Bambino Fingono von abgemeldet (Pretender Fanfiction) ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Titel: Bambino Fingono Autor: ZoeP Rating: PG-13 Categories: R, A Spoiler: Staffel 1-4 (die Filme nicht) Handlung ist inzwischen etwa bei Mai 2001 Short-Cut: Jarod versucht, mehr über seine Vergangenheit zu erfahren und krempelt dabei nicht nur das Centre gewaltig um... Pairing: Alle ;-) Disclaimer: Die Charas von Pretender und die Vorgeschichte gehört nicht mir. Jedoch ist der gesamte Inhalt, den ich hier fabriziert habe, mein geistiges Eigentum. E-Mail: janni@feix-jena.de Anmerkung: Ein supergroßes Danke an Nicatlon, meine Betaleserin, die mir immer wieder hilft, weil sie einfach viiiieeeel mehr Ahnung von tP hat, als ich ;-) Danke!!! Bambino Fingono von ZoeP Teil 4 Es war Mittag, die meisten der Kinder spielten draußen oder hatten sich in ihre Zimmer zurückgezogen. Jarod war dabei, die dritte E-Mail zu lesen, er war gestern zu müde dazu gewesen. Sie war sehr unsicher formuliert, und ungewöhnlich, da sie von Broots privatem Computer stammte. Hallo Jarod, Sie wissen sicherlich, wer ihnen hier schreibt, wie ich Sie kenne. Es hat sehr lange gedauert, bis ich ihre E-Mail Adresse zurückverfolgen konnte, und ich vermute, wenn Sie es gewollt hätten, dann wäre sie ganz verschlüsselt geblieben. Ich danke ihnen, weil ich bei der Entschlüsselung auf eine neue Technik gestoßen bin, was Sie sicherlich beabsichtigt hatten. Aber warum ich ihnen schreibe... Ich weiß nicht, was Sie getan oder nicht getan haben, auf jeden Fall scheint es Miss Parker nicht sonderlich gut zu gehen. (Ich möchte ihnen nicht die Schuld geben, aber die Ursache hat mit ihnen zu tun.) Nach außen hin wirkt Miss Parker wie eh und je stark und eiskalt, aber wenn sie sich unbeobachtet fühlt, dann tritt eine tiefe Unsicherheit in ihre Augen. Sie hält mich für einen unsensiblen Tollpatsch, und sie hat nicht so unrecht, aber ich sehe ihr deutlich an, dass sie leidet. Jarod, ich bitte Sie, wenn es in ihrer Macht stehen sollte, etwas dagegen zu tun, dann tun Sie es. Ich weiß, es könnte Ihnen eigentlich egal sein, was mit Miss Parker geschieht, aber Sie haben sich die letzten vier ein halb Jahre für die schwachen Menschen eingesetzt, und Miss Parker ist einer dieser schwachen Menschen. Sie haben ihr immer wieder auf die Beine geholfen, wenn es ihr schlecht ging. Damals, nach dem Tod ihrer Mutter, und nach der Sache mit Thomas Gates auch... Bitte, helfen Sie ihr auch diesmal. Ich kenne den Grund für ihre Schwäche nicht, aber es gibt nur wenige, die sie wieder zu der alten Miss Parker machen können. Und ihr Vater gehört definitiv nicht dazu... Mit freundlichen Grüßen, Broots. Jarod war erstaunt über die Sensibilität, die Broots zeigte. Er machte sich ernsthaft Sorgen um Miss Parker. Und Jarod begann, dies auch zu tun. Nach Broots Beschreibung schien es ihr wirklich nicht gut zu gehen. Und er war gar nicht so tollpatschig, wie er meinte. Ein Tollpatsch hätte nie bemerkt, dass Jarod sich bisher um Miss Parker gekümmert hatte. Jarod rieb sich die Augen und sah auf die Uhr. Kurz nach elf. Er dachte an den letzten Abend. Nach der Erinnerung, die ihn überrollt hatte, wie eine Lawine, hatte es lange gedauert, bis er sich beruhigen konnte. Danach hatte er beschlossen, sich schlafen zu legen. Er hatte diese Phasen vor einiger Zeit des Öfteren gehabt, und einmal waren sie so deutlich, dass er die Bedeutung von Bambino Fingono hatte entschlüsseln können. Danach waren die Szenen in seinem Kopf wieder abgeebbt. Ein Geräusch ließ ihn aufsehen. Sein Laptop bedeutete ihm, dass er eine weitere E-Mail erhalten hatte. Erstaunt öffnete er sie. Sie stammte von Miss Parker. Schnell las er sie sich durch. Es waren nur wenige Zeilen, und doch erkannte er die kalte, gefühllose Miss Parker der letzten Jahre nicht wieder. Jarod konnte eine tiefe Bitterkeit und Ironie herauslesen. Jarod, was ist denn los, dass Sie ihre Spielchen eingestellt haben? Es war nicht besonders nett, dass Sie mich neulich haben alleine gelassen, nachdem Sie mich so überrumpelt hatten. Haben Sie auch an meine Gefühle gedacht? Nicht, dass man Gefühle für sie haben könnte, aber... Ich dachte bisher, dass ich Ihnen vertrauen kann, Sie haben mich bisher nie verletzt. Aber das neulich... Ich wusste nicht, dass Sie so skrupellos sein können. Parker Jarod sah sie die Nachricht noch einmal an, und dann noch einmal. War sie wirklich fähig, solche Zeilen zu schreiben? Er erkannte, dass sie eine No-Return-Mail versendet hatte. Nur er konnte sie lesen, und sie würde sich nach zehn Minuten von selbst aus dem gesamten Netz löschen. Er druckte sie sich aus und sah dabei zu, wie sich das Fenster auf dem Bildschirm schloss und die Mail verschwand. Als er das Blatt in der Hand hielt, fiel ihm etwas auf, was er vorher übersehen hatte. Unter der eigentlichen Nachricht stand eine Internetadresse. Er gab die Adresse ein und befand sich in einem Chat Programm. Sie wollte also Kontakt zu ihm aufnehmen. Er gab einen Namen ein und bestätigte den Logg in. Seine Abwehrsoftware würde ihn davor schützen, dass sie ihn ausfindig machen konnte. Es war keiner außer ihm und Miss Parker da. Er gab ein Wort ein. Sein Name erschien, gefolgt von seiner Nachricht. Jarod: "Was?" Erst antwortete sie nicht, dann erschien ihr Text. Parker: "Wo sind Sie?" Jarod: "Weit weg. Ich sagte doch, dass wir uns eine Weile weder sehen noch voneinander hören werden." Parker: "Ich nehme ihre Worte nicht ernst." Jarod: "Meine letzten haben Sie aber ernst genommen." Parker: "Welche?" Jarod: "Das Zitat von Aymé." Parker: "Wer sagt Ihnen das?" Jarod: "Sie selbst. Ich würde Ihnen nie weh tun, das wissen Sie." Parker: "Das haben Sie auch nicht. Ich bin nur verwirrt." Jarod: "Nanu, so ehrlich?" Parker: "Ich habe nicht die Kraft, mich mit Ihnen zu streiten. Wenn ich Glück habe, werde ich nur zu den Cleanern versetzt." Jarod war verblüfft. Wieso sollte sie degradiert werden? Er tippte weiter und fragte sie danach. Jarod: "Was ist passiert?" Parker: "Wenn ich Ihnen sage, dass Daddy wieder böse mit seinem Engelchen ist, geben Sie mir dann wieder einen Tipp und fliehen, so wie letztes Mal auch?" Jarod: "Ich bin nicht geflohen." Parker: "Dann nennen wir es weglaufen." Jarod: "Auch das nicht. Ich war die ganze Zeit da, Sie haben mich nur nicht gesehen. Broots' Hawaii Hemd sah schrecklich aus. Und sie hätten ihre dunkelblauen Vorhänge zumachen sollen." Parker: "Sie waren die ganze Zeit in Ely und haben uns beobachtet? Ich fass es nicht! Das erklärt die Sache mit dem Bild." Miss Parker musste daran denken, dass sie verwundert gewesen war, woher Jarod davon gewusst hatte. Dass sie das Bild in der Hand gehalten hatte, welches er ihr kurz vorher hatte zukommen lassen. Jarod: "Das Bild..." Parker: "Was ist damit?" Jarod: "Wenn ich Sie verwirrt habe, tut mir das Leid, es war nie meine Absicht. Aber Sie haben mich verwirrt, weil Sie etwas weggeworfen haben, was mir sehr viel bedeutet. Ich arbeite daran, es wieder aufzubauen, und Sie werfen es einfach weg. Das tut weh!" Miss Parker saß vor ihrem Laptop und konnte in ihrer Fantasie deutlich seine Stimme hören und sein Gesicht vor sich sehen. Nur den Inhalt seiner Worte verstand sie nicht. Seufzend schrieb sie weiter. Parker: "Ich schätze, Angelo hat ihnen auch die DSA zugeschickt?" Jarod: "Ja. Wer ist das Mädchen?" Parker: "Ich weiß nicht. Ich habe ein Gespräch zwischen Daddy und meinem kleinen Bruder mit angehört, und Daddy sagte, es würde Zeit, die alte Akte wieder hervor zu holen. Es ging um eine rote Akte. Ich habe sie auf dem Schreibtisch meines Vaters gesehen." Jarod: "Welche Akte?" Parker: "Ich hätte nicht gedacht, dass es etwas im Center gibt, was ich vor ihnen weiß." Jarod: "Dann freuen Sie sich, dass es endlich mal so ist und verschweigen Sie es mir." Parker: "Das würde ich auch tun, aber mit ihrer Hilfe finde ich vielleicht schneller heraus, worum es geht." Jarod: "Wieso sollte ich ihnen helfen?" Parker: "Weil ich Sie darum bitte." Jarod musste grinsen. Kein gutes Argument. Jarod: "Also gut, ich werde ihnen helfen. Aber nur damit!" Miss Parker wusste, wie er das meinte. Hinter Bambino Fingono sollte sie selbst kommen. Parker: "Ich habe ein bisschen herumgesucht. Die Akte nennt sich First Child. Es geht um ein Projekt, ähnlich dem von ihnen. Es ist eine rote Akte. Ich konnte nur einen Blick auf die ersten Dokumente werfen, danach kam mein Brüderchen und ich musste mich verstecken" Sie schauerte bei dem Gedanken daran, dass er sie beinahe erwischt hätte. Jarod: "Sie meinen, es geht um einen Pretender?" Jarod traute sich fast nicht, das Wort hinzuschreiben. Sollte es vor ihm tatsächlich einen anderen Pretender gegeben haben? Und wenn ja, wieso hatte man dann ihn geholt? War der erste Pretender nicht geeignet, oder war er entkommen? Aber wieso hatte er bisher nichts darüber gefunden? Eine Menge Fragen staute sich ihn ihm zusammen. Er schluckte sie herunter. Parker: "So genau weiß ich das nicht. Broots wird es nicht schaffen, so tief in den Zellen der Centercomputer zu wühlen. Aber Sie schaffen es vielleicht." Jarod überlegte kurz. Jarod: "Einverstanden. Aber Sie müssen mir alles sagen, was Sie wissen." Parker: "Ich vertraue ihnen, das wissen Sie, es liegt in ihrer Hand, dass es weiterhin so bleibt. Mein Wissen gegen Jarod. Das Mädchen ist am Tag seiner Geburt ins Center gebracht worden. Eltern unbekannt. Die letzte Aufzeichnung existiert vom 13. März 1963. Die DSA ist das letzte Lebenszeichen des Mädchens." Jarod: "Das war kurz vor meiner Entführung. Hat sie einen Namen?" Parker: "Ja, ich grabe seit einer halben Stunde in den Daten. Bisher gab es nur einen Treffer." Jarod: "Bitte sagen Sie es mir. Es wird die Suche erleichtern." Parker: "Es gibt eine Datei vom Januar 1963. Ein Fax von Raines an das Triumvirat. Ich sende es Ihnen zu." Jarod: "Gut. Was ist eigentlich, wenn ich sie gefunden habe? Soll ich sie dann bitten, Ihnen eine Karte zu Weihnachten zu schicken?" Parker: "Ja, das auch. Bitte halten Sie mich einfach auf dem Laufenden, was sie erfahren haben. Jarod: "In Ordnung. Ich muss jetzt aufhören. Meine Arbeit wartet." Parker: "Es ist doch erst dreiviertel sechs." Jarod: "Das hatten wir doch schon..." Parker: "Verstehe. Zeitzonen. Sie arbeiten nicht zufällig in einer Kuscheltierfabrik?" Jarod musste lachen. Das war sie wieder, die alte Miss Parker. Jarod: "Nein, aber meine Freunde mögen die Plüschtiere trotzdem." Parker: "Welche Freunde?" Jarod: "Einen schönen Tag noch." Dann loggte er sich aus. Es war schön gewesen, von ihr zu hören. Er musste verhindern, dass sie degradiert werden würde. Die ersten Hinweise hatte sie bereits. Und den Rest würde sie auch bald bekommen. Jarod grinste. Dann begannen seine Spielchen also von Neuem. Sein Laptop piepste erneut. Das Fax war angekommen. Er öffnete die Datei, und ein weißes Blatt zeigte sich auf dem Bildschirm. Es war das Centerlogo zu sehen, und die Unterschrift von Raines prangte in der unteren linken Ecke. Jarod las es sich durch, und was er da las, verschlug ihm die Sprache. Immer und immer wieder las er diese Zeilen, die so eindeutig waren, und gleichzeitig so verwirrend. Er musste der Sache auf den Grund gehen, das konnte einfach nicht wahr sein! Er öffnete eine DSA, die Angelo ihm geschickt hatte, und sah sie sich an. Schweigend saß er vor dem Bildschirm. Er traute seinen Augen kaum, aber das ergab endlich einen Sinn. Sicherlich würde Miss Parker diese DSA auch bald sehen, und sie musste wissen, dass er sie auch kannte. Jarod sendete schnell eine E-Mail an Miss Parker, und fuhr dann den Computer herunter. Sie enthielt nicht viel, nur vier Worte: Nicht zu Hause suchen! Als der Bildschirm schwarz wurde, klappte er den Laptop zu und legte ihn zurück in seinen Koffer. Dann ging er nach draußen. Die Sonne schien warm und freundlich, die meisten Kinder waren draußen. "Jarod! Wo warst du solange?" Jessy kam lächelnd zu ihm. "Ich habe etwas... gelesen, und nicht gemerkt wie spät es schon ist. Sorry." "Die Kinder fragen schon dauernd nach dir. Sie langweilen sich, und ich habe ihnen von deiner Überraschung erzählt." Jessy stand jetzt vor ihm. Er musste an vergangene Nacht denken. Man sah ihr nichts von dem an. Weder Sorgen noch Fragen standen in ihrem Gesicht. Das alleine bestätigte bereits seine Vermutung. "Du hast Recht, es wird Zeit für unsere kleines Projekt." Er grinste Jessy an, drehte sich dann zu den Kindern und rief: "Hey, Kids. Hört mal alle her. Ich dachte mir, dass wir heute etwas machen könnten, was zugleich nützlich ist, und Spaß macht." Die Kinder stellten ihre Gespräche ein. Jarod versicherte sich, dass auch alle da waren. Ja, keiner fehlte. Jessy hatte sie alle zusammengetrieben. "Also, wie wär's, wenn wir heute einen Erste-Hilfe-Kurs durchführen? Das kann man immer brauchen!" Er sah die Kinder fragend an. Begeisterte Zurufe ertönten, und vereinzelte skeptische Blicke wandelten sich in strahlende Lächeln. Jarod liebte fröhliche Kinderaugen. Er ging kurz in sein Appartement und kam mit einem Armeerucksack wieder. Er band die Schleife auf und rollte das Bündel auf dem Boden auf. Er hockte sich daneben, die Kinder hatten sich um ihn versammelt. Kat stand im Hintergrund. "Also", begann er, "alles, was man braucht, ist hier drinnen." Er tippte auf den grünen Stoff. Dann breitete er eine Decke auf dem Boden aus, und begann, grundlegende Dinge zu erklären. "Erste Hilfe beginnt damit, eine geeignete Person zu suchen, die professionelle Hilfe leisten kann." Ein Junge unterbrach ihn. "Und du bist so eine?" Jarod nickte grinsend. "In gewisser Weise... ja." Dann fuhr er fort. "Wenn man weder eine Person noch ein Telefon erreichen kann, um den Notarzt zu holen, ist es wichtig, dass man sich selbst ein bisschen mit Gefahrsituationen auskennt. Nehmen wir mal an, jemand stürzt von der Schaukel, und bleibt regungslos liegen. Ihr könnt keinen Erwachsenen finden, und die größeren Kinder sind ebenfalls nicht da. Was tut ihr?" Arme schossen in die Höhe. Jarod nahm nach und nach einige der Kinder dran. In den nächsten drei Stunden, die wie im Flug zu vergehen schienen, brachte er den Mädchen und Jungen bei, wie man Menschen in die stabile Seitenlage bringt, wie man Verbände korrekt anlegt, wie man Vergiftungen, Verbrennungen und andere Wunden unterscheiden kann, und was man tut, wenn sich jemand eine Vergiftung zugezogen hat. Jarod merkte, dass alle eine Menge Spaß daran hatten, und auch ihn erfüllte es mit Freude, so viele aufmerksame Gesichter zu sehen. Dennoch behielt er Kat die ganze Zeit im Auge. Sie schien ihm aufmerksam zuzusehen, und jedes Wort, jede Information in sich aufzusaugen. Ihre Augen hatten keinen besonderen Ausdruck, und Jarod musste sich beherrschen, nicht allzu oft zu dem Mädchen hin zu sehen. "Ich denke, das reicht für heute. Schaut mal auf die Uhr." Jarod sammelte seine Dinge zusammen und verpackte sie. "Das heißt... für alle die, die wollen, habe ich noch eine kleine Zugabe." Er grinste in erwartungsvolle Gesichter. "Zur ersten Hilfe gehört auch etwas Tapferkeit. Und wir haben etwas Entscheidendes weggelassen..." "Jarod, was fehlt denn noch?", fragte Kat. Jarod sah sie überrascht an. Sie hatte ihn noch nie direkt angesprochen. Fast nie. "Nun, habt ihr schon mal Blutproben abgegeben?", fragte Jarod und sah amüsiert, wie sich einige schüchtern ansahen. Kat blieb gelassen. "Wer wäre freiwillig dazu bereit? Es tut nicht weh, und ich glaube, es würde euch doch alle interessieren, was da eigentlich in uns herum schwimmt...", er sah leicht provozierend in die Runde. Keiner meldete sich. "Wenn ihr nicht wollt, müsst ihr nicht. Aber ich dachte mir, weil einige von euch im Unterricht gerade dieses Thema behandeln, da wäre es doch ganz gut, es an einem praktischen Beispiel zu sehen." Er redete sanft und beruhigend. "Ich mache es." Er sah überrascht auf. Kat hatte sich gemeldet. Innerlich grinste Jarod, aber äußerlich ließ er sich nichts anmerken. Er bemerkte aus den Augenwinkeln, das Jessy ihr Gewicht auf ein anderes Bein verlagerte, und Kat beunruhigt ansah. "Wirklich?" Er hockte sich hin, und nahm etwas aus seiner Tasche. "Unter einer Bedingung." Sie hatte eine feste, und dennoch mädchenhafte Stimme. Er nickte nur. "Ich werde die Ampulle entsorgen. Die gehört nicht in den normalen Müll." Sie grinste. "Natürlich. Komm her..." Die anderen Kinder klatschen bewundernd. Kat sah sie lächelnd an, und Jarod wusste nicht, ob er nicht ein klein wenig Überlegenheit in ihren Augen sehen konnte. Sie streckte ihm den Arm hin. Er schnürte ihn ab und nahm eine Ampulle. Als sie ihn fragte, ob er das überhaupt dürfe, meinte er nur, es sei alles mit der Leitung abgesprochen. Und ehe sich die anderen versahen, hielt er eine Ampulle mit einer roten Flüssigkeit in die Luft. "Na bitte, und hat es weh getan, Kat?" Sie schüttelte amüsiert den Kopf und grinste. Wenn sie ihre starre Maske fallen ließ, war sie richtig hübsch. Sie erinnerte Jarod in ihrer Art an Miss Parker. "In Ordnung, ich schlage vor, dass wir das drinnen machen. Es wird langsam dämmrig." Er stand auf und nahm seinen Rucksack. "Ich bringe ihn rein", meinte Jessy. "Danke, stell ihn einfach vor die Tür", grinste er. So leicht würde er sie nicht alleine in seine Wohnung lassen. Und eigentlich, das wusste er, brauchte sie keinen Schlüssel dazu... Die anderen folgten ihm in das Haupthaus, wo sie in einen Klassenraum gingen. Jarod schloss den Schrank mit den Mikroskopen auf und nahm sich eines. Er schloss es an seinen Laptop an und legte das Glasplättchen unter das Mikroskop. "Ah!" und "Oh!" ging durch die Reihen. Manche tuschelten. Jarod stellte das Mikroskop scharf und erklärte den Kindern, was sie auf dem Bildschirm sahen. Jessy tauchte hinter Kat auf. Jarod bemerkte, wie Kats Miene sich verfinsterte, als sie ihr Blut auf dem Bildschirm sah. Nach einer halben Stunde hatte Jarod alle Fragen beantwortet. "Na, dann wird sich euer Biologielehrer aber freuen, wenn ihr so gut Bescheid wisst." Er grinste, als leises Protestgemurmel ertönte. Er gab Kat das Röhrchen mit der Blutprobe und sie ging nach draußen. Die anderen Kinder verließen den Raum und Jarod schloss ihn hinter sich zu. Er brachte seinen Laptop zu seinem Appartement und nahm beim Eintreten seinen Rucksack mit. Er verstaute seine Sachen und ging wieder nach draußen. Dann klopfte er an Jessys Appartement und wartete. Drinnen war ein Poltern zu hören, leises Getuschel, für normale Ohren nicht zu hören. Dann ging die Tür auf und Jessy strahlte ihn an. "Guten Abend, Jarod. Das war eine tolle Vorstellung. So viel Spaß hatten die Kinder lange nicht mehr. Komm doch rein." Sie bedeutete ihm, einzutreten. Ihre Wohnung sah genauso aus, wie seine, nur spiegelverkehrt. Sie hatte die gleichen Teppiche, die gleichen Möbel und die gleiche Küchenzeile. Nur ihre Vorhänge zur Veranda waren violett, seine waren dunkelrot. "Hallo Jessy." Er trat ein und ging ins Wohnzimmer. Die Verandatür stand offen. Ihr "Besuch" war also nicht mehr da. "Was verschafft mir die Ehre?" Sie grinste ihn an und setzte sich auf die Couch. "Ich langweile mich drüben, und bis zum Abendessen ist es noch eine Weile." Er setzte sich ihr gegenüber. "Da haben wir etwas gemeinsam. Wenn mich die Kinder nicht so auf Trab halten würden, ich glaube, ich wäre schon gestorben vor Langeweile..." Sie grinste. "Ich mache mir Sorgen wegen Kat", begann Jarod. "Wieso?", fragte Jessy und stützte ihre Ellenbogen auf ihre Knie. "Sie ist so... in sich zurückgezogen, und so besonders." Er beobachtete jede Reaktion von Jessy. "Ich denke, du wirst nach und nach Zugang zu ihr finden", meinte Jessy und lächelte. Sie setzte sich neben ihn und nahm seine Hand. "Du machst dir zu viele Sorgen. Ich kenne Kat schon sehr lange. Sie ist eben so." Er nickte nur. Dann stand er auf. "Ich muss noch etwas erledigen." Er ging zur Tür. Die schwarze Lederjacke schlug Falten. "Was denn?", fragte sie belanglos. "Nennen wir es... familiäre Verpflichtungen." Er lächelte sie noch einmal an und schloss dann die Tür hinter sich. Bis zum Abendessen war noch genug Zeit. Er würde in Ruhe Kats Blutprobe untersuchen können. Er betrat seine Wohnung und schaltete den Laptop an. Dann nahm er sich die Ampulle und untersuchte das Blut mithilfe eines Elektronenmikroskops, dass er sich aus der Schule "ausgeliehen" hatte. Das Blut, das er den Kindern gezeigt hatte, war nicht Kats gewesen. Er hatte die Ampullen vorher ausgetauscht und Kat auch die falsche zurückgegeben. Jarod ermittelte ihre Blutgruppe und entschlüsselte die Genstruktur. Dabei stieß er auf etwas, das ihm den Atem raubte. Nein, das war nicht möglich! Er sah sich die Zahlen und Buchstaben noch einmal an. Nein, ihm war kein Fehler unterlaufen. Jarod ließ sich nicht beim Abendbrot blicken. Er saß hinter dem Bildschirm und durchforstete das Center. Er war nicht richtig bei der Sache. Zu sehr beschäftigte ihn die Sache mit Kat. Und dann war da noch Jessy... Nie im Leben hätte er gedacht, dass er hier, in Europa, Großbritannien, London auf eine Person stoßen würde, die mehr mit ihm zu tun haben könnte, als drei Wochen gemeinsame Aufsicht einer Horde Kinder... *** Miss Parker empfing die Nachricht und biss sich auf die Unterlippe. Wie sie vermutet hatte, schickte Jarod ihr Hinweise, die gerade mal reichen würden, um ihren Vater zu beruhigen. Aber nicht, um ihn zu finden. Sie rieb sich die Stirn und las die kurze Mitteilung. Nicht zu Hause suchen! Er war also nicht mehr in den Staaten. Broots betrat den Raum. "Ähm, Miss Parker?" Er räusperte sich kurz. Sie sah zu ihm auf und nickte. "Was ist, Broots? Haben Sie die Zahlen entschlüsselt?" "Nein, das nicht, aber... Ich habe etwas über First Child herausgefunden." Er flüsterte und beugte sich zu ihr. Miss Parker zog die Augenbrauen hoch. "Nun ja. Ich war gestern von zu Hause aus in Lyles Daten." Er schauderte bei dem Gedanken an seine Nervosität, man könne es ihm nachweisen. "Und da gab es eine DSA. Ich habe sie heruntergeladen und noch nicht angesehen. Das steht Ihnen zu..." "Danke Broots. Sie wissen, was das für mich bedeutet..." Es war eine einfache, dankbare Feststellung. "Geben Sie her." Er reichte ihr die Disk und sie legte sie ein. Der Bildschirm flammte kurz schwarz auf, dann sah man ein Überwachungsvideo. Die üblichen Grautöne zogen sich über den Bildschirm. Miss Parker sah gebannt darauf. Ein Mädchen wartete auf einem Stuhl. Jacob stand ihr gegenüber, es war das gleiche Kind, wie auf dem ersten Video. Es war eine Woche später. "Ich habe aufgegessen." Stille. "Jacob, wieso zitterst du?", fragte die unschuldige Kinderstimme. "Nichts nichts. Also, wir werden uns eine Weile nicht sehen. Eine große Weile." Er hockte sich zu ihr. "Wieso nicht? Magst du mich nicht mehr?" Ihre Augen waren so unwissend. "Natürlich mag ich dich! Du musst weg von hier, gerade weil ich dich mag. Es wird dir hier nur schlecht gehen, du bist nicht sicher hier. Die Leute, die über dich bestimmen, sind nicht nett." Er redete leise und eindringlich. "Wo soll ich denn hin? Ich habe es hier doch gut! Und die Leute sind alle sehr nett." Sie verschränkte die Arme. "Wer weiß, wie lange noch!" Er schüttelte widerwillig den Kopf. "Ich bitte dich, sei ganz still, was auch immer passieren wird, und tu, was Catherine dir sagt." Er nahm die Arme des Mädchens. "Versprichst du mir das?" Sie nickte. Hinter den Beiden öffnete sich eine Tür. Eine junge Frau trat ein, Catherine Elaine Parker. Sie lächelte das Kind an. Es entdeckte sie und lächelte zurück. Sie mochte diese Frau sehr, sie war von Anfang an für sie da gewesen, wie eine Mutter. "Wo werde ich hinkommen?", wollte sie wissen. "An einen Ort, wo es dir gut gehen wird. Nicht hier. Es gibt nur wenige Orte, wo man sicher ist. Dort werden sie dich niemals finden. Denn sie sollten nicht zu Hause suchen, was sie aber tun werden." Catherine nahm das Kind lächelnd auf den Arm, nachdem es Jacob gedrückt hatte. Dann schloss sich die Tür, und Jacob stand alleine da. Die DSA brach ab. Miss Parker starrte verblüfft auf den schwarzen Bildschirm. "Also hat man sie weggebracht. Meine Mutter hat sie aus dem Center geschleust, wie sie es später auch mit Jarod und Angelo vor hatte!" Sie schnaufte kurz auf und nahm die Disk aus dem Laufwerk. Da fiel ihr etwas auf. Ihre Mutter hatte etwas gesagt, "...sie sollten nicht zu Hause suchen...", das waren die Worte aus Jarods E-Mail. War das ein Zufall? Oder hatte er diese DSA auch gesehen? Sie musste wissen, wer dieses Kind war, ob es noch lebte, und wenn ja, wo es lebte! "Broots, weiß Sydney davon?" Sie tippte auf die Disk. Der Techniker schüttelte den Kopf. "Ich glaube nicht, dass man ihm überhaupt von First Child erzählt hat. Jacob war sein Bruder, und Familie ist im Center etwas, das einen gefährden kann. Wenn Jacob es ihm nicht gesagt hat, dann weiß er es nicht." "Ja, das denke ich auch..." Sie schloss für einen Moment die Augen. Als sie sie wieder öffnete, meinte sie: "Broots, ich danke Ihnen. Bitte beschäftigen Sie sich jetzt wieder mit der Suche nach Jarod, in Ordnung?" Er nickte und wollte gehen. "Warten Sie, Broots. Ich habe da etwas, dass Ihnen helfen könnte. Ich erhielt eine E-Mail von unserem Pretender. Er verwendete die Worte nicht zu Hause suchen, wie in der DSA, vielleicht bringt uns das weiter." Broots zog die Augenbrauen hoch. "Miss Parker... Wissen Sie, was ich glaube?" Miss Parker schüttelte den Kopf. "Jarod wird das Video auch gesehen, und uns einen Tipp gegeben haben. Er hat seine Spielchen wieder begonnen." Broots war froh, dass Jarod Miss Parker "half", anscheinend hatte er seine Nachricht über sie ernst genommen. Erleichtert atmete er auf. Und wenn er diese DSA gesehen hatte... "Miss Parker, wenn wir den Aufenthaltsort dieses Kindes finden, das jetzt kein Kind mehr sein dürfte, wissen wir, wo Jarod sich aufhält!" Miss Parker sah ihn fragend an. Seit wann hatte Broots solche Geistesblitze, und was meinte er damit? "Was hat denn das Eine mit dem Anderen zu tun?" "Nun ja..." Brots sah zu Boden. "Dieses Kind ist an einem Ort, der eben nicht zu Hause ist. Und Jarod schrieb das in der Mail, also könnte es doch sein... ich meine, theoretisch... dass er auch dort ist. Nicht zu Hause." Miss Parker verstand. Er hatte sie gefunden! Er hatte dieses Mädchen, diese Frau aufgespürt! Leise Enttäuschung kam in ihr auf, weil er es ihr nicht gesagt hatte. Sie hatte ihm vertraut, geglaubt, er würde mit ihr zusammen arbeiten, und er hatte die ganze Zeit über gewusst, wo sie war! Aber immerhin hatte er ihr zu verstehen gegeben, dass er es wusste, und sie konnte Verbindung zu ihm aufnehmen, um mehr zu erfahren. Das Gefühl verschwand wieder. Es war richtig gewesen, Jarod in die Sache einzuweihen und ihn um Hilfe zu bitten. Auch wenn es ihr unglaublich schwer gefallen war, ausgerechnet ihn um etwas zu bitten. Miss Parker nickte Broots zu und rollte mit ihrem Stuhl durchs Zimmer hinter einen zweiten Computer. "Okay, suchen wir die Datenbank des Centers über Jarods ehemalige Aufenthalte außerhalb der Staaten durch." Miss Parker wusste, dass sie das nicht weiterbringen würde. Aber ihr Vater wollte Ergebnisse, und sie würde ihm welche liefern, ohne dieses Kind erwähnen zu müssen. Sie war völlig in ihre Arbeit und ihren Bericht versunken, als Sydney hereintrat. "Guten Abend, Miss Parker", begrüßte er sie. "Hallo Syd", erwiderte sie. Für einen winzigen Moment zog sie es in Erwägung, ihm die DSA zu zeigen, doch sie verwarf diese Idee sofort wieder. Sydney würde schmerzhafte Erinnerungen haben. Nutzlos. "Ich habe etwas für Sie." Er reichte ihr ein Paket. Braunes Papier, schwarze, handgeschrieben Druckbuchstaben. Die Adresse des Centers, ihr Name. "Von wem ist es?", wollte sie wissen. Er zuckte mit den Schultern. "Steht nicht drauf. Aber das kennen wir ja schon..." "Der Wunderknabe lässt von sich hören." Miss Parker öffnete die Paketschnur und streifte das Papier ab. Zum Vorschein kam ein brauner Karton. In seinem Inneren lag ein Bild. Miss Parker nahm es heraus. Sie drehte es um und ihre Augen wurden schmaler. "Aber...", stockte sie. Ihr war gar nicht bewusst, dass sie die Luft anhielt. "Was ist es diesmal?", wollte Sydney wissen. Sie drehte und wendete es, und er sah sie nur fragend an. "Dieses Bild... Ich habe es in Ely gefunden. Hier." Sie gab es Sydney. Dieser sah es sich kurz an und meinte dann knapp: "Das habe ich gemacht. Es wundert mich nicht, dass Jarod es noch besitzt. Aber dass er es Ihnen zukommen lässt..." Er gab es ihr zurück. "Sie haben es gemacht?" Sie konnte sich an diese Zeit nicht so genau erinnern. "Er hat es mir in Ely hinterlassen, auf dem Kaminsims. Ich dachte, ich hätte es eingepackt. Aber dem Anschein nach habe ich es dort liegen lassen." Sie seufzte. Jetzt verstand sie Jarods Bemerkung. "Es steht etwas hinten drauf. Werfen Sie das Wertvolle in ihrem Leben nicht weg!" Er hatte bereits bei ihrem Telefonat in Ely gesagt, dass dieses Bild etwas Wertvolles war, und bei ihrem letzten Gespräch hatte er ihr vorgeworfen, sie hätte ihn verletzt, weil sie es dort vergessen hatte. War es wirklich nur das Bild, was ihm so viel Bedeutete? War es nicht viel eher der Inhalt... Miss Parker traute sich nicht, den Gedanken zu Ende zu denken. Nein, sie bedeutete Jarod nicht wirklich etwas. "Danke Syd", meinte sie, und verstaute das Bild in ihrem Schreibtisch. "Vielleicht können Sie Broots helfen. Er ist im Technikerraum." Er folgte der indirekten Aufforderung, sie alleine zu lassen. Auch wenn er in ihr immer noch die kleine Miss Parker sah, respektierte er sie auch als erwachsene Person. Sie blieb alleine in ihrem Büro. Nervös und unsicher ging sie auf und ab, sah aus dem Fenster und klapperte mit den Fingernägeln auf der glatten Tischplatte. Dann entschloss sie sich, zur Krankenstation des Centers zu gehen. Sie verließ ihr Büro und machte sich auf den Weg. Man begrüßte sie dort freundlich und führte sie zu Baby Parker, obwohl sie den Weg kannte. Sie war oft bei ihrem kleinen Bruder. Er hatte noch nicht einmal einen Namen erhalten, obwohl er jetzt schon knapp acht Monate alt war. Miss Parker nannte ihn liebevoll Baby Parker, und überlegte sehr oft, wie sie ihn richtig nennen würde. Er lächelte sie an und streckte die Hände nach ihr aus, als er sie erkannte. Manchmal war sie jeden Tag hier gewesen. Ihr Vater kümmerte sich nicht um seinen Nachfolger. Das Baby war anfangs sehr schwach gewesen, und zeigte auch jetzt immer wieder Immunschwächen. Lyle hatte es nach Raines Tod unter bisher ungeklärten Umständen wieder zurück ins Center gebracht, nachdem Raines es zuerst entführt hatte. Mr. Parker war es egal, wodurch sein Sohn wieder zurück ins Center kam, Hauptsache, er war jetzt da. Miss Parker nahm das Kind zärtlich auf den Arm und sah es sich an. Es war so unschuldig. Wie es sie mit seinen braunen Kulleraugen ansah, fühlte Miss Parker sich schuldig, dass es im Center würde leben müssen. Sie konnte ihre Mutter gut verstehen, dass sie die Centerkinder retten wollte. Seufzend legte sie das Kind wieder zurück in sein Bettchen und ging zurück in ihr Büro. Das kleine Wesen gab ihr Kraft, ihre Barrikade, bestehend aus kalten Worten und eisigen Blicken, aufrecht zu erhalten. Das konnte sie auch brauchen, denn in ihrem Büro wartete Lyle auf sie. "Was machen Sie in meinem Büro?", fragte sie langsam und beherrscht. "Ich warte auf Sie..." Er grinste hämisch. "Hier bin ich, also, was ist ihr Problem?" Sie ging zu Lyle uns stellte sich vor ihn. "Nicht mein Problem, das Problem unseres Vaters..." Wieder grinste er. "Er ist gar nicht gut zu sprechen auf Sie." Er genoss den Augenblick der Kontrolle. "Wieso?", fragte sie. "Nun, er hat zufällig erfahren, dass Sie neulich etwas zeitiger hier waren, und in den Daten des Centers rumgeschnüffelt haben. Und das Sie auf das Projekt First Child gestoßen sind, stimmt ihn nicht gerade milde... Des Weiteren haben Sie sich mit Jarod getroffen, und ihn einfach so gehen lassen. Was haben Sie sich nur dabei gedacht?" Seine Stimme war süß wie Honig und er ließ jedes Wort nur so triefen. Miss Parker war wie erstarrt. "Ich habe ihn sicherlich nicht freiwillig gehen lassen." Es stimmte, sie hatte nicht gewollt, dass er ging. Aber nicht etwa, weil sie ihn festnehmen wollte, sondern, weil sie sich nach ihm sehnte, weil er ihr Kraft gab. Es hatte lange gedauert, bis sie sich das einigermaßen eingestanden hatte. Aber Lyle wusste das nicht, nie würde er es wissen. "Und über First Child bin ich zufällig gestolpert, als ich nach Informationen über unsere Laborratte gesucht habe." Es tat ihr leid, ihn so zu nennen, aber vor Lyle musste sie kühl bleiben. "Ich interessiere mich nicht für dieses Projekt!" "Ach nein? Na dann ist ja gut..." Er stand auf und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um. "Damit wir uns nicht falsch verstehen... Daddy hat es nicht gerne, wenn man sich um fremde Angelegenheiten kümmert. Besonders nicht, wenn sie in roten Akten stehen. Lassen Sie ihre Finger davon!" Seine Stimme wurde drohend. "Verschwinden Sie, Lyle!", zischte sie, und als er aus dem Büro raus war, seufzte sie laut. Dieser Bastard! Unruhig ging sie in ihrem Büro auf und ab. Seit Raines tot war, fühlte Lyle sich sicherer und mächtiger. Er hatte viele Projekte übernommen. Unter anderem auch First Child. Sie musste etwas tun, sie konnte doch nicht tatenlos hier herumsitzen und nach Jarod suchen! Sie würde ihn so oder so nicht finden... Entschlossen ging sie zum Fahrstuhl, um zu ihrem Vater zu fahren. Sie musste mit ihm reden! Er hatte sie in gewisser Weise immer vor dem Triumvirat beschützt, und er würde es auch diesmal tun... oder? Sie blieb abrupt stehen. Nüchtern wurde ihr klar, dass ihr Vater niemals sie vor dem Triumvirat geschützt hatte, sondern nur sich selbst. Er würde mit beschuldigt werden, wenn sie etwas anstellen würde. Sie stand direkt vor seinem Büro und wollte gerade die Tür aufmachen, als sie von drinnen Stimmen hörte. "Mr. Parker, ich halte das für keine gute Idee." Wer war diese Person? Miss Parker kannte die Stimme. "Mir liegt nichts an diesem Kind. Tun Sie, was ich Ihnen sage." Das war ihr Vater. Von welchem Kind redete er? Von dem Pretender? "Wenn es älter ist, könnte es erheblich mehr Nutzen haben, als tot." Miss Parker erschrak. Sie wollten sie umbringen! "Wenn unser Vorhaben gelingt, können wir Dutzende von diesen Kindern herstellen. Mr. Cox, ich habe Brigitte nur deshalb schwängern lassen! Sie dachten doch nicht allen Ernstes, dass ich so einen Quälgeist haben wollte?" "Nun, es ist Ihre Entscheidung, Mr. Parker... Ich werde es heute nacht nach Donaterase bringen und Zellen entnehmen." Er wurde etwas leiser. Miss Parker war wie gelähmt. Es ging überhaupt nicht um den Pretender! Es ging um Baby Parker, ihren Bruder! Sie wollten ihn nach Donaterase bringen, wo sie auch schon Jarods Klon hergestellt hatten... Miss Parker wurde übel und sie verspürte das dringende Bedürfnis, sich zu übergeben. Als sie aus der Toilette herauskam, war nicht nur ihr Magen, sondern auch ihr Kopf völlig leer. Sie hatte ihrem Vater so lange vertraut, und auch als sie das nicht mehr getan hatte, hätte sie ihm das niemals zugetraut! Er war so gefühlskalt, so skrupellos... Er wollte seinen Sohn und damit ihren Bruder umbringen! Ein Familienmitglied. Familie... Schlagartig wurde ihr bewusst, dass sie das Baby retten musste! Sie rannte in ihr Büro und druckte ein paar Dateien aus. In ihrem Kopf reifte ein Plan. Sie musste ihren Bruder retten, sie konnte doch nicht zulassen, dass man diesen unschuldige Wesen... kaltblütig ermorden würde! "Guten Abend, Miss Parker." Die Stimme erschrak sie beinahe zu Tode. "Broots!" Sie keuchte und wirbelte herum. "Erschrecken Sie mich nie wieder so!" "Tut mir Leid, Sie haben mich nicht bemerkt. Ich wollte ihnen etwas zu Olvidan bringen." Er reichte ihr eine dunkelblaue Akte und trat schüchtern wieder einen Schritt zurück. "Vielen Dank, Broots. Ich nehme sie mit nach Hause. Ich hab's eilig. Machen Sie's gut." Sie nahm die Akte und legte sie zu den anderen Dokumenten und den ausgedruckten Blättern in ihren silbernen Metallkoffer, in dem sich auch ihr Laptop befand. "Nanu, wollen Sie verreisen?" Er klang amüsiert. Sie war noch nie im Urlaub gewesen. "Nicht ganz, Broots. Aber wir werden uns lange nicht sehen. Passen Sie auf Syd auf." Sie zwang sich ein Lächeln ab. "Nicht nötig", erklang eine Stimme aus einer dunklen Ecke. "Das kann ich auch selbst tun. Lassen Sie uns alleine, Broots." Der Techniker folgte der Aufforderung und verließ den Raum. Sydney betrachtete Miss Parker. Sie sah gehetzt aus. "Wo wollen Sie hin?" Er setzte sich auf ihren Tisch und verschränkte die Arme. "Das kann ich Ihnen nicht sagen, zu ihrem eigenen Schutz." Sie verschloss den Koffer und ging Richtung Tür. "Ich melde mich gelegentlich. Und Syd... Sie wissen von nichts!" Damit verschwand sie aus ihrem Büro. Sydney verstand nicht, was sie vorhatte, aber er wusste, dass es sehr wichtig sein musste. Er würde ihr Verschwinden vor Lyle und Mr. Parker vertuschen. Schließlich hatte er "keine Ahnung"... Miss Parker duckte sich, um aus dem Sichtfeld der Kamera zu entkommen. Die Krankenstation war leer, um diese Zeit. Keine Schwester weit und breit. Sie stand direkt unter der Kamera und streckte sich, um an sie heran zureichen. Klack. Miss Parker hatte die Kamera auf Standby geschaltet. Sie würde ungesehen bleiben, für eine Weile... So schnell sie konnte, nahm sie Baby Parker aus dem Bettchen, wickelte ihn in eine Decke und legte ihn in sein Tragekörbchen. Er schlief und atmete ruhig und gleichmäßig. Hoffentlich würde das so bleiben, bis sie außer Hörweite waren... Sie ließ die Kamera weiterhin so, wie sie war und ging ins Nebenzimmer. Von hier aus führte eine schmale Feuertreppe nach unten. So schnell es mit dem Babykorb in der einen und dem Koffer in der anderen Hand nur möglich war, kletterte sie nach unten. Sie huschte im Schatten der Centermauern zu ihrem Auto, legte das Körbchen auf den Beifahrersitz und stellte den Koffer an ihre Füße. Dann gab sie Gas und fuhr nach Hause. *** Ende Teil 4 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)