Berliner Nächte von Jeschi ================================================================================ Kapitel 6: Maria ---------------- Überraschender Weise sind die nächsten Tage relativ ruhig. Ich habe damit gerechnet, mich einer Lästerattacke nach der anderen ausgesetzt zu sehen und mir den ganzen Zeit lang dumme Sprüche anhören zu dürfen, was nun mit Dominik und mir läuft, aber nichts dergleichen passiert. Hier und da reden vereinzelt noch ein paar Leute über mich, aber die meisten haben sich bereits wieder beruhigt und wohl verstanden, dass an den Gerüchten gar nichts dran ist. Das beruhigt mich ein wenig und macht mir Hoffnung, dass es bei Dominik ähnlich ist. Vielleicht war dieses Gerücht auch nötig, um das andere aus der Welt zu schaffen und nun haben sich ganz automatisch beide gleichzeitig in Luft aufgelöst. Obwohl das alles sicher nicht so geplant war, hat es sich also als gar nicht so schlecht herausgestellt. Relativ zufrieden mit der Situation, kann ich mich sogar wieder mit Leon an einem Tisch aufhalten, ohne ihn gleich an die Gurgel springen zu wollen. Er ist auch intelligent genug, es sich nicht wieder mit mir zu verscherzen, was ja auch schon mal ein Fortschritt ist. „Erstaunlich, wie schnell sich die Lage entschärft hat, oder?“, stellt auch Jonas fest, während wir gemeinsam bei unserem Lieblingsasiaten zu Mittag essen. „Vor drei Tagen waren noch alle in hellem Aufruhr wegen eurer angeblichen Beziehung und heute redet schon keine Sau mehr darüber.“ „Ist auch gut so,“ murre ich und spieße eine Garnele mit der Gabel auf. Ich bin zu doof, um mit Stäbchen zu essen und stehe damit alleine da. Sowohl Jonas als auch Leon schaufeln ihr Essen mit Stäbchen in sich hinein. „Mich würde nur mal interessieren, warum das so ist?“, wirft Leon ein und scheint damit auf etwas anspielen zu wollen, von dem ich mir nicht vorstellen kann, was es ist. Jedenfalls sieht er ziemlich gespannt aus, ob irgendjemanden von uns sich die gleiche Frage stellt, aber dem ist nicht so. „Ich bin einfach froh darüber und hoffe, es bleibt so,“ wehre ich ab und Jonas fügt hinzu: „Wahrscheinlich hat Jasper sie einfach durch sein lässiges Auftreten überzeugen können.“ Leon sieht aus, als würde er gerne noch etwas dazu sagen wollen, aber er lässt es und darüber bin ich froh. Man hat ja gesehen, in welcher Katastrophe es geendet ist, nachdem er uns das letzte Mal etwas anvertraut hat. Ich versuche wirklich, nicht mehr böse auf ihn zu sein, aber jedes Mal, wenn ich daran denke, dass er die eigentliche Schuld an dem ganzen Chaos hat, werde ich doch wieder sauer. Mittlerweile komme ich mir echt schäbig vor, weil ich es einfach nicht schaffe, einem Freund einen Fehler zu verzeihen, aber so leicht geht das eben nicht. Ich weiß auch gar nicht, was ich von ihm erwarte. Er hat bereits gesagt, es würde ihm Leid tun und seitdem hat er auch keine Scheiße mehr gebaut, aber irgendwie komme ich mit der Sache dennoch nicht klar. Vielleicht auch, weil es gar nicht so sehr um mich geht, sondern viel mehr um Dominik. Dieser musste so lange leiden, da kann es doch nicht innerhalb von wenigen Tagen alles wieder in Ordnung sein, oder? Während wir schweigend essen, denke ich ausgiebig darüber nach, komme aber zu keinem wirklichen Ergebnis. „Hast du die Notizen von der letzten Lesung? Die, welche ich verpasst habe, weil ich da arbeiten musste?“, fragt Jonas mich, als wir bereits mit Essen fertig sind und ich nicke und gebe sie ihm, ehe wir bezahlen. Jonas arbeitet nebenbei öfter mal in einem kleinen Supermarkt an der Kasse. Eigentlich sind seine Arbeitszeiten so geregelt, dass er tagsüber die Uni besuchen kann, aber wenn eine Lesung mal abends statt findet, kann es schon mal passieren, dass er diese dann nicht besuchen kann. Dann bin ich so nett, immer extra viele Notizen zu machen, damit er den Stoff auch ja versteht, wenn er ihn bei mir abgleicht. Wenig später sind wir auf dem Weg zurück zur Uni und ich bin froh, als wir diese erreichen, weil es heute ziemlich windig und unschön ist. Als wir die Eingangshalle betreten, erblicke ich fast sofort Dominik. Er steht da und unterhält sich mit einem Jungen, den ich nicht kenne, der aber wohl in seinem Semester sein muss, denn soweit ich das sehe, unterhalten sie sich über ein Skript, dass Dominik in Händen hält. Es ist das erste Mal seit dem Aufkommen der Gerüchte, dass wir uns in der Uni begegnen. Meistens halte ich mich ja nur in der Cafeteria und im Hörsaal auf und da Dominik weder in der Cafeteria rum treibt, noch unsere Lesungen besucht, sehe ich ihn eigentlich so gut wie nie. Mir ist natürlich bewusst, dass ich jetzt nicht groß etwas zu ihm sagen kann, ohne die Gerüchte wieder aufzuwärmen, andererseits habe ich ja schon mehrmals gesagt, dass ich nicht einsehe, allen etwas vorzulügen. Ich entscheide mich also für ein knappes ‚Hey’, als ich an ihm vorbeilaufe und er erwidert es – nicht, ohne sich danach panisch umzuschauen – und das war es dann. „Ich komme mir blöd vor, wenn ich nicht normal mit ihm reden kann,“ meine ich letztlich zu Jonas, als wir uns schon ein gutes Stück entfernt haben. „Meine Güte, Jasper. Ihr könnt doch zu Hause miteinander reden, oder nicht?“, lacht er und ich zucke mit den Schulter. Ich komme mir trotzdem doof vor, keine Ahnung, warum er das nicht versteht. Andererseits kann es natürlich auch sein, dass ich mich ein wenig blöd anstelle. Immerhin ist es nicht so schlimm, wenn wir in der Uni nicht groß miteinander reden. Wir sehen uns ja auch kaum. Aber darum geht es mir ja nicht, es geht mir nur darum, dass ich die ganze Zeit etwas verschweigen soll, nur weil andere dann einen Skandal daraus machen würden. So langsam geht mir die gesamte Uni auf die Nerven, so viel ist sicher. „Wieso denn nicht?“, frage ich Dominik, der mit verschränkten Armen auf dem Küchenstuhl sitzt und mich stur ansieht. „Weil das nur wieder die Gerüchteküche anheizt?!“, entgegnet er genervt und zieht seine Beine nach oben, um sie wieder im Schneidersitz zu verschränken. Irgendwie mag ich diese Angewohnheit an ihm. „Aber es hat sich doch alles schon längst wieder beruhigt,“ erwidere ich und rede schnell weiter, ehe er mir wieder widersprechen kann: „Das wäre doch die Chance, allen zu zeigen, dass wir nur Freunde sind!“ Er schüttelt heftig den Kopf, ehe er meint: „Die würden sich nur fragen, warum wir schon wieder zusammen abhängen und erneut über uns reden!“ Ich seufze und lasse mich auf dem Stuhl ihm gegenüber nieder. Ich versuche nun schon eine halbe Stunde lang, ihn davon zu überzeugen, dass er mit den Jungs und mir am Samstag in die Stadt geht. „Wer sagt denn überhaupt, dass sich jemand aus unserer Uni in der Disco befindet, in der wir dann reingehen?“, frage ich und diese Frage ist ziemlich lahm, immerhin die Chance relativ groß, dass dem so ist. So sieht das auch Dominik, denn er verdreht nur die Augen und macht sich nicht mal die Mühe, mir darauf zu antworten. „Ach komm schon, es könnte ganz witzig werden,“ dränge ich ihn und er rümpft die Nase. „So witzig, wie Pauls Party?“, murrt er dann und ich seufze. Zumindest scheint ihn das ein schlechtes Gewissen zu bereiten, denn er seufzt ebenfalls und sagt dann: „Tut mir Leid, Jasper. Ich weiß ja, dass du es nur gut meinst. Aber ich glaube nach den ganzen Ereignissen ist es einfach besser, wenn wir uns in nächster Zeit nicht so oft zusammen sehen lassen.“ Ich nicke betrübt und finde es schade, dass wir nicht mal zusammen fortgehen können, nur weil sonst wieder jemand über uns reden könnte. Das sage ich Dominik auch, aber der winkt ab: „Macht doch nichts. Wir verstehen uns auch so gut und ich bin es gewohnt, nicht raus zu kommen.“ Mit dieser Ansage bin ich nur leider alles andere als zufrieden. „Versprich mir, dass wir irgendwann mal wieder zusammen fort gehen, wenn sich die ganze Scheiße ein wenig gelegt hat, ja?“, bitte ich ihn und er nickt nachgiebig. „Aber nicht in den nächsten zwei, drei Wochen. Es ist das erste Mal seit langem, dass mal keiner über mich redet. Ich möchte nicht, dass es schon wieder von vorne anfängt.“ Ich kann es ja wirklich verstehen. Ich habe ja mitbekommen, wie Dominik unter dieser ganzen Sache gelitten hat und ich weiß, wie glücklich es ihn schon macht, dass mal zwei Tage keiner über ihn geredet hat. Deswegen kann ich auch nachvollziehen, dass er diese Ruhe genießt und nicht schon wieder Öl ins Feuer gießen möchte. Dennoch bin ich mit der Regelung gar nicht zufrieden und das sage ich ihm. „In ein zwei Wochen,“ verspricht er mir und nicke betrübt und schreibe Jonas eine SMS, dass ich mitgehe, aber Dominik zu Hause bleiben wird. „Vielleicht besser so,“ schreibt mir Jonas einige Sekunden später zurück und ich verziehe den Mund. Sind eigentlich alle anderen zu vorsichtig oder bin ich mal wieder zu naiv? Samstagabend stehe ich also alleine im Bad, um mich für den Abend vorzubereiten, während Dominik auf dem Klodeckel sitzt – wieder im Schneidersitz – und mir dabei zuguckt. „Bist du sicher, dass du nicht mit willst?“, frage ich ihn nun schon das dritte Mal und er erwidert nur ein lang gezogenes ‚Jaaaaspeeeer’, was Antwort genug ist. Ich muss kichern. „Einen Versuch war es wert, oder?“, lache ich und er wirft ein Handtuch nach mir. Ich grinse vergnügt und zupfe noch ein wenig an meinen Haaren herum. „Wie sehe ich aus?“, frage ich dann und er grinst ebenfalls und meint: „Wie ein wilder Tiger.“ Ich muss lachen und prüfe noch einmal mein Outfit, ehe ich zufrieden nicke. „Ich glaube, so kann ich fort! Sieht eigentlich ganz gut aus. Und somit verpasst du die Gelegenheit, mit dem geilsten Typen Berlins auszugehen. Denk mal darüber nach,“ witzle ich und er wird rot und wirft noch ein Handtuch nach mir. Ich frage mich, wo er die so schnell herbekommt. „Also gut, dann werde ich mich mal auf dem Weg machen, ehe ich wieder zu spät bin,“ meine ich und schlüpfe im Flur in meine Jacke. Dominik folgt mir langsam aus dem Bad und sieht ein wenig unglücklich mit der Situation aus. „Was ist?“, frage ich, während ich den Reisverschluss schließe und nach meinem Haustürschlüssel greife. „Weiß auch nicht…“, erwidert er nur leise. Ich würde gerne weiter nachhaken, aber ich muss los, also frage ich ihn noch einmal, ob er sicher nicht mit möchte und er nickt und lächelt und dann hat er schon bessere Laune. „Dann bis später oder wohl eher bis morgen,“ verabschiede ich mich und er nuschelt ein leises ‚Tschüß’ und plappert irgendetwas davon, dass ich Spaß haben soll. Ich verlasse die Wohnung mit dem Gefühl, dass er doch gerne mit wäre, aber seine Paranoia ihm mal wieder im Weg stand. Ein wenig tut er mir schon wieder Leid und ich beschließe, bei der nächsten Gelegenheit noch hartnäckiger zu sein, damit er auch endlich mal unter Leute kommt. Mit diesem Vorsatz im Hinterkopf mache ich mir nicht mehr all zu viele Sorgen um Dominik, sondern schaffe es, relativ gute Laune zu haben, als ich bei Jonas und Leon ankomme. „also? Wohin gehen wir?“, frage ich die Beiden, kaum das ich neben ihnen zum stehen komme. Leon erzählt mir etwas von einer neuen Disco, die irgendwo Eröffnung feiert und das wir da unbedingt vorbeischauen müssen, weil fast alle aus der Uni dort sein werden und wir das somit nicht verpassen dürfen. Ich halte ja nicht viel davon, irgendwelchen Trends nachzulaufen, aber weil ich keinen besseren Vorschlag bringen kann – ich kenne mich, was Discos angeht, so gar nicht aus in Berlin -, gehen wir dann doch zu dieser Neueröffnung. Vor dem Eingang hat sich schon eine riesige Schlange gebildet und wir warten ewig, ehe wir eingelassen werden. Obwohl es noch relativ früh am Abend ist, ist es drinnen schon wahnsinnig voll und ich verfluche Leon, dass wir hier her gegangen sind. Ich kann es nicht leiden, wenn man von Menschenmassen hin und her geschoben wird und sich kaum bewegen kann. Zudem ist es ziemlich stickig im Raum und ich fürchte, dass ich bald ersticken werde, wenn ich mich hier all zu lange aufhalte. Aber weil ich keine Spaßbremse sein möchte, geselle ich mich mit den Jungs an die Bar und trinke brav mein Bier, ohne mich groß zu beschweren. Leon verabschiedet sich recht bald, um sich an ein Mädchen ran zu werfen und Jonas hält die ganze Zeit Ausschau nach Sandra. „Was läuft da eigentlich zwischen euch?“, frage ich ihn und nippe lustlos an meinem Bier. Irgendwie habe ich jetzt schon keine Lust mehr auf den Abend. Wenn wenigstens Dominik hier wäre, dann könnten wir reden und es wäre mir egal, dass alle anderen nur ihre Weiber im Kopf hätten. „Auf Pauls Party war sie total süß, aber seitdem antwortet sie mir nicht mehr. Ich komme mir ehrlich gesagt ein wenig verarscht vor,“ gibt er zu und ich nicke wenig interessiert. Sandra ist ja dafür bekannt, den einen oder anderen Typen scharf gemacht und dann links liegen gelassen zu haben. Ich weiß nicht, warum Jonas sich da so große Chancen erhofft hat. „Aber ich gebe nicht auf!“, verkündet er mir und ich sage lieber nichts dazu. Wenig später hat er Sandra ausfindig gemacht und ist verschwunden. Seufzend blicke ich auf meine Flasche, der einzige Freund, der mir noch geblieben ist. Ich überlege gerade, wieder nach Hause zu gehen und mir mit Dominik einen gemütlichen DVD-Abend zu machen, als sich ein Mädchen neben mir niederlässt, das ich flüchtig von der Uni kenne. Sie studiert, glaube ich, genau wie Vanessa Biologie. Zumindest würde da erklären, woher ich sie kenne. Hoffen wir nur, dass sie sich in diesem Fach besser zu Recht findet, als Vanessa, denn die hat nicht nur panische Angst vor Insekten, sondern killt auch regelmäßig ihre Topfpflanzen. „Hey,“ meint sie und lächelt mich süß an. Zuckersüß. Jeder andere Junge wäre sofort hin und weg und auch ich kann nicht behaupten, dass es mich total kalt lassen würde, wenn sie mich so anlächelt. Und wow, sie spricht mit mir. Ich lächle ebenfalls und richte mich ein wenig auf, weil es sicher doof aussieht, wie ich so in mich zusammen gesunken auf dem Barhocker herumlungere. „Hey,“ erwidere ich ebenfalls und komme mir sofort wieder doof vor. Meine Herzfrequenz hat sich schon bei ihrem ‚Hey’ um das tausendfache erhöht und jetzt scheint es, dass mir auch noch sämtliche Gehirnwindungen durchbrennen, weil ich einfach keine Idee habe, was ich nun sagen soll. So ein ‚Hey’ ist ja eigentlich auch völlig ausreichend, oder? „Ich dachte, ich leiste dir ein wenig Gesellschaft. Du sahst so verloren aus,“ lächelt sie und nimmt auf dem Hocker neben mir Platz. „Danke,“ erwidere ich und überlege krampfhaft, was ich sagen könnte, um das Gespräch am Laufen zu halten. „Ich bin Maria.“ Sie klimpert mit ihren langen Wimpern und ich schlucke und beginne, nervös an dem Etikett der Bierfalsche herum zu zupfen. „Ich bin Jasper,“ stelle ich mich vor und sie nickt und meint: „Ich weiß.“ Dabei hört sie nicht auf zu lächeln. Jetzt kann ich mich auch wieder besser an sie erinnern. Sie tatsächlich mit Vanessa in einem Semester für Biologie und studiert – so weit ich das weiß – im Zweitfach Chemie. Ich glaube, sie öfters in Vanessas Clique gesehen zu haben und hoffe, dass das nicht noch totalen Ärger mit Vanessa geben wird, wenn ich hier so mit ihr flirte. Obwohl ich gerade eigentlich nicht groß flirte, sondern nur dämliche Grinse und auf ihre Aussagen antworte. Ich habe Maria gar nicht so hübsch in Erinnerung, wie sie nun vor mir steht. Vielleicht, weil ich damals nur Augen für Vanessa hatte – was ich mir jetzt gar nicht erklären kann. Vanessa mit ihren langen blonden Haaren und dem verschmitzten Lächeln ist zwar wirklich eine Schönheit, aber sie ist kein Vergleich zu Maria. Man kann kaum die Augen von ihr lassen, wenn sie wie eine Göttin mit langen, sich lockenden, braunen Haaren vor einen sitzt und einen mit ihren großen, blauen Augen anstrahlt. „Wie kommt es, dass du so alleine bist?“, fragt sie und ich finde meine Sprache endlich wieder und erzähle ihr knapp, dass mich sowohl Jonas als auch Leon alleine gelassen haben. Endlich gelingt es mir, ein verführerisches Lächeln aufzusetzen, statt eines, das von geistiger Umnachtung zeugt. „Und was ist mit deinem Freund?“, fragt sie dann aber und mein Lächeln erstirbt sofort. „Dominik ist nicht mein Freund.“ Was soll das? Hat sie mich jetzt angeflirtet, obwohl sie davon ausgegangen ist, dass ich schwul bin. Oder hat sie mich nur deshalb angesprochen, weil die meisten Mädchen irgendwie total süß finden, wenn ein Junge schwul ist. Aber warum kommt sie dann um die Ecke und flirtet mich total an. Glaubt sie vielleicht, wenn ich schwul wäre, würde ich mich für sie interessieren? Ich will sie gerade anmotzen, als ich sehe, dass sie erleichtert wirkt. „Vanessa hat mir gesagt, ich brauche es nicht länger probieren, weil du jetzt Dominik hättest. Aber ich wollte mich selbst davon überzeugen. Gut, dass ich dich angesprochen habe.“ Sie kichert wieder und zwinkert mir zu und meine Wut verraucht fast augenblicklich und ich bin wieder hin und weg von ihr. „Dann… willst du mich schon länger ansprechen?“, frage ich sie und komme mir im nächsten Moment total doof vor. Wie klingt das denn bitte? Als wäre ich total überzeugt von mir. Ich will gerade zurückrudern, aber Maria scheint es gar nicht weiter zu stören. Sie lächelt nur und erzählt mir, dass sie schon seit Längerem ein Auge auf mich geworfen hat und nur darauf gewartet hat, mich mal irgendwo alleine abfangen zu können. „Ich hätte nie damit gerechnet, dass es heute so weit sein würde. Und dann habe ich dich hier alleine sitzen gesehen und sofort die Chance ergriffen.“ „Gut, dass du das getan hast,“ grinse ich und so langsam übernimmt mein Schwanz die Kontrolle über mein Tun und Handeln. Das gefällt mir gar nicht, weil ich eigentlich Herr über die Lage bleiben möchte. Maria macht es mir aber auch nicht leicht, weil sie sich interessiert zu mir vorbeugt und ich damit beste Einsicht in ihren Ausschnitt habe. Ich zwinge mich, ihr in die Augen zu sehen, bis ich merke, dass sie es absichtlich macht und meinen Trieben dann doch nachgebe. Mit einem mal ist mir ziemlich heiß und ich komme mir vor wie der größte Loser auf der Welt. Ich werde hier tatsächlich gerade von einem Mädchen abgeschleppt und kann dagegen gar nichts tun. Dabei sollte ich doch eigentlich der coole Macker sein, der sie anspricht und verführt. Ich komme mir wirklich bescheuert vor. Erst Recht, als sie mich bittet, mit ihr zu tanzen und ich brav folge, als wäre ich ihr Schoßhündchen. Verhalten sich eigentlich alle Kerle so debil oder bin nur ich so bescheuert, einem Mädchen derart schmachtend hinterher zu laufen? Obwohl ich mich ein wenig entmannt fühle, komme ich mir wie der geilste Typ auf der Welt vor, als ich mit Maria tanze. Ich bilde mir ein, alle würden mich neidisch ansehen, weil ich hier das hübscheste Mädchen vor mir habe und dieses nur Augen für mich hat. Irgendwann kehren wir erschöpft zur Bar zurück und Maria lächelt noch immer. „Meinst du, du könntest mich nach Hause bringen?“, fragt sie und ich weiß genau, auf was das jetzt hinaus läuft. Ich überlege, ob ich einfach gehen kann. Immerhin bin ich mit Jonas und Leon hier. Aber seit wir angekommen sind, habe ich die Beiden nicht mehr gesehen, also wird es wohl auch nicht so schlimm sein, wenn ich einfach mit Maria nach Hause gehe. Deshalb stimme ich zu. Kurz darauf sind wir auf dem Weg zu ihr und ich bin wahnsinnig nervös, weil die Gegebenheit eindeutig auf Sex hinaus laufen. Maria hält auf dem ganzen Weg über meine Hand und lacht über bescheuerte Witze, die ich reiße und die eigentlich gar nicht witzig sind. Ich möchte sie eigentlich auch gar nicht erzählen, aber ich schaffe es nicht, meine Klappe zu halten, weil ich so aufgeregt bin. Es dauert nicht lange, bis wir bei ihrer Wohnung angelangt sind. Sie wohnt alleine in einer winzigen Einzimmerwohnung, in die gerade mal ein Bett und ein Schreibtisch passen. Das interessiert mich allerdings reichlich wenig, weil ich nur Augen für Maria habe. Sie hat gar keine Anstalten gemacht, mich vor der Türe zu verabschieden, sondern mich einfach mit sich gewunken. Scheint, als würde sie nichts anbrennen lassen. Aber warum sollten wir auch warten, wenn wir uns doch so gut verstehen und eigentlich alles klar ist. Deswegen nehme ich es auch einfach so hin, dass sie mich küsst und zu ihrem Bett dirigiert. Ich meine, ich wäre ja auch blöd, würde ich mich jetzt dagegen wehren. Vor allem, weil seit drei Stunden eh schon mein Schwanz das Denken für mich übernommen hat. Ich beschließe, ihm die ganze Kontrolle zu überlassen und handle einfach und den Rest der Nacht gibt es nur noch Maria und mich. Der Morgen mit Maria war reichlich seltsam. Obwohl sie mir einen Kaffee gemacht hat und ich bei ihr Duschen durfte, hatte ich das Gefühl, dass es ihr lieber wäre, ich würde jetzt erst Mal gehen. Vielleicht, weil es ihr peinlich war, so schnell mit mir im Bett zu landen. Normalerweise wartet man damit ja ein paar Dates. Ich weiß auch gar nicht, ob wir jetzt zusammen sind oder noch immer in der Date-Phase schweben, aber immerhin habe ich ihre Nummer bekommen und sie hat mir ein kleines Abschiedsküsschen gegeben, als ich gegangen bin. Trotzdem bin ich total verwirrt, als ich zu Hause ankomme. Ich erwarte, dass Dominik noch schläft und möchte mich in mein Zimmer schleichen, um ihn nicht aufzuwecken, aber auf der Hälfte des Flurs renne ich fast in ihn hinein, weil er in dem Moment aus dem Bad tritt. „Du kommst jetzt erst?“, fragt er überrascht und starrt erst mich, dann seine Armbanduhr an. Es ist nach Zehn. „Ja, ich… komme jetzt erst,“ ende ich meine Erklärung ziemlich lasch und er zieht die Brauen hoch. Ich frage mich, warum ich jetzt nicht einfach damit prahle, Maria abgeschleppt zu haben. Vielleicht, weil es nicht meine Art ist. Und weil es auch nicht Dominiks Art ist und ich damit bei ihm sicher nicht punkten könnte. „Scheint ja eine interessante Nacht gewesen zu sein,“ stellt er fest und klingt dabei irgendwie komisch. Ich kann nicht sagen, ob er es verbittert oder neutral meint, jedenfalls kommt ihm die Ansage seltsam trocken über die Lippen. „Ja… Ähm… ich war danach noch bei Maria,“ gebe ich zu und er zieht die Brauen hoch. „Aha.“ Ich hatte mir ein wenig mehr Euphorie von ihm erhofft. So nach dem Motto: ‚Glückwunsch Jasper, du hast das heißeste Mädchen der Uni abgeschleppt.’ Oder so. Aber natürlich würde er das niemals sagen. „Ja… sie… war so süß und wow und sie hat mich angesprochen und dann hat eines zum anderen geführt und dann waren wir bei ihr und… ja,“ stammle ich und er schiebt sich nur unbeeindruckt an mir vorbei und verschwindet in der Küche. Ich sehe ihm verwirrt nach, ehe ich ihm folge. „Glaubst du, sie steht auf mich? Glaubst du, es könnte etwas werden?“, frage ich ihn, um Klarheit über meine Gedanken zu bekommen, die mich schon den ganzen Morgen quälen. „Woher soll ich das wissen?“, fragt er mich ein wenig pampig und ich runzle die Stirn. „Alles okay?“, will ich wissen und er nickt nur. „Wirklich?“, hake ich nach, woraufhin er entgegnet: „Klar, warum denn auch nicht?“ Ich zucke mit den Schultern, was er nicht sehen kann, weil er mir den Rücken zugewandt hat und im Kühlschrank herumwühlt. „Willst du auch frühstücken?“, fragt er mich und klingt dabei wieder total normal. „Nein, ich habe schon bei Maria gefrühstückt… Ob ich ihr eine SMS schreiben soll? Oder soll ich bis morgen warten? Was meinst du, Dominik?“ Er zerrt die Milch aus dem Kühlschrank und schüttet sich ein wenig in ein Schälchen, ehe er irgendwelche billigen Cornflakes dazugibt. Antworten tut er mir aber nicht. „Domiiiii,“ quengle ich. „Sag mir, was ich tun soll. Ich bin total überfordert. Ich würde sie so gerne wieder sehen. Vielleicht ergibt sich ja was… Stell dir vor: Maria und ich. Das Traumpaar der ganzen Uni!“ „Ja, total super,“ stimmt er mir zu und sucht sich einen Löffel. „Dann schreib ihr doch einfach, wenn es dich glücklich macht.“ „Und was soll ich ihr schreiben?“, frage ich ihn und zücke mein Handy. „Soll ich schreiben, dass die Nacht total heiß war oder klingt das dann, als wäre ich so ein Macho, der nur auf Sex aus war?“ Er schiebt sich an mir vorbei und peilt wieder sein Zimmer an, was irgendwie komisch ist, weil er sonst immer in der Küche isst. Ich folge ihm in den Flur. „Oder soll ich lieber schreiben, dass ich sie gerne wieder sehen würde? Das klingt zwar nicht so cool, aber ich bin ja auch nicht einer dieser obercoolen Macker…“ „Weißt du was?“, fragt er und wendet sich noch einmal mir zu. „Es ist mir scheißegal, was du ihr schreibst, ja?“ Ehe ich etwas erwidern kann, betritt er sein Zimmer und knallt die Tür hinter sich zu. Ich bleibe verwirrt im Flur stehen, das Handy noch immer in der Hand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)