Grablicht von Storyteller_Inc ================================================================================ Kapitel 1: Grablicht -------------------- Eine Nacht, wie sie in Kul Elna immer gleich war. Eine Nacht, in der die ruhelosen Bewohner auch heute wieder geisterten. Eine Nacht, wie jede andere, das war der Augenblick, in dem der König der Diebe einsam erwachte. Einsamkeit, das war die Heimat, die Akefia seit seinem Alter von sechs Jahren gewohnt war. Jahrelang hatte er seine Rache geplant und bald war es soweit. Nur noch ein paar Monate würden vergehen, ehe er Zorcs Pläne ausführen könnte. Solange hatte der Pharao noch eine kleine Schonfrist und konnte das Lügengebilde, in dem er lebte, genießen. Der Pharao... Murrend griff Akefia in einen Sack voll Lebensmittel, den er erst vor wenigen Tagen bei einem seiner vielen Einbrüche aus dem Königshaus besorgt hatte. Wenn er schon vor Ort die Lage und alle Gänge auskundschaftete, konnte er sich doch auch an einer Speisekammer des verwöhnten Königshofs bedienen. Es würde zwar nie ihre Schuld tilgen, entschädigte ihn aber für die Jahre seines Leids. Hungrig vergrub Akefia seine Zähne in dem weichen Laib Brot, das er zuvor zu fassen bekommen hatte und riss sich den ersten Bissen wie ein ausgehungerter Wüstenhund heraus. Er achtete nicht auf seine Manieren, den Geschmack oder die Konsistenz. Er genoss es nicht einmal, denn alles, was er sich, abgesehen von den Goldschätzen, genommen hatte, brauchte er zum nackten Überleben. Selbst der abgetragene, zerschlissene Umhang war Diebesgut, mit dem er zufrieden war, weil es einfach reichte, um seinen Körper in den kalten Nächten in der Wüste zu wärmen, oder seine sowieso gut gebräunte Haut vor der Sonne zu schützen. „Men'nefer wird fallen...“ Vom Laib Brot an sein Leid erinnert, nuschelte er diesen Satz wieder und wieder wie ein magisches Tantrum. Es gab ihn wie üblich Mut und Entschlossenheit und nahm ihm die Angst vor der Dunkelheit, brachte ihn näher an den Willen seiner verstorben Ahnen, die allesamt nach Rache dürsteten. „Wir werden unsere Rache bekommen!“ Erneut riss er einen Bissen von seinem Mahl ab und erhob sich von seinem Nachtlager. Er wollte heute mal wieder das Grabmal besuchen und versuchen, die Bestie seiner Ahnen zu beschwören. Bisher war es ihm noch nie gelungen, aber er fühlte, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis er sie rufen und wirklich kontrollieren konnte. Obwohl es stockdunkel war und keine Fackel die verworrenen Wege der Stadtruine erhellte, drang Akefia ohne Probleme ins Herz der Geisterstadt vor. Seine Augen waren an die Dunkelheit gewöhnt, sodass er keine großen Schwierigkeiten hatte. Weder hier noch in den Gängen des Königshauses. Kul Elna hatte ihn damit mehr als nur gut für alle seine Vorbereitungen geschult. Doch heute, und das spüre er nur zu deutlich, war etwas anders. Jemand war hier eingedrungen, in sein Revier, sein Heiligtum. Die Geister der Seelen, die noch hier verweilten, waren aufgebracht und forderten Akefia auf, den Eindringling zu stellen und so schnell wie möglich zu beseitigen. Schon von Weitem erkannte Akefia das unbekannte Licht im Herzstück Kul Elnas. In dieser Stadt gab es kein Licht mehr. Dunkelheit und Schatten waren die Regenten der Ruinen. Es wurde Akefia klar, warum die Geister so aufgebracht waren. Auch ihn verunsicherte der orangefarbene Schimmer, denn da wo Licht war, gab es Leben. Und wenn dieses Leben aus den Reihen des Pharao entsprungen war, musste er um seine Pläne und die eigene Sicherheit bangen. Auch wenn ihm der Gedanke missfiel, den Sandstein Kul Elnas mit mehr Blut zu tränken, zog er einen alten rostigen Dolch, bereit, dem Eindringling zu demonstrieren, was jene erwartete, die hier nicht willkommen waren. Leise schlich er sich näher zum Heiligtum, darauf achtend, dass kein Sandkorn oder Steinchen unter seinen Füßen nachgab und einen Laut erzeugte. Vorsichtig lugte er in das Innere des Raumes und erblickte eine Silhouette, die andächtig zu den Göttern betend, vor den Kerzen kniete. Sein sandblondes Haar verdeckte seinen gut gebräunten Nacken und ebenso verdeckte sein billiges Leinengewand auch den Rest des doch eher mageren Körpers. Diese Person, schien Kul Elna nicht einmal zu fürchten und lehrte der Geisterstadt stattdessen mit diesen Kerzen das Fürchten. Aber eines war sicher, und das wusste Akefia nur zu genau, diese Person war keine Gefahr für ihn. „Du hast vielleicht Mumm einfach hier mit deinen Grablichtern anzutanzen und zu erwarten, dass ich dich nicht in Stücke reiße.“ Akefia versuchte, bedrohlich zu klingen, wie ein Wüstenhund, der mit einem Knurren seine Beute warnte, ehe er sich auf sie stürzte. „Wir sind heute aber wieder gut gelaunt, König der Diebe.“ Die Stimme des Betenden klang belustigt, denn er wusste schließlich, dass der Dieb ihm nichts tun würde. Er war zwar gerne mal schlecht gelaunt, aber wie sagte man so schön: 'Hunde die bellen beißen nicht.' „Als Grabwächter ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass jedes Grab eine angemessene Aufwartung bekommt.“ Ruhig und doch recht rational erklärte der Betende dem König der Diebe, was der Grund seiner Anwesenheit war, doch es entlockte Akefia nur ein verächtliches Schnauben. „Schade nur, dass dies nicht das Grab ist, über das du zu wachen hast, Marik!“ Obwohl Akefia den Grabwächter kannte und schon das ein oder andere Mal dessen Nachtlager im königlichen Palast mit ihm geteilt hatte, ging er vorsichtig zu ihm. Er musste diese verdammten Grablichter ausmachen. Sie brachten nur Unruhe in die Totenstille. Noch dazu war die Gefahr groß, dass die Späher des Pharaos sie sahen. „Was willst du wirklich hier? Du weißt, dass ich nicht darauf stehe, wenn man mir wie ein treues Hündchen nachläuft.“ Akefia gefiel der Gedanke nicht, dass eben jener Grabwächter, der nur Mittel zum Zweck war und dem er hin und wieder mit Zärtlichkeiten dankte, noch zutraulicher wurde, als er es sowieso schon war. Das konnte nur in Problemen enden und diese wollte, oder vielmehr brauchte er nicht. „Ich bin hier, um dich zu warnen. Es wurden mehr Wachen vor den Toren positioniert. Man sucht auch überall nach dem König der Diebe, der im Palast augenscheinlich ein- und ausgeht, wie es ihm beliebt. Und keine Sorge, mir ist niemand gefolgt.“ Marik hatte den alarmierten Blick in Akefias Gesicht gesehen, als er erwähnt hatte, dass man nun überall nach ihm suchte. Selbst er war schon ein hohes Risiko eingegangen, als er sich aus dem Palast geschlichen hatte und nach Kul Elna gegangen war, um Akefia zu warnen. „Geh' wieder... Und nimm deine verdammten Grablichter mit.“ Marik hatte nicht damit gerechnet, dass der Dieb ihm danken würde, allerdings hatte er auch nicht gedacht, dass dieser ihn sofort wieder rauswerfen würde. Doch er wollte sich nun auch nicht mit ihm streiten, weswegen er die Grablichter ausblies und in einen kleinen Sack steckte. Wenn er und seine Grablichter Akefia störten, dann würde er eben gehen. „Pass einfach auf dich auf...“ Enttäuscht zog Marik von dannen. Er war eigentlich müde, immerhin hatte seine Suche nach der vergessenen Geisterstadt den ganzen Tag lang gedauert. Obwohl Akefia sparsam mit seinen gestohlenen Lebensmitteln gewesen war, reichten sie nur einige Wochen, sodass der König der Diebe seinen nächsten Raubzug in eine der nahegelegenen Städte planen musste. Men'nefer konnte er ja vorerst vergessen, wenn die verschlafenen Wachen besonders aufmerksam nach ihm Ausschau hielten. Von Marik hatte Akefia auch nichts mehr gehört, was ihn nur beruhigte, weil so niemand sein Versteck finden konnte. Bevor er jedoch loszog, wollte er versuchen, das Biest seiner Ahnen zu rufen. Wenn ihm dies gelingen würde, musste er sich keine Sorgen um die Späher des Pharaos machen. Doch wie schon vor einigen Wochen erkannte er von Weitem ein orangefarbenes, schwaches Licht. Er ahnte schon, was ihn dort vor Diabounds-Stein erwarten würde, doch anders als vor einigen Wochen, spürte er kein Lebewesen in der Kammer. Und auch die Geister waren mehr wegen dem Licht, als wegen einer unbekannten Präsenz aufgeregt. „Dieser Idiot...“, murrte Akefia und betrat die Kammer. Doch seine Verwunderung war groß, als er auf die Steintafel sah, die durch hunderte Totenköpfen gerahmt war. Akefia hatte sie in seiner Jugend oft genug gezählt. Ihre Anzahl entsprach der Bewohnerzahl Kul Elnas. Doch jetzt war etwas anders. Noch dazu stand vor dem Stein ein einzelnes Grablicht. Eben jenes ignorierend, ging Akefia näher an den Stein und begann die Köpfe zu zählen. Hundert, Zweihundert... Sein Herz schlug wilder je näher der vertrauten Zahl kam. Er stockte aber, als er sie zählte und nur noch ein ungezählter Kopf da hing. Ein Kopf, der über Nacht hinzugekommen war. Genauso wie dieses Grablicht, das Akefia scheinbar verriet, was geschehen war. Denn in Men'nefer stand der Tod auf den Verrat an den Königshof. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)