One on one von Ur (Oneshot-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 7: Gesehen, unvorhergesehen ----------------------------------- Als Takao Kise Ryouta kennen gelernt hatte, hatte er vom ersten Augenblick an gewusst, dass aus dieser Begegnung eine wunderbare Freundschaft entwachsen könnte. Kise musste den gleichen Gedanken gehabt haben, denn er hatte Takao beinahe sofort nach seiner Handynummer gefragt. Shin-chan hatte diesen Austausch kritisch und mit wenig Begeisterung verfolgt, wobei eine Ader an seiner Schläfe missbilligend pulsiert hatte. Takao und Kise hatten ihn geflissentlich ignoriert – eine Fähigkeit, die sie beide offenbar über die Jahre hinweg perfektioniert hatten. »Wozu müsst ihr Nummern austauschen?«, hatte Shin-chan wissen wollen. »Weil wir uns gut verstehen und nicht jeder so ein Einsiedlerkrebs ist wie du, Shin-chan.« Es hatte sich sehr schnell heraus gestellt, dass Takaos Eindruck goldrichtig gewesen war. Trotz des Trainings und Kises Nebenjob als Model – der unglaublich zeitaufwändig zu sein schien und von zahlreichen Fototerminen bis hin zum Unterhalten seiner Fangirls und Fanboys reichte – schafften Kise und Takao es, sich mindestens einmal in der Woche zu treffen. Shin-chan beäugte diese Entwicklung voller Argwohn und er äußerte sich regelmäßig abfällig über Takaos schlechten Umgang. Takao ignorierte auch dies. Er kannte Shin-chan nun lange genug und auch wenn er so oft wie möglich betonte, wie wenig er von Kise hielt – und eigentlich von auch den meisten seiner anderen ehemaligen Teamkollegen – so wusste Takao doch, dass Shin-chan das Basketballspielen bei Teiko nicht als unangenehm empfunden hatte. Shin-chan maulte über alles Mögliche. Er war eine Diva. Allerdings durfte Takao ihm das nicht mitteilen, denn dann riskierte er eine blutige Nase, und auch wenn er auf dem Gebiet der Oberflächlichkeit nicht an Kise heran reichte, so schätzte er seine gerade Nase doch sehr. Und selbstverständlich schätzte er seine Freundschaft zu Shin-chan ebenso. Wenn er zurückblickte und sich fragte, wann genau er sich in den bebrillten Mistkerl verknallt hatte, so konnte Takao nicht genau den Finger auf einen bestimmten Zeitpunkt legen. Ob es der Tag gewesen war, an dem sie gegen Seirin verloren hatten und er Shin-chan zum ersten Mal hatte weinen sehen, ob es der Augenblick gewesen war, als Shin-chan zum ersten Mal gelächelt hatte, als sie gemeinsam Basketball gespielt hatten oder ob es eine der unzähligen Gelegenheiten gewesen war, an denen Takao entdeckt hatte, dass Shin-chan doch ein Herz hatte – auch wenn er sehr bemüht war, das zu verschleiern und zu leugnen –, er wusste es nicht mehr. Und jetzt fühlte es sich einfach nur noch so an, als hätte er immer schon Herzrasen bekommen, wenn Shin-chan ihn ansah. Als hätte sein Magen immer schon Saltos geschlagen, wenn er Shin-chan morgens zur Schule abholte. Takao wusste nicht mehr, wie es sich anfühlte, nicht in Midorima Shintarou verliebt zu sein. Nach all der Zeit des Schmachtens und Kribbelns und dümmlichen Grinsens in Shin-chans Gegenwart hatte Takao sich außerdem an die dramatische aber nicht zu ändernde Tatsache gewöhnt, dass Midorima Shintarou ihn niemals auf diese Art und Weise mögen würde. Takao wusste, dass Shin-chan ihn auf seine eigene verkorkste Art schätzte, dass sie gut Basketball zusammen spielten und Shin-chan das durchaus bewusst war, und Takao war sich sogar beinahe sicher, dass Shin-chan ihn als guten Freund – und vielleicht sogar seinen einzigen Freund – ansah… Aber das war es. Es war traurig und bescheuert, aber leider nicht zu ändern. Auch wenn Takao nachts in seinem Bett lag und sich ausmalte, wie es wäre, wenn Shin-chan genauso fühlen würde wie er. Vielleicht würde er sogar ab und an rot werden, wenn Takao zweideutige Bemerkungen machte. Diese Vorstellung brachte ihn erstens zum Grinsen und zweitens brachte sie sein Blut in Wallung. Es war nie hilfreich, vorm Einschlafen an diese Dinge zu denken, denn dann konnte er garantiert noch viel weniger einschlafen und wenn er es dann doch tat, dann träumte er dermaßen intensiv, dass er morgens schweißgebadet und nicht selten genug mit feuchter Unterhose aufwachte. Es war entwürdigend und peinlich und Takao würde dieses Geheimnis mit in sein Grab nehmen. Ja, er hatte feuchte Träume über Midorima Shintarou, arrogantes Arschloch extraordinär und emotionale Abrissbirne sondergleichen. Wow. Was für eine beschissene Wendung seines ansonsten durchaus angenehmen Lebens. Eine schlagartige Wendung seines ansonsten relativ berechenbaren Alltags traf ihn an einem regnerischen Mittwochnachmittag, als er nach der Schule mit Kise zum Teriyaki-Essen verabredet war und Kise in seinem üblichen Wirbel aus schicken Klamotten und einem strahlenden Lächeln den Laden betrat, wobei sein Ohrring funkelte und die Bedienung hinter der Theke beinahe einen Ohnmachtsanfall erlitt. Takao kannte das schon und er war stets ausgesprochen amüsiert darüber. Er wünschte sich dumpf eine ähnliche Wirkung auf Shin-chan zu haben, schob den Gedanken allerdings rasch beiseite, als Kise sich ihm gegenüber auf einen Stuhl fallen ließ und sich aus seiner wahrscheinlich übermäßig teuren Regenjacke pellte. Regenjacken waren eigentlich keine besonders eleganten Kleidungsstücke, aber Kise schaffte es irgendwie trotzdem auszusehen, als wäre er geradewegs aus dem Schaufenster spaziert. »Ich habe ein dringendes Anliegen an dich!« Takao hätte sich denken können, dass es sich bei dieser Eröffnung nicht einfach nur um eine Bitte à la »Leih mir doch bitte den Basketball aus deiner Sporttasche für diesen Nachmittag« handeln würde. Er beugte sich vor und legte erwartungsvoll den Kopf schief. »Worum geht’s?«, wollte er wissen. Kise räusperte sich und sein strahlendes Lächeln flackerte ein wenig – kein gutes Zeichen, wie Takao wusste. Er machte sich auf das Schlimmste gefasst. »Es geht um Aominecchi«, sagte Kise in gedämpftem Ton und im nächsten Moment hatte er sein Strahlen repariert, als die Bedienung zu ihrem Tisch kam und ihre Bestellung aufnahm. Kise war gruselig. Er war sogar noch gruseliger, weil die meisten Leute ihn unterschätzten. Was das anging, waren sie sich sehr ähnlich, befand Takao. Ihm traute auch nie jemand irgendetwas zu. Takao konnte Aomine nicht leiden. Er war ein arroganter Saftsack und nachdem Takao das Spiel zwischen Kise und Aomine verfolgt und gesehen hatte, wie Aomine den verletzten Kise einfach hatte liegen lassen, hätte er ihm gerne ein paar Zähne ausgeschlagen. Aber Takao war kein Typ für Gewalttätigkeiten und so hatte er sich darauf beschränkt, Aomine bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu verfluchen und ihm Hautausschlag zu wünschen. »Ok«, sagte Takao langgezogen und lehnte sich noch ein wenig weiter vor. Kise räusperte sich ein weiteres Mal. »Ich weiß, dass du nicht viel von ihm hältst, aber…« Takao nickte mit ernster Miene. Kise schnaubte amüsiert und fuhr fort. »IchbinschonseitJahrenverknalltinihnundichglaubeermagmicheigentlichauchundwilleseinfachnichtzugeben«, sprudelte es in atemberaubendem Tempo aus Kise heraus, sodass Takao Schwierigkeiten hatte, ihn zu verstehen. Er starrte sein Gegenüber einen Moment lang an, während sein Gehirn diese neuen Informationen verarbeitete. Takao kam zu dem Entschluss, dass Kise absolut wahnsinnig sein musste, um in jemanden wie Aomine Daiki verknallt zu sein. »Und wie genau zeigt er dir, dass er dich auch mag?«, fragte Takao misstrauisch. Kise fummelte an seinem Designerpullover herum und nickte der Bedienung dankend zu, als sie ihre Getränke vor ihnen abstellte. Takao konnte sich kaum vorstellen – nicht einmal in irgendeinem abgefahrenen Paralleluniversum – wie Aomine Daiki irgendeinem Menschen außer sich selbst seine Wertschätzung zeigte. »Ich kann es schlecht beschreiben, ich kenne ihn eben schon sehr lange und merke sowas«, erwiderte Kise und er klang beinahe ein wenig trotzig. Takao dachte darüber nach, ob er Kises Blubberblase platzen lassen sollte, aber dann dachte er an seine Träume mit Shin-chan und an die Hoffnung, die sich manchmal immer noch in ihm breit machte, auch wenn er eigentlich wusste, dass Shin-chans Herz in etwa die Weichheit einer Backsteinmauer hatte. Mit sehr wenigen Ausnahmen. »Und wofür brauchst du dabei meine Hilfe?«, erkundigte sich Takao und nippte an seiner Limo. Auf Kises Gesicht breitete sich ein süßliches, unschuldiges Lächeln aus, das in etwa so klebrig aussah, wie Takaos Limo schmeckte. Er verschluckte sich beinahe und hüstelte leise vor sich hin. Takao selbst würde sich durchaus als einen recht durchtriebenen Charakter beschreiben, aber Kise erreichte in dieser Sache ganz ungeahnte Höhen, das war Takao klar. Er konnte Menschen gut einschätzen und er hatte vom ersten Moment an gewusst, dass Kise mit seinem bekloppten Verhalten darauf spekulierte, von anderen unterschätzt zu werden – eine Taktik, die beinahe immer aufging, wie Takao wusste. »Nun, ich kann mir keinen besseren Partner für meine Idee vorstellen«, sagte Kise betont beiläufig und strich mit seinem Zeigefinger über den Rand des Glases. Takao war sich nicht sicher, ob er das als Kompliment auffassen, oder eher beunruhigend finden sollte. Während die Bedienung ihnen ihr Essen auf den Tisch stellte und sich diskret entfernte, wartete Takao gespannt auf Kises weitere Erklärungen bezüglich seines Plans, Aomine Daiki für sich zu gewinnen. Ein absolut wahnsinniges Unterfangen, wie Takao fand. Aber er schwieg und behielt all seine Einwände für sich. »Ich dachte mir, dass man Aominecchi am besten durch eine Holzhammermethode auf seine eigenen Gefühle aufmerksam machen sollte, ohne ihm dabei zu suggerieren, dass er auf keinen Fall eine Chance bei mir hätte«, erklärte Kise enthusiastisch und schob sich mit seinen Stäbchen den ersten Bissen seines Teriyakis zwischen die hübschen Lippen. Takao fragte sich dumpf, wieso er sich nicht in Kise hatte verlieben können. Das Leben war doch grausam. Takao hüstelte leise angesichts von Kises Wortwahl, hieß ihm aber mit einer Handbewegung Weiter zu sprechen, während er sich darum bemühte, sich seine Zunge nicht zu verbrennen. Kise schluckte seinen Bissen herunter ohne sich an der Hitze des Essens zu stören und strahlte Takao so leuchtend an, dass er sich beinahe ein wenig geblendet fühlte. »Ich dachte, wir beide könnten einfach so tun als wären wir ein Paar! Was meinst du?« Takaos Versuch seine Zunge zu schonen scheiterte, als er seinen heißen Bissen vor Schreck verschluckte und sich so auch noch seine Speiseröhre verkohlte. Takao hustete, Kise grinste und Takao war sich nicht sicher, wohin genau ihn diese merkwürdige Fügung seines Lebens tragen würde. * »Du bist WAS?« »Kein Grund, laut zu werden, Shin-chan. Eigentlich wollte ich es nicht gleich der ganzen Schule erzählen, weißt du?« »Das kann doch nicht dein Ernst sein. So einen miserablen Geschmack hätte ich dir nicht zugetraut.« Midorima Shintarou sah aus, als würde er jeden Augenblick vor Wut explodieren. Eine Ader pulsierte an seiner Schläfe und er hatte die Augenbrauen so dicht zusammengezogen, dass er aussah wie ein Raubvogel. Die Augen hinter den Brillengläsern blitzten missbilligend und er hatte die Hände an seinen Seiten zu Fäusten geballt. Takao hatte ja schon gewusst, dass Shin-chan nicht allzu… begeistert von seiner Freundschaft mit Kise war, aber dass er sich derartig mokieren würde, hätte Takao nicht erwartet. Aber vielleicht regte sich Shin-chan ja auch nicht unbedingt über Kise an sich auf, sondern darüber, dass Kise ein Junge war? Takaos Herz sank ein paar Zentimeter in seinem Brustkorb. Sie standen in der Umkleidekabine und ihre Teamkameraden waren bereits in der Sporthalle, um sich warm zu machen. Takao hatte Shin-chan zurückgehalten, um ihm die ‚Neuigkeiten‘ zu überbringen. Der langweilig graue Fliesenfußboden sah beinahe so aus, als würde er Takao dafür verurteilen, seinem guten Freund nicht die Wahrheit über die Natur dieser Vereinbarung zu sagen. Aber Takao befand, dass – wenn er schon so tun wollte, als wäre er mit Kise zusammen – es authentischer war, wenn er auch in seinem Umfeld nicht heraus plauderte, dass es nicht echt war. Das warme Nachmittagslicht, das von draußen herein schien, reflektierte auf Shin-chans Haaren, die Takao sich immer sehr seidig vorgestellt hatte. Eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf verlangte protestierend, dass Takao Shin-chan bitte sehr sofort sagen sollte, dass er ja eigentlich mit ihm zusammen sein wollte und es nicht Takaos Schuld war, dass daraus nichts wurde… aber er ignorierte die kleine Stimme und verschränkte die Arme vor der Brust. »Shin-chan, es geht dich Gott sei Dank herzlich wenig an, was für einen Männergeschmack ich habe«, sagte Takao mittlerweile sichtlich genervt. Wenn Shin-chan tatsächlich etwas dagegen hatte, dass Takao auch auf Männer stand, dann sollte er ihm das gefälligst direkt sagen und nicht so tun, als wäre er um Takaos Wohlergehen besorgt. Takao drehte sich auf dem Absatz um und stapfte schlecht gelaunt aus der Umkleidekabine. Es kam selten genug vor, dass er in miserabler Stimmung war, aber Shin-chan war einfach ein derartiger Armleuchter, dass Takao sich fragte, wieso er es überhaupt so lange und in aller Ruhe mit ihm ausgehalten hatte. Es war ja nicht so, als würden ihn nicht ohnehin alle Leute für wahnsinnig halten, weil er Shin-chan durch die Gegend kutschierte, ihm sein Tape reichte, ihm von seinen Bentos abgab und seine freie Zeit mit ihm verbrachte, um stumm nebeneinander Hausaufgaben zu machen oder ihr Passspiel zu trainieren. Das Training lief miserabel. Takao war unkonzentriert und Shin-chan blaffte alle Teammitglieder bei jeder sich bietenden Gelegenheit an und erklärte ihnen in seinem überheblichsten Ton, dass sie unfähige Trottel waren. Seine Aura strahlte aus, dass er sich eindeutig zu schade war, um mit ihnen seine Zeit und sein kostbares Talent zu vergeuden. Takao wartete darauf, dass Ootsubo sich Midorima vorknöpfte und nach einer halben Stunde hatte ihr Kapitän die Nase voll und brüllte Shin-chan an, dass er für die nächste Woche keine Unverschämtheit pro Tag mehr freihätte, weil er sich heute allzu viele davon geleistet hätte und dass er sich gefälligst zusammen reißen sollte. Takao merkte, dass seine Teamkollegen verwirrt waren. Es war so gut bergauf gegangen in den letzten Monaten. Shin-chan hatte langsam aber merklich seine Arroganz und seinen Egoismus reduziert, er hatte angefangen regelmäßiger zu passen und manchmal hatte man ihn sogar kaum sichtbar lächeln sehen. Heute war von diesem Fortschritt nichts mehr zu bemerken. »Und Takao, du bist unkonzentriert. Brauchst du eine kurze Auszeit?«, fragte Ootsubo, sichtlich außer Atem, da er Shin-chan gerade zur Schnecke gemacht hatte. Shin-chan stand mit geballten Fäusten und gesenktem Kopf mitten auf dem Feld, während ihre Mitspieler ihr Ass verwirrt und ein wenig empört anstarrten. »Vielleicht muss man ihm nur eine ordentliche Ananas an den Kopf werfen«, hörte Takao es von links. Er seufzte und schüttelte den Kopf. »Nein, alles ok, Captain. Ich reiß mich zusammen«, sagte er und zwang sich, nicht allzu sehr über Shin-chans beknacktes Verhalten nachzudenken. Das gestaltete sich insofern als schwierig, als dass das Teamspiel der gesamten Mannschaft auf dem Zusammenspiel zwischen Shin-chan und Takao aufbaute und diese Zusammenarbeit wollte heute einfach nicht klappen, sodass Ootsubo nach weiteren fünfzehn Minuten erneut die Geduld verlor und für alle zehn Runden um die Sporthalle anordnete. Shin-chan beschwerte sich nicht. Er lief schweigend und mit sichtlich zusammengepressten Lippen ganz vorne allen anderen voran und Takao starrte seinen Rücken an, während er sich darüber Gedanken machte, wo er sich dank Kise hinein geritten hatte. * Takao konfrontierte Shin-chan zwei Tage später. Er hatte die Nase voll von der merkwürdigen Stimmung, die zwischen ihnen beide herrschte. »Hör mal, Shin-chan, wenn du ein Problem damit hast, dass ich bisexuell bin–« »Red keinen Unsinn, Takao«, unterbrach Shin-chan ihn mit gebieterischer Stimme und schob mit seinen sorgfältig umklebten Fingern seine Brille nach oben. Takao hob die Augenbrauen, während Shin-chan auf ihn hinab blickte, als wäre Takao eine Kakerlake, die er gerne zertreten würde. Wie Shin-chan es anstellte, immer derartig herablassend auszusehen – so, als gehörte ihm die Welt und als hätten alle anderen Menschen dankbar dafür zu sein, dass sie in seiner Gegenwart atmen durften – war Takao ein Rätsel, aber er hatte sich nach all der Zeit daran gewöhnt. Manchmal schaffte er es sogar, Nuancen zwischen verschiedenen Gesichtsausdrücken zu erkennen. Tatsächlich war er darauf mächtig stolz. Im Moment war er sich beinahe hundertprozentig sicher, dass Shin-chan die Situation sehr unangenehm war. »Ich interessiere mich nicht dafür, was meine Mitmenschen in ihrer Freizeit treiben und mit wem sie… ausgehen«, sagte Shin-chan mit einer wegwerfenden Handbewegung und verschränkte die Arme vor der Brust. Er sah entschieden zur Seite. Takao blinzelte. Es sah fast aus, als wäre Shin-chan ein wenig verlegen. Wie viel Überwindung es ihn wohl gekostet hatte, so ein profanes Wort wie ‚ausgehen‘ zu verwenden? Takao musste schmunzeln und gegen seinen Willen spürte er, wie seine Empörung in Shin-chans Richtung dahin schwand. Letztendlich war Midorima Shintarou zwar ein Ass im Basketball spielen, aber kein Experte, wenn es um zwischenmenschliche Beziehungen und Interaktionen ging. Takao fiel es schwer, ihm weiter böse zu sein. »Warum bist du dann sauer, Shin-chan? Du bist doch wohl nicht selber scharf auf Kise, oder?«, scherzte Takao amüsiert und buffte Shin-chan den Ellbogen in die Seite. Shin-chan starrte zu ihm herunter, als würde er Takao gerne erwürgen wollen. Er äußerte sich allerdings nicht, sondern drehte sich weg und schnaubte verächtlich. »Wir kommen zu spät zum Unterricht, Takao. Beweg dich«, sagte er und stapfte davon. Takao betrachtete wie so oft Shin-chans Rücken. Irgendwann würde er vielleicht neben Shin-chan gehen, statt dauernd hinter ihm. Bis dahin konnte er sich Gedanken darüber machen, ob Midorima Shintarou eventuell wirklich auf Kise Ryouta stand. * Kise hatte ein Talent für ausgesprochen schlechtes Timing. Gerade als Takao feststellte, dass die merkwürdige Stimmung zwischen ihm und Shin-chan beinahe vollkommen verschwunden war, platzte Kise Ryouta in eine ihrer Trainingsstunden und lehnte neben der Tür an der Wand. Seine katzenartigen Augen waren die ganze Zeit über auf Takao gerichtet und er winkte »Midorimacchi!« begeistert zu. Takao schenkte er ein zweideutiges Zwinkern. Takao würde im Leben nicht zugeben, dass ihm diese Geste die Röte ins Gesicht trieb. Dummerweise hatte Shin-chan es trotz Takaos Versuchen bemerkt, seine hochroten Wangen zu verbergen. Immerhin, dachte Takao dumpf bei sich, bekam ihre Geschichte allein dadurch schon eine gewisse Glaubwürdigkeit. Alle anderen waren verwirrt darüber, dass ein weiteres Mitglied der Generation der Wunder bei ihrem Training auftauchte, doch unglücklicherweise schien Kise nicht vorzuhaben, seine neue Beziehung geheim zu halten. Sobald das Training von Ootsubo beendet worden war, kam Kise zu Takao herüber geschlendert, während Shin-chan steif wie eine Litfasssäule neben ihm stand und seine Brille nach oben schob. Takao fragte sich, ob Shin-chan diese Geste in bestimmten Situationen besonders häufig machte. Er nahm sich vor, von jetzt an genauer darauf zu achten. Zu Takaos Entsetzen legte Kise einen Arm um seine Schultern und beugte sich so nah zu ihm herunter, als würde er ihn jeden Moment küssen wollen. »Hallo, Kazunari«, raunte er. Takao wurde auf keinen Fall noch röter. Er spürte auch auf keinen Fall einen heftigen Anflug von Erregung bei Kises Ton. Er bekam sicherlich keine Gänsehaut bei dem Klang seines Vornamens, den Kise einfach so auf diese intime Art und Weise ausgesprochen hatte. Nein, ganz bestimmt nicht. Seine Teamkameraden starrten verwirrt und alarmiert zu ihnen herüber und Takao riskierte einen Blick auf Shin-chan, der aussah, als würde er Kise jeden Moment erwürgen wollen. Shin-chan hasste Kises informelles Verhalten. Wieso er Takao gestattete, ihn Shin-chan zu nennen, ohne ihn deswegen erdolcht zu haben, war Takao unbegreiflich. »Geh sterben, Kise«, raunzte Shin-chan Kise an und Kise machte große Augen in Shin-chans Richtung. »Was soll das heißen, Midorimacchi?« »WAS SOLL ES SCHON HEISSEN?« Kise griff sich an die Brust, als wäre er sehr verletzt. Er schniefte sogar ein wenig. Takao verdrehte die Augen und entfernte vorsichtig Kises Arm von seinen Schultern. »Wie kommt’s, dass du hier bist?«, erkundigte sich Takao bei Kise, wobei er sich sehr bemühte den wütend vor sich hin kochenden Shin-chan und seine glotzenden Teammitglieder zu ignorieren. »Brauche ich denn einen Grund, um meinen Freund sehen zu wollen?«, erkundigte sich Kise amüsiert schmunzelnd. Takao räusperte sich. »Nein, vermutlich nicht. Wenn du noch kurz wartest, bis ich geduscht hab, können wir noch was essen gehen«, sagte er. Kise öffnete den Mund, um zu antworten, als die Tür der Halle aufgestoßen wurde und eine ganze Horde Menschen hereinstürmte. Sie alle kreischten Kises Namen und viele von ihnen hatten Kameras dabei und hielten Fotos in der Hand, die Kise offensichtlich unterschreiben sollte. Takao hatte sich halb weggedreht, um vor der verrückten Meute zu fliehen, als etwas Unvorstellbares passierte. Er spürte einen kräftigen Arm um seine Taille, dann wurde er herum gewirbelt und im nächsten Augenblick hatte er ein Paar weicher aber nachdrücklicher Lippen auf seinem Mund. Die kreischende Menge schnappte einstimmig nach Luft und Takao wusste in den Tiefen seines benebelten Gehirns, dass mindestens zwanzig Fotos von diesem Moment entstanden waren, während er noch versuchte, keinen Herzinfarkt zu erleiden. Was um alles in der Welt…? Dann ging das Kreischen wieder los. Kise entließ Takao aus seinem Griff und grinste zu ihm hinunter. Takao wusste, dass er ohnehin keine Erwiderung heraus bekommen hätte und so hastete er seinen Teamkameraden hinterher zu den Duschen. Er wagte es nicht, Shin-chan anzuschauen, der so eine öffentliche Darstellung von Intimität sicherlich nicht passend fand. Milde ausgedrückt. »Sag mal, Takao… Seit wann läuft was zwischen dir und Kise-kun?« »Ja, Alter, wie hast du es geschafft, ein Model rumzukriegen? Vielleicht kann Kise uns ein paar seiner weiblichen Kolleginnen vorstellen…?« Takao hatte nicht besonders viel Lust über sein vorgetäuschtes Liebesleben zu sprechen, doch er brauchte gar nicht zu antworten, denn Ootsubo wies die anderen an, nicht so neugierig zu sein. Shin-chan knallte seinen Spind besonders laut zu und Takao seufzte. Soviel zu ihrer sich erholenden Beziehung. Pustekuchen. * »Model und aufstrebender Stern am Basketballhimmel Kise Ryouta homosexuell?« »Kise Ryouta und seine geheime Liebschaft!« »Kise Ryouta, Mädchenschwarm und junger Basketballstar der Kaijou High, in einer Beziehung mit Shutoku Highs Takao Kazunari?« Takao massierte sich seine Schläfen und legte das vierte Klatschblatt beiseite. Verschiedene Leute aus seiner Klasse hatten ihm die Zeitschriften mit entsprechenden Fotos und Schlagzeilen und Artikeln dazu serviert. Die Bilder sahen zugegebenermaßen ziemlich gut aus, was vermutlich vor allem an Kises überragendem Aussehen lag. Vermutlich sah jedes Foto, auf dem Kise zu sehen war, gut aus. Dummerweise hatte Takao nicht darüber nachgedacht, dass Kises Ruhm und seine Bekanntheit nun ungewollt auf ihn übertragen werden würde, doch er wusste genau, wieso Kise dieses Drama herauf beschworen hatte. Er schien wirklich sehr entschlossen zu sein, Aomine für sich zu gewinnen. Denn so würde Aomine auf jeden Fall davon erfahren, dass Kise angeblich mit Takao zusammen war, ohne dass Kise es ihm übermäßig auffällig unter die Nase reiben musste. »Hey Aomine, ich bin jetzt übrigens mit Kazunari zusammen! Na, bist du schon ordentlich eifersüchtig?«, war irgendwie kein besonders subtiler Weg, Aomine die Botschaft zu unterbreiten. Aber so würde Aomine durch irgendjemanden Drittes von der Neuigkeit erfahren und würde sehr wahrscheinlich nicht auf die Idee kommen, dass diese Entwicklungen irgendetwas mit ihm zu tun hatten. Kise war unglaublich. Zu Takaos Überraschung hatte Shin-chan trotz seiner anfänglichen Abweisung nicht wieder damit angefangen, Takao zu ignorieren und so zu tun, als wäre er der König der Welt. Er verhielt sich so normal, wie es für Midorima Shintarou einen Zustand der Normalität geben konnte. Allerdings warf er den Magazinen auf Takaos Tisch einen abfälligen Blick zu setzte sich schweigend auf seinen Platz neben Takao. Vor sich auf den Tisch stellte er eine kleine hölzerne Kitsune-Figur. »Der Glücksbringer für heute?«, fragte Takao und deutete auf den Fuchs. Shin-chan nickte. »Laut Oha Asa ist heute der ideale Tag für Krebse«, erwiderte er und nickte nachdrücklich. Takao hatte nie an diesen ganzen Horoskopkram geglaubt. Allerdings fand er es beunruhigend, wie Shin-chan einfach mit der Kraft seiner Überzeugung dazu beitragen konnte, dass sich sein Horoskop jedes Mal erfüllte. Es war ein bisschen wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Shin-chan schaffte Dinge, weil er daran glaubte, dass das Horoskop Recht hatte und er glaubte daran, weil er all die Dinge schaffte, die er sich vornahm. Merkwürdig und schräg, aber überraschend erfolgreich und effizient. »Na dann viel Glück für heute«, sagte Takao schmunzelnd. Shin-chan schnaubte. »Es hat nichts mit Glück zu tun«, informierte er Takao. Takao hob abwehrend die Hände und grinste noch etwas breiter. »Natürlich nicht, Shin-chan.« * »Ich denke, wir sollten Händchen halten«, verkündete Kise, als er mit Takao auf dem Weg in eine Eisdiele war. Takao hatte seine Hände in die Hosentaschen gesteckt und sah Kise etwas unbehaglich von der Seite an. Er war normalerweise wirklich nicht der Typ dafür, sich für sich oder seine sexuelle Orientierung zu schämen, aber diese ganze Öffentlichkeitsschiene, die Kise fuhr, machte ihn etwas unruhig. Vor allem seit das Foto von ihnen beiden in vielen verschiedenen Zeitschriften erschienen war. Fans von Kise belagerten nun auch Takao, um ihm Fragen über seinen »Freund« und »ihre Beziehung« zu stellen und letzte Nacht hatte er seiner Mutter erklären müssen, wieso eine Horde junger Mädchen ihm bis nach Hause gefolgt und über eine Stunde vor seiner Haustür gewartet hatte. Allerdings befand er auch, dass es unmöglich noch schlimmer werden konnte. Zwar waren gerade scheinbar keine Fans in der Nähe, aber man wusste nie, hinter welchem Müllcontainer jemand hervorspringen würde und so zog er seine rechte Hand aus der Hosentasche und Kise griff danach. Eigentlich war es wirklich nett. Takao mochte Kise und er hätte absolut nichts dagegen, eine Beziehung mit ihm zu haben. »Hat sich denn schon was getan? Bei Aomine, meine ich«, fragte Takao, während sie Händchen haltend die Straße hinunter gingen. Einige Leute beobachteten sie scheel und Takao bemühte sich, es nicht zu sehen. Seine Augen informierten sein Gehirn darüber, dass einige Schritte hinter ihnen ein paar junge Mädchen tuschelnd darüber berieten, ob sie sie – oder nur Kise – ansprechen sollten. »Momoicchi hat mich vorgestern angerufen und mich darüber ausgefragt, ob es stimmt, was die Zeitungen so schreiben. Vielleicht ist sie wirklich selber daran interessiert, aber sie wird es sicherlich auch Aominecchi erzählt haben«, erklärte Kise nachdenklich, dann breitete sich ein Strahlen auf seinem Gesicht aus und er blickte zu Takao hinunter. Wieso mussten auch alle Mitglieder der Generation der Wunder so riesig sein? Von diesem Murasakibara wollte er gar nicht anfangen – er war froh, dass sie bislang noch nicht gegen ihn gespielt hatten – aber auch Aomine, Kise und natürlich Shin-chan überragten Takao um mehr als nur ein paar Zentimeter. Bei Aomine störte ihn das, weil er den Kerl einfach nicht leiden konnte. Bei Shin-chan… nun ja. Bei Shin-chan löste der Umstand ihres Größenunterschieds allerlei Gefühle in Takao aus, über die er lieber nicht weiter nachdenken wollte. »Du hoffst also, dass er bald vor deiner Tür auftaucht und sich dir schmachtend um den Hals wirft?«, erkundigte sich Takao amüsiert. Kise gluckste leise und wedelte mit seiner Takao-freien Hand abwinkend vor Takaos Gesicht herum. »Unsinn! Ich hoffe, dass er brummig ist und rumdruckst und ich ihn mit meiner Unschuldsmiene zum Explodieren bringe. Und dann werde ich idealerweise gegen die nächstbeste Wand gedrückt und–« »Danke, danke! Das reicht schon!«, rief Takao aus und spürte, wie seine Wangen heiß wurden. Kise lachte auf diese Art und Weise, die einem suggerierte, dass ihn kein Wässerchen trüben konnte. Aber Takao wusste es besser. »Ist das da drüben nicht Midorimacchi?«, meinte Kise in diesem Moment und Takaos Augen fokussierten sofort auf die Straßenseite, zu der Kise mit dem Kopf geruckt hatte. Und ja. Midorima Shintarou – eine hässliche Sonnenbrille auf und eine Tageszeitung vor der Nase – hockte auf einer der Bänke mitten in der Fußgängerzone. Diesen Haarschopf, die umwickelten Finger und diese ausgesprochen scheußliche Sonnenbrille hätte er überall erkannt. »Hey, Shin-chan!«, rief Takao über die Straße und winkte grinsend zu seinem Freund hinüber. Shin-chan ließ seine Zeitung sinken und blickte sich nach links und rechts um, so als könnte noch jemand anders gemeint sein, der von Takao Shin-chan genannt wurde. Takao ließ Kises Hand los und wechselte eilig die Straßenseite, ehe er vor Shin-chan stehen blieb und zu ihm herunter feixte. »Was machst du denn hier, Shin-chan?«, wollte er wissen. Kise kam neben ihm zum Halten. »Lesen«, entgegnete Shin-chan steif und hielt kurz seine Zeitung hoch. »Du bist nicht gerne draußen unter Menschen«, erinnerte Takao ihn und Shin-chan zog seine Brauen zusammen. »Ich muss mich nicht vor dir rechtfertigen, Takao. Ich kann lesen, wo ich will«, entgegnete Shin-chan ungehalten und schob seine Brille nach oben. Takao zuckte mit den Schultern. »Kise und ich wollen ein Eis essen gehen. Willst du mitkommen?« Shin-chan schnaubte und Takao wusste, dass seine Augen hinter den dunklen Gläsern auf Kise ruhten. »Auf keinen Fall«, sagte er. »Ach, komm schon, Midorimacchi! Es wird sicher lustig«, drängelte Kise und Takao registrierte im nächsten Augenblick, dass Kise seine Hand wieder ergriffen hatte. »Das wage ich zu bezweifeln«, meinte Shin-chan trocken und erhob sich. Er war ein kleines Stück größer als Kise und sein Gesicht sah wie die meiste Zeit über aus, als wäre es aus Stein gemeißelt. »Ah, Kazunari«, klagte Kise und warf sich Takao um den Hals, »Midorimacchi ist immer so gemein zu mir!« »Ich bin sicher, du wirst es überleben. Er ist auch bei weitem nicht so gemein zu dir wie Aomine«, sagte Takao mit einem vielsagenden Blick zu Kise. Kise schob seine Unterlippe vor und schmollte, während Takao sich ein enttäuschtes Bauchgefühl nicht verkneifen konnte, weil Shin-chan nicht mit ihnen zusammen Eis essen gehen wollte. Natürlich wollte er das nicht, das verwunderte Takao nicht. Aber es wäre irgendwie… nett gewesen, mit Shin-chan Zeit zu verbringen, ohne dass sie Basketball spielten oder Hausaufgaben machten. Es war lächerlich und Takao wusste es, aber dann hätte er sich für ein paar Sekunden vorstellen können, dass er eigentlich mit Shin-chan zusammen war und nicht mit Kise eine Beziehung vorspielte. Zum hundertsten Mal dachte er darüber nach, Shin-chan einfach zu sagen, dass er und Kise gar nicht wirklich zusammen waren, aber was würde das schon bringen? Shin-chan wollte ohnehin nichts von ihm wissen – nicht auf diese Weise. »Wie kommt es eigentlich, dass du hier liest, Shin-chan?« »Ich wohne in der Nähe.« »Red keinen Blödsinn! Ich karre dich jeden Tag zur Schule, ich weiß genau, wo du wohnst!« Shin-chan schien zu denken, dass er erhaben darüber war, eine solch banale Frage zu beantworten, denn er machte einfach nur »Tch« und schob erneut seine Brille auf dem Nasenrücken nach oben. »Na schön. Wir machen uns auf den Weg. Viel Spaß noch beim Lesen«, sagte Takao schulterzuckend und hob kurz die Kise-freie Hand. Shin-chan erwiderte seinen Gruß nicht. Er stand einfach nur mit seiner bekloppten Sonnenbrille und seiner Zeitung da und Takao fragte sich, ob er ihnen nachschaute. * »Momoicchi hat mich heute noch mal anrufen und gefragt, wie es mit uns beiden läuft.« »Oh, gut. Vielleicht hat Aomine sie unter Tränen gebeten, bei dir anzurufen.« »Hey!« »Ist doch wahr. Aomine ist ein Arschloch und interessiert sich nur für sich selbst.« * Takao hatte ein wenig Angst, sich an diese ganze Beziehungskiste mit Kise zu gewöhnen. Mittlerweile griffen sie beinahe automatisch nach der Hand des jeweils anderen und Kise hatte Takao insgesamt vier Mal geküsst. Jedes Mal vor Publikum natürlich, aber nichtsdestotrotz war Takao nicht umhin gekommen festzustellen, dass Kise ein sehr guter Küsser war. Er stellte sich vor, wie Shin-chans Küsse sich wohl anfühlen mochten. Wahrscheinlich weniger spielerisch und eher… methodisch. Gab es sachliche Küsse? Sachliche, methodische Küsse? Wenn ja, dann würde Shin-chan sicherlich küssen, als hätte er es aus irgendeinem Regelwerk auswendig gelernt. »Takao.« Takao blickte auf. Er war gerade dabei, seine Tasche zu packen. Heute war sein einzig freier Tag in der Woche. Ein ganzer Nachmittag und Abend dafür reserviert, sich in seinem Zimmer zu verbarrikadieren, Videospiele zu spielen und Süßigkeiten in sich hineinzustopfen – etwas, das er wegen des Sports nur selten tat. »Was gibt’s, Shin-chan?« Shin-chan ragte vor seinem Tisch auf wie ein grimmig dreinblickender Riese mit blitzenden Brillengläsern. Er schob sein Brillengestell nach oben. »Ich will, dass du mich in die Stadt fährst. Ich brauche neues Tape«, verkündete Shin-chan mit ernster Miene. Takao schnaubte und erhob sich mit seiner Tasche. »Keine Chance, Shin-chan. Ich hab heute frei. Es ist Donnerstag. Donnerstag ist mein Tag«, gab er zurück und warf sich seine Schultasche über die Schultern. Shin-chan presste seine Lippen aufeinander. »Letzten Donnerstag warst du mit Kise Eis essen, also kannst du mich auch in die Stadt fahren.« Takao starrte Shin-chan an. Erst einmal war es merkwürdig, dass Shin-chan sich den Wochentag gemerkt hatte, an dem Takao mit Kise in der Stadt gewesen war. »Das ist was anderes. Eis essen macht Spaß. Dich durch die Gegend zu kutschieren nicht«, erwiderte Takao kopfschüttelnd und machte sich auf den Weg zur Klassenzimmertür. Und dann geschah etwas, das noch nie zuvor geschehen war. »Wenn es unbedingt sein muss, können wir auch den Bus nehmen.« Takaos Körper fror ein und er drehte den Kopf, um hoch in Shin-chans Gesicht zu sehen. Shin-chan starrte sehr konzentriert geradeaus und sah ganz besonders steif aus, wenn überhaupt noch eine Steigerung möglich war. »Du. Mit dem Bus. In die Stadt? Du hasst öffentliche Verkehrsmittel«, informierte Takao Shin-chan fassungslos. Shin-chan schnaubte. »Und war deine Rolle Tape nicht gestern noch halb voll?« »Man sollte immer einen Vorrat haben.« Takaos Kinnlade klappte ein wenig nach unten. Wenn er nicht wüsste, dass hier Midorima Shintarou vor ihm stand, hätte er eventuell vermutet, dass Shin-chan auf eine sehr ungeschickte Art und Weise versuchte, Zeit mit Takao zu verbringen. Und weil ihm nichts Besseres einfiel, wollte er Tape kaufen fahren. Er nahm sogar öffentliche Verkehrsmittel in Kauf. Takaos Herz veranstaltete einen aufgeregten Tanz in seiner Brust und sein Magen fühlte sich an, als würde er einen Saltowettbewerb gewinnen wollen. Mist. »Ok«, sagte er und konnte das aufgeregte Krächzen in seiner Stimme nicht ganz unterdrücken. Shin-chan nickte knapp und dann gingen sie schweigend nebeneinander her, durch die lärmenden Gänge der Schule. Leute machten sofort Platz, wenn sie Shin-chan kommen sahen. Shin-chan machte für niemanden Platz. Das war schon immer so gewesen, seit Takao ihn kannte. Takao verschränkte die Arme hinter dem Kopf und konnte einfach nicht umhin zu grinsen. Er würde mit dem Bus in die Stadt fahren und dort mit Midorima Shintarou Tape kaufen. Vielleicht konnte er Shin-chan ja sogar dazu überreden, mit ihm ein Eis zu essen? Oder irgendetwas mit weniger Kalorien. Takao würde mit Shin-chan auch eine Portion grünen Blattsalat oder ein paar Proteinriegel essen, wenn das hieß, dass sie so mehr Zeit miteinander verbringen konnten. Takao merkte die ganze Busfahrt über – sie dauerte etwa fünf Stationen – Shin-chans Unbehagen. Er war beeindruckt, wie stocksteif Shin-chan stehen konnte, obwohl der Bus gehörig bei jeder Kurve schwankte und Takao musste sich eingestehen, dass er die körperliche Nähe zu Shin-chan sehr schätzte, als sie bei jeder Biegung gegeneinander gedrückt wurden. »Du warst sehr tapfer, Shin-chan«, sagte Takao schmunzelnd, als sie endlich ausgestiegen waren. Shin-chan warf ihm einen strengen Seitenblick zu und stapfte in Richtung Fußgängerzone davon. Es war sehr merkwürdig mit Shin-chan Dinge zu tun, die nichts mit Schule oder Basketball zu tun hatten. Nun ja, indirekt hatte sein Tape natürlich auch mit Basketball zu tun, aber Takao nutzte die Gelegenheit und berichtete Shin-chan die neusten Nervigkeiten seiner Geschwister, was Kise ihm über die Modelbranche berichtet hatte und wie weit er momentan in seinem aktuellen Videospiel gekommen war. Auch wenn Shin-chan Takao kaum ansah, hatte Takao doch das Gefühl, dass er ihm zuhörte und bei einem besonders ausschweifenden Bericht über Takaos letztes Versagen an der Konsole zuckten Shin-chans Mundwinkel sogar ein wenig. Takao hatte den Eindruck, dass Shin-chan besonders lange brauchte, um sein Tape auszuwählen, doch schließlich hatte er sich für insgesamt drei Rollen entschieden und ging damit zur Kasse. Takaos Gedanken rasten. Wie konnte er möglichst unauffällig und lässig vorschlagen, dass sie sich an dieser Stelle noch nicht trennten, sondern noch irgendetwas anderes unternahmen, vielleicht einen Burger oder– »Wollen wir noch was essen gehen, Shin-chan?«, platzte es aus ihm heraus. Unauffällig oder lässig: nicht erfüllt. Dabei war er normalerweise ein sehr entspannter Mensch. Aber jetzt raste sein Herz wie ein Shinkansen. Shin-chan räusperte sich und verstaute sein Tape in seiner Schultasche. Dann blickte er zu Takao hinunter. »Keine Burger«, mahnte er streng und Takaos ganzer Körper wurde von einer Welle der Erleichterung und leichtsinnigem Übermut überrollt. »Ok, keine Burger. Wie wäre es mit Eis?« »Takao…« »Frittierte Calamari?« »Takao!« »Ok, ok. Salat. Oder Proteinriegel.« * Takao hatte ein Problem. Seit seinem merkwürdigen Nachmittag mit Shin-chan war er – und es gab kein besseres und weniger beunruhigendes Wort für seinen Zustand – besessen. Er hatte versucht, den Gedanken abzuschütteln, dass Shin-chan definitiv Zeit mit ihm hatte verbringen wollen, aber es hatte einfach nicht geklappt. Vielleicht störte es Shin-chan, dass Takaos ungeteilte Aufmerksamkeit nicht mehr auf ihm ruhte, sondern dass Takao nun auch recht viel Zeit mit Kise verbrachte. Takao hatte nun mit jedem Tag mehr Schwierigkeiten, seine Gedanken bezüglich Shin-chan abzustellen. Dauernd stellte er sich vor, wie es wäre, Shin-chan zu küssen, ihn mit zweideutigen Sprüchen zum Rotwerden zu bringen und in verstohlenen Momenten irgendwo in den Gängen der Sporthalle seine Hand zu nehmen. Seine körperliche Widerstandskraft gegen Shin-chan schien vollkommen ihren Geist aufzugeben und Takao musste alles an Selbstdisziplin aufbringen, um Shin-chan nicht andauernd wie zufällig zu berühren. Wo um alles in der Welt hatte er sich nur hinein geritten? Er hatte Midorima Shintarou besiegen wollen. Dann hatte er sein Ziel geändert und sich vorgenommen, von ihm Anerkennung zu bekommen. Und jetzt hockte er erfolglos über seinen Hausaufgaben und stellte sich vor, an welchen Stellen man Shin-chan wohl küssen musste, damit er aufhörte, sein kühles und beherrschtes Selbst zu sein. Außerdem hatte Takao bemerkt, dass Shin-chan ihn beobachtete. Regelmäßig kribbelte sein Nacken, doch immer dann, wenn Takao aufblickte, sah Shin-chan irgendwo anders hin. Nicht, dass ihm das viel nützen würde, da Takaos Fähigkeit des Rundumblicks ihm schon längst bestätigt hatte, dass seine Vermutungen stimmten. Takao wünschte sich so sehr, dass Shin-chans merkwürdiges Verhalten bedeutete, dass er Takao auch mochte, auch wenn er ganz genau wusste, dass es genauso gut Shin-chans Versuch sein könnte, mit dieser ganzen neuen Takao-ist-offiziell-bisexuell-Angelegenheit klar zu kommen. Nicht, dass Takao glaubte, dass Shin-chan sich an den Gedanken wirklich besser gewöhnen könnte, nur weil er ihn anstarrte, aber vermutlich fiel Shin-chan nichts Besseres ein. Vielleicht war Takao nun offiziell so etwas wie eine komplizierte Matheaufgabe, die es zu lösen galt. Takao hatte keine Ahnung, was außerhalb des Basketballfeldes in Shin-chans Kopf vor sich ging. Kise winkte ab, als Takao ihm von Shin-chans komischem Verhalten berichtete. »Midorimacchi war immer schon ein wenig seltsam.« Kise hatte Takao vom Training abgeholt und er bestand auch weiterhin darauf, regelmäßig Takaos Hand zu halten. An diesem Tag schien er in besonders kuscheliger Stimmung zu sein. Während seine Teamkameraden die Sporthalle verließen, schmiegte Kise sich an seine Seite und drückte ihm einen sachten Kuss auf die Stirn. Takao hüstelte leise und spürte, wie ihm warm wurde. Ja, er war in Shin-chan verliebt. Sehr. Aber das hieß ja nicht, dass er nicht trotzdem andere Leute attraktiv finden konnte. Und wenn so eine Granate wie Kise sich an einen drückte, dann konnte es schon mal passieren, dass einem ein wenig heiß wurde. Takao hoffte sehr, dass Aomine sich bald besinnen und Kise seine unsterbliche Liebe gestehen würde, damit er und Kise mit diesem Spielchen aufhören konnten. Sonst würde Takao womöglich vor lauter angestauter sexueller Frustration krepieren. »Oi, Midorimacchi!«, rief Kise und winkte Shin-chan zu, der gerade an ihnen vorbei ging. Shin-chan warf Kise nur einen seiner mörderischen Blicke zu, dann schob er seine Brille nach oben und stapfte von dannen. Takao hätte ihn ernster nehmen können, wenn er nicht einen riesigen Plüschpanda mit sich herumgetragen hätte. Takao seufzte und fragte sich, ob er Kise davon erzählen sollte, dass er in Shin-chan verliebt war. Aber Kise plapperte gerade gut gelaunt darüber, wie Momoi ihn in der letzten Woche mindestens dreimal angerufen hatte und Kise sie immer fleißig mit allen möglichen – und größtenteils erfundenen – Details über seine Beziehung zu Takao fütterte. »Mal sehen, wie lange Aominecchi das noch aushält«, frohlockte Kise. Takao fragte sich, wie lange er das noch aushielt. * Wie es sich heraus stellte, war Aomine Daiki an seine Grenzen gelangt. Es war Donnerstag, Takaos freier Tag, den er heute damit verbrachte, mit Kise auf einem der Basketballplätze im Park One-on-one zu spielen. Er machte sich gar nicht allzu schlecht gegen Kise, der ihn dauernd lobte und beeindruckt Takaos Fähigkeiten kommentierte. Takao dachte sich stumm, dass er wahrscheinlich an einem überraschten Herzinfarkt sterben würde, wenn Shin-chan ihm jemals solche Komplimente machen würde. Was selbstredend vollkommen absurd war. Takao war gerade dabei zu versuchen, Kise einen weiteren Korb abzuringen, als er vom Rand des Feldes ein verächtliches Schnauben und eine schnarrende, ihm wohl bekannte und ungeliebte Stimme vernahm. »Jo, Kise. Spielst du jetzt aus Verzweiflung schon gegen komplette Verlierer?« Takao brauchte sich nicht umdrehen, um sich vorstellen zu können, wie Aomine Daiki breitbeinig und mit den Händen in seinen Hosentaschen am Spielfeldrand stand, als gehörte ihm die Welt. Takao hatte das arrogante Grinsen genau vor Augen und grummelte leise in sich hinein. Er schnappte Kise den Ball aus den Händen, dribbelte an ihm vorbei und versenkte den Basketball im Korb. Er kam dumpf auf dem Boden auf und kullerte quer über das Feld, wo er liegen blieb. Kise sah verärgert aus und Takao war dankbar dafür. Es wäre ihm absolut nicht recht gewesen, wenn Kise sich Aomine anbiedern und so tun würde, als wäre Takao tatsächlich ein Versager und ein schlechter Zeitvertreib. »Es wäre mir lieb, wenn du Kazunari nicht beleidigen würdest, Aominecchi«, sagte er und sein übliches naives Strahlen blieb diesmal aus. Takao drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um zu sehen, wie Aomine das überlegene Grinsen aus dem Gesicht fiel. Takao musste sich eingestehen, dass Kise vermutlich Recht hatte. Aomine stand auf Kise und er hatte keine Ahnung, wie er mit diesen Gefühlen umgehen sollte. Und es war offensichtlich, dass er es nicht mochte, wie Kise Takao ansprach. Takao sah einen Muskel an Aomines Kiefer zucken. Kise hatte offenbar beschlossen, dass jetzt nicht der richtige Moment für sein übliches aufgedrehtes und täuschend unschuldiges Selbst war. Takao lief ein leichter Schauer über den Rücken, als er die schmalen Augen funkeln sah. Ein Raubtier hätte seine Beute nicht hungriger ansehen können und Takao hätte sich nur allzu gerne aus dem Staub gemacht, um die beiden in trauter Zweisamkeit zurückzulassen. Allerdings hatte Kise andere Pläne für Takao. Er stellte sich neben ihn und ein muskulöser Arm glitt um Takaos Taille. Takao spürte Kises feuchtes Shirt an seinem Oberarm und beobachtete halb interessiert und halb beunruhigt, wie Aomines Kiefer zu mahlen begann, während er sie nicht aus den Augen ließ. Aomine war gefährlich, das wusste Takao. Doch er wusste auch, dass er, wenn er nicht mit Kise befreundet wäre und die Wahl hätte, eher vor Kise Reißaus nehmen würde. Vielleicht nicht auf einem Basketballplatz. Aber überall sonst. »Dein Geschmack lässt zu wünschen übrig«, schnarrte Aomine und machte ein paar Schritte auf sie zu. Takao wusste genau, wie das Schmunzeln auf Kises Gesicht gerade aussah. Er wollte gerade den Mund öffnen, um Aomine zu eröffnen, dass er ein arroganter Saftsack war, der keinerlei Ahnung von gutem Geschmack hatte, als »Wir können nicht alle Menschen auf ihre Brüste reduzieren und so tun, als wäre das der Inbegriff von gutem Geschmack«, gab Kise beiläufig zurück. Aomine schnaubte. Für Takaos allgemeines Wohlergehen war Aomine eindeutig zu nahe, aber Kise schien nicht gewillt zu sein, Takao aus seinem schraubstockartigen Griff zu entlassen. Stattdessen schien er sich sogar noch näher an Takao zu pressen. Aomine sah Takao an, als wäre er eine Kakerlake, die er gerne unter seinen Turnschuhen zerquetschen würde. Takao tat etwas Verwegenes und griff nach Kises Hand, die um seine Taille gelegt war. Im nächsten Moment spürte er einen stechenden Schmerz und taumelte rückwärts, stolperte über den dort liegenden Basketball und fiel hinten über. Sein Kopf fühlte sich an, als wäre er in zwei gespalten und ihm wurde durch einen Schleier von Schmerz und Verwirrung klar, dass Aomine Daiki ihm gerade einen kräftigen Schlag verpasst hatte. Takaos Nase blutete und er fragte sich dunkel, ob er sich auch den Hinterkopf aufgeschlagen hatte. Das Blut in seinen Ohren rauschte und er hörte nur verschwommen, wie Kise Aomine anschrie. Dann hörte er gar nichts mehr. * Takao hatte erst einmal in seinem Leben ein Veilchen gehabt und das war, als seine kleine Schwester ihm ausversehen vor lauter Aufregung einen Controller ihrer Playstation ins Auge gehauen hatte. Dieses Veilchen hatte nicht besonders wehgetan, weil es seiner Schwester sehr leid getan und sie ihm danach eine Menge Süßigkeiten zum Trost gebracht hatte. Dieses neue Veilchen tat höllisch weh und Aomine Daiki brachte ihm sicherlich keine Süßigkeiten zum Trost, auch wenn Kise sich etwa hundert Mal bei ihm entschuldigte und ihn zu einem Arzt brachte, ehe er Takao ein Taxi nach Hause bezahlte. Takao trug jetzt einen Kopfverband und ein Nasenpflaster und hatte wegen seiner Kopfwunde mindestens zwei Wochen Sportverbot bekommen. Seine Teamkollegen fragten halb besorgt und halb amüsiert, was genau denn passiert sei und im ersten Moment hatte Takao den unerklärlichen Impuls zu lügen. Aber wieso sollte er Aomine in Schutz nehmen? Er entschied sich im Bruchteil einer Sekunde anders und erklärte: »Aomine hat mir eine reingehauen, weil es ihm nicht passt, dass ich mit Ki–… Ryouta zusammen bin.« Eine dröhnende Stille folgte. Takaos Augen suchten und fanden Shin-chan, dessen Gesicht Takao überraschte. Es war eine Maske aus reinem Zorn. Takaos Herz stolperte und fing dann an zu rasen. Sein Gehirn skizzierte rasch eine unrealistische aber temperatursteigernde Szene, in der Shin-chan an Takaos Bett hockte und ihm sachte die Haare aus dem Gesicht strich, wobei er Verwünschungen gegen Aomine flüsterte und schwor, dass er ihn bei ihrer nächsten Begegnung im Basketball zahlen lassen würde. Immerhin, dachte Takao durch einen Schleier von Herzrasen und Magenkribbeln hindurch, Shin-chan schien wirklich sauer auf Aomine zu sein, weil dieser Takao geschlagen hatte. Ob das nun daran lag, dass Shin-chan sich wirklich Sorgen um Takao machte, oder ob seine Wut vor allem daher kam, dass Takao nun zwei Wochen beim Training ausfiel, konnte er nicht sagen. »Wenn wir irgendwann gegen ihn spielen, machen wir ihn platt!« »Halt deine Ananas bereit, wir verwenden sie lieber auf Aomine als auf Midorima!« »So ein Arschloch. Ich hoffe er kriegt Magendarm und stößt sich jeden Tag einen anderen Zeh!« Alle lachten über diese Verwünschung und selbst Shin-chans Mundwinkel zuckten für einen kaum merklichen Moment. Takao wusste, dass Shin-chan Kuroko und Kagami gewissermaßen als seine Hauptrivalen auserkoren hatte, doch im Moment sprachen seine Augen eine Sprache, die Takao schon kannte. Die des hungrigen Biests. Das Training fand trotz Takaos Verletzung statt und Takao hatte auf diese Weise einmal die Gelegenheit, Shin-chan von außen in Aktion zu sehen und ihn bei der Teamarbeit mit den anderen zu beobachten. Zugegebenermaßen schien er nicht besonders willig zu sein, sich auf irgendjemanden außer Takao einzustellen, auch wenn er sich dazu herabließ, ein paar Mal an Ootsubo zu passen. Eine Meisterleistung des Nachgebens, wie Takao befand. Von so einem hohen Ross wie dem von Shin-chan stieg man eben nicht innerhalb von zwei Wochen herunter. Auch, wenn Takao zugeben musste, dass Shin-chans Ross bei weitem nicht so hoch war wie das von Aomine Daiki. Shin-chan kam immerhin regelmäßig zum Training und übte auch alleine unablässig, wohingegen Aomine teilweise sogar zu faul war, um pünktlich bei einem Spiel aufzutauchen. Takao wusste, dass Momoi-san und Kise versuchten, Aomine dazu zu überreden sich bei Takao zu entschuldigen, aber Takao hatte nach kurzem Nachdenken beschlossen, dass er darauf verzichten konnte. Immerhin wusste er, dass Aomine es ohnehin nicht ernst meinte, also welchen Wert hätte eine solche Entschuldigung? Er schnaubte bei dem Gedanken an Aomines wütende Miene, als er Takao und Kise so nah beieinander gesehen hatte. Nachdenklich griff er sich an den Kopfverband und schloss für einen Moment die Augen. Dann passierten mehrere Dinge gleichzeitig. Miyaji rief »Scheiße!«, Kimura brüllte »Takao, Achtung!« und dann gab es einen Knall. Takao riss die Augen auf. Shin-chan stand vor ihm, den Arm ausgestreckt. Takao sah, wie der Basketball, der gerade das knallende Geräusch auf Shin-chans flacher und eingewickelter Hand gemacht hatte, zu Boden fiel. Irgendjemand schien einen Pass versaut zu haben und Takaos ohnehin schon lädierter Kopf wäre beinahe Opfer eines weiteren Unfalls geworden, wenn Shin-chan den Ball nicht abgefangen hätte. Takao fiel einmal mehr auf, wie groß Shin-chan eigentlich war. Er bückte sich nach dem Ball, warf einen Blick über seine Schulter hinunter zu Takao und ging dann zurück aufs Spielfeld, wobei er sich einmal mehr die Brille auf die Nasenwurzel nach oben schob. Takao befürchtete, dass er gleich vor lauter Erregung von der Bank kippen würde. Shin-chan hatte auf ihn Acht gegeben. Sein völlig durchgedrehtes Gehirn entwarf rasch eine Szene, in der Shin-chan neben ihm stand, als Aomine zum Schlag gegen ihn ausholte und Aomines Faust wie den Basketball abfing. Er beschloss, direkt nach dem Training heim zu fahren und erst einmal zu duschen. Wenn er seine Gedanken über Shin-chan nicht bald unter Kontrolle bekam, dann würde er noch wahnsinnig werden. Und das wollte Takao, wenn es irgendwie möglich war, vermeiden. * Wie es sich heraus stellte, hatte sich Aomine zähneknirschend und auf Drängen von Momoi-san bei Kise entschuldigt, nachdem dieser verkündet hatte, dass er nie wieder mit Aomine sprechen würde, wenn dieser sich nicht zusammen riss und versuchte, sich nicht mehr wie der letzte Armleuchter zu verhalten. Takao dachte still bei sich, dass Aomine die Entschuldigung an Kise gerichtet vermutlich sogar ernst meinte. Er legte allerdings keinen Wert darauf, dass Kise die Entschuldigung auch an Takao weiterleitete. Sein Kopf tat immer noch weh und es juckte ihn im ganzen Körper, wieder Basketball zu spielen. An einem Montagnachmittag überraschte Shin-chan Takao, indem er verkündete, dass Takao ihn an diesem Tag nicht nach Hause fahren müsste, da er noch etwas erledigen wollte. »Soll ich dich dann zu deiner Erledigung hinfahren?«, wollte Takao wissen. Langsam fing der Kopfverband an, ihn wirklich zu nerven. Shin-chan schüttelte den Kopf, straffte seine Schultern und sah Takao eine ganze Weile lang nachdenklich an. Sein Blick klebte an dem Kopfverband und Takao spürte, wie seine Haut anfing, heftig zu kribbeln. Es war doch zum Mäusemelken. Wann würde sich diese Verliebtheit endlich verflüchtigen? »Na gut. Dann viel Erfolg, Shin-chan«, meinte Takao schulterzuckend und versuchte, sich sein Herzrasen nicht anmerken zu lassen. Er hatte diese Fähigkeit der Verschleierung perfektioniert, wie er fand. »Den werde ich haben«, sagte Shin-chan mit einer Endgültigkeit, als könnte er tatsächlich Hellsehen. Takao grinste breit und hob kurz die Hand, dann machte er sich auf den Weg zu seinem Fahrrad, das mit einem leeren Anhänger sehr viel leichter zu bewegen war als mit Shin-chan und einem potentiell tonnenschweren Glücksbringer darin. * Takao brütete gerade über einer besonders kniffligen Matheaufgabe, als sein Handy vibrierte. Takao warf einen Blick darauf, sah, dass Kise versuchte, ihn anzurufen und beschloss, dass er ihn nach seinen Hausaufgaben zurückrufen konnte. Kise versuchte viermal, Takao telefonisch zu erreichen, dann piepte Takaos Handy, um ihm eine empfangene SMS zu verkünden. »Midorimacchi hat Aominecchi eine blutige Lippe geschlagen!!!!« Takao starrte die Nachricht an, las sie insgesamt sechsmal und schüttelte den Kopf, um sicher zu gehen, dass seine Verletzung ihm jetzt nicht auch noch Halluzinationen bescherte. Shin-chan hatte gesagt, dass er noch etwas zu erledigen hatte. Er hatte Takaos Fahrdienste verweigert. Midorima Shintarou war ausgezogen, um Aomine Daiki einen Kinnhaken zu verpassen, nachdem Aomine Takao geschlagen hatte. Sein Handy piepte erneut. »Und dann hat er gesagt: Wenn du dich nicht von Takao fernhältst, dann wird dir das leidtun, Aomine-kun.« »Ruf mich an!!!!« »Momoicchi ist außer sich!« Takao fluchte und schaltete sein Handy ab. Er hatte keine Lust zu telefonieren. Sein Herz hämmerte und sein Gehirn fühlte sich an, als hätte jemand Brausepulver hinein gekippt. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen und sein ganzer Körper schien unter Strom zu stehen. »Wenn du dich nicht von Takao fernhältst, dann wird dir das leidtun, Aomine-kun.« Dank seines ausgeprägten Vorstellungsvermögens hatte Takao keinerlei Probleme damit, sich Shin-chans tiefe Stimme dabei vorzustellen, wie sie diesen Satz zu einem blutenden und entgeisterten Aomine sagte. Takao atmete mehrere Male tief ein und aus. Er durfte sich nicht in diese Sache hinein steigern. Vielleicht waren sie einfach wirklich besser befreundet, als Takao gedacht hatte. Zum Teufel damit! Takao schaltete sein Handy wieder an. »Wir müssen unsere Beziehung leider auf Eis legen, ich bin in Shin-chan verknallt«, schrieb Takao hastig, stopfte sein Handy in seine Hosentasche und stieß im Flur beinahe mit seiner kleinen Schwester zusammen. »Onii-chan? Wo willst du denn so schnell hin?«, rief sie ihm nach. »Eine Dummheit machen!«, entgegnete Takao und im nächsten Augenblick war er auch schon aus der Tür. Er koppelte den Anhänger von seinem Fahrrad und fuhr los. So leicht war Radfahren schon lange nicht mehr gewesen. Sein Handy vibrierte ununterbrochen in seiner Hosentasche und er entschuldigte sich mental bei Kise, doch jetzt hatte er leider Gottes keine Zeit, um über ihre Pseudobeziehung und über Aomines beknacktes Verhalten und seine emotionalen Defizite zu sprechen. Es ging um Shin-chan und vielleicht ging es auch um Takao und Shin-chan, da war er sich noch nicht allzu sicher. Aber fest stand, dass es irgendeine Art Klärungsbedarf gab und Takao hatte keine Lust noch länger darauf zu warten, dass alle Missverständnisse endlich aus der Welt geschafft waren. Sein Kopf tat bereits nach der Hälfte der Strecke ziemlich weh, aber er hatte keine Zeit sich Gedanken darüber zu machen, dass sein Kopf womöglich wieder blutete – eine schlechte Entscheidung, wie sich am Ende seiner dankenswert kurzen Reise herausstellte. Als er vom Rad stieg, war ihm ziemlich schwindelig und seine Beine fühlten sich an wie Wackelpudding, als er auf die Klingel der Familie Midorima drückte und darauf wartete, dass ihm jemand öffnete. Halb hoffte er schon, dass vielleicht Shin-chans Schwester oder seine Mutter aufmachte, damit er noch ein paar Sekunden Zeit hatte, um sich seine Worte zurechtzulegen, aber natürlich wurde sein Wunsch nicht erfüllt. Als die Tür sich öffnete stand dort Midorima Shintarou in einer gemütlichen Jogginghose, einem weißen T-Shirt und seinem üblichen, steinernen Gesichtsausdruck – zumindest dann üblich, wenn er nicht gerade überheblich schmunzelte. »Takao«, sagte Midorima und Takao lag eine sarkastische Bemerkung über Shin-chans Manieren auf den Lippen. Stattdessen entschied seine Zunge etwas anderes und stolperte voran, ohne sich vorher mit seinem Gehirn abzusprechen, während seine Kopfwunde dumpf pochte und sein Kreislauf sich verabschiedete. »Ich bin gar nicht wirklich mit Kise zusammen«, platzte es aus ihm heraus. Dann wurde ihm schwarz vor Augen. * Als er aufwachte, lag sein Kopf auf einer Kühlpackung und der Rest von ihm war mit einer flauschigen Decke zugedeckt. Er öffnete die Augen und sah als erstes Shin-chans Haarschopf und dann seinen strengen Blick durch blitzende Brillengläser. Takao schaffte ein verschwommenes Lächeln. »Hey Shin-chan«, sagte er. Shin-chan räusperte sich und schob seine Brille nach oben. »Du bist unverantwortlich! Deine Verletzung hat wieder angefangen zu bluten«, tadelte Shin-chan ihn und runzelte die Stirn. Takao wollte ihn so dringend küssen, dass es ihm beinahe wehtat. »Ich bin nicht wirklich mit Kise zusammen«, wiederholte er seine vorherige Aussage und beobachtete dabei jede Regung in Shin-chans Gesicht. Wie so oft gab es kaum irgendetwas zu beobachten, aber Takao war mittlerweile ein Meister darin Shin-chan zu lesen. Er sah einen Hauch von Empörung und… Triumph? »Ist das so«, sagte Shin-chan, aber es klang gar nicht wie Frage, eher wie eine Feststellung. Takao musste schmunzeln. »Kise wollte Aomine eifersüchtig machen. Hat geklappt«, meinte Takao und deutete vage in Richtung seines lädierten Kopfes. Bei der Erwähnung von Aomine verfinsterte sich Shin-chans Gesicht und er gab ein leises »Tch« von sich. Dann geschah etwas Unglaubliches. Takao entdeckte einen leichten Rotschimmer auf Shin-chans Wangen. Takao starrte. Der Rotton wurde noch etwas dunkler. Takao wusste nicht, ob es an seiner Kopfverletzung lag oder an dem immer noch vorhandenen Schwindel, der zwischen seinen Ohren festzuhängen schien, aber er spürte wie ihn eine Welle des Übermuts überrollte und er setzte sich abrupt auf. Sein Kopf protestierte, aber Takao ignorierte ihn. »Ich hab gehört, dass du dich sehr um mich sorgst, Shin-chan«, schnurrte Takao und er konnte ganz deutlich sehen, wie sich jeder Muskel in Shin-chans Körper anzuspannen schien. Takao hoffte, dass das nicht vor lauter Abscheu geschah, sondern eher aus gegensätzlichen Gründen. Zwar war ihm schwindelig und schlecht und er hatte Kopfschmerzen, aber seine Gedanken fühlten sich so klar an wie nie zuvor. Shin-chan war sauer gewesen, als Takao ihm von sich und Kise berichtet hatte. Er hatte Aomine eine reingehauen, weil er Takao wehgetan hatte. Und Shin-chan las zum Donnerwetter noch einmal nicht einfach so mit Sonnenbrille mitten in der Innenstadt eine Zeitung. Offensichtlich hatte Takao erst eine Kopfverletzung gebraucht, um all diese Dinge zusammenzupuzzeln. Er würde nicht unbedingt so weit gehen wollen, Aomine dankbar zu sein, aber immerhin wäre ihm all dies ohne Aomine nicht klar geworden. Ein Hoch auf die merkwürdigen Verstrickungen des Lebens! Takao konnte es sich noch nicht einmal selbst verübeln, dass er nicht früher darauf gekommen war, denn Shin-chan war nun einmal nicht unbedingt ein Feuerwerk der Emotionen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er sich jemals in irgendjemanden verlieben würde, war unheimlich gering. Und die Wahrscheinlichkeit, dass er sich gerade in Takao verlieben würde, war mikrobisch klein. Aber hier saßen sie nun und Shin-chan hatte Aomine Daiki einen Kinnhaken verpasst. Mit seiner heiligen, sorgfältig getapeten Hand. Takaos Herz tanzte einen ausgelassenen Tango. »Weißt du, Shin-chan«, sagte Takao mit spielerischer Unschuld und rutschte in Richtung Sofarand, was ihn ein beträchtliches Stück näher an Shin-chan heran brachte, der immer noch aussah wie ein Stock. »Ich finde Kise ja wirklich ziemlich toll« – Shin-chans Augenbraue zuckte – »aber ich steh in Wahrheit auf jemanden anders.« Shin-chans stechende Augen blitzten zu Takaos Gesicht herüber. Takaos Gehirn schaltete sich aus und er hörte nur noch auf seinen Körper. So funktionierte es auch beim Basketball am besten – zumindest wenn man nicht Midorima Shintarou war. Takao streckte die Hand aus und sah aus dem Augenwinkel, wie sich Shin-chans Hand zu einer Faust ballte, was Takao kurz zum Zögern veranlasste. Aber dann erreichten seine Finger ihr Ziel und er legte seinen Zeige- und Mittelfinger auf Shin-chans Lippen. Von der Stelle der Berührung ging ein Stromschlag durch seinen Körper und als Shin-chan die Augen schloss, wusste Takao, dass er sich nicht gerade selbst in den Untergang gestürzt hatte. Shin-chans flatternde Augenlider waren Bestätigung genug. Takao fragte sich eine Millisekunde lang, ob Shin-chan wohl schon einmal jemanden geküsst hatte, aber er beschloss, dass er später noch genug Zeit haben würde, das herauszufinden. Er beugte sich vor und ersetzte seine Finger mit seinem Mund. Shin-chan sog scharf die Luft ein, lehnte sich aber nicht zurück. Tatsächlich tat er einfach gar nichts. Takao gluckste leise gegen Shin-chans Lippen und zog seinen Kopf ein Stück zurück. »Ok, das war anders, als ich es mir vorgestellt habe«, sagte er. Seine Nasenspitze berührte Shin-chans und als Shin-chan seine Augen öffnete, starrten sie sich aus nächster Nähe für einige Sekunden lang an. »Ich will gar nicht wissen, was du dir alles vorstellst«, entgegnete Shin-chan. Takao hörte seiner Stimme an, dass er versuchte, genauso herablassend und abweisend zu klingen wie immer, aber stattdessen hatte seine Stimme eine deutlich heisere und vielleicht sogar eine etwas unsichere Note. Takao war entzückt. Er grinste breit. »Oh. Schade, Shin-chan. Ich hatte einige detaillierte Ideen darüber, wie ich dich zum Erröten bringen kö–« Shin-chan hatte offenbar beschlossen, dass er nichts über Takaos kreative Vorstellungskraft hören wollte, denn er überbrückte den Abstand zwischen ihnen. Der zweite Anlauf gestaltete sich insofern schwierig, als dass Takao sofort alles ganz nah und sehr dringend wollte, wohingegen Shin-chan offensichtlich noch in einem Zustand der Zurückhaltung gefangen war. Womöglich, weil er tatsächlich noch nie jemanden geküsst hatte. Takao hätte nicht gedacht, dass der Tag kommen würde, an dem er Midorima Shintarou etwas beibringen konnte. Seine Hand schob sich in Shin-chans Nacken und er presste sie dichter aneinander. Die andere Hand vergrub sich in Shin-chans Haaren und er ließ seinen Kopf leicht zur Seite kippen, um den Winkel ihres Kusses zu verbessern. Irrte er sich, oder war Shin-chans Atmung plötzlich ziemlich unregelmäßig? Takao schmunzelte gegen Shin-chans Lippen, dann öffnete er seine Lippen und begann sachte und tastend an Shin-chans Mund zu nippen. Wie zu erwarten war Shin-chan jemand, der schnell lernte. Er küsste genauso, wie Takao es sich vorgestellt hatte. Überlegt und reserviert und so, als hätte er vorher eine Gebrauchsanweisung auswendig gelernt. Takao beschloss, ihn aus der Reserve zu locken und krabbelte schlichtweg rittlings auf Shin-chans Schoß. Shin-chan gab ein entzückend überraschtes Geräusch von sich. Takao nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste Shin-chan so, wie er ihn seit Monaten küssen wollte. Innig und hungrig und neckend und mit all der piesackenden Zuneigung, die er Shin-chan gegenüber empfand. Zu seiner Zufriedenheit spürte er, wie Shin-chan praktisch gegen Takaos Körper und in den Kuss hinein schmolz und wie sein Atem schneller wurde. Seine Hände hatte Shin-chan an die Seiten seiner eigenen Schenkel gedrückt, als müsste er sich mit aller Macht davon abhalten, Takao anzufassen. Takao war nicht überzeugt von dieser Taktik und presste sich noch dichter an Shin-chan, angelte mit einer Hand blindlings nach Shin-chans Arm und ergriff seine mit Tape umwickelten Finger. Erst da legte sich Shin-chans andere Hand sehr vorsichtig auf Takaos Rücken. Takao wollte am liebsten immer so auf diesem ungemütlichen Stuhl sitzen bleiben. Aber er wollte auch dringend mit Shin-chan über alle Dinge reden, die ihn beschäftigten. Er löste den Kuss und stellte zu seiner absoluten Begeisterung fest, dass Shin-chans Wangen gerötet und seine Augen glasig waren. »Heißt das, dass ich jetzt offiziell vergeben bin und nicht mehr mit Kise ausgehen darf?«, wollte er scheinheilig wissen. Shin-chans verengte seine Augen zu Schlitzen, auch wenn die Wirkung etwas dadurch verpuffte, dass seine Haare zerwuschelt und seine Lippen feucht waren. »Das möchte ich doch meinen«, sagte er. Takao lachte leise. »Dann kann ich Kise ja nur wünschen, dass diese ganze Sache für ihn genauso gut ausgegangen ist, wie für mich«, frohlockte er. Shin-chan schnaubte. »Kise ist berechnender, als man glauben mag«, sagte Shin-chan finster. Takao hob die Brauen. Shin-chan hob die Schultern und schob seine Brille nach oben. Allerdings verfehlte er sie beim ersten Versuch. »Wie gut kennst du Kise eigentlich?«, wollte er plötzlich sehr interessiert wissen. Shin-chans Wangen wurden röter, als sie ohnehin noch von ihrer Knutscherei waren. »Oh mein Gott!« »Was?« »Oh. Mein. Gott!« »Takao! Was soll das denn?« »Habt ihr mal rumgemacht? Oder war das gerade dein erster Kuss?« Shin-chans Gesichtsausdruck verriet Takao alles, was er wissen wollte. »Es stimmt! Kise hat dich geküsst! Ihr habt euch geküsst! War er dein erster Kuss?« Shin-chan nickte steif. Er sah nicht aus, als würde er weiter darüber reden wollen, also beschloss Takao es dabei zu belassen und beizeiten Kise danach zu fragen. Er gluckste heiter und als Shin-chan damit anfing, ihn grimmig zu tadeln, küsste Takao ihn einfach erneut, um ihn ruhig zu stellen. Diese neue Methode im Umgang mit Shin-chan gefiel ihm ganz hervorragend. Er würde sich beizeiten bei Kise dafür bedanken, dass sein Plan so grandios in eine unerwartete Richtung funktioniert hatte. * »Du hast Shin-chan geküsst.« »Nur einmal kurz auf den Mund! Er war steif wie ein Brett und rot wie eine Tomate!« »So in etwa hab ich mir das vorgestellt.« Takao schmunzelte bei der Vorstellung daran, dass Midorima Shintarou mit fünfzehn mit Kise konfrontiert gewesen war, der vielleicht gewusst oder geahnt hatte, dass Shin-chan sich für Jungs interessierte und der ihn gefragt hatte, ob er ihn küssen wollte. Takao fragte sich, ob Shin-chan zu irgendeinem Zeitpunkt vielleicht ein wenig verknallt in Kise gewesen war – er könnte es ihm nicht übel nehmen, wenn es so gewesen wäre. Kise war freundlich und witzig und schlau und er sah sehr gut aus. Fast wünschte sich Takao in die Vergangenheit zu reisen und derjenige zu sein, der den jungen Shin-chan so aus dem Konzept brachte, wie Kise es getan hatte. Aber immerhin hatte er jetzt noch die Chance dazu. »Also… wie ist es bei dir und Aomine?«, erkundigte sich Takao interessiert und Kises verschmitztes Grinsen war beinahe schon Antwort genug. »Er kriecht noch im Staub vor mir, weil ich immer noch sauer bin, dass er dich geschlagen hat«, erklärte Kise beiläufig und genehmigte sich einen Schluck seiner Fanta. Sie saßen draußen in der Sonne am Rand eines Basketballfeldes und beobachteten ein paar mäßig gute Spieler dabei, wie sie sich einen Drei-gegen-Drei-Kampf lieferten. »Aber ich denke, alles in allem kann ich mich nicht beklagen.« Takao nickte amüsiert und streckte sich ein wenig. Gestern war er seinen Kopfverband losgeworden und es juckte ihn bereits gewaltig, endlich wieder Basketball zu spielen. Es juckte ihn auch, Hochleistungssport mit Shin-chan zu betreiben, aber Takao wusste, dass sie bei weitem noch nicht so weit waren. »Also, du und Midorimacchi, was?«, meinte Kise mit funkelnden Augen. Takao nickte verträumt. Sie waren mit Sicherheit kein zuckriges, in der Öffentlichkeit Händchen haltendes Pärchen, aber Takao hatte solche Gefühlsbekundungen von Shin-chan auch nicht erwartet. Noch nicht. Takao war geduldig. Kise leerte seine Fanta und betrachtete seine Turnschuhe. »Es hat ja auch nur ewig gedauert mit euch beiden«, sagte er dann und Takao blinzelte verwirrt. Langsam drehte er den Kopf zu Kise herum und starrte seinen Freund an. »Was?« Kise grinste. »Ich wusste ja schon, dass Midorimacchi einer von der langsamen Sorte ist, aber dass du auch so ein Blindfisch bist, hätte ich nicht gedacht«, erklärte Kise lässig und lächelte zufrieden, während er seine leere Dose neben sich auf der Bank abstellte. Einer der Kerle auf dem Feld flog bäuchlings auf den Betonboden und fluchte laut, während die anderen Jungs lachten. »Du hast diesen ganzen Kram nicht nur wegen Aomine durchgezogen, sondern auch wegen Shin-chan und mir?«, rief Takao entgeistert und Kise lachte leise. »Du siehst zwar vieles, Kazunari, aber eben nicht alles«, erwiderte er verschmitzt und zwinkerte Takao bei der Benutzung von Takaos Vornamen zu. Takao konnte es nicht fassen. Er hatte immer gewusst, dass er Kise nicht unterschätzen durfte, aber ihm war völlig entgangen, wie Kise vor Shin-chan dauernd besonders pärchenhaft getan hatte, selbst wenn nirgendwo Paparazzis zu sehen gewesen waren. Kise war ein kleiner, gut aussehender Teufel. »Hat doch alles bestens funktioniert«, meinte Kise zufrieden und Takao schnaubte und boxte ihm sachte gegen den Oberarm. Dann grinste er so breit, dass er das Gefühl hatte, seine Wangen würden einen Muskelkrampf erleiden. »Danke«, sagte er. »Keine Ursache«, erwiderte Kise. Takao musterte ihn von der Seite und lächelte. Kise hatte einen riesigen Gefallen bei ihm gut, dachte Takao still bei sich, so viel stand fest. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)