Berliner Nächte von Jeschi ================================================================================ Kapitel 14: Ruhe vor dem Sturm ------------------------------ Tatsächlich wache ich am nächsten Morgen mit einem besseren Gefühl auf, als die letzten Tage. Ich möchte mir wirklich zu Herzen nehmen, was Jonas mir gestern gesagt hat. Ich werde versuchen, seinen Ratschlag in die Tat umzusetzen und einfach wieder in den Tag hinein zu leben, Dinge so zu nehmen, wie sie kommen. Am Besten gleich heute Abend, wenn ich mit Dominik ins Kino gehe. Dann kann es mir einfach egal sein, ob er vielleicht Gefühle für mich hegt, ob uns jemand sieht und dämliche Gerüchte in die Welt setzt, ob mich ein Mädchen anflirtet (oder ein Junge) oder nicht. Ein wenig fühle ich mich wie Buddha, gänzlich ruhig und entspannt. Andererseits weiß ich, dass dem nicht so ist. Ich merke, wie es ganz tief in mir drin brodelt, wie die wohlbekannte Ruhe vor dem Sturm. Das liegt vor allen Dingen an dem Gespräch mit Jonas, in dem er ein paar Äußerungen gebracht hat, die mir helfen sollten, aber nur meine Unsicherheit bestätigt haben. Klar, er konnte das nicht wissen, er kennt meine Vergangenheit auch nicht, also kann ich ihm keinen Vorwurf machen. Möchte ich auch nicht. Aber das ist der Grund, warum ich in der Vorlesung mehr nachdenke, als aufzupassen. „Du weißt doch eigentlich, wer du bist und solltest dich nicht von äußeren Einflüssen verunsichern lassen.“ Das hat er gesagt. Und dieser Satz lässt mir einfach keine Ruhe, so gelassen ich mittlerweile nach Außen hin auch wieder bin. Das Problem ist ja nicht, dass ich nicht weiß, er ich bin, sondern dass ich es weiß. Ich weiß, dass ich vor einigen Jahren, am Gymnasium, ein sexuelles Intermezzo mit einem Jungen gehabt habe und dass es mir gefallen hat. Nachdem ich mir das eingestanden habe, werde ich doch wieder nervös und beginne, die Matheformeln nur mehr abzukritzeln, als wirklich nachzuvollziehen. Stattdessen rufe ich mir jenen Schicksalhaften Moment in Erinnerung als Tobias damals nach dem Sport mit mir alleine in der Umkleide war, wir uns angesehen haben und dann in stiller Übereinkunft Dinge getan haben, die ich nun wirklich nicht noch einmal ausführlichst vor mir sehen möchte. Andererseits war ich sehr jung und ich habe gelesen, dass man in so einem Alter solcherlei Erfahrungen sammelt. Junge mit Junge, Mädchen mit Mädchen. Wahrscheinlich hat auch Jonas schon mal einem Kerl einen runter geholt und wer weiß, was zum Beispiel das Mädchen vorne in der ersten Reihe schon alles mit ihrer Zunge erkundet hat. Ich verdränge die Bilder und überlege mir, was das für meinen neuen Plan bedeutet. Kann ich mit diesem Wissen wirklich noch alles auf mich zukommen lassen? Ja! Aber möchte ich das? Keine Ahnung. Ich versuche, mir Dominik nackt vorzustellen, was mir nicht gelingt. Einfach, weil ich mir dabei irgendwie schäbig vorkomme. Ein wenig fühle ich mich naiv. Es muss doch nachvollziehbar sein, ob ich in seiner Gegenwart Schmetterlinge im Bauch habe oder nicht. Oder wenigstens erkenntlich, ob meine Libido in Dominiks Nähe jubelnd aufschreit. Aber irgendwie will es mir nicht so ganz gelingen, meine Gefühlslage zu klären. Ich habe das Gefühl, keine Kontrolle mehr darüber zu haben. Und dazu kommt noch Jonas Aussage von gestern, nachdem ich ihn gefragt habe, ob er also glaubt, ich bilde mir nur ein, in Dominik verliebt zu sein, weil es alle sagen. Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, dass du am besten weißt, wer du bist. Mein er damit, ich bin in Dominik verliebt und muss das nur mit mir selbst ausmachen? Ich sehe mich um, als könnten alle plötzlich meine Gedanken lesen. Oder sie schauen mich heimlich an, weil sie es sehen, so wie Jonas es sieht? Oder sieht er es gar nicht? Kann man jemanden überhaupt ansehen, ob er schwul ist? Und wenn, sieht man mir an, dass ich auf einen Jungen abfahre? Aber wenn alle anderen das sehen könnten, dann müsste ich es ja auch sehen können. Und ich sehe es nicht. Also bin ich wohl einfach nicht verliebt. So einfach ist das. Problem gelöst. Natürlich ist das Problem damit nicht gelöst und ich weiß immer noch nicht, was ich denken soll. Unbewusst drücke ich so hart mit dem Bleistift auf, dass die Miene abbricht und in den Raum hüpft. Ich sehe ihr nach, obwohl ich sie eigentlich nicht sehen kann, weil sie viel zu klein ist. Trotzdem versuche ich, sie auf dem Boden auszumachen. „Was starrst du so dämlich? Willst du den Flugwinkel berechnen?“ Irritiert blicke ich zu Jonas und merke erst jetzt, dass er mir einen anderen Bleistift unter die Nase hält. Er ist manchmal so aufmerksam. Ich bedanke mich und schreibe das letzt Wort zu Ende, ehe ich zu ihm rüberschiele. „Glaubst du, man sieht jemanden an, ob er schwul ist?“ Er wirft mir einen fragenden Blick zu. „Keine Ahnung,“ antwortet er dann, „Manchen sicher, aber vielen auch nicht.“ Ich nicke und kritzle einen schiefen Kreis auf mein Papier. „Und sieht man es mir an?“ Er verdreht die Augen. „Denkst du immer noch darüber nach?“, will er wissen und ich schüttle sofort den Kopf. „Nein. Also doch. Aber mir geht’s schon besser. Ich wüsste nur gerne, ob man mir etwas ansieht.“ „Wie soll man dir ansehen, dass du schwul bist, wenn du es gar nicht bist. Guck mal, du magst Mädchen doch eigentlich. Vielleicht bist du bi. Oder einfach hetero. Also was soll dieses Gelaber überhaupt?“ „Ich weiß nicht.“ Ich weiß es ehrlich nicht und irgendwie hat er ja Recht. Was soll all das überhaupt? Ich werde eh zu keinem Ergebnis kommen und ohne Dominik in meiner Nähe wohl erst Recht nicht. Und wo ist denn überhaupt mein Vorsatz hingekommen, alles auf mich zu kommen zu lassen? Ich beschließe, sämtliche Gedanken, die mit diesem Thema zu tun haben, aus meinem Kopf zu verbannen und für den Rest des Tages systematisch zu verdrängen, wenn sie doch wieder auftauchen sollten. Tatsächlich gelingt mir das ganz gut und als ich Abends nach Hause komme und mich für das Kino umziehen möchte, fühle ich mich wieder so frei und unbefangen, wie am Morgen, als ich aufgewacht bin. Dominik kommt spät nach Hause und ist danach eine ganze Weile im Badezimmer beschäftigt. Ich hocke in der Zeit tatenlos rum, verdränge brav meine Gedanken und spiele mit einem Salzstreuer, bis er mir aus der Hand gleitet, auf den Boden fällt und auf geht. Mürrisch mache ich mich daran, Salz aufzukehren. Als ich gerade dabei bin, die Salzpackung zu suchen, um den Streuer wieder aufzufüllen, tritt Dominik in die Küche. „Ich bin fertig, wir können los. – Was machst du da?“ „Der Salzstreuer ist mir runter gefallen,“ gebe ich kleinlaut zu, aber er ignoriert einfach meine Blödheit und hilft mir, das Fläschchen zu halten, während ich es auffülle. Ich kippe das Salz vorsichtig rein und mustere dabei sein höchst konzentriertes Gesicht, als wäre er es, der die schwierigere Aufgabe von uns beiden hätte. Ich versuche, auf mein Bauchgefühl zu hören, nach Schmetterlingen zu suchen, die vielleicht doch irgendwo herumgeistert, aber nichts geschieht. Plötzlich blickt er auf, sieht mir genau in die Augen und ich zucke enttarnt zusammen, so dass wieder ein wenig Salz auf den Boden fällt. Er muss schmunzeln. „Du kannst auch gar nichts,“ höre ich ihn sagen, aber es klingt ziemlich weit weg. Ich merke, wie ich ihn anstarre, als er den Salzstreuer verschließt und wegstellt. Erst, als er mir die Salzpackung aus der Hand nimmt, komme ich wieder zu mir. „Erde an Jasper. Können wir dann gehen?“ Ich nicke und versuche, mich zusammen zu reißen. Wo ist meine innere Ruhe hin? Gerade war sie noch da! Jetzt ist sie weg, begraben im Müll, unter einem Berg von dämlichem Salz. Ich hole unsere Karten, während Dominik sich bereits in der Schlange vor dem Kiosk anstellt, um Popcorn für uns zu ergattern. Langsam aber sicher beruhige ich mich wieder, ärgere mich aber darüber, dass ich es einfach nicht gut sein lassen kann. Mit dem Vorsatz, den restlichen Abend lang nicht mehr über Dominik nachzudenken, trete ich zu ihm und reiche ihm eine der Karten. „Hier wird es noch ewig dauern. Die Oma da vorne gibt gerade eine Massenbestellung für ihre fünf Enkel auf,“ mault er und ich grinse. So lange dauert es dann gar nicht und endlich sind wir dran. Während Dominik bestellt, sehe ich mich um und entdecke eine Gruppe Mädchen von der Uni. Als sie sehen, dass ich zu ihnen blicke, beginnen sie dämlich zu kichern und eine winkt mir sogar zu. Hastig wende ich mich ab und renne fast Dominik um, der mir eine kleine Tüte Popcorn unter die Nase hält. Ich nehme sie ihm dankend ab und wir machen uns auf dem Weg zum Kinosaal. Ein wenig haben wir noch, bis die Vorstellung beginnt. „Flirtest du schon wieder?“, erkundigt er sich belustigt und ich ziehe eine Schnute. „Ne, heute garantiert nicht. Ich hab die Schnauze voll von diesem ganzen Gefühlschaos,“ maule ich und lasse mich auf meinem Platz nieder. Er setzt sich neben mich und wuselt umständlich mit seinem Getränk und seinem Popcorn herum, bis ich ihm behilflich bin. „Stimmt, du hast gesagt, du würdest jetzt alles auf dich zukommen lassen,“ nimmt er das Gespräch wieder auf, als er sitzt und ich nicke und werfe ihm einen flüchtigen Blick zu. Kann er mir mal sagen, wie ich die Sache ruhen lassen soll, wenn er wieder damit anfängt?! „Ja, genau,“ murmle ich und stopfe mir Popcorn in den Mund, um nicht weiter darüber reden zu müssen. Aber er scheint gar nicht vorzuhaben, das Gespräch länger auszudehnen, denn er erzählt mir von den Kritiken, die er über den Kinofilm, den wir uns ansehen wollen, gefunden hat. „Meistens hieß es, er sei echt gruselig,“ erläutert er mir und das beruhigt mir gar nicht. Ich weiß, er steht auf Horrorfilme und ich bin ja auch ein netter Mensch und habe ihm die Wahl des Films überlassen, aber ich dachte, er hätte sich vielleicht einen rausgesucht, den auch ich ohne Herzinfarkt überleben könnte. „Na toll,“ murre ich und rutsche bereits jetzt unruhig auf meinem Sitz hin und her. Wenn ich doch schwul wäre, müsste ich wohl Dominik in unserer Beziehung dominieren lassen, weil ich nämlich eine absolute Memme bin. Als hätte er meine Gedanken erraten, meint er: „Keine Angst, ich beschütze dich.“ Ich muss lachen, was er mir übel nimmt, weil er mich böse anguckt, aber sein Gesicht entspannt sich gleich wieder und er meint: „So schlimm ist der Film auch nicht, keine Bange.“ Beruhigter widme ich wieder meinem Popcorn und bin gerade dabei, mich zu entspannen, als die Gruppe Mädchen in den Saal kommt und sich ausgerechnet vor uns niederlässt. Sofort dreht sich die eine, die mir vorhin schon gewunken hatte, zu uns um und lächelt mich nett an. Ich blicke zu Dominik, der wiederum mich fragend anblickt. „Vielleicht ist das Schicksal und du solltest es auf dich zukommen lassen,“ meint er und wedelt dabei beschwörerisch mit den Armen herum, als wäre er irgend ein Medium oder Orakel oder so was. Obwohl, eigentlich sieht er eher aus wie ein Tintenfisch. „Ne,“ meine ich mit fester Stimme und das Mädchen wendet sich enttäuscht um. Erst jetzt wird mir bewusst, dass sie die ganze Zeit zugehört haben muss und ich blicke schuldbewusst ihren Rücken an, aber nun ist es zu spät. Dominik grinst neben mir vor sich hin und ich habe das Gefühl, dass ihn das Ganze ziemlich amüsiert. Erneut frage ich mich, wie es eigentlich um seine Gefühle mir gegenüber steht. Er blickt auf sein Handy und verkündet mir, dass es noch zehn Minuten dauern würde, bis der Film anfängt. Genug Zeit also, um mich für mein Benehmen, dem Mädchen gegenüber, zu schämen. Missmutig stopfe ich mir Popcorn in den Mund und verschlucke mich an einem Stück, so dass ich fast ersticke, während Dominik mir unbeholfen auf den Rücken hat, dass ich Angst habe, er bricht mir das Rückrat. Ich denke gerade, dass es die Strafe Gottes für mein unmögliches Benehmen ist, als drei Jungs zu den Mädchen stoßen. Empört beobachte ich das Mädchen, dass mich gerade noch angeflirtet hat, dabei, wie sie einem der Kerle einen Kuss gibt und ihm sagt, sie hätte schon Angst gehabt, er würde sie versetzen. „Voll die Fotze,“ meint Dominik neben mir und ich blicke ihn entsetzt an. „Solche Wörter aus deinem Mund,“ wundere ich mich und er zuckt die Schultern und klaut sich mein Popcorn, weil er seins bereits leer gegessen hat. „Wie verfressen bist du eigentlich?“, will ich wissen und er zuckt nur mit den Schultern. „Wer hat dir überhaupt erlaubt, ein Popcorn zu essen?“, frage ich dann und er blickt mich kurz reuevoll an, meint dann aber schelmisch: „Ich habe es gefragt, ob ich es essen darf und es war hocherfreut, dass es in meinem satt in deinem Magen landen wird.“ „Na danke auch,“ murre ich, gehe dann aber auf seinen Scherz ein: „Nicht mal mein Popcorn will etwas mit mir zu tun haben.“ Er grinst belustigt und ich stelle die Tüte in die Mitte und hoffe, er lässt mir wenigstens ein paar Krümel übrig. Dann beginnt zumindest schon mal die Werbung und ich werde langsam nervös, weil ich wirklich, wirklich, wirklich keine Horrorfilme mag. Dominik hingegen hibbelt neben mir erfreut auf seinem Platz herum und kann es gar nicht erwarten, dass es endlich losgeht. Vielleicht sind wir ja auch aus Versehen im falschen Film gelandet. Was wäre das nur tragisch. Meine Hoffnung stirbt zuletzt, aber sie stirbt, als sie die Vorschau für andere Filme bringen, die genauso düster und gruselig sind, wie es der eigentliche Film gleich sein wird. Ich will mich gerade in tranceähnlichen Zustand versetzt, um den Film nicht miterleben zu müssen, als sich das Mädchen wieder zu uns umdreht. „Hey, ich kenn dich von der Uni oder?“ Ich bin fassungslos, dass sie mich in der Gegenwart ihres Freundes anspricht und so anlächelt, dass es einfach nur als Flirten durchgehen kann und nicke mechanisch. „Dachte ich mir, dass ich dich ein paar Mal gesehen haben,“ sagt sie und lächelt kokett und ihr Freund wirft mir einen bösen Blick zu. Gott sei Dank, dreht sie sich wieder um und dann beginnt auch endlich der Film und ich vergesse sie und das Popcorn und das einzige, was jetzt noch interessant ist, sind meine Augenlider, weil ich die Augen die meiste Zeit geschlossen halte. Dominik scheint der Film gar nicht zu jucken. Er isst mein Popcorn zuckt ab und an zusammen, grinst danach aber, als wäre es total lustig und sieht flüstert mir ab und an ins Ohr, ich soll doch aufpassen, weswegen ich jedes Mal zusammen zucke, weil er mich damit erschreckt. Außerdem merke ich zum ersten Mal eine körperliche Reaktion auf ihn, seit der Sache mich dem Kuss. Immer dann, wenn er mir etwas ins Ohr flüstert, spüre ich seinen Atem an meiner Wange, seine Haare, die meinen Hals kitzeln und höre seine Stimme, die rauchig klingt, wenn er flüstert. Ich nehme sogar seinen Geruch wahr, eine Mischung aus irgendeinem Parfum, Duschgel und ihm selbst. Als er sich zurückzieht, schließe ich meine Augen sofort wieder, jetzt allerdings, um das ganze noch mal zu erleben. Er tut mir den Gefallen und flüstert mir kurze Zeit später ins Ohr: „Sei nicht so ein Angsthase.“ Ich öffne die Augen und sehe ihn empört an und hab sein Gesicht nun genau vor mir. Unsere Nasen stoßen aneinander und er zieht sich nicht zurück. Ich mich leider auch nicht. Mehr passiert aber nicht. Nach einer kurzen Weile blickt er wieder auf die Leinwand und ich tue es ihm gleich und sterbe fast vor Angst. Ablenkung suchend wühle ich in der Tüte nach Popcorn und muss feststellen, dass sie ebenfalls bereits leer ist. Dabei habe ich schon eine große Tüte genommen. Was ist er? Ein Müllschlucker? Mangels Popcorn, suche ich meinen Händen eine andere Beschäftigung und kralle sie einfach in die Lehne des Sitzes. Irgendwann zucke ich mächtig zusammen, als Dominik seine Hand unangekündigt auf meine legt. Erst denke ich, das ist die plumpste Anamache der Welt, aber dann erkennen ich, dass er mich nur beruhigen will und irgendwann presse ich seine Hand so fest, dass er sie sicher nie wieder bewesen werden kann. Irgendwann ist der Film endlich aus und ich danke Gott, dass ich noch lebe. Dominiks Hand löst sich aus meiner, gerade rechtzeitig, bevor das Licht angeht und es irgendjemand sehen und falsche Rückschlüsse ziehen kann. Wir stehen auf, um unsere Jacken anzuziehen und ich bin dabei wieder den Flirtversuchen des Mädchens ausgesetzt, dass gerade noch ihren Kerl die Zunge in den Hals gesteckt hat. „Alter, Moni, was willst du ständig mit diesem Typen?“, fragt ihr Freund irgendwann genervt und sie zuckt mit den Schultern. „Sei doch nicht so eifersüchtig, Luki.“ Ich frage mich, wie er mit einem Mädchen zusammen sein kann, dass seinen so dermaßen verschandelt. Luki jedenfalls ist ziemlich eifersüchtig, denn er mustert mich böse von oben bis unten und blickt dann zu Dominik, den ich kurzzeitig ganz vergessen habe. „Hey, bist du nicht der Typ, der mit einem der Professoren fickt?“, fragt er und Dominik blickt ihn an wie ein geprügelter Hund. Ich warte darauf, dass er sich verteidigt oder irgendetwas anderes dazu sagt, aber dass macht er nicht, weswegen ich die Initiative ergreife. „Da bist du aber nicht up to date,“ informiere ich den Kerl keck. „Weil er nämlich jetzt mit mir fickt.“ Das Ganze wirkt in sofern, dass der Kerl uns angewidert anguckt und sich dann wegdreht, während das Mädchen jammert, dass alle heißen Kerle entweder schwul oder vergeben sind. Ich frage mich, wie lange die Beziehung der Beiden noch funktionieren wird, ehe er sie qualvoll umbringt. Dominik steht unsicher neben mir und fummelt an seinem Jackenärmel herum, während ich meine Jacke zu knöpfen. „Jasper,“ murmelt er irgendwann und möchte sicher noch mehr sagen, aber ich komme ihm zuvor: „Erzählen doch eh alle rum und es hat zumindest gefruchtet.“ „Ich glaube nicht, dass Jonas gemeint hat, du sollst selbst Gerüchte in die Welt setzen, als er meinte, du sollst es auf dich zukommen lassen,“ murmelt er und ich grinse und wende mich ihm zu. „Vielleicht beschere ich dir heute noch die Nacht deines Lebens – also woher willst du wissen, ob es nur Gerüchte sind?“, ärgere ich ihn und er wird knallrot. Ich grinse vergnügt und schiebe ihn Richtung Ausgang. Dominik ist sehr still, während wir auf dem Rückweg sind. Ich weiß nicht genau, woran es liegt. Stört es ihn, dass ich das zu dem Kerl gesagt habe oder hat er jetzt Angst, ich habe meine letzte Aussage Ernst gemeint. Vielleicht hofft er auch, ich habe sie ernst gemeint. Wo sich wiederum die Frage stellt, ob ich sie ernst gemeint habe. Als wir zu Hause ankommen, schließe ich die Wohnungstüre auf und lasse ihm den Vortritt. „Jasper,“ meint er wieder, kaum dass sich die Türe hinter uns geschlossen hat und ich sehe ihn fragend an. Er spielt schon wieder nervös an seiner Jacke herum und ich mustere ihn abwartend. Letztlich seufzt er und meint: „Du verwirrst mich immer so.“ Ich muss lächeln und gehe einen Schritt auf ihn zu, was ihn zusammenzucken lässt. „Weißt du, wie sehr du mich verwirrst? Die ganze Zeit schon? Ich finde es nur fair, wenn ich dich auch mal ein wenig verwirre.“ Er hebt den Blick nur kurz und ich spüre erneut diese Nähe zwischen uns, die ich in dieser einen schicksalhaften Nacht bereits gespürt habe. Würde ich ihn jetzt küssen, würde ich es mir eingestehen müssen und danach wäre nichts mehr, wie es einmal war. Aber ist es wirklich Liebe oder ist es einfach nur diese seltsame Nähe, die nur ab und an zwischen uns aufkommt, so wie eben jetzt? Er blickt mich fragend an und ich seufze, um die Stille zu durchbrechen. „Nimm es nicht so schwer, Dominik. Ich wollte ihm nur sein Maul stopfen und es hat geklappt. Sie reden eh die meiste Zeit über uns, also warum nicht auch jetzt?“ Er möchte etwas erwidern, was wahrscheinlich mehr Sinn ergeben wird, als mein Fazit, aber er lässt es dann doch. „Pizza?“, frage ich ihn und als er nickt, stürme ich davon, um den Flyer zu holen und so ein paar Meter Abstand zwischen uns zu erzeugen, ehe meine Hormone wieder verrückt spielen – aus ganz und gar lächerlichen Gründen. Deswegen traue ich mich auch erst wieder in seine Nähe, als die Pizza da ist und wie zu erwarten ist der Zauber des Augenblicks verfolgen und ich fühle in seiner Nähe nichts, was über Freundschaft hinausgeht. Ich weiß nicht, wie es bei ihm ist, aber auch er benimmt sich ziemlich normal, scherzt und klaut mir ein Stück Pizza. „Du isst so viel momentan. Sicher, dass du kein Mädchen bist und vielleicht schwanger oder so?“ Er lacht auf und beißt genüsslich von dem Stück ab, aber zu meiner Beruhigung lässt er dann doch eines von seinen Stücken auf dem Karton zurück, was ich mir letztlich unter den Nagel reiße. Am nächsten Morgen scheint es, als wäre nie etwas gewesen, dass unsere Gefühle verwirrt haben könnte. Und auch die nächsten Tage ist es zwischen uns recht normal. An der Uni habe ich von meiner Ansage, dem Kerl gegenüber, auch nicht viel mitbekommen. Entweder hat es keinen mehr überrascht, ein derartiges Gerücht über uns zu hören, oder aber er und der Rest der Bande haben nichts zu jemand anderem gesagt. Wegen all dem beginne ich langsam, Jonas Rat wirklich zu verfolgen und mir nicht zu viele Gedanken über Dinge zu machen, die sich mit Sicherheit eh noch klären werden. Mein Hochgefühl hält bis Mitte der Woche, dann aber sinkt es tief herab, als ich mich nach einer Vorstellung mit Jonas unterhalte und mich dabei ständig einem missbilligenden Blick ausgesetzt fühle, den mir ein Junge zuwirft, den ich nicht wirklich einordnen kann, obwohl er mir bekannt vor kommt. Er steht wie wir im Gang und unterhält sich mit einem anderen Typen, den ich nur von hinten sehen kann. Irgendwann muss er wohl bemerkt haben, dass ich seinen Blick bemerkt habe, denn er sagt etwas zu seinem Gesprächspartner und als der sich daraufhin umdreht, erkenne ich den Jungen aus dem Kino wieder. Nun kann ich auch den anderen zuordnen: Auch einer aus der Truppe. Beiden grinsen mich bescheuert an und Jonas bemerkt, dass ich abgelenkt bin und zieht fragend die Brauen hoch und folgt kurz meinem Blick. „Wer ist das?“, fragt er und ich erkläre ihm kurz, was im Kino vorgefallen ist. „Bist du bescheuert? Weißt du, wie lange es gedauert hat, allen klar zu machen, dass du nicht mit Dominik zusammen bist? Und dabei war es noch Leon, der den meisten Leuten den Kopf gewaschen hat,“ rügt er mich. Ich seufze und versuche, ihm klar zu machen, dass ich etwas Blödes sagen musste, nachdem er die Sache mit dem Professor wieder aufgewärmt hat. Aber meine Verteidigung zieht nicht richtig und mir wird klar, dass es wohl auch etliche andere Wege geben hätte, dem Kerl das Maul zu stopfen. „Naja, egal. Jetzt ist es eh geschehen,“ murrt Jonas und flucht vor sich hin, während wir uns auf den Weg zur Aula machen. Als wir an den beiden Jungen vorbei kommen, höre ich einen der Beiden „Schwuchtel“ sagen, aber es geht mir am Arsch vorbei. Jonas hingegen sieht aus, als würde er ihm gleich eine reinhauen und deswegen schiebe ich ihn schnellsten weiter. „Was ist denn jetzt mit dir los?“, frage ich ihn und er zuckt mit den Schultern. „Ich kann es nicht leiden, wenn jemand so was sagt. Du weißt, meine Schwester und überhaupt.“ Ich nicke und seufze und frage mich, wie blöd ich eigentlich war. Letztlich kommen wir in der Aula an, der Typ ist vergessen und wir können in Ruhe unseren Kaffee trinken. Ich glaube gerade, dass der Tag trotz des Zwischenfalls noch gut werden könnte, als ich nach Hause komme und eines besseren belehrt werde. Das erste, was ich höre, nachdem ich die Türe aufgeschlossen habe, ist ein unterdrücktes Schniefen. Ich gehe diesem auf den Grund und finde Dominik im Wohnzimmer wieder, wo er sich seine Soaps anguckt und dabei vor sich hin heult. „Alles okay?“, frage ich, in der leisen Hoffnung, dass vielleicht nur gerade eine Hauptfigur gestorben ist, aber er schüttelt den Kopf und ich lasse mich notgedrungen neben ihm nieder. „Was ist denn passiert?“, frage ich ihn und er sieht mich gequält an. „Das ist alles deine Schuld!“, ruft er dann und boxt mir unsanft gegen den Arm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)