Die zwei Models von pandine ================================================================================ Kapitel 4: Der Schein ist wahr und doch falsch ---------------------------------------------- James Die Tage in England waren erfüllt vom stressigem Hin- und Hereilen, vorwurfsvoll anmutenden Blicken von Lily und nervenzermürbenden Gesprächen. Ich ließ mir meine teilweise genervte Laune nicht anmerken, aber seit wann war ich so reizbar? Es war wirklich schrecklich und ich ahnte, dass meine Mutter mich schon lange, bevor ich irgendetwas gemerkt hatte, durchschaut hatte. Die einzigen ruhigen Momente waren die Gedankenbilder von Yakino, die ich manchmal erlaubte, in mein Bewusstsein einzutreten, unterbewusst waren sie immer da. So war ich mehr als nur erleichtert, als wir nach zwei Monaten wieder nach Japan reisten. Wir konnten nicht direkt zu der Stadt, in der Yukino und Yumino lebten, aber ich war froh, sie überhaupt innerhalb dieser Zeitspanne zu sehen. Vor allem auf Yukinos Gesicht freute ich mich, doch ich wusste nicht wieso und erst recht wusste ich nicht, wie ich Yakinos imaginären Vorschlag erfüllen sollte. Sie direkt anzusprechen erschien mir unsensibel und war mir, ehrlich gesagt, auch ein wenig peinlich. „James? Wir brauchen deinen Rat!“, rief Finn mich aus meinem Wirrwarr meines Kopfes. Ich fühlte mich erleichtert, meine Energie für kurze Zeit auf etwas Anderes lenken zu können, jedoch meldete sich auch mein schlechtes Gewissen im Hintergrund. Ich ignorierte es und widmete mich meiner eigentlichen Arbeit. Die Zeit verging wie im Flug und bald saßen wir in einem Zug, der zu der Stadt fuhr, in dem zwei Zwillingspaare wohnen, die mir beide am Herzen lagen. Und einer ganz besonders. Wie es ihm wohl ging? Was machte er wohl? Würde ich ihn jemals wiedersehen? Fragen ohne Antworten spukten durch meinen Kopf, als der Zug sich ruckelnd dem Stillstand näherte. Ich verdrängte schnell all meine Gedanken an ihn und widmete mich wieder dem Hier und Jetzt. Als wir Drei - Joal hatte darauf bestanden, mitzukommen - ausstieg, warteten dort die Zwillinge und Fujitsu Hiyoki, die uns am Bahnhof abholen wollten. Ich war immer noch auf der Hut, ob Fujitsu mir Standpauken machen würde, da ich mich so lange nicht bei seinem Sohn gemeldet hatte. Seltsamerweise hatte er bisher davon abgesehen, obwohl er mich früher immer direkt zur Brust genommen hatte, was seine Söhne anging. Ich genoss die vorübergehende Waffenruhe erstmal mit Vorsicht. „Guten Abend! Wie war die Fahrt?“, erkundigte sich Yumino bei uns, nachdem wir ausgestiegen waren. „Gut. Wie waren die letzten Aufträge?“, erwiderte Finn. Er trug seinen üblichen schwarzgrauen Anzug, wie ich auch, jedoch hatte er einen Rucksack geschultert. Das Problem war nicht der Rucksack - er war wie jeder normale Rucksack auch -, es war eher die von mir befundene Tatsache, dass ein Anzugträger keinen Rucksack tragen sollte, da dies irgendwie... befremdlich aussah. „Zieh den Rucksack aus“, meinte nun auch Yumino mit kritischem Blick. Ich lächelte zustimmend, sah mich dann aber eher nach Yukino um, als ihrem Gespräch zu folgen. Sie stand neben ihrer Schwester. Ich nahm noch wahr, wie sie mich ansah, als sie auch schon wieder ihren Blick den ungeheuer interessanten Gleisen zuwandte. Mein Plan geriet ins Wanken. Als ich mich eine vergleichsweise kurze Weile meinen Gedankenkämpfen hingegeben hatte, seufzte ich leise auf und näherte mich ihr einfach. „Wie geht es dir?“ Sie blickte überrascht auf, schaute wieder weg und antwortete eher zum Boden als zu mir: „Ganz gut, und dir?“ „Ja, ich denke den Umständen entsprechend auch gut. Wie liefen die letzten Foto-Shoots?“ Ich fing an, über die Arbeit zu reden, da ich keine Ahnung hatte, welches Thema ich sonst anschneiden sollte. Als sie antwortete, sah sie mir auch direkt ins Gesicht, sie hatte ein wirklich hübsches Gesicht. „Ja, sie liefen alle sehr gut und die Auftraggeber waren zufrieden. Yumino und Finn haben auch Nummern getauscht, für geschäftliche Zwecke, wie sie meinte.“ Entspannt setzte sich unser Gespräch am Bahnsteig fort. Yakino/Yukino Heute kam James wieder, ich konnte vor Aufregung die Nacht vor ihrem Besuch einfach nicht schlafen. Finn hatte Yumino geschrieben, dass sie nur für wenige Tage blieben würden, aber ich fand diese Zeitspanne lang genug. Länger war James auch vor dem Tod seines Vaters nie geblieben, er hatte einfach viel zu wenig Zeit. Ich hatte mich in dieser Nacht dazu entschlossen, mich mit James als Yukino Namdia anzufreunden, auch wenn es mir oft in meiner Herzgegend zog, wenn ich an ihn dachte. Es war wirklich schwer erträglich und für mich auch schwer runter zu spielen, es zu ignorieren, vor allem, wenn ich gerade bei der Arbeit war und er in meinen Gedanken auftauchte. Ganz unangekündigt und plötzlich. Meine Entschlossenheit, mit ihm ins Reine zu kommen, geriet jedoch ins Wanken, als ich ihn wirklich erblickte und er nicht einfach nur ein Bild in meinen Gedanken war.. Ich sah ihn zwar an, während er nicht zu mir schaute, aber als er mir seinen Blick mit einem freundlichem Lächeln zuwandte, konnte ich nicht anders als peinlich berührt und ertappt die Gleise zu betrachten. Auch als er mich ansprach bekam ich den ersten Satz kaum raus, ohne ihn dabei nicht anzusehen. Ehe ich auf seine zweite Frage antwortete, erinnerte ich mich, was ich doch machen wollte, seufzte und atmete leise tief durch. Ich hob meinen Kopf, sah ihm direkt in die Augen und versuchte, nicht rot zu werden oder andere Dinge, die ich nachher ganz sicher bereuen würde. Während sich das Gespräch in eine klare Richtung entwickelte, entspannte mich das Reden über alltägliche Sachen sehr. Ich wusste nicht warum, vielleicht lag es am Stress der letzten Tage, aber mir bei James die Seele aus dem Leib zu reden, ließ mich um einiges leichter werden. Es war dasselbe erleichternde Gefühl, das ich hatte, wenn ich früher mit James gesprochen hatte. Und erneut fragte ich mich, wieso er sich bloß das ganze letzte Jahr nicht gemeldet hatte? „Wollen wir uns dann mal in ein Restaurant setzen und uns nicht nur hier im Stehen unterhalten?“, fragte Vater – nachfolgend lieber Fujitsu, sonst verplappere ich mich noch -, laut an uns alle gerichtet. Wir hielten alle in unseren Gesprächen inne. „Gute Idee, ich verhungere gleich!“, rief Finn aus, der sein Gepäck - unter anderem ein Rucksack, der überhaupt nicht zu seinem Anzug passte, soviel wusste ich auch - gerade einem Angestelltem von Joal übergab, der sich um das Gepäck kümmerte und sicher in das Hotel brachte. Yumino nickte zustimmend. „Ich würde sagen, wir gehen in...“, voller Eifer zählte Joal uns mir unbekannte Namen von scheinbar namhaften Restaurants und Gaststätten auf. Ich wusste nicht, dass es in der Stadt so viele Nobelrestaurants gab. Fujitsu machte ein nachdenkliches Gesicht, die zwei Obersten von JulyShine, Yumino und ich hielten uns aus dieser hitzig wirkenden Diskussion raus und ließen die beiden allein entscheiden. Nachdem ein paar weitere Minuten verstrichen waren, konnten sie sich endlich einigen. „Wir gehen ins Iron Blue“!, verkündeten sie uns freudestrahlend. Das 'Iron Blue', wie es von Stammkunden liebevoll zu nennen gepflegt wurde, war ein angesehenes Restaurant, dessen voller Name 'The Iron Blue of a distant World' hieß. Die Inneneinrichtung war in den Farben reines Weiß und verschiedensten Blauvariationen gehalten. Die Preise waren in den letzten Jahren in schwindelerregende Höhen gestiegen, doch Stammkunden erhielten einen nicht kleinen Rabatt. Unsere kleine Truppe begab sich nun auf den Weg zum 'Iron Blue'. Es lag nicht weit vom Bahnhof entfernt, also ließen die Neuankömmlinge ihr Gepäck von Angestellten in das Hotel bringen und wir gingen alle gemeinsam zu Fuß dorthin. Mein Herz klopfte nicht mehr so hastig wie am Anfang, es beruhigte sich langsam, aber stetig. Während wir sechs uns mal unterhaltend, mal schweigend unseren Weg fortsetzten, gewöhnte ich mich als Yukino immer mehr an seine angenehme Nähe. Ich erfuhr nach mehr als einem schmerzlichem Jahr nicht als der, der ich einmal war, die beruhigende Gegenwart James. Schon wieder setzte das Ziehen in meinem Herz ein. Es tat weh, es machte mich so unglaublich traurig, ich fühlte mich zerrissen. Es war, als hätte ich auf einmal zwei Persönlichkeiten bekommen. Unbewusst blieb ich stehen. „Yukino, kommst du?“, fragte James mich und reichte mir seine Hand, damit ich sie ergreifen konnte. Er war ein wenig von mir entfernt. Als ich stehen geblieben war, hatte er es wohl gemerkt. Diese Haltung... Sie erinnerte mich an etwas. Sie erinnerte mich an den einen Karnevalstag. Mein Herz zog sich erneut krampfhaft zusammen, auch wenn der Grund jetzt ein anderer war als vorher. Ich wünschte mir die heile Vergangenheit wieder herbei. „Ist alles in Ordnung, Yukino?“, James besorgte Stimme riss mich aus meinen schmerzhaften Gedanken. „Jaja“, beeilte ich mich mit meiner Antwort, obwohl dem nicht so war, „Wieso sollte ich nicht in Ordnung sein?“ Ich holte schnell zu ihm auf, ignorierte jedoch immer noch mit zerreißenden Gedanken seine Hand. „Du hast so ein... schmerzverzerrtes Gesicht gemacht“, erklärte James, „Aber wenn du sagst, dass alles in Ordnung ist, dann glaube ich dir.“ Sein freundliches Lächeln überstrahlte meine Sorgen und mein inneres Ringen um meine wahre Persönlichkeit, aber es machte sie nicht ungeschehen. Er hatte es wohl einfach so hingenommen, dass ich seine Hand nicht genommen hatte. „Nein, ich war nur in Gedanken versunken“, lächelte ich nun ein wenig zwanghaft. „Das schienen aber nicht die angenehmsten Gedanken gewesen zu sein“, bemerkte er. „Das waren sie in der Tat auch nicht.“ „Möchtest du mir davon erzählen?“ „Nein, vielleicht ein anderes Mal“, wich ich aus. „Okay, ich bin jederzeit für dich da.“ Ich hörte den Ernst in seiner Stimme. „Ja.“ „Hier, ich gebe dir meine Nummer, okay? Du kannst mir jederzeit eine Nachricht schreiben oder mich anrufen-“ Er nahm aus seiner Anzugstaschen einen Terminkalender heraus, kritzelte mit einem Stift, der am häufig benutzt wirkendem Kalender befestigt war, seine Nummer auf ein freies Blatt und riss den Auszug schnell und präzise heraus. „Danke, das werde ich im Hinterkopf behalten.“ Ich schenkte ihm ein Lächeln, das er erwiderte. Dankend nahm ich das kleine Stück Papier von ihm an und verstaute es in den Tiefen meiner Umhängetasche. „Willst du dir vielleicht auch meine Nummer aufschreiben?“ Ich zeigte auf den Kalender und den Stift, die er immer noch in der Hand hielt. „Ich denke, das wäre von Vorteil.“ Er schlug eine Seite im vollgeschriebenem Adressverzeichnis des Kalenders auf und reichte mir seinen Stift. Schnell schrieb ich mit seinem Stift, der angenehm in der Hand lag, meine Nummer, die ich als Yukino hatte, auf. „Bitteschön.“ Ich reichte ihm seinen Kalender wieder. Er verstaute ihn wieder an dem Ort, aus der er ihn hervorgeholt hatte und schaute dann den Weg entlang zum Horizont. „Wir sind ja schon fast da.“ Er deutete mit einem Kopfnicken auf ein sich in die Höhe reckendes Gebäude, dessen Fassade im Licht der untergehenden Sonne lilafarben schimmerte. Das 'The Iron Blue of a distant World' war ein mehrstöckiges Nobelrestaurant, das nur hier vertreten war. Ganz oben hatten reiche Stammkunden ihre Plätze und konnten ihr Mahl mit einer atemberaubenden Aussicht genießen. Das Restaurant verdankte seinen Namen der metallisch blau schimmernden Fassade bei Tag, das wie aus einer anderen Welt wirkte. Als wir den gut bewachten Eingang problemlos und ohne einen Halt passieren konnten, betraten wir den großen Eingangssaal, der prächtig mit edler Dekoration aller Art verziert war. Joal sprach kurz flüsternd mit der Rezeption, die eher wie in einem Hotel als in einem Restaurant aussah, danach nahmen wir einen der vielen, ebenfalls aufwendig verzierten Aufzüge rechts vom Eingang und fuhren nach oben. Es dauerte nicht lange bis wir den dreißigsten Stock erreicht hatten, der höchste, wie die Tasten im Aufzug verrieten, doch ich fragte mich wirklich, ob es nun tatsächlich nur 30 Stockwerke waren. Der Aufzug hielt mit einem kaum spürbarem Ruck und öffnete seine Türen. Damit gewährte er uns die Sicht auf ein wunderschönes Panorama. Die Sonne senkte sich über die Stadt, ließ die Umrisse der Hochhäuser, hinter denen sie sich zu Ruhe bettete, seltsam glühen. In der Ferne sah man die Berge, sie ragten noch höher in den Himmel hinauf als das höchste Hochhaus in der Stadt. Feine Wolkengebilde sammelten und reflektierten das verbliebene Sonnenlicht. Sie nahmen ebenfalls einen glühenden Umriss an, schienen in den unterschiedlichsten Farben und erstrahlten in den verschiedensten Formen. Quer über den Himmel, den ich wahrnehmen konnte, flog ein Flugzeug und zog eine neue Spur hinter sich, dessen reines Weiß im Licht der Sonne zu glimmen schien. Einige Wolken muteten zu bizarren Gebilden an. Von hier oben sah die abendliche Betriebsamkeit, die ich jeden Tag als Bewohner dieser Stadt hautnah erlebte, wie kleinste Bewegungen aus, die jedoch viel größer waren, als sie schienen. Ich konnte nicht einmal einen japsenden Laut oder Ähnliches von mir geben, so gebannt war ich von diesem Bild der untergehenden Sonne, welches sich mir bot. „Immer wieder beeindruckend, was?“, durchbrach Joal als erster die Stille. Er schob einige sanft, aber bestimmt um den Aufzug herum. Ich wandte gewaltsam meinen Blick von der Szenerie ab und folgte den anderen, die schon halb hinter dem mächtigem Aufzug verschwunden waren. Nur James stand noch da und wartete auf mich. Als ich ihn nach wenigen Sekunden erreichte, bewegte er sich mit mir fort. Wir gingen mit einem kleinem Abstand voneinander auf die anderen zu. Unsere Arme schwingen im Gleichtakt vor und zurück, unsere Füße hatten denselben Rhythmus. Mein Herz pochte in gleichmäßigen Abständen, auch wenn sie mir schnell und hastig vorkamen. Ich wusste nicht, wie James dabei fühlte, er hatte denselben, ruhigen Gesichtsausdruck, der mich manchmal zu Weißglut trieb. In diesem Moment jedoch beruhigte mich seine Aura der Ruhe und Sanftheit so, wie nur er es konnte. „Die Aussicht ist wirklich atemberaubend, oder?“, fing er ein Gespräch an, als wir am Tisch, an dem die anderen schon saßen, Platz nahmen. Der Tisch war hinter den Aufzügen versteckt gewesen und hatte eine längliche Form, sodass alle einen wunderbaren Blick aus dem hier ebenfalls vorhandenen Panoramafenster hatten. Inzwischen gab es schon gewisse Sitzgruppen. „Ja, wirklich. Ich habe so etwas noch nie gesehen und die Stadt habe ich auch bisher noch nie so gesehen, obwohl ich schon ziemlich lange hier wohne.“ „Seit wann denn?“ „Seit ich denken kann, glaube ich. Was gibt es eigentlich zu essen?“, versuchte ich schnell James Interesse an Yukinos Vergangenheit zu stoppen und auf etwas Anderes zu lenken. James ging zum Glück bereitwillig darauf ein. „Ich weiß nicht, das, was Joal uns bestellt, nehme ich an.“ Ehe wir unser Gespräch fortsetzten konnten, kamen einige Angestellte in der blau-silbernen Uniform des 'Iron Blue' hinein und brachten einige Teller voll von Essen mit. Sie stellten es in gleichmäßigen Abständen vor uns auf den Tisch. Ich konnte Joals verzückte Rufe und das überschwängliche Lob wahrnehmen, als er Fujitsu begeistert Essen auf den eben noch leeren Teller schaufelte. Yumino ging es ruhig an, sie wartete erst einmal, bis die Angestellten wieder gegangen waren und nahm sich dann von allem ein bisschen. Finn nahm sich gezielt etwas von einigen Tellern, andere ließ er jedoch unberührt. James nahm sich, genau so, wie ich ihn kannte, erst eine Schüssel Reis und danach nahm er sich von hier und da einen Happen. Ich für meinen Teil wusste überhaupt nicht, was ich von all den dampfenden Schüsseln und Tellern nehmen sollte. Es war alles so raffiniert angerichtet, sodass ich mich kaum traute, etwas von den Tellern zu nehmen. „Es ist schwer, sich zu entscheiden, oder?“, fragte James freundlich nach. Er hatte seine Schüssel wieder auf den Tisch gelegt, er hatte vielleicht einen Bissen genommen. „Ich empfehle die hausgemachten Muscheln!“, rief Joal vom anderem Tischende zu uns. „Besonders toll ist hier aber auch das Sushi oder die Nudeln!“ Ein kleines, kaum merkbares Nicken seitens Yumino. Sie hatte ihre Probeportionen innerhalb kürzester Zeit aufgegessen und holte sich nun Nachschlag von den Sachen, die sie mochte, wobei das auch nicht wenige waren. „Ich mag die Ramen, die sie hier zubereiten“, warf Fujitsu in den Raum. „Oh nein, die hab ich ganz vergessen!“ Joal ergriff mit einem schnellem Griff eine Glocke, die scheinbar unter seinem Platz verborgen gewesen war, und läutete einmal kräftig. Das Metall der Glocke schimmerte bläulich. „Ja, Sie wünschen?“ Es kam sofort jemand scheinbar aus der Wand. Verblüfft starrte ich die Stelle an, an der vorher noch keine Tür gewesen war, oder spielten mir meine Augen einen Streich? „Wer von euch möchte Ramen des Hauses probieren?“, fragte Joal uns, den Kellner ganz ignorierend. „Ich.“ „Ich auch!“ „Auf jeden Fall!“ „Gerne.“ „Es spricht doch nichts gegen guten Ramen!“ Am Ende bestellte Joal sechsmal Ramen des Hauses. Es dauerte auch nicht lang, bis die Bestellung bei uns ankam, vielleicht fünf Minuten, dann hatten wir auch schon dampfende Schüsseln mit Ramen und allem drum und dran vor uns stehen. Zögerlich nahm ich mir die Stäbchen, elegante Verzierungen schmückten den schwarzen, glatten Kunststoff, aus dem sie gemacht waren, und fing an zu essen. Es verging eine ganze Weile mit Essen, Trinken und Reden. Immer hatten wir diesen wundervollen Ausblick vor unseren Augen, den ich in vollen Zügen genoss. Die Zeit, die ich mehr und mehr mit James als Yukino verbrachte, wurde mir bekannter, vertrauter. Ich gewöhnte mich daran. Wir aßen, sprachen, schwiegen, genossen und lachten. Die Uhr, die groß und gläsern an der Wand - man konnte sogar die feine Mechanik der Uhr sehen - hing, zeigte nach Mitternacht an, als wir den Raum verließen und mit dem gleichem Aufzug nach unten fuhren. Inzwischen hatte ich herausgefunden, dass sie nur die nächsten drei Tage bleiben konnten. Ich wusste nun auch, dass James verlobt war. Die Nachricht hatte mich wahrlich zu Boden gerissen. Auch wenn er es nicht sehr freudig schauend gesagt hatte, traf mich diese Nachricht wie ein dumpfer, harter Schlag. Trotz allem versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen, schließlich wusste er nicht, mit wem er hier wirklich redete, wem er all diese Dinge erzählte. Wem er mit jedem Tag das Herz ein Stückchen mehr brach. Dunkle, düstere Gedanken waberten ein feines Netz um mich herum, das ich einfach nicht zerreißen konnte, egal wie sehr ich mich innerlich in diesem wand und drehte, kein Ausweg war aus diesem feinmaschigem Netz zu sehen. Verzweiflung holte mich ein. Der nächste Morgen brach an und rief mich direkt zur Arbeit, zu der uns James und Finn begleiten würden. Dank Vaters und Yaminos Hilfe konnte ich mich irgendwie damit arrangieren. Yamino hatte hinter all dem James' Vater vermutet, doch ob das stimme, wusste nur eine Person wirklich und diese ahnte nichts von alldem. James Ich warf mich todmüde in das weiche Hotelbett und spielte kurz mit dem Gedanken, in meinem Anzug schlafen zu gehen, als ich das altbekannte Rascheln von Plastik hörte, worauf ein Reißen folgte. Finn aß seinen täglichen Glückskeks. Als ich meinen Kopf nach einigen Minuten Schweigen von meinem Kissen erhob, hatte sich Finn lautlos auf einen der vielen Stühle, die im Zimmer standen gesetzt. Nachdenklich starrte er einen Punkt in der Luft an, man konnte förmlich seine Konzentration spüren. Ich wandte mich nach ungefähr einer halben Minute Starren wieder ab, es kam ab und zu schon mal vor, dass er so gedankenversunken nach dem Lesen einer Glückskeksbotschaft da saß - Er dachte einfach über die Bedeutung nach, an der er immer festhielt. Ich ließ mich währenddessen von meinen Gedanken auf dem Grad zwischen Traum und Realität schaukeln, während diese zugleich ihre eigene, kleine Welt formten. In dieser befanden sich vor allem zwei Personen: Yakino und Yukino. Die ganze Zeit fragte ich mich, was er machte, ich fragte mich, ob ich Fujitsu fragen sollte, fragte mich, inwieweit ich und Yukino befreundet waren, war es wirklich richtig, ihr von der Verlobung zu erzählen? Sollte ich ihr vielleicht auch noch von Yakino erzählen, damit ich es irgendjemandem endlich sagen konnte, oder waren wir nicht so gut befreundet? Ich fragte mich, ob sie es schocken würde, wenn sie wüsste, dass ich in einen Jungen verliebt war. Wie alt war er jetzt? 16? Also in ihrem Alter. Ob sie ihn wohl kannte? Fragte mich, was ich machen sollte, wenn Yakino plötzlich vor mir auftauchen sollte, fragte mich, ob er den gläsernen Ring von eins noch hatte. Fragte mich, ob er mich immer noch liebte. „Ich hab es endlich!“ Ein Jubelschrei riss mich aus meiner verwirrenden Gefühlswelt, die ich innerlich einfach nicht unter Kontrolle hatte, aber nach außen hin war es manchmal so einfach, ein Lächeln aufzusetzen und so tun, als wäre nichts. „Was?“, fragte ich, immer noch mit einem Fuß in meiner eigenen, inneren Welt versunken. „Yukino und Yumino sind Jungs.“ Mit meiner Benommenheit hatten die Worte, die er voller Überzeugung in den Raum warf, keinen Sinn. Erst eine ganze Weile später fragte ich, verwirrt und ungläubig: „Wieso denn das? Ich finde sie sind sehr weiblich.“ „Es gibt einige gute Crossdresser in der Welt.“ „Ich denke trotzdem nicht, dass sie sich als Mädchen verkleiden. Wozu auch?“ Für mich war das Thema abgeschlossen, doch für ihn nicht. „Keine Ahnung, weiß ich doch nicht. Ich weiß nur, dass sie sich als Mädchen verkleiden.“ „Und woher nimmst du deine Beweise.“ „Hier raus.“ Er streckte mir einen kleinen, weißen und rechteckförmigen Streifen weißen Papiers entgegen. „Sag nicht, dass das...“ „Doch, das sage ich.“ Bestimmt drückte er mir den Schnipsel in die Hand, sodass ich ihn lesen musste. Something that seems so, isn't true. (Etwas, das so scheint, ist nicht wahr.) „Und warum kommst du hier auf die Zwillinge?“ „Sie sind das Einzige in meiner Umgebung, das ich nicht so gut kenne. Sie müssen es einfach sein!“ Immer noch skeptisch aber sehr, sehr müde wandte ich ein: „Ich glaub es zwar nicht, aber wenn du dich unbedingt beweisen willst, mach es später. Ich bin wirklich müde, okay?“ Damit war Finn zufrieden, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und dachte erneut über etwas nach. Ich war mittlerweile wirklich todmüde geworden, also machte mich flott bettfertig und schlief dann sofort ein, als mein Kopf das Kissen berührte. Yakino/Yukino Yumino und ich unterhielten uns am Rande der jetzigen Location mit einer Arbeitskollegin, mit der wir uns in den letzten Monaten immer mehr angefreundet hatten. Sie hatte oft an denselben Orten Shootings, weswegen wir sie nun gut kannten. Sie hieß Koiko und wurde bei einem der Castings in einem der europäischen Ländern entdeckt, da sie einen Ausflug zu ihnen gemacht hatte und zufälligerweise war dort eines der Castings zum rechtem Zeitpunkt. Sie war gebürtige Japanerin, nur hatte sie auch die typischen, schwarzen Haare, während wir mit europäisch-asiatischen Vorfahren blond waren. „Ich habe eben vom Staff gehört, dass Finn vollkommen besessen der Überzeugung ist, ihr zwei seid Jungs!“, platzte sie mit der wichtigsten Neuigkeit des Tages heraus. Daraufhin fing sie auch an, schallend zu lachen. Schnell fingen wir an, mit ihr zu lachen, versteckten weitestgehend unsere Unsicherheit und das Gefühl der Ertappheit. „Was? Wirklich? Das ist ja... lächerlich!“, sagte Yumino gespielt ungläubig. „Nicht wahr? Und er will euch testen, indem er euch während des Shootings Achterbahn fahren lässt. Er meinte, nur Jungs würden diese Bahn ohne Kreischen durchstehen.“ Koiko zuckte ratlos mit den Schultern, als sie auch schon wieder weg gerufen wurde. „Bis dann!“ Sie lief davon und Yumino und ich hatten eine kurzweilige Ruhe für uns. „Du weißt, was zu tun ist, oder?“ Wortlos nickte ich. Wir sahen uns noch einmal abschätzend in die Augen, ehe wir uns wieder entspannten und einen normalen Schein wahrten. Als dann, wenige Zeit später, tatsächlich Angestellte uns mitteilten, dass wir eine Planänderung hatten, taten wir überrascht, waren innerlich jedoch bis zum Zerreißen gespannt. Jedenfalls ich. Noch nie im Leben hatte ich das getan, was ich jetzt tat. Wirklich nicht. Wie erwartet fuhren wir mit James, der uns entschuldigend anlächelte, und Finn, der uns beinahe die ganze Fahrt misstrauisch anstarrte, zu einem Freizeitpark mit einer sehr schnellen, kurvigen und unangenehme Achterbahn. Bei ihr angekommen durften wir sofort hinein in das Vergnügen. Wir gingen durch die raunende flüsternde Menschenmenge, die sich bereitwillig vor den zwei hübschen Zwillingen – peinlich, uns so zu nennen... - und den zwei attraktiven Männern teilte. Als alle Sicherheitsvorkehrungen für die Fahrt getroffen waren, startete die Bahn zuerst gemächlich ruckelnd. Die Sitze waren gut gepolstert, ließen jedoch immer noch viel Spielraum nach links, rechts oder vorne, gegebenenfalls auch nach hinten, zu schwanken. Ich kannte diese Achterbahn nicht, weshalb ich einfach mal beschloss, mich in meinen Sitz zu krampfen, ein möglichst vor Angst verzogenes Gesicht zu machen und, als flott auch schon der erste Hügel kam, anfing aus Herzenslust zu kreischen. Als es tief herunterging, als wir schnell in eine Kurve fuhren, bei jeder möglichen Kleinigkeit fing ich an zu kreischen. Gleichzeitig krallte ich meine Hände in meine Perücke, damit sie im schnellem Fahrtwind nicht verloren ging und sorgte mich um meine armen Stimmbänder, die so etwas gar nicht gewohnt waren. Überhaupt war diese Fahrt sehr belastend. Ich musste wie ein Mädchen kreischen, der Fahrtwind zerrte an mir, es kamen Kurven und Absenkungen ohne Ende, ich musste wie ein Mädchen kreischen, auf meine Perücke aufpassen, mich in den Sitz klammern, wie ein Mädchen kreischen, mich von der Achterbahn hin und her schmeißen lassen, wie ein Mädchen kreischen, in den Sitz krampfen. Wie überstanden Mädchen eigentlich so etwas? Naja, einen Lichtblick gab es in dieser in allen Maßen nervenaufreibenden Fahrt. James, der neben mir Platz genommen hatte, hatte seine Hand die ganze Zeit auf meiner liegen gehabt. „Nie-nie-nie wieder“, keuchte Yumino beim Aussteigen. Sie war leichenblass und konnte sich gerade noch so auf den Beinen halten, eine wirklich großartige Schauspielerin, oder sollte ich in dieser Hinsicht Schauspieler sagen? Oder war es vielleicht doch die reale Anstrengung? „Ach, ich fand sie nicht so schlimm.“ Finn sah so aus wie eh und je, doch sein misstrauischer Blick ist auch geblieben. „Du vielleicht nicht! Was war eigentlich Sinn und Zweck der ganzen Übung?“ „Das ist leicht zu erklären. Finn-“, wollte James uns erklären, was wir eigentlich ohnehin schon wussten, als er von eben diesem weggezogen wurde und uns nur irritiert zurückließ. Wir vertrieben uns jedoch die Zeit, in der wir allein waren, mit Reden. „Ich mach das wirklich nie wieder“, fing ich an und schüttelte mich. Mein Körper fühlte sich erledigt an. „Ja, das war eine Tortur“, pflichtete mir auch mein Zwilling bei. „Wie machen Mädchen das nur?“ „Ein Rätsel...“ „Ich hoffe jedenfalls, dass dies alles war... Nicht auszuhalten, was noch kommen würde...“ Yumino nickte stillschweigend und sah nachdenklich in die Leere, ich schloss meine Augen und wartete darauf, dass James' Stimme mich aus meinen Tagträumereien weckte. James „Was? Dir war das nicht Beweis genug?“ Skeptisch musterte ich Finn, der mich sehr ernst ansah. „Nein. Kreischen kann jeder.“ „Du hast diese Prüfung ausgesucht, wieso willst du noch eine?“ „Um es genauer zu wissen.“ „Das glaub ich nicht.“ „Na gut, es war wieder ein Glückskeks. Zweimal fast dasselbe auf einem Zettel, das kann kein Zufall sein!“ „Hör zu, ich möchte damit nicht weiter gestört werden, auch von dir nicht, okay?“, seufzte ich. „Noch einmal“, bat Finn mich mit überzeugter Stimme. Zweifelnd überlegte ich. „Noch ein einziges Mal“, gab ich mich schließlich geschlagen. Ich ahnte, dass Finn mich damit immer weiter belästigen würde. Ich wollte ihn auch nicht als meinen Berater verlieren, da er immer gute Ratschläge hatte, jedoch auch etwas eigensinnig war, aber dennoch: Ich hatte schon sehr viel Zeit mit ihm verbracht und wollte dies nicht einfach ignorieren. „Danke. Beim nächsten Mal entlarve ich sie ganz sicher, glaub mir.“ Ein boshaftes Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. „Komm ihnen aber körperlich nicht zu nah, okay?“ Ich machte mir ernsthafte Sorgen um die beiden. „Keine Sorge, morgen ist alles vorbereitet. Ich geh schon mal vor, okay? Du kannst ja noch ein wenig hierbleiben oder so. Der Fotograf ist damit einverstanden, hier einige Bilder zu knipsen.“ Er winkte mir noch einmal zu, ehe er in der Masse untertauchte. Ein wenig verwirrt blieb ich zurück, doch dann beeilte ich mich, wieder zu den beiden zurückzukehren. „Es hat leider doch eine Weile gedauert, entschuldigt bitte.“ Als ich bei ihnen ankam, hatte Yukino die Augen geschlossen gehabt, Yumino sah mit leer wirkendem Blick irgendwohin. Wie aus einer Trance erwachten die beiden ruckartig, wobei Yumino sofort das Fehlen Finns bemerkte: „Wo ist Finn den hin?“, fragte sie ein wenig verwirrt, wie es mir schien. „Er musste noch etwas erledigen und ist eher gegangen. Habt ihr etwas gegen Shootings hier im Park?“ „Ich hätte generell nichts dagegen, nur hätte ich vorher vielleicht etwas zu essen“, antwortete Yukino verlegen. „Ich muss leider woanders hin...“ Überrascht schwenkte Yukinos Kopf in die Richtung ihres Zwillings. „Wirklich?“ „Ja...“ Sie sahen sich eine Weile lang schweigend in die Augen, schienen auf diese mir unerklärliche Weise zu kommunizieren. „Na gut“, seufzte Yukino schließlich. Yumino verneigte sich kurz zum Abschied, ehe sie davoneilte und mich mit James allein ließ. Yukino/Yakino Ich hatte keine Ahnung, wieso sie plötzlich woanders hin musste, doch ich respektierte es einfach und fand mich damit ab. „Nein, nein, nein!“, vernahm ich die Klagelaute des Fotografen. „Wieso ist denn Yumino nicht bei euch?“ „Sie hatte noch etwas Dringendes zu erledigen“, sprang ich für sie ein und hoffte, er würde sich damit zufrieden geben. „Aber das geht so nicht! Heute wollte ich doch nur Duo-Fotos machen, was soll ich nur machen?“ Er schien wirklich am Rande der Verzweiflung zu sein, wobei ich seinen Grund nicht so ganz verstand. „Ich könnte ja einspringen...“, sagte James dann auf einmal. Überrascht sah ich ihn aus großen, wahrscheinlich auch fragend dreinblickenden Augen an, doch er lächelte einfach nur freundlich. „Natürlich nur, wenn Yukino auch damit einverstanden ist.“ „Wie, äh, was, ich?“, stotterte ich, ehe ich endlich einen richtigen Satz herausbringen konnte. „Äh, ja, wieso nicht?“, war das Einzige, was ich herausbrachte, bevor der Fotograf laut aufjubelte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)