One on one von Ur (Oneshot-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 6: Geduldsprobe ----------------------- Entgegen vieler böser Zungen war Kasamatsu Yukio ein durchaus geduldiger Mensch. Es brauchte ein gewisses Maß an Geduld, um der Captain eines Basketballteams zu sein, oder sich um kleinere Geschwister zu kümmern, oder eine Großmutter zu haben, die sehr vergesslich war. All diese Aufgaben meisterte Yukio mehr oder weniger gut. Und auch, wenn er am Anfang über seine Position als Captain des Kaijou Basketballteams Zweifel gehabt hatte, so hatte er mit der Zeit doch feststellen dürfen, dass ihm diese Verantwortung besser lag, als er gedacht hatte. Er hatte stets die besten Interessen seiner Mannschaft im Blick. Mit nur einigen Ausnahmen. Und es gab nur wenige Menschen auf der Welt, die Kasamatsu Yukios Geduld hart auf die Probe stellten. Die Zerreißprobe seiner Geduld in all den Jahren seines Lebens hieß Aomine Daiki – ehemaliges Ass der Generation der Wunder und Arschloch extraordinär. »Jo! Soll das hier das Basketballtraining sein?« Yukio hatte alles an ihm verabscheut, sobald er ihn das erste Mal hatte höhnisch grinsen sehen. Von Aomines raubtierartigen Bewegungen bis hin zu dem Grübchen in seiner rechten Wange, das sich zeigte, wenn er feixte. Aomine war zu faul gewesen, eine anständige Clubbewerbung einzureichen, weswegen ein junges Mädchen es für ihn erledigt hatte. Sie hatte mit einem Lächeln verkündet, dass sie sich gern als Managerin des Clubs versuchen würde und obwohl Yukio nicht besonders viel Wert auf diese Dinge legte, hatte er zugestimmt. Er hatte sich entgegen seiner Abneigung vom Coach dazu überreden lassen, Aomine Daiki in ihr Basketballteam aufzunehmen, denn »Ein ehemaliges Mitglied der Generation der Wunder können wir uns doch nicht entgehen lassen, Kasamatsu!«. Yukio scherte sich einen feuchten Dreck darum, ob jemand ein Mitglied der Generation der Wunder war, wenn er so ein Charakterschwein war wie Aomine Daiki. Dann wiederum kümmerte sich Aomine einen feuchten Dreck darum, was andere von ihm dachten. Aomine besuchte die ersten drei Trainingsstunden, bevor er Yukios Geduldsfaden zum ersten Mal zum Reißen brachte. »Mir ist langweilig. Oi, Satsuki! Wieso sind wir nicht ins Team von einer stärkeren Schule gegangen?« »Aomine-kun!« Momoi klang peinlich berührt und empört, doch ihre Gefühle konnten unmöglich so stark sein wie die von Yukio und seinen Teamkollegen. Aomine hatte sie gerade schwach genannt und das, nachdem er erst wenige Wochen in ihrem Club eingeschrieben war. Yukio sah die Feindseligkeit auf den Gesichtern seiner Mitspieler und spürte die köchelnde Wut, die bei Aomine Daikis Anwesenheit stets nah unter seiner Haut brodelte, hervorbrechen wie ein ungezähmtes Raubtier. Yukio holte aus und verpasste Aomine Daiki – Wunderkind des japanischen Basketballs und Charakterschwein sondergleichen – einen heftigen Tritt in den Hintern. Aomine schwankte und strauchelte, sah sich ungläubig zu Yukio um und wirkte so, als würde er nur zu gern mit einem Kinnhaken antworten. Aber dann schnaubte er verächtlich, stopfte seine Hände in die Taschen seiner Sporthose und schlurfte aus der Halle. »Aomine-kun! Aomine-kun, warte!« Yukio blickte den beiden ohne Bedauern nach und wandte sich an seine Mannschaft. Viele dankbare und zufriedene Gesichter blickten ihm entgegen, was Yukio dazu befähigte, die wütenden Tiraden ihres Coachs auszublenden. Ihm war es egal, was Takeuchi sagte. Die Mannschaft funktionierte nicht richtig mit einem derartig arroganten Schnösel, der meinte, er könnte besser spielen als alle anderen Mitglieder des Clubs zusammen. Yukio wollte genauso gewinnen wie all seine Mannschaftskameraden, aber er wollte es nicht zu diesem Preis tun. * Aomine kehrte zwei Wochen später zurück und wenn Yukio nicht gewusst hätte, dass Aomine über Dinge wie Zähneknirschen erhaben war, dann hätte er darauf gewettet, ein derartiges Geräusch gehört zu haben, als Momoi Aomine zwang zuzugeben, dass er weiter zum Training kommen wollte. Momoi strahlte, Yukio stöhnte, der Coach war kaum zu bremsen vor Begeisterung und Moriyama überschlug sich beinahe in seinen eifrigen Versuchen, Momoi den Hof zu machen. Erst, als Kasamatsu ihm mit zusätzlichem Krafttraining drohte, hörte er auf. Yukio wünschte, dass er hätte sagen können, dass sein letzter Tritt Aomine Daiki dazu gebracht hätte, ein wenig mehr Teamgeist zu zeigen. Nichts dergleichen war der Fall. Er forderte alle mehrmals auf, zu fünft gegen ihn allein anzutreten und prahlte mit seinen überlegenen Fähigkeiten. »Wenn du so ein toller Hengst bist, hättest du auch zu einer angeseheneren Schule gehen können«, brummte Yukio ungehalten und boxte Aomine gegen den Muskelansatz des Oberarms. Aomine blickte drein, als würde er ihn sehr dringend zurück schlagen wollen. Yukio ließ sich von dem herablassenden Blick und den gewollt einschüchternd zusammen gezogenen Brauen nicht beeindrucken. Er war der Mannschaftskapitän von Kaijous Basketballclub und er würde sich von niemandem – nicht einmal vom selbsternannten König des Basketballs – derartig respektlos behandeln lassen. Aomine Daiki schnaubte und wandte sich ab. Yukio befahl ihm zwanzig Extrarunden um die Halle, doch Aomine steckte einmal mehr seine Hände in die Hosentaschen und verließ unter Momois lauten Protesten die Halle. Yukio hoffte, dass er nicht mehr wieder kommen würde. * Natürlich kam Aomine zurück. Momois Gesichtsausdruck war mörderisch, als sie ihn dazu zwang, sich vor Yukio zu verbeugen, und da er es offenbar nicht über sich brachte, irgendeine Entschuldigung vorzubringen, übernahm Momoi das Sprechen für Aomine. »Es tut ihm schrecklich leid, dass er so respektlos war, Kasamatsu-kun. Er möchte wirklich gerne mit euch Basketball spielen und wird sich ganz bestimmt von jetzt an anständig verhalten!« Aomines Kopf ruckte nach oben und er starrte Momoi feindselig und abschätzig an. »Was zum Teufel, Satsuki? Als würd ich so einen Scheiß je sagen«, knurrte er. Yukio hob eine seiner Augenbrauen. Er konnte die Blicke seiner Teamkameraden auf sich spüren und war fest entschlossen nicht nachzugeben. Es ging hier um Kaijous Ehre und um Yukios Position als Kapitän. Aomine würde ihn respektieren, oder er musste gehen. »Wir haben in ein paar Wochen ein Trainingsspiel gegen Seirin. Sieh zu, dass du dich bis dahin zusammen reißt«, erklärte Yukio ungehalten. Bei der Erwähnung von Seirin blitzte etwas in Aomines Augen auf und Momois Gesichtsausdruck verzerrte sich für einen Moment. Dann lächelte sie. »Ah, Aomine-kun, schau mal. Wenn du dich anständig benimmst, darfst du vielleicht gegen Tetsu-kun spielen.« Yukio hatte keine Ahnung, wer genau Tetsu-kun war, doch irgendetwas an ihm schien in Aomine eine Art Antrieb zu aktivieren, denn er verschwand wortlos in Richtung Umkleide und kam wenige Minuten später umgezogen zurück. Yukio fragte sich, ob Aomine Daiki schon immer so ein arroganter Saftsack gewesen war. Er konnte es sich kaum anders vorstellen. * Laut Momois Aussagen war Aomine nicht immer schon so ein arroganter Saftsack gewesen. An einem Dienstagnachmittag, als Aomine zum dritten Mal in Folge das Training schwänzte – oder verschlafen hatte, wie es laut Momois Aussage häufig passieren konnte – und Yukio Momoi mitteilte, dass er Aomine nach dem nächsten verpassten Training erneut rausschmeißen würde, erzählte sie Yukio vom alten Aomine Daiki. »Er war immer schon ein basketballverliebter Volltrottel. Aber er war… nicht so. Er war ganz anders, weißt du? Aomine-kun hat immer mit einem Lächeln auf dem Gesicht Basketball gespielt, er hatte Spaß und konnte das nächste Training kaum abwarten. Sogar in seiner freien Zeit hat er fast nichts anderes gemacht, er hat alles gegeben, um besser zu werden…« Yukio lauschte mit verschränkten Armen. Die Beschreibungen vom früheren Aomine deckten sich überhaupt nicht mit dem, was Yukio von ihm kannte. Er dachte an das gelangweilte Gähnen, die verächtliche Lässigkeit, mit der Aomine an ihnen vorbei dribbelte, das arrogante Funkeln in seinen Augen, wenn er einen seiner unglaublichen Würfe gelandet hatte… sich ein aufrichtiges Lächeln in diesem Gesicht vorzustellen, war für Yukio beinahe eine Unmöglichkeit. »Ich hatte gehofft, dass er… wenn er vielleicht einmal verlieren würde… wenn er jemanden finden würde, der stärker ist als er… dann würde er vielleicht wieder der alte Aomine Daiki werden…« Yukio schwieg. Er wollte Momoi nicht sagen, dass er seine Mannschaft nicht opfern wollte, um ihrem Freund ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Aber sie sah so traurig aus, dass Yukio beschloss, Aomine eine weitere Chance zu geben. * Yukio zwang den Coach, Aomine in der kompletten ersten Hälfte des Spiels gegen Seirin auf der Bank sitzen zu lassen. »Was zum Teufel, Kasamatsu? Ich bin der beste Spieler in diesem verdammten Team! Wofür bin ich überhaupt aufgestanden, wenn ich jetzt hier rumhocken muss!?« Yukio hob die Augenbrauen, holte aus und verpasste Aomine einen Klaps auf den Hinterkopf. Er versuchte die Tatsache zu ignorieren, dass Aomine ein gutes Stück größer war als er. »Halt die Klappe und vertrau deinen Senpais!«, motzte er. Aomine schnaubte wutentbrannt und verschränkte die Arme vor der Brust. Yukio wusste genau, was ihm auf der Zunge lag. Aomine vertraute niemandem, Vertrauen war für Schwächlinge. Teamplay war etwas für Schwächlinge. Aber er schwieg und ließ sich auf die Bank fallen. Yukio wandte sich ab. Er würde Aomine schon noch Manieren beibringen. Sie gewannen an diesem Tag mit 102 zu 79 Punkten gegen Seirin. Es war ein recht ausgeglichenes Spiel gewesen, bis Aomine in der zweiten Hälfte eingewechselt worden war. Wenn es nach Aomine gegangen wäre, hätte er das Spiel im Alleingang gewonnen, doch Yukio und seine Teamkameraden waren stillschweigend überein gekommen, dass Aomine keinerlei Sonderbehandlung zufallen durfte, solange er sich derartig unsportlich verhielt. Hätten sie häufiger zu ihm gepasst, dann wäre ihr Sieg sicher sehr viel höher ausgefallen. Yukio schaute hinüber zu Seirins Erstklässler-Paar, das ihnen einige Schwierigkeiten bereitet hatte. Er wusste jetzt, wer Tetsu-kun war. Und der Blick, den Aomine und Kuroko austauschten, ließ Yukio vermuten, dass auch Kuroko ein großes Interesse daran hatte, Aomine verlieren zu sehen. »Nächstes Mal machen wir dich platt, Aomine!«, rief Kagami zu ihnen hinüber. Aomine grinste breit und mit so viel Arroganz, dass Yukio ihm am liebsten einen Zahn ausgeschlagen hätte. Er konnte mit Sicherheit sagen, dass er noch nie zuvor so häufig Gewaltfantasien einem anderen Menschen gegenüber gehegt hatte. »Wohl kaum. Der Einzige, der mich besiegen kann, bin ich«, sagte Aomine. Yukio packte mit seiner Hand Aomines Kopf und zwang ihn – wie schon zuvor Momoi, als sie ihn zu einer Entschuldigung genötigt hatte – sich zu verbeugen. »Was er eigentlich sagen wollte, war: Danke für das gute Spiel!«, rief er. Kagami und Kuroko nickten ihm zu und Aomine schlug Yukios Hand weg. »Was zur Hölle… Kasamatsu!« »Ach, halt die Schnauze, Aomine. Was für ein beschissener Satz soll das überhaupt sein? Hast du den vorm Spiegel geübt? Du bist lächerlich! Sieh zu, dass du duschen gehst!“ Der Rest des Teams lachte und blickte einem wutschnaubenden Aomine nach, der die Halle verließ. Yukio schüttelte den Kopf. Er bemerkte Momois nachdenklichen Blick, aber er fragte nicht nach und folgte seinen Teamkameraden in Richtung Duschen. * Momois nachdenklicher Blick ruhte von diesem Tag an häufiger auf Yukio und das machte Yukio nervös. Er würde es im Leben nicht zugeben, aber mittlerweile kannte er Momois Fähigkeiten und er hatte das Gefühl, dass sie ihn ganz besonders gründlich analysierte. Yukio hatte keine Ahnung, woran das lag und woher Momois plötzliches Interesse kam. Als ihm das Ganze zu bunt wurde, sprach er Momoi nach einem ihrer Trainings an. Aomine war gerade wutschnaubend davon gerauscht, weil Yukio sich geweigert hatte, ihm eine besondere Behandlung zukommen zu lassen und ihn von »lächerlichen« Trainingsübungen zu befreien. Sie hatten Pässe und Dribbeln geübt und wenn es nach dem Coach gegangen wäre, hätte Aomine all das nicht üben müssen, aber Yukio hatte darauf bestanden. »Ok, was ist los?«, wollte er wissen und runzelte die Stirn. Momoi schaute aus großen Augen zu ihm auf, ein Klemmbrett umklammernd und mit einem Gesichtsausdruck, der Yukio offensichtlich vermitteln sollte, dass Momoi keine Ahnung hatte, wovon er redete. Aber Yukio hatte mittlerweile so viel Zeit mit Momoi verbracht, dass er genau wusste, dass ihre Unschuldsmiene nur eine gefährliche Fassade war, die zu viele Menschen ihr abkauften. Momoi war der schlauste Mensch, den Yukio kannte, und er würde einen Teufel tun und sie unterschätzen. »Was soll los sein, Kasamatsu-kun?« »Du weißt genau, was ich meine. Du beobachtest mich!« »Ich dachte, das sei mein Job als Managerin.« »Nicht so. Du analysierst mich nicht fürs Training!« »Aber Kasamatsu-kun, wofür sollte ich dich denn sonst analysieren?« An dieser Stelle hatte Momoi mit den Wimpern geklimpert und Yukio war rot geworden und er wusste, dass Momoi gewonnen hatte. Er schnaubte ungehalten und wandte den Kopf ab. Letztendlich war es egal, wieso Momoi ihn anstarrte, als würde er irgendein Geheimnis bergen, das es zu ergründen galt. Yukio wusste, dass da nichts war und demnach würde Momoi auch nichts finden. »Ich bin froh, dass wir hierhergekommen sind. Aomine-kun und ich, meine ich«, sagte Momoi leise und lächelte Yukio dankbar an. Dann verschwand sie und ließ ihn verwirrt und voller Fragen zurück. * An einem wolkenlosen und milden Sonntag passierte etwas, das Yukio auf ewig verwirren würde. Er war zur Ablenkung von seinem Berg Hausaufgaben zuerst Joggen gegangen und dann an einem der Basketballplätze hängen geblieben. Der Platz war leer und ausgestorben und Yukio ließ sich schwer atmend auf eine der Bänke am Rande des Feldes nieder. Irgendwo weiter hinten hörte er Kinder spielen und ein paar Hunde bellen. Er musterte die Körbe auf beiden Seiten des Platzes und dachte darüber nach, ob es ihm dieses Jahr tatsächlich gelingen konnte, sein Versprechen von letztem Jahr zu halten. »Oi, Kasamatsu«, ertönte eine ihm wohlbekannte, schnarrende Stimme hinter der Bank, auf der er saß, und als Yukio sich mit zuckenden Augenbrauen umschaute, erblickte er tatsächlich das überheblich-gelangweilte Gesicht von Aomine Daiki. Yukio war eigentlich froh darüber, dass er diese Visage am Wochenende nur selten ertragen musste, es sei denn, der Coach setzte ein Extra-Training an. »Was gibt‘s?«, gab er kurz angebunden zurück und wandte sich wieder nach vorn. Er war nicht wirklich in der Stimmung, sich mit Aomines Gottkomplex auseinander zu setzen. Eine kurze Stille herrschte, in der Yukio sich allzu bewusst war, dass Aomine Daiki gerade hinter ihm aufragte wie eine bedrohliche, feindliche Macht und ihn mit großer Wahrscheinlichkeit herablassend anstarrte. »One on one?« »Wie bitte?« Yukio war sich ziemlich sicher, dass er sich verhört hatte. Aomine war mehrfach zu faul gewesen sich zum Training zu bewegen und Yukio zweifelte stark daran, dass Aomine ihn als gleichwertigen Spieler betrachtete. Yukio erhob sich von der Bank und musterte Aomines hoch aufragende Gestalt. »Was? Hast du Schiss, dass ich dich vom Platz fege?«, feixte Aomine und hob einen Basketball in die Höhe. Yukio ließ ein leises »Tch« hören und schnappte Aomine den Basketball aus der Hand. Aomine sah einen Moment lang ernsthaft erstaunt darüber aus, dass es jemand geschafft hatte, ihm einen Ball abzunehmen, aber Yukio beschloss sich nicht allzu sehr darüber zu ärgern. Er wartete nicht darauf, dass Aomine sich von dem Schock erholt hatte, sondern dribbelte mit dem Ball auf den leeren Platz und hob die Brauen, als er feststellte, dass Aomine sich immer noch nicht vom Fleck bewegt hatte. »Hast du Schiss, dass ich dich vom Platz fege?«, gab Yukio zurück und endlich kam Bewegung in Aomine. Yukio musste eingestehen, dass die Art, wie Aomine sich bewegte, ihn sehr beeindruckte. Er war ein arroganter Mistsack, aber Yukio konnte nicht umhin sich einzugestehen, dass Aomine beim Basketballspielen wirklich gut aussah. Seine braune Haut schimmerte ein wenig in der Sonne und das Blitzen seiner Augen erzählte Yukio für einen Herzschlag von dem Aomine Daiki, den es früher laut Momoi einmal gegeben hatte. »Auf geht’s«, murmelte Yukio. Er verlor 12 zu 63 und lag rücklings und keuchend auf dem warmen Asphalt. Die Sonne war im Untergehen begriffen und der Himmel über ihm war eine Mischung aus milchigem Hellblau und feurigem Orange. Yukio war sich sicher, dass er seine Muskeln die nächsten zwei Stunden nicht mehr würde bewegen können und auf diesem Basketballplatz übernachten musste. Aomines Gesicht kam in sein Blickfeld und schwebte über Yukios Kopf. Aomine war ebenfalls außer Atem, aber bei weitem nicht so erschöpft wie Yukio. »Der Einzige, der mich besiegen kann, bin ich«, sagte Aomine breit grinsend. Yukio schnaubte und drehte den Kopf zur Seite, damit er das dämliche Feixen nicht mehr sehen musste. »Komm mir nicht mit diesem arroganten Mist«, knurrte er und versuchte, sich aufzurappeln. Er scheiterte kläglich und kam sich vor wie ein Käfer, der auf dem Rücken gelandet war. Wie er so morgen das Training überstehen wollte, war ihm schleierhaft. Er war verantwortungslos gewesen, aber Aomines arrogantes Gehabe hatte ihn wieder einmal zur Weißglut gebracht und er hatte es einfach nicht aufgeben können. Bis seine Knie nachgegeben hatten. »Du hättest früher aufgeben sollen«, sagte Aomine. Yukio grummelte und unternahm einen zweiten Versuch sich aufzurichten. Er schaffte es immerhin, sich auf seine Ellbogen zu stützen. »Wieso sollte ich? Es ist vorbei, wenn es vorbei ist, nicht vorher. Nur weil ich schlechter bin als mein Gegenüber, heißt das nicht, dass ich aufgeben sollte. Das schulde ich mir und meiner Mannschaft und meinem Gegner. Es hat was mit Respekt zu tun«, entgegnete Yukio ungehalten. Einige lange Momente herrschte Stille, dann streckte sich ihm eine Hand entgegen und Yukio blinzelte verwirrt, dann griff er danach und wurde mit einem kräftigen Ruck nach oben gezogen. Yukio konnte nicht so recht erklären, woran er es festmachte, aber in diesem Augenblick hatte er das Gefühl, dass irgendetwas sich verändert hatte. Nicht, dass er nicht immer noch der Meinung war, dass Aomine ein arroganter Saftsack war, aber etwas in dem überheblichen Gesicht war anders. Yukio brummte ungehalten und humpelte halb, schwankte halb hinüber zur Bank, auf der er vorhin noch gesessen hatte, bevor Aomine seine Ruhe gestört hatte. Einen Herzschlag lang dachte Yukio, Aomine würde ihm folgen, doch Aomine warf ihm nur einen letzten Blick zu und drehte sich um. Yukio sah ihm nach, wie er langsam dribbelnd und mit einer Hand in der Hosentasche verschwand. * »Was ist eigentlich mit Aomine los?«, wollte Moriyama ein paar Wochen später wissen, nachdem das Training beendet war und Aomine schwer atmend und verschwitzt in Richtung Duschen verschwunden war. Yukio wusste genau, was Moriyama meinte. Aomine war in den letzten Wochen regelmäßig beim Training erschienen. Er hatte nicht ein einziges Mal geschwänzt oder verschlafen und das war nicht alles. Yukio hatte seit drei Wochen keine Sätze mehr gehört, die lauteten »Der einzige, der mich besiegen kann, bin ich« oder »Ich bin der stärkste Spieler in diesem Team«. Aomine trainierte mit ihnen. Er klagte nicht, er prahlte nicht, er übte Standards wie Dribbeln und Passen, obwohl er und all seine Teammitglieder wussten, dass es nichts zu verbessern gab. Er spielte immer noch im Alleingang und sah eindeutig frustriert und sauer aus, wenn er während Trainingsspielen nicht besonders oft den Ball bekam. Aber Aomine Daiki hatte seine Krone abgelegt. Und Momoi beobachtete Yukio immer noch. »Was ist zwischen dir und Aomine-kun eigentlich gewesen?«, wollte Momoi nach besagtem Training wissen, als Moriyama bereits seine Verwunderung über Aomine geäußert hatte. Yukio runzelte die Stirn. »Was soll denn da gewesen sein?«, brummte er und wischte sich mit seinem Shirt über die Stirn. Momoi legte den Kopf schief und musterte ihn aus ihren scharfen Augen. Yukio wurde automatisch nervös. »Aomine-kun ist vor ein paar Wochen zu mir gekommen und hat mir gesagt, dass er neue Basketballschuhe kaufen will«, erläuterte Momoi, als wäre diese Tatsache Erklärung genug für ihre Frage. Yukio verstand nur Bahnhof. »Na und? Wenn man Sport treibt, braucht man halt manchmal neue Schuhe«, sagte er verwirrt und beobachtete beunruhigt Momois Mund, der sich zu einem amüsierten Lächeln verbog. »Ah, Kasamatsu-kun, das mag sein. Wie dumm von mir. Ich dachte nur, er hätte vielleicht mit dir gesprochen«, meinte Momoi und zog lächelnd ihre Schultern nach oben. Yukio schnaubte. »Wir haben eine Runde one on one gespielt. Ich hab haushoch verloren. Ansonsten war nichts Besonderes«, gab er zurück. Momois Augen weiteten sich. »Ach, tatsächlich«, murmelte sie und drückte ihr Klemmbrett gegen ihren Brust. Dann strahlte sie, drehte sich um und eilte von dannen, als hätte Yukio ihr die Augen im Angesicht eines großen Rätsels geöffnet. Yukio blieb kopfschüttelnd zurück und verstand die Welt nicht mehr. * »Hallo. Kasamatsu-kun, richtig?« Yukio erschrak heftig und sprang einen Schritt zur Seite, als ihn ein Junge ansprach, der vorher ganz sicher noch nicht dagewesen war. Yukio stand oben auf einer Galerie und schaute sich ein Spiel von Shutoku an. Grimmig dachte er daran, dass die Generation der Wunder wirklich ausnahmslos aus Monstern bestand. Nun, vielleicht mit Ausnahme von Kuroko, der zwar sehr kompetent war, aber bei weitem nicht so arrogant und beunruhigend. Obwohl… Wenn Yukio sich ansah, wie der kleine Kerl sich gerade an ihn heran gepirscht hatte, ohne dass Yukio ihn bemerkt hatte, war er doch recht unangenehm berührt. Wenn auch nicht ganz so unangenehm wie angesichts der Tatsache, dass Midorima Shintarou dort unten gerade seinen zwölften Dreipunkter aus lächerlich weiter Entfernung geworfen hatte. »Ja, das ist richtig«, sagte er und nickte Kuroko zu, wobei er hoffte, dass er nicht allzu verschreckt drein blickte. Er mochte es nicht, unvorbereitet von etwas getroffen zu werden. Wie von Aomine Daiki in seiner Mannschaft zum Beispiel. »Bist du allein hier?«, wollte Kuroko mit seiner monotonen, leisen Stimme wissen und musterte ihn von unten herauf. »Meine Leute sind da unten, aber ich wollte ein bisschen Ruhe haben«, erwiderte Yukio mit einem Kopfrucken in die entsprechende Richtung. Kuroko nickte, als würde er vollkommen verstehen, was Yukio meinte. »Ist Aomine-kun auch hier?« Yukio schnaubte. »Natürlich nicht. Wahrscheinlich liegt er irgendwo und pennt. Oder schaut sich eins seiner Heftchen an. Momoi telefoniert ihm schon die ganze Zeit hinterher, soweit ich weiß«, erwiderte Yukio und er spürte, wie sich bei dem Gedanken an Aomine automatisch seine Brauen zusammenzogen. »Ah. Ich verstehe.« Yukio hatte das Gefühl, er sollte am besten ununterbrochen ein Auge auf Kuroko haben, sonst würde er sicherlich wieder aus Yukios Wahrnehmung verschwinden und ihn erneut erschrecken. Allerdings wollte er auch das Spiel gegen Shutoku weiter verfolgen und so wandte er sich dem Geschehen weiter unten zu und stützte sich mit den Ellbogen auf dem Geländer vor ihm ab. Kuroko schien nun ebenfalls wieder dem Spiel seine Aufmerksamkeit zuzuwenden und während des gesamten zweiten Viertels schwiegen sie und beobachteten, wie der Punktestand von Shutoku unaufhörlich weiter in die Höhe kroch. »Ich denke, sie werden Midorima-kun in der zweiten Hälfte auf der Bank lassen«, sagte Kuroko neben ihm, als es zur Halbzeit gongte und Yukio sah ihn von der Seite an. Er konnte sich Kuroko inmitten all dieser arroganten Schnösel nur schwerlich vorstellen. »Er ist wohl auch so einer, der sich zu großartig fühlt, als dass er gegen viel schwächere Gegner spielen würde, was?«, brummte er. Kuroko musterte Yukio eine peinlich lange Zeit schweigend und dann nickte er sehr langsam. »Ja. Wie Aomine-kun, meinst du, nehme ich an.« Yukio schnaubte und nickte ebenfalls. »Momoi-san hat mir erzählt, dass Aomine-kun sich in den letzten Wochen ungewöhnlich verhält«, berichtete Kuroko und auch wenn Yukio große Schwierigkeiten damit hatte, Kurokos Gesicht zu lesen, so konnte er jetzt eindeutig Interesse und ein wenig Neugier in den blassen Augen erkennen. Er zuckte ungehalten mit den Schultern. Das Thema Aomine Daiki strapazierte seine Geduld immer noch, obwohl in der Tat eine Besserung zu erkennen war. Aber er würde einen Teufel tun und Aomine dafür loben, dass er sich wie ein halbwegs anständiger Kerl verhielt. Yukio war schließlich nicht seine Mutter. Oder sein Cheerleader. Genau das erklärte er auch Kuroko. Zu seiner grenzenlosen Überraschung breitete sich ein kaum merkliches Lächeln auf Kurokos Mund aus. Dann verbeugte er sich vor Yukio. »Danke, Kasamatsu-kun!« Yukio wollte etwas erwidern, aber da war Kuroko schon aus seinem Blickfeld verschwunden. Was um alles in der Welt hatte das nun wieder zu bedeuten? * »Aomine-kun! Aomine-kun, warte!« Yukio blinzelte, doch er hatte kaum Zeit sich zu wundern, da ließ sich Aomine neben ihn auf einen der ungemütlichen Plastiksitze fallen, verschränkte die Arme auf der Brust und starrte nach unten aufs noch leere Basketballfeld. Yukio starrte ihn von der Seite an. Momoi ließ sich auf Aomines anderer Seite nieder. »Aomine-kun! Willst du mir nicht endlich ein paar Tipps geben, wie ich bei Momoi-san landen kann?«, fragte Moriyama leise hinter ihnen. »Verpiss dich, Moriyama«, schnarrte Aomine. »Du bist grausam!«, kam es klagend von hinten. Yukio wollte Aomine gerade fragen, was er hier wollte, als Momoi ganz aufgeregt winkte, während sie aufs Feld hinunterschaute, und so seine Aufmerksamkeit aufs Spielfeld lenkte. Seirin und Shutoku betraten gleichzeitig die Arena und wandten sich ihren Bänken zu. Yukio sah, wie Kuroko unten eine Hand hob und sich ein Strahlen auf Momois Gesicht ausbreitete. »Was meinst du, Aomine-kun? Wird Tetsu-kun Midorin schlagen? Kannst du dir das vorstellen? Midorin würde sich unglaublich ärgern!« Yukio brauchte einen Augenblick, um sich klarzumachen, dass Momoi mit der Bezeichnung »Midorin« wahrscheinlich Midorima Shintarou meinte. Zum ersten Mal wurde ihm wirklich bewusst, dass Momoi früher die Managerin der Generation der Wunder gewesen war. Sofort fand Yukio sie noch gruseliger als vorher ohnehin schon. Die Tatsache, dass sie diese Monster von Teiko mit niedlichen Spitznamen versah, machte ihm nur umso deutlicher, wieso Momoi Satsuki eine Naturgewalt war, mit der man nicht spaßen sollte. Immerhin hatte sie es auch all die Jahre mit Aomine ausgehalten. »Ist mir egal. Obwohl Midorima einen ordentlich Arschtritt gebrauchen könnte«, brummte Aomine. Yukio schnaubte verächtlich und Aomine drehte ihm mit gerunzelter Stirn den Kopf zu. »Huh?« »Ich kenn noch jemanden, der einen ordentlichen Arschtritt gebrauchen könnte. Aber weil du in unserem Team spielst, kann ich das leider nicht erlauben«, gab Yukio unbeeindruckt von Aomines grimmigem Gesichtsausdruck zurück. Aomine musterte ihn und wandte dann wortlos das Gesicht wieder nach vorn. Hinter ihnen lärmte Hayakawa auf den Sitzen herum und Yukio spürte, wie seine Augenbraue zuckte. Sein Geduldsfaden verkürzte sich in Aomines Anwesenheit grundsätzlich um die Hälfte. »Du trittst mir häufig genug in den Arsch.« Yukio stieß ein schnaufendes, freudloses Lachen aus. »Nicht oft genug, denke ich.« Vielleicht bildete er es sich ein, aber er meinte, ein kaum merkliches Grinsen in Aomines Gesicht zu sehen. Das Spiel war unheimlich spannend. Yukio beobachtete fasziniert und beeindruckt, wie Kagami sich allein Midorima Shintarou stellte und mit jedem Sprung höher reichte. Er beobachtete allerdings auch mit großer Überraschung, dass die Nummer 10 von Shutoku keinerlei Probleme damit hatte, Kuroko zu sehen. »Wie schade, jetzt haben sie Tetsu-kun ausgewechselt. Er sieht sehr unzufrieden aus«, sagte Momoi enttäuscht und beugte sich auf ihrem Sitz nach vorn. »Tetsu wird sich was einfallen lassen«, sagte Aomine. Yukio fand, dass die vertraute Anrede, die Abkürzung von Kurokos Vornamen, aus Aomines Mund seltsam klang. Aber Momoi hatte ihm berichtet, dass Aomine und Kuroko früher zusammen gespielt hatten und wahrscheinlich so etwas wie beste Freunde gewesen waren. Die Vorstellung, dass Aomine überhaupt so etwas wie einen besten Freund gehabt hatte, fand Yukio komisch. Außerdem schien Aomine so etwas wie Vertrauen in Kurokos Fähigkeiten zu haben. Als er den Kopf zur Seite drehte, sah er Aomine breit grinsen. Auch Momoi musterte Aomine von der Seite. Sie sah erstaunt und erfreut zugleich aus. Es wirkte ganz so, als hätte Aomine Spaß. Eine ungewöhnliche Sache, da er normalerweise lediglich gelangweilt von allem war. Dann erhob er sich plötzlich. »Ich hol mir was zu trinken.« Aomine verpasste den Anfang des zweiten Viertels, aber als er wieder kam und sich setzte, warf er Yukio eine Fanta in den Schoß. Yukio starrte die Dose an. Hinter ihnen auf den Rängen war plötzlich Stille eingekehrt. Er hatte das Gefühl, dass er als Captain irgendwas sagen sollte, aber sein Gehirn hing an der Tatsache fest, dass Aomine Daiki ihm gerade eine Fanta mitgebracht hatte. Unaufgefordert. Es war völlig irrelevant, dass Yukio Fanta nicht sonderlich mochte. Er verpasste die nächsten beiden Dreier von Midorima, weil die Fanta in seinem Schoß seine Augen anzog wie ein Magnet. Dann griff er langsam danach und öffnete sie. Aomine sah ihn an und Yukio fühlte sich ertappt. Er buffte Aomine mit dem Ellbogen in die Seite und knurrte ein »Danke.« Dann trank er seinen ersten Schluck. * »Jo, Kasamatsu. Willst du später noch one on one spielen?« »Nur, wenn du jetzt endlich deine zwanzig Runden läufst, Faulpelz!« Aomine verdrehte die Augen. Dann lief er los. * Kise Ryouta war neben Aomine der hübscheste Mann, den Yukio je im echten Leben gesehen hatte. Er konnte ihn nicht ausstehen. Nicht, dass Yukio das wunderte. Bislang hatte er außer Kuroko kein Mitglied der Generation der Wunder auch nur ansatzweise erträglich gefunden und Kise Ryouta war nicht minder arrogant als Midorima Shintarou oder Aomine. Nur, dass sich das Ganze bei ihm in einer übertrieben freundlichen Fassade mit hinterlistig blitzenden Augen und einem strahlenden Lächeln äußerte, das alle Mädchen in fünfhundert Metern Umfeld ohnmächtig werden ließ. Yukio verabscheute ihn von seinen blonden Haarspitzen, über seinen glitzernden Ohrring bis hin zu seiner nervtötenden Stimme. »Aominecchi!« Yukio starrte Kise an. Kise strahlte Aomine an. Yukio hatte sich geirrt. Er verabscheute Kise nicht einfach nur. Er hasste ihn ganz eindeutig wie die Pest. Aominecchi? Was sollte das für ein Name sein? Das war ja noch schlimmer als jede Namensauswahl, die Momoi je hätte treffen können. »Ist das dein Captain? Wie geht es dir? Meine Mannschaft ist irgendwo dahinten. Senpai! Das hier ist Aominecchi von dem ich dir erzählt habe!« Yukio hatte bereits Geschichte von Imayoshi Shoichi gehört – dem Captain von Touou – aber sein verschlagenes Gesicht hinter blitzenden Brillengläsern zu sehen, war noch etwas anderes, als nur davon berichtet zu bekommen. Yukio lief ein kalter Schauer über den Rücken, als Imayoshi ihn anlächelte. »Wir freuen uns schon aufs Spiel«, sagte Kise strahlend und Yukio hörte Aomine lediglich »Tch« machen. »Kasamatsu-san, richtig? Das wird sicher ein Spektakel mit zwei Mitgliedern von Teiko, die gegeneinander antreten«, sagte Imayoshi grinsend. Er erinnerte Yukio an eine Schlange. Schlangen hatte er noch nie gemocht. Kise und Imayoshi gaben gemeinsam ein beunruhigendes Bild ab. Es sah aus, als würden sie in ihrer Freizeit gemeinsam beraten, wie sie ihre Konkurrenz heimlich meucheln konnten. »Es sind noch mehr Spieler auf dem Feld als nur die beiden«, sagte Yukio kühl. Imayoshi lachte leise und Yukio spürte Aomines Blick auf sich ruhen. Kise beachtete ihn gar nicht. »Es wird wie in alten Zeiten, Aominecchi! Du und ich gegeneinander.« Aomine zuckte mit den Schultern. »Ich werd dich fertig machen. Wie immer«, entgegnete er. Yukio brummte ungehalten. »Wir werden sie fertig machen«, sagte Yukio und dann wandte er sich ab, ohne noch eine Antwort abzuwarten. Er hatte die Schnauze voll von der Generation der Wunder. »Wieso bist du so angespannt?«, fragte Aomine und gähnte. Yukio biss die Zähne zusammen. Er hatte keine Lust, Aomine die Sache näher zu erklären, daher beschloss er, so vage wie möglich zu bleiben. »Es ist ein wichtiges Spiel für uns alle, das ist alles.« Aomine schwieg. Während des Aufwärmens blieb er in Yukios Nähe und fühlte sich an wie eine unheimliche Präsenz, die über Yukio schwebte. »Denkt dran, Kise Ryouta kann jeden eurer Tricks kopieren!«, erinnerte Takeuchi sie zum hundertsten Mal, bevor sie das Feld betraten. Aomine schnaubte. »Mich kann er nicht kopieren«, sagte Aomine. Auf seinem Gesicht zeigte sich ein Grinsen und ein unbekanntes Glimmen, als könnte er es tatsächlich kaum erwarten, gegen seinen alten Mannschaftskameraden anzutreten. Yukio sah weg und versuchte sich zu konzentrieren. »Lasst uns alles geben!«, rief Yukio. Seine Mannschaft antwortete laut und voller Selbstbewusstsein. * Yukio verfluchte sich selbst, aber er mochte die Art und Weise, wie Aomine und Kise aufeinander fixiert waren überhaupt nicht. Wie sie sich anstarrten. Und wie sie einander in- und auswendig zu kennen schienen. Yukio wollte lieber nicht hinterfragen, wieso ihn all das dermaßen aufregte, er versuchte sich aufs Spiel zu konzentrieren und das war schwer genug, wenn man eine Schlange wie Imayoshi auf den Fersen hatte. Und dann passierte es. Ein Raunen ging durch die Menge, als Kise den ersten Bewegungsablauf von Aomine kopierte und den Ball mit Leichtigkeit in den Korb legte. Selbst Aomine schien in seiner unerschütterlichen Arroganz überrascht. Yukio fluchte. »Aomine, mach ihn fertig«, donnerte Yukio quer übers Feld und schmale Augen wandten sich ihm zu. Einen kurzen Moment lang schien zwischen ihnen ein Knistern zu entstehen und Yukio fühlte sich, als würde Aomine ihn verstehen. Dann nickte Aomine kaum merklich und Yukio atmete schwer aus. Er würde ihr Teamplay nicht aufgeben, aber der Einzige, der Kise entgegentreten konnte, war Aomine. * Aomine war der König der Monster. Yukio hatte noch nie jemanden so wie ihn spielen sehen und Aomine spielte so voller Einsatz wie niemals zuvor. Yukio musste sich davon abhalten, mitten im Spiel stehen zu bleiben und ihn einfach nur anzusehen. Kise spielte mit demselben egoistischen Stil, den der Rest der Mannschaft von Touou ebenfalls an den Tag legte und Yukio fragte sich kurz, ob Aomine nicht besser nach Touou gepasst hätte, wo man ihm einfach immer den Ball zugepasst und hätte punkten lassen. Es stand 103 zu 101 für Touou als sie in die letzten Sekunden des Spiels starteten. Yukio atmete schwer. Sie brauchten entweder einen Dreipunkter oder zwei Zweier. Yukio musste dieses Spiel gewinnen. Er hatte es versprochen. Mit geballten Fäusten rannte er los, Aomine hinterher, der mit dem Ball in Richtung Korb stürmte. Er hatte ein breites Grinsen auf den Lippen und wirkte wie ein hungriges Raubtier, das Spaß an der Jagd hatte. Kise und zwei seiner Mannschaftsmitglieder blockierten Aomine den Weg. Yukio war sich einen Herzschlag lang sicher, dass sie jetzt verloren hatten. Aber dann… »Aomine!«, schrie Yukio. Alles geschah wie in Zeitlupe. Aomine drehte sich zu Yukio um und sah ihn an, den Ball fest in beiden Händen. Dann passierte das Unglaubliche. Aomine passte. Yukio fing den Ball, begab sich in Position und warf. Sein Dreier traf den Korb und fiel in der eintretenden Stille auf das blanke Parkett. Der Gong ertönte. Yukio konnte kaum begreifen, was gerade passiert war, als er unter mehreren warmen, verschwitzten Körpern begraben wurde. Gegen seinen Willen spürte er, wie ihm Tränen in die Augen stiegen und er stieß die Faust in die Luft. Sie hatten gewonnen. »Hey, Aomine! Komm hier rüber!«, rief Moriyama und Aomine sah aus, als würde er lieber auf den ausführlichen Körperkontakt verzichten, aber er gesellte sich langsam zu ihnen und Yukio konnte einfach nicht umhin, ihm breit grinsend den Arm um die Schultern zu werfen. Aomine musterte ihn und Yukio hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, wieso es sich anfühlte, als hätte er beim Treppensteigen gerade eine Stufe verpasst. * Sie verloren gegen Seirin. »Hört auf zu schmollen! Ihr habt euer Bestes gegeben und solltet stolz vom Platz gehen! Köpfe hoch!« Aomine fand ihn in der verlassenen Umkleidekabine. Yukio hatte mittlerweile aufgehört zu heulen und saß nur schweigend mit angezogenen Knien an die kalten Spinde gelehnt und starrte hoch zur Decke. Eine kalte Dose Fanta wurde ihm in den Schoß geworfen und Aomine ließ sich neben ihn auf den ungemütlichen Fliesenboden sinken. »Ich mag Fanta nicht so gerne«, informierte er Aomine heiser. Aomine schnaubte. »Sei dankbar und trink den Scheiß. Ich geh bestimmt nicht los und besorg dir eine Extrawurst.« Yukio öffnete die Dose und nahm einen Schluck. Er fühlte sich leer und antriebslos. Seine Muskeln schmerzten von der Anstrengung des Spiels und seine Augen brannten, weil er so viel geweint hatte. Außerdem tat seine rechte Hand vom wiederholten Schlagen gegen die Spindtüren weh. Sie saßen eine Weile lang schweigend nebeneinander und Yukio war sogar zu erschöpft, um sich darüber zu beschweren, dass Aomine seine Privatsphäre störte. »Ich hab noch nie verloren«, sagte Aomine schließlich. Yukio schnaubte. »Möchtest du jetzt Mitleid?« »Tch. Schwachsinn.« Yukio spürte Aomines Körperwärme direkt neben sich und versuchte diesen Umstand zu ignorieren. Er nahm einen weiteren Schluck Fanta. »Sieh zu, dass du fertig wirst mit Schmollen. Ich hab einen Mordshunger.« »Dann geh was essen.« »Ich nehm dich mit.« »Ach ja? Wer sagt das?« »Ich. Mach hin.« Die Tatsache, dass für Aomine dieses Spiel die erste Niederlage seines Lebens darstellte, tröstete Yukio aus unerfindlichen Gründen ein wenig. * »Sag mal, wie oft trefft ihr euch mittlerweile eigentlich im Park zum Basketballspielen?« »Weiß nicht. So dreimal die Woche?« »Ah. Interessant.« »Was soll daran interessant sein?« »Ach, nichts.« * Yukio verlor ihr 36. one on one mit 22 zu 48 Punkten. * »Jo, Kasamatsu!« »Was gibt’s?« »Gib mir Mathenachhilfe.« »Bitte?« Aomine hatte die Hände wie so oft in den Hosentaschen vergraben und zu Yukio Erstaunen blickte er eindeutig leicht verlegen drein. Yukio erkannte es vor allem daran, dass Aomine Yukios Knie betrachtete, während er vor ihm stand. »Frag Momoi, ich bin sicher, sie ist sehr viel besser in Mathe als ich. Und gewillter sich mit dir rumzuschlagen ist sie auch«, brummte Yukio ungehalten. Aomine Daiki und Mathenachhilfe. Wenn die Situation nicht so absurd gewesen wäre, dann hätte Yukio vielleicht gelacht. Aomine gab einen seiner »Tch« Laute von sich und Yukio fragte sich, wie um alles in der Welt Aomine auf die Idee gekommen war, ihn zu fragen. »Satsuki sagt, sie hat keinen Bock mir Nachhilfe zu geben. Aber ich darf kein Basketball mehr spielen, wenn ich durch die nächste Prüfung falle.« Yukio konnte sehr gut verstehen, dass Momoi keine Lust dazu hatte, jemandem wie Aomine Nachhilfe zu geben. Yukio war nicht schlecht in Mathe – für bestandene Prüfungen reichte es allemal – aber auch er hatte keinerlei Motivation Aomine Daiki zu unterrichten. Andererseits wäre es womöglich schlecht fürs Team, wenn Aomine nicht mehr würde spielen dürfen… »Los, bring’s mir bei«, drängte Aomine und starrte Yukio an. Yukio spürte, wie seine Wangen heiß wurden. Zu seiner grenzenlosen Empörung geschah dies häufiger in letzter Zeit. Er fluchte innerlich. »Senpai.« Wenn Yukio vorher rot gewesen war, so war dies nichts gegen die Hitze, die er jetzt in seinem Gesicht verspürte. Niemals in seinen kühnsten Träumen hätte er sich jemals ausgemalt, dass Aomine Daiki ihn Senpai nennen würde. Wieso um alles in der Welt hämmerte sein Herz plötzlich, als hätte er ein komplettes Basketballspiel hinter sich? Er ballte die Hände zu Fäusten und presste die Zähne aufeinander. »Na schön«, brachte er mühsam hervor. * Es war komisch, Aomine Daiki in seinem Zimmer sitzen zu sehen. Seine Mutter hatte ihnen Getränke und Mochis gebracht und jetzt hockte das Ass der Generation der Wunder vor Yukios niedrigem Tisch in der Mittes des Raumes und starrte auf Yukios Matheunterlagen. »Deine Handschrift ist miserabel.« »Sie ist bei weitem nicht so mies wie deine. Halt die Klappe und lies dir das durch!« Das Schweigen, das eintrat, hielt lediglich zwei Minuten. Dann stöhnte Aomine entnervt auf und stopfte sich einen Mochi in den Mund. Yukio verdrehte angesichts dieser übertriebenen Dramatik die Augen. »Disziplin ist nicht so deine Stärke, was?« »Huh?« »Sprich nicht mit vollem Mund, du Armleuchter! Reiß dich gefälligst zusammen, oder ich lass dich durch die Prüfung rasseln, dann kannst du sehen, wo du Basketball spielst!« Aomine beklagte sich die nächsten anderthalb Stunden nicht mehr. * »Und, wie ist er so privat?« »Genauso ein Arschloch wie beim Training.« * Am Abend vor der Prüfung hockte Aomine mit zerstruwwelten Haaren und erstaunlich dunklen Augenringen auf Yukios Zimmerboden und starrte auf die Matheaufgaben, die Yukio ihm in sorgfältiger Vorbereitung auf einen Zettel notiert hatte, damit er sie zur Übung lösen konnte. Aomine hatte zwei Aufgaben gelöst und betrachtete die dritte nun seit einigen Minuten mit solcher Abneigung, dass Yukio sich unweigerlich das ein oder andere Grinsen verkneifen musste. Es war recht amüsant, den selbsternannten König des Basketballs dabei zuzusehen, wie er an einer nicht allzu komplizierte Matheaufgabe verzweifelte. Eventuell hatte Aomine eine kleine sadistische Ader in Yukio geweckt, von deren Existenz er vorher nicht gewusst hatte. »Ich dachte, der Einzige, der dich besiegen kann, bist du? Oder gibst du deine Niederlage gegen Aufgabe Nummer drei zu?«, fragte Yukio und konnte ein amüsiertes Vibrieren in seiner Stimme nicht unterdrücken. Aomine hob den Blick und sah Yukio unfreundlich und grimmig über das Blatt Papier hinweg an. »Halt die Klappe, Kasamatsu.« Wenn Yukio Aomine nicht besser kennen würde, würde er sagen, dass Aomine tatsächlich ein wenig gestresst war. Wegen einer Matheklausur, die darüber entscheiden würde, ob er weiter Basketball spielen durfte. »Seien wir doch realistisch. Selbst wenn du durch die Klausur fällst, wird der Coach irgendwas deichseln, damit du weiter spielen darfst. Ich bin schließlich bald nicht mehr Captain des Teams und dann kann er machen was er–« Bei seinen Worten war Aomines Kopf erneut in die Höhe geschnellt und jetzt musterte er Yukip scharf und berechnend. Yukio blinzelte verwirrt. Hatte Aomine etwa vergessen, dass Yukio nach diesem Schuljahr nicht mehr mit ihm Basketball spielen würde? Nicht, dass es Aomine irgendetwas ausmachen würde. Oder? »Was?«, fragte er leicht beunruhigt und rutschte neben Aomine auf dem Boden hin und her. »Hör auf drüber zu reden«, schnarrte Aomine schlecht gelaunt. Yukio runzelte die Stirn. »Worüber?« Aomine starrte ihn nur weiter grimmig an und antwortete nicht. »Falls du die Tatsache meinst, dass ich bald nicht mehr an dieser Schule sein werde, dann–« Weiter kam er nicht, dann Aomine hatte ihn mit seinen blitzschnellen Raubtierbewegungen auf den Fußboden gepinnt und Yukio starrte hoch in die schmalen, überheblich glitzernden Augen in dem Gesicht, das ihn so oft zur Weißglut brachte. Trotz Augenringen und der Ausstrahlung maßloser Arroganz musste sich Yukio einfach eingestehen, dass Aomine sehr gut aussah. Er spürte Aomines Körperwärme und sein Gehirn hatte auf Leerlauf geschaltet. Sein Herz allerdings wummerte, als würde er für jeden Schlag in der Minute bezahlt werden. Bevor Yukio sich empören oder Gedanken darüber machen konnte, was genau gerade vor sich ging, hatten sich sehr fordernde Lippen auf seinen Mund gepresst, während zwei starke Arme und Aomines halbes Körpergewicht ihn an seinen Handgelenken auf den Boden drückten. Yukios Augen weiteten sich und einen Moment lang starrten sie sich an – Yukio erstaunt und entsetzt, Aomine herausfordernd und wütend –, dann schlossen sich Aomines Augen und Yukio konnte nicht mehr denken. Er vergaß, dass Aomine ein arroganter Mistkerl war, der sich selbst für den Besten hielt. Er vergaß, dass Aomine ihn dauernd zur Weißglut brachte, ihn nicht anständig respektierte und alles in allem der unerträglichste Mensch war, der Yukio seit Jahren untergekommen war. All das war ihm in diesem Wimpernschlag egal, solang Aomine nur nicht aufhörte ihn zu küssen. Yukio ruckelte an seinen Handgelenken und Aomine ließ ihn frei, sodass Yukio seine Finger in Aomines kurzem und überraschend weichem Haar vergraben konnte. Die andere Hand packte Aomine am Kragen. Das Ganze artete in einen halben Ringkampf aus und erst als sie in ihrem Gerangel gegen den Tisch stießen, gab Yukio den Kampf um die Oberhand auf und zog Aomine komplett auf sich hinunter. Der feste, muskulöse Körper, der sich gegen seinen drückte, löste ein heftiges Kribbeln in Regionen aus, über die Yukio wenn möglich nur selten nachdachte. Er musste alles an Willenskraft aufbringen, das er hatte, um nicht gegen Aomines Lippen zu stöhnen und ihm fiel erst Minuten später auf, dass er seine Augen entgegen seines Vorsatzes doch geschlossen hatte. Dann war Aomines Körper aus seiner Reichweite verschwunden. Schwer atmend hockte er neben Yukios Tisch und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Yukio wusste, dass sein Kopf so rot war wie der Stift, mit dem er Aomines Fehler in Mathe korrigierte. »Ich mag Frauen«, informierte Aomine ihn mit einer Gleichgültigkeit in der Stimme, die Yukios Herz zum Stillstand brachte. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Aomine ließ ihn nicht so weit kommen. »Mit großen Brüsten. Ich steh auf Brüste.« Yukio wollte ihm höhnisch über den Mund fahren, ihn anschreien und ihm dann ein paar saftige Tritte verpassen, – nicht zwingend in dieser Reihenfolge – aber da war Aomine schon aufgestanden und Yukio hörte die Tür hinter sich gehen. Er blieb ganze fünf Minuten schweigend auf dem Fußboden sitzen, bis eine Erkenntnis ihn traf wie ein Vorschlaghammer. Er hatte sich in das größte Arschloch der Welt verknallt. * Aomine erschien nicht beim nächsten Training. Momoi berichtete strahlend, dass er die Matheklausur mit Hängen und Würgen bestanden hatte. * Aus naheliegenden Gründen tauchte Yukio in der folgenden Woche an keinem ihrer sonst vereinbarten Termine zum one on one auf. Er beachtete Aomine nicht beim Training und ignorierte die verwirrten Blicke seiner Teamkollegen, wenn er auf Aomines Gemaule nicht mit der üblichen Wut reagierte, sondern Aomine schlichtweg ignorierte. Diese Taktik, die Yukio an den Tag legte, schien Aomine dazu zu bringen, sich noch unkollegialer zu verhalten, als er das am Anfang ihrer Bekanntschaft getan hatte. Wenn Yukio sich nicht so stur davon abgehalten hätte, über Aomine nachzudenken, dann wäre ihm eventuell die Idee gekommen, dass Aomine auf diese Art und Weise versuchte, Yukios Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Momoi versuchte mehrmals mit Yukio über Aomine zu reden, doch Yukio machte ihr unmissverständlich klar, dass er kein Interesse daran hatte, über ihren Kindheitsfreund zu sprechen. Aomine hatte Yukios Vertrauen missbraucht und wenn es etwas gab, das Yukio nicht ausstehen konnte, dann war es Verrat. Außerdem ärgerte er sich über sein eigenes Verhalten. Er hätte Aomine gar nicht so nah an sich heranlassen dürfen. Mit einem derartigen Charakterschwein hatte es nur schief gehen können und jetzt musste Yukio die Konsequenzen tragen. »Kasamatsu-kun…« »Ich will nicht darüber reden, Momoi-san.« »Aber…« »Nein!« Momoi seufzte und ließ den Kopf hängen. Yukio hoffte, dass sie nach ihrem achten Versuch nun endlich aufgeben würde. * »Kasamatsu-kun.« »Ich will wirklich nicht über Aomine reden, Kuroko.« * »Kasamatsu-san!« »Ich hoffe, du willst nicht mit mir über Aomine sprechen…« »Woher wusstest du–« Yukio ließ Kise stehen und stapfte davon. Die Welt hatte sich gegen ihn verschworen und er hasste sie dafür. * »Momoi-san, hast du Kuroko und Kise drauf angesetzt mit mir über Aomine zu reden?« »Das würde ich niemals tun!« »Wer’s glaubt…« * Nachdem Aomines Provokationsstrategie zwei Wochen lang fehlgeschlagen war, hörte er damit auf. Stattdessen verwandelte er sich in einen Musterteamkollegen – soweit das für jemanden wie Aomine möglich war – und irritierte damit die ganze Mannschaft. Yukio hörte nicht auf, ihn zu ignorieren. * Yukio fragte sich, ob er auf einer der Universitäten, an denen er sich bewerben wollte, Basketball spielen durfte. Er wusste selbstredend, dass er nicht schlecht war, allerdings kannte er sich in der Basketballszene außerhalb der Schule nicht wirklich aus. Wer wusste schon, was für Talente an den Universitäten lauerten – einige vielleicht sogar mit Stipendien. Immerhin konnte niemand sagen, dass Yukio nichts für seine Kondition tat. Seit dem Desaster mit Aomine ging er fast jeden Tag joggen, auch wenn ihm bewusst war, dass diese neue Angewohnheit nichts mit seinem Ehrgeiz angesichts des Trainings zu tun hatte. Eine bessere Kondition schadete selbstredend nicht, aber sie würden schließlich keinerlei Turniere mehr zusammen spielen. Vorm nächsten Interhigh-Turnier würde Yukio die Schule und seine alte Mannschaft bereits verlassen haben. Er joggte immer dieselbe Strecke durch den Park, auch wenn die Uhrzeiten variierten. Manchmal sah er im Vorbeilaufen Leute auf den Street-Basketballplätzen, auf denen er während der letzten Monate auch viel mit Aomine gespielt hatte. Dieser Tage lief Yukio einfach stur daran vorbei, ohne einen Blick darauf zu werfen. Alles, was ihn an Aomine erinnerte, war keine gute Sache. Seine Wut und Enttäuschung lauerten direkt unter seiner Haut und waren jede Sekunde des Tages kurz davor überzukochen. Über andere Gefühle bezüglich Aomine wollte er lieber nicht nachdenken. An einem besonders grauen Mittwoch, an dem Yukio am späten Nachmittag zum Joggen unterwegs war, wurde er in der Nähe der Basketballplätze eingeholt. Er brauchte nicht einmal den Kopf zu wenden, um zu sehen, wer da neben ihm herlief. Yukio ballte die Hände zu Fäusten und rannte ein wenig schneller, wobei er stur geradeaus starrte und so tat, als würde er Aomine nicht bemerken. Als es anfing zu regnen bedachte Yukio den Regen mit derselben Aufmerksamkeit, die er Aomine zuteilwerden ließ. Aomine ließ Yukios Taktik nicht allzu lang funktionieren. Nach drei Minuten stummen Nebeneinanderherlaufens packte er Yukios Arm und zwang ihn anzuhalten. Sie waren beiden ziemlich durchnässt und Aomine sah unglaublich wütend aus. Yukio war nicht beeindruckt. Er schlug Aomines Hand weg. »Was willst du?«, schnauzte er Aomine an. Wieder einmal wünschte er sich, dass Aomine nicht so viel größer wäre als er. »Hör auf, mich zu ignorieren!« Yukio schnaubte. »Oh, Verzeihung, eure Majestät! Mir war nicht klar, dass ich dir irgendwas schulde. Tu ich nämlich nicht. Und schon gar nicht meine Aufmerksamkeit! Also lass mich in Frieden!« Aomine sah zum etwa hundertsten Mal so aus, als würde er Yukio gerne schlagen. Yukio musste zugeben, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte. Ein kleiner, verräterischer Teil in Yukios Hinterkopf fragte flüsternd, ob Aomines Herz wohl genauso hämmerte wie Yukios. Die Antwort war selbstredend nein. Wahrscheinlich hatte Aomine gar kein Herz. Yukio hätte angesichts seiner eigenen Melodramatik beinahe gelacht. Er beobachtete, wie Aomines Fäuste sich ballten und wieder lockerten, wie er auf einer Stelle herumtrat, wie seine Augen über Yukios Gesichts huschten… vermutlich um den besten Ort zum Zuschlagen zu analysieren. »Wieso redest du nicht mit mir?«, verlangte Aomine zu wissen. Yukio verengte die Augen zu Schlitzen. Er musste versuchen einen kühlen Kopf zu bewahren. »Lass mich überlegen… ach ja! Erinnerst du dich dunkel daran, wie du mich in meinem Zimmer überfallen und meinen ersten Kuss geklaut hast, nur um mir dann zu eröffnen, dass du Brüste geil findest? Und weißt du noch, wie du dann gegangen bist? Ich erinnere mich ziemlich gut daran. Ich werde nicht gerne verarscht und ich lass nicht gern auf mir herum trampeln! Such dir wen anders für deine beschissenen Spielchen! Wir sind fertig miteinander.« Er wandte sich ab und joggte wieder los. Aomine folgte ihm nicht und Yukio war sehr dankbar dafür, dass es regnete. * »Aomine-kun ist unausstehlich, seitdem du nicht mehr mit ihm redest, Kasamatsu-kun!« »Ach wirklich? War er nicht schon immer unausstehlich?« »Es tut ihm wirklich leid, was immer er gemacht hat! Er kann es nur nicht so gut ausdrücken…« »Weil er ein gefühlskaltes Arschloch ist.« »Nun… naja. Aber nicht nur!« Yukio verdrehte die Augen angesichts von Momois neuntem Versuch. »Er vermisst dich schrecklich«, sagte Momoi leise und Yukios verräterisches Herz stolperte in seiner Brust. Sein Mund blieb ihm treu und brachte ein ungläubiges Grummeln zustande. Momoi sah zu ihm auf und zu Yukios Entsetzen glitzerten Tränen in ihren Augen. »Wirklich! Er hockt immer auf der Parkbank neben dem Platz, auf dem ihr gespielt habt, wenn ihr eigentlich dort verabredet wart! Immer zur selben Zeit! Ich hab ihn noch nie so erlebt, er ist wie ein treudoofer Hund, den man ausgesetzt hat. Ich bin sicher, dass er es nicht so gemeint hat, was auch immer er mit seinem Holzkopf gesagt haben mag. Bitte, Kasamatsu-kun, gib ihm noch eine Chance, ja?« Yukios Mund war trocken. Unweigerlich wurde ihm klar, dass Aomine ihn dann jedes Mal hatte vorbei joggen sehen müssen, ohne dass Yukio zu ihrem Treffen erschienen wäre und ohne dass Aomine ihn angesprochen hätte. Bis vor einigen Tagen. Er konnte es nicht fassen, dass Aomine tatsächlich jedes Mal an ihrem ehemals vereinbarten Treffpunkt zur vereinbarten Zeit gewartet hatte. Auf ihn. In der Hoffnung, dass Yukio vielleicht nicht mehr sauer auf ihn war. »Ich werd mal drüber nachdenken«, krächzte er betont ungnädig und drehte sich um. Sein Magen schlug einen Salto nach dem anderen. * Yukio erschien am nächsten Tag zur ehemals vereinbarten Zeit auf dem Basketballplatz im Park. Der Platz war frei und auf einer der Bänke hockte – mit einem Basketball und einer Dose Fanta – Aomine Daiki. Er betrachtete den Ball in seiner linken Hand und Yukio war froh, dass er ihn nicht näherkommen sah. Erst als Yukio direkt vor ihm stand, hob Aomine den Kopf. Yukio war sich sicher, dass er sich das hoffnungsvolle Funkeln und den roten Schimmer auf Aomines Gesicht nur einbildete. Yukio schnappte Aomine den Basketball aus der Hand und wandte sich dem Feld zu. »Kommst du, oder was?« Yukio verlor die Partie mit 13 zu 58 Punkten. Er war ein wenig aus der Übung gekommen, gegen Aomine one on one zu spielen. Yukio blieb – wie schon bei ihrem ersten one on one – rücklings auf dem Asphalt liegen und atmete schwer dem grauverhangenen Himmel entgegen. Ihm tat alles weh. Aomines Gesicht erschien in seinem Blickfeld und musterte ihn. Allerdings fehlte ihm heute das arrogante und triumphierende Grinsen und er musterte Yukio einfach nur, als würde er versuchen in seinen Kopf zu schauen. Yukio verfluchte seine Gefühle und sein pochendes Herz. Aomine streckte ihm die Hand entgegen und Yukio ergriff sie nach einigem Zögern. Er war immer noch sauer auf Aomine, aber angesichts der Tatsache, dass Aomine wochenlang auf ihn gewartet hatte, schmolz sein Zorn zugegebenermaßen schneller, als ihm lieb war. Aomine ließ seine Hand nicht los, als Yukio wieder auf beiden Beinen stand. Es war ein merkwürdiges Gefühl. Natürlich hielten sie nicht wirklich Händchen, aber Aomine starrte hinunter auf ihre Finger, als würden sich gerade lila Tentakel aus Yukios Handgelenk um seinen Arm schlingen. Yukio ließ los. »Ich bin nicht giftig«, informierte er Aomine und humpelte hinüber zu der Bank, auf der Aomine seine Fanta stehen hatte. Dort genehmigte sich Yukio einen Schluck. »Hab ich auch nicht behauptet«, brummte Aomine hinter ihm. Yukio reichte ihm die Fanta. Aomine musterte sie kurz. Yukio hob eine Augenbraue und dann geschah etwas Merkwürdiges. Aomine wurde sehr rot und nahm einen übermäßig hastigen Schluck von seiner Fanta. Yukio wünschte sich, dass er Gedankenlesen könnte, denn etwas, das Aomine zum Erröten brachte, musste wahrhaft Gold wert sein. »Es war kein Spiel«, platzte es aus Aomine heraus. Yukio runzelte die Stirn. »Was?« Aomine wedelte ein wenig mit seiner freien Hand in Yukios Richtung. »Du weißt schon«, knurrte er offensichtlich peinlich berührt. Yukio hob diesmal beide Augenbrauen. »Ehrlich gesagt nicht.« Es war einfach zu gut, Aomine so rudern zu sehen, als dass Yukio es ihm hätte einfach machen wollen. »Die Sache bei dir. Als ich… als ich gegangen bin.« »Achso. Du meinst den Kuss«, sagte Yukio beiläufig und beobachtete zufrieden, wie Aomines arrogantes Gesicht noch mehr an Farbe gewann. Das war fast besser als ein Basketballspiel zu gewinnen. »Ja, verdammt!« »Hm. Aber du stehst auf Brüste«, informierte Yukio ihn. So oft wie in den letzten Tagen hatte er das Wort Brüste noch nie laut gesagt. Aomine knurrte. »Du hast keine Brüste«, sagte er. »Das weiß ich.« »Und es ist mir scheißegal!« »Ach ja?« Aomine gab einen wütenden Laut von sich, dann fand sich Yukio an ihn gepresst und in seinen Armen wieder, mit einem sehr nachdrücklichen Paar Lippen auf seinem Mund. Yukio wünschte, dass er hätte sagen können, dass er Haltung bewahrte. Leider tat er das nicht. Ganz im Gegenteil. Er keuchte in den Kuss und vergrub eine seiner Hände in Aomines Haaren, die andere packte Aomines Kragen und zog ihn näher zu sich herunter, damit Aomine ihm auch ja nicht entwischen konnte. Sein Herz hämmerte und seine immer noch schmerzenden Muskeln schrien empört, als er versuchte, sich auf die Zehenspitzen zu stellen. Statt den gewünschten Effekt zu haben, gaben Yukios Knie nach und er strauchelte, aber Aomine hielt ihn eisern fest und verhinderte so, dass Yukio erneute Bekanntschaft mit dem Asphalt machte. Yukio hatte keine Ahnung, wie lange sie so dastanden und sich um den Verstand knutschten, aber es kam ihm kaum länger als ein Wimpernschlag vor. Als er sich von Aomine löste, waren dessen Augen verhangen und seine Lippen feucht vom Knutschen. Alles in allem konnte Yukio sagen, dass Aomine nie besser ausgesehen hatte. Sie starrten sich einen Augenblick lang an, dann grinste Yukio. »Was?«, wollte Aomine wissen und er klang beinahe ein wenig verlegen. Yukio zuckte mit den Schultern und ließ sich auf der Parkbank nieder. Aomine hockte sich neben ihn und musterte ihn von der Seite. »Ich musste nur grad an deinen bekloppten Satz denken.« »Wieso?« »Der Einzige, der dich besiegen kann, bin ich«, sagte Yukio grinsend. Aomine boxte ihn auf den Arm und Yukio lachte. Geduld war eine Tugend und er war froh, dass er sie besaß. Sonst hätte er die harte Nuss namens Aomine Daiki womöglich nie geknackt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)