Virus M4 - [Loki] von Mothgirl ================================================================================ Kapitel 1: Brennenburg ---------------------- Ich bin etwas besonderes, besser als alle anderen. Dafür gemacht über ihnen zu stehen und auf sie herabzuspucken. Ich bin geboren um zu herrschen und zu befehlen, zu richten und zu strafen. Ich bin ein König, ein Kaiser, ein Gott! Und ich höre nicht auf bis ich an der Spitze stehe! "Ausgezeichnet Henry, absolut perfekt!" Henry nahm die Finger vom Klavier und nickte nur, er war nicht überrascht das zu hören. Immerhin hatte er schon seit fast zwei Stunden dieses Stück geübt, da war etwas anderes als "Perfekt" inakzeptabel. Henry sah seinen Hauslehrer an, welcher fassungslos den Kopf schüttelte. "Du machst wahnsinnig schnelle Fortschritte Henry. Mit nur 14 Jahren bist du bereits weiter als die meisten Musiker mit dem doppelten Alter und der doppelten Erfahrung! Wenn du so weiter machst hast du in ein paar Jahren sogar mich übertroffen." Henry blickte ihn durchdringend an. In ein paar Jahren? Henry war ihm bereits überlegen. Dieser Mann war höchstens Mittelmaß, ein Musiker der Kindern die Grundlagen des Klaviers beibrachte. Er war langweilig. So wie alle Menschen hier in der Villa Brennenburg. Die Villa steht in Deutschland, genauer gesagt in der Nähe der Stadt Quetlinburg. Die Brennenburgs sind ein altes, stolzes Geschlecht denen im Zeitalter der Demokratie jedoch nichts übrig bleibt als auf ihren Titel zu pochen und auf ihren Luxus zu zeigen. Sie versuchen festzuhalten was schon längst weg ist. Der Adel hat seinen Einfluss verloren, wahrscheinlich für immer. Henry ist als einziger Sohn seiner Eltern der rechtmäßige Erbe des Hauses Brennenburg und als solcher wurde er stets gegenüber seiner drei Schwestern bevorzugt. Er hat noch nie eine Schule besucht, jeglicher Unterricht geschieht mit Privatlehrern im Haus. Nicht nur alle Schulfächer werden ihm beigebracht, er lernt ebenso reiten, schießen, musizieren, Manieren und noch einiges mehr. Es wird vorausgesetzt das er ein perfekter Erbe wird der in jeglichen Disziplinen makellos ist. Henry erfüllt diese Voraussetzungen vollkommen, er ist in allen Disziplinen und Fächern ausgezeichnet, meistert jede Aufgabe in kurzer Zeit. Je älter er wird und je mehr Aufgaben er meistert, je öfter er gelobt wird desto mehr begreift er wie gut er ist, wie überlegen er allen anderen ist. Doch diese Überlegenheit hatte einen hohen Preis. Denn Henry langweilte sich. Es gab niemanden in der Villa der ihm ähnlich war, niemanden an dem er sich messen konnte. Niemand der den gleichen Hunger nach mehr hatte. Mehr Wissen, mehr Gedanken, mehr Fähigkeiten. Henry lebte um zu lernen, er verzehrte sich danach besser und immer besser zu werden um allen überlegen zu sein. Er hatte niemanden der das verstand, mit dem er sich austauschen konnte, mit dem er auf Augenhöhe reden konnte. Henry war umringt von Menschen, doch er war einsam. Und Langeweile trägt zuweilen seltsame Früchte. Für heute war Henrys Unterricht beendet, es war Zeit für das Abendessen. Er fragte sich ob seine Eltern je selbst gekocht hatten, das Personal übernahm fast alle Aufgaben im riesigen Haus. Die Brennenburgs waren nicht gerade arm, der Flur durch den Henry ging war reich geschmückt mit vielen teuren Gemälden. Henry mochte die meisten nicht, sie hatten keine Aussage. Sicher, sie spiegelten Reichtum wieder, waren von großen Namen angefertigt worden. Doch Henry fehlte die Botschaft, etwas was der Künstler sagen wollte, zu jedem der das Bild genau genug betrachtete. Henrys teure Schuhe machten klackende Geräusche auf dem Marmorboden welche durch den langen Flur hallten. Er trug stets edle Kleidung, wie es sich für den Erben gehörte. Henry hatte nichts dagegen, er mochte diese Kleidung, sie unterschied ihn von anderen Kindern. Zeigte das er etwas besseres, ihnen überlegen war. Dann öffnete Henry eine Tür und bog in einen weiteren Gang ein welcher ihn schließlich zum Esszimmer führte. Ein köstlicher Duft strömte aus den Küchen und Henry sah das er genau pünktlich kam, wie immer. Das Esszimmer war ein runder Raum mit mehreren Türen zu den Küchen und Wandteppichen an den Wänden, welche die ruhmreiche Geschichte des Hauses Brennenburg zeigten. Sie zeigten die großen Fürsten, gnädige und mächtige Männer. Sie zeigten die großartigen Künste, die Ländereien, die Schlachten die vor langer Zeit vom Hause Brennenburg geschlagen wurden. Was sie nicht zeigten waren die vielen kleinen Verbrechen, die Bestechungen, Verrat, Intrigen und Folter. All die Dinge die nötig waren um mächtig zu werden und zu bleiben. Henry wusste natürlich davon, als Erbe der Brennenburgs wurde er auch in der Kunst des Gesprächs unterrichtet. Das Haus Brennenburg war ein untergehender Stern und Henrys Vater würde wohl alles tun um die trügerische Macht die sie noch hatten aufrecht zu erhalten. Sie hatten zwar keine politische Macht mehr doch sie waren immer noch angesehen und natürlich reich. Und Geld, so wurde Henry beigebracht, ist Macht. Geld schafft Status, Status schafft Ansehen, Ansehen schafft Macht. Und natürlich war Geld auch wunderbar geeignet um Leute zu bestechen. Im abgelegenen Harz, abseits der großen Städte, war die Bevölkerung anders, haben andere Vorstellungen. Gegessen wurde größtenteils schweigend, nur die sanfte Melodie eines Streicherquartetts war zu hören. Der Tisch war lang, bot Platz für mehr als dreimal so viele Menschen wie nun daran saßen, und bestand aus edlem Eichenholz. Am Kopf des Tisches thronte das Familienoberhaupt, Siegfried von Brennenburg, Henrys Vater. Ein Bild von einem Mann, groß, autoritär und mit einem grimmigen Ausdruck auf dem Gesicht. Der ewige Kampf um den Stand der Familie hatte ihn verbittert, er klammerte an Traditionen als wären sie sein ganz persönliches Rettungsboot. Nach Henrys Meinung war dieses Verhalten viel zu altmodisch, zu steif. Wer sich nicht wandelte ging unter und so wunderbar die alten Sitten und Traditionen doch waren, so waren sie nicht mehr zeitgemäß. Siegfried focht einen Kampf den er bereits verloren hatte, doch er war zu stolz sich das einzugestehen. Auf einer Seite des Tisches, direkt neben Siegfried, saß seine Frau Hilde von Brennenburg, Henrys Mutter. Neben ihr saßen Henrys drei Schwestern, Henriette, Patrizia und Margarethe. Henry mochte sie nicht, nur Henriette war in Ordnung. Als älteste der drei Hühner war sie reifer und klüger als die beiden Dummchen. Sie wurden zwar auch von Privatlehrern unterrichtet, doch von ihnen wurden nicht solche Leistungen wie von Henry erwartet. Alles was man von ihnen erwartete war das sie schön lächeln und lieblich duften. Und mehr taten sie auch nicht. Auch wenn es normal war das auch Frauen arbeiten und Leistung erbringen so würden sie wohl niemals arbeiten, einfach weil sie nicht mussten. Die Familie war reich, sie hatten bereits zum Zeitpunkt ihrer Geburt ihr Leben lang ausgesorgt. Henry war sich nicht sicher woher das ganze Geld kam das Siegfried verdiente, doch vermutlich würde ihm auch das irgendwann gezeigt werden. Er war schließlich der Erbe, das nächste Familienoberhaupt. Und als solcher saß er gegenüber von seiner Mutter, neben Siegfried. So saßen sie also da, aßen schweigend. Henry wurde nicht nach seinen Fortschritten im Unterricht gefragt, denn diese Dinge wurden Siegfried von Henrys Lehrern persönlich mitgeteilt. Vermutlich hatte er die Berichte von heute bereits erhalten und erfahren was für großartige Leistungen sein Sohn heute geleistet hat. Wie jeden Tag. Doch heute hatte Henry selbst ein Anliegen welches er vorbringen wollte. "Vater" sagte Henry und legte sein Besteck ordentlich am Tellerrand ab. "Vater, ich möchte einen neuen Klavierlehrer. Ich habe das Gefühl das mich mein derzeitiger Lehrer nicht mehr genügend fördern kann." Ein Lehrer musste dem Schüler um Längen überlegen sein um ihn zu fördern, das war ein Grundprinzip des Lehrens. Doch Henrys momentaner Lehrer war nicht mehr geeignet für diese Aufgabe. Siegfried blickte seinen Sohn forschend an und überlegte. "Nein. Sei nicht so hochmütig, Henry! Ich entscheide wann du einen neuen Lehrer bekommst, nicht du. Das ist mein letztes Wort." sagte Siegfried dann in befehlsgewohnter Stimme. Henry schluckte und starrte seinen Teller an, er hatte Mühe seine Wut unter Kontrolle zu behalten. Was sollte das? Was war das denn bitte für eine Begründung? Henry versuchte normal zu wirken als er sein Besteck wieder nahm, doch seine Hand zitterte leicht. Glaubte der alte Sack etwa das er immer noch das kleine Kind war welches einfach jede Begründung schluckte? Er war langsam wirklich alt genug selbst Entscheidungen treffen zu können. Warte nur! Das wird Henry nicht auf sich sitzen lassen. Henry saß oben in seinem Zimmer und ließ seinen Blick über seine Ländereien schweifen. Sein Zimmer lag im Dachgeschoss der Villa, das Fenster bot einen wundervollen Blick über die Gärten und Wälder bis zum See bot. All diese Ländereien waren bereits seit vielen Jahren im Besitz der Brennenburgs, und irgendwann würden sie allein ihm gehören. Wie Henry sich schon darauf freute. Er würde all das übernehmen und nach seinen Vorstellungen umgestalten. Schluss mit festgefahrenen Traditionen, heutzutage war Perfektion gefragt. Das war es was Henrys Leben bestimmte. Perfektion, alles für die Perfektion. Alles musste verbessert werden, gestärkt, gestählt. Henry wollte dies alles umformen, er wollte immer stärker und besser werden. Er würde niemals stoppen, niemals. Jeder Junge in seinem Alter hatte Träume. Es dämmerte bereits als Henry das Bellen hörte. Er las gerade in seinem Lieblingsbuch, dem Nibelungenlied. Henry liebte die nordische Mythologie, er fand sie viel faszinierender und besser als den spannendsten Roman. Die Geschichten von Helden und Göttern zogen ihn immer wieder in ihren Bann. Henry las viel, manchmal bis spät in die Nacht hinein. Die Geschichten halfen ein wenig gegen seine Langeweile, er hatte keine Freunde mit denen er sich treffen konnte. Das passierte wenn man nie eine Schule besucht hatte, man hat keine Möglichkeit andere Menschen seines Alters kennenzulernen. Aber wenn man die Hühner betrachtete fragte sich Henry ob er überhaupt andere seines Alters kennenlernen wollte. Henry sah vom Buch auf und blickte aus dem Fenster, das war doch der Köter seiner Schwester Patrizia! Henry hasste das Vieh, es war unglaublich laut dafür das es so klein war und bellte fast ununterbrochen. Henry konnte sich einfach nicht erklären was seine Schwester an diesem Ding so mochte, sie liebte es wirklich abgöttisch. Henry schaute aus dem Fenster um zu sehen was dort geschah. Patrizia verlies fröhlich hüpfend die Villa, ihre Töle lief an einer Leine neben ihr her. Patrizia war 11 Jahre alt und stets gut gelaunt, ein Charakterzug den Henry nicht mochte. So fröhlich konnte nur sein wer zufrieden war, wer zufrieden war hatte keinen Ehrgeiz, wer keinen Ehrgeiz hatte war uninteressant. Sie ging wahrscheinlich baden wie sie es oft und gern tat. Der See lud geradezu dazu ein darin zu baden, das Wasser war stets herrlich klar und da der See auch zum Privatbesitz der Brennenburgs gehörte war es dort stets ruhig und leer. Henry hatte schlechte Laune, sein Vater hatte ihn vor der ganzen Familie bloßgestellt. Und dieses verdammte Biest hörte einfach nicht auf zu bellen! Am liebsten würde Henry ihn umbringen! Moment....warum eigentlich nicht? Ein dreckiges Grinsen erschien auf Henrys Gesicht. Das sollte doch machbar sein. Leise schlich Henry durch die Gärten auf die Bäume zu, die Armbrust aus den alten Lagerräumen fest im Griff. Sie war noch in gutem Zustand, die Diener hielten das ganze alte Zeug sauber und funktionsfähig, doch als Henry sie geklaut hatte war niemand dort gewesen. Henrys Plan war einfach: Patrizias Köter erschießen während sie badet, ungesehen wieder zum Schloss gehen und die Armbrust ins Zimmer des Klavierlehrers legen. Auch wenn das nicht sehr glaubhaft wäre und Henry weitaus verdächtiger war als der Lehrer so würde Siegfried dennoch den Lehrer bestrafen. Schließlich war Henry der Erbe und es würde kein gutes Licht auf die Familie werfen wenn er beschuldigt werden würde. Also würde dem Familienoberhaupt nichts anderes übrig bleiben als den Lehrer rauszuwerfen. So schlug Henry zwei Fliegen mit einer Klappe, eine Tatsache die Henry sehr gefiel. Im schummrigen Licht der blauen Stunde stand Patrizia nackt im seichten Wassers des Sees und planschte. Henry betrachtete sie und stellte fest das sie bereits begonnen hatte aufzublühen. Sie war eine junge Schönheit, blond und zierlich bewegte sie sich trotz ihrer kindlichen Art anmutig. Die Brennenburgs hatten scheinbar wundervolle Gene, Henry war schließlich auch wunderbar gelungen. Der Köter war an einem Baum angebunden und schnupperte am Gras, ausnahmsweise bellte er nicht. Henry wollte keine Zeit verlieren und lud die Armbrust, legte an und schloss ein Auge. Lustig, dachte er noch, der Hund steht direkt vor ihr. Aus diesem Winkel sah es fast so aus als würde sie auf einem Riesenhund sitzen, mit nur einem Auge ließ das dreidimensionale Sehen stark nach. Also atmete er tief ein, hielt die Luft an und schoß. Im Unterricht traf er immer, er war ein genialer Schütze. Doch diesmal verfehlte er. Sie schrie nicht einmal als der Bolzen sich in ihren zarten Körper bohrte. Überrascht hob die ihre zierlichen Hände an ihre Brust, ertastete dort den Bolzen und gab ein gurgelndes Geräusch von sich. Dann taumelte sie, fiel ins Wasser und verschwand. Henry sah seine Schwester nie wieder. Stumpf starrte er auf die Stelle an der bis eben noch seine Schwester stand und horchte in sich. Was fühlte er? Er war...überrascht. Mehr nicht. Er war nicht traurig oder schockiert, er hatte keine Angst oder Reue. Damals stellte Henry fest das ihm andere Menschen egal waren. Er hatte kein Mitgefühl oder ähnliche Charakterschwächen, er war stark. Er durfte tun und lassen was er will. An diesem Abend am See ist ihm etwas klar geworden, er hatte sich selbst erkannt und konnte sich endlich klar sehen. Für diese Erkenntnis musste seine Schwester sterben. Und verdammt noch mal, das war es ihm wert. Henry lächelte, dann lachte er laut und schallend. Er bereute nichts! Er vermisste sie nicht! Sie war ihm nicht wichtig! Niemand war ihm wichtig! Er war hier die Hauptperson, der einzige um den es hier geht! Zum ersten mal seit Jahren war seine Langeweile gebrochen! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)