The Place, where you belong... von caty (Wichtelgeschenk für Kiki) ================================================================================ Kapitel 1: Das Fest der Familie ------------------------------- Kaito streckte die Hand aus, um ein paar der kleinen Schneeflocken auf seiner Haut schmelzen zu lassen. Es war bereits dunkel und er stand auf einem der edlen Balkons, die zu Azraels Villa gehörten und von geschmückten Tannengirlanden geziert wurden. Die Umgebung bot einen wahrlich traumhaften Anblick! Bereits seit Wochen waren sie alle in Zusammenarbeit damit beschäftigt, nicht nur die Villa, sondern auch den großen Garten im Sinne des anstehenden Weihnachtsfests zu gestalten und das Ergebnis konnte sich sehen lassen! Alles erstrahlte in bunten Lichterketten, geschmückte Tannenbäume zierten die Auffahrt, Azraels Engelsskulpturen wurden durch Bodenlichter angestrahlt und hatten allesamt von Amy eine Weihnachtsmütze aufgesetzt bekommen. Ohnehin die Pflichtmode für heute, wie sie entschieden hatte und so ließ sie ihnen lediglich die Wahl, ob sie Weihnachtsmann, Rentier oder Weihnachtself sein wollten, denn heute war der große Tag letztendlich gekommen! Warum sie als Wächter überhaupt einen solchen Aufwand für ein paar Feiertage betrieben? Ganz einfach – sie hatten es sich verdient! Nach all den Monaten des Terrors, der von Satariel und seinen Verbündeten ausging, all den Sorgen, Ängsten und des Verzichts und schließlich dem entscheidenden Kampf, war langsam aber sicher wieder etwas Normalität in ihr Leben eingekehrt. Azrael meinte, er sei stolz auf sie und dass sie sich eine Auszeit reichlich verdient hätten, um einfach mal wieder Mensch sein zu dürfen und Weihnachten gemeinsam als Familie zu feiern schien dazu zu gehören. „Familie…“, murmelte Kaito in die Stille der kalten Nacht und schloss seine Hand als wolle er damit die Schneeflocken einfangen und für sich bewahren, doch natürlich schmalzen sie dadurch nur umso schneller und entrannen in kleinen Tropfen seinem Griff. Es war Jahre her, dass sie weiße Weihnachten gehabt hatten. Mindestens fünf Jahre wenn er sich nicht täuschte, denn sein kleiner Bruder war nicht älter als maximal zwölf gewesen als sie damals mit ihren Eltern und seinem zu der Zeit noch putzmunterem Golden Retriever Meister Myagi zum Spazieren und Schlittenfahren mittags in die Berge gefahren waren. Kaito erinnerte sich noch gut an Shios warmes Lachen, wenn sie Meister Myagi Schneebälle zugeworfen hatten und dieser sich jedes Mal mit einem empörten Gesichtsausdruck geschüttelt hatte, wenn er nach den Schneebällen geschnappt und diese dadurch pulverisiert sein Gesicht gepudert hatten. Was ihn allerdings dennoch nie von der Freude abgehalten hatte, die Bälle immer wieder zu fangen. Ebenso erinnerte er sich an die kleinen Trainingskämpfe, die er sich mit seinem Vater geboten hatte, weil der Schnee weich und sie dick genug angezogen waren um nicht Gefahr zu laufen, einander zu verletzen wenn sie ihre Judowürfe einsetzten. Das selbstsichere, stolze Grinsen seines Vater, wenn es diesem gelungen war, Kaito zu überwältigen und er damit geprahlt hatte, dass Erfahrung wohl über Jugend triumphierte, hatte er sich in seinem Gedächtnis ebenso bewahrt, wie die halb belustigte, halb sorgenvolle Miene seiner Mutter, die ihnen zugesehen hatte und sich nicht entscheiden konnte, ob sie ihren Mann oder ihren Sohn anfeuern sollte. Am Abend hatten sie dann gemeinsam mit Renjos und Yuris Familie in der Pension gegessen, beschert und bis in die Nacht gefeiert, so wie jedes Jahr… Kaito schluckte und schloss die Augen als er bemerkte, dass seine Sicht verschwamm. Das war wohl der Nachteil der wieder eingekehrten Normalität. So erleichtert er auch war, dass die Angelegenheit mit Satariel erledigt war und er sogar langsam wieder etwas von seiner Paranoia abließ, immer das Schlimmste zu erwarten, wenn er Shio und Renjo nur kurz aus den Augen ließ, so machte es einem nun umso bewusster, wie viel sich verändert hatte und dass es nie wieder so sein würde wie es war… Die Balkontür öffnete sich und Kaito musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass es sich um seinen Bruder handelte. Auch wenn Shio keinen Wächterring besaß und das erkennende Summen der Schmuckstücke somit ausblieb, hatte Kaito begonnen, seine Nähe zu fühlen. Wie ein Hauch warmer Sommerwind, der selbst in den kältesten Tagen und dunkelsten Stunden einen Teil der Kälte davonwehte. An sich ein sehr angenehmes Gefühl, doch für den Moment wäre es Kaito fast lieber, alleine zu sein. Da er seinen Bruder allerdings nicht einfach wegschicken konnte und wusste, dass auch er es heute vermutlich nicht leicht hatte, wischte er sich rasch ungesehen über die Augen und versuchte, sich zusammenzureißen. „Kaito?“, leise Sorge schwang in Shios Stimme mit, während er etwas zögerlich näher trat, „Geht es dir gut?“ „Klar!“, kam es von Kaito vielleicht etwas zu prompt, der die Aussage allerdings zu untermauern versuchte, indem er seinem Bruder ein wie er hoffte überzeugendes Lächeln schenkte, als dieser sich nun neben ihn an das Geländer stellte und besorgt zu ihm aufsah, „Ich wollte nur kurz frische Luft schnappen und da Amy jetzt schon die ganze Zeit am Singen ist, hatte ich befürchtet, sie würde Kazu und mich wieder für dramatische Licht- und Windeffekte missbrauchen wollen.“ Shio schmunzelte sacht, wohl weil auch er sich noch gut an einen gewissen Karaokeabend in der letzten Woche erinnerte, bei dem sich herausgestellt hatte, dass Kazuki und Kaito zwar keine begnadeten Sänger waren, sich aber zumindest als „sexy Bühnenrequisiten“ eigneten und zudem mit ihren Fähigkeiten Amys Showeinlagen unterstützen konnten. Doch Kaito sah deutlich, dass der Versuch, Shio vom Thema abzulenken zwecklos war. „Du musst nicht für mich stark sein, Kaito.“, sagte er sehr direkt und auch wenn er noch immer lächelte, nahm es nun einen etwas betrübten Zug an, der auf Kaito gemeinsam mit den Worten ernüchternd wirkte. Sein eigenes, ohnehin gespieltes Lächeln erstarb, während er den Blick wieder in die Ferne schweifen ließ und die Schneeflocken beobachtete. „Ich vermisse sie auch…“, flüsterte Shio nach einem kurzen Moment des Schweigens und Kaito hörte die Tränen in seiner Stimme, die seinen eigenen Hals unnatürlich trocken werden ließen. Er wagte es nicht, seinen Bruder jetzt anzusehen, denn dann würde er wohl selbst den Kampf gegen die Tränen verlieren. Stattdessen legte er seinen Arm um die schmalen Schultern und zog ihn näher an sich. Der Arm, der sich daraufhin um seine Hüfte legte wirkte tröstend und gab ihm die Kraft, den schmerzenden Gedanken auszusprechen, der ihn schon seit Wochen quälte und trotz der allgemein heiteren Weihnachtsstimmung wie ein dunkler Schatten über ihm hing. „Das ist das erste Weihnachtsfest ohne sie.“, sagte er schließlich leise und obgleich es eine schlichte Tatsache war, machte es dies für Kaito unangenehm real und endgültig – ihre Eltern waren tot! Und sie würden auch nicht mehr zurückkommen, nie mehr… „Ich…“, begann Kaito erneut und zuckte mit einem hilflosen Lächeln die Schultern, „ich weiß einfach nicht, ob ich überhaupt feiern will.“ Es fiel ihm schwer dies auszusprechen, denn er wusste dass es nicht fair war und gerade Shio war einer der letzten, denen er die Weihnachtsstimmung vermiesen wollte. Doch es war Shio selbst, der Kaito in den vergangenen Monaten immer dringlicher darum gebeten hatte, offener mit ihm zu sprechen und ab und zu auch Shio die Chance zu geben, für ihn da zu sein, wenn ihn etwas bedrückte, statt sich immer einzureden, alles alleine stemmen zu müssen. Und auch wenn es Kaito jedes Mal wieder Überwindung kostete und es für ihn gewöhnungsbedürftig war, so hatte er letztlich eingesehen, dass sein kleiner Bruder erwachsen wurde und es zudem tatsächlich befreiend sein konnte, manche Gefühle und Sorgen mit ihm zu teilen. Nun spürte er ihn nicken und nahm an, dass dies bedeutete, dass es ihm ebenso ging. Vielleicht sollten sie also einfach Nachhause fahren und Weihnachten aussperren? Aber in der Pension… war es diese Tage noch unerträglicher als irgendwo sonst. „Ich weiß wie du dich fühlst.“, meinte Shio schließlich und Kaito wollte ihm schon den Vorschlag unterbreiten, diese Feierlichkeiten dann gemeinsam ausfallen zu lassen als er bereits fortfuhr, „Zuerst habe ich auch so gedacht und wollte, wenn schon nicht mit ihnen gemeinsam, dann lieber gar nicht feiern, aber…“ Er machte eine Pause und als Kaito zu ihm sah, glitzerten zwar Tränen in den großen amethystfarbenen Augen, das Lächeln mit dem er den geschmückten Garten betrachtete wirkte allerdings überraschend ehrlich. „Dann habe ich gesehen, dass sich alle so viel Mühe geben.“, fuhr er fort, „Und dass es Spaß gemacht hat, mit ihnen Plätzchen zu backen und zu schmücken, über die Weihnachtsmärkte zu schlendern und Schlittschuhlaufen zu gehen. Auch wenn wir Mama und Papa vermissen, sie würden nicht wollen, dass wir all das in unserer Trauer versäumen oder?“ Shio blickte zu ihm auf, etwas verunsichert als erwarte er eine Bestätigung und als Kaito ihm mit einem leisen „Nein, bestimmt nicht“ Recht gab, kehrte Shios Lächeln zurück und ließ ihn so glücklich erstrahlen, dass allein das genügte, Kaitos Trübsinn ein wenig zu lichten. „Dann ist es also okay und nur in ihrem Sinne, dass wir den Abend heute nicht als das erste Fest ohne sie sehen, sondern als das erste Fest gemeinsam mit unserer neuen Familie.“, schloss er und so naheliegend dieser Gedanke eigentlich auch war, schien Kaito erst seinen Bruder gebraucht zu haben, um ihm auch in seinem Herzen Einzug zu gestatten. Sie hatten schließlich nicht vor, ihre Eltern zu ersetzen, denn das würde niemand können, aber… Shio hatte Recht! Sie würden nicht wollen, dass dieser Tag, den sie für ihre Söhne immer mit so viel Liebe und glücklichen Erinnerungen gefüllt hatten, von nun an ein Tag der Trauer sein würde! Und noch weniger würden sie wollen, dass sie diejenigen ausschlossen, die sich ihrer annahmen, sich um sie bemühten und kümmerten und ja… die zu einer Familie geworden waren! Kaito schloss erneut kurz die Augen und nun waren es Bilder seiner „neuen Familie“, die er vor sich sah und die Kälte vertrieben. Er drängte die Tränen zurück und ein warmes Lächeln umspielte seine Lippen als er die Augen wieder öffnete und Shio aus liebevollen Augen ansah. „Du hast Recht.“, sagte Kaito dann, strich über das weiche Haar seines Bruders und hauchte ihm einen kleinen Kuss auf die Stirn, „Danke, mein Kleiner. Mom und Dad wären sehr stolz auf dich. So wie ich!“ Shio schien gerührt und erfreut von diesen Worten, doch bevor er etwas erwidern konnte, öffnete sich die Balkontür erneut und nun war es Renjo, der dort stand, mit der aufgezwungenen grünen Wichtelmütze auf dem Kopf, an die er sich inzwischen so gewöhnt zu haben schien, dass er sie schon nicht mehr bemerkte. „Hey, ihr könnt euch gleich bei Azraels Eisskulpturen einreihen wenn ihr länger da draußen rumsteht.“, meinte er und hob mit einem Schmunzeln die drei dampfenden Tassen an, die er in seinen Händen hielt, „Glühwein? Kazuki hat’s mit dem Alkohol bei der Zubereitung sehr gut gemeint, also genau die richtige Mischung für uns.“ Er zwinkerte Kaito zu, da sie beide durch ihre ausschweifenden, nächtlichen Streifzüge früher recht trinkfest waren und Kaito erwiderte sein Lächeln, was ihm mit einem Mal viel leichter zu fallen schien. „Wir kommen.“, erwiderte er, wuschelte seinem Bruder nochmal liebevoll durch das Haar, bevor sie gemeinsam mit Renjo wieder nach drinnen gingen und ihre Tassen entgegennahmen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)