Berliner Nächte von Jeschi ================================================================================ Kapitel 10: Untertitel: Happy End --------------------------------- „Noch einen?“, frage ich Dominik nach dem dritten Film, erhalte aber keine Antwort. Als ich zu ihm sehe, bemerke ich, dass er eingeschlafen ist. Ich muss schmunzeln und schalte den Fernseher aus, ehe ich mich zu ihm umdrehe und überlege, ob ich ihn wecken soll. Ich entscheide mich dagegen und hebe ihn stattdessen vorsichtig hoch, trage ihn in sein Zimmer und lege ihn aufs Bett. Sanft breite ich die Decke über ihm aus und lösche das Licht. Weil ich selbst noch nicht sonderlich müde bin, räume ich das Wohnzimmer auf, ehe ich ins Bett gehe. Aber auch da kann ich nicht besonders gut schlafen. Deswegen schalte ich mich ein Handy wieder ein und staune, weil ich fünf neue Nachrichten von Anne darauf vorfinde. Offenbar hat es ihr nicht so ganz gepasst, dass ich den Abend über nicht erreichbar war. Aber dafür hatten Dominik und ich Spaß, haben uns nett über die Filme unterhalten und kein Wort mehr über den missglückten Nachmittag verloren. Ich bin der Meinung, ich muss mich nicht dafür rechtfertigen, weshalb ich ihr nur ‚Gute Nacht’ schreibe und dann das Handy wieder ausschalte. Wenn sie mir es nicht total übel nimmt, dass ich mich heute – gestern, wie mir ein Blick auf die Uhr sagt -, nicht gemeldet habe, dann können wir ja die Tage mal was zusammen unternehmen. Ich würde sie schon gerne besser kennen lernen. Es ist zwar nicht so, als dass ich totale Schmetterlinge im Bauch hätte, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Als ich am nächsten Morgen aufwache, schläft Dominik noch. Ich beschließe, uns Frühstück zu machen und bin gerade am Tischdecken, als er in die Küche kommt. Er trägt immer noch, was er gestern Abend anhatte: Jogginghose und Pulli. „Na, du Schlafmütze?“, grinse ich und er blickt nur verschlafen zurück. „Wie bin ich ins Bett gekommen?“, fragt er und ich zucke mit den Schultern. „Ich habe dich getragen.“ „Oh!“, macht er und weiß wohl nicht, wie er mit der Information umgehen soll. Irritiert lässt er sich am Tisch nieder und ich schenke ihm einen Kaffee ein. „Du hast so tief und fest geschlafen, ich wollte dich nicht wecken,“ erkläre ich ihm und er nuschelt ein leises ‚Danke’. Ich amüsiere mich still über seine Verlegenheit und nehme ebenfalls am Tisch platz. Anne hat sich bis jetzt nicht gemeldet. Ich habe auch nicht erwartet, dass sie mir nachts noch zurück geschrieben hat, aber jetzt ist ja schon fast Mittag. Ein wenig enttäuscht bin ich darüber schon, weil ich dachte, dass sie eigentlich ein recht unkompliziertes Mädchen ist, genau die Sorte, die ich gerne als Freundin hätte. Aber vielleicht habe ich mich da auch einfach geirrt. Dominik ist schweigsam während des Frühstücks und ich weiß nicht genau, warum. Vielleicht ist er auch einfach nur peinlich berührt, weil ich ihn ins Bett getragen habe. Irgendwie scheint ihn das ja auch der Bahn geworfen zu haben. „Alles klar?“, spreche ich ihn an und er zuckt regelrecht zusammen. Wahrscheinlich war er in Gedanken. Er weicht meinem Blick aus, nickt aber. Ich weiß nicht genau, was ich damit nun anfangen soll und beiße mir unsicher auf die Lippe. „War doch noch schön gestern, oder?“, frage ich ihn und er nickt wieder. „Wir könnten das ja so bald wie möglich wiederholen? Oder?“, biete ich ihm an und diesmal blickt er mich sogar an, während er nickt. „Anne hat sich nicht mehr gemeldet. Finde ich total doof von ihr,“ erläutere ich ihm dann und schon sieht er ein wenig besser gelaunt aus. Finde es noch immer seltsam, dass er sie nicht leiden kann. Eigentlich hat sie ihm nichts getan und ich habe mich ja entschuldigt, dass ich sie angeflirtet habe, statt sie zu ignorieren und meine Zeit ihm zu widmen. Aber vielleicht ist Dominik auch einfach nicht der richtige Ansprechpartner, was Mädchen angeht. Ich glaube, er weiß nicht so genau, was er dazu sagen soll, weil er für sie so gar nichts an Gefühlen aufbringen kann. Ich rede noch ein wenig mit ihm über Anne – ob er will oder nicht -, ehe ich ins Bad gehe und mich dann zu Jonas und Leon verabschiede. Ich hoffe, die zwei haben ihren Rausch schon ausgeschlafen, denn ich möchte gerne mit jemanden über Anne reden, der nicht wie drei Tage Regenwetter guckt, wenn ich ihren Namen erwähne. Ich bin noch nicht ganz bei der WG angekommen, als mein Handy vibriert und ich tatsächlich doch noch eine SMS von Anne erhalte. Ich hole das Handy aus meiner Tasche hervor und lehne mich gegen eine Haushand um sie in Ruhe zu lesen. Sie schreibt, sie hatte gestern schon Angst gehabt, ich würde mich nicht mehr bei ihr melden. Und dass sie sich gerne mit mir treffen würde. Das finde ich schön und sage ihr das auch. Ich frage sie, ob sie mit mir mal ins Kino möchte und kurz darauf sagt sie auch schon zu und ich setze meinen Weg fort. Ich habe am Montagabend ein Date und freue mich sogar darauf. Dieses aufgeregte Gefühl habe ich beim letzten Mal so gar nicht gehabt. Ich deute das mal als gutes Zeichen. Kurz darauf erreiche ich die WG und klinge Jonas aus dem Bett. Es hätte mir klar sein müssen, dass die beiden noch pennen, aber eigentlich ist es mir auch egal. Wer saufen kann, kann auch aufstehen. Das sage ich Jonas auch, als er mir die Türe öffnet und mich dabei böse anschaut. „Witzig,“ knurrt er darauf noch, lässt mich aber ein. Ich habe ihnen sogar einen Kaffee mitgebracht und knalle die Pappbecher auf ihren Küchentisch, ehe ich daran platz nehme. „Wie war die Party?“, frage ich ihn und er stöhnt auf. „Zum kotzen.“ Ich frage nicht, ob er das wörtlich meint oder ob es nur keinen Spaß gemacht hat sondern nehme lieber einen Schluck von meinem Kaffee. „Wie war es mit Dominik?“, will er wissen und ich überlege kurz. „Eigentlich schön,“ sage ich dann und erzähle ihm dann von Anne. Deswegen bin ich ja auch eigentlich hier. Um ein zünftiges Gespräch zwischen Männern zu führen. Irgendwie interessiert er es sich aber gar nicht so sehr für Anne wie für Dominik. „Und er war dann echt eingeschnappt, nur weil du mit einem Mädchen geflirtet hast?“, fragt er und ich nicke irritiert, weil ich eigentlich eher Fragen über Annes Oberweite erwartet hätte. „Bist du sicher, dass er nicht doch auf dich steht?“, fragt mich Jonas und ich bin ehrlich gesagt verwundert. Von Leon hätte ich so eine Frage ja noch erwartet, aber dass Jonas nun auch schon so anfängt finde ich seltsam. „Hat dir Leon diese Flausen jetzt auch noch eingeredet?“, frage ich ihn deshalb und er schüttelt den Kopf. „Das ist auf meinem eigenen Mist gewachsen, weil ich sein Verhalten komisch finde.“ Ich blicke ihn böse an und widme mich ganz meinem Kaffee. Auf die Frage antworte ich sicher nicht. Sie müssen mal mit sich klar kommen, wirklich! Nur, weil Dominik schwul ist, heißt das nämlich nicht, dass er sich in jedes männliche Wesen verknallt, nur weil es ein bisschen nett zu ihm ist. Und schon gar nicht in mich. Er weiß ja, dass ich auf Frauen stehe. Niemals würde er sich da Hoffnungen machen. Obwohl ich natürlich zugeben muss, dass sein Verhalten ein wenig seltsam ist. Aber ich bin immer noch der Meinung, dass er nur sauer ist, weil ich ihm den Tag versprochen habe und dann lieber geflirtet habe. Er saß ja nur unbeteiligt daneben. Wahrscheinlich wäre ich andersherum auch sauer gewesen. So erkläre ich das auch Jonas, der immer noch auf eine Antwort zu warten scheint und lenke das Thema dann wieder zurück auf Anne. Ich möchte mich nicht mit lächerlichen Vermutungen auseinander setzen sondern mit realen Tatsachen. „Ist sie heiß?“, fragt er mich. Endlich tut er das, was von ihm verlangt wird. Ich bin ganz stolz auf ihn. Andererseits weiß ich die Frage schon wieder nicht zu beantworten. Ist sie heiß? Ich bin mir nicht sicher, ob man sie als heiß bezeichnen kann. Sie ist zumindest süß und sehr hübsch. Sie hat auch relativ große Brüste. Aber nicht zu groß. Ganz okay. Andere würden sie sicher heiß finden. Ich stutze. Das kann ich ihm so schon mal nicht sagen. Wie sollte ich das erklären? ‚Ich finde sie toll aber nicht heiß’. Das ist doch blödsinnig. ‚Ich finde sie nicht so heiß, wie andere. Aber ich mag sie schon.’ Erst Recht bescheuert. Nur etwas muss ich ja antworten, weil Jonas schon so komisch guckt. „Sie ist süß,“ würge ich also kläglich hervor und komme mir doof vor. Ursprünglich wollte ich ihm die Ohren voll schwärmen und jetzt finde ich sie nicht mal besonders heiß. Aber heiß ist ja auch ein blödes Wort. Was ist denn schon heiß? Herdplatten sind heiß. Oder die Sonne. Aber ein Mädchen ist eher hübsch. Oder? Maria ist heiß. Aber Maria ist eine Schlampe. Also ist es wohl besser, man ist kein heißes Mädchen, sondern einfach süß. So sage ich Jonas das aber auch nicht, sondern erzähle ihm genau das, was jeder sagen würde: Süßes Gesicht, relativ große Titten. Perfekt. „Klingt doch gut,“ freut er sich und nimmt nun endlich auch mal einen Schluck von seinem Kaffee. Im Flur hören wir Krach. Wahrscheinlich ist Leon aufgewacht. „Morgen Abend gehen wir ins Kino. Ich glaube, das wird recht witzig. Man kann gut mit ihr reden,“ verkünde ich Jonas und er nickt. Im nächsten Moment kommt tatsächlich Leon in die Küche und ich reiche ihm den Kaffee, der mittlerweile nur noch lauwarm ist. „Ihr seid so laut,“ mault er, weckt aber keinerlei Schuldgefühle bei uns. „Was für eine bescheuerte Party. Keine Weiber und dafür mehr Alkohol als nötig gewesen wäre,“ motzt er also weiter und ignoriert, dass keiner wirklich darauf antworten will. „Sei froh, dass du nicht dabei warst!“, spricht er mich dann direkt an und ich nicke nur. „Wie war es mit Dominik?“, fragt er dann und ich bin überrascht, dass er ihn selbst anspricht. Eigentlich benimmt er sich ja immer recht verhalten, wenn das Gespräch auf Dominik kommt. Ich erzähle ihm also knapp, was ich Jonas auch schon gesagt habe, lasse aber seine Reaktion weg, als ich beginne, von Anne zu erzählen. Ich glaube, dass Leon noch mehr darauf rumhacken würde als bereits Jonas. Und einmal reicht ja auch. Leon ist dafür ein wenig entgegenkommender, was Anne angeht. Er fragt mich über sie aus und stellt sein Fragen dabei so, dass ich nur ‚Ja’ oder ‚Nein’ sagen muss, was irgendwie günstiger ist, weil ich dann nicht wieder so in Bedrängnis komme, wie zuvor bei Jonas. Ich finde, dass ich mittlerweile zu hohe Ansprüche erhebe, was Frauen angeht. Keine Ahnung, ob das an Maria liegt, aber seit einiger Zeit ist es wirklich schwer für ein Mädchen, mich noch zu beeindrucken. Vielleicht bin ich total verkorkst oder so. Einige Machos würden wahrscheinlich alle direkt flachlegen, die sie nur nett angucken. Ich hingegen stelle mich total blöd an und prüfe jede erst mal darauf, ob sie auch komplett meinen Ansprüchen entspricht. Das Problem dabei ist nur, dass ich gar nicht mehr weiß, was meine Ansprüche überhaupt sind. Immerhin habe ich auch schon Mädchen gedatet, die meinen bisherigen komplett entsprochen haben und trotzdem nichts für sie empfunden. Auf Maria freue ich mich aber eigentlich. Ich habe nur das Gefühl, diese Freude verschwindet mit jeder Sekunde, die ich darüber nachdenke, mehr. Vielleicht war es aber auch ein Fehler, zu Jonas und Leon zu gehen um mit ihren darüber zu reden. Deswegen verlasse ich sie auch wieder und nehme als Ausrede ihren miserablen Zustand. Wenig später bin ich tatsächlich wieder auf dem Weg nach Hause und fühle mich schon besser. Ich mag Jonas und Leon ja sehr, aber im Moment habe ich das Gefühl, ich muss mich ständig für alles rechtfertigen. Irgendwie ist das komisch. Angefangen hat es wohl mit Dominik. Aber der arme Junge kann ja auch nichts dafür, dass ich mich im Moment ein wenig komisch verhalte. Als ich zu Hause ankomme, ist Dominik in seinem Zimmer und ich verkrümle mich in meines. Aber so wirklich zur Ruhe komme ich dennoch nicht. Ich bin nicht müde genug um zu schlafen, aber auch zu wenig motiviert, um jetzt noch mal raus zu gehen. Ich überlege, ob ich noch mal zu Dominik gehen soll, aber entscheide mich dagegen. Wir haben den gestrigen Tag ja schon zusammen verbracht und ich möchte mich nicht aufdrängen. Außerdem hat mich Jonas Ansage irritiert. Ob er vielleicht doch – ein klitzekleines bisschen – verknallt in mich ist? Eigentlich unsinnig, aber wenn doch, wie soll ich mich dann verhalten? Das macht mich ganz nervös. Nicht, weil ich denke, er könnte mich nachts überfallen oder so. Natürlich denke ich solche Dinge nicht! Aber ich frage mich, ob ich ihn dann nicht auf Dauer verletzen könnte. Andererseits habe ich ihn ja schon mal darauf angesprochen und da meinte er, ich wäre verrückt, so etwas zu denken. Also vielleicht sollte ich ihm einfach glauben und nicht so viel auf die Dinge geben, die mir Jonas und Leon erzählen wollen. Sie haben ja gar nichts mit ihm zu tun und bekommen ihn kaum zu Gesicht. Sie wissen gar nicht, wie er sich wirklich mir gegenüber verhält und schon gar nicht, was er denkt. Das weiß ja nicht mal ich und er macht es einem auch wirklich schwer, in seine Gedanken einzutauchen. Egal, was er tut und egal was er sagt, man kommt nie so ganz dahinter, wie er tickt. Das ist zwar nervenaufreibend und faszinierend zugleich, aber auch der Grund dafür, dass ich ihn einfach nicht durchschauen kann. Andererseits muss ich ihn auch nicht durchschauen, solange zwischen uns alles in Ordnung ist. Den restlichen Sonntag habe ich mit PC-Spielen und Grübeln verbraucht. Beides Dinge, die ich recht selten tue. Umso schlechter ist meine Laune heute, obwohl ich abends noch ein Date habe. Darauf freue ich mich wirklich, aber trotzdem bin ich noch ein wenig irritiert von den Geschehnissen des gestrigen Tages. Und von Samstag sowieso. Dominik ist schon weg, als ich endlich aufstehe und mich fertig mache. Ich kann froh sein, dass ich Mittag noch keine Lesung haben. Andererseits habe ich Jonas versprochen, ich lerne mit ihm am Morgen noch etwas. Jetzt wird er wohl alleine lernen müssen. Irgendwann bin ich dann aber auch fertig und mache mich auf den Weg zur Uni. Dort empfängt mich ein schlechtgelaunter Jonas und ich entschuldige mich ewige Male dafür, ihn vergessen zu haben. Er muss ja nicht wissen, dass ich ihn eigentlich gar nicht vergessen habe. Danach essen wir etwas und hocken uns dann in unsere Lesung. Leon bekomme ich gar nicht zu Gesicht. Erst, als ich mich gerade von Jonas verabschiede und auf den Weg zum Kino machen will. Da taucht er auf und wünscht mir viel Glück, aber Zeit, mich mit ihm zu unterhalten, habe ich keine mehr. Tatsächlich bin ich schon spät dran und eile zu meinem Date. So fängt es ja schon super an. Anne wartet schon vor dem Kino auf mich, aber sie muss früher da gewesen sein, dann ich bin auf die Minute genau pünktlich. „Hey,“ begrüße ich sie und hauche ihr einen Kuss auf die Wange. Sie strahlt ununterbrochen, offenbar bin ich wirklich ihr Typ und das freut mich. Ich selbst bin immer noch ein wenig unsicher, was meine Gefühle für Anne angeht, aber dafür ist das Date ja da. Heute werde ich dann schon sehen, ob ich mich mit ihr gut verstehe und vielleicht sogar verliebe – oder eben nicht. Wir treten ins Kino und sehen uns mit einer langen Schlange konfrontiert. Offensichtlich haben sehr viele Leute beschlossen, heute ins Kino zu gehen. „Welchen Film möchtest du denn sehen?“, fragt mich Anne und ich merke, dass ich mir keine Gedanken darüber gemacht habe. Ehrlich gesagt habe ich mich nicht mal informiert, welcher Film überhaupt läuft. Um bei ihr zu punkten, sage ich ihr aber, dass mir der Film egal ist und sie entscheiden darf. Tatsächlich findet sie die Idee super, auch wenn sie sich dann für einen komischen romantischen Film entscheidet, der mir nicht wirklich zusagt. Andererseits bin ich ja nicht wegen dem Film sondern wegen ihr hier. Ich hole unsere Karten – ihre zahle natürlich ich – und danach auch noch Popcorn. Ich mag eigentlich kein Popcorn, aber vielleicht ist es ja romantisch, wenn sich unsere Hände immer wieder mal zufällig berühren, wenn wir zur gleichen Zeit in die Tüte langen. So langsam komme ich also nun doch in Datelaune, wenn ich mir solche Gedanken machen. Das erleichtert mich schon ziemlich. Wir suchen unseren Platz und lassen uns dann dort nieder. Natürlich habe ich uns einen Pärchensitz organisiert und glücklicherweise füllt sich das Kino nicht allzu sehr, weshalb wir relativ ungestört sind. Bis der Film anfängt, plaudern wir recht unbeschwert und ich merke immer mehr, dass sie echt ein Traummädchen ist. Sie ist wirklich witzig, wir scheinen den gleichen Humor zu haben. Und sie ist intelligent. Sie studiert zwar nicht, aber an der Art, wie sie redet, merke ich, dass sie etwas im Kopf hat. Nicht, dass niemand, der nicht studiert, dumm ist. Aber es gibt ja auch Leute, die aus guten Grund nicht studieren – Anne ist zum Glück keine davon. Irgendwann fängt der Film an und ich versuche, mich auf die Handlung zu konzentrieren. Immerhin möchte sich Anne sicher nach dem Film darüber austauschen und wenn ich dann gar keine Ahnung davon habe, ist das auch nicht gut. Allerdings ist der Film wirklich zum kotzen. Keine Ahnung, ob den irgendjemand gut finden kann, der nicht total das Mädchen ist. Ich glaube nämlich, dass nicht mal jedes Mädchen den gut finden würde, weil er mit so ziemlich jedem Klischee arbeitet, dass es so gibt: Die Hauptfigur geht gerne shoppen, ihre beste Freundin ist Kosmetikerin, ihr bester Freund ist schwul, sämtliche Typen stehen auf sie, weil sie unbeschreiblich gut aussehend ist und sie selbst ist nur in einen riesigen Macho verknallt und merkt dabei nicht, dass ihr schüchterner Kollege ihr eigentlicher Traummann ist. Ja, so geht es wohl jedem einzelnen Mädchen auf dieser Welt… Anne findet ihn aber total toll. So toll, dass sie sogar das Popcornessen vergisst, was mir meine super Chance, zufällig ihre Hand zu berühren, kaputt macht. Ich überlege, ob ich einfach ihre Hand nehmen soll. Ich glaube, sie erwartet sogar, dass wir Händchenhalten. Aber ich traue mich nicht. Beziehungsweise traue ich mich eigentlich schon, aber irgendetwas hält mich doch davon ab. Ich möchte nicht jedes Klischee erfüllen, wie es schon der Film tut. Im Kino Händchenhalten, Anne nach Hause bringen, ein kleiner Kuss zum Abschied und dann groß das Happy End als Untertitel des Abends. Mehr und mehr komme ich mir blöd vor. Sie hat nur Augen für den Film und ich habe nur Augen für mein Popcorn, das mir noch nicht mal schmeckt. Ich hätte salziges nehmen sollen, das mag ich nämlich. Aber ich dachte, sie mag sicher lieber süßes und habe sogar den Spruch gebracht: „Was Süßes für meine Süße.“ Im Nachhinein finde ich den Spruch natürlich selber lächerlich und schäme mich auch ganz sehr dafür. Ich bin heilfroh, als der Film endlich zu Ende ist und sich die Heldin dann doch für ihren Kollegen entschieden hat, der natürlich eine Styleberatung hinter sich hat und nun aussieht wie der zweite Brand Pitt. Kann ja nicht angehen, dass sie einen durchschnittlichen Kerl datet. Der muss schon ein halbes Topmodel sein. Irgendwie hat er der Film es echt in die Kategorie „Größte Scheiße ever!“ gebracht. „Wie fandest du ihn?“, fragt mich Anne, als wir den Kinosaal verlassen und ich zwinge mich zu einem Grinsen und meine: „Ganz okay.“ Das ist natürlich übertrieben, aber ich möchte sie auch nicht enttäuschen. Sie schwärmt noch eine ganze Weile, wie toll der Film doch ist und ich weiß nicht so recht, was ich darauf antworten soll. Ich zweifle nun doch an ihrer Intelligenz. Welch halbwegs normaler Mensch kann denn so einen Mist so dermaßen toll finden. Sind alle Mädchen so? Ich habe meine Ex-Freundinnen anders in Erinnerung. Aber wie scheiße wäre es von mir, wenn ich sie nun mit meinen Ex-Freundinnen vergleichen würde. Von ihrem miserablen Filmgeschmack einmal abgesehen ist Anne ja eigentlich total toll. Wie ich es mir zuvor in meinen Horrorvisionen ausgemalt habe, bringe ich sie tatsächlich nach Hause und als wir vor ihrer Türe zum stehen kommen, sieht sie mich erwartungsvoll an. Ich weiß, was jetzt von mir verlangt wird und ich weiß, dass ich dem nicht nachkommen werde. Ich beuge mich vor, um sie erneut auf die Wange zu küssen und kurz, aber fest zu umarmen, ehe ich ihr noch einmal beteuere, dass es schön war und ich sie gerne noch mal treffen würde und ihr noch eine gute Nacht wünsche. Ein wenig enttäuscht wünscht sie mir das gleiche und ich flüchte schon fast aus dem Hauseingang. Als ich gerade auf die Straße trete, ruft sie mir nach und ich bleibe stehen. „Du, Japser, darf ich dich noch etwas fragen?“, will sie wissen und ich nicke und trete wieder ein Stückchen näher, damit sie nicht so schreien muss. „Wie findest du mich eigentlich?“, fragt sie und ich hole tief Luft, was mir kurz Zeit gibt, zu überlegen. Aber eine wirkliche Antwort finde ich nicht und deswegen meine ich: „Naja, also… ich mag dich sehr gerne und es hat mir heute Spaß gemacht mit dir zu quatschen. Deswegen würde ich dich auch gerne mal wieder treffen. Du bist wirklich toll.“ Ich weiß selbst, dass das scheiße klingt. Und sie fasst es genauso auf, wie ich es meine: „Also denkst du eher, dass es etwas Freundschaftliches werden kann und keine Beziehung, oder?“ Ich würde ihr gerne sagen, dass es anders ist und ich mich nur nicht so schnell verlieben kann, aber natürlich ist das Blödsinn. Im Grunde meines Herzens denke ich ja genau das, was sie gerade ausgesprochen hat. Deswegen nicke ich auch nur. Sie nickt ebenfalls und sagt nichts und ich wende mich ab. Als ich gerade wieder auf die Straße trete, meint sie: „Jasper? Du und Dominik… seid ihr zusammen?“ Ich halte inne und wende mich um. „Bitte?“, frage ich sie und beginne, nervös an meiner Jacke zu fummeln. Eigentlich gibt es keinen Grund, jetzt nervös zu werden. Dominik und ich sind nicht zusammen, ich bin nicht schwul und das ich mich nicht in sie verliebt habe, liegt nicht daran, dass sie keinen Schwanz hat. „Nein!“, beteuere ich also und sie nickt nur und zuckt mit den Schultern. „Tut mir Leid, ich dachte, dass es vielleicht daran liegt, dass du schwul bist. Also… das du mich nicht magst,“ versucht sie sich zu erklären und ich schüttle den Kopf und entschuldige mich, obwohl ich mich eigentlich nicht dafür entschuldigen bräuchte. „Dominik ist aber schwul, oder? Ich hatte den Eindruck, er steht auf dich.“ Ich mustere den Boden. Am Straßenrand wächst Unkraut und obwohl es da nicht hingehört, sieht es nicht mal total bescheuert aus, wie es da wächst. „Ich glaube nicht, dass er auf mich steht,“ erwidere ich dann leise und sie hebt abwehrend die Hände. „Ich kann mich irren. Ich dachte ja auch, du stehst auf ihn. Ihr habt so vertraut gewirkt. Und irgendwie… verknallt.“ Ruckartig hebe ich den Kopf wieder und sie zuckt zusammen. „Nur, weil ich nicht auf dich stehe, heißt das nicht, dass ich schwul bin, okay?“, brause ich auf und erkenne mich selbst kaum wieder. Keine Ahnung, was nun los ist, aber ich führe mich auf, wie der letzte Idiot. So schnell, wie die Wut gekommen ist, vergeht sie aber auch wieder und ich entschuldige mich nochmals und versichere ihr, dass meine Gefühle ihr gegenüber nichts mit denen gegenüber Dominik zu tun haben und dass ich nicht schwul bin und noch so vieles mehr. Dann gehe ich und vermeide es, sie zuvor noch einmal anzusehen, weil sie die ganze Zeit über schon sehr traurig gewirkt hat. Ich möchte ihre Tränen nicht sehen müssen. Schlecht gelaunt betrete ich die Wohnung und erwarte, unter Dominiks Türe Licht hindurch scheinen zu sehen. Das ist aber nicht der Fall, er schläft wohl schon. Mir wird klar, dass ich ihn heute nicht einmal zu Gesicht bekomme habe. Dafür habe ich heute schon mehr als genug über ihn nachgedacht. Mittlerweile nervt mich all dieses Gerede. Ich weiß nicht, was alle immer damit haben, dass Dominik auf mich stehen könnte. Ist es denn so ein Verbrechen, wenn er sich als Schwuler gut mit mir versteht? Muss er deshalb gleich in mich verknallt sein? Und ich in ihn, wo ich doch hetero bin? Verärgert lege ich mich schlafen, aber es dauert noch fast zwei Stunden, ehe ich wirklich schlafen kann. Der Morgen beginnt nicht viel besser, weil ich mit seltsamer Musik geweckt werde, die aus Dominiks Zimmer kommt. Eigentlich ist er nicht der Typ, der laut Musik hört und wenn, dann ist es eher Metal und nicht Lady Gaga. Kurz überlege ich, ob er vielleicht Besuch haben könnte. Wer weiß, vielleicht hat er einen Freund und deswegen hat er gestern auch schon geschlafen. Weil sie sich davor wild durch alle Zimmer gevögelt haben. Und wenn ich dann gleich Frühstücke, werde ich irgendwelche Rückstände auf dem Küchentisch vorfinden, die sich sicher nicht vorfinde möchte. Deswegen hört er auch Lady Gaga. Weil er sich so einen tuntigen Typen angelacht hat, der selber rum läuft wie ein Gaga-Verschnitt. Und jetzt treiben sie es schon wieder wild und die Musik soll nur die Geräusche überdecken. Plötzlich von innerer Unruhe getrieben, stehe ich auf, durchquere den Flur und platze einfach in sein Zimmer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)