Die zwei Models von pandine ================================================================================ Kapitel 3: Etwas verloren und doch wiedergefunden ------------------------------------------------- Yakino Ich konnte die Ereignisse in den letzten Wochen nicht in Worte fassen. Zuviel passierte viel zu schnell, sodass ich es noch nicht wirklich begreifen konnte. Wir waren in Windeseile – also ca. anderthalb Tagen - umgezogen und wohnten nun seit ungefähr einer Woche in der Wohnung eines Freundes von Vaters, die seltsamerweise von demjenigen nicht genutzt wurde. Möbel waren auch schon vorhanden und wir mussten uns nur umorganisieren. Vater meldete uns von der Schule ab, mit der Begründung, dass wir wegziehen würden, was zur Hälfte ja auch stimmte. Der Abschied von meinen Schulkameraden war kurz und mit wenigen Schmerzen verbunden. Ich hatte mich sehr von ihnen entfremdet, seit ich in diese Trauerphase um meine Mutter gerutscht war. Danach hatte ich auch nur Gedanken für James übrig, ich fragte mich, ob ich es wohl bereute. Ob ich wohl bereute, die Freundschaften nicht mehr gepflegt zu haben. Bald trudelte auch schon der erste Auftrag in unseren Briefkasten. Es ging um eine Frühjahrskollektion, die bald anlaufen sollte. Diese Saison wollte die Firma sich auf Partnerlooks für Mädchen konzentrieren, da schienen wir wie gerufen zu sein. Das Thema des nächsten Frühjahrs war: „Blumig frostig“. Ich verstand dieses Thema nicht gerade, aber Yamino und Vater waren ziemlich begeistert von den Entwürfen der Kollektion, die wir in demselben Brief waren wie der Auftrag an sich. Sie sagten, der Schnitt sei toll und die Farben harmonierten so schön. In diesem Punkt konnte ich den letzten Rest meiner Männlichkeit bewahren: Ich verstand kein Stück, wovon sie redeten und nickte einfach nur höflich. Ab da wurde unser bisher sehr beschauliches Leben sehr stressig. Vater übernahm im selben Maße zwei Rollen wie wir, er war nämlich für eben diese Kollektion als Stylist angestellt worden, war aber gleichzeitig der um seine Töchter besorgte Vater. Die Besorgnis war nicht gespielt, er sorgte sich wirklich, dass wir überfallen werden könnten oder Ähnliches. Heute waren wir bei unserem erstem, professionellem Shooting. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals, vor Nervosität schwitzten meine Hände aus allen Poren und ich zitterte. Mildern tat dies nur Yumino – ich nannte ihn insgeheim so, wenn er und ich als Mädchen herumliefen, wobei ich ihn und mich dann auch als Mädchen bezeichne... -, die dicht neben mir saß und versuchte, mich zu beruhigen. Auch die Tatsache, dass James heute dabei war, um zu sehen, wie wir uns machen würden, brachte meine Nervosität auf das Maximum. Komischerweise war ich nicht mehr nervös, als ich James wirklich sah. Ganz kurz hatte ich einen Blick auf ihn erhaschen können, durch die Menschenmenge hindurch hatte ich seine Gestalt erkannt. Er stand mit dem Rücken zu mir und unterhielt sich gerade mit jemandem. Als ich mich wieder zum Gehen wenden wollte, drehte er seinen Kopf ein wenig, sodass ich sein Gesicht sehen konnte. Er lächelte und ich wollte mir den Grund nicht eingestehen, wieso ich auf einmal tiefes Glück verspürte und mit dem auch Ruhe. Schnell entfernte ich mich von dem Ort, wo James stand, und folgte meinem Bruder, welcher schon etwas weitergegangen war und auf mich wartete. Mir war es ein wenig peinlich, dass Yumino wusste, dass ich James heimlich für einen Augenblick beobachtet hatte, dementsprechend war mein Gesicht auch gefärbt. Nachdem wir durch die vielen Flure des Hochhauses, wo das Shooting scheinbar stattfand, geleitet worden waren, sollten wir uns von unserem Vater schminken lassen. Es war vorteilhaft, dass er wusste, dass wir ja nur Perücken trugen und demnach auch vorsichtiger mit ihnen umging, auch wenn ich manchmal nicht glauben konnte, dass es Perücken gab, die sich so echt anfühlten und aussahen. Jedoch gab es auch einen, kleinen Nachteil... „Hach, ihr werdet wundervoll in diesen Kleidern aussehen!“, schwärmte Vater ganz verzückt. „Ich kenne den Designer, er ist ein Genie!“ Er erzählte noch viel, viel mehr über diesen Designer, den er wirklich sehr mochte und auch gut kannte. Nachdem er uns fertig gestylt hatte, wussten wir alles über einen Designer, den wir noch nie gesehen hatten, aber dies sollte sich auch schnell legen. Wir gingen nun mit Vater noch weiter in die höheren Stockwerke, als wir auf dem Flur einem Mann mittleren Alters begegneten. „Da sind ja unsere neuen Goldstücke!“, begrüßte uns dieser mit herzlichem Händeschütteln. Er hatte braune, etwas längere Haare, die er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, welcher wegen seinem schwungvollem Schritt die ganze Zeit hin und her wippte. „Ich wusste, JulyShine würde mich nicht enttäuschen.“ Sein Gesicht lächelte fröhlich, es bekam einen begeisterten Gesichtsausdruck, als er die Person hinter uns entdeckte. „Fujitsu!“ Vater trat vor uns und schien auch erfreut zu sein. „Joal!“ Nach männlicher Manier klopften sie sich gegenseitig auf die Schulter und plauderten dann frauenhaft über Mode. Yumino und ich tauschten einen ratlosen Blick aus. Ich zuckte mit den Schultern, sie auch. „Sollten wir ihnen einfach folgen?“, fragte ich. „Wäre wohl am besten, hoffentlich führen sie uns nicht in eine Bar oder so“, scherzte Yumino halb im Ernst, halb in Sorge. Nun ein wenig beunruhigt liefen wir den beiden nach, die immer noch eine hitzige Diskussion führten. Zum Glück gingen sie durch die vielen Flure in einen Aufzug, der uns dann zu dem gewünschtem Ort brachte, in den Dachgarten des Hotels, wovon die Modefirma für heute den Dachgarten für das Shooting gemietet hatte. Der Aufzug fuhr surrend hoch, die polierten und lackierten Wände des Aufzugs glänzten im Licht der Aufzugslampe in einem goldenem, weißlichem Schein. Die Fahrt nach oben dauerte nicht lange, aber dennoch lang genug, um sich wieder in eine nervöse, stocksteife Puppe zu verwandeln, die hin und her zitterte. Es beruhigte sich ein wenig mit der Zeit, ich konnte mein Zittern verbergen. Die Türen des Aufzuges glitten zur Seite und gaben den Blick auf ein kleines, grünes Paradies frei. Wir traten aus und Yumino und ich bewunderte die grüne Pracht, durch die die ein oder andere schillernd bunte Blume ihre Akzente setzte. „Kommt ihr bitte hierher?“, wandte sich nun wieder jemand uns zu. Dieser Jemand, der uns gerufen hatte, war niemand Geringeres als James höchstpersönlich. Unweigerlich fing mein Herz an, wie verrückt zu klopfen und gleichzeitig setzte eine komische Ruhe ein, die sich überhaupt nicht mit meinem schnellem Herzschlag vertragen wollte. Am Schluss siegte die Ruhe, ich atmete tief ein und aus, um meinen Puls wieder herabzusenken. Yumino zog mich, die gerade wohl mehr oder weniger tagträumte, zu James und Finn, der mit dem Rücken zu uns stand und gerade scheinbar geschäftliche Dinge erledigte. „Da sind wir“, merkte Yumino an, nachdem wir die wenigen Meter Weg überbrückt hatten. „Gut, wir wollen euch dann mal in den heutigen Tagesverlauf einweihen.“ Finn hatte sich beinahe sofort uns zugewandt, als wir angekommen waren, und fing an, fast ohne Punkt und Komma Zahlen und Tätigkeiten herunter zu rattern. Am Ende hatte ich einen rauchenden Verstand, doch Yumino hatte ständig nur genickt und verstehend geschaut. Scheinbar hatte James gemerkt, dass ich nicht wirklich mitgekommen war, denn nachdem die beiden noch heftigst über irgendein offensichtlich wichtiges Thema diskutierten und dabei wahrscheinlich unbewusst hin und her gingen, erklärte er mir den Tagesablauf noch einmal ruhig und ohne Eile. „Zuerst werdet ihr unter dem Thema 'In der Stadt im Grünen' hier auf dem Dach shooten. Heute fotografiert Joal persönlich, er ist wirklich begeistert von euch. Nachdem wir das Shooting auf dem Dach fertig haben, wird zu Mittag gegessen. Danach geht es in den Park und nach dem Shoot werden die bisherigen Bilder begutachtet. Darauf folgt das Abendessen und danach, wenn Joal der Sinn danach steht, wird es noch spontane Shootings am Abend geben. Zwischendurch gibt es immer noch Kostümwechsel.“ Ich wusste wirklich nicht, wie James etwas, was Finn so kompliziert dargestellt hatte, so einfach erklären konnte. Auch hatte ich nicht gewusst, dass ein oder zwei Models fast die ganze Kollektion präsentierten. Während seines letzten Satzes musste mein Gesicht fragend geguckt haben, da er noch etwas an seine Erklärung dranhing. „Keine Sorge, das ist nur mit Joal heute so. Er hat wirklich einen Narren an euch gefressen und will euch unbedingt die ganze Kollektion haben“, lächelte James amüsiert. Wie immer sah es bei ihm einfach nur freundlich sanft aus, es lag kein Hauch von Spott in diesem Lächeln. Ich errötete und schaute sofort weg. Ich wusste nicht, wie sein Gesichtsausdruck jetzt war, aber ehe ich weiter darüber grübeln konnte, rief man mich auch schon: „Namida-san, wir wollen jetzt anfangen!“ „Ich komme!“ Ich versuchte so gut es ging die Erleichterung in meiner Stimme zu verbergen. James nickte nachdenklich und wandte sich anderen Sachen zu. Schnell eilte ich zu Yumino, die schon am Ort des Shootings stand. „Wo warst du denn?“, fragte sie mich leise, wurde dann jedoch von Joals lauter Stimme unterbrochen. „Heute werde ich das Fotografieren ausnahmsweise übernehmen, also gebt euch Mühe!“ Er lächelte wie ein kleines Kind, das neues Spielzeug bekommen hatte. „Ja!“, antworteten ich und Yumino wie aus einem Munde. „Gut, das Thema ist, wie ihr bestimmt schon wisst, gerade 'In der Stadt im Grünen', auf dem Dachpark ist es aber auch 'Dem Himmel nahe', okay? Seid also bitte wie immer ganz locker und frei“, erklärte er uns. Wir nickten und er fuhr fort: „Ich möchte gerne als erstes ein paar Spiegelbilder haben, also Bilder, in der ihr den jeweils anderen nachahmt.“ Sofort zog Yumino mich mit. Sie machte eine Pose und ich ahmte sie nach. Mal lachten wir und mal schauten wir ernst. Es gab Bilder, wo wir Rücken an Rücken in den Himmel sahen, auf einigen formten wir unsere Hände zu Herzen, mal standen wir nah zusammen, mal war sie weit weg. Es gab Bilder mit Blumensträußen und blühenden Büschen, mit dem Himmel und nur mit Grün. Ich wunderte mich selbst, wie befreit ich mich fühlte und wie viel Spaß ich hatte. Die erste Stunde und die ersten vollen Gigabytes waren schnell voll geknipst. Zufrieden lud Joal uns in ein nobel wirkendes Restaurant ein. Es war im Hotel, man musste „nur“ achtzehn Stockwerke hinunter fahren, um dorthin zu gelangen. Der Raum, in dem wir aßen, hieß „Delicious Heaven“ - der Name war passend, aber auch in einigen Weisen merkwürdig – und war ziemlich teuer, ich achtete darauf, die billigsten Gerichte zu nehmen, die jedoch auch schon Wucherpreise hatten. Yumino hielt sich nicht wirklich zurück, sie nahm einfach alles, was sie essen wollte. Das einzige, worauf sie achtete, war der Geschmack. Wie durch einen Zufall, der mit dem Namen „Fujitsu Hiyoki“ gesegnet war, saßen ich und James nebeneinander. Insgeheim verfluchte ich Vater dafür, andererseits genoss ich die Zeit, in der ich ihm so nahe sein konnte. Trotz allem wurde meine Freude darüber von Schatten verdunkelt. Je länger ich Zeit mit ihm verbrachte, umso deutlicher wurde mir, dass er gerade nur „Yukino Namida“ in mir sah und nicht derjenige, der ich unter dieser Verkleidung eigentlich war. So verging das schweigsame Mittagessen zwischen mir und ihm, in der ich keinen Mut fand, ihn anzusprechen oder mit ihm zu reden. „Genau, so ist es richtig!“, freute sich Joal im Park. Der Ort des Shootings hatte inzwischen gewechselt. Mal wieder nahm Yumino mich einfach mit. Ich dachte immer mehr, dass ich ohne sie aufgeschmissen wäre. Nach dem Mittagessen war das ganze Team vom Dachpark in den normalen Park umgezogen, der jetzt für dieses Shooting leergeräumt wurde. Es waren auch einige Paparazzi vor Ort, jedoch waren unsere Gesichter und eigentlich unser ganzer Körper in schwarzen Decken vermummt, als wir den Platz gewechselt hatten, sodass sie nichts von uns sehen konnten. Erst im Herzen des Parks durften wir die Decken abnehmen, James entschuldigte sich bei uns mit den Worten, dass es für einen gewissen Überraschungseffekt war. Yumino verstand, wie immer, sofort, während ich die Erklärung einfach hinnahm ohne weiter darüber nachzudenken. Auch dieses Shooting verging wie im Flug und mit vielen Bildern, die mir selbst auch gefielen. Yumino hingegen war sich selbst gegenüber immer kritisch, auch wenn andere meinten, dass diese Bilder wirklich toll waren. Selbst Finn, der auf mich ziemlich perfektionistisch und kritisch wirkte, war mit den Ergebnissen des Nachmittags zufrieden, ganz zu schweigen von Vater und Joal, die hellauf begeistert waren. Sie entdeckten, nachdem ich dachte, sie würden endlich damit aufhören, immer noch neue Bilder, die sie begeistert betrachten konnten. Nur was James über die Bilder dachte konnte ich nicht herausfinden, er stand einfach nur nachdenklich neben Finn, während dieser sich die Bilder ansah und seine Kommentare mit Yumino teilte. Auch beim darauffolgendem Abendessen waren sie voller Lob. Nun aßen wir in einem normalem, japanischem Restaurant, trotz der Tatsache, dass Finn sich am laufendem Band beschwerte, dass er chinesisches Essen haben wollte... Ich fühlte mich für Japan dezent beleidigt. In diesem Restaurant gab es nur Paartische – also quadratische Tische, an denen an einem Paar paralleler Seiten Stühle waren -, weshalb Vater mich erneut mit James an einen Tisch setzte. Ich sah sein inneres, diabolisches Lachen. Seufzend ließ ich mich auf meinen Stuhl nieder. „Entschuldige, dass ich schon wieder mit dir an einem Platz sitze“, entschuldigte sich James verlegen lächelnd auf einmal. Er hatte mein Seufzen scheinbar gehört und total missverstanden. Schnell versuchte ich, das Missverständnis aufzuklären. „Nein, nein, es liegt nicht an dir. Nur...“ Er sah mich fragend an, ich brach auf der Stelle meinen Satz ab und mein Gesicht ging in Flammen auf. „Ähm...“, stotterte ich vor mich hin. „Wenn du es nicht sagen willst, musst du es nicht. Wirklich nicht.“ Er lächelte freundlich, ich fühlte mich irgendwie schlecht. Eine peinliche Stille entstand, in der ich meinen Kopf in die Speisekarte vergrub. „Schwesterchen!“ Ich brauchte eine Weile, um zu registrieren, dass ich damit gemeint war und dass es Yumino war, die mich gerufen hatte. Hastig antwortete ich: „Ja?“ Dabei blickte ich mich suchend nach ihr um, fand sie dann aber sofort an dem Tisch etwas weiter neben uns. Das Restaurant war in einem schönem, japanischem Stil gehalten. Wir saßen an den Tischen an der linken Wand neben dem Eingang. Es war ein kleines Restaurant, welches man in der Nähe des Parks etwas versteckt finden konnte. „Hast du dich schon entschieden?“ „Nein, noch nicht. Und du?“ Ich war froh, diese Stille mit etwas füllen zu können. Es war wirklich komisch. Wenn ich Yakino war, fühlte ich mich nicht so beklemmend. Es war noch nicht einmal diese anfängliche Peinlichkeit, diese hatte ich am Anfang nicht einmal wirklich gespürt, sie war nicht da gewesen. Warum also jetzt? Vermutlich weil ich gerade als Mädchen verkleidet herumlief, mein Zwillingsbruder ebenfalls so herumlief und sich erschreckenderweise als ein ziemliches Mädchen entpuppte, ich mich und Yamino/Yumino als Mädchen bezeichnete, James von alledem nicht einmal etwas ahnte und ich mich irgendwie ziemlich schräg fühlte? Ja, das war es wohl. „Ich nehme wohl Katsudon nach Art des Hauses.“ Wahrscheinlich konnte nur ich diesen hungrigen Schimmer in ihren Augen sehen. „Ich nehme das dann auch“, lächelte ich, amüsiert über diese Ehrlichkeit, die nur ich sehen konnte. Gewissermaßen retteten mich die Gespräche mit meinem Zwilling immer, wenn ich irgendwie in einer Zwickmühle saß. James Heute begleiteten ich und Finn unsere Neuzugänge ausnahmsweise den ganzen Tag lang. Es schien ein Tag der Ausnahmen zu sein, da auch Joal höchstpersönlich die Fotos schoss und es nicht einem seiner erprobten Fotografem überließ. Er hatte wirklich einen Narren an den beiden gefressen. Nur manchmal hatte ich das Gefühl, dass Yukino mich nicht wirklich leiden kann oder so ähnlich, jedenfalls benahm sie sich irgendwie komisch. Sie war anders als die anderen Mädchen, die ich während meiner Laufbahn als Agenturleiter kennen gelernt hatte. Ich konnte es nicht wirklich beschreiben. Es war, als zöge sie sich eher aus meiner Nähe. Als würde ihr meine Nähe Schmerzen bereiten oder irgendeine andere, unangenehme Empfindung. Es erinnerte mich zwangsläufig an Yakino, auch er hatte sich mir am Anfang nur schwer geöffnet, jedoch war dies irgendwie anders. Es war das normale Misstrauen einem Fremdem gegenüber, doch sie schien sich in meiner Nähe an jemand unfreundlichen erinnert zu fühlen. Diese Gedankengänge verfolgten mich beim Abendessen, welches wir in einem nahegelegenem, japanischem Restaurant zu uns nahmen. Finn maulte wie eigentlich immer abends herum, dass er chinesisches Essen haben wollte. Wenn man ihm dieses dann aber vorsetzte, verlangte er Essen von seinem Lieblingsrestaurant, also ignorierte man ihn am besten einfach, er kam immer damit zurecht. Jedenfalls irgendwie. Yukino schien mich wirklich nicht mögen zu können, doch ich wusste nicht wirklich, wie ich ein Gespräch mit ihr anfangen sollte, um sie besser kennenzulernen und um mich besser mit ihr zu vertragen. Nachdem wir alle unsere Bestellung aufgegeben hatten, versank ich wieder in meine Gedanken, wir schon so oft heute. Ich dachte an die gelungenen Fotos von heute, an das wunderschöne Lächeln von Yukino, das mich an irgendetwas erinnerte, als ein schmerzlicher Stich in meinem Herzen zog. Ich hoffte, dass man nicht merkte, wie ich kurz gezuckt hatte. Ich wusste nicht, weshalb mein Herz plötzlich so schmerzte, aber ich vermisste ihn. Ich wünschte, ich hätte mich irgendwie gemeldet, aber nun, nach einem ganzem Jahr, würde er ganz sicher nicht mehr auf mich warten. Oder doch? Meine Gedanken zerrissen sich gegenseitig. Als dann das Essen kam, mahnte ich mich zur Vorsicht. Wir waren immer noch an einem öffentlichem Ort. Ich nahm mein Essen in Empfang. „Dankeschön“, bedankte ich mich freundlich bei der Bedienung. „Also dann, guten Appetit!“, wünschte ich Yukino lächelnd. „Guten Appetit“, erwiderte sie ebenfalls, sah mich jedoch nur mit einem flüchtigem Blick an. Mochte sie mich wirklich nicht? Yakino/Yukino Ich konnte kaum zu ihm aufsehen, als James mir lächelnd „Guten Appetit!“ gewünscht hatte. Mein Gesicht war jetzt bestimmt knallrot, schnell schaufelte ich mir möglichst elegant Nudeln in meinen Mund, um nicht reden zu müssen. Auch das restliche Abendessen verlief schweigend, während von den anderen Tischen heiteres Geplauder zu uns schwappte. Yumino diskutierte mal wieder mit Finn, Vater und Joal redeten über Mode, James und ich schwiegen. Ich blinzelte kurz zu ihm hoch, zum Glück sah er gerade in eine andere Richtung. Bestimmt dachte er jetzt, dass ich ihn nicht mögen würde. Manchmal wollte ich ihm wirklich alles sagen, von meinen Gefühlen hin bis zu dem Geheimnis hinter dieser albernen Verkleidung, aber ich traute mich einfach nicht, mich ihm direkt zu stellen. Was für ein Feigling ich doch war. James Ich und Yukino sprachen nicht miteinander. Ich wusste ehrlicherweise auch nicht, worüber ich mit ihr sprechen sollte. Ich kannte sie kaum, doch bei anderen Neulingen fand ich immer sofort einen Zugang, aber bei ihr war es anders. Ich sah praktisch die ganze Zeit in eine andere Richtung, damit sie meinen Blick nicht ertragen musste, auch wenn ich nicht wusste, ob es ihr half. In diesem Moment kam noch jemand in das Lokal hinein. Neugierig sah ich in Richtung Eingang, als ich bemerkte, dass es ein Postbote war, da er ein Päckchen in der Hand hielt. Er sprach kurz mit dem Ladenbesitzer, der schließlich auf uns zeigte. Der Postbote bedankte sich und kam zu uns herüber. Langsam schwante mir, was hier vor sich ging. „Guten Abend, wer von euch ist Finn Jiven?“, fragte dieser dann, was meine letzten Ahnungen bestätigte. Hastig erhob Finn sich, seine Augen strahlten wie ein kleines Kind, das ein langersehntes Geschenk bekam, und unterschrieb den Lieferbeleg so schnell wie er konnte. Dann hatte das Päckchen seine ganze Aufmerksamkeit. Er setzte sich wieder hin, legte das Päckchen vorsichtig auf seinen Schoß und entfernte vorsichtig die Klebestreifen, die dieses verschlossen hielten. Yumino beugte sich interessiert zu ihm hinüber, um einen Blick auf den Inhalt zu erhaschen. Danach blickte Finn einige Momente verträumt den Inhalt an, ehe er ziemlich schnell den Rest seines Essens aß und sich dann schließlich seine Belohnung holte. Er öffnete, immer noch mit verträumtem Ausdruck im Gesicht, seine erste Glückskekspackung seit seiner letzten Lieferung von Hong Yun, die vor ungefähr zwei Tagen leer gegangen war. Ich fand es immer wieder amüsant zu beobachten, wie versessen er auf diese Kekse war. Er glaubte wirklich alles, was in ihnen stand. Manchmal hatte ich Angst, dass das zu seinem frühzeitigem Tod führen konnte, aber er beruhigte mich jedes Mal mit eigentlich sehr überzeugenden Argumenten, auch wenn ich es nicht so recht glauben konnte oder wollte. Yakino/Yukino Ich war ziemlich überrascht, als ein Postbote plötzlich hereinkam und Finn Glückskekse lieferte. Ich hatte nicht gewusst, dass er so ein Glückskeksfanatiker war. Ich kicherte unter vorgehaltener Hand darüber. Es herrschte im Allgemeinem eine ausgelassene Stimmung, doch wechselte ich kein weiteres Wort mit James mehr. Ich hatte das Gefühl, er akzeptierte es einfach, so wie ich wohl akzeptieren musste, dass ich jetzt Yukino war und nicht Yakino. Musste ich dafür meine Gefühle verschließen und nochmal von vorne anfangen? Joal summte vor sich hin, als wir das Restaurant verließen. Wir folgten ihm alle, er wollte unbedingt noch Bilder mit dem Abendhimmel in der Stadt haben. Da die Kleider alle auch ziemlich blumig waren, hatte er sich wahrscheinlich spontan für das Thema „Blumen in der Stadt“ entschieden. Die Bilder, die am Ende entstanden, waren wirklich schön. Sie waren ebenso schön wie die Bilder im Grünen, doch hier wirkte es manchmal so, als seien wir wirklich die Blumen der Stadt gewesen. Es ist wohl eine Art Selbstverherrlichung, wenn ich so dachte, aber für mich war das so. Wir shooteten auch nicht nur in leeren, verlassenen Teilen der Stadt, sondern einfach in allen. Vater hatte seine wichtigsten Schminkutensilien mitgenommen, damit er uns immer wieder nachschminken konnte. Am Ende des Shootings war die Sonne bereits untergegangen und hatte den Sternen und dem Mond ihren Platz am Himmel überlassen. Wir machten langsam Schluss, die letzten Bilder wurden geknipst, die letzten Abschiedsworte ausgetauscht. Am Ende eines anstrengenden Tages fand ich mich in meinem Bett wieder. Nachdenklich betrachtete ich die Decke. Von nebenan hörte ich, wie das Licht ausgeknipst wurde und Yamino sich auf das Bett plumpsen ließ. Vater hatte sich schon vor geraumer Zeit schlafen gelegt und obwohl die Müdigkeit mir meinen Verstand langsam raubte, konnte ich nicht einschlafen. Unruhig rollte ich mich hin und her. Ich wusste absolut nicht, was ich tun sollte. Es schien alles so kompliziert und einfach zu sein... Der nächste Morgen war schon fast vorbei und war auf direktem Wege Mittag zu werden, als ich mich endlich aus dem Bett schleppen konnte. Meine beiden, verbliebenen Familienmitglieder waren beide in der Küche, aus der ein verdächtig leckerer Geruch strömte. Yamino saß am Küchentisch in der Mitte des Raumes, während Vater an der einen Seite am Herd seine speziellen Pfannkuchen machte. „Morgen!“, gähnte ich immer noch verschlafen und ließ mich neben meinem Zwilling nieder. „Was schaust du dir an?“ „Die Fotos von gestern, wir haben eine Kopie von ihnen bekommen.“ Er zeigte auf die Fotos, einige waren zerstreut vor ihm, rechts neben diesen Fotos lag ein unordentlicher Haufen, der jedoch viel kleiner war als der Stapel links. Es waren eine Menge Fotos, die wir bekommen hatten. „Warte mal... Joal hat uns von allen Bildern Kopien geschickt?“ „Er hat gemeint, er hätte die besten genommen, aber eigentlich meint er alle, ja.“ Mit einem grübelndem Ausdruck im Gesicht sah er sich mit ernster Miene die Bilder an. Ich beschloss ihn in Ruhe zu lassen, weshalb ich mich zu Vater in die Küche gesellte. „Habt ihr schon gefrühstückt?“, fragte ich. „Nein, obwohl dein Brüderchen schon ziemlich lange auf den Beinen ist.“ „Echt?“ „Jap, um ca. acht Uhr habe ich sein erstes Lebenszeichen gehört.“ Ich starrte Yamino mit offenem Mund an. Normal schlief er ziemlich lange, was war also los? „Ich glaube, er hat die Bilder in Empfang genommen“, fuhr Vater fort. Schwungvoll warf er den Pfannkuchen, den er gerade briet, auf einen Teller, auf dem schon weitere lagen. „Ich decke dann schon mal den Tisch.“ James „James? Die Kopien der Bilder von gestern sind da! Willst du sie dir anschauen?“, riss mich Finn morgens um neun aus meiner Konzentration. Er kam in das Zimmer, das mir in diesem Hotel als Arbeitszimmer diente. Mit dabei hatte er einen ordentlichen Stapel an Fotos. „Wieso nicht.“ Ich räumte den Laptop vom Tisch und machte Platz für die Fotos. Sie hatten alle DinA-4-Format und waren qualitativ hochwertig auf mattem Fotopapier gedruckt. Gedankenversunken betrachtete ich die Bilder, hatte nur Augen für Yukino. Sie erinnerte mich wirklich an etwas oder an jemanden, aber mir wollte einfach nicht mehr einfallen, was... „Die sind wirklich gut geworden, was?“ Ich nickte nur. Am Morgen des nächsten Tages flogen wir wieder zurück nach England. Die Castings in Japan waren abgeschlossen und wir machten einen kurzen Halt im Hauptsitz in England, um zu überprüfen, ob alles in Ordnung war, bevor die Castings in Deutschland starteten. Außerdem hatte sich Lily beschwert, dass ich ihr trotz unserer Verlobung viel zu wenig Beachtung schenke. Bei dem Gedanken an die bevorstehende Verabredung mit ihr bekam ich ein schlechtes Gewissen, wie jedes Mal. Obgleich ich sie eigentlich tief in mir verschlossen hatte, konnte ich ihn einfach nicht vergessen. Was er wohl heute machte? Wie es ihm ging? Ob er noch an mich dachte? Während ich den weiten, blauen Himmel betrachtete, war mein Kopf gefüllt von ihm. „Das Flugzeug startet gleich“, teilte Finn mir mit. In seinen Händen hielt er zwei Glückskekse. „Magst du einen haben?“ Ohne eine Antwort abzuwarten drückte er mir einen in die Hand. „Gern geschehen.“ Er schien bester Laune zu sein, wahrscheinlich weil er bald wieder frisch in seinem Lieblingsrestaurant essen konnte. „Danke.“ Ich öffnete die Verpackung, in der der Glückskeks lag und brach ihn in seiner Mitte entzwei. Finn war schon dabei, die Nachricht zu lesen. Ich strich den kleinen Zettel glatt. You'll find something again that you've lost. (Du wirst etwas wieder finden, was du verloren hast.) Ich glaubte nicht an die Sprüche, die in Glückskeksen waren, also lächelte ich nur verschmitzt und machte mir keine weiteren Gedanken darüber. Dann sah ich zu Finn hinüber, er starrte grüblerisch durch die Gegend. Ich beschloss, ihn weiter in Ruhe zu lassen. Vielleicht hatte ihm etwas zu denken gegeben, was bei ihm nun höchste Priorität hatte. Ich für meinen Teil ließ meine Gedanken in die weite Ferne schweifen, erneut in die Zukunftsvision der Gegenwart, die nicht war. Ich überlegte mir, was mir Yakino wohl in meiner Lage - eines der Models, die bei mir unter Vertrag war, mag mich scheinbar nicht - raten würde. Schnell hatte ich seine meist auf Emotionen beruhte Lösung gefunden. Freunde dich mit ihr an, schien er mir zu zulächeln. Unweigerlich hellte sich meine Miene auf, meine Mundwinkel bewegten sich nach oben, meine Augen schauten fröhlich aus dem Fenster nach unten, auf die so klein wirkende Welt. Der Gedanke an sein Lächeln stieß eine Welle der wohlig warmen Gefühle aus, die ich für diesen Moment erst einmal genoss, ehe sich das Leben wieder über mich ausbreitete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)