Control [BBC Sherlock] von ElliotAlderson ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Was sollte das?“ Sebastian Morans blaue Augen blickten starr aus seinem kurzen blonden Haar heraus und beobachteten den Mann vor sich, der gerade aus der rostigen alten Metalltür ins Freie trat. „Was sollte was?“ „Ist das eine Pistole in deiner Hose oder freust du dich nur mich zu sehen?“, zitierte der ehemalige Soldat monoton, als hätte er den Satz auf der kurzen Strecke vom Poolgebäude bis zum Maserati auswendig gelernt. „Ich freu mich doch immer dich zu sehen.“ Jim grinste ihn über das Autodach, über welches er kaum hinausragte, an. „Aber erst einmal…war es nicht nur eine einfache Pistole.“, fing Moriarty an und hob tadelnd seine Augenbraue, während er in den schwarzen Wagen stieg. „Sondern, wie ich bereits sagte, eine British Army Browning L9A1.“ Die Tür wurde scheppernd zugeschlagen und Sebastian ging um den Kofferraum herum, schmiss seine Tasche mit seinem zerlegten Sniper-Gewehr in den Fußraum, ehe er selbst Platz nahm. „Deine Jim vom IT-Nummer weiter zu spinnen war unnötig.“ Braune Iriden musterten den Mann neben sich. „Du hattest deine Maskerade quasi bereits aufgedeckt, es gab keinen Grund ihm noch weiter etwas vorzuspielen.“ Moran ließ seinen Blick zur Seite gleiten, ein süffisantes Grinsen hatte sich auf Jims Züge gestohlen. „Aber es macht solchen SPAß!“ Er riss die Augen auf und Moran fand im glimmenden Licht der Straßenbeleuchtung ein beunruhigendes Funkeln vor, jenes, dass ihn immer ein wenig nervös werden ließ. Er unterdrückte den Impuls sich über den Jackenärmel die Gänsehaut weg zu streichen. Er brach den Blickkontakt nicht ab, während er erneut sprach. „Du warst unachtsam.“ Jim schnaubte verächtlich, drehte seinen Kopf Richtung Fensterscheibe und sah zu wie die Laternen an ihnen vorbeizogen. „Du kannst nicht leugnen, dass es dir nicht gefällt.“ „John hätte keine Gelegenheit haben dürfen dir so nahe zu kommen.“ „Du stehst auf die neon Unterwäsche.“ „…es hätte schief gehen können, Jim.“ „Ich mag es wie du mir manchmal zwischen die Beine starrst.“ Sebastian rutschte unbeholfen auf dem ledernen Sitz herum. Seine zitternde Hand krampfte sich um sein eigenes Knie. „Hörst du mir überhaupt zu? Das…das war verdammt gefährlich, okay?!“ „Ganz ruhig Tiger, ich hatte alles unter Kontrolle.“ Er hasste es wie sanft Jims Stimme sein konnte. Wie beruhigend. Wie manipulativ. Und er hasste es wie seine eigene klang. Ein wenig unsicher. Ein wenig brüchig. Es sähe ihm sogar ähnlich auch den Übergriff mit John geplant zu haben, sofern man so etwas überhaupt planen konnte. Vielleicht war es so, Moriarty hatte einfach alles unter Kontrolle, doch Moran hatte dies nicht. Moran hatte sein Gewehr, sein Zielfernrohr und den Abzugshahn. Der leuchtende rote Punkt, der ein wenig zittrig auf John Watson gezielt hatte, war seiner Kontrolle unterstellt. Für einen Moment hatte er sie verloren. Für ein paar Millisekunden, war der leuchtend rote Punkt auf Jim gerichtet gewesen. Dort wo sich das Ende der dunklen Alexander McQueen Krawatte und die beiden Hälften des Vivienne Westwood Anzugs mit einem Knopf verbunden trafen. Er hatte nur durch das Fadenkreuz gesehen, war nur Johns plötzlich hektischer Bewegungen gefolgt… Vielleicht war er es, der unachtsam war. Er sollte es besser wissen. Immerhin kannte er doch Jims Launen. Die weitere Fahrt verlief ruhig, der Wagen stolperte über die Pflastersteine, lange sagten sie nichts und Sebastian blickte einfach nur zur Seite und beobachtete seinen Boss. „Sherlock hätte abdrücken können. Du warst in der Schusslinie, ich hätte dich treffen können.“ Moriartys Kopf schnappte in seine Richtung, ein Schmunzeln lag auf seinen Lippen. „Aber das hat er nicht.“ Jim patschte ihm mit der flachen Hand gegen die Wange. Als der Wagen hielt schwang Jim seine Beine galant aus der Tür, der Kies unter seinen Sohlen knirschte und er stieg die Stufen zu ihrem Apartment hinauf, während er fröhlich in die Nacht hinein pfiff. Jim war sofort im Bad verschwunden, doch Sebastian nahm sein Gewehr aus der Tasche, jedes einzelne Teil sorgsam vor ihm ausgebreitet, ehe er es nacheinander in seinen Händen drehte und polierte. Als er nach einer Weile tapsige Schritte auf dem Parkett vernahm, blickte er irritiert auf. Jim lehnte im Türrahmen, die Füße nackt auf dem kalten Boden, die grüne Unterwäsche leuchtete fast in dem dämmrigen Licht des Wohnzimmers, der V-Ausschnitt des grauen T-Shirts schien ungewöhnlich tief zu sein und Sebastian legte die Waffenteile in seiner Hand monoton zurück in die Tasche. „Wirklich, Jim?“ Sein Ton war hart und schnippisch, genervt seufzte er auf. Doch Jim beachtete es nicht, fast katzengleich näherte er sich seinem Gegenüber, das Handy in seiner Hand balancierend in seinen schlanken Fingern. „Meinst du…Sherlock nimmt ab, wenn ich ihn heute Nacht anrufe?“ Der sanfte Sing-Sang in den Worten ließ Moran schlecht werden. „Du bist widerwärtig.“ Er stand auf und Moriarty tänzelte im Kreis. Das Klappern der silbernen Dog Tags unter dem grauen Shirt tat ihm in den Ohren weh. „Aber so liebst du mich.“ Ein Schnauben entkam Morans Kehle. Tat er das? Er wusste es nicht. Er wusste nur, dass Jim mit ihm spielte, diese kleine Nummer sollte ihm wohl eine Reaktion entlocken. Seine Innereien schoben sich ineinander. Er hatte es satt. Energisch schulterte er seine Tasche und ging an Jim vorbei, der sich auf den Fersen zu ihm umdrehte. Sebastians Schritte waren auf dem Weg zur Tür das einzige Geräusch, er streckte seine Hand aus und sie schwebte einen Moment über der Türklinke. „WO WILLST DU HIN?!“ Moriartys Schrei ließ ihn fast zusammenzucken und er ergriff das Metall vor seinen Fingern, ehe er in das Gesicht hinter sich blicken konnte, wohl wissend, dass Jims dunkler Blick ihm folgte. Er sah nicht zurück, als er über den Kies ging und das rote Motorrad neben dem schwarzen Maserati ansteuerte. „DU KOMMST WIEDER!“ Er hörte das Brüllen im Wohnzimmer so deutlich als stünde Jim vor ihm. „DAS TUST DU IMMER!“ Sebastian schloss für einen Moment die Augen, ehe er den Kickstarter betätigte und losfuhr. Er wusste nicht was schlimmer war, Jims Wut ausgesetzt zu sein, wenn er wieder kam oder diesem breiten diabolischem Grinsen entgegen treten zu müssen, weil er Jim wieder einmal zeigte wie recht er doch hatte. Keine drei Tage und seine Schritte hallten bereits wieder in den großen Räumen. Die Farbe an den Wänden war neu. Ein paar Bilder hingen hier und dort, die Sebastian nicht kannte. Er blieben abrupt stehen, als er an dem Tisch im Speisesaal angekommen war. Eine Notiz erregte seine Aufmerksamkeit, die strahlende Sonne welche durch das große Fenster schien, erhellte das weiße Papier und ließ das metallene Rechteck daneben aufblitzen. Es war so laut ohne dich, Tiger JM xxx Sebastian presste die Lippen zusammen, seine Hand umfasste das Zippo. Seine Fingerkuppen strichen über die fein ausgearbeitete Gravur. Ein goldener Tiger, die scharfen Zähne entblößt, der gestreifte Körper fast liebkosend um den silbernen Totenkopf in der Mitte geschmiegt. Nach einem sanften Klacken starrte er in die züngelnde Flamme. ~ Moriartys dunkle Augen lagen auf dem Mobiltelefon in seinen Händen. Moran sah von seiner angehobenen Tasse Earl Grey auf, dessen Dampf ihm einen nebeligen Anblick auf seinen Boss bescherte. Es war später Donnerstagnachmittag, die Sonne schien schräg durch das große Fenster und ließ die wuchtigen aber samtigen Sessel im Wohnzimmer aufschimmern. Er war kein Verfechter dieses geschmacksneutralen Kräuterwassers, doch Jim hatte ihm einmal ziemlich eindrücklich deutlich gemacht, dass er es schätzte, wenn er sich mit ihm zu dem aufgegossenem Getränk nieder ließ. Und so war es fast schon Tradition, dass sie um diese Zeit beisammen saßen und bei etwas Tee so allerlei besprachen. Den nächsten Coup. Das nächste Opfer. Sherlock. Viel Sherlock letzte Zeit. „Du hast meinen Klingelton geändert.“ Über die Gedankensprünge seines Gegenübers wunderte sich Sebastian nur noch gelegentlich. Es passierte oft, dass Jim eine Randbemerkung fallen ließ und zugegebenermaßen fiel es ihm nicht immer leicht zu folgen, vor allem dann, wenn der Gedanke nicht zur nahen Vergangenheit angehörte. „Das war ganz schön peinlich am Pool.“ Sebastian schmunzelte auf und stellte seine Tasse zurück auf den Tisch. Er erinnerte sich. Es lag fast ein halbes Jahr zurück. Er hatte es fast schon vergessen. „Du hast ihn seitdem nicht mehr zurückgesetzt.“ Jim gab keine Bemerkung preis und so blickte ihn der Ex-Soldat weiter an, beobachtete wie seine Finger sich flink über den Handybildschirm schoben. Sebastian räusperte sich leicht, doch als er sprach war seine Stimme sanft. „Es sollte dich an etwas erinnern.“ Jims Finger stoppten einen Moment, ehe er das Gerät zur Seite legte. „Es nähert sich dem Ende.“ Sebastian atmete tief ein. Schon wieder dieses Thema. „Das letzte Problem.“ Jims Heiterkeit war deutlich herauszuhören. Er arbeitete förmlich nur noch auf diesem Moment hin. Nur noch Sherlocks Treiben weckten die schwach glühenden Funken von Interesse, alles andere schien gerade zu banal an Moriarty vorbeizuziehen. Moran gefiel dies überhaupt nicht. Nicht nur, dass er sich wie ein Mädchen für alles fühlte, weil Jim anscheinend keinerlei Ambition mehr besaß sich um auch nur irgendwas - was nicht gerade mit dem Consulting Detective zu tun hatte - zu beschäftigen, nein. Es war schon immer schwierig gewesen Jim bei Laune zu halten, doch letzte Zeit glich es einem mehr als unfairen Tauziehen. Und Sebastian war dabei zu verlieren. „Sherlock ist nicht unser Klient, Jim. Es gibt auch andere Sachen, um die wir uns kümmern müssen.“ „Oh belehr mich nicht Sebastian.“ schnarrte Moriarty und ließ seine Teetasse lauter als nötig auf den Untersetzer aufkommen. Jim stand auf und Moran erhob sich ebenfalls, eine Angewohnheit aus alten Tagen, die ihm über die Zeit bereits zu sehr in Fleisch und Blut übergegangen war um sie nun einfach abzulegen. Der Kleinere schritt halb durch das Wohnzimmer, Sebastian folgte ihm nach, ehe sie mittendrin wieder stehen blieben. „Ich brauche mich nicht um die kleinen Kerzen auf der halb aufgegessenen Geburtstagstorte zu kümmern, Seb. Dafür hab ich doch dich.“ Er hatte sich zu dem Ex-Soldaten umgedreht und grinste nun schief zu ihm hoch, seine Hand strich ihm über die Schulter, als wollte er etwas Staub von der alten Armee Jacke fortwischen. „Nein, ich kümmere mich um die wahre Party.“ Ein heiteres Glucksen entkam seinem Mund. „Ich kümmere mich um das Feuerwerk, den riesigen Knall, das ganz große Feuer.“ Jims Augen waren groß und rund und erinnerten Sebastian an ein Kind, welches vorfreudig auf seine riesigen Weihnachtsgeschenke starrte. Das war für ihn. Für Sherlock. Alles war nur für Sherlock. Alles drehte sich nur noch um Sherlock. Vielleicht war es das leicht ungesunde Grinsen, das sich auf Moriartys Züge schlich, doch irgendetwas in Sebastian schnappte und mit einem festen Griff ans Hemd, drängte er Jim an die Wand. „Manchmal hätte ich große Lust dir eine Waffe an den Kopf zu halten und abzudrücken.“ „Mhm.“ Jim nestelte an Sebastians Kette, spielte mit den silbernen Anhängern. Er hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt. „Eifersüchtig?“ Jims Knie an seinem Bein ließ ihn laut ausatmen. Wie er es hasste. Wie er ihn ansah. Dieses wissende bösartige Lächeln. Sebastian ließ von Jim ab, steckte sich eine Zigarette in den Mund, mit einem Klacken und einem silbernen Blitzen seines Sturmfeuerzeugs zündete er sie an. Sie standen sich immer noch gegenüber, doch nun schien Moriarty unglaublich weit weg zu sein. Moran kannte diesen apathischen Blick ins Leere, wenn Jim seinen Gedanken lauschte, den tausend Plänen, den unendlich vielen Vorstellungen, Möglichkeiten. Er wusste wie es in Jims Kopf aussah. Laut. Überdreht. Instabil. Es war das faszinierendste und das beängstigte das er kannte. „Ich bin deine Rechte Hand, Jim.“, sagte er, seine Stimme tief und rau, fast dröhnend in der Stille. „Ich bin dein Partner. Ich töte für dich. Ich beschütze dich.“ Der Rauch zwischen ihnen bewegte sich zu ihren Atemzügen. „Ich weiß worauf das hinausläuft.“ Jims Blick hob sich, seine Miene so unergründlich wie ein blankes Blatt Papier. „Dein großes Feuer.“ Der Kleinere hob die Hand, Zeigefinger und Daumen drückten das glühende Ende der Zigarette aus, etwas Asche fiel zu Boden, Jims rechter Mundwinkel zuckte. Lautlos fiel der tote Glimmstängel auf das Parkett. Als Moriarty das silberne Zippo grob an sich nahm, ließ er eine kalte Stelle in Sebastians Hand zurück. „Wenn du mit dem Feuer spielst wirst du dich verbrennen, Jim.“ Die einzige Antwort blieb das Klacken und eine züngelnde Flamme. Sebastian wusste, dass es nur einen Menschen gab, vor dem er seinen Boss nicht beschützen konnte. Und er wusste, es war nicht Sherlock. ~ „Ich weiß nicht was ich davon halten soll.“ Streng blickte der Sniper seinem Boss entgegen. Der graue Anzug raschelte dezent, als Moriarty ein Bein über das andere schlug. „Was denkst du dir dabei?!“ Jim neigte den Kopf ein wenig, betrachtete Morans verkrampfte Hand, welche sich um die Zeitung gelegt hatte, sein eigenes Gesicht übergroß auf der Titelseite. Das Knistern des dünnen Papiers erklang unangenehm in Sebastians Ohren und fast schon angewidert warf er die Zeitung auf den Tisch, ließ Teetassen und Unterteller darauf klappern. Wie so oft hüllte sich Jim in Schweigen. „Du weißt…viele Dinge die wir machen…das mit den Kindern und…ich-“ Sebastian brach ab. „Du brichst die Regeln.“ Ein amüsiertes Schnauben entkam Jims Mund und Moran blickte angespannt auf. „Regeln, Seb. Regeln sind da um sie zu brechen.“ „Nicht so.“ „Du wirst sentimentaaaal.“ Das sanfte Flöten in Jims Stimme war ein starker Kontrast zu seiner harten Mimik. „Ich brauche keinen sentimentalen Sniper. Leg das ab.“ Nun war der Ton streng und genervt wandte der Kleinere den Blick ab. „Herrgottnochmal! Dein Gesicht prangt in der Zeitung, die Presse zerreißt sich das Maul, wir haben keine Klienten, wie glaubst du, soll das Ganze weitergehen?“ Jim verdrehte die Augen, als hätte er diesen Umstand Sebastian bereits hunderte Male erklärt. „Gar nicht.“ Ungläubig starrte Moran seinen Boss an. Es war diese Gleichgültigkeit, die ihn schon so oft rasend machte. Und sich langsam durch seine Brust brannte. „Mach doch was du willst, Jim.“ Frustriert massierte sich Moran die Nasenwurzel, er hatte die Augen geschlossen, schwer lag sein Atem ihm auf den Lungen. Lange war es das Einzige, das die Stille im Raum unterbrach. Dann vernahm er das vertraute Geräusch von sachtem Summen und wohlbekannte Schritte auf dem teuren Parkett, welche abrupt hinter ihm stoppten. „Ich mag es, wenn du besorgt um mich bist, Sebby.“ Moran brummte auf. „Du verdrehst die Tatsachen.“ Jims kalte Hände berührten sein Gesicht, strichen über seine Wange. „Wenn ich sterbe, wirst du mich vermissen?“ Der warme Atem, der seine Haut streifte ließ ihn schwindelig werden. „Du wirst nicht sterben.“ Er wollte zuversichtlich klingen. Fest und überzeugt. Er hoffte, dass Jim das unsichere Beben in seiner Stimme nicht bemerkte. „Ich sag’s dir gern noch mal: Ich beschütze dich, schon vergessen?“ Jims Arme fuhren um ihn herum, legten sich um seinen Nacken und auf seine Schultern. Bestimmend hatte er nach Sebastians Hand gegriffen, formte seine Glieder sacht. „Du hast gesagt du willst mir eine Waffe an den Kopf halten und abdrücken.“ Sebastians Zeige- und Ringfinger waren wie ein Pistolenlauf gen Decke gerichtet, er spürte die feuchte Wärme als Jims Zunge ihm über die Fingerspitzen leckte. Moran schlug die Lider auf, beobachtete wie die braunen Augen ihn schelmisch von der Seite her ansahen, wie Moriartys Lippen seine Hand liebkosten und dann ein leises „Bang.“ formten, als hätte er den Abzughahn durchgedrückt. Unwirsch zog Sebastian seine Hand zurück. „Hör auf damit.“ Er drehte seinen Kopf auf die andere Seite, Jims Wange schabte an seinen Hals. „Bist du sauer?“ Der Lufthauch an seiner Kehle ließ ihn anspannen. Sebastian biss sich auf die Zunge. „Sebastiaaan.“ Das Trällern ließ sein Innerstes vibrieren. Die Fingernägel in seiner Haut schickten scharfe Schmerzimpulse durch seinen Körper. „Sebastian.“ Jim atmete in sein Ohr, ein Kribbeln kroch über seinen Nacken, über seine ganze Wirbelsäule. Moriartys Finger tippten über seinen Kieferknochen, einen Takt, den er nicht kannte. „Johann Sebastian Bach.“ „Was?!“ Irritiert blickte er zu Jim, der sich bereits wieder aufgerichtet hatte und nun um den Sessel herum ging. „Jede Symphonie endet einmal.“ Ein theatralischer Seufzer folgte. „Meine endet mit Sherlock.“ Sherlock. Sebastians Puls schoss innerhalb von Sekunden in die Höhe. „Du bist wahnsinnig.“ Abrupt erhob er sich. „Wirklich Sebastian? Dein Auffassungsvermögen ist vortrefflich! Welch Kombinationsgabe!“ Schnellen Schrittes brachte sich der Sniper aus dem Wohnzimmer, Jim folgte ihm. „Läufst du schon wieder weg? Sehr ungezogen.“ Moran schnaubte verächtlich. „Wenn du glaubst mich an die Leine legen zu können, dann liegst du falsch.“ Grob griff er nach seiner Jacke. „Es würde dir bestimmt gefallen.“ Sebastian drehte sich auf dem Absatz um und sah gerade noch wie Jims Augen von seiner Kehrseite in sein Gesicht wanderten. Seine Zunge befeuchteten lasziv die Lippen. „Ich. Ertrage. Dich. Nicht.“ Jedes einzelne Wort spie er geradezu aus. „Weißt du was du bist?“ Der starre Blick bohrte sich in Moriartys Antlitz. „Du bist krank.“ Sebastians Miene verzog sich. „Und damit zerstörst du alles. Mit deinem verfluchten Wahnsinn. Und deiner Besessenheit. Du zerstörst das hier.“ Fahrig deutete Moran zwischen ihnen beiden. „Aber am meisten dich selbst.“ Er fuhr sich zerstreut durch das blonde Haar. „Und ich werde nicht dabei zusehen, James.“ Jim sah aus, als hätte ihm Sebastian gegen den Kopf getreten. „Wenn….wenn du jetzt gehst, dann…!“ Der Sniper schnaubte halb entrüstet, halb amüsiert. „Dann was, Jim?“ „Du weißt, was passiert.“ Der weinerliche Unterton stieß dem Ex-Soldaten sauer auf. Als er seinen Blick über die Schulter warf und in das inständig flehende Gesicht blickte wartete er einen Moment lang auf das Aufflackern eines diabolischen Grinsens. Jenes, das Sebastian so furchtbar vertraut war. Jenes das Moriartys Züge so furchtbar vertraut machten. Doch Jims Miene blieb unverändert und ohne noch einmal zurückzublicken, ging er. Als er über der Schwelle war und scheppernd die Tür zuschlug, war es, als wäre etwas in ihm zerbrochen. ~ Tief und lange starrte Sebastian in sein Glas. Mit starrem Blick ließ er den hochprozentigen Alkohol darin kreisen, beobachtete wie sich das dämmrige Licht in den wogenden Wellen golden spiegelte. Der Ex-Soldat führte das Glas grob an seine Lippen und leerte dessen Inhalt in einem Zug. Seine Kehle brannte auf, wie die letzten Male zuvor und geräuschvoll ausschnaufend, ließ er das Glas auf die hölzerne Theke sinken. Er würde wieder zu ihm zurückgehen. Es war nur eine Frage der Zeit. So wie jedes Mal. Sie waren wie zwei Magnete. Nord und Süd. Nur dass Jim es verstand seine Pole stetig zu ändern. Sebastian von sich abzustoßen. Ihn dann wieder zu sich herzuziehen. Immer wieder. Und immer heftiger. Morans Augen glitten auf sein Handy. Noch kein Anruf. Noch keine SMS. Kein Befehl, dass er seinen Arsch gefälligst wieder herbewegen sollte. Er war nervös und er hasste es. Er war gegangen, es gab keinen Grund sich deswegen den Kopf zu zerbrechen. Es war nicht das erste Mal und es würde vermutlich nicht das letzte Mal bleiben. Wieder ertappte er sich dabei wie er auf das schwarze Display starrte, in fast prickelnder Hoffnung, dass es hell erleuchtete. Er wollte, dass Jim sich meldete. Jim hatte Recht. Sebastian wusste was passierte, wenn er ihn alleine ließ. Ihr Apartment war danach niemals mehr wie davor. Jim rastete aus. Er ertrug den Wahnsinn in seinem Kopf nicht. Sebastian ertrug es nicht, hier noch länger zu sitzen. Seine Schritte auf dem polierten Parkett klangen seltsam hohl. Hektisch schob er sich weiter, die dunkle Vorahnung wie ein beklemmendes Gefühl in seiner Brust. Das Apartment war ruhig, nur etwas Licht brannte im Wohnzimmer, ließ nur wenig davon in den dunklen Flur. „Jim?!“ Der starke Geruch von Benzin stieg ihm in die Nase, das Schnappen von Metall klickte durch die Wände und Morans Herz schlug unwillkürlich schneller. Seine Füße trugen ihn eilig vorwärts, das Pochen in seinem Kopf jetzt ungeheuer laut. Kurz vor seinem Ziel stoppte er und starrte auf seinen Boss, der inmitten im Wohnzimmer in einer großen Pfütze saß. „….was…?!“ Seine Augen huschten über die spiegelnde Lache am Boden, den verteilten Papieren drum herum, der umgestürzte Tisch, das weiße Hemd das Moriarty nass und durchsichtig am Körper trug, die feuchte Haarsträhne die an seiner Stirn klebte, der rote Kanister in der Ecke, das silberne Zippo in den schlanken, klammen Händen. Der Anblick klärte den Nebel in seinem Kopf innerhalb von Sekunden und seine Schultern strafften sich in alter Soldatenmanier. „Jim…?!“ Die dunklen Augen fokussierten sich fahrig auf ihn, als hätte er ihn jetzt erst wahrgenommen. „Es ist so schweeeeeer.“ Jim klang schrill. Krächzend. Moran presste einen Moment lang die Lippen aufeinander. Langsam ging er in die Hocke. „Jim, gib mir das Feuerzeug.“ Vorsichtig streckte er die Hand aus, machte eine kurze wedelnde Bewegung, die Jim jedoch komplett ignorierte. „Es ist so schwer am Leben zu bleiben.“ Mit einem sanften Klacken schnappte das Metall zur Seite, gab die warme züngelnde Flamme frei, spiegelte sich flackernd in Moriartys Gesicht, ehe er es wieder schloss. „Gibt mir das verdammte Feuerzeug!“ Sebastian sprang fast nach vorne, doch Jim rutschte von ihm weg, das Zippo an sich geklammert. Er öffnete es erneut, wedelte damit, bis sich Sebastians Hand schließlich um Jims schloss und die Flamme erstickte. Ein gequälter Laut entkam Moriartys Lippen. „Gib es zurück!“ Jim nestelte an Sebastians Finger, kratzte und biss. Es war nichts, womit Sebastian nicht fertig wurde. Nichts was er nicht schon bereits kannte. Sein Griff verstärkte sich nur noch etwas mehr, er drückte so fest, dass er befürchtete Jim die Finger zu brechen. Doch er konnte nicht loslassen. Jim hatte sich eingerollt. Ein kleines Häufchen Elend zu Sebastians Knien. Er starrte leer an die Decke, manchmal tanzte sein Blick von der einen Ecke zur anderen. Die letzten paar Minuten blickte er nur auf einen unbestimmten Punkt. Seine Lippen bewegten sich kaum, als er sprach. „Es war eine Sig Sauer P226.“ Moran schüttelte autonom den Kopf, die Lider niedergeschlagen, vor seinen Augen die Szene am Pool. Es schien ewig her zu sein. „Nicht…“ „Keine British Army Browning L9A1.” Das Beben von Jims Schultern ließ Sebastian verkrampfen, das schnarrende Lachen tat ihm fast schon körperlich weh. “Hör einfach auf damit Jim, hör einfach auf. Sherlock ist es nicht wert.” Ihre Hände waren noch immer in einem stummen Kampf um das Feuerzeug geklammert, doch dann lockerten sich Jims Finger und Sebastian zögerte keine Sekunde lang. Klappernd traf das Metall das Parkett. Sebastians Arm schlang sich um Jims schmale Gestalt, er zog ihn quer durch das Wohnzimmer, dort wo sich das Benzin nicht ausgebreitet hatte. Als er losließ hielt sich Moriarty kaum mehr aufrecht, sein Oberkörper schwankte nach vorn und Sebastian stützte ihn. „So…so viele Gedanken.“ Moran schluckte geräuschvoll. „So viele laute Gedanken. Niemals ist es still.“ Jims glasiger Blick fokussierte sich nur schwer auf ihn. „Ich bin krank, Seb.“ Sebastians blaue Augen blickten seinem Gegenüber stumm entgegen. Nur ein leichtes Aufzucken der Oberlippe verriet eine Gefühlsregung. Das Echo seines eigenen Wortlauts ließ ihn verkrampfen. „Hier…drin.“ Jim tippte sich gegen die Schläfe. In einer anderen Situation hätte Moran vielleicht gelacht. Doch jetzt schien jedes Wort ein Kampf zu sein. „Es ist okay Jim. Wir…wir kamen auch vorher damit klar, es-“ „Nein, nein, NEIN! DU VERSTEHST ES NICHT!“ Der glasige Blick war verschwunden, stattdessen starrten ihn Moriartys lodernde Iriden durchdringend an, ehe seine Miene plötzlich wieder weicher wurde. Fast liebevoll strich er Sebastian eine blonde Haarsträhne aus der Stirn, ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. „Du…verstehst nicht.“ Ihr beider Atem war eine Weile das Einzige, das im großen Raum zu hören war. „Es ist ein intrakranielles Aneurysma.“ Es verstrichen einige Sekunden, in denen Sebastian seinen Boss einfach nur anstarrte. „Ein Blutgerinnsel im Gehirn, Sebby.“, fügte Jim fast schon verärgert hinzu, als fände er es lästig seinem Gegenüber genauere Details erklären zu müssen. Dann kicherte er leise. „Inoperabel. Kann jede Sekunde platzen. Ein bisschen wie eine Zeitbombe, findest du nicht? Jeder Atemzug könnte der Letzte sein. Fast schon aufregend.“ Langsam schüttelte Moran den Kopf. „Nein.“ „Nun schau nicht so entgeistert. Ich sagte doch, Symphonien gehen zu ende. Menschen sterben. Das ist es doch was Menschen tun.“ „Wenn das eine Bestrafung sein soll, dann verfehlt es seine Wirkung Jim.“ „Auch der gute altmodische Bösewicht bekommt kein Happy End.“ Er wollte das nicht hören. Das war nur ein abgekartetes Psychospielchen, das Jim in seiner endlosen Langweile eingefallen war. Nur so zum Spaß. Wie das alles hier. „Hör auf mit der Scheiße.“ Der Kloß im Hals brannte schmerzlich. Sebastian lehnte vor, drückte seinen Kopf Jim entgegen, bis sich ihrer beider Stirn berührten. „Jim bitte…“ Sebastians Finger fanden Halt in Jims Nacken, zog den Kleineren noch ein wenig mehr zu sich. „Jimmy…“ Er wollte Protest. Widerworte. Dass Jim ihn auslachte, dass er darauf hereingefallen war. Er wollte, dass er ihn anschrie, laut und polternd wie dumm und einfältig er war, dieser simplen Lüge auch nur für einen Moment Glauben zu schenken. Doch alles was Sebastians Blick begegnete waren ein paar braune fast warme Augen, die ihn ruhig ansahen und ein zaghaftes Lächeln, das frei von Humor war. „Du kannst mich davor nicht beschützen, Tiger.“ Sie redeten nicht darüber. Ihre übliche Art mit unangenehmen Dingen fertig zu werden. Auch wenn es das brennende Loch in Sebastians Brust nur noch größer machte. Es war einige Zeit verstrichen, ehe Moran Jim vom Boden hob und ihn ins Schlafzimmer trug, auch wenn er kaum mehr selbst in der Lage war seinen verkrampfen Körper zum Funktionieren zu zwingen. Sanft lud er Moriarty auf den Laken ab, der sich sogleich auf die Seite rollte, die Decke bis übers Kinn gezogen. Sebastian spürte wie er bebte, als er sich neben ihn niederließ, einen Arm um seine Taille geschlungen. Er hielt Jim die ganze Nacht, strich ihm durch das dunkle Haar, flüsterte sanft Worte in sein Ohr, selbst als sein Boss schon längst eingeschlafen war. Als am frühen Morgen das Handy klingelte, war die Melodie irgendwo leise in der Wohnung zu hören. Sebastian ertrug sie kaum. ~ Der Sniper wusste, dass sein Boss der Melodie lauschte. Viel zu lange ertönte das Freizeichen in seinen Ohren, die drückende Stille zwischen dem leisen Geräusch ließ seinen Magen stetig und regelmäßig zusammenkrampfen. Natürlich drückte Jim ihn weg. Nur langsam ließ er sein Handy sinken. Sherlock war nun da. Auf dem Dach von St. Barts. Jims lang ersehntes Spiel hatte endlich begonnen. Er hatte bis zur letzten Sekunde, in der sie bereits Richtung Krankenhaus aufgebrochen waren keine einzige Silbe darüber verloren, aber Sebastian hatte es irgendwie geahnt, als er heute Morgen aus dem Bett gestiegen war. Jim war so aufgewühlt gewesen. So furchtbar zappelig und im nächsten Moment so unglaublich ruhig. Im ständigen Wechsel. Sebastian hatte das schon immer schwierig gefunden, doch heute war es besonders schlimm gewesen. Mit einem tiefen Seufzen legte er die Gedanken beiseite. Routiniert und ruhig umfassten die rauen Finger des Ex-Soldaten seine fertig aufgebaute Waffe. Nur noch wenige geübte Handgriffe waren dazu nötig, Sebastian musste nicht einmal mehr hinsehen. Jim wollte Bestzeit. Und wer war er, dass er James Moriarty etwas abschlug? Es war sein verdammter Job und über die Jahre hin so viel mehr. Wie oft hatte er sich auf die Lauer gelegt in irgendeinem alten, staubigen Gebäude, die Augen angestrengt und oftmals müde, dennoch scharfsinnig durch den Fensterrahmen starrend. Wartend. Das Schlimmste war das Warten. Sebastian steckte sich grob eine Zigarette zwischen die Lippen, ehe seine Hände über die ausgebeulte Lederjacke tasteten. Er zuckte zusammen, als bei der ruckartigen Bewegung der Schmerz durch seine Seite stach. Die Wunde brannte. Jims blutige Initialen in seiner Haut. Dieser selbstverliebte Wahnsinnige. Moriarty war gestern Nacht nicht zu zimperlich mit dem Messer umgegangen, es würde eine Narbe geben, die Sebastian stets an seinen Platz erinnerte. Die ihn erinnerte, wenn Jim es nicht mehr konnte. Das verdammte Zippo war nicht in seiner Tasche. Schnaubend spuckte der Blonde den unangezündeten Glimmstängel auf die Treppenstufen, ehe er sich langsam auf eben diese legte, die hellen blauen Augen angestrengt nach draußen blickend. Moran hatte wieder sein Gewehr, sein Zielfernrohr und den Abzugshahn. Der leuchtende rote Punkt, der nun gerade und ohne Zittern auf John Watson zielte, war seiner Kontrolle unterstellt. Es war sein Auftrag. Es war sein verdammter Job. Nichts weiter. Jim hatte ihm genauste Instruktionen erteilt. Er sollte John nicht aus den Augen lassen, keine einzige verdammte Sekunde. Bis Sherlock gesprungen war. Egal was passierte. Er konnte an nichts anderes denken. Wollte an nichts anders mehr denken. Es füllte seinen Kopf aus, dieser Gedanke, dieser Befehl. Er beherrschte sein ganzes Wesen bis in die kleinste Faser seines Daseins, hinterließ ein stetes Rauschen in den Ohren und wurde nur von dem schallendem Schuss unterbrochen, der vom Dach her widerhallte. Er blinzelte. Nur für einen Augenblick rutschten seine Augen zum Fuße des Gebäudes. Kein Sherlock. Das Rauschen wurde lauter, wuchs an zu einem schmerzhaften Dröhnen. John bewegte sich, irrte umher, Sebastians Blick folgte ihm. Alles erschien ihm so statisch, phlegmatisch, es waren nur Bruchteile von Momenten, doch für Sebastian war es eine Ewigkeit, bis der Doktor an den gebrochenen Leib von Sherlock herantrat. Er war gesprungen. Das Spiel war zu Ende. Moran gönnte sich kein Gefühl der Genugtuung. Das Hämmern in seinem Kopf ließ keinen klaren Gedanken zu. Abrupt stand er auf, die steifen Glieder und kalten Muskeln ignorierend packte er seine Waffe zusammen, grob fand sie Platz in der zerschlissenen Tasche. Er schulterte sie, die Hand bereits das Handy umklammernd, autom tippten seine Finger die Nummer, das kalte Plastik presste sich auf sein Ohr und ließ ihn erschauern. Er hörte das Freizeichen kaum, als ihn seine Beine rennend über den Asphalt trugen. Sebastian passierte die Menschentraube vor dem Gebäude, Ärzte, Sanitäter, Schaulustige, alle ließ er hinter sich, ehe er die rostige Metalltür aufriss und hineinstürmte. Er stolperte die Treppen hinauf, trotz seiner guten Kondition keuchend, nach Atem ringend, immer wieder die Nummer wählend, bis die Leitung unterbrochen wurde. Er war fast oben, als er den leisen Klingelton erkannte. Die Tür zum Dach flog auf, ehe er hindurch trat und der Wind durch sein blondes Haar peitschte. Die singenden Stimmen verzerrten sich zu einem fast spöttischen Gelächter und Sebastian legte auf. Sein Blick schweifte nicht umher, er hatte sich bereits auf den dort liegenden Körper fixiert, noch ehe die Tür sich gänzlich geöffnet hatte. Das Handy entglitt seinen Fingern und es kam scheppernd auf, das zersprungene Glas des Diplays ergab das Muster eines Spinnennetzes. Sebastian schritt nach vorne, die schwere Tasche über seiner Schulter rutschte hinab, es kümmerte ihn nicht, seine Augen wie gebannt auf die rote Lache am Boden. Nun stand er vor ihm. Seine Schuhspitzen berührten das Blut fast. Oft hatte er sich das Szenario vorgestellt. Wenn das Aneurysma platzte. Wie Jim einfach zusammenbrach. In der Küche. Vielleicht im Wohnzimmer. Zuckend und schreiend und das Blut überall auf dem Parkett, bis der verkrampfte Leib still wurde. Morans Blick heftete sich an Jims Gesicht. Es war nun so viel schlimmer. Die Lider standen offen und die Lippen waren zu einem manischen Grinsen geformt. Das Rauschen in Sebastians Ohren war verklungen. Es herrschte intensive, absolute Stille, die sich grausam über das Dach ausbreitete. Empfinden und Farben wurden dumpf, mit Ausnahme des leuchtenden Rotes und der glühenden Wut. „Du verdammter Bastard.“ Er stierte hinunter, auf das Blut, auf die silberne Waffe, auf die schwarzen Haare, welche nur knapp das Loch verdeckten, der Anblick so bizarr und doch so real vor ihm, dass er kaum hinsehen konnte. „Sag mir, dass das nicht geplant war.“ Rauchig entkam die Stimme seinen Lippen, kratzig in seinem Rachen. „Sag mir, dass das verdammt noch mal nicht geplant war!“ Er erhielt keine Antwort, egal wie laut er Jim entgegen schrie. „Scheiße.“ Moran wand sich ab, starrte in den grauen Himmel über ihnen. Seine Hand glitt fahrig durch sein Haar, ehe er sich wieder umdrehte. „Es war ein Bluff okay?“ Er atmete laut aus. „Ich hatte keine Ahnung was du vorhast.“ Ein flüchtiges Grinsen flackerte über seine Züge al er sich an den Moment im Wohnzimer erinnerte. Wie sie sich gegenüber standen. Es verschwand so schnell wie es gekommen war, ehe seine Miene hart wurde. „Es war einfach nur banales Gerede. Niemand hat irgendeine Ahnung was du vorhast. Weil keiner in deinen gottverdammten Schädel sehen kann!“ Sebastian wischte sich über den Mund, die grauenhafte Ironie seiner Worte schmeckten bitter auf seiner Zunge und brannten in seiner Brust. Sebastians Beine knickten ein. Einfach so und ohne Vorwarnung. Seine Kniescheiben kamen knirschend auf den Boden auf, direkt neben dem Blut. Moran beugte sich vor, seine Hände ballten sich zu Fäusten, wollten ausholen, ehe sie sich wieder entfalteten, verkrampft und drohend über Jims Kehle hingen, bereit sich darum zu legen und ihn zu schütteln. Doch zu nichts von all dem Gräuel war er imstande. Stattdessen entspannten sich seine Finger kurz vor Jims Gesicht und strichen sanft eine schwarze Haarsträhne hinters Ohr zurück. „Du konntest nicht einfach so gehen.“ Der Ex-Soldat schüttelte sacht den Kopf. „Du musstest dir unbedingt dieses Ding aus dem Schädel ballern. Den Zeitpunkt bestimmen.“ Das letzte Problem. Vielleicht wäre es ewig so weiter gegangen. Dieses Spiel das sie gespielt hatten. Jim und Sherlock. Ewige Pläne. Ewige Berechnungen von Möglichkeiten. Von Konstanten. Nur mit dem Unterschied, dass Moriarty es hatte beenden müssen, aufgrund einer einzigen Konstante, die sich nicht hatte berechnen lassen. Die unmöglich zu berechnen gewesen war. „Du hast die Kontrolle verloren, Jim. Langsam…Stück für Stück…“ Sebastian lachte auf. Es tat in seiner Kehle weh. „Du konntest das alles nicht so weit vorausplanen….nicht einmal du.“ Vorsichtig nahm er Jims Arm, entwendete die Waffe aus den kalten fahlen Fingern und legte die Hand sanft zurück. Das unerwartete sachte Klappern und das kurze Aufblitzen von einer Lichtreflexion ließ Sebastians Blick hinabsinken. Da lag das Zippo. Es musste aus Jims Tasche gefallen sein. Er hatte es bei sich gehabt. Die ganze Zeit. Morans Hand fuhr erneut durch sein Gesicht. Er presste die Augenlider aufeinander, seine Finger schlossen sich grob um das kleine metallene Rechteck. Zögerlich sah er auf, blickte erneut auf die rote Blutspur, die zu Moriartys Gesicht führte. Es war so blass. So kalt. So tot. Es war vorbei. Das Spiel. Das letzte Problem. Alles. Moran lehnte zurück, drückte seinen Rücken gegen die tiefe Mauer vom Rand des Gebäudes und legte den Kopf in den Nacken, lauschte den näher kommenden Sirenen in der Ferne. „Ich hoffe es ist jetzt still, Jim.“ Begleitet von einem sanften Klacken entfachte er die züngelnde Flamme. Seine Fingerkuppen strichen über die fein ausgearbeitete Gravur. Ein goldener Tiger, die scharfen Zähne entblößt, der gestreifte Körper fast liebkosend um den silbernen Totenkopf in der Mitte geschmiegt. Sebastian starrte lange auf das kleine unscheinbare Loch im Totenschädel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)