. „Und wie soll ich das bitte schön machen? Ohne Geld habe ich keine Chance und diese Jobs werden mich nicht weiterbringen. Damit kann ich weder ein Zimmer bezahlen, noch meine Semestergebühren. Von den Büchern möchte ich erst gar nicht anfangen“, schnaubte er ohne Luft zu holen und fuhr harsch über das raue Papier der Zeitung, die ihm heute mal wieder nicht weiterhelfen konnte. Bisher hatte er noch niemanden, außer ihr, von seiner misslichen Lage erzählt. Natürlich wussten seine Eltern auch Bescheid, ohne das er ihnen etwas gesagt hatte. Sein Vater versuchte einfach Druck auf ihn auszuüben, damit er doch noch seine Meinung änderte. Er hatte eine Zeitlang wirklich überlegt gehabt, ob er nicht doch wieder zu seinem Medizinstudium zurückkehren sollte. Des Friedens Willen – da auch der Streit mit seinem Vater ihn nervlich an den Rand des Wahnsinns trieb. Er wollte doch nur akzeptiert werden. Unabhängig davon, was er beruflich einmal ausüben würde. „Vielleicht sollte ich einfach…“ „NEIN!“, unterbrach sie ihn energisch. „Denk nicht mal daran!“ „Aber Asuka, ich kann dir doch nicht ewig…“ „Joe, ich möchte nicht, dass du dich wegen deinem Vater völlig verbiegst. Du solltest die Möglichkeit haben deine Träume zu leben und nicht die deines Vaters.“ „Aber ich…“, versuchte er ihr zu widersprechen, als sie ihm erneut ins Wort fiel. „Ich habe mit meinem Vater gesprochen. Er hätte ein Jobangebot für dich.“ „Was?“, fragte Joe verblüfft nach und konnte nicht fassen, was Asuka ihm gerade angeboten hatte. „Naja, ich habe mal nachgefragt, ob er für die Sommerbetreuung noch Leute sucht und ja. Es war noch eine Stelle frei und bisher hast du doch sowieso nichts zu tun, oder?“ Sie hob provokant die Augenbraue, als Joes Grinsen ins Unermessliche wuchs. „Also ist es dein Ernst?“ „Ja“, nickte sie bestätigend. „Du musst mir doch die ganzen Unkosten zurückerstatten. Gerade dein Milchverbrauch ist echt enorm“, witzelte sie, doch Joe konnte kaum noch stillsitzen, als er sich ein Herz nahm und aufstand. „Vielen Dank“, raunte er, als er Asuka in eine herzliche Umarmung zog, die sie sanft erwiderte. Ein unglaublich großer Stein fiel ihm vom Herzen, da eine große Last von seinen Schultern genommen wurde. 17. Juli 2010 „Und du glaubst das reicht?“, fragte Yolei skeptisch nach und schaute prüfend auf den Tisch, der mit den Einkäufen zugepflastert war. „Ich habe ja nur ein paar Kommilitonen eingeladen! Zehn Leute oder so“, schwächte Davis ab und zuckte mit den Schultern. Mittlerweile hatte er gar keine große Lust auf die Party, aber er hatte seine Unifreunde schon vor rund einem Monat zu sich eingeladen. Doch noch abzusagen, brachte Davis dann nicht mehr über sein Herz, auch wenn ihm im Moment andere Dinge durch den Kopf gingen. Takeru verbrachte den Abend bei Hikari, da ihr Bruder mit Mimi ausgehen wollte. Davis hatte noch nicht mal richtig mitbekommen, dass sich zwischen Tai und Mimi etwas entwickelt hatte. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, hatten sie sich praktisch noch gehasst und jetzt gingen sie miteinander aus? Diese verdrehte Welt sollte mal ein Mensch verstehen. Er konnte es definitiv nicht. „Wo hast du eigentlich den Alkohol her?“, stieg Ken mit in das Gespräch ein und verschränkte augenblicklich die Arme vor der Brust. „Meine Schwester hat sich bereit erklärt uns welchen zu besorgen und ohne Alkohol ist es ja auch keine richtige Party“, steuerte Yolei bei und klopfte Ken gegen die Brust, was ihn ganz aus dem Konzept zu bringen schien. Davis verdrehte nur die Augen. War er etwa immer noch in sie verliebt? Er beobachtete ihn genau, sah wie sich sein Blick trübte und ein verbitterter Gesichtsausdruck sich über ihn legte. Davis Gesichtszüge wurden auf einmal ganz weich, als er bemerkte, dass sich die Stimmung seines besten Freundes nur wegen einer kleinen, unbedeutenden Berührung änderte. In Wirklichkeit war sie nämlich viel bedeutsamer, als Daisuke es wahrgenommen hatte. Frustriert schnappte ich Ken ein Bier und öffnete es mit dem Flaschenöffner, als er sich stöhnend auf dem Sofa niederließ, während Yolei breitgrinsend eine SMS tippte. Sein Blick wanderte zwischen seinen beiden Freunden hin und her, denn irgendwas stank hier gewaltig zum Himmel. Wo kam nur dieses Honigkuchenpferdgrinsen her? Und warum wirkte Ken noch deprimierter als sonst? Und warum schien alles hinter seinem Rücken zu laufen? Oder war er einfach derjenige, der nicht richtig zuhören wollte, sondern sich in seinem eigenen Selbstmitleid suhlte? Genau genommen hatte er viel Zeit verbracht, sich über Karis Anwesenheit aufzuregen, ihr das Leben schwer zu machen und seinen Freunden auf den Wecker zu gehen. Resigniert stellte Davis fest, dass er oft nur an sich selbst gedacht hatte. Er war nach all den Jahren immer noch beleidigt und in seinem männlichen Stolz gekränkt, weil Kari ihn nicht haben wollte. Natürlich war es nicht in Ordnung von ihr gewesen, aber sie hatte sich entschuldigt. Eine Entschuldigung, die er die ganze Zeit ignoriert hatte, um ihr weiterhin die Schuld in die Schuhe zu schieben. Schon während der Beziehung hatte er gemerkt, dass etwas nicht stimmte, dass sie unglücklich war und mit sich selbst haderte. Wahrscheinlich wollte sie ihn gar nicht verletzten und war deswegen so lange mit ihm zusammengeblieben, da sie wusste, wie er reagieren könnte. Er war wie ein kleines Kind, dem man sein Lieblingsspielzeug abgenommen hatte. Diese Erkenntnis wurde ihm immer klarer, nachdem er von Karis trauriger Geschichte erfahren hatte. Vor wenigen Wochen hätte er ihr sicher noch die Pest an den Hals gewünscht, doch in Wirklichkeit hatte er nie gewollt, dass ihr so etwas Grausames passierte. Und auch seine schlechte Laune hatte er an seinen Freunden ausgelassen. Er machte Takeru Vorwürfe, da er sich einfach erwachsener verhalten hatte als er selbst. Man konnte nicht ewig nachtragend sein, auch wenn das vielleicht die einfachere Lösung gewesen wäre, da man dann an seiner Beziehung nicht mehr arbeiten musste. Doch Davis musste zugeben, dass er die Freundschaft zu ihr vermisste und dass er sich vorgenommen hatte, mit ihr zu reden, wenn sie sich etwas beruhigt hatte. Denn Takeru war nicht grundlos bei ihr. Taichi hatte Angst sie alleine zu lassen. Sein Blick wanderte wieder zu Ken, dem er geraten hatte Yolei gehen zu lassen, statt um sie zu kämpfen. Ihm wurde bewusst, dass er für einen kurzen Moment sich selbst in seinem besten Freund gesehen hatte. Dass er Angst hatte, das eine Entscheidung alles verändern könnte. Was wäre, wenn Ken und Yolei ein Paar geworden wären? Wie hätte es sich auf ihr WG-Leben ausgewirkt und was wäre passiert, wenn sie sich dann doch getrennt hätten? Er wollte einfach nicht das riskieren, was er bei Kari längst verloren hatte. Ihre Freundschaft, die sie miteinander verband, aber durch zarte Gefühle ins Wanken gebracht werden konnte. Er hatte egoistisch gehandelt. Wollte seine Freunde vor etwas schützen, dass keinen Schutz nötig hatte. Davis hatte alle anderen Möglichkeiten ausgeblendet gehabt und entschied sich dazu das Negative zu sehen, statt einer positiven Zukunft entgegen zu schauen. Ganz klar: Er hatte es komplett verbockt. _ Fassungslos kauerte sie auf ihrem Bett und sah in ihren kleinen schwarzen Kalender, den sie auf ihre Knie gebettet hatte. Ungläubig schüttelte sie immer wieder den Kopf und zählte erneut nach, obwohl sie das schon drei Mal getan hatte. Wieder kam sie auf das gleiche Ergebnis und spürte wie die Panik in ihr hochkroch. Angespannt knabberte sie an ihrem Daumennagel, schmiss den Kalender neben sich aufs Bett und zog ihre Beine dicht an ihren Körper. Völlig kraftlos ließ sie ihren Kopf auf ihre Knie sinken und bemerkte ein deutliches Brennen in ihren Augen, als sich die ersten salzigen Tränen lösten. Wie konnte sowas nur passieren? Und warum passierte es ausgerechnet ihr? Sie war noch gar nicht bereit für sowas. Schwerfällig hob sie den Kopf an, als sich ein qualvoller Laut von ihren Lippen löste und sie hektisch mit ihren Handflächen über ihre nassen Augen fuhr. „Das darf nicht wahr sein“, murmelte sie schwach und begann zu zittern, als ihr bewusst wurde, dass sich ihr ganzes Leben verändern würde. Wie konnte sie nur so dumm sein? Sie war doch sonst immer verantwortungsbewusst damit umgegangen, denn gerade beim Thema Verhütung wollte sie nichts dem Schicksal überlassen. Doch das Schicksal hatte ihr nun einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht und stellte alles auf den Kopf, was ihr lieb und heilig war. Schwerfällig versuchte sie die Abende zu rekonstruieren an den ES passiert sein könnte. Sie wusste noch genau, dass Tai und sie nicht verhütet hatten, jedenfalls nicht mit Kondom. Die Vertrautheit, die für einen kurzen Moment zwischen ihnen herrschte, ließen alle Zweifel ausblenden und sie in alte Muster verfallen. Schon während ihrer Beziehung hatten sie irgendwann auf das Kondom verzichtet gehabt, da Sora die Pille nahm und beide einander vertrauten. Doch bei Matt war es eine ganz andere Sache. Sie erinnerte sich nicht mehr, ob er überhaupt etwas benutzt hatte, oder ob er sie gefragt hatte, ob sie die Pille nahm. Es war einfach passiert. Dieser leidenschaftliche, unvergessliche Moment, der ihr immer noch schlaflose Nächte bereitete, aber ihr auch zeigte, was sie riskiert hatte. In diesen zauberhaften Minuten war es ihr völlig egal gewesen, was zuvor zwischen ihnen alles passiert war und was möglicherweise nach der gemeinsamen Nacht noch folgen könnte. Mit einem Baby hatte Sora ganz sicher nicht gerechnet. Verzweifelt versuchte sie sich daran zu erinnern, ob sie ihre Pille vergessen hatte, oder ob es ihr während der Einnahme nicht gut ging, sie vielleicht erbrochen hätte – aber sie konnte sich an nichts dergleichen erinnern. Aber dennoch war sie überfällig. Und das schon länger als sie zugeben wollte. Sie hatte es praktisch verdrängt, weil sie sich den Konsequenzen nicht stellen wollte. Einen Test hatte sie noch nicht gemacht, obwohl sie sich heute Morgen in ihrer Verzweiflung sogar einen gekauft hatte. Sie hatte ihn in ihrer Schreibtischschublade versteckt, in der Hoffnung, dass ihre Periode doch noch auftauchen würde. Doch nichts er gleichen geschah. Die Panik in ihr wuchs. Die Gewissheit über ihren Fehler wurde ihr immer klarer. Sie hatte mit zwei Männern geschlafen. Dicht hintereinander. Es lagen gerade mal drei Tage dazwischen. Wie sollte sie nur ausmachen, wer der Vater war, wenn sie tatsächlich schwanger wäre? Ein Baby? Das passte absolut nicht in ihren Lebensplan. Mit wackeligen Beinen stand sie langsam auf und schritt zu ihrem Schreibtisch. Wehmütig blickte sie über die Broschüren, die ihrem Leben einen neuen Wendepunkt geben sollten. Mit zitternden Fingern nahm sie eine in die Hand, sah wie der Eifelturm sie anlächelte und ihr von einer Zukunft in Paris vorschwärmte. Vor kurzem hatte sie sich für ein Austauschprogramm beworben, dass in der Modemetropole stattfinden sollte. Es gab nur wenige Plätze und nur die besten Studenten des Jahrganges wurden ausgewählt, um diese einzigartige Chance zu bestreiten. Sora war eine der Glücklichen. Ihr Gesicht verzog sich, als sie plötzlich von einer unbändigen Wut erfasst wurde, mit einer harschen Bewegung ihren gesamten Schreibtisch abräumte und in sich zusammensackte. Ein lautes Schluchzen erfüllte den Raum, als sie ihre Arme vor der Brust verschränkte und ihre Tränen ihr gesamtes Gesicht benetzten. Was hatte sie nur getan? Sie würde nicht nur ihr Leben damit versauen, sondern auch das Leben ihrer Freunde. Tai war ihr Ex-Freund, der in ihre beste Freundin verliebt war, während Matt als bester Freund ihres Exes tabu für sie gewesen wäre. Sie schnappte nach Luft, als sie sich versuchte etwas zu beruhigen, auch wenn es ihr nicht sonderlich gut gelang. Hastig schob sie ihre Schublade auf und griff blind nach dem Test, der ihr Gewissheit geben sollte. _ „Verdammt nochmal Davis! Wo kommen die ganzen Leute her?“, brüllte Yolei aufgebracht, als sie sich zu Davis durchdrückte. „K-Keine Ahnung…so viele waren ja gar nicht geplant gewesen. Was weiß ich, wo die alle herkommen?!“, rechtfertigte er sich und zuckte hilflos mit den Achseln. Eigentlich hatte er nur eine kleine Party mit seinen Kommilitonen geplant gehabt – jedenfalls hatte er das Yolei erzählt. Doch nach und nach kamen immer mehr Menschen, die ihre Wohnung einnahmen, sodass nur noch wenig Bewegungsfreiheit herrschte. „Die geilste Party ever!“, rief plötzlich ein unbekannter Typ, der auf ihren Esstisch stieg und sein T-Shirt über den Kopf zog und seine nicht vorhandenen Bauchmuskeln präsentierte. Völlig fassungslos starrte Yolei von dem Kerl zu Davis, dessen Mund ebenfalls aufgeklappt war. „Kennst du den etwa?“, schrie sie, um gegen die dröhnende Musik anzukommen. „Was? Nein! Den habe ich noch nie gesehen. Genauso wie 90 Prozent der restlichen Leute. Ich hätte echt nicht über Facebook einladen sollen“, murmelte er hörbar. Yolei entgleisten ihre Gesichtszüge, als sie Davis sofort am Arm packte und in eine leere Ecke zog. „Wie du hast die Leute über Facebook eingeladen? Hast du wenigstens an das Häkchen gedacht, um es nicht öffentlich zu posten?!“ „Welches Häkchen?“, fragte er fast schon mechanisch. „Ich muss da ein Häkchen anklicken?!“ Hysterisch fuhr er sich durch die Haare, während Yolei ihre eigene Wut kontrollieren musste. „Bist du komplett bescheuert?! Du hast das ganz sicher an deine gesamte Freundesliste geschickt, die es dann ihren Freunden geschickt haben! Man Davis, ich könnte echt platzen! Wo ist eigentlich Ken?“, redete sie sich in Rage und suchte mit den Augen nach ihrem Mitbewohner, der vom Erdboden verschluckt war. „Woher soll ich das denn wissen? Hier sind zu viele Menschen!“, rechtfertigte Davis sich. „Und wem seine Schuld ist das?“, giftete Yolei schnippisch und drückte sich an den tanzenden Personen harsch vorbei, um in ihr Zimmer zu gelangen. Was dachte sich Davis nur? War er komplett verrückt geworden? Sie war echt froh, dass Izzy von diesem ganzen Irrsinn verschont blieb. Eigentlich wollte sie ihn sogar zur Party einladen, doch beide hatten sich dazu entschieden, ihre Beziehung am 1. August öffentlich zu machen. Sie hatten diesen besonderen Tag gewählt, um es ihren Freunden mitzuteilen. Im Moment hing immer noch diese schwarze Wolke über ihnen, die mit Michael aufgetaucht war und einfach nicht vorbeiziehen wollte. Deswegen wollte sie noch ein bisschen warten und ihr gemeinsames Glück genießen, indem sie so viel Zeit wie möglich miteinander verbrachten. Doch im Moment wollte sie einfach nur die zahlreichen Menschen aus ihrer Wohnung haben. Eine Einladung über Facebook? Dass, konnte wirklich nur von Davis kommen. Genervt erreichte Yolei ihr Zimmer und öffnete ihre Tür, da sie sich einfach nur ins Bett fallen lassen wollte. Vielleicht konnte sie den ganzen Lärm mit einem guten Hörbuch ausblenden, auch wenn sie nicht wirklich daran glaubte. Plötzlich blieb sie wie versteinert mitten in ihrem Zimmer stehen. Ihre Augen waren gefährlich geweitet, als ein heißes Stöhnen den Raum erfüllte. Ihr klappte der Mund auf, während sich das Bild, dass sich vor ihr bot, in ihrem Kopf einbrannte. „Wer zur Hölle seid ihr denn und was macht ihr in meinem Zimmer?“, brüllte sie aufgebracht und spürte wie ihre Wangen knallrot anliefen. Natürlich wusste sie, was das Pärchen dort machte, aber warum ausgerechnet in ihrem Bett? „Na Süße, willst du mitmachen?“, fragte der Typ, den sie noch nie gesehen hatte, provokant. Das Mädchen grinste lasziv über die Schulter, als sie das Tempo erhöhte und sich beide in Ektase lustvoll miteinander bewegten. Angewidert verzog Yolei das Gesicht, rannte panisch aus ihrem eigenen Zimmer und war wütend das sie ihren einzigen Zufluchtsort verloren hatte. Doch sie würde keine Minute länger in ihrem Zimmer bleiben, nicht solange sich die beiden immer noch miteinander vergnügten. Resigniert zog es sie auf den Balkon, mit dem Wissen, wohl ihr ganzes Zimmer im Nachhinein desinfizieren zu müssen. Sachte zog sie die Balkontür auf und musste zu ihrer eigenen Überraschung feststellen, dass ausgerechnet Ken sich ebenfalls draußen befand. Er hatte eine Bierflasche in seiner Hand und stierte in den unendlich wirkenden Sternenhimmel, ohne Yolei zu bemerken. Sie presste die Lippen aufeinander und klopfte sachte an die Glasscheibe, sodass er sie prompt bemerkte. Schnell drehte er den Kopf zu ihr und musterte sie traurig, als Yolei einfach auf den Balkon trat, die Tür hinter sich schloss und sich auf den freien Stuhl neben ihm niederließ. „Da drinnen ist echt was los“, begann sie ein Gespräch und lächelte vage. „Keine Ahnung, wen Davis da alles eingeladen hat“, erwiderte Ken und wandte sofort den Blick von ihr, was Yolei irritierte. Schon länger hatte sie das Gefühl, dass er ihr aus dem Weg ging. Und sie konnte sich nicht vorstellen, dass es allein an Izzy lag. „Und was machst du hier so alleine draußen? Willst du dich nicht einem netten Mädchen an den Hals schmeißen?“, hakte sie grinsend nach, wohlwissend, dass Ken kein Aufreißertyp war. „Klar, als ob ich eine aufreißen könnte. Ich habe so viel Erfahrung wie ein Glücksbärchi, dass mit seinem Wolkenauto die bösen Buden zur Rechenschaft zieht“, meinte er sarkastisch und nippte großzügig an seinem Bier. Verwundert über diesen seltsamen Vergleich, schüttelte Yolei nur den Kopf. „Was redest du dir da nur ein? Du könntest bestimmt das ein, oder andere nette Mädchen für dich begeistern.“ „Aber ich will nicht irgendeine für mich begeistern“, antwortete er scharf und schenkte ihr einen festen Blick. „Ich will nur eine.“ Yolei schluckte. Seine Entschlossenheit erschrak sie etwas, da sie es von ihm nicht kannte. Sein glühender Blick brannte auf ihrer Haut, als er sich näher zu ihr rüber beugte und sie seinen alkoholgetränkten Atem vernahm. Wie viel hatte er nur getrunken? Seine Augen waren ganz glasig und sahen sie betrüb an. „Ken…“, murmelte sie leise, als er unvermittelt seine Hand hinter ihrem Nacken vergrub und sie näher heranzog. Völlig perplex starrte sie ihn an und überlegte einen Moment zu lange, als er plötzlich seine Lippen auf ihre legte. Unter Schock weiteten sich ihre Augen und sie konnte nicht fassen, was gerade passierte. Sie war wie gelähmte, dachte über seine Worte nach und fragte sich, ob er sie gemeint hatte. Er hatte bereits die Augen geschlossen und küsste sie hingebungsvoll, während sie sich im Rausch der Empfindungen wiederfand. Seine Küsse waren bedacht und vorsichtig, aber dennoch sehr sinnlich, auch wenn ihr dieser Gedanken ganz und gar nicht gefiel. Sie musste sofort damit aufhören. Sie hatte doch einen Freund! Koushiro. Das Bild ihres Freundes blitzte vor ihrem inneren Auge auf, als sie Ken unsanft von sich stieß. Benommen blieb er auf dem anderen Stuhl sitzen, während Yolei die Hände vor ihrem Gesicht zusammenschlug. „Tut mir leid…aber das kannst du doch nicht machen“, erwiderte sie verzweifelt. „Du weißt doch, dass ich mit Izzy zusammen bin.“ Stille kehrte ein, als Yolei merkte, dass Ken sein Handeln schlagartig bewusst wurde. Hektisch sprang er auf, versuchte weiterhin sein Gesicht zu wahren, auch wenn es ihm jetzt noch schwerer fiel. „Oh Gott, es tut mir leid. War nicht so gemeint“, antwortete er nur und wollte gerade panisch den Balkon verlassen, als Yolei ihn daran hinderte, indem sie seinen Arm festhielt. Sie atmete tief ein, als sich eine Frage anbahnte, die ihr unbewusst schon viel länger auf dem Herzen lag. „Ken…bist du etwa in mich...? Er seufzte nur, blickte stur in die andere Richtung und signalisierte, dass er mit ihr darüber nicht sprechen wollte. Doch warum küsste er sie einfach und zog danach direkt den Schwanz ein? Sie mussten doch darüber reden! „Das spielt keine Rolle. War dumm von mir“, entgegnete er und streifte sie mit einem verletzen Gesichtsausdruck, als er sich von ihr bestimmend losriss und zur Party zurückeilte. Yolei sank den Stuhl hinab und berührte geistesabwesend ihre Lippen, während in ihrem Kopf ein einziges Chaos herrschte. Ken hatte sie geküsst. Sie hatte es zugelassen, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Es war wie der berühmte Schmetterlingseffekt, bei dem der Flügelschlag eines kleinen Schmetterlings einen Tornado des Grauens auslösen könnte. Fortsetzung folgt... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)