Grimmige Märchen von Inzestprodukt (Ein Märchen-Crossover) ================================================================================ Kapitel 3: Zucker, überall Zucker! ---------------------------------- Unter Umständen wäre Raphael geneigt, wieder an ihren eigentlich eigens vernichteten Schöpfer zu glauben, denn seine stummen Gebete schienen dieses eine Mal tatsächlich erhört worden zu sein – er sah Zucker. Leider in Massen statt in Maßen, was seinem nach ausgewogener Ernährung schreiendem Herzen einen Stich versetzte, doch er hüllte sich vorerst in Schweigen – und beobachtete mit Interesse die Reaktion des kleinsten Mitgliedes ihres Trios. Wie zu erwarten hatte Uriel immerhin ansatzweise Erfahrungen mit diesen Geschichten, was man von Michael allerdings nicht behaupten konnte und so war es kaum verwunderlich, dass bei ihm allmählich der letzte Rest Verstand ausklinkte; er hatte sich zum Stehenbleiben hinreißen lassen und wenn Raphael sich nicht ganz täuschte, zuckte das linke Auge auch bedenklich. Überforderung!, schrie es aus jeder Faser des kurzen Körpers. „Als hätte ich es geahnt“, ließ Uriel sich vernehmen und betrachtete das knallbunte Häuschen, welches seine Farbpracht durch diverse Bon-Bons, eingefärbten Zuckerguss und Gummibärchen zu verantworten hatte. „Ich hatte es auch befürchtet“, meinte Raphael kurz angebunden und schaute noch einmal zu Michael, von dem nun kontrolliertes Ein- und Ausatmen zu hören war. Ob er noch immer nach singenden Nagetieren trachtete, sei nun dahingestellt. „Wer wohl die Hexe ist?“, mutmaßte der Erdengel und trat einen Schritt näher an die in Pose gesetzte Lichtung heran, in deren Mitte das Hexenhäuschen aus Süßkram stand. „Solange ich noch hier stehe und nicht in lumpigen Kleidern an einem Krückstock ende, ist mir das eigentlich relativ egal. Ich weigere mich aber, jemanden in den Ofen zu schubsen.“ Auch Raphael folgte ein paar Meter weiter, wobei er dennoch Michael im Auge behielt. Der war viel zu ruhig für seinen momentanen Geisteszustand. „Anzünden sollte das geringste Problem sein“, mutmaßte Uriel weiter und ignorierte ihre sozialen Umstände gerade weitestgehend. Genau diese setzten sich dann ebenfalls in Bewegung, doch ganz geheuer schien es dem Rothaarigen noch nicht zu sein; das sah viel zu kitschig aus, um irgendwie Spaß aus der Sache zu ziehen. „Wird hier gesungen?“ „Du bist immer noch bei Disney, in Märchen wird nicht gesungen“, versuchte Raphael ihn minder interessiert zu beruhigen und klopfte einmal mit den Fingerknöcheln gegen die Wand aus Lebkuchen; wenn es denn wirklich möglich war, konnte man das Geräusch besten Gewissens als „klebrig“ bezeichnen. Uriel warf einen direkten Blick auf das Dach und vermutete Butterkekse, jedoch machte keiner Anstalten, etwas von dem Zeug zu essen – der Größe nach bemessen aus folgenden Gründen: Der Erdengel sah, was sich den Umständen des Waldes sei Dank auf dem Dach angesammelt hatte – Schmutz, kleine Äste, Vogelkot – und verzichtete auf eine nähere Bekanntschaft mit eben diesen Dingen, Raphael empfand den Wald als solchen schon viel zu unhygienisch um hier überhaupt ans Essen denken zu können und Michael lehnte aus Prinzip den Großteil aller Speisen ab, der nicht wenigstens anständig geblutet hatte. Außerdem machten die rosa ´Fugen ihn nicht gerade glücklich. Dennoch hielt ihn das natürlich nicht davon ab, seinen Fuß mit voller Wucht gegen eine der Wände schnellen zu lassen. Das Ergebnis war ein kleines Loch im Lebkuchen, was er mit abfälligem Blick beurteilte und sich schließlich abwandte. Eine Behausung, die weniger als die des Luftikus rechts von ihm vertrug, war unter seiner Würde. Und bei der machte er schon großzügige Abstriche, wenn wir mal ehrlich sein wollen. „Also“, ignorierte besagter Luftikus den kurzen Anfall von zerstörerischer Aktivität. „Wer isst jetzt was davon, damit die Geschichte ins Rollen kommt?“ „Können wir nicht einfach alles kaputtmachen? Hat beim Turm doch auch geklappt.“ „Das war – wenn wir von allem hier mal absehen – ohnehin vollkommen unlogisch, von der Geschichte blieb ja nicht viel über. Wenn man uns deswegen später den Heimweg versperrt, bade ich den Mist bestimmt nicht alleine aus. Zu dem Ding hier: Ich nehm da nichts von in den Mund, mir fallen um die fünfzig Gründe ein und sie fangen bei Zahnersatz an und hören mit Diabetes auf.“ „Nett, dass du uns diesem Schicksal überlässt“, murrte das Rote und scannte die Umgebung ein weiteres Mal nach einem verdächtig musikalisch wirkenden Tierchen. So ganz hatte sich die Sache mit Disney und Märchen noch nicht verfestigt. „Du hast schon weitaus schlimmere Sachen verspeist, manches hat sich noch in deinem Mund gewehrt…“ Michael nickte zufrieden, als er das hörte. „So mag ich das – Überlebensinstinkte.“ Uriel – erneut mit dem Gedanken spielend, einfach als Puffer zu dienen, verarbeitete diese Information unter der Kategorie ‚habe ich schon vor ein paar tausend Jahren mit gerechnet‘ und räusperte sich, damit sie nicht wieder vom Thema abkamen. „Versuchen wir es doch mit Zerstörung. Hauptsache, es erregt Aufmerksamkeit.“ „Mika-Chan, dein Part.“ Ob ihm das Lebkuchenhaus zu wehrlos oder unmännlich erschien, war nun dahingestellt aber im Gegensatz zu vorher wirkte er wenig begeistert, nun schon wieder ein Gebäude zerlegen zu müssen, allerdings konnte er auch nicht einfach gehen und die beiden Vollidioten sich selbst überlassen – was ihn zugegeben etwas anpisste. Weniger motiviert als noch beim Turm begnügte Michael sich deswegen damit, ein paar weitere Löcher in die Wand zu treten, eines der aus Zuckerglas gearbeiteten Fenster zu zerschmettern und letzten Endes mit dem Gedanken zu spielen, einige der Kekse niederzupinkeln, als dann endlich mal die Tür aufging – gewaltsames Eindringen fiel ihm jetzt erst ein und das steigerte seine schlechte Laune nur weiter unnötig. „Oh“, kam es etwas enttäuschend von Raphael, als er nun wieder aller Erwartungen keinem bekannten Gesicht entgegenblickte, sondern tatsächlich einer fast zahnlosen Alten (O-Ton Raphael: Das kommt davon, wenn man sich nur von Zucker ernährt!). Eine mehr oder wenige durchsichtige Erscheinung schaute zu ihnen herüber, räusperte sich für das „Knusper, Knusper, Knäuschen“ und klappte den Mund wieder zu, als ein Arm in ihrem Körper wedelte, der an seinerseits recht kurze Gliedmaßen gebunden war. Recht schnell war ein Schnaufen zu vernehmen, dann stieg Michael durch die geisterhafte Erscheinung und wurde von seinen beiden Kollegen begleitet. Das wirkte mehr wie eine Touristenführung als tatsächlicher Grusel vor einem Geist. „Ähm“, brachte die Alte nun hervor und wandte sich selber wieder in ihr Haus um, wo sie die Protagonisten – war das nicht einer zu viel? – betrachtete. Sowieso sollten es doch eigentlich Kinder sein, nun standen da zwei Erwachsene und ein ziemlich finster dreinblickendes Kind, das sich gerade einen der Stühle ergattert und die Füße auf der Tischplatte abgelegt hatte. Nicht, dass sie nach der letzten Begegnung mit den beiden Kindern unbedingt wieder welche sehen musste… „Damit hab ich wirklich nicht gerechnet“, ertönte eine Stimme und kroch in das gespenstische Gehör. Der Verursacher stand neben der Frau und blickte sie eigentlich relativ desinteressiert an. „Nun ja… eigentlich sollte jemand diesen Part übernehmen, er hat sich aber geweigert.“ „Wie sah er aus?“ Raphael schmunzelte wissend, der Smalltalk mit dem Geist einer Märchenhexe schien ihn keines Falls zu stören. „Groß, schwarze Haare… neutrales Gesicht.“ „Hat der Teufel keine Lust gehabt, ja?“ Nun schien auch der Blonde sein kurzweiliges Interesse zu verlieren und trat etwas weiter in den Raum hinein, lehnte sich nun ebenfalls an die Tischplatte und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und was steht im Skript? Wir müssten langsam mal weiter…“ „Ehm…“ Man könnte Mitleid mit der körperlosen Alten haben, lief dies doch alles ganz anders als geplant. „Habt ihr Brotkrumen verstreut?“, fragte sie daher hoffnungsvoll und klammerte sich an diesen winzigen Punkt, auf den sie noch keinen Einfluss nehmen konnte – man sollte später nicht behaupten, alles sei ihre Schuld gewesen. „Nein. Aber ein paar abgebrannte Bäume und einen zerstörten Märchenturm, wenn das reicht.“ Mittelmäßige Verzweiflung wuchs auf dem toten Gesicht. „Was läuft hier nun meine Geduld ist begrenzt.“ Selbst Uriel musste bei dem Satz des Rothaarigen spöttisch Schauben, hielt dessen daraufhin finsterem Blick mühelos stand. „Ich... also ihr werdet hier nächtigen und morgen in der Früh nehme ich einen von euch zum Mästen in den Stall.“ Nach kurzem, zögerndem Überlegen fügte sie – nicht ohne Widerstreben – hinzu: „Den Kleinsten, das kommt näher an ein Kind heran.“ Raphael glitt in einer einzigen Bewegung die drei Meter nach links zu Uriel und schien dabei durch den Tisch hindurch zu diffundieren, leider würde sie hier nichts vor einer alles einschmelzenden Feuerwalze retten, doch entweder war Michael zu überrascht oder schockiert, um überhaupt irgendwie reagieren zu können. Schließlich fragte er tödlich schneidend: „Und wie willst du das hinkriegen? So ganz ohne… Körper?“ „Nun… es steht in der Geschichte…“ „…und?“ „Und… ich muss den Jungen versklaven und das Mädchen muss putzen… das wäre der blonde Schönling dort, er käme einer Frau am Nächsten.“ „Entschuldigung?!“ Das war nun Raphaels aufgebrachte Stimme, doch Michael tat das mit einer herrischen Handbewegung ab. „Weiter?“ „Ihr müsst mitspielen!“, keimte das letzte Aufbegehren in Form von Trotz in der Alten, als der Rothaarige sich etwas mehr auf dem Stuhl zu entspannen schien und die Arme hinter dem Kopf verschränkte. „Ich muss erstmal gar nichts. Zwing mich doch. Wird schwer ohne Körper.“ Kurz überlegte er, dann setzte er nach: „Auch mit wäre es schwer.“ „Mädchen? Ich?!“ Wieder Raphael. „Aber ich muss dich gefangen nehmen!“ Dass sie verloren hatte, war ihr ohnehin schon klar. „Tja“, meinte Michael wieder und ließ nun so etwas wie ein Grinsen vermuten; im schwachen Licht des flackernden Ofens schien sich der Drache auf seiner Wange spöttisch zu winden. „Keine Arme, kein Gefangener.“ Uriel – noch relativ unbeschadet von den Ausführungen über bestimmte Personenzurodnungen – packte Raphael am Arm und zog ihn schweigend mit sich zur Tür, wobei er den Geist der alten Hexe vollkommen außer Acht ließ und in nicht zu überbietender Respektlosigkeit durch sie hindurchschritt. Der Heiler schnaufte noch einmal wütend, dann drehte er sich zu Michael um und machte diesem nonverbal klar, dass er ziemlich angefressen war und irgendwo zwischen VERTEIDIGE MEINEN STOLZ! und WEHE DIE BRENNT NUR KURZ! stecken blieb. Wenn er wenigstens eine Zigarette hätte, könnte er seinen Hass auf den Tabak projizieren und diesen in allen Arten und Unarten zerstören, aber so bezog er nur ein paar Meter vom Häuschen entfernt Stellung und wartete auf den Super Gau. Ob der Feuerengel es rein aus dramaturgischen Gründen tat oder weil es sich nicht vermeiden ließ, sei nun außer Acht gelassen: Es rumpelte, dann splitterte Holz. Ein spitzer Schrei, dann brach ein weiteres Fenster und letzten Endes erfüllte gleißendes Licht den Waldabschnitt, ausgehend von der mit einem Mal lichterloh brennenden Hütte, aus der der Brandstifter relativ zufrieden zum Vorschein kam. „Hätte nie gedacht, dass ein Geist so angsterfüllt schreien kann“, kommentierte Uriel die Szenerie recht trocken und hoffte einfach, dass nun wieder alles ins Lot kam. Auf Raphaels Gesicht zumindest zeichnete sich grimmige Genugtuung aus und er musste sich beherrschen, den potenziellen Gefangen nicht an Ort und Stelle – und vor Uriel – intensiv zu küssen. „Frau“, grollte er, schaute dann aber trotzdem nochmal an sich herab. Man weiß ja nie, das letzte Mal hing da plötzlich ein Nachthemd… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)