Lacrima von Kaylien (Merry Christmas, Mr. Lawrenc) ================================================================================ Kapitel 1: argenta lacrima -------------------------- Es gibt eine kalte Zeit im Jahr, in der Träume erstarren und Gedanken gefroren in der Luft zu lesen sind. Tränen werden zu kleinen Eiszapfen, das fröhliche Lachen kleiner Kinder erstarrt in der eiskalten, klaren Luft. Die Seen frieren zu und scheinen wie schwarze, tote Löcher die in eine andere, kalte, dunkle und vielleicht grausame Welt, in eine andere, traurige, alte Zeit zu führen. Sternenstaub fällt aus dunklen, schweren, tief hängenden Wolken herab und lässt bei hellem Sonnenschein die ganze Welt glitzernd silbrig hell erstrahlen. In dieser Jahreszeit scheint die ganze Welt den Atem an zu halten. Die Wälder sind kahl, still und scheinen leer und tot zu sein, erinnert man sich doch noch genau an den belebenden Gesang der Vögel im Sommer. Nur ab und zu schleicht ein Fuchs angeekelt durch den hohen Schnee, man sieht die Fährte eines Rehs, die zu der Krippe führt und sich zwischen den jungen Birken verliert oder Abdrücke einer startenden Krähe zeugen davon, das der Wald noch nicht ganz tot ist, sondern nur lautlos; erstarrt. Dass er sich in einem Ohnmachtsähnlichem Schlaf befindet, bis die Sonne die Lichter, die die Engel in den kalten, langen und dunklen Nächten auf den schwarzen Himmel malen, wegwischt und den Schnee zu Tropfen werden lässt, die die Baumstämme herab rinnen und langsam zu einem kleinen Bach werden, der sich tapfer seinen Weg durch den erwachenden Wald bahnt. Aber bis dahin dauert es noch lange drei Monate oder sogar vier, wenn sich der Winter wie ein Blutegel mit scharfen Zähnen an den Bäumen festbeißt. Für die meisten ist der Winter eine anstrengende, gefährliche und sehr hoffnungslose Jahreszeit. Hunger, Kälte und diese klebrige, anhängliche Dunkelheit die nie wirklich zu schwinden scheint, selbst wenn die Sonne zwischen den schweren Wolken hindurch blitzt, ist erdrückend. So manch einer beneidet die Vögel die gen Süden ziehen, wie Seidenschwanz, Amsel und Storch. Und wer das nicht kann, der verschanzt sich in einer warmen Höhle oder einem geschützten Versteck. Und so mancher in Wald und Feld legt sich auch einen dicken, warmen Winterpelz an um diese Jahreszeit sicher zu überstehen und setzt auf seine versteckten Vorräte. Denn kaum ein Wesen ist bereit in diesen kalten Monaten in Bewegung zu sein und durch den Wald zu ziehen. denn so manchem unvorsichtigem bringen diese Monate einen kalten, schleichenden Tod. So gibt es zu dieser Zeit nicht mehr viele Unterschiede zwischen den Lebewesen. Denn keines, das weiß, dass es eine harte, kalte Zeit vor sich hat, ob alt oder jung, freut sich auf diese Lebenswidrigen Monaten. Sie alle sind voll Sorge um ihr eigenes Leben, das ihrer Partner, oder das ihrer Verwandten. Und der meist graue Himmel scheint sie nur daran erinnern zu wollen, wie schwer es in den folgenden Wochen und Monaten werden wird. Wie nah der Tod an ihnen vorbei schleichen, oder sie doch verschlingen wird. Zwischen den kahlen Bäumen des dunklen, einsamen Waldes steht der Atem einer riesigen, schlafenden Kreatur. Er macht das Atmen schwer und schmerzhaft und lässt die Atmosphäre noch bedrückender wirken. So manch einer fühlt sich wie beobachtet, wenn er durch den milchigen Nebel geht und beeilt sich so schnell nachhause zu kommen wie nur irgendwie möglich. Der Nebel bleibt den ganzen Tag an den, im Vergleich zum Schnee, schmutzig weißen Fachwerkhäusern kleben, die ihre Giebel trotzig in den, von Wolken verhangenen, kalten Himmel recken. Im Nebel scheint die Welt still zu stehen. Nichts scheint sich zu bewegen und selbst das Licht einer einzelnen, alten Öllaterne ist selbst auf sehr kurzem Abstand nur noch sehr verschwommen und schemenhaft zu erkennen. Manchmal scheint es so, als hätte sich etwas in der dichten Nebelwand bewegt, aber wenn man versucht etwas Genaueres zu erkennen, ist dort nichts mehr. Dann hat man einen Nebelelb erahnt. Nebelelben sind leichte, kleine, zarte Wesen mit fein geschnittenen, eleganten Gesichtern und kristallenen, zerbrechlichen Flügeln. Sie schießen durch den dichten Nebel, als sei die Luft klar und man hätte eine freie Sicht auf alles, das Kilometer weit um einen herum ist. Lautlos landen sie auf den Fenstersimsen und drücken sich ihre spitzen Näschen an den kalten, harten Glasscheiben platt. Mit ihren großen, blauen, gläsernen Augen beobachten sie jede, noch so kleine Bewegung, die in den Häusern der Menschen vor sich geht und wispern sich mit ihren leisen, angenehmen, rieselnden Stimme Dinge in die langen, pelzigen Ohren. Mit ihrem Atem malen sie zarte Eisblumen an die hohen Fenster und lassen sie immer größer wachsen, bis sie das ganze Fenster ausfüllen, dann machen sich die Nebelelben sich zu einem neuen, freien Fenster auf und verzieren es mit eisigen Blumen. Des Nachts, wenn alle Menschen tief und fest schlafen, fliegen die Nebelelben leise zurück in den dunklen Wald. Sie treffen sich bei einer hohen Eiche, die komplett von feinen Eiskristallen überzogen ist und ihre starken, dicken Äste in den samtig schwarzen, dunkeln Himmel reckt. Sie zwitschern sich ihre Beobachtungen zu und notieren sie alle mit ihren langen, spitzen Krallen auf große, wunderschöne Eisflocken, die sie auf den Ästen der kahlen Bäume, stapeln, ordentlich sortiert, bis die Bäume von einer dicken Schneeschicht bedeckt sind. Mittags, wenn die Sonne stärker wird und manchmal sogar warm genug ist und die Flocken taut fließen langsam all die schlechten Nachrichten von unartigen Kinder von den Ästen und verwandeln sich in harte Eiszapfen, die von den Bäumen fallen und sich spitz und hart wie Eisenspeer in den Schnee bohren. In einer besonders dunklen, kalten Nacht, kommt ein Kind. Das kleine Kind geht langsam und vorsichtig durch den kalten Schnee. Es wandert unsicher in die Richtung der großen Eiche, die wie verlassen, einsam, tot, uralt und weise dasteht. Die Haare des Kindes sind schulterlang und blond gelockt. Die tiefblauen Augen strahlen eine seltsame, angenehme, beeinflussende Wärme aus und geben jedem, der sich in ihnen verliert ein seltsames Gefühl, als wäre er an einem Ort, an dem er schon immer einmal sein wollte. An einem Ort, an dem alles gut ist… Das Kind geht barfuß durch den eiskalten Schnee, als würde es auf warmer, weicher Watte gehen. An seinem Körper trägt es lediglich ein dünnes, weißes Kleid, das mit türkisen und blauen Schneeflocken verziert ist. Die ganze Nacht wandelt es durch den Wald und sieht verträumt in die verschneiten Wipfel der Bäume und beobachtet die Sterne, die scheu hinter den Wolken hervor blitzen. Als es an der großen, mächtigen Eichen ankommt, legt es sanft die Hände auf den, seltsam warmen, weichen Stamm. Seine kleinen, zarten, roten Lippen öffnen sich und ein weicher und gleichzeitig rauer, zarter, liebevoller Gesang erfüllt die Luft. Und doch kann niemand sagen, was es wirklich ist. Ist es wirklich der leise Gesang des kleinen Kindes, das einsam Mitten im kalten Wald steht, oder doch nur das Flüstern des eisigen Windes in den Wipfeln der kalten Bäume? Das Kind sinkt auf die Knie, schmiegt sich in eine Wurzel des Baumes und rollt sich ganz eng zusammen, so dass man es kaum mehr im hohen Schnee erkennen kann, im Dunkel. Es lauscht dem Wald, den hohen Bäumen, den rieselnden Bächen, die unter dem dicken Eis eingeschlossen sind und den fiependen Mäusen, die unter dem Hohen Schnee herum flitzen. Der hohe, kalte Vollmond wird langsam von schweren Wolken verdeckt. Ein eiskalter Wind pfeift zwischen den vereisten Stämmen hindurch. Mit kräftigen, peitschenden Schlägen wirft er den Schnee von den Ästen. Heulend wirbelt er ihn durch die Luft und wieder zu den Wolken empor. Riesigen Schneewehen verstecken die im Sommer umgestürzten Bäume und lassen die Wunden der grausamen, herzlosen Rodung verschwinden. Stunden lang peitscht der harte der Nordwind stechend kalt durch den dunklen Wald und verwüstet ihn. Und mitten im Sturm liegt das kleine Kind. Ungeschützt vor Wind und Schnee. Bald ist es blass und bleich als wäre es in der Kälte erfroren und es ist von einer hohen Schneewehe begraben. Doch der zarte, zerbrechliche Oberkörper hebt und senkt sich gleichmäßig. Sein Atem ist genau so kalt wie die Luft. Seine schönen, tiefen, ruhigen, blauen Augen sind geschlossen. Eine Träne liegt fast unsichtbar in dem linken Augenwinkel. Es zittert. Ein leises Scharren er klingt. Und langsam wird der Schnee über dem Kind leichter und weniger. Es zuckt leicht zusammen, als eine große, kalte, feuchte Nase es vorsichtig berührt. Seine Lieder flattern. Der riesen große Wolf schnaubt ihm die letzten Schneeflocken aus den eiskalten Haaren. Er legt den Kopf schief. Als das Kind die großen Augen wieder öffnet, brechen die schweren Wolken wieder auf und der Wolf steht im gleisenden Licht des Vollmondes. Sein schweres, dickes Fell glänzt silbrig schwarz und seine blauen Augen scheinen genauso blau, wie die des Kindes. Er lässt sich auf den Boden sinken und streckt seine Pfoten in Richtung des Kindes. Die beiden sehen sich an. Lange und stumm. Es scheint ein stilles Gespräch zwischen ihnen statt zu finden. Die Luft zwischen den Bäumen ist klar und nur der warme Atem des Wolfes hängt in Schleiern in der Luft, bevor er schwer auf den Boden zurück sinkt. Das Kind streckt die zerbrechliche, zarte Hand nach dem Wolf aus. Irgendwo, weit entfernt von der Eiche, klingelt dröhnend eine alte Kirchenglocke in einer alten, fast eingestürzten Kirche. Das Kind geht langsam zu dem Wolf und setzt sich auf dessen Rücken. Eine Schneeflocke hält es fest in der kleinen Hand. Es klammert sich an den Pelz des Wolfes und vergräbt seinem Gesicht in dem dichten, weichen Fell. Langsam erhebt sich der Wolf. Er trappt los. Langsam, schneller und immer schneller. Er galoppiert zwischen den dünnen und dicken, schwarzen, dunkeln Bäumen hindurch und springt mit langen Sätzen über Baumstämmen und Bäche. In der Ferne mischt sich ein schweres, melancholisches heulen unter den Klang der Kirchenglocken. Und plötzlich ist der große Wolf in einem ganzen Rudel. Sie preschen durch den Wald. Schließlich bleibt der gespenstische Wolf stehen. Das Kind streicht ihm kurz über die dichte, Wolfs untypische, Mähne und sieht ihm noch einmal tief in die ruhigen Augen. Der Wolf schaut sich um. Die Meute ist schon wieder zwischen den dunkeln Bäumen verschwunden. Er dreht sich langsam um. Sein Schweif schleift eine lang Spur in den Schnee. Er blickt noch einmal scheu auf das Kind zurück. Und plötzlich ist er verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben. Als wäre er nur ein Trugbild in müden Augen. Über das Gesicht des Kindes fliegt ein leises Lächeln, als es sich umdreht und über die weiten, tief verschneiten Felder geht. Seine Augen sind fast ängstlich auf den Schnee gerichtet. Langsam und vorsichtig geht es durch den Schnee, oder eher scheint es zu schweben denn es hinterlässt keine Spuren. Dann verschwindet es in den dunklen Straßen des Dorfes. Der Nebel, der den ganzen Tag zwischen den Häusern hing, ist verschwunden. Langsam geht es über die kalten Pflastersteine. Schwarz liegt die Dunkelheit über den Straßen. Eine große, flauschige, getigerte Katze balanciert im Schein einer schwach flackernden Laterne über eine schmale, schmutziger Mauer. Als das Kind fast lautlos an ihr vorüber geht, folgt sie ihm neugierig auf leisen Pfoten. Ohne einmal auf zu sehen, geht das Kind durch die dunklen Straßen. Schließlich bleibt es zögerlich vor einem alten, herrschaftlichen, einst sicher schönen und edlen Haus stehen. Doch die Zeit nagt an der Fassade. Die Lüftlmalereien bröckeln ab und die Fensterläden hängen schief in den Angeln. Und doch wirkt das Haus bewohnt. Ein Fenster ist im Erdgeschoß ist mit Brettern vernagelt. Die Katze steht neben dem Kind. Still und Bewegungslos, fast wie eine Statue. Sie reicht ihm fast bis zur Hüfte. Mit ihren klugen, grünen Augen verfolgt sie jede Bewegung des Kindes. Das Kind hebt den Kopf. Langsam schiebt es die schwere, alt, harte Eichentür auf. Mit leisen, kurzen Schritten geht es auf eine angelehnte, kaputte Tür zu. Leise und vorsichtig schiebt das Kind sie auf. Selbst im Zimmer hängt dieselbe Kälte, wie auf den dunklen Straßen. Die Luft ist staubig und riecht schmutzig und alt. In einer Ecke steht ein alter, klappriger Stuhl vor einem wunderschönen Schreibtisch. Er ist vielleicht das einzig schöne in diesem Raum. Auf ihm tickt eine kleine Standuhr leise und tapfer gegen die Kälte an. Unter dem vernageltem Fenster steht ein hohes Bett. Es ist klein, klapprig und mit dicken Decken gepolstert. Auf ihm liegt ein alter Mann. Sein Gesicht ist faltig und zerfurcht, von zu vielen schweren Sommern und Wintern. Sein Atem geht genauso unregelmäßig wie das Herz des Mannes. Keuchen und pfeifend mischt er sich unter das verzweifelte ticken der Uhr. Das Kind klettert mühsam auf das Bett. Die Katze folgt ihm mit einem anmutigen Sprung. Das Kind hält noch immer die Schneeflocke in der bleichen und kalten Hand. Der Mann spürt, wie das Kind auf sein Bett klettert. Er öffnet langsam die Augen und dreht den Kopf zu ihm. Seine Augen sind braun, tief und strahlen eine gewisse Gehetztheit aus, obwohl er seit Jahren fast vergessen an das Bett gefesselt ist. Als sein Blick den des Kindes trifft, wird er ruhig und all der Schmerz weicht aus seinem Blick. Die Katze schmiegt sich schnurrend in seine Handfläche. Der Mann lächelt. Das erste mal seit Jahren. Das Kind legt ihm vorsichtig eine Hand auf den Arm, ganz sanft. Der Mann spürt die Entschlossenheit in den kalten Fingern. Er zittert kurz. Seit langem fühlt er wieder etwas. Er fühlt sich geborgen, in den blauen Augen. Will darin versinken und nie wieder auftauchen. Er hat nichts mehr zu gewinnen, nichts mehr zu verlieren. Das Kind beugt sich zu dem Mann. Er lächelt. Will etwas sagen. Seine Stimme versagt. Eine Träne rinnt aus seinem Auge. Seine braunen Augen wirken jung und neugierig. Das Kind küsst ihn auf die Wange. Die Zeit steht still. Die Träne, die sich in seinem Auge festklammerte, fällt hinab. Der Wunsch in ihr dreht sich silbrig und freundlich in der Luft. Das Kind geht leise aus dem Haus. Die Katze folgt ihm lautlos. Zusammen betrachten sie die junge Seele, die aus den Händen des Kindes in Richtung Sterne schwebt. Das Kind lächelt. Und beim Morgengrauen ist es nicht mehr viel mehr, als eine Erinnerung in einem Stillen Zimmer gefangen. Und in dem langem Fell einer Katze. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)