Das Rotkäppchen-Experiment von Jadis ================================================================================ Kapitel 4: Einfache Freuden --------------------------- 5 ¨¯¯¨˜“ª¤.¸°¸.¤ª“˜¨¨¯¯¨ Einfache Freuden Hinter mir knallt die Tür des dunklen Taxis in ihre Angeln und ich zupfe unbehaglich am Kragen meines langen Mantels herum, als das Black Cab von dannen rauscht. Ich kann nicht glauben, dass ich tatsächlich hier bin, geht es mir durch den Kopf, als ich der, mir bereits merkwürdig vertraut vorkommenden, Tür in der Baker Street 221B entgegen gehe. Aber ich habe mein Notizbuch dabei. Vielleicht verspricht diese Gala ja doch ganz interessant zu werden und ich schreibe schon bald einen Bestseller über... keine Ahnung... Almas Beluga Kaviar auf den Häppchen der Society Ladies... oder so. Aber erst einmal muss ich mein jüngstes Werk unter die Verleger bringen. Oi, denke ich lustlos, als mir klar wird, dass ich vorher noch 800 Seiten Korrektur lesen muss. Wie ferngesteuert klopfe ich an die Tür, um meine Ankunft bekannt zu geben. Während ich warte, sehe ich mich in der Straße um. Es ist bereits dunkel. Das Speedy's hat längst geschlossen und seine Rollläden herunter gelassen. Auf der anderen Straßenseite läuft ein laut lachendes Pärchen vorbei. Sonst ist es ruhig. Unheimlich. Wie die Ruhe vor dem Sturm. Wie leer gefegte Straßen am Weihnachtsabend. Fehlt nur noch der leise rieselnde Schnee und besinnliche Klänge, die durch verschlossene Fenster gedämpft zu mir herüber wehen. Blödsinn, denke ich und presse meine Lippen reibend übereinander, um meinen Lippenstift zu verteilen, als sich endlich die Tür öffnet. »Oh, wie schön«, freut sich Mrs. Hudson und schlägt die Hände zusammen. »Ich war mir nicht sicher, ob Sie wirklich noch einmal vorbei kommen würden.« Ich erwidere ihr Lächeln. »Aber Mrs. Hudson«, sage ich gespielt entgeistert. »Eine kluge Frau hat mir neulich geraten, jede Gelegenheit zur Recherche zu nutzen. Da lasse ich mir doch dieses Großereignis nicht entgehen.« »Wundervoll«, freut sie sich weiter und winkt mich zu sich herein. »Bitte treten Sie ein. Sherlock ist noch unterwegs, aber Sie können ja so lange bei mir warten.« Betreten folge ich der netten Dame in die Erdgeschosswohnung ganz am Ende des Ganges. »Ich bin ein bisschen früh dran«, gestehe ich, als wir uns just in einer kleinen Küche wiederfinden. »Tut mir leid.« »Ach, papperlapapp«, winkt Mrs. Hudson ab und kramt in ihren Schränken nach Teetassen, während ich mir gestatte, mich an einen kleinen Esstisch an der Wand zu setzen. »Ich freue mich immer, wenn ich jemanden zum Plaudern habe. John und Mary kommen viel zu selten vorbei und Sherlock... na ja... mögen Sie Ihren Tee mit Milch?« »Machen Sie sich bitte keine Umstände«, verlange ich und knöpfe meinen Mantel auf. »Nicht doch«, winkt Mrs. Hudson erneut ab und stellt den Wasserkocher an. »Also?« »Mit Milch«, sage ich nickend und beobachte, wie die Dame ein Milchkännchen hervorzaubert und in der Mitte des Tisches platziert, bevor sie sich mir gegenüber niederlässt und die Hände auf der Tischplatte faltet. »Ach, du meine Güte«, ruft sie plötzlich aus und ich erschrecke ein wenig, als sie eine Hand auf ihre Brust schlägt. »Sie sehen ganz reizend aus, meine Liebe.« Ich bemerke, wie etwas Farbe in meine Wangen huscht und streiche Falten aus meinem grünen Kleid. »Danke«, sage ich leise. Ich konnte mit Komplimenten noch nie umgehen. Als ich meinen Blick wieder hebe, bemerke ich, dass der guten Mrs. Hudson etwas auf dem Herzen zu liegen scheint. »Also«, beginnt sie sogleich vorsichtig. »Haben Sie... wie heißt das doch gleich... dieses neumodische Wort... wenn man Nachforschungen anstellt... in diesem weltweiten Netz...« »Sie meinen googeln?«, helfe ich ihr auf die Sprünge und bin gleichzeitig ein wenig belustigt. »Ja, genau«, sagt Mrs. Hudson, während der blubbernde Wasserkocher im Hintergrund eine entsprechende Geräuschkulisse bildet. »Und? Haben Sie?« Ich schlage die Beine übereinander und erinnere mich an meine Stalking-... äh... ich meine... Internetsuche. Einen ganzen Abend lang habe ich Foren durchforstet, Onlinezeitschriften durchstöbert und Blogs ausfindig gemacht. »Ja«, gebe ich dann zu und Mrs. Hudson erhebt sich, vermutlich um Tee aufzugießen, während ich den Sekundenzeiger der Küchenuhr beobachte. »Gut. Dann wissen Sie ja jetzt Bescheid.« Geschirr klappert und ich nicke geistesabwesend. »Ich meine, dass Sherlock eine kleine Berühmtheit ist.« »Und dass er hinzugezogen wird, wenn die hiesige Polizei nicht mehr weiter weiß«, füge ich hinzu, als ein großer Schatten in der Tür erscheint und Mrs. Hudson mir den guten alten Earl Grey serviert. »Was praktisch immer der Fall ist«, sagt eine sonore Stimme und ich drehe mich um. »Sie sind zu früh.« Mr. Holmes steht im Türrahmen und knöpft soeben seinen langen Mantel auf. Der Stoff ist grob und mein Blick huscht sofort zu dem seltsamen roten Knopfloch am Revers. »Ich habe eben keine Hobbies«, antworte ich ausweichend und leicht resignierend. »Offenkundig«, ist die ungalante Antwort. »Sherlock!«, echauffiert sich Mrs. Hudson und donnert ihre Teetasse so hart auf die hölzerne Tischplatte, dass es scheppert. »Sie wollten doch bestimmt gerade anmerken, dass Harleen ganz bezaubernd aussieht.« »Selbstverständlich«, sagt Mr. Holmes, zieht seinen Schal vom Hals und lächelt. Dieses verblasst jedoch sofort wieder, als Mrs. Hudson nicht hinsieht. »Grün, wie ich es Ihnen geraten habe.« Dann tritt er kurz einen Schritt näher und verzieht das Gesicht, schnalzt verstimmt mit der Zunge. »Der Ansatz ist zu sehen.« Ansatz?, steht Mrs. Hudson ins Gesicht geschrieben, als sie zwischen uns hin und her sieht. »Ich habe letzte Woche erst nachgefärbt«, rechtfertige ich mich und fahre mir, meine Worte unterstreichend, über den Kopf. »Er ist zu sehen«, bleibt Mr. Holmes bei seinem Standpunkt. »Ist er nicht«, sage ich und versuche, mit meinen Blicken Blitze zu werfen. »Doch, ist er.« »Ihr Haar ist gar nicht naturrot?«, wirft Mrs. Hudson ein und rettet Mr. Holmes somit vor einem tätlichen Angriff meinerseits. »Meine Güte, darauf wäre ich nie gekommen. Die Farbe sieht sehr natürlich aus.« Ich ziehe eine Augenbraue steil in die Höhe – ich bin sehr stolz darauf, dass ich dazu in der Lage bin - und sehe Mr. Holmes triumphierend an. Dieser presst die Lippen aufeinander, bis sie nur noch ein schmaler Strich sind. »Es wird wohl auch so gehen«, gibt Mrs. Hudsons Mieter missbilligend zu verstehen. »Die Menschen werden wie immer nicht richtig hinsehen.« »Was soll das Ganze überhaupt?«, will ich wissen und meine damit das Haar-Dilemma. »Haben Sie irgend so einen Fetisch, der bedient werden muss?« Mr. Holmes sieht mich musternd an und ich bemühe mich, seinem Blick standzuhalten. »Fünf Minuten«, sagt er und verschwindet im Flur, dann sind seine Schritte auf der Treppe in die erste Etage zu vernehmen. Ich sehe zu Mrs. Hudson, die mich nur schulterzuckend ansieht und auf ihren heißen Tee pustet. »So«, beginnt sie, als die Schritte verklungen sind. »Sie schreiben also Kriminalromane?« Ich setze mich wieder gerade hin und schenke Mrs. Hudson meine gesamte Aufmerksamkeit. »Ich habe es vor«, erkläre ich ihr und führe die Teetasse kurz an meinen Mund, bevor ich fortfahre. »Im Moment arbeite ich an einem Projekt, welches sich eher im Bereich Urban Fantasy ansiedelt.« »Aha«, macht Mrs. Hudson und scheint mit meiner Antwort nicht sonderlich zufrieden. »Na ja, das ist jetzt nicht so meines.« Ich beobachte, wie die Dame die Strickjacke über ihrer Bluse zurecht zupft und belächele ihre offensichtliche Nervosität. »Aber vermutlich werde ich demnächst einen Thriller beginnen«, rudere ich wieder auf ein Thema zurück, welches die Vermieterin zu interessieren scheint. »Oh«, ruft sie begeistert aus und rutscht auf ihrem Stuhl herum. »Wie aufregend. Aber da sind Sie ja bei Sherlock in den besten Händen. Sein Weg ist immer mit reichlich Verbrechen gepflastert.« Ich komme nicht darum herum zu bemerken, dass das ziemlich merkwürdig klingt, aber ich weiß ja, um wen es hier gerade geht. »Meinen Sie, Sie könnten vielleicht einen Charakter nach mir benennen?« Ich lache und versichere, dass ich tun werde, was ich kann, als eine Diele im Flur knarzt. »Ich bin soweit«, ruft eine Stimme. »Beeilen Sie sich. Verbrechen wartet nicht auf uns.« Mrs. Hudson und ich erheben uns und gehen Richtung Eingangstür, während ich meinen Mantel wieder schließe. »Warten Sie nicht auf mich Mrs. Hudson. Es könnte spät werden«, lässt Mr. Holmes die Dame wissen, während er bereits die Tür aufreißt und auf die Straße tritt, um ein Taxi zu rufen. »Viel Spaß«, wünscht mir die ältere Frau noch, als ich meine kleine Handtasche zurecht rücke und zusehe, dass ich nicht den Anschluss verliere, als bereits ein Taxi am Bürgersteig hält. Viel Spaß? Das wird sich noch zeigen. »Gute Nacht, Mrs. Hudson. Danke für den Tee«, bedanke ich mich artig und die Dame winkt mir nach, als ich dem Taxi entgegen haste. Mr. Holmes steht an der Hintertür des Fahrzeuges und sieht abwartend in meine Richtung. Als ich näher komme, reißt er die Tür auf und verschwindet fluchs im Inneren. Ich schnaube belustigt über mich selbst. Da hatte ich doch tatsächlich kurz angenommen, dass... ach.. egal. Ich husche hinterher und platziere mich neben dem Consulting Detective auf der Rückbank. Noch ehe ich die Tür hinter mir zuziehe, fädelt sich das Gefährt in den fließenden Verkehr ein und bringt uns einem mir unbekannten Ziel entgegen. Ich seufze in die aufkommende Stille, während die Lichter des Gegenverkehrs hin und wieder das Innere des Cabs erhellen. »Also«, beginne ich zaghaft, wende mich nach links und sehe, dass Schatten auf Mr. Holmes' Gesicht tanzen und er abwesend auf einen Punkt vor sich starrt. »Ah«, gibt er trotzdem von sich, lässt den Punkt jedoch nicht aus den Augen. »Ist jetzt der Moment gekommen, in dem wir eine lockere Konversation starten, die über die Stille hinweg helfen soll, die gewöhnliche Menschen als peinlich empfinden?« Innerlich beginne ich zu nicken. Ja, das hatte ich eigentlich angenommen. »Ich habe Johns Blog gelesen«, sage ich einfach und ernte ein unartikuliertes Schnauben. »Nicht nett, dass Sie Ihren Tod-« »Die Titel, die er sich hat einfallen lassen sind einfach lächerlich«, geht Mr. Holmes zwar auf die Blog-Geschichte ein, überspielt die andere Klamotte aber gänzlich. »Mir gefallen sie«, gestehe ich wahrheitsgemäß und um meine Begleitung ein wenig zu ärgern. Ich habe auch an simplen Dingen Freude. »Wie scheinbar alle gewöhnlichen Menschen«, meint Mr. Holmes und holt sein Telefon hervor, auf welchem er sofort herumspielt. »Dabei haben diese Überschriften so wenig Tiefgang. Sie sind einfach viel zu offensichtlich. Schreiben Sie Ihre Romane auch so oberflächlich? Kein Wunder, dass-« »Was macht eigentlich mein Helm?«, unterbreche ich seine Ausführungen, bevor er mich beleidigen kann. Meine Frage bringt ihn dazu, von seinem Telefon zu mir zu sehen. Die Beleuchtung des Displays spiegelt sich in seinen Augen wider, als er kurz grinst. »Er macht sich ganz prima als Blumentopf.« Ich verziehe das Gesicht, als ich es mir bildlich vorstelle. »Das ist nicht Ihr Ernst!« Mr. Holmes betätigt die Tastensperre seines Smartphones, steckt dieses wieder in die Innentasche seines Jacketts und wirft einen Blick auf die vorbeirauschende städtische Landschaft. »Wenn es um Zimmerpflanzen geht, beliebe ich nie zu scherzen«, sagt er trocken und bringt mich somit zum Lachen. »Sind Sie etwa auch Komiker, Mr. Holmes?« »Oh bitte«, antwortet er mit leidender Miene. »Nennen Sie mich bei meinem Vornamen, sonst fühle ich mich wie ein alter Mann.« Also gut. Wie er meint. »Wo fahren wir eigentlich hin?«, frage ich interessiert, als die Inner Temple Gardens an uns vorbei ziehen und sehe aus dem Fenster. »Tower of London«, meint Sherlock kurz angebunden und ein Ton aus seiner Brusttasche sagt mit, dass er soeben eine SMS empfangen hat. Ich lache kurz auf. »Wirklich witzig. Jetzt im Ernst. Wo fahren wir hin?« Sein Kopf dreht sich langsam in meine Richtung und er sieht mir abschätzend in die Augen. Hat seine helle Pupille im linken Auge da einen dunklen Punkt über der Iris? Krass. »Tower of London«, wiederholt er langsam, sodass es auch ein geistig unterbemittelter versteht. Also... jemand wie ich. »Ach, du Scheiße«, entfleucht es mir daraufhin vor Schreck und ich muss gestehen, dass ich jetzt doch ein wenig nervöse Vorfreude verspüre. »Lisa Rose«, sagt Sherlock dann aus heiterem Himmel und ich begreife sofort, dass er meine weiteren Vornamen erraten will. »Nein«, bin ich so gnädig zu sagen und lächele in mich hinein. »Lolly Regina«, rät er weiter. »Herrje, nein«, verneine ich weiter. »Lancaster Raven?« Ein tiefes Kichern stiehlt sich dabei seine Kehle empor. »Ach, halten Sie die Klappe.« ~ Ende des 5. Kapitels ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)