One on one von Ur (Oneshot-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 8: Zweite Chance ------------------------ Yukios erster Gedanke war, dass das Haus in Brand geraten war. Wenn nachts um zwei seine Klingel ertönte und ihn aus dem wohlverdienten Schlaf riss, nachdem er den halben Tag gelernt und die andere Hälfte in einem brühend heißen, kleinen Supermarkt Kisten geschleppt und Regale eingeräumt hatte. Die Gestalt, die vor seiner Wohnungstür auftauchte, war allerdings weder ein panischer Nachbar, noch ein alarmierter Feuerwehrmann, der bemüht war, Yukio in Sicherheit zu bringen. Nein. Vor seiner Wohnungstür, die Hände in die Hosentaschen gestopft und einen Basketball unter den Arm geklemmt, stand Aomine Daiki. Den Yukio seit gut zwei Monaten nicht mehr gesehen hatte – nämlich seit Yukio zur Uni gegangen war. Aomines Haar war ein wenig länger geworden und anhand der blutunterlaufenden Augen konnte Yukio sich ausmalen, dass Aomine den einen oder anderen Schluck Alkohol getrunken haben musste. Noch während er in Erwägung zog, die Tür schlichtweg direkt zuzuschlagen und sich wieder ins Bett zu legen, steckte Haruka, sein Mitbewohner, verschlafen seinen zerzausten Haarschopf aus seinem Zimmer. »Huh?«, nuschelte er verwirrt, als er Yukio an der offenen Wohnungstür stehen sah. »Kannst wieder schlafen gehen«, brummte Yukio in seine Richtung. Haruka gähnte ausgiebig und im nächsten Augenblick schlug die Tür wieder zu. »Dein neuer Macker?« Yukio wandte langsam den Kopf zurück zu Aomine, der den Basketball nun mit beiden Händen hielt und ihn wutentbrannt anstarrte. »Und was geht dich das an?«, gab er mit verschränkten Armen zurück und runzelte die Stirn. Ja, sie hatten dieses… Ding. Yukio würde es nicht unbedingt Beziehung nennen, da Aomine es nie geschafft hatte, irgendwelche Gefühle zuzugeben und sich auch sonst so zu verhalten, dass man sie als Paar hätte bezeichnen können. In achtundneunzig Prozent der Fälle war Händchenhalten bereits zu viel des Guten gewesen, weil Händchenhalten laut Aomine etwas für Weicheier war. Aomine gab ein Geräusch von sich, das gleichzeitig nach einem Schnauben und einem Brummen klang, aber er antwortete nicht und starrte zur Seite an die Treppenhauswand. »Es ist zwei Uhr nachts.« »Und? Bist du als Student zu sehr verweichlicht, um nachts wach zu sein?« Yukio betrachtete einen Moment lang Aomines Gesicht. Vielleicht hatte er ihn vermisst. Aber trotz all der Gefühle, die er unbestreitbar für diesen emotionalen Backstein hatte, hatte Yukio seinen Stolz noch lange nicht an den Nagel gehängt – einer der Gründe, wieso er die Sache beendet hatte, als er an die Uni gegangen war. Aomines Reaktion auf Yukios Verkündung bezüglich seiner Studienpläne eine Stadt weiter entfernt hatten gereicht, um Yukio klarzumachen, dass diese Sache zum Scheitern verurteilt war. Dass er letztendlich die Stadt nicht gewechselt hatte, tat dabei nichts zur Sache. Ja, er hatte Aomine vermisst. Ein Teil seines Körpers wollte dringend einen Schritt nach vorne machen, Aomine den Basketball aus den Händen schlagen und ihn gegen die Wand pressen, um ihn atemlos zu küssen. Der rationale Teil seines Gehirns, auf den Yukio sich den Göttern sei Dank meist verlassen konnte, riet ihm davon ab. Yukio schlug die Wohnungstür zu und schüttelte den Kopf. Zugegeben, er hatte sich hier und da – vielleicht jeden Tag mindestens dreimal – vorgestellt, wie ein etwaiges Wiedersehen mit Aomine aussehen könnte. Allerdings war ihm jetzt klar, dass all seine Vorstellungen nicht mit einberechnet hatten, wie absolut unberechenbar Aomine sein konnte. Und was für ein riesiges Arschloch. Yukio hatte keine zwei Schritte getan, als es klopfte. Oder besser: hämmerte. Er atmete ein paar Mal tief ein und aus, dann riss er die Tür erneut auf. »Es ist mitten in der Nacht. Geh irgendwo ausnüchtern und lass mich in Frieden«, zischte er. Aomine stemmte die Hand gegen die Tür, bevor Yukio sie ein weiteres Mal zuschlagen konnte. Mit der anderen Hand drückte er ihm den Basketball in die Hand. »One on one«, sagte er. Yukio dachte einen Moment darüber nach, Aomine einen Kinnhaken zu verpassen. Stattdessen starrten sie sich an und Yukio hätte schwören können, dass Aomines Ohren rot wurden. Dann wiederum konnte das auch am schlechten Licht und der Tatsache liegen, dass Aomine definitiv getrunken hatte. Yukio konnte eine Mischung aus Sake und Whiskey riechen. Ugh. »Ich hab morgen Uni, du Wichser!« »Nur weil du jetzt studierst, heißt das nicht, dass ich dich nicht um zwei Uhr nachts für ein One-on-One aus dem Bett klingeln kann, Weichei«, schnarrte Aomine und ließ den Ball los. Aus Reflex hielt Yukio ihn fest und Aomine, der elende Armleuchter, drehte sich schlichtweg um und marschierte die Treppe hinunter, als wäre er sich hundertprozentig sicher, dass Yukio folgen würde. Stattdessen schloss Yukio die Tür, sobald Aomine außer Sicht war, legte den Ball auf den Boden im Flur und ging zurück in sein Zimmer. Er konnte von hier aus die Straße mit den orange schimmernden Laternen sehen und beobachtete, wie Aomine auf den Fußweg trat und dort stehen blieb. Yukio fragte sich, ob er warten oder gehen würde, aber Aomine Daiki blieb auf dem Fußweg stehen wie eine Statue und Yukio beobachtete ihn aus dem zweiten Stock. Jeden Moment würde Aomine gehen und dann… Yukio beobachtete mit schiefgelegtem Kopf, wie Aomine Daiki sich vor Yukios Haus im Schneidersitz auf den Fußweg hockte und den Kopf hob, um den Himmel anzuschauen. Yukio hätte gerne geleugnet, dass sein Herz sich bei diesem Anblick beinahe schmerzlich zusammen zog. Aomine konnte nicht wissen, dass Yukios Zimmer zur Straße hinaus blickte – er war noch nie in seiner Wohnung gewesen und hatte keine Ahnung, welches Zimmer Yukio bewohnte. Und jetzt hockte er da unten. Yukio musste daran denken, wie er damals jeden Tag auf dieser Parkbank gehockt und auf Yukio gewartet hatte. Wie ein treudoofer Hund. Verfluchter Drecksmist. Yukio angelte nach einem Paar Socken und schlüpfte hastig in seine Sportschuhe, während er sich und seine geistige Gesundheit arg hinterfragte und sein verdammtes Herz verfluchte. Wie viel einfacher sein Leben wäre, wenn er wirklich etwas mit Haruka angefangen hätte. Oder mit irgendeinem der anderen Kerle, die in den letzten beiden Monaten ihr Interesse an ihm bekundet hatten. Aber nein, Yukios Herz war ein Masochist und hatte sich offenbar darauf eingeschossen, so nachdrücklich wie möglich an dem größten Arschloch unter der Sonne hängen zu bleiben. Gefühle waren eine Plage. Und Aomine Daiki war ihr hoch ansteckender Erreger. Als Yukio die Haustür öffnete und auf den Fußweg trat, blickte Aomine zu ihm auf und er sah beinahe ein bisschen erstaunt aus. Yukio wollte ihm keine Gelegenheit für einen hämischen oder triumphierenden Kommentar geben, also warf er ihm den Basketball entgegen, versenkte seine Hände in den Taschen seiner grauen Trainingshose, die er momentan zum Schlafen trug, und machte sich auf den Weg Richtung Sportplatz, der von seinem Apartment aus nur wenige Minuten entfernt lag. Er war definitiv zu müde zum Basketballspielen. Vor allem war er zu müde zum Basketballspielen gegen Aomine. Aber das Adrenalin, das durch seinen Adern schoss, ließ ihn wissen, dass er ohnehin nicht mehr hätte schlafen können, selbst wenn er es versucht hätte. »Bist du nicht zu besoffen zum Spielen?«, fragte er. Aomine schnaubte und ließ den Ball zur Antwort ein paar Mal vollkommen ohne Anstrengung auf den Fußweg aufschlagen, ehe er ihn wieder fing und begann, ihn auf dem Zeigefinger zu drehen. »Angeber«, murrte Yukio ungehalten. Vielleicht hätte er sich etwas Langärmeliges anziehen sollen. Vielleicht war diese ganze Aktion vollkommen wahnsinnig und er sollte umdrehen und zurück in sein Bett gehen. Aber seit Aomine nach Kaijou gekommen war, hatte er diesen scheußlichen Magnetismus auf Yukio ausgeübt und so gerne Yukio es vor sich selbst leugnen wollte – er war nach all diesen Monaten immer noch Hals über Kopf in Aomine Daiki verliebt. Er dachte an Nachhilfe und Treffen im Park, an Fanta und Versicherungen von Seiten Momois, dass Aomine all die Dinge nicht so meinte, dass er nur sehr schlecht darin war, seine Gefühle auszudrücken. Gefühle. Manchmal war Yukio sich nicht sicher, ob Aomine überhaupt Gefühle hatte. Sobald der Sportplatz in Sichtweite kam, beschleunigte Aomine seine Schritte, als würden die Körbe ihn anziehen wie eine Straßenlaterne die Motten. Und ehe Yukio es sich versah, fühlte sich alles an wie früher. Er hatte seit drei Wochen nicht gespielt und keine Zeit gehabt, sein übliches Konditionstraining durchzuziehen und er merkte es bei jedem Sprung, bei jedem Dribbeln und bei jedem Wurf – aber er ließ nicht locker, auch wenn er selbst gegen einen angetrunkenen Aomine Daiki keine Chance hatte. Sie sprachen nicht, aber Yukio hätte ohnehin nicht gewusst, was er hätte sagen sollen. Du bist ein Arschloch. Ich wünschte, du wärst nicht gekommen. Ich wünschte, du wärst eher gekommen. Ich hab dich vermisst. Scheiße, hab ich dich vermisst. Nach fast einer Stunde schnellen und brutalen Spielens gaben Yukios Knie nach und er erinnerte sich an ihr erstes One-on-one, als er noch Schüler gewesen war und Yukio Aomine erst zur Teamarbeit hatte erziehen müssen. Wer wusste schon, ob all seine Versuche dauerhaft gefruchtet hatten, oder ob Aomine Daiki jetzt wieder derselbe war, der damals nach Kaijou gekommen und sich zu schade gewesen war, mit ihnen in einem Team zu spielen – Yukio musste wirklich beizeiten wieder bei Kaijou vorbeischauen und seiner alten Mannschaft zusehen, um zu prüfen, was aus ihnen geworden war. Er ist hierhergekommen, um dich zu sehen, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf, während Yukio sich – alle Gliedmaßen von sich gestreckt – auf den kühlen Asphalt fallen ließ und hoch in den sternenübersäten Nachthimmel starrte. Alles tat weh. Seine Lungenflügel schrien bei jedem Atemzug. »Hättest früher aufgeben sollen«, sagte Aomine – genau wie bei ihrem ersten Spiel gegeneinander – neben ihm und Yukio drehte den Kopf. Aomine hatte sich neben ihn gehockt und schaute zu ihm herunter. Yukio schnaubte. »Ich bin vielleicht aus dem Training, aber bekloppt geworden bin ich noch lange nicht.« Aomine grinste schief. Dann ließ er sich neben Yukio auf den Asphalt sinken und schaute mit ihm hoch in den Himmel. Eine ganze Weile lang konnte man nichts hören außer einigen entfernten Autos auf den Straßen und ihren immer noch schwer gehenden Atem. Yukio konnte nicht einmal sagen, ob sein Herz so schnell hämmerte, weil er immer noch aufgeheizt vom Spielen war, oder ob er schon dazu über gegangen war, wegen seiner dämlichen Gefühle einen halben Infarkt zu bekommen. Er dachte darüber nach, ob er ihren letzten Streit erwähnen sollte. Oder die Tatsache, dass Aomine nach zwei Monaten Funkstill alkoholisiert bei ihm aufgetaucht war und beschlossen hatte so zu tun, als wären diese letzten beide Monate nicht passiert. Oder den Umstand, dass es ihm beinahe körperliche Schmerzen bereitete, nicht die Hand auszustrecken und Aomine anzufassen. Aber Yukio konnte nur vermuten, dass das etwas für Weicheier war. Und Aomine schätzte keine Weicheier. Yukio konnte kaum sagen, ob Aomine überhaupt etwas schätzte, außer Menschen beim Basketball in den Staub zu treten. Er schätzte Teriyaki-Burger und Bananenmilch. Magazine mit vielen leicht bekleideten Frauen darin. Seine Ruhe und Nickerchen unter offenem Himmel. Momoi, auch wenn er miserable darin war, es zu zeigen. Eine Stimme, die ganz nach Momois klang, ertönte in Yukios Kopf. Dich. Er schätzt dich, Kasamatsu-kun. Yukio hätte bei diesen imaginären Worten beinahe laut geschnaubt, aber er schaffte es noch, den Laut zu einem trockenen Hüsteln verkommen zu lassen. Tatsache war jedoch, dass Aomine sich Yukios Regeln angepasst hatte. Er hatte auf dieser Parkbank gewartet, Fanta für ihn gekauft, versucht ihn auf seine miserable Art aufzuheitern… Aomine hatte so oft One-on-one gegen ihn gespielt obwohl Yukio niemals im Leben ein gleichwertiger Gegner sein würde, wenn es darum ging, alleine gegen Aomine anzutreten. »Und. Wie ist Uni so?« Yukio drehte den Kopf und betrachtete Aomines Profil, das von den umstehenden Laternen matt und fahl gelblich beleuchtet wurde. »Anstrengend.« Aomine schnaubte. »Kannst immer noch abbrechen.« »Ich bin nicht der Typ fürs Aufgeben.« Aomine drehte den Kopf und schaute Yukio direkt an. Sein Herz machte ein paar Saltos und Yukio versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie tumultartig es in seinem Innern zuging. »Ach«, sagte Aomine und hob die Brauen. Yukio kniff die Augen zusammen. Er wusste sofort, was Aomine meinte. »Wirklich? ‚Nicht aufgeben‘ ist dumm, wenn man in einer ungesunden Situation steckt, du Armleuchter. Ich bin nicht dein Therapeut, ok? Dein Arschlochgehabe zu kurieren ist nicht mein Job, schon gar nicht bis zur Selbstaufgabe«, blaffte er und wandte den Blick wieder dem Himmel zu. Aomines Launenhaftigkeit und der Mangel an Gefühlen waren nicht gesund für ihn gewesen. Schlussmachen, wenn keine Besserung in Sicht war, galt nicht als Aufgeben. Danach schwieg Aomine eine lange Weile. Yukio fragte sich, ob er nicht einfach aufstehen, wieder nach Hause gehen und dieses ganze Erlebnis als komischen Traum verbuchen sollte. Er fragte sich auch, wie angetrunken Aomine eigentlich war und ob das Spiel nicht das meiste aus seinem Blutkreislauf herausgepumpt hatte. Was genau tat er hier eigentlich? Gerade als er beschloss, dass das hier alles keinen Sinn hatte und er wirklich mehr Schlaf brauchte, bevor morgen wieder ein dreizehn-Stunden-Tag auf ihn wartete, berührte ein paar kühler Finger seine Hand, die neben ihm auf dem Asphalt lag. Yukio schaffte es nur mit Müh und Not nicht zusammenzuzucken oder ein erbärmliches Geräusch zu machen. Sein Kopf schoss herum. Aomines Wangen waren definitiv gerötet, genau wie seine Ohren. Er starrte stur weiter Richtung Himmel. »Ich versuch’s, ok?«, murrte er mit zusammen gepressten Zähnen, als würden ihm die Worte körperliche Schmerzen zufügen. Yukio blinzelte. »Was?« Yukio wusste genau, dass Aomine alles an Willenskraft aufbringen musste, um nicht zu fluchen, Yukio zu beleidigen oder irgendetwas über Weicheier und die gesellschaftliche Überbewertung von Gefühlen zu sagen. Aomine griff nun vollständig nach Yukios Hand und verhakte ihre Finger miteinander – so steif und zögerlich, als hätte er noch nie irgendjemandes Hand gehalten. Dann hob er ihre Finger hoch. »Das da.« Yukio hob die Brauen. »Du meinst ein minimales Maß an körperlicher Zuneigung?« Aomine gab ein Geräusch von sich, das genauso gut von einer panischen Ringelnatter hätte stammen können. »Denkst du, dass alle Probleme verschwinden, nur weil wir alle zwei Wochen mal heimlich Händchen halten, während du aussiehst, als würdest du gleich implodieren vor Anstrengung?« Aomine wand sich wie ein Fisch auf dem Trocknen, Yukio konnte es an seiner drastisch schwankenden Mimik sehen. Zorn, Scham, Widerwillen aber auch eine gute Portion Verzweiflung waren in dem hübschen Gesicht zu finden, während Yukios Augen ihn fixierten. Noch während er all das beobachtete, fragte er sich, ob er es überhaupt in Erwägung ziehen würde, Aomine zurückzunehmen. Doch das Gefühl, das sich in ihm breit gemacht hatte, sobald Aomine seine Hand genommen hatte, war ihm beinahe Antwort genug. Er seufzte. »Du willst mich zurück, ja?« Aomines Kopf schoss herum und sein Blick bohrte sich in Yukios. Er nickte kaum merklich. »Du willst eine Beziehung«, fuhr Yukio fort. Aomine schnaufte, seine Augen huschten kurz zur Seite. Dann nickte er erneut. »Und das fällt dir nach zwei Monaten Funkstille ein?« Schweigen. Yukio wusste, dass es vermutlich ein Wunder war, dass Aomine nur zwei Monate gebraucht hatte, um seinen inneren Dämon zu überwinden und hier aufzutauchen. Dass er dabei diese Uhrzeit und die Art und Weise des Auftritts gewählt hatte, war so typisch, dass Yukio beinahe gelacht hätte. Wenn er schon so weit gegangen war, nachts mit Aomine Basketball zu spielen, dann war sein gesunder Menschenverstand bereits ausgeschaltet genug, dachte Yukio, während er sich aufrappelte. Aomines Augen folgten ihm und Yukio spürte, dass seine Hand etwas fester gedrückt wurde, als hätte Aomine Angst, dass er jeden Moment aufstehen und gehen könnte. Stattdessen setzte Yukio sich rittlings auf Aomines Schritt, pinnte seine Hände auf den kalten Boden und beugte sich zu ihm hinunter. Aomines Augen weiteten sich ein wenig und Yukio spürte seine Handgelenke zucken. »Ich weiß, du denkst, Gefühle sind für Weicheier. Aber ich frag mich, was du dann hier willst, wenn du sowieso keine Gefühle hast«, sagte Yukio. Er konnte fühlen, wie Aomine sich unter ihm anspannte und ihm war klar, dass Aomine keinerlei Probleme damit hätte, ihn körperlich zu überwältigen. Aber er tat es nicht. »Hast du mich vermisst?«, wollte er wissen. Aomines Gesichtsausdruck sah aus, als wäre diese Frage reine Folter. Sein Atem ging wieder schwer, als hätte er eine weitere Runde Basketball gespielt. Yukio wollte ihn küssen. »Hm«, machte er und richtete sich wieder auf, wobei er seine Hände von Aomines löste und schließlich mit wackeligen Beinen aufstand. »Dacht ich’s mir doch.« Er wandte sich ab. Aomines Schwierigkeiten seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen in allen Ehren, aber Yukio war nicht gewillt, zehn Jahre darauf zu warten, dass Aomine Daiki eine winzige Gefühlsbekundung von sich gab. Dass er eine Beziehung wollte – dass er Yukio zurück wollte – hatte er wahrscheinlich nur zugegeben, weil er vorher Alkohol getrunken hatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass er sich zu Yukios Wohnung getraut hätte, ohne vorher zu trinken, war eher gering. Yukio hatte kaum zehn Schritte gemacht, als Arme sich von hinten um ihn schlangen und zwei sehr kräftige Hände sich in sein Oberteil krallten. Warum musste sein verräterisches Herz ihm in die Kehle hüpfen? Gegen seinen Willen lehnte er sich in die Umarmung und schloss die Augen. »Ja, ok? Verdammte… scheiße.« Aomine presste Yukio so fest an sich, dass Yukio Schwierigkeiten hatte, Luft zu holen. »Ja, du hast mich vermisst?« »Ja.« Kaum mehr als ein Krächzen. »Du hast Gefühle für mich«, sagte Yukio. Er hatte ein wenig Angst um sein Shirt, weil Aomines Griff immer fester wurde. »Alter, würde ich sonst–Fuck!« »Daiki.« Aomine sog zischend die Luft ein. Ein kurzes Schweigen. Dann… »Ja, verdammt.« Yukio wand sich in Aomines Griff und drehte sich um, packte Aomines Gesicht mit beiden Händen und taxierte ihn. »Letzte Chance, verstanden?«, flüsterte er. Dann presste er seinen Mund auf Aomines. Zu seiner grenzenlosen Überraschung gab Aomine ein Geräusch von sich, das Yukio einen heißen Schauer über den Rücken laufen ließ. Er küsste ihn so innig, dass Yukio beinahe schmecken konnte, wie sehr Aomine ihn vermisst hatte. Yukio konnte nicht sagen, wie lange sie mitten auf dem Sportplatz standen und sich küssten, an der Kleidung des anderen zerrten und sich aneinander pressten, als wären sie Ertrinkende. Als sie sich voneinander lösten, lehnte Yukio seine Stirn an Aomines. »Verstanden«, knurrte Aomine. Yukio trat einen Schritt zurück. »Ich muss zurück ins Bett«, sagte er und hörte selbst, wie heiser seine Stimme klang. Aomine zog die Schultern hoch und schaute zur Seite. Yukio verkniff sich die Standpauke darüber, dass Aomine morgen Schule hatte und als Schüler um diese Uhrzeit nicht draußen unterwegs sein sollte. Dann klemmt Aomine sich seinen Basketball unter den Arm und griff entschlossen nach Yukios Hand. »Ich finde mein Bett auch alleine«, sagte Yukio und schaffte beinahe ein Lächeln. Aomine warf ihm einen hitzigen Blick zu. »Halt die Klappe, Kasamatsu«, blaffte Aomine und stapfte los. Yukio folgte ihm. Vielleicht war das so etwas wie ein erster Versuch, normale Pärchendinge zu tun. Wie zum Beispiel jemanden zur Tür zu bringen. Yukio fand es beinahe lustig, dass Aomine darauf bestand, ihn nach Hause zu bringen. Aber weil sein Herz so heftig hämmerte und sein ganzer Körper kribbelte, sagte er nichts dazu. Und Aomine ließ seine Hand den gesamten Weg nicht los. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)