GAME OVER von Cosmo ================================================================================ Kapitel 3: Lucifer ------------------ Mit gesenktem Kopf saß Lucifer in der Kathedrale und hielt dabei eine kleine Musikbox in der Hand. Die Sonnenstrahlen fielen durch das bunte Glas und warfen wunderschöne Lichter auf den schwarzen, sauberen Teppich. Nicht ein Körnchen Dreck war zu finden, eben so, wie es sein sollte. Das Klimpern der Box hallte durch das Gemäuer und wurde nun begleitet von dem leisen unterdrückten Summen des Weißhaarigen. Er hatte diese Musikbox vor langer Zeit einmal von seinem Onkel erhalten, seinem Onkel Raven. Er liebte diesen Mann von ganzem Herzen, auch wenn Lucifer in Wahrheit lediglich sein Patenkind war. Dies war ihm jedoch vollkommen egal. Seine ungewöhnlichen Augen schweiften durch die Kathedrale und blieben an der gigantischen Orgel hängen, das gesamte Gemäuer sah aus wie eine Art Kirche… jedoch handelte es sich dabei nicht annähernd um einen Ort des Glaubens. Lucifer interessierte sich nicht wirklich für Religion, dennoch hatte man ihm vieles darüber beigebracht. Allgemein war er auf einem sehr hohen Niveau für sein Alter, so meinte es zumindest Mrs. Norris. Diese komische Rebecca hingegen… ihre Meinung über ihn wollte er lieber nicht noch mal hören. Zumindest nicht so lautstark wie zuvor. Er war froh, dass er sie endlich los war, doch bedauerlicherweise hatte er nicht wirklich fiel davon. Nein, wieso sollte sein Onkel sich auch einmal selbst um ihn kümmern?! Immer kam jemand dazwischen! Etwas verärgert klappte er die Musikbox zu und stand auf. Seine kleinen Beine trugen ihn Richtung Ausgang, alles war still, so still, dass er schwören könnte seinen eigenes kindliches Herz zu hören, welches, so verstimmt und verletzt wie er war, in einem aufbrausendem Takt in seiner jungen Brust schlug. Er war so kurz davor gewesen seinen Onkel endlich, nach so langer Zeit, komplett für sich alleine zu haben, jedoch machte ihm eine neue Krankheit den Strich durch die Rechnung. Der Name der Krankheit lautete Sophie, ein strahlendes Weib in jungen Jahren, welches noch sein ganzes Leben vor sich hatte und alles, wirklich alles positiv betrachtet. Eine unverbesserliche Optimistin. Immer am strahlen, niemals schlecht gelaunt, niemals am Meckern, egal wie unfreundlich und schamlos Lucifer war. Sie war einfach zum kotzen. Egal wie oft er ihr versucht hatte klar zu machen, dass er keineswegs so was wie eine Freundschaft zu ihr aufbauen würde, es war vergebens. Nicht einmal seinen Onkel konnte er um Hilfe bitten, da dieser so gut wie nie da war. Immer hatte er zu tun, Lucifer kam sich inzwischen so unwichtig vor, wie ein einfacher Hausangestellter im Leben seines Onkels. Dem großartigem Sir Vales, Leiter des Vales Konzerns und durch und durch von Adeliger Natur. Dem Jungen war schon vorher klar gewesen, dass sein Onkel nicht immer für ihn da sein konnte, doch er war es nie. Niemals hatte er irgendwas mit ihm unternommen, nein, immer war es eine Angestellte gewesen, die mit gespieltem Lächeln die Aufgaben erledigte und dabei stets auf Geld, Macht oder seinen Onkel aus war. Der Kies knirschte unter Lucifers Füßen, als er weiterhin Richtung Hauptgebäude lief. Normalerweise ging er nie raus, er verlief sich viel zu oft, doch heute war ein besonderer Tag, heute war nämlich der Tag, an dem Lucifer zum ersten Mal das Gelände der Vales Mansion betrat und Sir Vales somit ein Teil zu seinem Leben wurde. Damals war es nicht so Sonnig gewesen wie heute, Lucifer konnte sich noch genau daran erinnern, obwohl es nun schon einige Jahre zurück lag. Seine Eltern starben vor langer Zeit bei einem Autounfall, wohingegen den meisten Kindern aber einfach nur von dem Unglück erzählt wurde, musste Lucifer es am eigenen Leib ertragen. Er saß ebenfalls an jenem verhängnisvollen Tage in diesem Auto. *** Es geschah vor einigen Jahren, an einem regnerischen, vernebelten Tag auf einer abgelegenen, vollkommen leeren Autobahn. Ein kleiner Wagen fuhr durch die engen Kurven der Straße, wobei der Regen brutal und gnadenlos auf die Windschutzscheibe niederprasselte und dem Fahrer somit nahezu jegliche, durch den starken Nebel ohnehin schon stark eingeschränkte, Sicht raubte. „M-mir ist kalt“, die zitternde Stimme eines Kindes war vom Rücksitz aus zu hören, welche fast vom brausenden Lärm des rasenden Autos übertönt wurde. „Keine Angst mein Schatz, wir sind bald da“, zärtlich strich die Mutter ihrem Sohn über den hellblonden Kopf, auf seiner klitschnassen Stirn glitzerten die Schweißperlen wie kleine Sterne. Er hatte sehr hohes Fieber, seine Eltern waren verzweifelt, denn die Krankheit war so urplötzlich über ihren Sohn herein gebrochen, wie ein Unwetter das Land verwüsten konnte. Schnell und tödlich. „Es ist nicht mehr weit“, die beruhigende Stimme des Vaters kam von der Fahrerseite des Wagens her und kristallblaue Augen blitzten auf als er in den Rückspiegel sah um seine geliebte Frau und seinen einzigen Sohn zu sehen. Sein Name war Jack Rose, er war ein gefragter Geschäftsmann in der Umgebung, mit sehr hohem ansehen. Er hatte seine Familie bloß auf ein Wochenendtrip woanders hin mitgenommen, abgelegen von all dem Stress, weit entfernt von der Arbeit. Er konnte ja nicht ahnen, dass dies seine letzte Fahrt werden würde. Mit quietschenden Reifen fuhr er um eine scharfe Kurve, wobei der Wagen gefährlich ins schlingern kam, doch Jack wusste was zutun war. Gekonnt gewann er wieder die Macht über den Wagen und fuhr unbeirrt über den nassen Asphalt. „Fahr Vorsichtig“, sagte die Frau mit besorgter Stimme, während sie ihrem Lucifer erneut den Schweiß von der Stirn wischte. Leise hustend griff dieser nach ihrer Hand und klammerte sich an ihr fest. Er hatte Angst. „Mist… wieso muss es grade jetzt so stark Regnen?“, die Scheibenwischer des teuren Wagens konnten gegen die Wassermassen nicht das geringste Ausrichten, „Keine Sorge Marieanne ich-“, doch Jack war nicht mehr dazu in der Lage seinen Satz zu beenden. Ein lauter Knall ertönte und es war als würde etwas Gigantisches gegen die Fahrerseite krachen. Er verstummte sofort, wohingegen die lauten Schreie der Mutter durch die Nacht halten, gemischt mit dem Weinen eines kleinen Jungen, als der Wagen meterweit durch die Luft flog und komplett demoliert gegen einen Baum krachte. Lucifer lag bewusstlos auf der Seite des gekippten Wagens. Der leblose und entstellte Körper seines Vaters hing, blutend, mit unzähligen Schnittwunden, von der Decke hinab, er hatte sich im Gurt verhangen und hing nun dort wie eine schaurige Marionette ohne Gesicht. Es roch nach verbranntem Fleisch und Benzin, der blonde Junge wusste nicht wie lange er dort lag, bevor er diesen widerlichen Geruch vernahm. Etwas schweres lag auf ihm, etwas warmes, ihm war schwindelig und übel. „Mama…“, flüsterte er, mehr konnte er nicht hervorbringen, denn dieses Etwas lag auf seinem Brustkorb und schnürte ihm die Luft ab. Dann sah er etwas, eine Bewegung. „Alles okay…?“, schwer atmend richtete seine Mutter sich auf, so gut sie konnte, um ihrem Sohn ins sein junges, voller Dreck geschwärztes, Gesicht zu sehen. Sie war es die auf ihm drauf lag. Sie hatte ihn mit ihrem Körper beschützt. Blut floss ihr aus dem Mundwinkel und Lucifer konnte sehen, dass etwas nicht mit seiner Mutter stimmte. Ein spitzer, abgeschlagener Teil der Tür steckte in ihrem Rücken und hatte sie durchbohrt, sodass sie nun völlig bewegungsunfähig auf ihrem Sohn lag. Der Schmerz war ihr im Gesicht abzulesen und der kleine Junge fing nun noch doller an zu weinen, sodass sich seine reinen Tränen mit dem Blut und Dreck auf seinem Gesicht vermischten und seine kleinen, warmen Wangen hinab rannen. Ohne seine Mutter wäre er es gewesen, den das Stück Metall durchbohrt hätte, ihr Körper jedoch konnte es erfolgreich davon abhalten. Obwohl sie sichtlich unter den Schmerzen litt und jeder Atemzug eine Qual war, zwang sie sich zu einem Lächeln, einem letztem mütterlichem Lächeln, mit dem sie ihren Sohn ansah, den sie mit ihrem Körper vor dem Tode bewahren konnte. Wenn sie auch würde sterben müssen, war ihr lächeln voller Liebe. „Du musst strahlen… mein Sonnenschein“, mit letzter Kraft brachte sie diese Worte hervor, bevor sich ihr Magen verkrampfte und sie einen Schwall Blut über das Gesicht ihres Kindes erbrach. Dann war sie tot. Selbst im Tode war Marianne Roses Schönheit wie die eines Engels. Ihre wunderschönen braun gelockten Haare, nun zerzaust und angekokelt, ihr wunderbar geformter Körper, nun aufgespießt wie ein Schwein neben der Leiche ihres Mannes, aber dennoch weiterhin mit einem Lächeln im Gesicht. Ihre orangenen Augen hatten sich für immer geschlossen. Zitternd sah der schockierte Junge in das Gesicht seiner Mutter, letzte Tropfen ihres Blutes spritzten in sein Gesicht und färbten sein helles Haar blutrot. Er öffnete sein Mund zu einem lautlosen Schrei, er brachte keinen Ton raus, alles in seinem Kopf begann sich zu drehen und plötzlich… war alles schwarz. Der Lärm um ihn herum, dieser widerliche Geruch, die Schmerzen. Alles war Weg. Er war Ohnmächtig. Das nächste woran er sich erinnern konnte war, dass er grob von zwei großen Händen aus dem Wagen gezogen wurde, welcher in einiger Entfernung trotz des Regens lichterloh brannte und die Dunkelheit in ein grelles Licht tauchte. Er sah einen Ring an der Hand seines Retters, schwarz, mit dem Umriss eines weißen Rabens darauf. Dann verschlang ihn wieder die endlose Dunkelheit. Er wusste nicht wie lange er geschlafen hatte, aber als er das nächste Mal aufwachte war er an einem anderen Ort… einen den er zuvor nie gesehen hatte. Er lag in einem großen Zimmer, es war warm und ein angenehmer Geruch stieg ihm in die Nase. Leise hörte er das Ticken einer Uhr, als er plötzlich Schritte vom Gang vernahm, die sich näherten und der Knauf anfing sich zu drehen… *** Leise seufzend blickte Lucifer in den nun wolkenlosen Himmel. Diese Erinnerung schien in ihm, selbst nach all den Jahren, immer noch weiter zu Leben. Er würde es wohl nie vergessen können, die Angst die er spürte, die Hilflosigkeit. Seine Eltern vor den eigenen Augen zu verlieren war etwas, was einem nicht nur das Herz brach, sondern ebenso die Seele. Lucifer hatte keine Familie mehr. Er war in einem Zimmer aufgewacht, gewaschen mit neuer Kleidung. Er erinnerte sich noch genau an den süßlichen Duft, der ihm in die Nase stieg. So angenehm, so unschuldig. An diesem Tag war er auch zum ersten Mal Sir Vales begegnet, zumindest sah er zum ersten Mal dieses unglaublich einprägsame Gesicht. Er war noch etwas jünger gewesen, dennoch wirkte er schon viel älter, von der Arbeit geprägt. Doch was er von diesem bis zum heutigen Tage ausstrahlte ist das, was Lucifer seither nicht von seiner Seite weichen lässt. Es war seine ganze Art, die Art wie er Sprach, wie er lief, seine Gestik, es war einfach bloß sonderbar und einzigartig. Lucifer war sofort hingerissen von diesem Mann, er verdankte ihm sein Leben. Den Ring hatte er sofort wieder erkannt, er war prächtig, schwarz, mit einem Raben verziert, einfach ein pures Kunstwerk. Sie hatten gesprochen, stundenlang einfach nur gesprochen. Am nächsten Tag hatte er Mrs.Norris kennen gelernt, sie brachte ihm über die Jahre alles bei, was er lernen müsste, ebenso die Kunst des Violinenspiels. Schon von Anfang an wollte Lucifer eher im Haus bleiben, einige Angestellte hatten ihn gesehen und waren erschrickt über seinen Anblick. Seine Haare waren seit dem Unfall schneeweiß, Mrs.Norris hatte ihm erzählt, dass es die Panik war, die seine Haare so entstellte. Jegliche Farbe wurde ihm entzogen, für ihn war es wie ein Zeichen dafür, dass er an jenem Tage all das verlor, was ihn am Leben hielt. Seine Eltern, seine Kindheit… sich selbst. Komplett in seinen Gedanken verloren ging er wieder in die Villa, er hielt ein Handy vor sich her, auf dem eine Karte abgebildet war. Er selbst war darauf als blinkender Pfeil zusehen, damit er nicht die Orientierung verlor. Sophie und Crow hatten vor einigen Wochen diesen Vorschlag gemacht, weil Lucifer bloß sehr selten den oberen Teil des Hauptgebäudes verließ. Er konnte beide nicht leiden, weder Crow noch Sophie. Bei Sophie lag es bloß daran, dass sie sich zwischen ihn und seinen Onkel stellte, aber bei Crow… Alle Hausmädchen der Welt würde er lieber gleichzeitig haben müssen, als dass es noch ein zweites Kind im Leben seines Onkels gibt. Sie stahl ihm die komplette, zu wenig vorhandene, Aufmerksamkeit, die ihm sein Onkel gab. Oder halt auch nicht. Sie war klein, süß, lieblich und… einfach komplett im Weg. Sie mischte sich in sein Leben ein, etwas, was Lucifer nicht im entferntesten akzeptiert. Er verstand nicht, wieso sein Onkel noch ein zweites Patenkind brauchte, er hatte doch nun schon nie Zeit für Lucifer, wieso denn noch ein zweites?! „Hey Lucifer!“, eine Stimme hinter ihm warf ihn abrupt aus seinem Gedankengang. Schnell drehte er sich um und hoffte innerlich, dass es nicht die Person war die er vermutete. Doch er hatte Pech. Eine schnaufende, erschöpfte Sophie mit rosigen Wängchen stand nun vor ihm und sah den neutral dreinblickendem Jungen direkt in seine schwarz-roten Augen. „Da bist du ja!“, keuchte sie, während sie sichtlich nach Luft schnappte. Sie musste ihn schon den ganzen Tag gesucht haben, diese komische Sophie, „ich wollte doch heute mit dir Geografie lernen!“. „Keine Lust“, meinte Lucifer und wand sich mit kalter Schulter von ihr ab. Er konnte diese Frau nicht leiden und verstand nicht, wieso sie nicht einfach mal akzeptieren konnte, dass Lucifer und sie niemals Freunde sein werden. Sie war so aufdringlich und nervtötend und das schlimmste… sie hörte niemals auf zu lächeln. „Oh, das versteh ich natürlich“, meinte sie mit ihrer liebsten Kindermädchenstimme, „darf ich wissen wo du dich den ganzen Tag verkrochen hast?“. Genervt rollte er mit seinen Augen, „Wenn ich dir mein Versteck verrate dann ist es doch kein Versteck mehr“. „Also hast du dich versteckt? Vor wem?“. „Vor dir“. Sophie kicherte leise bei seiner Antwort, „Nein wirklich, vor wem?“. „Vor dir, Sophie“, meinte Lucifer kalt und lief einfach weiter. Man, diese Frau kann einem echt auf den Geist gehen. Unbeirrt begann die Größere ihn einzuholen und lief nun neben ihn her. „Und hilft dir die Karte ein wenig?“, fing sie dann wieder an. „Etwas…“, meinte er und bog nach links ab, wo eine Treppe sich vor ihm aufbaute. Ohne vom Display aufzusehen tapste er Schritt für Schritt nach oben. „Brauchst du wirklich noch die Karte? Ich meine… Vorsicht Stufe!“, bevor Lucifer hinfiel hielt sie ihn noch rechtzeitig fest. Undankbar wie er war, schüttelte er sie wortwörtlich ab und lief weiter, nun aber ein wenig auf seine Füße achtend. „Ja, ich brauche sie. Ich habe mich schon oft genug verirrt“, antwortete er patzig. Inzwischen waren sie wieder auf der oberen Etage angekommen, woraufhin Lucifer das Handy wieder in seine Hosentasche steckte, direkt nachdem er eingetreten war. Ohne Sophie zu beachten ging er in Richtung seines Zimmers, es war nicht schwer zu erkennen welches es war, denn unter dem Türschlitz kam ein greller Schwall blendenden Lichtes hervor. Lucifer hasste die Dunkelheit. Aus eben diesem Grund ist sein Zimmer 24 Stunden lang dauerbeleuchtet, über 150 Glühbirnen werden dafür verwendet, welche in regelmäßigen Abständen gewechselt werden, damit keine einzige Sekunde auch nur irgendein Teil des Zimmers nicht beleuchtet war. Die Dunkelheit war für ihn ein Grauen, jeder Schatten war der absolute Horror, es gab nichts, was er mehr fürchtete. Es erinnerte ihn… an diese Hilflosigkeit die er verspürte. Die Panik. „Wie lange willst du mir denn noch Folgen?“, er legte die Hand auf die Klinke und sah sich zu Sophie um, die immer noch hinter ihm stand und anscheinend erwartete, dass sie irgendwas für ihn tun könnte. „Sag Bescheid wenn du etwas brauchst, ich komme sofort okay?“, sie zwinkerte und drehte sich um, woraufhin sie in Richtung von Crows Zimmer davon Schritt. Pah! Was fand Crow nur an der? Crow und Sophie waren wie ein Herz und eine Seele, sie unternahmen ständig irgendwelche Dinge, die Lucifer selbst niemals machen würde. Reiten… schwimmen… spazieren. Angeblich sollen die beiden sogar an irgendwelchen dummen Automaten arbeiten damit die Mitarbeiter ein Snack auf dem Weg zu ihren Arbeitsplätzen kaufen könnten. Leicht frustriert betrat er sein Zimmer, woraufhin ein greller Strahl des Lichtes ihn blendend begrüßte. Er schloss die Tür hinter sich, trat einpaar Stifte beiseite und warf sich auf sein weißes Bett, welches voller Kritzeleien und Bilderchen war, die ihn und seinen Onkel darstellten. Sein ganzes Zimmer war voll von diesen Bilden, er hatte sie alle für seinen Onkel gezeichnet doch niemals nahm er auch nur eines davon an. Lucifer dachte, es würde vielleicht daran liegen, dass sein Onkel sie nicht gut genug findet. Deshalb übte er so gut wie jeden Tag, damit er besser werden konnte. Damit sein Onkel stolz sein konnte. Plötzlich fiel ihm etwas auf. Etwas stimmte nicht. Langsam ließ er seinen Blick durch den Raum wandern bis er es sah. Auf seinem weißen Tisch in der Ecke des Raumes stand ein kleiner Teller. Sophie… dachte er genervt und sprang vom Bett um zu sehen was auf dem Teller lag. Es war ein Zettel und ein Keks in Form einer Sonne, die ihn anlächelte. Mit kaltem Blick nahm er den Zettel und las die sorgfältige weibliche Handschrift. Der Text ließ ihn einen Stich im Herzen spüren, denn dort stand etwas wovon er wünschte es am liebsten übersehen zu haben. „Damit auch du mal strahlst“, wiederholte er leise und zerknüllte das Papier, welches er daraufhin ungeachtet in irgendeine Ecke seines Zimmers warf. Wütend sah er auf die Kekse. Sollte er sie wegwerfen? Hm… nun Sophie hat bisher eigentlich immer recht gut gekocht und… gegessen hatte er auch noch nichts heute. Nach längerem überlegen griff er zögernd nach einem Keks, das Gesicht war mit Schokoglasur aufgemalt. Sogar diese Plätzchen müssen bei ihr lächeln, kam ihm der Gedanke… Hm. Grübchen. Langsam kaute er und schluckte den leckeren Teig hinunter. Der Keks war wirklich lecker, dass musste er Sophie lassen. Ehe er sich versah war auch schon der Rest des Kekses verschwunden und verspürte einen leichten Stich der Enttäuschung. Doch so einfach ließ er sich nicht herumkriegen. Auch diese „Frühstück-ans-Bett-bring“-Sache änderte nichts an der Situation. Er konnte sie einfach nicht leiden! Dennoch musste er zugeben, dass… er schon etwas neidisch war. Crow verstand sich so gut mit ihr, Crow war beliebt. Er hingegen saß nur in seinem Zimmer herum. Heute war der einzige Tag gewesen seit langer Zeit wo er sich mal wieder herausgewagt hatte. Er verstand nicht wieso dieses Mädchen sich traute sich draußen sehen zu lassen… sie war doch genau wie er. Sie hatten die Selben diabolischen Augen, vor denen jeder Mensch zurück schreckte. Doch man begehrte sie… sogar Sir Vales, wie er annahm. Er hasste sie dafür. Von Herzen. Jetzt wollte sie sogar bessere Umstände für die Arbeiter schaffen, obwohl sie noch so jung war. Sie war genau wie Lucifer was die Intelligenz angeht. Sie waren beide viel zu Reif für ihr Alter, wenn sie auch ab und zu in das kindliche Schema zurückfallen. Dennoch… Crow hatte zusammen mit einigen Arbeitern aus der technischen Abteilung ein Programm geschrieben und Entwickelt, welches Lucifer half ohne Probleme durch die Villa zu kommen und sich nie wieder zu verlaufen. Er wäre nie auf diese Idee gekommen, musste er sich beschämt eingestehen. Vielleicht war Crow doch besser… Nein! Sie war es nicht! Sie konnte es nicht sein! Sie stahl ihm sein Leben! Seinen Platz! Das konnte er nicht zulassen. Entschlossen sprang er auf, wobei einige Bilder von seinem Bett aufgewirbelt wurden und nun durch den Raum flogen. Liebevoll nahm er die Musikbox aus der Tasche und stellte sie auf seinen Tisch neben dem Teller, wo er sie öffnete und sich ein weiteres Mal dieses wunderschöne Stück anhörte, welches sein Herz ergriff. „Ich soll also strahlen…“, murmelte er leise mit gesenktem Kopf. Seine Haare hingen ihm wild ins Gesicht. Ein leichtes Lächeln tanzte über seine Lippen. „Dann werde ich strahlen“, flüsterte er und hob nun langsam seinen Blick. Seine Augen waren das erste Mal weit geöffnet und ein gespenstisches Lächeln war auf seinen Lippen zu sehen. Wenn er nicht so sein konnte wie er wollte… dann würde er eine Maske tragen müssen. Ein Schauspiel veranstalten, auch wenn es ihm schwer fiel und er mit seinen weißen Haaren eher unheimlich als nett aussah. Doch er würde es schaffen er wusste es. Er musste. *** „Sophie!“, erschöpft lief Lucifer einer großen braunhaarigen Frau nach, die ihn überrascht ansah. „Huch?“, überrascht sah Sophie ihn an, wobei sie Mühe hatte den riesigen Wäschestapel zu halten den sie in ihren Händen trug. „Hier, das habe ich noch, dann musst du nicht noch mal waschen“, meinte der Jugendliche und warf ihr ein Shirt auf den Stapel. „Danke, das ist nett von dir“, meinte sie und machte Anstalten zu gehen. In den letzten Monaten war Lucifer deutlich netter zu Sophie geworden. Inzwischen ging er sogar ab und zu raus, wenn auch nicht oft, was trotzdem zur Folge hatte, dass er nicht bloß noch eine Geistererscheinung für einige Angestellten war sondern tatsächlich eine existierende Person mit einem Namen. Mit dem Handy in der Hand machte Lucifer sich wieder auf dem Weg zu seinem Zimmer. Am vorbeigehen grüßte er einige Angestellte mit einem höflichen nicken. Seinen Onkel hatte er schon sei längerem nicht mehr gesehen, leicht deprimiert stand er nun vor der riesigen schweren Tür die zu seinem Büro führte. Irgendwo dahinter saß er. Die Person die er über alles liebte. Doch er konnte sie nicht erreichen. Traurig legte er seine Hand auf das schwarze Holz und senkte seinen Kopf. „Hey!“, eine Stimme von der Seite ließ ihn zusammen zucken und sofort zwang er sich wieder sein gespieltes Lächeln auf, er wollte ja schließlich gut dar stehen. Doch dann sah er, dass es sich dabei bloß um Crow handelte. „Oh du bist’s“, sofort sanken seine Mundwinkel nach unten und er sah sie mit eben jenem genervten Blick an, der normalerweise für ihn üblich war. „Dachte ich es mir doch“, meinte Crow und musterte Lucifer von oben bis unten, „ist so viel Grinsen nicht ungewohnt für dich?“. Eine Grimasse schneidend streckte er ihr die Zunge raus und drehte sich arrogant weg, „Ha! Solange ich bekomme was ich will ist mir alles recht“. „Pff… du bist so ein Dummkopf. Du willst allen hier etwas vor machen“, gelangweilt schob sie sich an ihm vorbei und ging die Stufen hinunter. Es war nun schon fast drei ganze Jahre her, seitdem sie beide zusammen leben mussten, doch es war immer noch eindeutig die Anspannung zu sehen die zwischen den beiden herrschte. Sie waren älter geworden. Reifer. Doch zwischen ihnen hatte sich nichts geändert. Sie benahmen sich immer noch wie zwei Kleinkinder die um ein Spielzeug streiten, bloß, dass es sich in diesem Fall um ein Spielzeug handelte, welches sowieso keiner von Beiden wirklich zu Gesicht bekam. Inzwischen spielte er seine Rolle ziemlich gut, jedoch konnte er der schwarzhaarigen niemals etwas vormachen. Sie schien ihn besser zu kennen als ihm lieb war, aber genauso ging es ihm anders herum. Es war wie eine ungewöhnliche Bindung… er hatte immer noch nicht verstanden wieso sie hier war. Von ihm aus könnte sie überall sein aber nicht hier! „Wo willst du denn hin?“, fragte er, als er ihr nachsah. Er wusste nicht wieso er das fragte aber, es interessierte ihn aus irgendeinem Grund, denn der Schraubenschlüssel in ihrer Hand weckte seine Neugier. Vermutlich war sie wieder dabei irgendwas zu bauen, womit sie dann ach so super dar steht. „Wow, du interessierst dich mal dafür was andere machen“, der Sarkasmus in ihrer Stimme war nicht zu überhören, wobei sie sich dennoch umdrehte um dem weißhaarigen in die Augen zu sehen, „ich habe eine neue Idee, wir planen ja grade das Gelände des Anwesens noch einwenig auszubauen, da sollte ich einfach mal meine Ideen rein werfen“. Ein unangenehmes Gefühl machte sich in Lucifers Brust breit. „Wir?“ „Ja, das Technikteam und ich. Bisher sind es bloß Entwürfe aber…“, sie strich sich die Haare hinters Ohr und ihr Blick fiel auf ihre Uhr, „dem Master zeige ich die Entwürfe erst wenn alles perfekt durchdacht ist. Du weißt, er ist sehr beschäftigt“ Master. Dieser Name ließ Lucifer wütend werden, er hasste es wenn Crow ihn so nannte, es war sein Onkel nicht ihr dämlicher Master! Am liebsten würde er sie einfach die Stufen hinunter stoßen und ihr so viel Leid wie möglich antun doch… er konnte nicht. Darum lächelte er einfach wieder, „Oh, na dann viel Erfolg“, ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und Schritt durch die Tür, durch die Crow eben noch gekommen war. Seine Hände hatte er angespannt zu Fäusten geballt, er musste sich wirklich stark zurückhalten um sie nicht in Crows hübsches Gesicht zu schlagen. Wie sehr wünschte er sich, dass er es einfach machen könnte. Doch er durfte seine Maske nicht verlieren. Schritt für Schritt ging er durch den verzierten Flur mit dem teurem schwarzem Teppich. Er brauchte erst mal eine Ablenkung. Die Gemälde schienen ihn alle anzustarren, jedoch hatte er sich inzwischen daran gewöhnt. Einige zeigten einfach nur Landschaften, andere hingegen die verschiedensten Arten von Menschen. Er hatte keine Ahnung was die Bedeutungen dahinter waren, doch solange sie Sir Vales gefielen würden sie wohl dort hängen bleiben. Inzwischen hatte auch Lucifer deutliche Fortschritte gemacht was die Malerei anging, es war nun keine einfache Kritzelei mehr sondern ein aufwändigeres Bild, welches jedoch noch nicht im entferntesten mit den anderen Gemälden mithalten konnte. Sanft öffnete Lucifer eine Tür am Ende des Ganges und trat hinein. Mitten im Raum standen zwei Flügel, ein pechschwarzer und ein schneeweißer. An den Wänden, selbstverständlich mit größter Sorgfalt behandelt, standen die verschiedensten Arten von Instrumenten. Er strich über die Resonanzkörper der Saiteninstrumente und kam vor einer Violine zu stehen. Sie war weinrot und hob sich deutlich von den anderen ab. Es war seine Violine, die, die er am liebsten spielte. Er fühlte das glatte Holz an seinen Fingern und zupfte leicht an den vier Saiten. Sie war gestimmt. Natürlich war sie das, er sorgte dafür, dass sie immer gestimmt war. Er kam seit dem letzten Jahr öfters an diesen Ort wenn er mal seine Ruhe brauchte, nur in der Musik konnte er sie finden. Mit geschlossenen Augen stimmte er sich in einen Ton ein und zog den Bogen über die vier Saiten. Wo sich herausgestellt hatte, dass Crow ein Technik Freak ist, hob sich Lucifer als begnadeter Künstler und Musiker ab. Langsam begann er eine Melodie anzustimmen. Sanft strich er über die Saiten und griff dabei verschiedene Töne, sodass ein ruhiges, leises Lied durch den Raum hallte. Es war die selbe Melodie wie einst aus seiner Musikbox. „Dich stolz machen?“, flüsterte er, während er immer die gleichen leisen Töne spielte, „hm… macht dich das stolz?!“, schnell riss er die Violine hoch und begann so schnell zu spielen wie er konnte. Es war so perfekt, so gekonnt, jeder einzelne Strich erfüllte den Raum mit einem neuen, herzzerreißendem Klang. Lucifer hatte aus dem einfachen Stück der Musikbox ein Meisterwerk geschaffen, eine Melodie welche jedem Zuhörer das Herz erweichen könnte. Doch nur sein Onkel sollte es hören. Deshalb spielte er in diesem Raum, damit niemand Anderes ihn dabei stören konnte und er voll und ganz mit seinem Lied alleine war. Wenn er es spielte war es, als wäre sein Onkel bei ihm, denn… obwohl nur wenige Wände sie trennen, war es als wären sie Kilometer weit voneinander entfernt. Wieder spürte er einen Stich im Herzen, wie so oft, wenn er dieses Lied spielte. Dieses Instrument war inzwischen wie ein Teil von ihm, es war nicht einfach bloß eine Violine, sondern etwas worauf Lucifer sich immer verlassen konnte. Wenn es ihm mal schlecht ging wusste er, er konnte sein Lied spielen. Neue Stücke komponieren. Dieser Ort war sein Reich, hier galten seine Regeln. Niemand anderem war es erlaubt hier einzutreten ohne seine Erlaubnis. Ein einfaches Hausmädchen hatte es einst gewagt; sie sollte wohl zur Elite aufsteigen; sie hatte sein heiligen Ort beschmutzt und eines seiner Instrumente zerstört. Lucifer hat sich selbstverständlich persönlich um sie gekümmert. Er konnte sich noch genau an all die Tränen erinnern die sie vergoss, als er in ihr Fleisch schnitt. Die Erinnerung an ihr warmes Blut ließ Lucifer voller Entzückung erschaudern. Er hatte sie nicht umgebracht, nein, er hatte ihr lediglich eine… Lektion erteilt. Die Narben trägt sie noch bis heute. Ein einfacher Gärtner wurde beschuldigt sie überfallen zu haben, man könne ja schließlich einem kleinen Jungen nicht solch eine grausige Tat zuschreiben hieß es. Einer solchen brutalen Straftat beschuldigt und bloß gestellt vor seinem Arbeitgeber und seiner Familie, ohne Arbeit und von allen verlassen, fraß es ihn von innen und er sah nur noch einen Ausweg. Er sprang vom hiesigem Kirchturm und setzte somit seinem Leid ein jähes Ende. Die Polizei sah dies als eine Art Geständnis und kümmerte sich deshalb nicht weiter um diesen Fall. Die Haushälterin machte seit jenem Zeitpunkt einen großen Bogen um die gesamte obere Etage, was Lucifer nur begrüßte. Das Leben dieses Mannes war ihm nichts Wert, all diese Leben hier bedeuteten ihm nichts. Es gab nur ihn und Sir Vales, für den er sogar über Leichen gehen würde. Obwohl er ein Kind gewesen war hatte er ohne zu zögern eine unwissende, schwache Frau überfallen und ihr die größten Schmerzen zugefügt. Er genoss es, doch er wusste auch, dass sein Onkel es wohl nicht so toll fände, wenn er erfuhr, dass sein Patenkind begann seine Angestellten zu massakrieren. Der Gärtner war glücklicherweise zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen und konnte deshalb nicht beweisen, dass er nicht der Täter sein konnte. Es war perfekt gewesen, es hatte ihm Spaß gemacht zu sehen wie die Frau darunter litt und fast noch mehr, als er sah, wie der Mann alles verlor was er sich sein ganzes Leben lang aufbaute. Freunde, Familie, Geld, Stolz. Alles weg in dem Moment, wo ein Kind mit Tränen in den Augen, auf ihn zeigt und unter schluchzen hervorbringt, er habe es genau gesehen. Innerlich hatte Lucifer sich nicht mehr halten können vor lachen, eine Made hatte er schon mal beleidigt. Seine Rolle konnte er danach noch besser einnehmen, er fand langsam seinen Platz in der Gesellschaft. Crow war sofort bei allen beliebt gewesen, doch Lucifer musste sich erst langsam einleben. Der Gedanke zwischen all diesen dämlichen Maden zu sitzen widerte ihn zuerst komplett an, nachdem er nicht mal die größte Plage von allen ertragen konnte: Sophie. Doch er schaffte es, er hielt durch. Bis auf das Hausmädchen hatte er auch niemals Hand an einen anderen Angestellten angelegt. Wieso denn auch? Er wollte seine Hände nicht unnötig mit Blut besudeln, auch wenn er ab und an diesen quälenden Reiz empfand. Es kribbelte ihm in den Fingern, wenn eine ahnungslose Frau vor ihm herlief, viel zu sehr in der Arbeit versunken, als dass sie bemerken würde, wie ein, inzwischen deutlich älterer, Junge sich von hinten nähert, mit einem Messer in der Hand, einem süßem lächeln auf den Lippen, immer näher kommend. Seine weißen Haare würden ihm ins Gesicht fallen, doch seine schwarz-roten Augen würden jede einzelne Bewegung genau beobachten. Jeder sich bewegende Muskel, jede einzelne Falte ihres reinen Kleides, welche kurz davor stand durchstochen und mit warmen, rotem Blut durchtränkt zu werden. Doch er würde es nicht tun. Der Gedanke alleine aber war ein kleiner Trost auf sein innigstes Verlangen, denn er hoffte, dass er irgendwann, egal wie lange er auch würde warten müssen, endlich seine Fantasien ausleben konnte. Es würde ein Blutbad werden, und er würde lächeln. Sein Onkel würde stolz sein. Das Lied war zu Ende. Elegant zog er den Bogen ein letztes Mal über die dünnen Saiten und ging damit zurück zum Ort wo er sie hergenommen hatte. Das weinrot gefärbte Holz war leicht feucht unter seinen verschwitzten Fingern, wie es so oft der Fall war wenn er intensiv und lange spielte. Er verlor sich komplett in der Musik, wenn er einmal begann konnte er nur mit größter Mühe aufhören. Er ging zur Tür und ließ das Zimmer hinter sich, nun war es wieder Zeit für das echte Leben. Er hasste es. *** Der weißhaarige Junge ging durch den Flur, das Abendlicht schien durch die Fenster, es war kalt. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, als er bemerkte, wie dunkel es wurde. Das rötliche Licht verschwand langsam am Horizont hinter den Bergen und mit jeder Minute schienen die gigantischen Schatten größer zu werden. Bedrohlicher. Er beeilte sich um so schnell es ging zu seinem Ziel zu kommen, sein Onkel hatte ihn rufen lassen, doch keineswegs in dessen Büro wie Lucifer zuerst dachte, nein ganz woanders hin. Obwohl er schon jahrelang hier lebte, kannte er diesen Ort nicht. Glücklicherweise hatte Crow es ihm auf der Karte angezeigt, doch der Weg war so… kompliziert. Er war ihren Anweisungen genau gefolgt, doch inzwischen war er wohl schon eine gefühlte halbe Stunde unterwegs. Immer wenn er dachte er hätte sich verlaufen, erinnerte er sich an etwas, was Crow ihm genannt hatte. An der Engelsstatue links… den Gang entlang… dritte Tür von rechts… dann gerade aus…, im Kopf ging er alles noch einmal genaustens durch. Ihm war ziemlich unwohl bei dem Gedanken sich zu verirren, es war inzwischen über ein Jahr her, doch dies war nicht nur ein anderer Teil der Villa, es war ein komplett neues Gebäude! Es war nicht mal ganz so alt, der Bau war überraschend kurz gewesen. Er kannte sich hier nicht aus und das machte ihm, auch wenn er inzwischen kein kleines Kind mehr war, ziemliche Angst. In letzter Zeit kam es ihm vor als habe er sich noch mehr von seinem Onkel distanziert. Komische Dinge gingen vor, das hatte er von den Angestellten gehört. Angeblich begann alles vor wenigen Monaten, seit der Fertigstellung dieses Gebäudes. Crow hatte ihm erzählt, dass es den Angestellten verboten war sich für eine gewisse Zeitspanne von wenigen Wochen innerhalb eines Gebäudes aufzuhalten. Es ärgerte ihn, dass Crow mehr wusste als er, vermutlich lag es daran, dass sie so vieles getan hatte in letzter Zeit. Diese Snackautomaten… die Karten… was kommt als nächstes, Kameras? Paranoid sah er sich um, konnte jedoch nichts finden. Er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Er fühlte sich wie ein kleines Kind, dass in seiner eigenen Welt gelebt hat und urplötzlich erkennt, dass es erwachsen werden muss. Überfordert von der Welt, voller Furcht vor neuen Dingen. Doch sein Onkel Raven hatte ihn zu sich bestellt. Endlich hat es sich ausgezahlt, endlich konnte er zeigen, dass auch er zu etwas nutze war, statt bloß in seinem über beleuchtetem Zimmer zu hocken, Bilder zu malen und Violine zu spielen. Endlich war er dran, zu zeigen was er kann. Er würde Crow wie ein wertloses Stück Abfall dar stehen lassen! …doch zuerst würde er seinen Onkel überhaupt finden müssen. Mit dem Blick auf seine Karte bog er um die Ecke. Crow hätte so etwas wie ein Navigationsgerät einbauen sollen, schoss es ihm durch den Kopf, gleichzeitig verfluchte er sich dafür, dass er wohl niemals dazu in der Lage sein würde auch nur annähernd etwas Ähnliches herstellen zu können. Doch auch er war intelligent, jedoch vergaßen das die Meisten. Crow hier, Crow da. Crow musste verschwinden. Plötzlich schien er dort angekommen zu sein wo er hin musste, sie hatte ihn also nicht bloß an der Nase herumgeführt. Vor ihm war eine riesige schwarze Fahrstuhltür, prächtig verziert mit komplizierten Mustern und Schriftzeichen, die in Bilder mündeten. Es sah schon fasst religiös aus, dachte er, wobei er einen Knopf drückte, der unscheinbar neben dem gigantischem Tor angebaut war und komplett vom Prunk übertrumpft wurde. Hier war es einfach ein simpler, schwarzer Knopf, der einfach nur dazu da war um den Fahrstuhl zu holen. Keine Muster, keine Zeichen, einfach bloß ein langweiliger schwarzer Knopf, dessen Ränder rot leuchteten wenn man ihn drückte. Zumindest ein Soundeffekt hätte Lucifer erwartet, der leicht ungeduldig darauf wartete bis der Aufzug endlich seine Etage erreichte. Wie tief es wohl runter ging? ...ins Dunkle… und Schwarze… Er zitterte leicht bei der Vorstellung, doch sein Onkel wartete auf ihn. Er war schon spät dran. Er hatte keine Ahnung, was sein Onkel von ihm wollte, alle Ideen die er hatte schienen ihm nach einer Weile dann doch viel zu unrealistisch, als dass sie den Grund hätten darstellen können. Ungeduldig drückte er noch mal auf den Knopf, wo blieb das Ding denn?! Dann war er endlich da. Mit einem leisem „Bling“ öffneten sich die Tore und ein strahlender, über beleuchteter Innenraum kam zum Vorschein. Vom Licht geblendet hielt der Junge sich kurz die Hände vor die schwarz-roten Augen, jedoch gewöhnte er sich schnell an das Licht, sein Zimmer war nicht viel anders. Schnell trat er ein, er bemerkte den weichen weinroten Teppich unter seinen Füßen, das innere des Aufzuges war ebenfalls golden verziert auf hölzernem Untergrund, jedoch nicht so stark wie das schwarze äußere. Dennoch perfekt symmetrisch, es war alleine schon ein pures Kunstwerk, er wollte gar nicht wissen, wie viel sein Onkel dafür hingeblättert haben muss. Doch Geld spielte bei ihm ja sowieso keine Rolle. Aus dem Erstaunen gerissen drückte er den Knopf der nach unten zeigte. Nun, es gab nur diesen einen Knopf, neben dem anderen der nach oben zeigte. Er wusste selbst nicht, was er erwartet hatte, aber er war trotzdem ein wenig enttäuscht. Kurz kam ihm die ironische Idee von einem gläsernen Aufzug, der in alle Richtungen fahren könnte. Er schmunzelte leicht bei diesem Schwachsinn, am besten noch fliegen. Er sah sich um, vielleicht gab es ja noch etwas zu entdecken. Leise Fahrstuhlmusik lief im Hintergrund, etwas was ziemlich im Kontrast steht zu diesem Höllentor. Fahrstuhlmusik? Er wusste nicht, dass sein Onkel so etwas mochte… naja ist seine Sache. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit in der er da fuhr, er begann schon im Rhythmus des Liedes mit zu tippen und ein Songtext dazu zu entwickeln. „Run… run… through this Mansion…“, die Melodie gefiel ihm echt gut. Er hoffte, er könnte sie sich merken bis er wieder in seinem warmen, sicheren, ausreichend beleuchtetem Zimmer saß. Er driftete leicht mit den Gedanken an sein Bett ab, er war schon so lange wach… „…or you’ll be…“, leise sang er weiter, bevor er registrierte, dass der Aufzug zum stehen gekommen war und die Türen sich öffneten, „Game Over….“, der Mund klappte ihm auf bei dem was sich vor ihm aufbaute. Er hatte vieles erwartet, jedoch nicht so etwas. Er stand in einem Raum, nein eher einer kleinen Halle, voller Bildschirme und Kabel, die , anscheinend noch nicht vollends aufgebaut, im gesamten Raum standen. Überall waren Kisten, weswegen Lucifer größte Mühe hatte nicht über einen der vielen Gegenstände zu stolpern, sei es ein Kabel oder ein Bildschirm oder irgendwas anderes. In der Ecke standen mehrere von Crows Automaten, diese jedoch waren anders Designed, es gab viele verschiedene Varianten. „Time…Out?“, las er leise vor, er musste den Kopf schräg legen um die Aufschrift lesen zu können, die schwer lesbar auf den zur Seite gelegten Automaten geschrieben stand. „Lucifer“, die tiefe, raue Stimme lies Lucifers Herz einen Schlag aussetzen. Er war hier. Und sie waren alleine. Er sah sich um, um den Ort zu finden, wo sein Onkel sich befand, doch dies war beinahe unmöglich zwischen diesen ganzen Bildschirmen. „Komm her.“ Er war aufgeregt, sein Onkel war nun schon so nahe, er wartete auf ihn, doch er war einfach zu blöd um ihn zu finden. Da sah er etwas, eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Die einzige Lichtquelle in diesem Raum waren die Bildschirme, weshalb es ihm fast gar nicht auffiel. Doch da saß er. Sein Onkel. In Fleisch und Blut. Er saß auf einem riesigen, schwarzen Bürostuhl, sein Zylinder ragte darüber hinaus. Er drehte sich um und musterte sein Patenkind mit gelben, kalten Augen. Lucifer blieb beinahe der Atem stehen, die Aufregung war einfach zu groß, plötzlich fühlte er sich so unendlich klein, so hilflos. Es war, als würde er unter dem Blick von dem großartigen Sir Raven Vales zerquetscht werden, wie eine kleine bedeutungslose Ameise. „J-ja?“, er stotterte leicht. Es war Monate her, seitdem er ihn das letzte Mal gesehen hatte, es kam ihm vor wie eine Ewigkeit… eine Ewigkeit ohne seinen Gott. Seine gesamte abweisende Art, sein gesamter Hass, er war weg. Egal worum sein Onkel ihn bitten würde, er würde es in blinder gehorsam tun. „Komm näher“, antwortete Sir Vales mit kaltem Blick, wobei er sich wieder seinen Bildschirmen zuwandte. Lucifer war zu weit entfernt, als dass er hätte erkennen können was genau darauf zu sehen war, weshalb er zögernd ein paar Schritte näher trat. „Ich weiß, was du mit einigen von meinen Angestellten gemacht hast Lucifer“, seine faltige weiße Hand lag ruhig auf seinem merkwürdig geformten Gehstock und seine teuren Ringe blitzten im Licht des Videobildes. Darunter auch der schwarze Ring mit dem Raben darauf. Ein Kloß machte sich im Hals des Weißhaarigen bemerkbar. Er wusste es… all die Schandtaten, denen Lucifer im Endeffekt nicht widerstehen konnte… all die Sünden die er begangen hatte. Er wusste, dass es ein Fehler war. Er hätte aufhören sollen doch… er hatte sich danach gesehnt. Über zwei Jahre lang konnte er sich dem Drang entreißen doch eines Tages… Es war kalt gewesen, es hatte stark geschneit, Eiszapfen hingen vom Dach und glitzerten im Licht der Sonne. Der Moment war damals einfach zu günstig, er konnte einfach nicht anders. Anders als beim ersten Mal war es diesmal aber eher spontan gewesen, wie gesagt, die Umstände waren einfach zu perfekt. Ein Gärtner hatte die Aufgabe gehabt, den Schnee vom Dach zu holen und die gefährlichen Eiszapfen zu entfernen. Natürlich nicht vom Hauptgebäude, das war viel zu hoch, nein einfach von einem kleinerem abgelegeneren, wovon Lucifer nicht einmal den Nutzen kannte. Zumindest war das Dach so hoch, dass man eine lange Leiter brauchte um es zu erreichen. Lucifer war an diesem Tag spazieren gegangen, er war grade fertig mit dem Heimunterricht bei Sophie und wusste nichts mit seiner Zeit anzufangen. Der Gärtner war kurz verschwunden und neben der Leiter lag die Säge für die Zapfen… er hatte wie so oft zuvor wieder mit dem Gedanken gespielt, was wäre wenn er es einfach tun würde, einfach mal seine Gedanken verwirklichen. Doch der Unterschied zu sonst war… diesmal hatte er es getan. Er hatte sich durch den Schnee geschlichen, darauf achtend keine Spuren zu hinterlassen und die Säge genommen. Es war nicht einmal besonders schwer gewesen den Fuß der Leiter an zu sägen, die Säge war scharf und dünn. Es hinterließ fast keine Spuren und noch ehe er sich versah hatte er sich auch schon hinter einem Baum versteckt und das Geschehen durch die Zweige beobachtet. Der Gärtner war zurückgekommen mit einer kleinen Tasse Kakao, natürlich, es war kalt gewesen, er wollte sich eine Pause gönnen. Nach einer Weile hatte er sich wieder die Säge genommen und auf den Weg nach oben gemacht. Er hatte nicht einmal nachgeguckt, ob alles sicher war. Lucifer wusste noch, wie er breit grinsend hinter dem kahlen Baum gestanden hatte um zu sehen was passieren würde, wie vorfreudig er damals gewesen war endlich sein Werk genießen zu können. Der Mann fuhr mit seiner Arbeit fort. Eine Minute verstrich, zwei, drei. Die Leiter schien nicht einmal den Anschein zu machen zusammenfallen zu wollen. Er war enttäuscht gewesen, er stand kurz davor sich bockig umzudrehen und zu gehen, als es dann doch plötzlich passierte. Der Mann war grade dabei einen großen Eiszapfen an zu sägen, als eine Windbö plötzlich die Leiter traf und er ins wackeln geriet. Der Klang seines Schreis war wie Musik in Lucifers jungen Ohren gewesen, das knackende Geräusch von brechenden Knochen, als der Mann aufs Eis viel, doch es waren nicht die Brüche, die ihn töteten, nein, viel besser. Der Eiszapfen, er fiel hinunter, genau auf den sich unter Schmerzen krümmenden Mann. Es war eine Aneinanderreihung von Zufällen gewesen doch… das Resultat war unglaublich gewesen. Der weiße Schnee, blutrot, die Glieder des Mannes in unmögliche Winkel gebogen, sein Gesicht zu einem entsetzten Schrei geöffnet. Es war das schönste Weihnachtsgeschenk, das sich Lucifer hatte wünschen können. Auch hier wurde es als einfacher Unfall abgestempelt, niemandem schien es komisch vorzukommen, dass es wieder nur er war, der es gesehen hatte. Der einzige Augenzeuge. Doch sein Onkel war dahinter gekommen. Genau wie auch bei all den anderen Dingen, wo er seiner Leidenschaft nicht widerstehen konnte. Er hatte sich gehen lassen, nun würde er dafür büßen müssen. „Verzeih mir…“, sagte Lucifer etwas kleinlaut und sah beschämt zu Boden. „Nein, es gefällt mir“, zum ersten Mal schien in Sir Vales Augen so etwas wie ein Funke Zuneigung zu sehen zu sein, doch ehe Lucifer es richtig registrieren konnte war er auch schon erloschen. Neue Hoffnung machte sich in seinem Herzen breit. Es…gefiel…ihm?! Unglaubwürdig sah Lucifer seinen Onkel an, er verstand nicht, wieso dieser so etwas sagte. Er hatte getötet, bei jedem Mord haben seine dämonischen Augen mehr gestrahlt, bei jedem Mal wurde sein Verlangen stärker. „Zuerst habe ich es selbst nicht gemerkt“, fuhr Sir Vales fort, es verwunderte Lucifer ein wenig, jedoch fiel ihm dann ein, dass sein Onkel ungefähr ab diesem Zeitpunkt immer weniger, bis letzten Endes gar nicht mehr irgendwo anzutreffen gewesen war, folglich war es eher wunderlich, dass er es überhaupt mitbekommen hatte. „Ich hielt dich für einen Versager“, die Wahrheit traf Lucifer hart, er spürte wie etwas in ihm zerbrach, „du warst ein nichts. Weder konntest du gut mit Finanzen umgehen, noch in irgendeiner Art irgendetwas Nützliches tun. Du warst komplett unbrauchbar.“ Lucifer nickte, es stimmte was sein Onkel da sagte. Er konnte wirklich nichts in dieser Richtung. „Schau dir an was Crow geschaffen hat. Sie ist ein Genie der Technik, ein Wunderkind. Du hingegen bist beschäftigt mit deinen… Bildern und deiner… Musik“, es war deutlich die Verachtung in Sir Vales Stimme zu hören. Sir Vales selbst war, neben der Tatsache, dass er ein professioneller Golfspieler war, auch ein ausgezeichneter Pianist. Noch besser spielte er auf der Orgel. Lucifer war bisher nur einmal in den Genuss seines Spiels gekommen und im Gegensatz zu Sir Vales war er bloß ein blutiger Amateur. Wieder nickte Lucifer als Zeichen, dass er verstanden hatte. „Dennoch gab es etwas was mich überraschte“, leichte Hoffnung machte sich im verletzten Herzen des Jungens breit, „die Art wie du getötet hast. Wirklich… interessant. Es ist zwar noch nicht perfekt, jedoch durchaus ein Anfang“ Lucifer war wieder verwirrt. Er mochte es, wenn er andere Leute wahllos umbrachte? Ihnen Schmerzen zufügte und sie Leiden ließ? Oder… vielleicht die Tatsache, dass er sich bisher nicht hat erwischen lassen? „Was…soll ich tun?“, brachte er schüchtern hervor. Er wollte seinem Onkel endlich beweisen, dass er keine Enttäuschung war, dass auch er dazu in der Lage war etwas Einzigartiges zu erreichen! Ein schwaches Lächeln schien über Sir Vales Lippen zu huschen, zumindest kam es Lucifer für eine Sekunde so vor. Er drehte sich leicht zur Seite und zeigte mit seiner offenen Hand auf die Bildschirme, die Lucifer inzwischen beinahe komplett vergessen hatte. Endlich konnte er erkennen was darauf war. Es waren… Zimmer… ein wenig unscharf. Die Technik schien noch nicht perfekt zu sein, aber sie schien zu bewirken was sie sollte. „Das da sind… Jugendliche?“, verwirrt sah Lucifer in das entspannte Gesicht seines Onkels. Was hatte das mit Lucifers Sünden zu tun? Es war als könne Sir Vales seine Gedanken lesen, denn er zeigte auf einen bestimmten Bildschirm, wo ein Junge mit Mütze mit einigen anderen sprach. „Du sollst dich um diesen Jungen kümmern“, sagte Sir Vales kalt und musterte den Bildschirm. „W-was sind das für Bilder? Was passiert da?“, es war alles so unerwartet. Er sah von einem Bildschirm zum anderen, er konnte die Villa erkennen, jedoch kannte er die meisten Räume nicht. Es musste sich um ein komplett anderes Gebäude handeln, eines, welches Lucifer nicht einmal kannte. Er verstand nicht wieso dort so viele Jugendliche waren und… Leichen. „Oh mein Gott… was ist das?!“, auch wenn er es selbst liebte anderen wehzutun entsetzte ihn dieses Szenario einfach. Er dachte sein Onkel wäre ein vornehmer Mann des Adels, anständig, ein wahrer Gentleman. Doch was er hier sah zeugte von tiefster Grausamkeit, seine Seele musste schwärzer sein als die tiefste Nacht, doch irgendwie… gefiel es ihm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)