Der König der Löwen von Izruo (Wir sind Eins) ================================================================================ Prolog: Ithabise! ----------------- Auf der Flucht Der morgendliche Dunst lag noch über dem Fluss, doch an den Ufern gab es kein einziges Lebenszeichen – bis auf eine Löwin, die verzweifelt in dieser paradiesischen Einöde nach Beute Ausschau hielt. Zwar lag ihr Sprung in die Welt der Erwachsenen schon etwas zurück, doch zu alt zum Jagen war sie noch lange nicht. Sie hatte einen schlanken, fast schon hageren Körperbau, der von einem niedrigen Schädel abgerundet wurde. Ihr in der Dämmerung gräulich wirkendes Fell bot ihr im Nebel gute Deckung und auch der dunkle Streifen, der auf ihrer Stirn ansetzte und ihr über den Scheitel bis in den Nacken reichte, sah aus der Ferne aus wie der Schemen eines Halmes. Allein ihre leuchtend roten Augen verrieten ihre Anwesenheit. Der Wasserlauf schlängelte sich durch eine kleine Hügelkette und war damit die einzige zuverlässige Wasserquelle weit und breit, zudem war es gerade Trockenzeit. Trotz alledem war an beiden Ufern nichts zu sehen, was auch nur eine schmähliche Mahlzeit abgegeben hätte, das Gebiet wirkte wie ausgestorben. Die Löwin blickte nachdenklich den Fluss entlang. Sie könnte einfach seinem Lauf folgen, dann würde sie zwangsweise irgendwann auf Beute stoßen. Doch zwischen den Hügeln lebte nichts, dessen war sie sich eigentlich sicher. Mit wehmütigem Blick wandte sie den Kopf entgegen der Strömung. Zwei volle Tage war es nun schon her, dass sie ihr Heim verlassen hatte. Vorgestern war sie mit ihrem einzigen Sohn bis an die östliche Grenze geflohen, wo sie am Fuße der Hügel Schutz gesucht hatten. Doch in der folgenden Nacht waren dort die Hyänen eingefallen, nachdem sie offensichtlich aus dem Geweihten Land vertrieben worden waren. Dies konnte aber nur eines bedeuten: Nämlich, dass der alte König des Landes nicht mehr war und irgendwie waren die Hyänen nach seinem Tod völlig außer Kontrolle geraten. Zuvor hatten sie noch treu zum Königspaar gehalten, doch in jener Nacht wäre ihnen beinahe ihr erstes Kind zum Opfer gefallen. Seitdem war sie auf der Flucht und seither hatte sie auch nichts mehr gefressen. Ein verirrter Savannenhase war das Größte gewesen, das ihr vor die Krallen gelaufen war. Sie selbst wäre danach aber wohl nur noch hungriger gewesen als zuvor, also hatte sie ihn ihrem Sohn überlassen. Heute allerdings konnte sie von solch einer Beute wohl nur träumen. Sie spähte noch einmal in alle Richtungen durch den Dunst, ohne dabei etwas zu entdecken, dann machte sie sich auf den Weg, ihren Sohn zu wecken. Dieser lag immer noch im Versteck, hinter einem umgestürzten Baum bei einem der nahegelegenen Hügel. »Nuka, aufwachen!«, war das unwirsche Kommando, das er zu hören bekam. »Wir müssen weiter.« »Denkst du, wir haben sie abgehängt?«, gähnte er. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie uns lange verfolgt haben«, antwortete Zira. »Hyänen sind Opportunisten und sie wissen, dass wir immer einen Fluchtweg haben, solange wir dem Fluss folgen.« Nuka kam umständlich auf die Beine und schlürfte in Richtung Wasser. Die Strapazen der vergangen Tage waren ihm bereits deutlich anzusehen, seit seiner Entwöhnung vor zwei Monaten war ihm fast jeden Abend frisches Fleisch zur Verfügung gestanden. Als er seinen Durst gestillt hatte, sah er auf zu seiner Mutter, die dem heranströmenden Wasser entgegenblickte. »Können wir je wieder zurück?«, fragte er besorgt. Diese Frage verfolgte Zira schon seit langem und hatte sie schon etliche Stunden Schlaf gekostet, aber sie wollte es sich noch nicht eingestehen, nicht vor ihren Sohn. »Im Moment nicht, jetzt müssen wir erst einmal etwas zum Jagen finden«, antwortete sie, ohne ihn anzusehen. Ihren eigenen Worten widersprechend starrte sie trotzdem noch einen Moment lang Richtung Westen, ehe sie umkehrte und in Begleitung ihres Sohnes weiter dem Lauf des Flusses folgte. Kind des Schicksals Ein feiner glänzender Lichtschimmer markierte die Spitze des Königsfelsens, der sich an diesem Morgen in weiter Ferne über das Land erhob. Ein auf einem uralten Affenbrotbaum sitzender Mandrill beobachtete dies. Sowie der Baum, so schien auch der Affe bereits die Blütezeit seines Lebens hinter sich zu haben. Seine Fellfarbe hatte bereits ein blasses graublau angenommen und schlohweißes Haar schmückte seinen Kopf. Plötzlich schreckte er aus seiner Abwesenheit – Oder war es Konzentration? – hoch. Er würdigte der Aussicht nur einen flüchtigen Blick, dann schwang er sich elegant ins Zentrum der Baumkrone, die er als Heim und offensichtlich auch als Atelier nutzte, denn am Hauptstamm waren bereits zahlreiche Illustrationen verewigt. Er las eine halbe Kürbisschale, die als Behälter für Farbe diente, vom Boden auf und machte sich an die Arbeit. Leise vor sich hin murmelnd tüftelte er mit den Fingern am Rande seiner Wandmalerei. Nach einiger Zeit trat er einen Schritt zurück, um sein Werk zu betrachten: Zu den zahlreichen Löwen war ein neues Junges hinzugekommen. Der Mandrill musterte es genau, als ein sanfter Wind, der zahlreiche Blätter und Pollen trug, aufzog und ihn umgab. Kurz darauf wehte er einen Kürbis vom Baum, der mehrere Äste traf und zerbrach, bevor eines der Teile vor den Füßen des Affen landete. Er hob das Schalenstück auf und hielt es auf Augenhöhe, um es genauer zu betrachten. Durch ein großes Loch darin konnte er das Löwenjunge sehen, das er soeben gezeichnet hatte. »Soso, aber was hat das zu bedeuten?«, fragte er sich selbst – oder jemanden, der gerade nicht zu sehen war. Wie als Antwort darauf frischte der Wind auf, zog noch einmal zwei Kreise um den fordernd dreinblickenden Mandrill und verschwand anschließend gen Himmel. »Ach, du bist doch auch zu nichts zu gebrauchen!«, rief er den davonfliegenden Pflanzenteilen hinterher. Das Ausbleiben einer Antwort schien ihn nicht zu überraschen und so widmete er sich wieder dem Schalenstück in seiner Hand. Nachdem er ein weiteres Mal hindurchgesehen hatte, kam ihm der entscheidende Einfall. »Aiheu abamami!«, entfuhr es ihm. »Es ist ...« Er griff wieder nach seiner Farbschale und zeichnete zögerlich einen Kreis um das Junge, dann trat er wieder einen Schritt zurück und betrachtete die gesamte Konstellation. »Es ist Frieden eingekehrt, aber bis zu seiner Sicherung ist es noch ein weiter Weg. Gerade jetzt kann ein solches Junges vieles verändern.« Nun sah er zum ersten Mal aufmerksam in Richtung Südwesten, zum Königsfelsen. Ob diese Nachricht wohl einen Besuch rechtfertigte? Doch etwas trübte seine Sicht und wurde allmählich größer. Einen Augenblick später erkannte er darin einen nur allzu vertrauten Nashornvogel, der direkt auf ihn zugeflogen kam. »Zazu, was verschafft mir die Ehre?«, begrüßte er ihn, nachdem dieser anmutig auf einem der Äste gelandet war. »Eine Botschaft des Königs«, antwortete Zazu ohne Umschweife. »Die Präsentation seines Erstgeborenen soll in neun Tagen stattfinden. Das Königspaar bittet euch, dessen Taufe durchzuführen.« »Selbstverständlich ... schon in neun Tagen?« »Warum schon?« »Das ist kein gewöhnliches Ereignis«, antwortete der Mandrill bestimmt. »Gut, es gibt viel zu tun. Ich mache mich sofort auf den Weg.« »Wie ihr meint, auf Wiedersehen«, verabschiedete sich der Botschafter und flatterte wieder davon. Die Nachdenklichkeit des Affen war auf einmal wie weggefegt, fast schon übermütig lachend bereitete er seine Reise vor. Dazu griff er, scheinbar wahllos, nach zwei Flaschenkürbissen, pflückte sie vom Baum und befestigte sie an einem Stockstab, der in einer Astgabel lehnte. Mit diesem Gehstock gerüstet schien er nun aufbruchsbereit zu sein. Er ging auf den Rand der kleinen plattformartigen Astgabel zu, doch bevor er mit dem Abstieg begann, wandte er sich noch einmal seiner Wandmalerei zu. »Die Wege des Schicksals sind manchmal unergründlich«, sagte er zu dem gezeichneten Jungen, dann hangelte er sich in Richtung Boden. Dort angekommen begann er seine neuntägige Reise, die ihn in die entlegensten Winkel des Geweihten Landes führen würde und auch oft über seine Grenzen hinaus. Dabei scheute er keine Umwege, um die freudige Nachricht möglichst weit zu verbreiten: »Ithabise! Der Kreis hat sich geschlossen. Kommt in neun Tagen zum Königsfelsen, um den neuen Thronerben zu begrüßen. Ithabise! ...« Fernab Lautlos schlich sie sich auf ihre Beute zu. Ihre Krallen waren ausgefahren, sodass sie die Konsistenz des Untergrundes allgegenwärtig spürte. Auch wenn sie nur langsam vorankam, so hatte sie ihr Ziel klar vor Augen – eine Antilope, die sich ein Stück von ihrer Herde entfernt hatte. Gleich nachdem sie die Hügelkette passiert hatte, war Zira mit ihrem Sohn auf der Suche nach einem geeigneten Versteck nach Norden weitergezogen, und es hatte sich gelohnt! Sie hatten an einem in zweiter Reihe stehenden Hügel eine kleine Mulde gefunden, die, selbst für den Fall, dass es ein Raubtier bis zwischen die sanften Erhebungen verschlagen sollte, von unten nicht einsehbar war. Doch jetzt war sie nur noch zwei Dutzend Meter von ihrem ahnungslos grasenden Ziel entfernt. Sie duckte sich so weit, dass ihr Bauchfell schon fast den Boden streifte, spannte die Muskeln an und preschte los. Mit wenigen Sätzen überwand sie die Distanz zu der Antilope, welche gerade noch Zeit hatte den Kopf zu heben, bevor sie von der Wucht des Aufpralls von den Hufen gerissen wurde, wobei sie gleich schwere Kratzer an Hals und Rücken erlitt. Das Tier versuchte schnellstmöglich wieder auf die Beine zu kommen, aber Zira war bereits über ihm und tötete es, indem sie ihm ein paar Sekunden lang die Luftröhre abklemmte. Normalerweise kam diese Technik nur bei größeren Beutetieren, bei denen sie die Luftröhre nicht mit Sicherheit durchbeißen konnte, zum Einsatz, doch sie musste vorsichtig sein. Auch beim Fressen gab sie darauf Acht, möglichst wenig von dem vergossenen Blut des Tieres ins Fell zu bekommen. Als sie fertig war, ließ sie den Rest des Kadavers achtlos liegen und lief zum Fluss, um etwas zu trinken und sich zu waschen. Sie hasste Letzteres, aber es musste sein. Anschließend machte sie sich wieder auf den Weg zu den Hügeln. Sie kannte die einzelnen Erhebungen mittlerweile schon ganz gut und fand auf Anhieb die Gasse, durch die sie zu ihren Kindern gelangen konnte. Allerdings nahm die beim Durchqueren ebenjener plötzlich einen Geruch wahr, der ihr schrecklich vertraut war – Blut! Im selben Moment hörte sie ein leises Scharren am rechten Fuß des Hügels. Genauso wie gerade eben in der offenen Savanne schlich sie um die Anhöhe herum, wobei sie möglichst jede Deckung in der kargen Landschaft nutzte. Der einzige Unterschied dabei war ihr Herzschlag. Diese Situation kam ihr nur zu bekannt vor. Sie fühlte sich wieder wie vor vier Monaten, als die Hyänen ihnen am Rande des Geweihten Landes aufgelauert hatten. Zira fürchtete sich nicht vor dem, was sie gleich erwarten könnte, sondern vor dem, was sie womöglich zu sehen bekommen würde. Ohne vorher einen Blick auf ihr Ziel zu werfen, oder sonst einen Versuch zu unternehmen, herauszufinden, was sie da gleich angreifen würde, sammelte sie noch einmal all ihre Energie. Ihre seit vier Monaten aufgestauten Emotionen halfen ihr dabei, auch die letzten Reserven zu mobilisieren. Mit lautem Gebrüll sprang sie aus ihrer Deckung und jagte los. Doch der Angriff fand ein jähes Ende, als sie vor sich einen kleinen Löwen erkannte – ihren eigenen Sohn, der gerade dabei war, einen toten Savannenhasen den Hang hinauf zu zerren. »Was tust du da?«, fauchte sie entgeistert. »Mutter! Sieh mal, das hab' ich ganz allein geschafft«, berichtete er und schaute stolz auf seine Beute. Zira glaubte ihm sofort, denn der Hase war mit Biss- und Kratzspuren übersät und passend dazu klebte Blut an Nukas vorderen Krallen und an seiner Schnauze. »Was hast du dir dabei gedacht?«, fuhr sie ihn an. Nuka, der sich offensichtlich ein Lob erhofft hatte, zog den Kopf ein und wich vor seiner Mutter zurück, die Ohren angelegt. »Ich weiß nicht –« »Warum sollt ihr auf dem Hügel warten?« »Weil uns dort keine Raubtiere finden.« »Und wodurch werden Raubtiere angelockt?« »Ich weiß nicht ...« »Durch frisches Blut! So wie ich gerade eben«, erklärte sie und sah nachdenklich auf den Kadaver. ›Warum kann der Junge nicht tun, was man ihm sagt? Wenn wir das Tier nicht schnellstmöglich hier wegschaffen, können wir dieses Versteck vorerst vergessen.‹ Ohne Vorwarnung packte sie den Hasen, ignorierte den lauthalsen Protest ihres Sohnes und spurtete zurück in die Ebene. Dort angekommen wandte sie sich nach rechts, lief ein Stück die Hügelkette entlang und bog in eine nahegelegene Gasse zwischen zwei Hügeln ein. Dort legte sie die Beute ihres Sohnes hinter der nächstbesten Deckung ab, Hauptsache sie war vom offenen Gelände aus nicht zu sehen. Dann ließ sie ein lautes Brüllen ertönen und machte sich auf den beschwerlichen Weg direkt über die Hügel. Doch auch so fand sie ihre Kinder schnell wieder, da sie nun von Kuppe zu Kuppe sehen und sich auf diese Weise ein wenig orientieren konnte. An der Mulde angekommen sah sie zu allererst nach ihrer Tochter, die noch immer seelenruhig an der tiefsten Stelle lag und schlief. Sie war gerade mal drei Tage alt, noch blind und völlig hilflos. Als sie sichergestellt hatte, dass ihrem Liebling nichts fehlte, rief sie ihren Sohn zu sich und begann damit, ihn gründlich zu säubern. Nuka gefiel das ganz und gar nicht, doch er hatte keine Chance gegen den Willen seiner Mutter. Trotz allem würde er noch ein Bad im Fluss nehmen müssen, um den Geruch endgültig loszuwerden, aber für diese Zeit hatte Zira ja gerade eben eine falsche Fährte gelegt. Doch sie verstand ihren Sohn. Zwar hatte sie ihm erklärt, dass er durchaus kleinere Tiere jagen konnte, nämlich solche, die er allein mit roher Gewalt töten konnte, indem er ihnen das Genick brach, aber auf lange Sicht würde er sich dadurch nicht ernähren können. Auf die Jagd wollte sie ihn allerdings auch nicht mitnehmen. Zwar war er vor der Geburt seiner Schwester des Öfteren dabei gewesen und hatte nie Probleme bereitet, doch Ziras Bedenken galten etwas ganz anderem. Sie machte sich Sorgen, dass er beim Fressen nicht besonders achtgeben und auf diese Weise dann den Geruch der Beute mit nach Hause tragen würde. Ebendies versuchte sie nämlich zu vermeiden und wusste daher selbst, wie schwer es war. Eines war sicher, so konnte es keinesfalls weitergehen! Sie hatte nun eine schwierige Entscheidung zu treffen. Thronerbe --------- Der kleine Prinz Die folgenden Tage bestätigten die Worte des Affen – diese Präsentation sollte ein ganz besonderes Ereignis werden. Schon eine Woche davor war am Königsfelsen eine gewisse Nervosität allgegenwärtig zu spüren. Für den gerade einmal drei Monate alten Prinzen war die Lage so schon nicht besonders angenehm, doch die Tatsache, dass der ganze Stress eigentlich auf ihn zurückzuführen war, weil es ja letztlich gerade um ihn ging, machte das Ganze noch um ein Vielfaches schlimmer. Ständig spürte er besorgte, nachdenkliche aber auch hoffnungsvolle Blicke auf sich ruhen, erstere dabei vor allem im Rücken. Am Ende wollte er dem Druck nur noch irgendwie entgehen, was ihm drei Tage später auch gelang. Nala hatte ihm endlich – wenn auch nur unter Mheetus Aufsicht – erlaubt, den Königsfelsen ohne sie oder eine andere Löwin zu verlassen. Für gewöhnlich standen Löwenjunge nämlich die ersten vier Monate ihres Lebens unter ständiger Bewachung. Doch lange wurde ihm dieses Privileg nicht gewährt. »Mama, warum dürfen wir nicht mehr draußen spielen?«, bedrängte er seine Mutter schon beim Frühstück, das überwiegend aus Resten vom Vorabend bestand. Bis zu seiner Präsentation waren es nun noch zwei Tage. »Kopa, du warst ja eben kurz draußen. Erzähl mir doch mal, was du gesehen hast.« Nala verstand ihren Sohn nur allzu gut, aber ebenso wusste sie auch, welche Gefahren die großen Zeremonien darstellten. »Nun, auf der Wiese liegen einige Nashörner und schlafen.« »Und du weißt auch, weshalb sie hier sind?« »Um mich zu begrüßen, also warum sollte ich mich von ihnen fernhalten? Immerhin bin ich ihr zukünftiger König!« »Weil sie dich noch nicht kennen, dafür ist ja die Zeremonie übermorgen«, erklärte Nala ruhig. »Jetzt bist du für sie nur ein kleines, vorlautes Löwenjunges. Außerdem werden bis dahin noch viele andere Tiere hier ankommen und nicht alle begnügen sich, wie die Nashörner, damit, dass man sie in Ruhe lässt.« »Ich hatte mich auch schon gefragt, wie sich so viele Tiere hier friedlich versammeln sollen«, antwortete Kopa nachdenklich. »Als ich Mheetu vorhin gefragt habe, meinte er, dass bei großen Zeremonien Jagdverbot herrscht.« »Aber nur am Tag der Zeremonie!« Die Tatsache, dass seine anfängliche Frage beantwortet worden war, hielt den Kleinen jedoch nicht davon ab, auf der mit einher gegangenen Forderung zu bestehen: »Aber solange es nur die Nashörner sind ... wir können ja wieder nach Hause kommen, sobald es da unten zu voll wird.« »Wie wäre es mit einem Kompromiss?«, willigte Nala schließlich ein. »Ihr könnt ja mal schauen, wie viel auf der Rückseite des Königsfelsens los ist. Da sämtliche Raubtiere ihre Aufmerksamkeit auf die große Versammlung auf der Vorderseite richten werden, solltet ihr dort sicher sein.« »Klasse! Ich sag‘ den andern Bescheid« Kopa stürmte davon. »Aber kommt sofort zurück, wenn ihr Fremde seht!« »Klar, machen wir!« Voller Stolz schaute Nala ihrem Sohn hinterher. Er war aufgeweckt, aber vorsichtig, weshalb sie sich trotz der Umstände eigentlich kaum Sorgen machte - viel mehr Unbehagen bereitete ihr die Zeremonie selbst. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern würde Kopa den Tieren nämlich nicht im üblichen Alter von zwei Monden präsentiert werden, denn zu jenem Zeitpunkt war das Land geprägt gewesen von den Narben aus der Zeit von Scars Herrschaft. Die Königsfamilie war sich damals einig gewesen, dass die Präsentation durchaus warten könne – schon wenig später würde das Geweihte Land die pilgernden Tiere weitaus einladender empfangen können und mit Sicherheit würden sich nicht wenige entscheiden länger oder sogar dauerhaft zu bleiben. Denn im Moment war jedes Leben, das es in Richtung Königsfelsen zog, Gold wert. So geschah es, dass innerhalb der nächsten zwei Tage mehr Tiere am Königsfelsen eintrafen, als das gesamte Geweihte Land seit langem gesehen hatte. Rafikis Rat Am Nachmittag des Vortages der Zeremonie hatte auch der Mandrill seine lange Reise abgeschlossen und ruhte sich in einem Seidenbaum im Hinterland des Königsfelsen aus – für die vergangene Woche hatte er genug Gesellschaft genossen. Später am Abend hörte er allerdings leise Schritte. Den Stab zum Schlag erhoben sprang er mit einer Leichtigkeit, die sein ältliches Äußeres Lügen strafte, vom Baum und konnte sich gerade noch im letzten Moment zurückhalten, als er seinen Gegenüber erkannte. Es war ein ausgewachsener Löwe von gesunder, kräftiger Statue. Im Schein der niedrig stehenden Abendsonne war seine Mähne tiefrot und sein Fell schimmerte golden, ein wahrhaft königlicher Anblick. »Simba, was machst du denn hier draußen?« »Guten Abend, Rafiki«, begrüßte ihn Simba, zu dem immer noch erhobenen Stab aufschauend. »Oh, tut mir leid, ich hatte dich nicht für den gehalten, der du bist«, entschuldigte sich der Mandrill, nachdem er dem Blick gefolgt war. »Das will ich auch hoffen! Ich habe außerdem eine Bitte an dich«, erwiderte Simba, doch die königliche Würde in seiner Stimme fehlte. »Nkosi aka Nkosi! Was auch immer ich für euch tun kann.« »Zira, "seine" ehemalige Gefährtin, ist vor ein paar Tagen mit einem Neugeborenen hier eingetroffen. Denkst du, du kannst es am Nachmittag taufen? Du kannst anschließend auch noch eine Nacht hier am Königsfelsen bleiben, wenn du möchtest.« »Es wäre mir eine Ehre!« Daraufhin breitete sich ein kurzes, unangenehmes Schweigen zwischen ihnen aus, das schließlich von Rafiki gebrochen wurde. »Sie will sich also wieder in das Rudel eingliedern?« »Es scheint ganz so.« »Wie geht es Nuka?« »Er ist unterernährt, die beiden müssen eine schwere Zeit durchgemacht haben.« »Nun, ich hätte nicht erwartet, dass sie zurückkommt, wo sie doch so an "ihm" hing. Hoffen wir, dass sie ihn hinter sich lassen kann.« »Hakuna Matata, wie? Wobei ich seine Taten wohl nie vergessen werde.« »Das darfst du auch nicht! Als König ist des deine Aufgabe Hakuna Matata zu verbreiten, nicht es zu leben. Es bedarf allerdings großer Weisheit diese beiden Widersprüche zu vereinen.« »Nun, wenn es um Hakuna Matata geht, sehe ich mich als Experte«, verkündete Simba. »Wann kann ich morgen mit dir rechnen?« »Oh Simba, ich vermag nur in die Zukunft anderer zu sehen, nicht in meine eigene.« Und mit diesen Worten schwang sich der Mandrill behände zurück ins Geäst. Amüsiert kehrte Simba dem Baum den Rücken und machte sich auf den Weg nach Hause. Doch der Empfang am Königsfelsen war spärlich. Die Löwinnen hatten sich, sowie die Tiere am Fuß des Berges, ob des bevorstehenden Ereignisses am nächsten Morgen zeitig schlafen gelegt, sodass bereits der zeremonielle Friede in der Luft lag. Allein Nala erwartete die Ankunft ihres Gefährten: »Nun, jetzt wirst du mir aber wohl erzählen können, wo du warst!« »Rafiki ist heute Nachmittag hier eingetroffen«, antwortete Simba, während er sich in aller Ruhe neben sie legte. »Ach, und das konntest du mir nicht erzählen?« »Ich bewundere ihn ohnehin schon, wenn ich nur vom Königsfelsen herabsehe.« »Ja, er hat wieder ganze Arbeit geleistet«, erwiderte sie anerkennend. »Und deshalb wollte ich ihn nicht gleich zu mehreren bedrängen, nicht zuletzt, da mein Anliegen heikel war.« »Vitanis Taufe? Hat er eingewilligt?« »Ja.« »Nun, was Zira betrifft ... sie verhält sich etwas seltsam. Ihr Tochter ist zum einen noch so jung, aber trotzdem lässt sie auch jetzt, wo sie sie zum Rudel gebracht hat, niemanden in ihre Nähe. Um Nu –« »Aiheu allein weiß, was sie durchgemacht hat, ich schätze man kann ihr deshalb nichts vorwerfen.« »Das wollte ich auch gar nicht, du solltest mich öfter ausreden lassen«, tadelte Nala ihn gelassen, während sie ihren Kopf auf Simbas Vorderpfoten bettete. »Was mir Sorgen bereitet, ist, dass sie für Nuka rein gar keine Fürsorge, nicht einmal Interesse zeigt. Ich befürchte, sie hat ihn schon aufgegeben.« »Hoffen wir das Beste für die beiden.« Simba erwiderte ihre Geste, indem er seinen Kopf in ihren Nacken legte, gleich oberhalb ihrer Schultern. »Lala kahle.« Und so schlief schließlich auch der letzte Löwe am Königsfelsen ein. Die große Taufe Da das Jagdverbot nur an zeremoniellen Tagen galt, trauten sich die meisten Tiere auch an den Vortagen nicht in die Nähe der Heimat der Löwen. Doch mit dem Anbruch des neuen Tages machten sich nun auch die Letzten auf, das finale Wegstück zum Königsfelsen zu bewältigen. Als die Sonne schließlich baumhoch am Himmel stand, war die Versammlung nahezu vollzählig und ein aufgeregtes Raunen ging durch die Menge. Die Tatsache, dass die Löwen vor ein paar Monden die einzigen waren, die im Geweihten Land ausgeharrt hatten, steigerte die Neugierde auf das zu präsentierende Junge noch mehr. Nicht wenige waren der Ansicht, dass sich der Zustand des Landes in ihm widerspiegeln würde. Zu Kopas Unbehagen dachte Nala genau dasselbe und war den gesamten Morgen damit beschäftigt, unter der Aufsicht ihrer Mutter Sarafina jede erreichbare Stelle seines Körpers gründlich zu baden. »Oha, wo warst du denn, dass dein Bad heute so lange dauert?« Dabei war Nuka wohl bewusst, dass es seit gestern keinem Löwenjungen mehr erlaubt war, den Königsfelsen zu verlassen. »Heute steht eine wichtige Zeremonie an«, erwiderte Mheetu, »Kopas Taufe und Präsen -« »Und die Taufe meiner Schwester, wobei dem niemand eine besondere Bedeutung beizumessen scheint«, konterte Nuka. »Ich denke die Tatsache, dass ihre Taufe so kurzfristig auf die Beine gestellt wurde, ist Würdigung genug.« Mheetu war eigentlich Nalas kleiner Halbbruder, wurde aber von allen als ihr Bruder angesehen. Er war knapp zwei Monate nach Simba und Nala mit einigen alten Bekannten zum Königsfelsen zurückgekehrt, dabei war er jetzt erst vor kurzem ein Jahr alt geworden. Nala, die das kleine Wortgefecht nur mit einem Ohr verfolgt hatte, bemerkte die Änderung im Tonfall und warf Sarafina einen viel sagenden Blick zu, worauf diese sich an Mheetu wandte: »Wie sieht's aus, möchtest du auch ein Bad?« »Nein, danke, Ma, das kann ich schon selbst«, antwortete dieser. »Ich geh' mal nach draußen und schau' nach ob der alte Rafiki schon da ist.« »Du weißt doch, Rafiki hat bei sowas sein eigenes Timing.« Wenig später traten Nala und Zira, beide ihre Jungen im Maul tragend, Seite an Seite hinaus ins helle Tageslicht. Simba, der bereits wartete, ging nun nach vorne auf den Felsvorsprung, der die Versammlung überragte und stieß ein lautes Brüllen aus, in das die anderen Löwinnen, die seitlich neben dem Höhleneingang lagen, mit einstimmten. Als Simba das Maul wieder geschlossen hatte und die versammelten Tiere betrachtete, freute es ihn zu sehen, dass keines von ihnen auch nur einen Schritt zurückgewichen war. ›Gut! Ihre Neugier ist größer als ihre Angst – hoffen wir, dass Kopa sie überzeugen kann. Jetzt fehlt nur noch der alte Rafiki.‹ Fast wie aufs Stichwort erschien direkt vor ihm eine Hand auf dem Felsvorsprung, kurz darauf war Rafikis Kopf zu sehen. Mit derselben Leichtigkeit wie am Vorabend kletterte der Mandrill über die Felskante und umarmte den König. »Du weißt, dass es auch einen Weg hier hoch gibt, der zu Fuß begehbar ist«, meinte Simba, als sie sich wieder voneinander lösten. »Diesen Weg gibt es in der Tat«, erwiderte Rafiki, »allerdings ist er heute nicht begehbar.« Daraufhin musste sich Simba zusammenhalten um nicht vor der versammelten Menge laut loszulachen, anstatt dessen lächelte er kurz und deutete mit dem Kopf auf die beiden Löwinnen, die gerade mit ihren Jungen zu den Übrigen hinübergingen. Rafiki folgte dem Blick und verstand sofort. Er nickte Simba noch einmal zu, bevor sie Seite an Seite zurück Richtung Höhleneingang gingen und sich anschließend nach rechts wandten, bis sie schließlich vor der stolzen Nala standen, die ihrem Sohn gerade noch einmal über den Hinterkopf leckte. Während sie und Simba liebevoll die Köpfe aneinander schmiegten, warf Rafiki einen genauen Blick auf den Prinzen. »Wie soll er heißen?« »Kopa.« »Er ist stark, eine Stütze in diesen schweren Zeiten«, sagte er an alle Löwinnen gewandt, und zu Kopa: »Busa leli zwe, busa ngo thando.« »Aiheu abamami!«, war die allseitige Antwort. Daraufhin entfernte Rafiki einen der Kürbisse von seinem Stab, hielt ihn hoch gegen das Sonnenlicht und brach ihn ohne ersichtliche Mühe entzwei. Die Schale, in der sich weniger Saft gesammelt hatte, legte er beiseite, in die andere tauchte er einen Finger und bestrich die Stirn des Kleinen mit dem Inhalt. Anschließend nahm er ein wenig Sand vom felsigen Untergrund und ließ ihn über den Kopf des jungen Prinzen rieseln. Mit einem letzten Blick zu Simba und Nala nahm er Kopa auf den Arm und machte sich, flankiert vom Königspaar, auf den Weg zurück zum Felsvorsprung. Dort angekommen hielt er den jungen Prinzen mit ausgereckten Armen hoch empor, sodass ihn keiner der Anwesenden übersehen konnte. Für einen erdrückend langen Moment herrschte Stille, dann brach erst stellenweise und schließlich von allen Seiten ein enormer Jubel los. »Ich schätze, das hat sie überrascht, aber sie sind zufrieden«, sagte Nala zu Simba. »Die Taufe zu verschieben, ist die richtige Idee gewesen«, antwortete dieser. »Ich weiß.« Die kleine Taufe Später am Nachmittag wurde weit weniger spektakulär die Taufe von Vitani durchgeführt. Ein Teil der Zuschauer hatte sich bereits auf den Rückweg gemacht, aber der überwiegende Rest genoss den zeremoniellen Frieden, nahm jedoch trotzdem kaum Notiz von dem, was sich auf dem Königsfelsen abspielte. In Ermangelung eines Vaters hatte sich Chumvi neben Zira gestellt. Außerdem versprach er Rafiki, dass er sich um die Kleine kümmern würde wie um seine eigene Tochter und auch Mheetu und Kopa waren bereit, sie als Mitglied ihrer Familie zu akzeptieren. Zira allerdings schien von all der ihr dargebotenen Fürsorge kaum etwas mitzubekommen oder es schien sie wenig zu interessieren. Sie hatte nur Augen für ihre Tochter, wovon jedoch niemand besonders Notiz nahm, denn auch jeder andere begutachtete die Kleine, darunter auch Rafiki. »Wie soll sie heißen?« »Vitani.« »Sie ist wunderschön, eine große Bereicherung für diese Familie«, sagte er zu allen gewandt, und zu Vitani: »Möge Aiheu dich auf deinem Weg begleiten und jeden segnen, der die Ehre hat, dir zu begegnen.« »Aiheu abamami!«, war die allseitige Antwort. Daraufhin entfernte Rafiki den verbleibenden Kürbis von seinem Stab und taufte damit Vitani, so wie er es bei Kopa getan hatte. Anschließend wandte er sich direkt an Zira: »Es ist schön zu sehen, wie sich die Dinge wieder zum Guten wenden. Ich hoffe dieser Umschwung wird auch dich bald erreichen, denn ich sehe große Unsicherheit in dir ... Sieh! Du hast ein Junges geboren, das von dieser Familie bereitwillig aufgenommen wurde, damit bist du ein Teil von ihnen.« »Ich danke euch.« »Aiheu abamami!«, ertönte es wieder aus allen Richtungen und in diesem kurzen Moment hätte man meinen können, Zira tatsächlich einen Moment lang lächeln zu sehen, doch diese Illusion verflog sogleich wieder, als sie sich ihrer Tochter zuwandte. Morgengedanken Bereits wenige Tage nach der Zeremonie war offensichtlich, dass das Ereignis ein voller Erfolg gewesen war. »Sieh nur, das Geweihte Land ist bald wieder genauso schön wie damals ... bevor das alles passiert ist«, bemerkte Simba während einem ihrer morgendlichen Spaziergänge. »Ja, das ist die Welt in der ich meine Kinder aufwachsen sehen will«, antwortete Nala mit einem leichten Lächeln. »Sagtest du gerade Kinder?« »Vitani gehört doch jetzt ebenfalls zur Familie und auch Nuka geht es von Tag zu Tag besser. Es ist schön zu sehen, wie sich die Dinge wieder zum Guten wenden.« »Rafiki hatte mal wieder Recht, wo -« »Überrascht dich das?« »Nicht im Geringsten. Noch weniger die Tatsache, dass er der erste war, der diesen Wandel offen angesprochen hat – und das obwohl er da gerade mal eine Nacht hier war.« Zwanghaft versuchte er, seinen heiteren Unterton beizubehalten, doch vergebens: »Was hast du?« »Diesmal hast du mich nicht ausreden lassen. Für gewöhnlich ist Rafiki nach den Zeremonien immer erleichtert und erzählt den Kleinen die verschiedensten Geschichten. Aber selbst Kopa hat diesmal bemerkt, dass ihn etwas bedrückt.« Simba wirkte nachdenklich. »Mir fällt dafür eigentlich nur eine Erklärung ein.« »Aha?« »Hast du dir schon Gedanken über Vitanis Taufspruch gemacht? Ich denke, ihr Schicksal wird weit bedeutender sein, als wir alle es uns vorstellen können.« »Dann sollten wir besonders gut auf sie aufpassen«, erwiderte Nala, blieb aber plötzlich stehen. »Simba?« »Ja?« »Ich habe dich noch nie so nachdenklich erlebt, machst du dir Sorgen um Rafiki?« »Was? Nein, niemals! Aber ich kenne ihn nun schon eine Weile. Zwar ist er ein Seher, aber auch er kann nur das sehen, was schon sicher ist. Ich denke, er weiß um die Bedeutung von Vitanis Schicksal, aber er kann noch nicht sagen, wohin es uns führen wird.« »Das klingt logisch, allerdings erklärt das immer noch nicht, warum du dir über all das Gedanken machst.« Nala klang nun zunehmend besorgt. »Nein, erinnerst du dich an unser Gespräch vor der Zeremonie?« »Ja, ich erinnere mich«, antwortete sie, den Kopf unter sein Kinn schmiegend. »Nun, die Bitte um Vitanis Taufe hat natürlich Erinnerungen an Scar wachgerufen«, erklärte Simba, ohne weiter auf ihre Geste einzugehen. »Rafiki meinte dann, dass Zira ihn vergessen soll, ich aber nicht. Er sagte, als König sei es meine Aufgabe, Hakuna Matata zu verbreiten, nicht es zu leben.« »Haku ... was?«, fragte Nala verwirrt, zog den Kopf zurück und sah ihm wieder in die Augen. »Hakuna Matata. Erinnerst du dich noch an den Dschungel? Da habe ich das auch gesagt. Nun, ich habe es von Timon und Pumbaa und die haben es von Rafiki selbst. Es bedeutet "keine Sorgen".« »Ihr habt also über Hakuna ... Matata gesprochen?« Nalas Verwirrung schien nicht im Geringsten nachgelassen zu haben. »Der Alte liebt es doch, in Rätseln zu sprechen.« »Ach, und du meinst, wenn du auch in Rätseln sprichst, versteht ihr euch besser?« »Vielleicht hilft es«, bemerkte Simba verlegen. »Ich denke, er meinte, dass ich mich um die Sorgen anderer kümmern soll ... oder was meinst du?« »Ich denke, das herauszufinden ist deine Aufgabe«, antwor¬tete Nala nachdenklich. »Aber ich kann mir ansonsten auch keinen Reim darauf machen.« Sie überlegte kurz, dann ging sie weiter: »Aber weißt du was? Ich mache mir keine Sorgen um Vitani. Mheetu und Kopa haben sie schon bei der Taufe so begeistert angesehen und auch Nuka sieht von Tag zu Tag gesünder aus.« »Du glaubst also an das, was Rafiki gesagt hat?« »Ja, alles wird gut.« »Dann hoffen wir, dass es lange so bleibt.« Erste Kontakte -------------- Zurück am Königsfelsen In den folgenden Wochen blühte das Geweihte Land regelrecht auf. Zwar waren vor allem im Südwesten noch immer ganze Landstriche unter Asche begraben, doch die mittlerweile regelmäßigen Regenfälle hatten das Wasserloch auf der anderen Seite des Königsfelsens wieder einigermaßen aufgefüllt. Um dieses Reservoire hatte sich nun der Großteil der Tiere niedergelassen. Zum einen erblühte hier dank des feuchten Untergrundes schon jede Menge Grün, zum anderen war es ohnehin der sicherste Ort im Geweihten Land, da hier das ganze Jahr tagsüber Jagdverbort herrschte. Allerdings waren nicht alle Bewohner in der Lage, diese Idylle zu genießen. Zira war eigentlich nur deshalb hierher zurückgekehrt, weil sie keinen anderen Ausweg mehr gesehen hatte. Alleine war sie schlichtweg nicht in der Lage gewesen, ihre beiden Kinder, deren Bedürfnisse so unterschiedlich gewesen waren, zu ernähren und zu beschützen. Bei einigen Löwinnen war ihr Ruf damit schon von Anfang an hinüber. Zwar versuchten gerade diejenigen, die bereits Kinder hatten, sie zu beschwichtigen, indem sie ihr versicherten, dass unter diesen Umständen wohl keine Löwin durchgekommen wäre, aber gerade die Jüngeren konnten es größtenteils gar nicht verstehen. Was konnte denn auch nur so schwer daran sein, sich als ranghöchste Jägerin in der Nahrungskette zwei Monde lang selbst zu ernähren? Denn das war die Zeit, nach der Löwinnen ihre Neugeborenen für gewöhnlich zum ersten Mal zum Rudel brachten. Für gewöhnlich waren sie solange vollkommen auf sich allein gestellt. Zira aber hatte nicht einmal zwei Mondphasen durchgehalten – und schon nach dieser kurzen Zeit konnte man ihr selbst von Weitem ansehen, wie knapp sie es überhaupt geschafft hatte. Doch die hervorstehenden Schulterblätter und das ungepflegte Fell waren nicht auf ihren Mangel an Nahrung zurückzuführen, sie selbst wäre nie verhungert. Aber wegen Vitanis Schutzlosigkeit hatte sie Maßnahmen ergreifen müssen, unter denen Nuka niemals hätte Leben können, das hatte sich ja schnell gezeigt. Mit der Rückkehr zum Königsfelsen waren diese Probleme jedoch keinesfalls gelöst, denn Vitani war noch immer viel zu jung für Gesellschaft. Zwar konnte sie mittlerweile laufen, aber noch keine längeren Strecken zurücklegen. Trotz allem zeigte das gesamte Rudel selbstverständlich enormes Interesse an ihr, immerhin bekam man Sprösslinge in diesem Alter nur selten zu Gesicht ... falls man eine Löwin war – als Löwe hatte man gar keine Gelegenheit dazu. Um ihren Schützling vor dem überschwallenden Andrang zu bewahren, verbrachte Zira die ersten zwei Mondphasen nach den Taufen alleine mit ihrer Tochter in einer kleinen Nebenhöhle. Nicht einmal zum Fressen verließ sie den Königsfelsen, sondern bediente sich an dem, was die anderen an Resten für den folgenden Morgen mitbrachten. Ihre anfängliche Hoffnung, dass sie sich durch das Blut der Tiere womöglich auch den Gang zum Wasserloch sparen konnte, erwies sich jedoch als unhaltbar. Dazu reichte das, was noch übrig war, nachdem die Kadaver von den Löwen nach Hause geschleift worden waren, einfach nicht aus. Somit war sie gezwungen, ihre Tochter zumindest alle zwei bis drei Tage eine Zeit lang aus den Augen zu lassen. Zwar hatte Zira das schon direkt nach ihrer Geburt getan, aber draußen, wo sie einsam auf einem Hügel gelegen hatte, war das auch etwas völlig anderes gewesen. Bisher wagte sie es nicht, jemandem hier zu vertrauen, allerdings hatte sie auch noch kaum eine Gelegenheit gehabt, irgendwen näher kennen zu lernen. Aber in dem Wissen, Vitani alleine zu lassen, hätte sie sich nie vom Königsfelsen entfernt. Solange Zira unterwegs zum Wasserloch war, passte deshalb Chumvi auf ihre Tochter auf. Damit war er der einzige, der die Kleine in diesen zwei Wochen zu Gesicht bekam und das auch nur, weil Zira wusste, was es für Folgen für ihn gehabt hätte, ein Versprechen, das er Rafiki gegeben hatte, zu brechen. Gerade kehrte sie von ihrem vierten Ausflug zurück. Chumvi lag im Eingang und erwartete sie – er wusste, dass es lediglich seine Aufgabe war, darauf zu achten, dass Vitani allein gelassen wurde und das galt auch für ihn selbst. Als sie bei ihm angekommen war, erhob er sich, woraufhin sie kurz innehielt und ihn aus den Augenwinkeln mit einem scharfen Blick bedachte. »Ich würde dir ja sagen, wie es ihr geht, aber ich habe keine Ahnung.« Sollte das ein Vorwurf sein oder wollte er, dass sie ihm Vertrauen schenkte, weil er seiner Aufgabe so zuverlässig nachgekommen war? Zira konnte es nicht sagen. Ihrem Verstand nach müsste letzteres zutreffen, denn Chumvi war ihr gegenüber schon von Anfang an ganz anders entgegen gekommen als alle anderen. Er hatte sich ohne zu zögern neben sie gestellt, als Rafiki gefragt hatte, ob sie Vitani alleine großziehen würde und sie konnte sich sogar jetzt noch an seine genauen Worte erinnern: »Wir sind eine Familie.« Auch ansonsten unterschied er sich merklich vom Rest des Rudels. Sein Fell war bei weitem dunkler als das der meisten hier, ausgenommen seiner Schwester, und seine Mähne war sogar noch etwas dunkler, nahezu schwarz. Doch etwas irritierte an seinem Erscheinungsbild ganz besonders: Seine Zehen, welche das Farbspektrum eigentlich hätten etwas aufhellen müssen, hatten genau dieselbe Farbe wie das restliche Fell. Als sie jedoch merkte, dass sie gerade zögerte, wandte sie den Blick wieder geradeaus und ging, ohne einen weiteren Gedanken an ihn zu verschwenden, in die Höhle. Anscheinend spürte Vitani ihre Anwesenheit, denn sie machte durch ein schwaches Maunzen auf sich aufmerksam, das Zira erst beim dritten Mal, als sie sie schon fast erreicht hatte, als das erkannte, was es eigentlich war: »Mama!« Das kleine wuschelige Ding lag friedlich in seiner Ecke und sah seine Mutter mit großen Augen an. Zira schloss kurz die Augen und atmete einmal durch, dann legte sie sich schützend zu ihr, dem Eingang den Rücken gekehrt. Es hatte funktioniert, sie war allein ihre Tochter! Alles, was das Licht berührt Ihr anderes Kind dagegen stellte das krasse Gegenteil dazu dar: Nach den beiden Taufen war Nuka im allgemeinen Aufruhr praktisch untergegangen, selbst seine Mutter hatte er schon ewig nicht mehr gesehen. Entweder war man fasziniert von der kleinen Vitani oder gespannt darauf, wie Kopa sich schlagen würde, da sein Unterricht ja bald beginnen sollte. Doch in diesem Sinne gab es auch einen winzigen Lichtblick: Simba hatte ihm gestern angeboten, bei ebendiesem Unterricht dabei zu sein. Da Nuka schon ein klein wenig von seinem eigenen Vater unterwiesen worden war, hatte er durchaus Hoffnung, dass er den Prinzen übertrumpfen könnte. Übereifrig war er deshalb heute bereits mit der Sonne aufgestanden, doch vom König und seinem Sohn fehlte jede Spur. »Sieh nur, Kopa, das ist unser Königreich: Alles, was das Licht berührt.« »Wow!« Der kleine Prinz überblickte sorgfältig die Landschaft, das Geweihte Land, das sich unter ihm bis zum Horizont vor der aufgehenden Sonne erstreckte. Simba hatte ihn früh geweckt und noch vor Tagesanbruch auf die Spitze des steinernen Monuments, das sie beide ihr Heim nannten, geführt. »Das muss schlimm gewesen sein ... damals«, bemerkte Kopa, dessen Blick mittlerweile bis nach Südwesten gewandert war. »Ja, von hier oben kann man die Zerstörung am besten erkennen«, Simba drehte seinen Sohn wieder zurück nach links, »aber genauso kann man auch sehen, wo das Land bereits wieder wächst.« Kopa jedoch starrte nur nachdenklich auf die dem Wasserloch umliegende Landschaft, die noch immer Anzeichen von Verwüstung aufwies. »Es ist noch viel zu tun.« »Kopa ... es tut mir Leid. Als mein Vater zum ersten Mal mit mir hier oben war, ist das Land ein wahres Paradies gewesen, aber ich bin mir sicher: wenn du einmal König bist, wird hier alles anders sein.« In diesem Moment war Kopa einfach nur froh, dass sein Vater König war, denn solange hatte er sich um nichts zu kümmern. Aber er wusste auch, dass diese Zeit irgendwann vorbei sein würde und bei dem Gedanken daran wurde ihm doch etwas mulmig. Simba bemerkte seine Nachdenklichkeit und schloss daraus, dass Kopa verstanden hatte. Es tat ihm im Herzen weh, dass er seinem Sohn nicht dasselbe Land zeigen konnte, das ihm einst sein Vater präsentiert hatte. Umso entschlossener war er, das Versprechen, das er ihm soeben gegeben hatte, einzuhalten. Hätte er jedoch gewusst, wie wenig dies in seiner Macht stehen würde, er hätte sich nicht einmal getraut, daran zu denken. Einander anschweigend gingen sie auf dem sich spiralförmig um den Königsfelsen windenden Pfad hinunter zur Höhle, wo Nuka bereits wartete. »Wo wart ihr denn?« »Es hat Tradition und vor allem Sinn, einem angehenden König sein Land zu zeigen«, antwortete ihm Simba. Genau genommen erinnerte sich Nuka noch schwach daran, wie er selbst vor einer Ewigkeit, wie es ihm schien, neben seinem Vater dort oben auf der Spitze des Königsfelsen gesessen hatte. »Naja, besonders schön ist der Anblick ja nicht ...« »Nein, aber das Land wächst wieder«, erwiderte Kopa und sah zu seinem Vater auf, der sichtlich zufrieden nickte. »Gehen wir«, sagte dieser dann schließlich, »es gibt für euch eine Menge zu sehen.« Inaktzeptabel Aber auch für die kleine Vitani war dieser Tag etwas ganz besonderes, denn sie verbrachte ihn nicht in der Höhle, sondern bei Sarabi und Sarafina. Zira hatte sie nicht ganz freiwillig abgegeben, doch nach dreiwöchiger Isolation wurde es für sie und ihre Kinder nun langsam Zeit, sich in das Rudel einzugliedern, wenn sie weiter hier leben wollten. Somit lag sie heute mit Chumvi bei seiner Schwester Kula und einigen anderen Löwinnen auf den unteren Ausläufern des Königsfelsens. In diesem Sinne war sie froh, dass sie für ihre Tochter noch eine derart günstige Obhut gefunden hatte, denn die beiden hatten ja mittlerweile selbst Kinder und einen Enkel, der für ausreichend Aufruhr sorgte – sie würden ihr ihre Vitani sicher nicht wegnehmen. Eigentlich hatte Zira kein großes Interesse an den Gesprächen der anderen Löwinnen, doch als ihr Name fiel, horchte sie auf: »– Sohn nicht als Thronfolger akzeptiert. Aber ich denke nicht, dass es an ihr lag, sondern an seinem Vater!« »In der Tat. Seht nur wie das Land erblüht, jetzt wo es vorbei ist. Ist das nicht schön anzusehen?« »Nun, das kommt darauf an, woran man im Geweihten Land seinen Gefallen gefunden hat.« Ziras Unterton war eigentlich unverkennbar gewesen, wurde aber trotzdem weithin ignoriert: »Sieh an, sie redet ja doch mit uns. Zira, wie geht es eigentlich deiner Tochter? Wie ich sehe, hast du es endlich geschafft, sie mal ein wenig für sich zu lassen.« »Sie braucht mich ja auch.« »Sie braucht Aufsicht, das musst nicht unbedingt du sein.« »Aber sie ist meine Tochter.« »Ach so, und was ist dann mit Nuka?« »Er kommt schon zurecht.« »So sah er aber nicht aus, als ihr hier ankamt.« Zira wollte diese Löwin einfach nur noch zum Schweigen bringen. Sie war aufgesprungen, aber nicht als einzige. Bevor sie auch nur zu einer Bewegung ansetzen konnte, war Chumvi bereits zwischen ihnen. »Ruhe! Ihr ging es damals auch nicht besser. Es waren schwierige Zeiten, die wir alle möglichst schnell wieder vergessen wollen.« Dabei strahlte er eine Selbstsicherheit aus, wie sie Zira seit Vitanis Taufe nicht mehr bei ihm gesehen hatte. »Zira, wir machen uns alle einfach nur Sorgen um dich. Wir wollen dir ja helfen, aber das können wir nicht, solange wir nicht wissen, was dir Probleme bereitet.« Auf einmal so direkt angesprochen senkte sie den Kopf. »Glaubt mir, ich würde es nur zu gerne vergessen, aber ich kann nicht.« »Manchmal hilft es, darüber zu reden.« Chumvi wechselte einen kurzen Blick mit seiner Schwester, die fast unmerklich nickte. »Komm mit, Zira. Ich möchte dir gerne etwas zeigen.« Noch immer etwas überrascht von der plötzlichen Wendung, die das Gespräch soeben erfahren hatte, fiel Zira nichts Besseres ein, als mitzuspielen bei was auch immer Chumvi gerade vor hatte. »Was der nur im Sinn hat?«, sprach eine der Löwinnen den Gedanken gerade laut aus. »Mein Bruder mag zwar manchmal etwas taktlos erscheinen, ich habe ihn aber noch nie etwas aus böser oder auch nur eigennütziger Absicht heraus tun sehen.« Kula erhob sich und trottete davon. »Wow, was ist denn ...?« Ohne weiter auf die anderen zu achten, wandte sich Zira um und folgte dem bereits vorangegangenen Löwen hoch zum Königsfelsen, wodurch das Geplauder der Löwinnen schnell hinter ihr verklang. Die erste Unterrichtsstunde Simba hatte die beiden Jungs in genau das Gebiet geführt, das Kopa am Morgen vom Königsfelsen aus beobachtet hatte. In der Ferne konnte man die Rückseite des Königsfelsens und die Lebenszeichen dort erkennen. Aber da, wo die drei waren, herrschte Totenstille. »Was machen wir hier?« Trotz seiner Bemühungen, die Frage nebensächlich klingen zu lassen, war Kopas Stimme nicht ganz so sicher, wie er sich es erhofft hatte. Simba bedachte ihn mit einem kurzen, undurchschaubaren Blick, dann sah er einen Moment zu Nuka, der gerade zu ihnen aufschloss, bevor er nachdenklich seine Umgebung in Augenschein nahm. »Ich bringe euch das Wichtigste zuerst bei, von diesen Grundlagen aus arbeiten wir uns dann weiter voran.« »Aha, und was ist das Wichtigste?«, fragte Nuka, dem es durchaus gelang, desinteressiert zu klingen »Sag‘ du es mir! Was ist das Wichtigste, das wir im Geweihten Land haben? Warum können wir hier so friedlich leben?« Er blickte von einem seiner Schüler zum andern und wieder zurück, sah aber nur Ratlosigkeit. »Wir sind nicht umsonst hierhergekommen. Was seht ihr hier – oder besser gesagt – was seht ihr nicht?« »Leben«, antworteten die beiden gleichzeitig. »Ja, aber das ist eher das Ergebnis. Also, hier lebt nichts, weil?« »– es nichts zu essen gibt«, versuchte sich Kopa. »Nein, wichtiger.« »– es hier kein Wasser gibt«, meldete sich Nuka. »Ganz genau. Drüben auf der anderen Seite des Königsfelsens versammelt sich alles rund um das Wasserloch – die Tiere folgen dem wachsenden Gras.« »Und was können wir hier tun?«, fragte Kopa neugierig. »Du könntest ja jedes Mal, wenn du dich erleichtern musst, hierher kommen«, spottete Nuka. »An sich keine schlechte Idee, aber das ist leider bei weitem zu wenig, als dass es irgendetwas bewirken würde«, entgegnete Simba. »Nein, also für das Land hier können wir rein gar nichts tun. Aber wir können versuchen, Leben in die Nähe zu bringen, dann wird es irgendwann auch hierhin übergreifen.« »Ich frage mich nur, welches Leben sich hierhin trauen würde.« Nach Nukas Stimmlage zu urteilen empfand er den Unterricht allmählich wirklich als Zeitverschwendung. »Diejenigen, die sich gerne von anderen fernhalten, im Allgemeinen lieber für sich sind«, antwortete ihm Kopa, bevor sein Vater etwas sagen konnte. »Das ist ein Anfang.« Simba war sichtlich stolz auf seinen Sohn. »Und was für Tiere wären das genau?« »Genau das ist deine Aufgabe als König. Du musst ein Gespür dafür entwickeln, was die Tiere brauchen, was wie wollen, und dich um die Probleme kümmern, die dadurch entstehen könnten. Zum Beispiel, indem du diejenigen, die sich sowieso von den anderen abschotten, hierher an den Großen Fluss schickst.« »Ja klar, aber was für Tiere –« »Das lernst du mit der Zeit, nicht an einem Tag.« Er schaute hinüber zu Nuka, der anscheinend großes Interesse an einer vertrockneten Wurzel gefunden hatte. »Was ist mit dir Nuka? Welche Tiere kennst du, die gerne abseits leben?« Offensichtlich war er nicht darauf vorbereitet gewesen, angesprochen zu werden, denn er stotterte einen Moment nur herum, doch dann kam ihm ein Einfall: »Ähm, zum Beispiel Savannenhasen?« Simba zog die Augenbrauen hoch und auch Kopa war die Überraschung deutlich ins Gesicht geschrieben. »Gut, sehr gut! Es sind zwar kleine Tiere, aber anschließend werden sich dann Größere hier ansiedeln, wodurch am Fluss wieder Leben entsteht. Gleichzeitig drängen sie die Savannenhasen ins Hinterland, wodurch dort dann bald dasselbe passiert. In diesem Sinne sind diese Hasen so etwas wie Pioniere.« Simba sah kurz zu seinem Sohn hinab, dann wieder zu Nuka. »Das war wirklich eine sehr kluge Antwort, ich denke, diese Idee können wir direkt so umsetzen. Mit so etwas könntest du Kopa später mit Sicherheit eine große Hilfe sein, wenn er einmal König ist.« Sichtlich zufrieden führte er die beiden Jungs weiter zum Fluss, um sich dort mit ihnen ein Bild von der Lage zu machen. Eine unerwartete Einladung Die sanften Wolken vom Vormittag hatten sich verzogen, aber die Sonne stand auch schon weiter hinter dem Zenit, was die Hitze wieder erträglich machte. Nach und nach erhoben sich die Tiere des Geweihten Landes von ihrer Mittagspause, stillten ihren Durst am Wasserloch, begaben sich auf Nahrungssuche, sahen nach ihren Jüngsten oder bereiteten ihr Heim für die kommende Nacht vor. Für die meisten war es ein Tag wie jeder andere. Auch am Königsfelsen regte sich das Leben wieder, zwei Löwen wanderten gerade einträchtig auf einem ausgetretenen Pfad von der Felsterasse zu den unteren Ausläufern des steinernen Monuments hinunter. Sie kamen geradewegs auf die Stelle zu, an der die restlichen Löwinnen des Rudels im Schatten einiger Schirmakazien faulenzten. Kula bemerkte die beiden als erste und warf ihrem Bruder einen fragenden Blick zu. Chumvi sah kurz aus dem Augenwinkel hinüber zu Zira, die neben ihm lief, doch sie schien die Geste nicht zu bemerken, also antwortete er im Gehen mit einem schwachen Nicken. Als die beiden schließlich bei der Gruppe angekommen waren, zogen sie auch die Aufmerksamkeit der anderen auf sich. Zu Ziras Unbehagen war auch die Löwin, mit der sie sich heute Vormittag in die Haare gekriegt hatte, noch anwesend und öffnete auch sogleich das Maul – wahrscheinlich, um wieder irgendeine unangenehme Bemerkung fallen zu lassen. Chumvi jedoch schien es bereits geahnt zu haben und antwortete ihr, bevor sie auch nur einen Laut hervorbrachte. »Es ist alles in Ordnung. Ich habe Zira den Felsvorsprung gezeigt, an dem wir uns als Kinder immer so gerne versteckt haben.« »Ich erinnere mich, auch damals hatten wir mal einen Besucher, der nicht zu uns gehören wollte«, bestätigte Kula. »Aber ich will zu euch gehören!« Das Erstaunen über Ziras Antwort, allein schon ihre Beteiligung, lag allgegenwärtig in der Luft. »Aha, woher der Sinneswandel?«, schaffte es schließlich eine der Löwinnen, das Schweigen zu brechen. »Lass sie, das ist großartig.« »Schon gut, ich möchte nur bei meinen Kindern sein«, antwortete Zira dennoch und sah in die Runde, »und bei meiner Familie.« »Schön zu hören«, ertönte eine Stimme hinter ihr. Kurz darauf trat Nala an ihre Seite. »Kula war vorhin bei uns«, sagte sie auf Ziras fragenden Seitenblick hin. »Wir wollten dich fragen, ob du dich heute Abend an der Jagd beteiligen willst.« »Mit Vergnügen.« Familie ------- Termiten Währenddessen wanderte Simba mit seinen beiden Schülern den Großen Fluss im Süden des Königsfelsens entlang. Kurz nachdem der Strom das Geweihte Land von Westen her erreichte, fiel er in eine tiefe Schlucht, der er fast bis zur gegenüberliegenden Grenze folgte. Somit lagen nur zwei schmale Streifen in den äußersten Ecken des Geweihten Landes auf einer Ebene mit dem Gewässer, ansonsten war es für alle Tiere, die nicht fliegen konnten, unerreichbar. »Das hier ist eine der wichtigsten Wasserquellen unseres Landes«, erklärte er gerade unnötigerweise. »Allerdings ist sie nur schwer zu erreichen, was das Wasserloch wesentlich beliebter macht.« »Oder es liegt daran, dass sich die Tiere dort wegen dem Jagdverbot sicherer fühlen«, wand Kopa ein. »Nein, es war umgekehrt: das Jagdverbot wurde eingeführt, weil das Wasserloch von so vielen genutzt wurde. Trotzdem ist der Fluss immer noch von großer Bedeutung für uns – könnt ihr euch vielleicht denken, warum?« »Weil er nicht so schnell austrocknet.« Nuka konnte sich nämlich noch genauestens am die langen Märsche erinnern, die er hatte unternehmen müssen, um während der Dürre in seiner früheren Kindheit an Wasser zu gelangen. »Richtig, Nuka. Hast du auch eine Idee, woran das liegen könnte?« Doch er legte nur nachdenklich den Kopf schief, Kopa dagegen hatte einen Einfall: »Weil er Wasser aus anderen Ländern hierher bringt. Solange es dort regnet, fließt etwas in unsere Richtung, egal wie das Wetter bei uns ist.« »Sehr gut! Ihr beide lernt wirklich schnell.« »Was ist denn das dort drüben?« Nuka deutete mit dem Kopf auf eine domförmige Steinformation, die er ein Stück hinter dem Fluss erspäht hatte. Simba sah in die vorgegebene Richtung und blieb abrupt stehen. »Ein Termitenbau, es liegt jenseits unserer Grenzen. Ich rate euch dringend, euch davon fernzuhalten.« Offensichtlich war er nicht erpicht darauf, das Thema weiter zu vertiefen, denn er schritt sogleich zügig weiter. Nuka blieb noch einen Moment sitzen und versuchte, genauere Details zu erkennen. Doch anstatt dessen glaubte er einen Moment lang, eine unheilvolle Stimme zu hören: »Seid bereeeiit!« Auf einmal saß Kopa neben ihm und blickte ebenso auf das seltsame Gebilde. »Sieht schon irgendwie komisch aus.« »Hm? ... Ja, etwas. Sag mal, hast du das eben auch gehört?« »Äh, nein. Was denn?« »Ach, nichts«, erwiderte Nuka nach einer kurzen Denkpause, löste mühevoll den Blick von der eigenartigen Szenerie und erhob sich, Kopa folgte ihm ohne zu zögern. Entgegen Simbas Planung hatten sie nun allerdings keine Zeit mehr, das Wasserloch zu besuchen, da auf dem Weg dorthin bereits allmählich der Abend hereinbrach. Als sein eigener Schatten länger wurde, als er selbst, hielt Simba inne. »Es ist spät. Ich schätze, wir gehen besser nach Hause.« Im selben Moment ertönte vom Königsfelsen her das Gebrüll einiger Löwinnen – das Signal, das den Jagdabend einleitete. Geschwister der Jagd Doch dort angekommen wartete bereits die nächste Überraschung auf sie. »Mutter, was machst du hier?«, fragte Nuka verwundert. »Wir versammeln uns zur Jagd.« »Aber du warst doch noch nie mit auf der Jagd.« »Genau, noch ein Grund, heute mitzugehen.« Nun trat auch Sarabi aus der Höhle, womit die Versammlung vollzählig war. Sie sah sich sogleich nach ihrem Sohn um und bemerkte dabei auch seine beiden kleineren Begleiter. »Was macht ihr denn noch hier draußen? Auf, ab in die Höhle«, befahl sie, nicht streng aber bestimmt. »Wir sind eben erst hier angekommen«, verteidigte sie Simba. »Ich wollte sie gerade losschicken.« Er sah gutmütig zu den beiden hinab; Kopa verstand sofort und lief zum Höhleneingang. Als er jedoch merkte, dass er dort alleine stand, drehte er sich noch einmal um. »Nuka?« »W-Was?« Anscheinend war er aus irgendwelchen Gedanken gerissen worden. Er erkannte Sarabi und unter aller Augen ging ihm allmählich ein Licht auf. »Ach so, ich komme. Tut mir Leid.« Sarabi sah den beiden nach, wie sie in der Höhle verschwanden, dann wandte sie sich der Versammlung zu. »Wie ich höre, haben wir heute Abend Begleitung?« Zira trat erhobenen Hauptes vor. »Ich bitte ergebenst, ein Mitglied der Jagdgruppe zu werden.« »Das wird sich draußen in der Savanne zeigen, du sollst deine Chance bekommen.« Die Leitlöwin sah nun erwartungsvoll zu ihrem Sohn, der daraufhin die Stimme erhob. »Sikuyo indlela yelizwi lobomi. Jägerinnen, wisset, dass, solange ihr diesem Weg folgt, der Geist Aiheus mit euch sein wird. Er wird bei euch sein und eure Klauen und Zähne leiten, auf dass ihr gesund und erfolgreich wiederkehrt.« »Aiheu abamami!« Die vielstimmige Antwort hallte von der Felswand wider, anschließend ergriff Sarabi wieder das Wort. »Schwestern, wir haben Begleitung heute Abend. Begrüßt Zira und wünscht ihr Glück, dass sie bald eine von uns sein wird. Heute am frühen Abend soll sich eine Herde Antilopen diesseits des Wasserlochs niedergelassen haben. Wenn wir sie etwas aufmischen, wird sich schnell die ein oder andere leichte Beute zeigen. Vertraut auf eure Instinkte und die Schwesterschaft und wir werden erfolgreich sein.« Anstatt der Preisung stimmten die Löwinnen nun einen sich stetig wiederholenden Chor an, während sie sich nach und nach in Bewegung setzten. We baba zingela siyo zingela baba. Zingela siyo, zingela baba. Hi ba la qhubekeni siyo zingela. Zwar war es Simba anfangs noch schwer gefallen, sie ziehen zu lassen, doch mittlerweile fand er selbst Beruhigung in diesem Gesang. Es gab ihm das Gefühl, dass die Jägerinnen wussten, was sie erwarten würde und dass sie sich darauf freuten. So machte er ohne ein schlechtes Gewissen kehrt und sah nicht mehr zurück. Sarabi war gut informiert: Auf ihrem Weg zum Wasserloch konnten die Löwinnen schon bald zwei Antilopenköpfe sehen. Die beiden Wachen der etwa zwanzig Tiere umfassenden Herde blickten abwechselnd in die Landschaft und hielten nach potenziellen Gefahren Ausschau. Gleich nachdem die Beute in Sichtweite gekommen war, blieb Sarabi stehen und mit ihr auch die anderen Jägerinnen, wobei die letzten Nachklänge des Jagdliedes verstummten. »Der Wind steht günstig, sie können uns nicht wittern. Wir werden uns einfach von hier aus anschleichen können. Nala, du übernimmst die linke Flanke, Kula die andere Seite. Sorgt dafür, dass die Antilopen nicht zu sehr auseinanderbrechen können. Wenn sie sich gegenseitig vor die Hufe laufen, haben wir ein leichtes Spiel.« Die beiden Löwinnen verschwanden geräuschlos in die vorgegebenen Richtungen im hohen Savannengras. »Und ab jetzt will ich keinen Laut mehr hören!« Ihren eigenen Vorgaben folgend, gab Sarabi die Kommandos von nun an durch kleine Bewegungen ihrer Ohren und ihrem Schwanz. Zira war zuvor nicht eingelernt worden, also orientiere sie sich mehr an deren anderen Löwinnen. So gelang es ihr schnell, Sarabis eingängige Anweisungen zu interpretieren. Das Anlegen der Ohren zum Beispiel bedeutete Ducken, weil eine der Wachen in ihre Richtung sah. Langsam aber sicher näherten sie sich der Herde und mit jedem Meter wurden die Jägerinnen erregter, wovon sich auch Zira schnell anstecken ließ. Bald schon agierte und bewegte sie sich ganz genau wie die anderen, sodass man nicht mehr hätte sagen können, wer das neueste Mitglied im Rudel war. Doch nun kamen sie ihrer Beute allmählich gefährlich nahe. Der entscheidende Moment würde bald kommen, das spürte sie. Sarabi blickte gerade nach links und rechts, um sicherzustellen, dass Nala und Kula ihre Plätze ein Stück vor ihnen und leicht seitlich der Fluchtroute der Herde eingenommen hatten. Dann versuchte sie, in ihrer näheren Umgebung Zira auszumachen, doch bevor sie sich groß umsehen konnte, hörte sie hinter sich Hufgeklapper und ein Rascheln, das in einem dumpfen Schlag ausartete, als etwas ins Savannengras fiel. Dem folgte ein kurzer, verzweifelter Aufschrei, dann war wieder Ruhe eingekehrt. Sarabi reagierte blitzschnell. Ohne darauf zu achten, was da gerade passiert war, gab sie das Zeichen zum Angriff, blieb selbst aber stehen. Sie wusste, dass ihre Geschwister der Aufgabe gewachsen waren und wandte sich in die Richtung, aus der sie gerade eben diesen merkwürdigen Radau vernommen hatte. Jederzeit zum Angriff bereit näherte sie sich der Stelle, an der das Savannengras in einer kurzen, geraden Bahn plattgedrückt worden war. Am Ende dieser Schneise lag reglos ein Zebra. Im fahlen Mondlicht konnte sie die Streifen auf seinem Rücken deutlich erkennen, doch irgendetwas stimmte nicht. Als sie näher herantrat, erkannte sie schließlich den Unterleib einer Löwin, auf dem Rücken liegend eingeklemmt unter dem Hals des Tieres und eine schreckliche Vorstellung stieg in ihr auf. »Zira, bist du das? Kannst du reden?« Anstatt einer direkten Antwort regte sich der Körper, als die verunglückte Löwin versuchte, sich zu befreien. Sarabi trat nun ganz an das Zebra heran, sodass sie über seinen Hals sehen konnte. Dort lag tatsächlich Zira, blutüberströmt, aber es war nicht ihr eigenes. »Geht es dir gut?« »Alles in Ordnung.« Sie versuchte erneut, sich zu befreien, scheiterte aber kläglich. »Ich schätze, es hat gar nicht gemerkt, dass es in ein angreifendes Löwenrudel gelaufen ist.« »Ach so.« Allmählich konnte sich Sarabi zusammenreimen, was gerade passiert war. Sie sah weiterhin hinab zu Zira und begann plötzlich zu lächeln. »Glückwunsch zu deiner ersten Beute.« »Danke.« »Darf ich dir da raushelfen?« Zira nickte kurz. Sarabi trat einen Schritt zurück, dann steckte sie ihren Kopf gleich neben ihr unter das Zebra und schob es mit den Schulterblättern voran. Sobald sie genug Platz hatte, kroch Zira unter ihrer Beute hervor, während Sarabi den Kadaver mit einem kräftigen Ruck ihrer Schultern nach vorne abwarf. Anschließend sah sie sich nach Zira um, die sich hinter ihr aufgesetzt hatte. »Du darfst deinen Erfolg verkünden, Schwesterherz.« Darauf schien sie nur gewartet zu haben. Zira legte den Kopf in den Nacken und stieß ein lautes, befreiendes Brüllen aus. »Gut, genug der Freude. Jetzt danke Aiheu für das Leben, das du genommen hast, damit er Weitere folgen lässt.« »Aiheu abamami!« »Aiheu abamami!« Die anderen Löwinnen waren anscheinend Ziras Ruf gefolgt und kamen nun aus verschiedenen Richtungen auf sie zu, wobei ihr jede von ihnen gratulierte und sie mit "Schwester" ansprach. Mahlzeit Auch am Königsfelsen hatte man Ziras Gebrüll vernommen, Sima war gerade dabei, Mheetu und Nuka abzuholen. Während die Jägerinnen unterwegs waren, wachten die Löwen am Königsfelsen über Heim und Kinder und brachten die Kleinen dann zum Essen mit. Dabei wechselte er sich mit Chumvi ab, weil einer von ihnen zurückbleiben und auf Kopa und seit heute auch Vitani aufpassen musste, da sie noch kein Fleisch fraßen. Doch der kleine Prinz schien andere Pläne zu haben. »Papa, darf ich mit?« »Hast du denn schon Appetit auf Fleisch?« Simba zog eine Augenbraue hoch, denn dafür war es eigentlich noch viel zu früh. »Nein.« »Und warum willst du dann mit?« »Ich kann mir gar nicht vorstellen, je Fleisch zu fressen. Ich meine, das sind doch dieselben Tiere, um die ich mich als König später kümmern soll.« »Keine Sorge, dazu kommen wir noch im Unterricht.« Simba lächelte über das, über das sich sein Sohn da Gedanken machte. »Oder glaubst du, es hilft dir, wenn du uns beim Fressen zusiehst?« »Vielleicht ...« Kopa setzte ein breites Grinsen auf und sah zu seinem Vater auf. »Bitte!« »Also gut. Wenn du mir nicht glaubst, sollst du es selbst herausfinden.« Er sah hinüber zu Chumvi, der ihm mit einer kurzen Kopfbewegung bedeutete ihm zu folgen. Simba wies die Jungs an, einen Moment zu warten und folgte ihm. Chumvi wartete außer Hörweite der Löwenkinder und kam gleich zur Sache, als Simba ihn eingeholt hatte. »Kannst du heute auf Vitani aufpassen?« »Du meinst, wir sollen tauschen?« »Ja, genau. Du weißt schon, es ist ihre erste Jagd ...« Simba sah ihn einen Moment an, dann schloss er kurz die Augen und nickte verständnisvoll. »Natürlich. Ich werde gut auf sie achtgeben.« »Ich danke euch.« »Ach, hör auf! Sowas will ich nicht von dir hören. Behandle mich wie einen alten Freund.« »In Ordnung, ich bring' dir was zu essen mit.« Chumvi kehrte ihm den Rücken und machte sich auf den Weg zu den Jungs. »Ach ja, die Löwinnen wollten sich eine Herde Antilopen in Richtung Wasserloch vornehmen. Nach dem Ruf von eben zu urteilen, habt ihr es nicht allzu weit«, rief Simba ihm noch hinterher. Seine Einschätzung war korrekt und so sahen die vier schon wenig später vertraute Gesichter. Sarabi erwartete sie auf halbem Weg zum Wasserloch. »Die Jagd war ein voller Erfolg«, begrüßte sie sie und sah dabei ganz besonders Chumvi an. Er verstand die Botschaft auf Anhieb und seine Miene hellte sich deutlich auf. »Heute ist ein ganz besonderer Abend«, sagte Sarabi nun an die Löwenkinder gewandt, »ihr habt sogar die Wahl zwischen Antilope und Zebra.« »Zebra?« Chumvi war sichtlich irritiert. »Ja, uns ist eins dazwischen gekommen, als wir uns angeschlichen haben; es hat wohl nicht damit gerechnet. Zira hat es erlegt, bevor es überhaupt gemerkt hat, dass es mitten in ein Löwenrudel hineingelaufen ist – ein Glück, dass wir sie heute Abend dabei hatten, es hätte jemanden verletzen können.« Diese Entscheidung fiel den Kleinen überhaupt nicht schwer. Zebras gehörten zu den größten Beutetieren und wurden daher nur selten gejagt, geschweige denn erlegt. Als sie jedoch am Kadaver ankamen, mussten sie feststellen, dass sie nicht die einzigen waren, die die Abwechslung auf der Speisekarte guthießen: fast das gesamte Rudel hatte sich um das tote Tier gedrängt. »Oha, da nehme ich doch lieber Antilope«, meinte Nuka und drehte ab. Kurz darauf bemerkte Sarafina, die einen besonders guten Platz am Rumpf des Zebras ergattert hatte, den hungrigen Blick ihres Sohnes und begann, an einem großen Fetzen Fleisch zu zerren. Mheetu wies Kopa an, ein wenig abseits zu warten und näherte sich dann bis auf ein paar Meter der Löwentraube. Unterdessen hatte seine Mutter ihr Ziel fast erreicht – nur ein kleiner Streifen verband das Fleisch noch mit dem Rest des Körpers. Mit einem kräftigen Ruck trennte sie es ab, doch sie hatte sich überschätzt, sodass ihr das andere Ende wie eine Peitsche ins Gesicht schlug. Mit lautem Gebrüll riss sie den Kopf herum, wodurch ihre Beute in hohem Bogen davonflog. Das aufschallende Gelächter der übrigen Löwinnen ignorierend, fing Mheetu das Fleisch geschickt im Sprung auf und lief damit zurück zu Kopa, der noch immer auf den Kadaver starrte. Er legte das Fleisch ab und sah ihn besorgt an. »Alles in Ordnung bei dir?« Kopa blickte nachdenklich zurück. »Als König ist es meine Aufgabe, alle Tiere des Landes zu verstehen ... und dann fressen wir sie. « »So ist das Leben«, entgegnete Mheetu schlicht und machte sich an sein Abendessen. Doch er wurde unterbrochen, bevor er überhaupt zum ersten Bissen gekommen war: Nuka stürmte aus der Dunkelheit auf sie zu. »Was ist, war die Antilope doch noch nicht ganz tot?« Nuka schien Mheetus Bemerkung allerdings gar nicht wahrzunehmen. »Ist euch eigentlich schon aufgefallen, dass nicht das ganze Rudel da ist?« »Jetzt wo du es sagst, Chumvi ist irgendwie verschwunden. Ich habe ihn das letzte Mal vorne bei Sarabi gesehen, als wir angekommen sind.« »Ja und während ihr euch anscheinend prächtig amüsiert habt, anstatt zu essen, habe ich ihn mit Mutter weggehen sehen. Wenn ich nur wüsste, was er vorhat.« »Nichts, worauf hier nicht schon viele gewartet hätten«, erklang eine Stimme hinter ihm. »Ich schätze, die beiden wollen jetzt einfach ein wenig für sich sein.« Sarafina hatte sich anscheinend satt gefressen und den Jungs schon länger zugehört. »Wenn wir Glück haben, können wir sogar endlich wieder mit Nachwuchs rechnen, der mal nicht aus der Königsfamilie kommt.« »Oh nein, nicht noch mehr Spielkinder«, beklagte sich Nuka sofort. »Du bist auch nicht viel erwachsener«, entgegnete Mheetu. »Schon gut ihr beiden«, sagte Sarafina sanft aber bestimmt. »Nuka, du wirst deine Meinung sicher ändern, wenn du das Kleine siehst. Neugeborene bringen das Rudel immer enger zusammen und machen alle glücklich, denk‘ nur an deine Schwester. »Ja.« ... ›Genau das tue ich doch.‹ »Was ist mit dir, Kopa?«, fragte sie auf einmal. »Ein Geschwisterchen zu haben, wäre toll«, antwortete er. »Aber wenn ich König werde, was wird dann aus ihm?« »Es verbringt sein Leben wie jeder andere im Rudel, es sei denn du verlässt uns, ohne einen Erben zu hinterlassen, dann nimmt der Nächstgeborene deinen Platz ein.« »Das heißt, du kannst ihm alles beibringen, was du weißt«, ergänzte Mheetu und Kopa musste lächeln, denn an sich klang das gar nicht so schlecht. Nachwuchs Sarafina sollte Recht behalten, die beiden kehrten erst Tage später wieder zurück und eine Woche danach stürmte Chumvi morgens übermütig in die Haupthöhle. »Ich werde Vater!« »Wir wissen, dass du den Vater für Vitani spielst, das ist also kein Gru –« »Nein, ich werde ein richtiger Vater! Wir bekommen Nachwuchs!« »Das ist ja großartig!« »Gratuliere!« »Wisst ihr schon, wie das Kleine heißen soll?«, fragte Nala. »Nein, noch nicht. Aber dafür haben wir ja auch noch jede Menge Zeit.« »Ja, sicher.« Sie gratulierte ihm ebenfalls, dann stand sie auf und lief aus der Höhle. Mit etwas Glück würde sie Simba noch erwischen, bevor er mit den Jungs zur nächsten Unterrichtsstunde aufbrach. Sie kam gerade noch rechtzeitig und erkannte ihn am Rande der Felsterasse. »Simba, warte!« Er hatte sie gehört und setzte sich gemütlich hin, während sie zu ihm hinübergelaufen kam. »Geht doch schon mal vor«, sagte sie zu Kopa und Nuka, die ebenfalls gewartet hatten. »Wir werden heute zuerst einen Ausflug zum Wasserloch machen«, fügte Simba hinzu. »Ihr könnt da auf mich warten.« Dann wandte er sich seiner Gefährtin zu. »Ist etwas passiert?« »Ja«, erwiderte sie mit einem breiten Grinsen. »Chumvi und Zira bekommen Nachwuchs!« Simba zog die Augenbrauen hoch, doch seine Verwunderung ließ schnell nach und er legte den Kopf schief. »Deshalb hast du die Jungs aber doch nicht weggeschickt.« »Nein.« Sie drehte den Kopf in denselben Winkel wie ihr Gegenüber, sodass sie ihm wieder direkt in die Augen sehen konnte und ihr Grinsen wurde noch etwas breiter. »Simba, was meinst du? Wird unsere Familie ein paar Tage ohne uns auskommen?« »Am ehesten jetzt, warum?« »Jetzt du doch nicht so, als würdest du nie daran denken!« »Ach so, du meinst«, stammelte er. »Ja, ein paar Tage zu zweit im Dschungel würden sicher angenehme Erinnerungen wachrufen. Wann sollen wir es Kopa sagen?« »Darum wollte ich dich gerade bitten. Ich möchte vorher noch wissen, was er davon hält und ich denke, dass er zu dir ehrlicher ist.« »Stimmt, ich werde mit ihm reden.« »Tu es bald, bevor ich mir es anders überlege.« Simba nahm dies durchaus ernst. Zunächst erklärte er Kopa und Nuka, wann und wie viel Wasser verschiedene Tiere im Geweihten Land brauchten und wie sich das auf die Situation am Wasserloch und am Großen Fluss auswirkte. Anschließend ließ er sie am Wasserloch noch etwas trinken, hielt seinen Sohn aber zurück und sprach ihn darauf an. Zu seiner Erleichterung war er begeistert von der Vorstellung, ein großer Bruder zu werden. Am frühen Morgen des zweiten Tages danach standen Simba und Nala schließlich am Fuß des Königsfelsens und verabschiedeten sich vom Rest des Rudels. »Ich möchte auch Timon und Pumbaa besuchen gehen«, beklagte sich Kopa gerade noch. »Wir richten ihnen aus, dass du sie vermisst«, antwortete ihm Nala. »Ja, ich vermisse sie, nicht einmal zu meiner Taufe waren sie da. Warum mussten sie eigentlich wieder gehen?« »Sie mussten nicht gehen, sie wollten es.« Simba wirkte nachdenklich. »Auch die beiden haben ihre eigene Familie und ihr eigenes Zuhause, aber vielleicht kommen sie uns ja bald wieder besuchen.« »Au ja, kannst du sie fragen?« »Das werden wir sowieso«, sagte Nala. »Aber jetzt sollten wir los, damit wir die Wüste noch vor der Mittagssonne erreichen.« »Auf Wiedersehen!« »Gute Reise!« »Viel Glück euch beiden!« Nach zahlreichen weiteren Verabschiedungen wandte sich das Königspaar schließlich um und verschwand schnell hinter den unteren Ausläufern des Königsfelsens. In diesem Moment war aber auch Kopa schon unterwegs. Wenig später erreichte er die Spitze des steinernen Monuments und blickte nach Westen, wo er in der Ferne zwei Löwen ihren Schatten hinterherjagen sah. Er schloss kurz die Augen und stellte sich vor, einen kleinen Bruder zu haben, mit dem er spielen, herumtollen und dem er alles beibringen konnte, was er wusste. Erste Schritte eines Prinzen ---------------------------- Das Leben im Rudel – einmal anders Tojo gehörte ebenfalls zu der kleinen Gruppe, die das Rudel während Scars Herrschaft verlassen hatte, nach Norden gezogen und nach dem großen Feuer wieder zurückgekehrt war. Schon damals war er für die drei anderen immer ihr "kleiner Begleiter" gewesen und auch im Geweihten Land wurde er andauernd daran erinnert, dass er der Jüngste von ihnen war, denn er bekam immer die unangenehmsten Aufgaben ab. Zwar war er noch älter als Simba, aber ansonsten der jüngste erwachsene Löwe im Rudel. Seine Mähne war rostbraun und sein Fell hatte neben dem üblichen Braunton einen starken Orangestich. Auch Aiheu schien ihm seine Situation vor Augen zu halten, denn er war etwas schmächtiger als Simba und Chumvi, was ihn aber keinesfalls weniger gefährlich machte. Sich seinem Schicksal fügend, zeigte Tojo einzelgängerische Züge. Auch wenn er ein akzeptiertes Mitglied des Rudels war, verbrachte er trotzdem die meiste Zeit des Tages mit langen, einsamen Spaziergängen kreuz und quer durch das Geweihte Land. Am Königsfelsen bekam man ihn deshalb nur selten zu Gesicht. Die Angewohnheit ging einher mit der Tatsache, dass er Streifen unternahm, während die Jägerinnen abends unterwegs waren. Dabei war es eigentlich eine mehr oder wenige spontane Eingebung gewesen, da er sonst nirgends gebraucht wurde. Die Spitze des steinernen Monuments war der Königsfamilie vorbehalten, weswegen Simba den dortigen Wachposten übernahm. Chumvi, als der Älteste, blieb zu Hause bei den Löwenkindern und Tojo ... er war auf Streife geschickt worden in der Hoffnung, dass es sich vielleicht bezahlt machen würde. Trotz allem nahm er seine Aufgaben immer ernst und kam ihnen gewissenhaft nach, was ihn, in Kombination mit seiner allgegenwärtigen Abwesenheit, bis zu einem gewissen Grad zu einer lebenden Legende machte. Gerade die Jüngsten kannten ihn eigentlich nur vom Namen her, aber sie wussten, dass er da war. Sollten sie ihn einmal zufällig im Geweihten Land treffen, so gingen sie ihm meistens aus dem Weg. Tojo genoss diese Momente redlich, da er wusste, dass sie es aus Ehrfurcht taten. Doch es gab auch Begegnungen, die er begrüßte. Tama war die älteste Löwin der besagten Gruppe und vervollständigte sie neben Chumvi und Kula. Auch im Geweihten Land war sie die Älteste, auch wenn die Unterschiede in ihrer Generation nur wenige Wochen betrugen, aber das änderte nun mal nichts an den Tatsachen. Sie hatten den eleganten, geschmeidigen Körperbau einer Jägerin, wobei auch ihr unauffälliges gelbbraunes Fell im trockenen Savannengras eine perfekte Tarnung bot. Im krassen Gegensatz dazu stand der fellfarbene Haarschopf, der ihren Kopf zierte, ganz ähnlich dem ersten Mähnenansatz von Junglöwen. Er störte keineswegs, außer dass er ihr ab und an mal in die Augen fiel, sondern war einfach nur auffällig. Sarabi hatte ständig ein Auge auf die junge Löwin, da sie schon bald ihren Platz als Leitlöwin der Jagdgruppe einnehmen würde. Tama wusste das und war deshalb sehr darauf bedacht, ihre Jagdinstinkte immer wach zu halten. Sie war oft mit Tojo unterwegs und übte sich an ihm im Anschleichen, wobei er gleichzeitig für seine Streifen lernte, aufmerksam zu sein. Nicht wenige ihrer Spaziergänge begannen sogar mit solchen Anpirschversuchen. Bruder Werden So vergingen die folgenden Wochen wie im Fluge. Simba und Nala kehrten bald wieder zurück, zu Kopas großer Enttäuschung allerdings ohne Begleitung aus dem Dschungel. Aber schon wenige Tage später sollte etwas viel Wichtigeres seine Aufmerksamkeit ganz für sich beanspruchen und verdrängte die Gedanken an Timon und Pumbaa vollkommen. An einem Morgen nach einem ungewöhnlich schweren Gewitter für die Kleine Regenzeit bat Simba ihn, mit ihm nach draußen zu gehen. »Spürst du die frische Luft?«, fragte er seinen Sohn, während die beiden nebeneinander auf der Felsterasse saßen. »Ja.« »Atme tief ein, langsam.« Kopa schloss die Augen und tat wie gehießen. »Jetzt genauso wieder aus.« Der kleine Prinz ließ die angehaltene Luft ohne Druck aus seinen Lungen ausströmen. »Sehr gut. Jetzt noch einmal, etwas tiefer.« Und danach sollte er noch einmal atmen, diesmal so tief er konnte. Kopa tat auch das ohne Widerrede und öffnete anschließend langsam die Augen. »Wie fühlst du dich?« »Hm ... irgendwie fühle ich gar nichts.« »Dieses Garnichts nennt man Freiheit.« »Ach so.« Und dann konnte er es spüren, Kopa sah von der Felsterasse herab auf das Geweihte Land und versuchte, die innere Ruhe, die er gerade mit Hilfe seines Vater gefunden hatte, zu erhalten. Simba schien dies jedoch nicht zu bemerken und sprach seinen Sohn gleich wieder an: »Du wirst Bruder, Kopa!« Die Nachricht schien nur ganz langsam in seinen Kopf vorzudringen. Er brauchte einige Augenblicke, um sie zu verarbeiten, dann sah er seinen Vater an und antwortete mit derselben Ruhe wie gerade eben in der Stimme: »Wow, klasse!« »Sieh mal an, diese Atemtechnik wirkt ja wirklich wahre Wunder.« Simba staunte nicht schlecht. »Moment mal ...« Kopa schien gerade ein Licht aufzugehen. »Tut mir Leid, dass ich das einfach an dir getestet habe, ohne vorher zu fragen, aber die Gelegenheit war einfach zu günstig.« Er legte sich hin und bettete den Kopf zwischen die Vorderpfoten, sodass er mit seinem Sohn auf Augenhöhe war. »Du bist mir nicht böse, oder?« »Dass du mir das gerade gezeigt hast?« Der kleine Prinz verzichtete auf eine Antwort und schmiegte sich anstatt dessen in die weiche Mähne seines Vaters, während er sich seitlich an seinen Hals kuschelte und die beiden blieben einträchtig liegen. Kopa konnte im Moment niemandem böse sein, dazu war er einfach zu glücklich. Trotzdem stand die Aussicht, Bruder zu werden, für ihn noch in weiter Ferne. »Spürst du schon etwas?«, fragte er seine Mutter andauernd, nur um immer wieder dieselbe Antwort zu hören: »Dafür ist es doch noch viel zu früh.« Als er Nala nach einigen Tagen schon fast im Minutentakt löcherte, sah Simba sich gezwungen, erneut mit ihm zu reden. »Kopa, deine Geschwister werden nicht früher auf die Welt kommen, wenn du deiner Mutter ständig auf die Nerven gehst. Das Entstehen von neuem Leben ist etwas Wunderbares und Geheimnisvolles, du kannst es nicht beschleunigen, nur staunen.« »Das verstehe ich nicht.« »Das verstehen nur sehr wenige wirklich. Ich würde mich zurückhalten, mich selbst dazu zu zählen.« »Wie lange wird es noch dauern?« Simba überlegte kurz, den Kopf leicht zur Seite geneigt. Seine Augen wanderten einen Moment ziellos umher, dann fixierten sie wieder seinen Sohn. »Ich schätze, du wirst deine Geschwister am Ende der Großen Regenzeit zu sehen bekommen.« »Was??« Kopa war nur einen Mond vor Beginn der Kleinen Regenzeit geboren worden und kannte daher noch gar nichts anderes. Bis zu ihrem Ende und dann noch die Große Regenzeit war eine unvorstellbar lange Wartezeit, sie kam in etwa seinem jetzigen Alter gleich. »Keine Sorge, es wird schneller vorbeigehen, als du denkst«, tröstete Simba seinen Sohn. Mehr als du siehst Er bemühte sich, dem nachzuhelfen, indem er versuchte, Kopa anderweitig zu beschäftigen, also stand Kampftraining auf dem Programm. Der kleine Prinz war zwar etwas skeptisch, da er sich fragte, mit wem er denn trainieren solle. Schließlich gab es im Rudel niemandem in seinem Alter. Doch Simba hatte ihm versichert, dass das für den Anfang kein Problem sei. Der große Tag begann wie jeder andere: Kopa war als einer der ersten wach und spazierte nach draußen auf die Felsterasse, um einen Blick auf sein künftiges Königreich zu werfen. Anschließend weckte er seine Eltern und dabei auch das halbe Rudel, indem er ihnen von allem berichtete, was ihm aufgefallen war. Ob es nun eine Herde Nashörner war, die von Norden ins Land gezogen waren, oder das Wasserloch, das seiner Meinung nach schon wieder über die Ufer getreten war, sie mussten es unbedingt erfahren. »Kopa, das Wasserloch ist noch lange nicht voll«, gähnte Simba und spähte zum Höhlenausgang, um abzuschätzen, wie viel Schlaf ihm sein Sohn diesmal geraubt hatte. »Es ist mehr als voll! Das Wasser hat alles Gras, was außenherum wächst, überschwemmt.« »Das ist zurzeit normal.« Simba erkannte, dass es keinen Zweck hatte – Kopa würde ihn nicht wieder einschlafen lassen. Er richtete sich langsam auf, streckte sich ausgiebig und sah dann wieder seinen Sohn an. »Das Gras wächst einfach überall, auch in dem Bereich, wo normalerweise das Wasserloch ist. Woher sollte es auch wissen, wie groß es früher einmal war?« »Ach so, na gut. Wann geht es denn heute los?« »Später, zunächst einmal haben wir noch ganz normal Unterricht. Du kannst eh nicht den ganzen Tag trainieren und danach bist du sowieso erschöpft, da macht es so herum mehr Sinn.« »Okay, soll ich Nuka holen?« »Nein, er ist heute nicht dabei, wir haben ohnehin nur wenig Zeit.« Kopa verstand den Zusammenhang dieser beiden Aussagen nicht sofort, widersprach seinem Vater aber auch nicht. Als die beiden wenig später aufbrachen, klärte es sich dann ganz von selbst, denn Simba bog auf der Felsterasse gleich nach rechts ab und ging direkt auf den Weg zu, der nach oben auf die Spitze des Königsfelsens führte. Dort angekommen wartete er brav darauf, dass sein Vater begann zu erzählen. »So, du erinnerst dich noch an das erste Mal, als wir hier waren?« »Ja.« »Das heißt, du kennst dein eigenes Königreich. Aber ein weiser, alter Mandrill hat einmal gesagt: ›Es gibt mehr als du sieht‹.« »Du meinst Rafiki?« Simba lächelte zwar ein wenig, ging ansonsten aber nicht weiter darauf ein, sondern sah seinen Sohn erwartungsvoll an. Der dachte angestrengt nach und kam schließlich zu einem Ergebnis. »Bedeutet das, dass das Geweihte Land noch größer ist?« »Nein, aber es gibt noch andere Länder, jenseits unserer Grenzen.« »Zum Beispiel den Dschungel.« Kopa drehte sich um und schaute nach Westen, wo in der Ferne nur einzelne Sanddünen zu sehen waren. »Richtig.« Simba setzte sich links neben ihn. »Mach weiter!« Nach einem kurzen Blick aufwärts sah Kopa wieder an ihm vorbei in die Ferne, nach Südwesten. »Angeblich kam Zira aus dieser Richtung in das Geweihte Land, also ist es wahrscheinlich, dass dort ein anderes Königreich ist.« Kopa versuchte, sich weiterzudrehen, doch sein Vater versperrte ihm die Sicht, anscheinend absichtlich. Der kleine Prinz sah wieder zu ihm auf, aber Simba wich nicht zurück. »Die andere Richtung ist interessanter.« Also drehte sich Kopa nach rechts, während sein Vater erklärte: »Der Dschungel erstreckt sich auch ein wenig nördlich von uns, er geht dann ganz allmählich in eine offene Savanne über.« »Ich kann Rafikis Baum sehen«, berichtete Kopa. »Ja, der alte Affe kommt auch aus dieser Gegend.« »Rafiki ist nicht von hier?« »Nein. Und du brauchst nicht zu fragen, mehr weiß ich über seine Vergangenheit auch nicht.« Sichtlich enttäuscht drehte sich der kleine Prinz weiter und sah auf die Hügelkette im Osten. »Diese Hügel erstrecken sich über einen guten Tagesmarsch, dahinter liegt wieder offene Savanne, mehr weiß ich allerdings auch nicht. Zira hat dort einige Zeit mit Nuka verbracht.« Nun richtete Kopa den Blick auf die Landschaft direkt vor der Hügelkette jenseits des Flusses. »Was ist da?« Simba sah einen langen Moment nachdenklich in die Richtung, in die sein Sohn gedeutet hatte. Er erinnerte sich nur zu genau daran, was sein eigener Vater ihm über dieses Land erzählt hatte – nämlich nur, dass er dort nicht hingehen dürfte. Es hatte nichts bewirkt, sondern ihn nur neugieriger gemacht, außerdem war er der Ansicht, dass Kopa auf ihn hören würde. »Die Heimat der Hyänen, Löwen sind dort nicht willkommen.« Er sah hinab zu seinem Sohn und wartete, bis dieser durch die Pause zu ihm zurückblickte. »Es ist kein Ort, an dem du gerne sein möchtest, glaub mir.« »Wie der Termitenbau?« »Ganz genau, hast du diese kleinen Viecher einmal im Fell, wirst du sie nie wieder los und sie beißen dich andauernd. Die Hyänen sind da gar nicht so anders.« Simba sah, wie Kopa ein wenig schauderte, und da war er sich sicher, dass sein Sohn keine Ausflüge in diese Richtung unternehmen würde. Den Rest des Vormittags verbrachten sie damit, einzelne Bereiche des Geweihten Landes zu betrachten und zu überlegen, für welche Tiere diese wohl interessant sein könnten. Als ihnen die Sonne dann immer heißer aufs Fell brannte, machten sie sich schließlich auf den Weg hinunter zur Felsterasse. Vom Kämpfen und Gewinnen Von dort aus führte Simba seinen Sohn weiter den felsigen Abhang hinab, bis sie schließlich an der Baumgruppe ankamen, unter der das Rudel Schutz vor der prallen Mittagshitze suchte. »Es kann losgehen«, rief Simba in die Runde, doch die Löwinnen hoben nur kurz den Kopf, um ihn anzusehen. Weiter hinten allerdings bewegte sich etwas und kurz darauf erkannte Kopa seinen Onkel Mheetu, der sich seinen Weg über die Felsen hinweg und zwischen Löwinnen und Baumstämmen hindurch zu ihnen bahnte. Selbst als er vor ihnen stand, brachte Kopa kein Wort heraus und sah nur zu ihm auf, das Maul halb geöffnet. »Einem anderen Löwen die Zähne zu zeigen, ist unhöflich, besonders vor einem Übungskampf«, bemerkte Mheetu, woraufhin die Kinnlade seines Neffen aber nur noch weiter herunterklappte. Nach einem scheinbar ewig währenden peinlichen Moment fand Kopa schließlich seine Stimme wieder. »Wir werden heute kämpfen?« »Nicht richtig, immerhin sollst du ja später noch König werden können.« »Suchen wir uns ein schattiges Plätzchen, dann können wir loslegen.« Simba verabschiedete sich mit einem Kopfnicken von den Löwinnen, dann ging er weiter, hinunter in die Ebene, dicht gefolgt von den beiden ungleichen Jungs. Nach einer kurzen Wanderung hatte er einen Ort gefunden, der seinen Vorstellungen entsprach. Ein großer Seidenbaum überschattete eine ebene Wiese mit flachem grünem Gras. Simba lief prüfend hin und her, während er leise vor sich hin murmelte: »Das Gras bietet guten Halt, optimal für schnelle Bewegungen ... Ich sehe auch keine Erdlöcher, in die man stolpern könnte ...« Mheetu wartete mit seinem Neffen geduldig dort, wo er die beiden stehen gelassen hatte, wobei Kopa immer wieder nervös zu ihm aufsah. Schließlich hatte Simba seine Besichtigung abgeschlossen, sichtlich stolz auf seinen Fund. Er schaute erwartungsvoll zu den beiden hinüber und Mheetu spazierte gemächlich auf ihn zu, Kopa folgte ihm zögerlich. »Was ist? Darauf hast du doch gewartet«, flüsterte Mheetu ihm aus dem Mundwinkel zu. »Ja, aber ich hatte es mir anders vorgestellt.« »Keine Sorge, es wird nur ein wenig weh tun.« Mheetu hob den Kopf, als die beiden vor Simba Stellung nahmen und irgendwie hatte Kopa das Gefühl, dass sein Onkel genau wusste, was gleich passieren würde. Was wohl der Blick bedeutete, den sein Vater ihm zuwarf? »So, wenn ihr bereit seid ...« Simba ließ eine Pause, die Zeit für Widerrede bot, doch es kam keine. »Dann lasst uns endlich anfangen. Ich möchte, dass ihr mir erst einmal zeigt, was ihr bisher könnt.« Kopa öffnete das Maul, aber Simba fuhr ihm schnell dazwischen: »Und wenn ihr bisher gar nichts gelernt habt, möchte ich sehen, wie ihr euch bewegt.« Die beiden nahmen nun Kampfhaltung ein und Simba stellte sich zwischen sie. »Bitte bedenkt, dass das ein Übungskampf ist. Es geht darum, zu lernen, nicht zu gewinnen. Das gilt ganz besonders für dich, Mheetu.« Er schaute die beiden Kontrahenten noch einmal einzeln an, dann trat er zurück, womit der Kampf eröffnet war. Sofort senkte Mheetu den Kopf auf Schulterhöhe und schlich langsam seitwärts, Kopa tat es ihm schnell gleich. Eigentlich wartete er nur auf das Unvermeidliche, nämlich dass sein Onkel zum Angriff ansetzte und er kurz darauf am Boden lag, doch es geschah nicht. Er sah ihm in die Augen und merkte auf einmal, dass Mheetu jeden seiner Schritte genau beobachtete. Da fiel ihm wieder ein, was sein Vater gerade eben gesagt hatte – es war ein Übungskampf. Also wechselte Kopa einfach mal die Richtung, in die er seitwärts schlich. Mheetu wirkte überrascht, er kam geduckt zum Stillstand und tat es ihm anschließend gleich. Gleich darauf ergriff er die Initiative und machte zwischen den Trippelschritten einen größeren Satz zur Seite. Auf einmal zur Reaktion gezwungen, hatte der kleine Prinz bereits sichtliche Probleme, mit seinem Onkel mitzuhalten, aber Mheetu nutzte die Gelegenheiten, die er zum Angriff sah, nicht, sondern schlich nur weiter um ihn herum. Kopa beschloss, beim nächsten von Mheetus Hopsern selbst wieder aktiv zu werden. Kaum eine halbe Drehung später war es soweit. Er bemerkte, wie sein Gegner sich erneut leicht duckte und die Muskeln anspannte und sprang nur einen winzigen Augenblick nach seinem Onkel ab, direkt auf die Stelle zu, an der wieder am Boden aufkommen würde. Doch Mheetu war schneller. Er federte die Landung elegant mit allen Vieren ab und noch während Kopa machtlos in der Luft hing, hatte er sich wieder abgestoßen. Seine Bewegung war minimal, nur ein kleines Stück in die Richtung, aus der er gekommen war. Aber es reichte aus, damit sein Neffe ins Leere stürzte und bevor der Kleine sich orientieren konnte, hatte er sein Maul um dessen Nacken geschlossen. »Sehr gut!«, rief Simba und Mheetu ließ wieder von ihm ab. »Du bist tot«, flüsterte sein Onkel ihm ins Ohr. Es war keinesfalls provokativ, viel eher ein trockener Scherz und als Kopa zu ihm aufblickte, sah er ihn auch ein wenig lächeln. »Ich bin so stolz auf euch beide.« Simba bekräftigte seine Aussage mit einem leichten Zucken des Kopfes, das wohl ein angedeutetes Nicken sein sollte. »Aber ich habe doch verloren.« Kopa war völlig verwirrt. »Hast du mir eben nicht zugehört? Bei einem Übungskampf gibt es keinen Verlierer. Es geht darum, Erfahrung zu sammeln, und wenn man das bedenkt, hast du eben am meisten gewonnen. Außerdem habe ich dich gerade auf etwas achten sehen, was vielen in deinem Alter völlig entgeht.« Mit allem hatte der kleine Prinz gerechnet, aber nicht mit Lob. Unsicher, was er tun sollte, trat er auf der Stelle herum und sah abwechselnd nach links und rechts. »Aber Mheetu hat Recht. Wäre das ein richtiger Kampf gewesen, dann wärst du jetzt tot. Also, was hast du falsch gemacht?« »Keine Ahnung. Ich dachte, ihr würdet mir das erklären.« »Du hast die erste Grundregel nicht beachtet«, schaltete sich Mheetu wieder in das Gespräch ein. »Wer den Körper eines anderen unter Kontrolle bringen will, muss zuerst seinen eigenen Körper unter Kontrolle haben, ansonsten verliert er schnell beides.« »Eigentlich sieht bei jedem der erste Kampf mehr oder weniger so ähnlich aus wie bei dir eben«, erklärte Simba. »Allerdings kommt es dabei nicht selten vor, dass die Frischlinge vor Übermut auf der Schnauze landen. Du hast dich also wirklich geschickt angestellt.« Allmählich fing Kopa an zu verstehen, warum die beiden so erfreut über das gerade Geschehene waren und hielt den Kopf wieder hoch erhoben. »Jetzt aber zurück zur Grundregel.« Simba drehte sich um und ging auf den Baumstamm zu, während er den Jungs mit einer kurzen Kopfbewegung bedeutete, ihm zu folgen. Er lehnte sich dagegen und ließ sich dann langsam zu Boden gleiten. Dann beobachtete er, wie die beiden sich vor ihm niederlegten. »Wie Mheetu schon richtig erkannt hat, du musst zuerst einmal lernen, deinen eigenen Körper unter Kontrolle zu haben. Deshalb werden wir in Zukunft auch alleine trainieren können.« »Aber warum dann der Übungskampf.« Für Kopa schien die Aufklärung mehr Fragen aufzuwerfen, als sie beantwortete. »Weil du es so am besten behältst«, antwortete Mheetu. »Ein solches Erlebnis brennt sich für immer in deinem Kopf ein, also nutzen wir das, um dir die wichtigste Regel beizubringen, die es gibt.« »Du hast dich übrigens echt gut bewegt«, fügte er noch hinzu, »ich hatte schon befürchtet, dein Vater hätte dir schon etwas beigebracht.« »Was mich am meisten gefreut hat, war, zu sehen, dass sich keiner von euch verletzt hat.« Simba sah die beiden abwechselnd an und dabei war ihm ganz klar anzusehen, wie stolz er war. »So haben wir heute alle nur Gewinn gemacht.« Anschließend zeigte er seinem Sohn an Mheetu einige einfache Angriffe und mögliche Konter. Kopa tat sich schwer daran, die Lachanfälle zu unterdrücken, die ihn währenddessen immer wieder heimsuchten, denn ihm war klar: Je mehr er sich jetzt über seinen Onkel lustig machte, desto schwerer würde er es später haben, wenn er die Techniken selbst ausprobieren sollte. Doch dazu kam es nicht. Simba war voll und ganz in seine Ausführungen vertieft, sodass er nicht merkte, wie der Tag dahin schlich und aus dem Mittag allmählich Abend wurde. Als er schließlich aufsah, hatte der Himmel am westlichen Horizont bereits einen leichten Gelbstich und es war auch schon merklich kühler geworden. Die drei machten sich zügig auf den Weg und auf halber Strecke zum Königsfelsen konnten sie hören, wie die Löwinnen einen weiteren Jagdabend ankündigten. Eine lange Nacht ---------------- Nächtliche Besucher Tojo hatte sich für seine Streife heute den Südwesten des Geweihten Landes ausgesucht und wie üblich war er bereits lange vor den anderen aufgebrochen. Genau genommen hatte er, seitdem er die Höhle heute Morgen verlassen hatte, niemanden vom Rudel gesehen, aber er störte sich keineswegs daran. Selbst er bezweifelte, dass irgendjemand in den südwestlichen Teil eindringen würde. Allein der Anblick musste auf Fremde schon so abschreckend wirken, dass sie dem Geweihten Land für lange Zeit den Rücken kehren würden. Trotzdem war das für ihn kein Grund, in seiner Aufmerksamkeit nachzulassen. Was sollten die anderen auch nur von ihm halten, wenn sie gerade einen durchs Land streifenden Löwen gebeten hatten, den Königsfelsen während der Jagdzeit zu meiden, und er dann plötzlich gemächlich aus ebenjener Richtung, aus der der Fremde gekommen war, anspazierte? Dem Rhythmus seiner eigenen Schritte lauschend wanderte er weiter nach Süden, wobei er zunehmend von einem seltsamen Gefühl geplagt wurde. Es war, als hätte sich eine Nebenstimme eingeschaltet, die Tojo zu Anfang noch für ein Echo gehalten hatte. Aber je lauter es wurde, desto klarer wurde ihm, dass es nicht der Widerhall seiner eigenen Schritte sein konnte, denn jene waren schwerer und hektischer. Außerdem kamen sie direkt auf ihn zu! Aufgeregt suchte er in seiner näheren Umgebung nach einer erhöhten Position. Ihm war bewusst, dass er selbst den ersten Eindruck des Besuchers darstellte und im Übrigen konnte er ihn so besser ausmachen. Dass er dabei auch selbst gesehen werden würde, kümmerte Tojo nicht besonders. Durch seine zahlreichen Streifen hatte sich herausgestellt, dass durchreisende Löwen keine Seltenheit waren und die meisten sah er am Tag darauf wieder. Schließlich konnte er in der Dunkelheit einen Felsen ausmachen, der ein wenig höher war als er selbst und versuchte schnell, ihn zu erklimmen. Allerdings schabte er dabei die verkohlte Oberfläche ab, was man womöglich noch am Königsfelsen gehört hatte. Als Tojo dann den Kopf in die Richtung drehte, in der er den Besucher vermutete, konnte er ihn weder hören noch sehen. Er ging kurz seine Alternativen durch und entschied sich für die einfachste Lösung – abwarten, denn der Fremde wusste nun, wo er zu finden war. Wenn es tatsächlich ein Löwe auf der Durchreise war, dann würde er der Ursache des Geräusches auf den Grund gehen und ihn dabei finden. Jedenfalls würde Tojo das an seiner Stelle tun. Seine Vermutung stellte sich schnell als wahr heraus, als die Nacht rechts von ihm eine Gestalt offenbarte. »Willkommen im Geweihten Land, Fremder!« »Geweihtes Land?« Die Betonung klang äußerst merkwürdig. »So nennst du das hier?« »So nennen es alle hier.« Tojo konnte in der Dunkelheit nicht viel erkennen, aber es war mit Sicherheit ein Löwe. »Wir sind eine große Familie, aber wir haben immer Platz für Besucher, egal wie lange sie bleiben wollen. Ich muss dich allerdings da –« »Ich bin nicht hergekommen, um zu bleiben.« Der Fremde fuhr prüfend mit den Krallen durch die Asche am Boden, dann trat er näher an Tojos Ausguck heran und entblößte sowohl sein von Narben gezeichnetes Gesicht als auch einen blanken, scharfen Reißzahn. »Ich suche etwas, das mir gehört.« Wege zum Erfolg Von hinten sahen die Jagdmanöver der Löwinnen ganz anders aus. Mehr als zwei Jahre lang war Sarabi es gewohnt gewesen, an erster Stelle vornewegzuschleichen, doch nun konnte sie das ganze Ausmaß eines Angriffs ihrer Schwestern erfassen. Denn als sie die Nachricht erhalten hatte, dass eine Herde Antilopen zwischen dem Wasserloch und dem Großen Fluss gesehen worden war, da hatte sie es kurzerhand Tama überlassen, die Jägerinnen heute Abend zu leiten. Die junge Löwin hatte nicht damit gerechnet, einmal unter ihrer Aufsicht ihre Schwestern anzuführen, sondern immer angenommen, dass sie Sarabi ohne Übergang ablösen würde. Aber die erste Aufregung, die aufgekommen war, als die alte Leitlöwin dies kurzerhand nach der Segnung ihres Sohnes bekannt gegeben hatte, war in der offenen Savanne schnell vergessen. Jetzt konzentrierte sie sich voll und ganz auf ihre Aufgabe. Anders als ihre Vorgängerin hatte Tama nämlich bereits ein festes Ziel, zwei schwächliche Tiere, auf die sie ihre Schwestern bereits aufmerksam gemacht hatte. Wenn sie die Herde gleich in eine Richtung davon treiben würden, sollten sich die Löwinnen auf den Flankenpositionen auf eben diese konzentrieren und alle anderen passieren lassen. Für diese Aufgabe hatte sie Zira und Sarafina ausgewählt, denn die beiden waren besonders schnell. Ihre Aufgabe war es nicht, die Beute zu erlegen, sondern sie in die Enge zu treiben, was sich aber selbstverständlich nicht gegenseitig ausschloss. Sollte eine der beiden eine Gelegenheit erkennen, so konnten sie sie direkt ergreifen. Tama traute das längst nicht allen von ihren Schwestern zu, Sarafina dagegen hatte bereits viel Erfahrung und Zira hatte sich ihrerseits erst kürzlich eindrucksvoll bewiesen. Gerade schlichen sie sich in einer sanften Linkskurve an, um den Südostwind optimal zu nutzen, sodass sie Antilopen ihren Geruch nur schwer wahrnehmen konnten. Tama sah einzeln zu den beiden Flankenlöwinnen und drehte beide Male die Ohren nach hinten – es war das Zeichen, dass sie von nun an auf sich allein gestellt waren. Doch gerade als sich daraufhin die restliche Gruppe in Bewegung setzte, hörte sie in der Ferne Löwengebrüll, das ihr nur allzu bekannt vorkam. Ohne lange nachzudenken, erwiderte sie den Ruf und schreckte dabei die ganze Herde auf, dann sah sie in die besorgten Gesichter ihrer Schwestern. »Das war Tojo.« Keine der Anwesenden gab einen Laut von sich und in dieses Schweigen platzte Sarafina. Tama sah währenddessen zurück zu Sarabi, die ebenfalls zu ihnen aufschloss, wandte den Blick dann aber schnell wieder ab. Die alte Leitlöwin stellte sich neben sie und sagte kein Wort. »Ich bin wohl noch nicht so weit«, meinte Tama kleinlaut. »Das war –« »Seit wann entscheidest du das denn?«, unterbrach sie Sarabi. »Aber ... aber wir hatten gerade eine perfekte Gelegenheit und ich habe abgebrochen.« »Ja.« Sarafina trat vor sie. »Du hast eine Entscheidung getroffen und wir respektieren das.« »Ein einzelner Jagderfolg ist niemals so wichtig wie das Wohlergehen eines Rudelmitglieds. Ich bin stolz auf dich«, bestätigte sie Sarabi, »und ich denke, ab heute werden alle Schwestern rückhaltlos auf deine Entscheidungen vertrauen.« »Gut.« Seltsamerweise ließ sich Tama keinerlei Überraschung anmerken, anstatt dessen hob sie den Kopf und blickte durch die Reihen der Jägerinnen. »Dann sollten wir nachsehen, was da gerade passiert ist.« Noch während sie sprach, konnte sie in jedem einzelnen Gesicht eine Entschlossenheit aufblitzen sehen – die Entschlossenheit, ihr überallhin zu folgen. Also jagte sie los, dicht gefolgt von den anderen Löwinnen. Geheimnisse Nachdenklich blickte er dem davonziehenden Fremden hinterher. Gleich nachdem Tojos Ruf so prompt erwidert worden war, hatte ebenjener fast schon panisch die Flucht ergriffen. Einen Moment lang hatte er mit dem Gedanken gespielt, ihn aufzuhalten, aber er hatte das Gefühl, dass es das Beste wäre, wenn der unbekannte Löwe dem Geweihten Land den Rücken kehrte. Obwohl er den merkwürdigen Besucher schon längst nicht mehr sehen konnte, sah Tojo noch immer in die Richtung, in die er verschwunden war, als die Jägerinnen eintrafen. »Was ist passiert?« Tama trat neben ihn und folgte seinem Blick, konnte aber nichts erkennen, was seinen Ruf eben gerechtfertigt hätte. »Nur ein verirrter Löwe.« Tojo sprach, als redete er von etwas, das einem anderen widerfahren wäre. »Erst hat er mich bedroht, aber nach deiner Antwort dann schnell das Weite gesucht.« Diese Begründung war für den Großteil der Jägerinnen offensichtlich unbefriedigend, aber sie wagten es nicht, das zu äußern. Anstatt dessen traten die meisten von ihnen nervös auf der Stelle herum und warteten auf Tamas Reaktion. Die allerdings hatte Tojo genau beobachtet und bemerkt, wie seine Nüstern gebebt hatten. Es bedeutete nicht unbedingt, dass er gelogen hatte, aber mit Sicherheit steckte mehr dahinter – etwas, das er vor der ganzen Versammlung nicht aussprechen wollte. »Du solltest wissen, dass wir deinetwegen eine fast schon sichere Beute aufgeben mussten. Aber letztendlich sind wir alle froh, dich gesund wiedergefunden zu haben.« Während Tama ihn von der Seite ansprach, zwinkerte sie ihm mit dem von den anderen abgewandten Auge zu. »Denkst du, dieser Löwe wird wiederkommen.« »Nicht in nächster Zeit, er ist praktisch Hals über Kopf davon gestürzt.« »Gut, dann müssen wir uns erst mal keine Sorgen mehr machen.« Sie wandte sich zu ihren Schwestern um und erhob die Stimme. »Lasst uns nach Hause gehen.« Unter vereinzeltem Gemurmel setzten sich die Löwinnen in Bewegung, aber keine von ihnen beschwerte sich. Tama und Tojo reihten sich am Ende des Zuges ein, doch gleich nachdem sie losgelaufen waren, schob er mit der Schulter gegen ihre und zwang sie, nach rechts abzudrehen. »Siehst du den Felsen da?« »Ja.« »Gut, da hat es sich abgespielt. Später erzähle ich dir mehr dazu.« »Ich weiß.« Tama schritt vor ihm vorbei, um den anderen wieder zu folgen, wobei ihr Schwanz gegen seine Brust klatschte. Tojo konnte die Geste nicht einordnen, er wusste ja nicht mal, ob es Absicht gewesen war, und ging ihr einfach nach. Die beiden folgten schweigend der Prozession bis zum Königsfelsen und hoch auf die Felsterasse, wo Tama die Löwinnen verabschiedete. Sie beobachtete einen Moment lang, wie ihre Schwestern nach und nach in der Höhle verschwanden, dann drehte sie sich um und ging auf den Felsvorsprung zu, an dessen rechten Rand Tojo saß und in die südliche Nacht hinausblickte. Sie setzte sich schweigend daneben und ließ ihm Zeit, seine Gedanken zu ordnen. Nach einer Weile begann er zu erzählen: »Ich habe den Fremden zuerst bemerkt. Die meisten Löwen, die ich nachts treffe, gehen einer Begegnung aus dem Weg, also habe ich versucht, auf den Felsen zu klettern, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Da hat er mich entdeckt.« »Was hast du dann getan?« »Nichts. Ich habe darauf gewartet, dass er mich findet, weil ich erst einmal nicht davon ausgegangen bin, dass er Böses vorhat. Selbst jetzt bin ich mir da nicht ganz so sicher. Jedenfalls ist er wenig später tatsächlich aufgetaucht und ich habe ihn gleich freundlich begrüßt.« »Das war etwas kurzsichtig, findest du nicht?« »Hey, auch wenn ich etwas jünger bin, ich kann auf mich aufpassen! Aber du hast Recht, auf den Felsen zu klettern war keine gute Idee. Dieser Löwe hat angefangen, mich zu umkreisen und dabei von irgendetwas geredet, das ihm gehört. Anscheinend glaubt er, es hier finden zu können. Dann hat er mich gefragt, ob wir in letzter Zeit jemanden hier aufgenommen hätten.« »Hast du ihm von Zira erzählt?« »Bei Aiheu, nein!« »Was ist dann passiert?« »Nichts. Ich konnte nicht vom Felsen runter, weil er mich womöglich gleich bei der Landung abgefangen hätte, aber er konnte mich genauso wenig angreifen. Ich habe noch versucht, ihm zu erklären, dass wir so nicht weiterkommen würden, aber er hat mich ignoriert.« »Und weil du nicht die ganze Nacht dort sitzen wolltest, hast du uns gerufen«, vollendete Tama seinen Bericht. »Verstehe. Trotzdem hättest du damit noch ein klein wenig warten können.« Tojo wollte zwar etwas erwidern, stockte aber, als sie ihre Pfote auf seine stellte. »Ich sehe etwas ... Es ist ein Löwe! Tojo, ist das der von vorhin?« Doch er verneinte, ohne überhaupt in die Richtung zu sehen. »Definitiv nicht. Es sei denn, er hat die Hälfte seines Körpergewichts verloren.« Tama bedachte ihn mit einem kurzen Blick aus dem Augenwinkel, dann spähte sie wieder hinaus in die Nacht und fuhr auf einmal zusammen. »Aiheu abamami! Ich hatte sie ganz vergessen.« Sie sah Tojo an und der Schock war ihr noch immer ins Gesicht geschrieben. »Das ist Zira.« Die beiden beobachteten, wie Zira die unteren Ausläufer des Königsfelsens erreichte, wobei sich ihr Tempo kaum verringerte, während sie im Dunkel der Nacht zwischen einigen Felsbrocken hindurchflitzte. Als sie den Pfad, der stetig ansteigend in einer sanften Kurve zur Felsterasse führte, erreichte, setzten sich die beiden in Bewegung und liefen zur Nordseite des steinernen Plateaus, dorthin, wo der Weg endete. »Was ist passiert?«, begrüßte sie Tama. »Das wollte ich dich fragen. Ich habe die Antilopen ein ganzes Stück verfolgt. Dabei muss ich euch irgendwie abgehängt haben.« »Nein, ich habe den Angriff abgebrochen, hast du es denn nicht gehört?« »Was?« »Tojos Ruf ... meinen Ruf, das ist eins der ersten Kommandos, die man als –« Sie bemerkte ihren Fehler und stockte einen Moment mit halb geöffnetem Maul, dann senkte sie Zira gegenüber den Kopf. »Natürlich, du konntest es nicht wissen. Tut mir Leid.« »Warum hast du überhaupt abgebrochen? Wir hatten doch eine perfekte Gelegenheit.« Tama blickte wieder auf, als sie ihre eigenen Worte wiedererkannte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie keine der anderen Jägerinnen auch nur ein einziges Mal in Frage gestellt hatte. Sie waren alle jeder ihrer Entscheidungen kommentarlos gefolgt. »Tojo hat einen Eindringling entdeckt und nach Hilfe gerufen.« »Das klingt so unprofessionell«, bemerkte dieser. »Das war es aber nicht, du hast alles richtig gemacht«, tröstete ihn Tama. »Kannst du uns etwas über diesen Löwen erzählen?« »Nicht viel. Ich schätze mal, er ist ein paar Monde älter als Zira. Sein Fell und seine Mähne konnte ich kaum erkennen ... wahrscheinlich ist beides eher dunkel. Aber ich kann jetzt noch diese Augen vor mir sehen – gelb!« Da bei Löwen auch die Augäpfel einen gelben Farbton hatten, mussten sie fast schon nahtlos in die gelbe Iris übergegangen sein, wodurch sich lediglich noch die schwarze Pupille abgehoben hatte. Tama schauderte ein wenig, aber Zira wirkte auf einmal wie versteinert. »Zira, alles in Ordnung?« Tojo wirkte besorgt, Tama vielmehr irritiert: »Kennst du ihn?« »Ja«, hauchte sie. Es schien, als würde ihre Stimme nicht mehr hergeben. »Wer war das? Was wollte er hier?« Tama ging auf sie zu und versuchte, ihr in die zu Boden gerichteten Augen zu sehen, aber Zira wandte sich ab. »Bitte, lasst mich damit in Ruhe.« »Zira! Wir müssen wissen, wer das war«, rief sie ihr hinterher. »Nein!« Tama wollte ihr folgen, wurde aber von Tojo geschnitten, der daraufhin zu Zira aufschloss und sich auch ihr in den Weg stellte. Allerdings sprach er in einem ganz anderen Ton zu ihr. »Zira, sag uns doch wenigstens, ob er wiederkommen wird. Bitte.« Sie senkte den Kopf und schloss die Augen. Man konnte ihr förmlich ansehen, wie viel Schmerz es ihr bereitete, darüber nachzudenken. »Ja.« »Wann?« »In ein oder zwei Monden.« »Danke dir. Ich sage Chumvi Bescheid, dass du auf ihn wartest, dann musst du nicht mehr zu den anderen in die Höhle.« Damit ließ er sie ziehen und kehrte zu Tama zurück, die ihn nur mit halb geöffnetem Maul anstarrte. »Beeindruckt?« Sie blinzelte, schüttelte den Kopf ein wenig und fand schließlich ihre Stimme wieder. »Etwas. Was sollen wir eigentlich mit ihm machen, wenn er wiederkommt?« »Hm ... wie wäre es, wenn du mir das Jagen beibringst?« »Was hast du vor?« »Du wirst schon sehen.« Nur diese eine Nacht Zira schleppte sich irgendwie in die kleine Nebenhöhle, die ihr nun schon seit zwei Monden Obhut bot. Hinein durch den großen Eingang, dann gleich links – sie merkte nichts von dem Weg, den sie zurücklegte, weil sie die Erinnerung an dieses Augenpaar nicht mehr losließ. Während sie lief, durchlebte sie das letzte Mal, dass sie hineingesehen hatte. Es war, als ob die Stimme des Löwen in ihrem Kopf widerhallen würde: »Du gehörst mir, Zira, mir ganz allein!« Er war der Grund, weshalb sie damals alles hinter sich gelassen hatte, was ihr etwas bedeutet hatte – ihr Rudel, ihre Freunde, ihre Familie. Nur wegen ihm hatte all das Leid in ihrem Leben erst seinen Lauf genommen. Auf einmal stolperte sie, konnte sich aber im letzten Moment noch fangen. Zira hatte ihre Höhle erreicht und war mitten hineingelaufen, ohne es zu realisieren. Dort war sie dann gegen die Erhebung getreten, auf der sie meistens schlief. Weiterhin tief in Gedanken versunken legte sie sich einfach da zu Boden, wo sie gerade stand. Gerade als sie die Augen schloss, hörte sie aufgeregtes Geschrei, das allmählich lauter und damit schließlich verständlich wurde. »– noch so lange verfolgt. Mutter ist die beste Jägerin von allen!« Wenig später kam Vitani aus dem Gang gestürmt, kurz darauf traf auch Chumvi mit Nuka ein und Zira sah ihren Kindern entgegen. Vitani hielt direkt auf sie zu und versuchte, den Absatz hinauf zum Schlafplateau in einem Satz zu nehmen. Dass sie es dann tatsächlich schaffte, überraschte sie selbst so sehr, dass sie vergaß, auf die Landung zu achten. Der nun erhöhte Boden kam wesentlich schneller auf sie zu, wodurch sie ihre Beine stark anwinkeln musste, ins Straucheln geriet und schließlich ganz die Balance verlor. Von ihrem eigenen Schwung getragen kullerte sie noch ein Stück orientierungslos über harten Fels, bis ihre Fahrt in Ziras Bauchfell endete. »Mutter!« Vitani richtete sich schnell wieder auf und schob sich unter ihr Vorderbein. Von dort aus sah sie zurück zu den beiden Löwen, die noch immer im Eingang standen. Nuka konnte den Blickkontakt nicht lange ertragen – seit ihrer Ankunft hier war seine Schwester in aller Munde. Immer, wenn sie auf ihre tollpatschige Art irgendwo ankam, drehte man sich nach ihr um und freute sich über ihre Niedlichkeit, egal wie ungeschickt sie sich gerade angestellt hatte. Mittlerweile war Vitani bis auf einige Ausrutscher sicher zu Fuß unterwegs und beherrschte auch schon einen grundlegenden Wortschatz, der einfache Kommunikation erlaubte. Ihre Gliedmaßen, die noch vor wenigen Wochen so zerbrechlich gewirkt hatten, dass man sie nicht einmal ansehen wollte, aus Angst, etwas könnte dabei zu Bruch gehen, nahmen nun vorläufige Formen an. Zira leckte ihrer Tochter liebevoll durch ihr immer noch flauschiges Rückenfell, dann hob sie den Kopf und all die Fürsorge verschwand aus ihrem Gesicht. Der Blick, den sie den beiden zuwarf, ließ es scheinen, als wäre sie höchstens mäßig interessiert, so als hätte sie noch nie in ihrem Leben einen Löwen gesehen. Aber dies galt nicht Nuka. Er blickte auf und sah, dass Chumvi dasselbe bemerkt hatte, doch auch er schien noch nach dem zu suchen, was gerade Ziras Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Allerdings bekam er nicht die Gelegenheit, es herauszufinden. »Mutter.« Zira blinzelte und sah nun zu ihrem Sohn, der erhobenen Hauptes auf sie zugelaufen kam. Nuka überwand die Stufe, an der seine Schwester gescheitert war, mühelos und suchte im Gegensatz zu ihr auch nicht die direkte Nähe seiner Mutter. Anstatt dessen legte er sich an der Kopfseite ihres Schlafplatzes nieder, sodass er das erste sein würde, was sie am nächsten Morgen sehen würde. Chumvi hatte die Szene neugierig verfolgt. Für ihn war Nuka schon immer ein Rätsel gewesen, aber er würde sich die Zeit nehmen, ihn zu verstehen ... bald. Sowie er diesen Entschluss gefasst hatte, setzte er sich in Bewegung, um sich zu den Dreien zu legen, stockte aber, als er Zira bemerkte. Jetzt, wo ihre Kinder nicht mehr darauf achteten, scheute sie sich nicht, ihn direkt anzusehen und etwas Ungewohntes lag in ihrem Blick. Etwas, das er noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte. »Schläft sie schon?« Chumvi deutete auf das Fellknäuel zwischen Ziras Vorderbeinen, das sich in regelmäßigen Abständen hob und senkte. Vitani war noch zu jung, um mit dem Leid dieser Welt konfrontiert zu werden. Zira spähte kurz nach unten und nickte schwach. »Hat es etwas mit dem Fremden zu tun? Tojo meinte –« »Sscht.« Sie sah an ihm vorbei, in Richtung Höhleneingang. »Nur diese Nacht.« »Was? Ich werde doch nicht –« Zira formte mit den Lippen das Wort "Bitte!", aber das war es nicht, was Chumvi überzeugte, sondern die Angst, die er nun ganz klar in ihren Augen erkennen konnte. Sie hatte keine Angst vor ihm selbst, denn das hätte sie ihm gegenüber nie so gezeigt, dessen war er sich sicher. Aber warum wollte sie allein sein? Er schloss die Augen und nickte, ging dann aber trotzdem auf sie zu. Zira war alles andere als entspannt, wich allerdings nicht zurück, sondern sah ihm nur entgegen. Chumvi beugte sich über sie und senkte den Kopf gleich neben ihren. »Ich lasse meine Familie nicht zurück, niemals. Ich werde nicht weit weg sein.« »Ich weiß.« Für einen winzigen Augenblick gab sie nach und berührte ihn mit der Schnauze unter dem Ohr. Chumvi wollte die Geste erwidern, doch der Moment war so schnell wieder vorüber, wie er gekommen war und Ziras Kopf ruhte neben Vitanis zierlichem Körper. »Lala kahle.« Er kehrte um und verließ schweren Herzens die Höhle. Der nächste Morgen ------------------ Das Erwachen »Komm Nuka, spielen!« Das war das erste, was Zira mit noch geschlossenen Augen hörte. Sie hob das rechte Lid ein winziges Stück an und konnte erkennen, wie Vitani um ihren Bruder herum hüpfte, der vermutlich nur vorgab, noch zu schlafen. Dass er bei diesem Radau nicht aufwachte, war unwahrscheinlich. Zira gähnte herzhaft und begann, sich ausgiebig zu strecken. »Wo ist Vater?« Anscheinend hatte Vitani nun ein neues Opfer gefunden und kam auf ihre Mutter zu. Irgendwie überraschte Zira die Frage und sie sah sich in der Höhle um – keine Spur von Chumvi. Und da kam die Erinnerung an den gestrigen Abend wieder hoch, aber es fühlte sich an wie durch Watte. Der Schlaf hatte seine Wirkung getan. »Wahrscheinlich ist er schon vorausgegangen, ich schau‘ mal nach. Bleib‘ du solange bei Nuka.« Vitani war sichtlich enttäuscht, dass sie sich nun wieder mit ihrem langweiligen Bruder beschäftigen musste, aber sie ließ ihre Mutter gehen. Weit kam Zira jedoch nicht. Gleich nach der ersten Biegung wäre sie fast über einen schlafenden Löwen gestolpert, der sich quer in den Gang gelegt hatte. »Was machst du denn hier?« Bevor er antwortete, streckte sich der Löwe erst einmal aus, um die Verspannungen nach einer Nacht auf hartem Fels zu lockern. »Wonach sieht es denn aus?« »Ich hätte nicht gedacht, dass du dein Versprechen gestern so wörtlich gemeint hast.« Chumvi ließ sich wieder auf die Seite fallen und warf einen genauen Blick auf Zira. Die Tatsache, dass sie ihre sarkastische Art wiedergefunden hatte, ließ darauf schließen, dass sich die Wogen des gestrigen Abends geglättet hatten, auch wenn es nicht gut für sie sein konnte, alles so in sich hinein zu fressen. »Du weißt, wir können jederzeit darüber reden.« »Nein, diesmal ist es anders.« Er wollte etwas erwidern, zögerte dann aber und stellte die Ohren auf. Wenige Augenblicke später kam Vitani um die Ecke und schaute neugierig zu ihrer Mutter auf. »Gefunden! Hat Vater draußen geschlafen?« »Ich habe aufgepasst, dass keiner zu euch kommt.« Chumvis Erklärung schien sie allerdings nicht zu überzeugen. Ihr war vollkommen klar, dass er dazu genauso gut in der Höhle hätte liegen können. »Habt ihr euch nicht mehr lieb?« »Doch, natürlich«, antwortete Zira, aber Vitani legte nur den Kopf schief. »Hier, siehst du?« Sie beugte sich herunter und leckte Chumvi über den Nasenrücken. Dem Guten schien es zu gefallen. Nun stieß auch Nuka hinzu. »Ich hatte doch gesagt, du sollst liegen bleiben.« »Langweilig!« Er schüttelte leicht den Kopf über seine Schwester, hielt aber plötzlich inne, als er seine Mutter erblickte, die gerade noch mit dem am Boden liegenden Löwen köpfelte und sein Gesicht verlor jeglichen Ausdruck. Schließlich beendete Chumvi das Gekuschel, zog sich zurück und sah zu den beiden Löwenkindern. »Habt ihr Hunger?« Aber keins der beiden reagierte. Vitani wusste, dass sie nicht antworten musste, weil sie sowieso noch kein Fleisch fraß und Nuka wandte nur den Blick ab, als er erkannte, dass Chumvi ihn bemerkt hatte. Doch der ließ sich nicht irritieren und fuhr einfach fort: »Geht doch schon mal vor, ich brauche noch einen Moment.« Dabei ließ er demonstrativ den Kopf wieder zu Boden fallen und gähnte ausgelassen. »Ich weiß noch, als ich so jung war wie ihr ... diese Energie!« Nuka konnte nicht umhin, als wieder den Kopf zu schütteln, dann trottete er erhobenen Hauptes nach draußen. Vitani folgte ihm zügig, warf aber noch einen letzten unsicheren Blick auf ihre Mutter. Zira hielt den Kopf bewusst gesenkt. Sie wollte jetzt nur noch so schnell wie möglich in den Alltag zurückkehren und versuchte deshalb, die Szene nicht unnötig heraus zu zögern. Gleich nachdem sie die Schritte ihrer Kinder nicht mehr hören konnte, wandte sie sich an Chumvi. »Nein.« »Ich habe doch gar nichts gesagt.« Darauf war Zira nicht vorbereitet gewesen und brauchte einen Moment, um ihre Gedanken zu ordnen, ehe sie fortfuhr: »Es gibt nichts, worüber wir reden müssten. Es ist alles in Ordnung.« Chumvi hob den Kopf wieder an und schob sein unteres Vorderbein dorthin, wo dieser eben gelegen hatte, wandte den Blick dabei aber nicht von ihr ab. »Warum habe ich dann hier geschlafen?« Es klang nicht wie ein Vorwurf, sondern eher, als würde er sich Sorgen machen. »Das hat nichts mit dir zu tun.« »Aber es hat was mit dem Fremden zu tun.« Chumvi legte leicht den Kopf schief. »Erinnere ich dich an ihn?« »Nein, ihr seid grundverschieden, nur ...« Ziras Blick wurde kurz glasig. Das, woran sie dachte, zauberte für einen Augenblick den Hauch eines Lächelns auf ihr Gesicht, doch dann schloss sie plötzlich fest die Augen und das Glück wich Schmerz. »Ich hatte einfach nur ein komisches Gefühl, als ich daran dachte, neben einem Löwen zu liegen.« »Zira, ich würde dir niemals etwas antun. Das weißt du doch.« »Genau das ist es ja.« Damit konnte Chumvi nun gar nichts anfangen und bemerkte in seiner Verwirrung überhaupt nicht, wie Zira an ihm vorbeiging. Sie ließ ihn aber auch nicht stehen und sprach ihn sogar noch einmal an. »Ich hatte es schon fast vergessen, die Erinnerung an damals ist verschwommen ... und schwach. Heute Nacht kann ich wieder normal schlafen.« »Zira, ich –« Doch er wusste nicht weiter. Sie hatte gerade loslaufen wollen und auf Chumvis Wort nur den Kopf nach hinten gedreht. Jetzt sah sie ihn kurz fragend an und erkannte einen Freund. Trotz allem konnte sie es nicht. »Ich weiß, aber nicht diesmal. Es zu erzählen, wieder daran zu denken, was damals passiert ist, wird nur alte Wunden aufreißen. Aber wozu? Es ist nicht deine Geschichte. Anders als das letzte Mal kannst du mir nichts dazu sagen, was irgendetwas ändern würde.« Chumvi sah zu, wie sie sich nun endgültig auf den Weg in die Haupthöhle machte. Er wusste, dass er es ihr irgendwann erzählen musste, auch wenn es wahrscheinlich nicht von Bedeutung war. Aber falls doch ... »Aiheu abamami!« Fest entschlossen sprang er auf und setzte sogleich einen strammen Trab an, um zu Zira aufzuschließen. Kurz vor der Kreuzung zum Hauptgang holte er sie schließlich ein. »Zira?« »Ja?« Sie sah zu ihm zurück, als hätte ihr Gespräch gerade nie stattgefunden, als wäre nie irgendetwas passiert – sie lächelte sogar ein wenig. »Ich wollte nur, dass wir zusammen bei den anderen ankommen. Jetzt, wo wir die Kinder vorausgeschickt haben, werden sie das erwarten.« »Gut.« In der Hoffnung, gerade keine falsche Entscheidung getroffen zu haben, atmete Chumvi tief durch, als er an ihrer Seite in die Haupthöhle trat. Es wäre einfach zu viel des Zufalls gewesen, wenn all das, was er vermutete, tatsächlich zugetroffen hätte und es gab ohnehin keine Möglichkeit, herauszufinden, ob es letztendlich auch der Wahrheit entsprach. Vielleicht war es besser so. Verabredungen Leider brachte das Frühstück keine Ablenkung – nicht nur, weil wegen der fehlgeschlagenen Jagd am Vorabend kaum etwas Essbares da war: Der gestrige Vorfall machte selbstverständlich die Runde und es kursierten bereits die verschiedensten Gerüchte über den ungebetenen Besucher. Selbst Tojo war anwesend, um seine Geschichte wieder und wieder zu erzählen und damit die abgefahrensten Theorien im Keim zu ersticken. Aber der Auftritt des unbekannten Löwen war derart mysteriös gewesen, dass nicht einmal das half. Bald schon gab es die unwahrscheinlichsten Vermutungen, was der Fremde verloren hat und was ihn wohl auf die Idee brachte, dass er es hier im Geweihten Land finden könne. Auch die Pläne für den kommenden Tag betrafen den Vorfall, zumindest die meisten – die auch umgesetzt wurden. »Papa, wann fangen wir heute an?« Kopa war ganz versessen darauf, endlich mit seinem richtigen Kampftraining zu beginnen. »Gar nicht, ich habe zu tun. Es gab gestern Abend einen kleinen Unfall bei der Jagd.« »Deshalb also hattet ihr nichts zu essen. Was ist passiert?« »Du weißt es nicht? Ich hätte meinen Anteil beim Abendessen darauf verwettet, dass du schon längst bei Tojo gewesen bist und es dir hast erzählen lassen.« »Naja, Tojo ist ...« »Anders?« Simba wusste nur zu genau, wie die Kleinen über ihn dachten, aber er hatte Kopas Neugier für größer gehalten. »Irgendwie, ja.« »Das ändert nichts daran, dass er einer von uns ist. Sag ihm einfach, dass ich dich geschickt habe, dann wird dir mit Sicherheit alles erzählen.« »Okay.« Da Kopa ohnehin kein Fleisch fraß, hatte er beim gemeinsamen Frühstück sowieso nicht viel zu tun und machte sich gleich auf den Weg. Er wünschte allen Löwinnen, an denen er vorbeilief einen Guten Morgen, bis er schließlich am äußeren Rand, nahe des Eingangs der Haupthöhle ankam. Tojo unterhielt sich gerade mit Tama, während einige tuschelnde Löwinnen von den beiden weggingen. »Guten Morgen, Tama. Guten Morgen, Tojo.« »Guten Morgen, Kopa«, erwiderte Tama erfreut. Tojo zog kurz die Augenbrauen hoch. »Was ist gestern Abend passiert?« Er hatte die Frage an Tama gerichtet. Umso mehr überraschte es ihn, dass Tojo antwortete: »Und ich hatte gehofft, das wäre eben die letzte Gruppe gewesen?« »Komm schon, einmal mehr oder weniger ... danach können wir los.« Durch Tamas Einwurf ermutigt sprach Kopa ihn nun direkt an: »Bitte Tojo. Papa meinte, er hätte zu viel zu tun, um es mir selbst zu erzählen.« »Ah, Simba schickt dich?« Das hatte wohl sein Interesse geweckt. »Wenn das so ist ... wie geht es eigentlich Nala?« »Tojo!« Tama verpasste ihm einen spielerischen Prankenhieb in die Flanke. »Jetzt fang nicht an, ihn abzulenken.« Kopa konnte nicht umhin, leicht zu schmunzeln und zu seiner Verwunderung lachte Tojo mit ihm. Nachdem er ihm versichert hatte, dass seine Mutter bei bester Gesundheit war, machte er es sich bequem und lauschte der Geschichte. »Zira?« Simba hatte sie in Ruhe mit ihrer Familie frühstücken lassen, doch jetzt stand er mit all seiner königlichen Autorität vor ihr. »Komm doch bitte einen Moment mit.« Siri Er führte sie in eine weitere kleine Nebenhöhle, die aktuell als Futterkammer diente. Es handelte sich hierbei neben Ziras und der großen Schlafhöhle um den letzten Hohlraum, der von der Felsterasse aus begehbar war. Hier wurden abends die Reste der Beute abgelegt – das Frühstück für alle Löwen, die zumindest ein halbes Jahr alt waren und damit schon Fleisch fraßen. Tojo wartete dort bereits auf sie. Simba setzte sich einfach mitten in den Raum und die beiden anderen taten es ihm nach. Dabei wählten sie ihre Positionen so, dass jeder der drei die jeweils anderen beobachten konnte. »Guten Morgen«, begrüßte er sie schließlich. »Sparen wir uns das Vorspiel. Ihr könnt euch wahrscheinlich denken, warum ich mit euch reden will. Ich habe nicht vor, mich auf Gerüchte zu verlassen und ich verspreche euch, dass, egal was ihr mir erzählt, nichts davon diesen Raum verlassen wird.« Er sah kurz zu Zira, dann zu Tojo. »Ich weiß, wie oft du die Geschichte heute Morgen schon erzählen musstest, aber tu mir bitte den Gefallen. Jetzt wird dich auch keiner unterbrechen.« »Nein, du weißt es nicht«, entgegnete Tojo mit einem leichten Lächeln, das schnell von Simba erwidert wurde. Dann berichtete er in allen Einzelheiten, was sich gestern auf seiner Streife zugetragen hatte und ließ dabei nichts aus, weder seine Gedanken, noch seine vermeintlichen Fehler. Sein Bericht endete an der Stelle, an der er mit Tama auf der Felsterasse geredet hatte. »Und dann haben wir Zira entdeckt«, sagte er und wandte sich anschließend direkt an sie. »Tama macht sich immer noch Vorwürfe, dass sie dich vergessen hat.« Simba nickte ihm kurz zu und wandte sich dann selbst an Zira: »Und sie ist nicht die einzige, die sich Sorgen um dich macht. Du sagtest, du kennst diesen Löwen?« »Ja, aber –« »Wir wissen nicht, was er dir vielleicht angetan hat und keiner wird dich zwingen, darüber zu reden. Aber sag uns bitte wenigstens, wer er ist und was er hier will. Zumindest ein Name, damit wir wissen, von wem wir sprechen, wenn wir untereinander über ihn reden.« Zira rang einen langen Moment mit sich selbst, doch sie musste eingestehen, dass Simba Recht hatte. Es war zwecklos, es verheimlichen zu wollen – vor allem, weil er sowieso wiederkommen würde. »Sein Name ist Siri. Er sucht nach mir, weil er denkt, dass ich zu seinem Rudel gehöre.« »Jetzt gehörst du zu uns«, sagte Simba. »Und wenn du ihn nicht mehr wiedersehen willst, dann sorgen wir dafür, dass das auch nicht passiert«, fügte Tojo hinzu. Er sah Simba an, der ihn mit einem Nicken entließ. Während dieser mit Zira in die Haupthöhle zurückkehrte, nutzte Tojo die Gelegenheit, um nach draußen zu gehen. Bevor er gleich wieder zu den anderen zurückkehren würde, konnte er diesen Moment der Ruhe gut gebrauchen. Letztendlich war er an diesem Morgen nur so gesellig, weil Tama ihm versprochen hatte, dass sie gleich heute beginnen würde, mit ihm Jagen zu gehen. Auf der Felsterasse angekommen musste er allerdings schnell einsehen, dass seine Pläne und auch die aller anderen buchstäblich ins Wasser fielen. Die frühe Morgensonne wurde von turmhohen Regenwolken verdeckt, die bereits schwer über den östlichen Hügeln lagen. Es war das zweite große Unwetter vor der eigentlichen Regenzeit, weshalb niemand mehr damit gerechnet hatte. Eine Ausnahme bestätigte die Regel, aber noch eine Weitere bedeutete Veränderung. Lerne fürs Leben ---------------- Storytime Wenn auch diese Veränderung noch lange auf sich warten lassen würde, waren die direkten Folgen des Regens nicht zu verkennen. Das Wasserloch hatte seine Größe abermals verdoppelt und fasste damit genug Wasser, damit zum ersten Mal seit über einem Jahr alle Tiere des Geweihten Landes versorgt waren. So lag der von unzähligen Pfoten und Hufen ausgetretene Pfad zum Großen Fluss einsam da, wie eine Erinnerung an eine vergangene Ära. Der ergiebige Regen hatte außerdem den Boden weiträumig aufgeweicht. Zwar bedeutete das in erster Linie, dass dort wieder mehr als nur Gras wachsen konnte, aber andererseits stellte der Matsch für die Jägerinnen eine erhebliche Gefahr dar. Ein falscher Tritt während der Verfolgung und sie würden sich unter ihrer Beute wiederfinden, anstatt sich in deren Nacken zu verbeißen. Der feuchte Untergrund bot kaum Halt und das war für Tama völliges Neuland, weshalb die sich mit Sarabi einig gewesen war, dass ihre nächste eigene Jagd auf bessere Bedingungen warten könne. So gelang es ihnen am Abend dann doch, ein Gnu zu Fall zu bringen. Ganz ähnlich erging es auch all den anderen, die Pläne für diese Zeit gehabt hatten. Aber das war nicht der einzige Grund, weshalb Kopas Kampftraining zurückgestellt wurde. Simba teile die nächsten drei Tage dauerhaft mehrere Streifen ein, um das Geweihte Land vollständig abzusuchen, doch von Siri war nirgends eine Spur zu finden. Anscheinend hatte Zira Recht und er würde sich in naher Zukunft nicht mehr blicken lassen. Trotzdem vergingen danach noch weitere zwei Tage, bis Simba den Löwenkindern wieder erlaubte, den Königsfelsen zu verlassen. Aber dann war es soweit! Kopa holte auf Anweisung seines Vaters schon früh am Morgen Nuka ab und die drei Löwen machten sich auf den Weg. Simba führte sie von der Felsterasse herunter, vorbei an den Gesteinsbrocken am Fuße des Königsfelsens und hinaus in die offene Savanne. »So, da wären wir.« Er setzte sich nieder und amüsierte sich einen Moment lang an der Ratlosigkeit seiner beiden Begleiter. »Aber hier ist nichts«, stellte Nuka fest. »Wir können heute nicht so weit weg, weil wir nur wenig Zeit haben.« »Warum sind wir dann nicht einfach zu Hause geblieben?«, schloss sich Kopa an. »Hier gibt es nichts, was es nicht auch dort gibt. »Genau deshalb – hier gibt es nichts, was euch ablenkt und das ist wichtig. Die Geschichte, die ich euch erzählen will, ist schon sehr alt. Sie wird von Generation zu Generation weitergegeben und darf niemals in Vergessenheit geraten, also passt genau auf.« Die Legende von Mwanga und Kivuli Einst war das Geweihte Land nichts weiter als eine endlose Savanne gewesen. Gelegentlich streiften kleine Herden von Gnus oder Antilopen und selten ein vereinzeltes Zebra durch das Gras. Doch eines Tages kamen zwei Löwenrudel von Norden in das Land. Angeführt wurden sie von Mwanga und Kivuli, zwei Brüdern einer stolzen Familie, die in die Welt hinausgegangen waren, um ihren Platz darin zu finden. Beide hatten bereits eine Lebensgefährtin und ein kleines Gefolge befreundeter Löwinnen. Alles, was ihnen noch fehlte, war eine Heimat. Sowie es unter Brüdern üblich ist, wurde daraus ein Wettstreit und es war nicht der erste in ihrem Leben. Zuvor schon hatten sie versucht, sich gegenseitig zu übertrumpfen, doch bisher war es keinem gelungen. Jeder der Brüder beneidete den anderen um seine Partnerin und sie wurden beide von derselben Anzahl an Löwinnen begleitet. Trotzdem verband sie eine tiefe Freundschaft, die weit über die Brüderlichkeit hinausging. Deshalb traten sie diese Reise gemeinsam an und wenn sie sich an den Abenden schlafen legten, hätte man die beiden Gefolge für ein Rudel halten können. Kivuli war der erste, der die weite Savanne erblickte und er war sich sofort sicher, dass es der richtige Ort für seine Familie war. Aber als er seinen Bruder ansah, bekam er Mitleid und versprach, mit ihm weiter zu ziehen, bis sie auch für ihn eine Heimat gefunden hatten. So machte sich die Gemeinschaft auf den Weg nach Süden und legte sich am Abend im Schatten eines gewaltigen Monolithen zur Ruhe. Tags darauf setzten sie ihre Reise fort und fanden sich schließlich in einer weitläufigen Flusslandschaft wieder. Der Strom wurde von sanften, mit grünen Auen bedeckten Erhebungen in zahlreiche Arme geteilt. Dabei war das Wasser fast überall so flach und ruhig, dass sich selbst die Jüngsten unter ihnen gefahrlos darin fortbewegen konnten und nur an wenigen Stellen reichte es den Erwachsenen bis über die Schultern. Mwanga wollte gerade seinen Gefallen daran aussprechen, als sein Bruder das Gebiet als sein Eigen deklarierte. Er ging auf Kivuli zu und wies ihn darauf hin, dass sie auf der Suche nach einer Heimat für sein eigenes Rudel waren. Doch der lächelte nur triumphal und erinnerte Mwanga an das Versprechen, das sie ihren Eltern gegeben hatten - nämlich, dass sie eine Heimat für sich finden würden. Gleich in der ersten Nacht ihrer Reise hatten sich die beiden geeinigt, dass sie nicht eine Heimat sondern zwei suchen würden. So würden sie ihre Eltern nicht belügen und jeder der beiden hätte sein eigenes Reich. Kivuli hatte Wort gehalten. Sie hatten nie einen Gedanken daran verloren, wer am Ende welches Gebiet bekommen würde und Mwanga stand in der Schuld seines Bruders, weil er mit ihm weitergezogen war, nachdem sie die Savanne erreicht hatten. Also willigte er ein und kehrte zurück in das Land, das nun sein eigenes war. Es verging eine Zeit, in der die beiden Rudel friedlich nebeneinander lebten. Die Brüder hielten ihre Freundschaft so gut es ging aufrecht, aber sie hatten beide Pflichten und Verantwortung gegenüber ihren Ländern, sodass sie sich immer seltener sahen. Irgendwann siedelte sich ein Stück flussabwärts eine Herde Elefanten an. Da den Kolossen das Wasser kaum bis zu den Knien reichte, waren sie den anderen Tieren in dieser Landschaft noch überlegender als ohnehin schon. Die Nächte verbrachten sie oft am nördlichen Ufer, wobei sie sich in Mwangas Land befanden. Aber entgegen der häufigen Versuche beider Brüder, sie für ihr eigenes Reich zu gewinnen, blieb diese Herde unabhängig. Mwanga kannte die saisonale Regenzeit schon von zu Hause her, doch nach neun Monden ohne ein größeres Unwetter begann seine Savanne, allmählich auszutrocknen. In Sorge, dass ihnen womöglich eine Dürre bevorstand, suchte er seinen Bruder auf. Kivuli war ihm noch immer ein guter Freund und gestatte Mwangas Rudel und allen anderen Tieren, in sein Land zu kommen, wann immer sie Wasser brauchten. Aber das Vorüberziehen weiterer regenloser Tage drohte, die Befürchtungen einer Trockenzeit zu bewahrheiten. Für die Tiere der Savanne war das nichts Neues und sie zogen nach und nach hinunter zum Fluss. Eines Tages folgten die Löwinnen einer Herde Antilopen dorthin und brachten schließlich eines der Tiere zu Fall. Kivuli konnte das nicht tolerieren und suchte noch am selben Abend seinen Bruder auf. Letztendlich stand jedes Tier, das in sein Reich kam, unter seinem Schutz gegenüber Feinden, die außerhalb lauerten. Mwanga jedoch verteidigte seine Jägerinnen, weil diese die Beute bereits im eigenen Land ausgemacht hatten. Am Ende behielt die Freundschaft der beiden die Oberhand und sie ließen die Angelegenheit ruhen. Doch je weniger Wasser in der Savanne übrig blieb, desto weniger Alternativen hatte Mwangas Rudel. Als das Szenario begann, sich regelmäßig zu wiederholen und sich die Beschwerden an Kivulis Hof häuften, war dieser gezwungen, seinen Bruder öffentlich zur Rede zu stellen. Doch mit dem, was dann geschah, hatte niemand gerechnet. »Bruder, dein Land stirbt und deine Untertanen kommen aus freiem Willen zu mir. Ich biete dir an, dich ihnen anzuschließen. Hier hat dein Rudel Wasser und Nahrung und außerdem steht ihr dann ab sofort unter meinem Schutz, sowie all die anderen hier.« »Dein Angebot ist großzügig, doch ich muss es ablehnen. Mein Land leidet, aber es wird sich erholen und erblühen. Ich kann es nicht aufgeben, nicht jetzt, wo ich so sehr gebraucht werde.« An diesem Tag verließ Mwanga das Land seines Bruders als Freund, doch bei seiner Rückkehr würde er nur noch ein gewöhnlicher Fremder sein. Kivuli gab jedoch nicht auf und schickte einige Löwinnen zu denen seines Bruders, um sich am Abend mit ihnen an der Grenze zu treffen. Alles lief wie geplant. In der Dunkelheit versammelte sich das Rudel aus der Savanne am Flussufer und Kivuli richtete sein Angebot an jede einzelne der Löwinnen. Schnell trat eine Gestalt aus der Menge hervor und ging auf ihn zu, aber als ein kühler Wind aufzog, konnte er eine Mähne erkennen. Mwanga stellte sich zwischen sein eigenes Rudel und seinen Bruder. Jeder der beiden wartete auf die Reaktion des jeweils anderen, doch es war Aiheu selbst, der ihnen antwortete. Ein Blitz schlug flussaufwärts am Horizont ein und die Erde erzitterte unter dem Donner. Im ersten Moment nahm keiner der Anwesenden besonders Notiz davon, aber als das Beben weiter anhielt, tauschten die Löwinnen nervöse Blicke aus. Sie alle sahen aber wieder auf, als die Landschaft vor ihnen von einem parallel zum Ufer verlaufenden Riss geteilt wurde und Mwanga befand sich in ebendiesem Niemandsland. Er sah sich nach einem Ausweg um und spurtete kurzerhand zurück zu seinem Rudel. Doch er hatte keine Chance und wurde nach wenigen Metern mit dem herabsackenden Erdreich in die Tiefe gezerrt. Es war noch nicht vorbei, denn Kivuli hörte ein lautstarkes Getöse auf sie zukommen – der Fluss! Er brüllte hinunter in die Schlucht; wenig später folgte die Antwort seines Bruders, aber sie ging allmählich im herannahenden Donnern unter. Die darauf entstandene Stille wurde von einem Schlag, der tief aus der Savanne herrührte, unterbrochen. Das Erdbeben hatte den Monolithen in deren Zentrum an seiner schwächsten Stelle gespalten. Die Ostseite war abgekippt und hatte sich im Material am Fuße des Felsens verkantet, sodass sie nun in einem flachen Winkel zur Erdoberfläche stand. Die Silhouette des steinernen Monuments sah damit aus wie ein zum Himmel brüllender Löwe. Die Trauer der anderen Löwinnen war nicht die seine. Kivuli hatte einen Bruder verloren und machte sich auf den Weg nach Hause, aber schon wenige Schritte nach der Grenze stockte er. Das Wasser, das sein Reich all die Zeit zu etwas Besonderem gemacht hatte, war bereits merklich zurückgegangen. Bald schon würde sein Land genauso austrocknen wie die Savanne seines Bruders – schlimmer noch, im Flussbett gab es nichts, was Regenwasser lange speichern konnte. So kehrte Kivuli wieder um und eilte zurück zur Schlucht, während es zu regnen begann. In der Ferne hörte er das verzweifelte Trompeten der Elefanten flussabwärts. »Wartet!« Und die Löwinnen, die gerade von dannen ziehen wollten, warteten. »Der Strom, der Leben in mein Land gebracht hat, ist versiegt; in ein paar Tagen wird es nicht mehr bewohnbar sein. Mwanga hatte Recht, unsere Zukunft liegt in seinem Land, aber es braucht einen König. Ich bitte euch, mich und mein Rudel bei euch aufzunehmen. Im Gegenzug biete ich an, das Land zu regieren und sicherzustellen, dass die Taten meines Bruders niemals vergessen werden.« Er legte den Kopf in den Nacken und stieß ein Gebrüll aus, das von den Löwinnen auf der anderen Seite erwidert wurde. Kivuli versammelte noch in dieser Nacht seine Löwinnen und zog mit ihnen in Mwangas Reich. Der gewaltige Monolith im Zentrum der Savanne bot nun eine Höhle, die er in Gedenken an seinen Bruder zu ihrem neuen Heim erklärte. Er nannte das Monument den Königsfelsen, auf dass man nie den ersten König dieses Landes vergessen sollte. Simba ließ den letzten Eindruck einen Moment wirken und fügte dann noch hinzu: »Das Land, das er zurückgelassen hatte, trocknete wie erwartet aus und wurde das Schattenland genannt. Die Elefanten gedenken bis heute des Tages, an dem sie ihre Heimat verloren haben. Nachdem sie von Kivuli im Geweihten Land aufgenommen worden waren, führt noch heute ihr letzter Weg über den Fluss. Sie sagen, sie fühlen sich dort zu Hause.« Jagen Weiter draußen lag eine Löwin im hohen Savannengras, das sich um das Wasserloch ausbreitete, und genoss die erfrischende Vormittagssonne. Ein seltsames Gefühl, nicht allein zu sein, ließ sie allerdings den Kopf heben. Sie öffnete blinzelnd die Augen und lauschte, während sie sorgfältig ihre Umgebung scannte. Auf einmal hielt sie inne, die Ohren aufgestellt. Fast lautlos erhob sie sich und schlich geduckt ein paar Schritte vorwärts, drehte sich dann um und legte sich mit Blick auf ihren alten Platz wieder hin. Anschließend schloss sie die Augen. »Drei, zwei, eins ...« Exakt zum Countdown hechtete ein Löwe aus dem hohen Gras und landete genau da, wo sie gerade noch gelegen hatte. Was hätte sie darum gegeben, jetzt sein Gesicht zu sehen! »Hier drüben.« Der Löwe riss den Kopf so schnell herum, dass seine rostbraune Mähne umherwehte und ihm leichte zerzaust wieder um den Hals fiel, doch das schien ihm gerade kaum zu kümmern. Als er die Löwin erkannte, öffnete er halb das Maul, war aber zunächst unfähig, etwas zu sagen. »Hat der große Jäger seine Beute verfehlt?« Tama genoss den Moment, bis er seine Stimme wiederfand, redlich. »Du hast gesagt, du legst dich hier hin und ich kann mich aus irgendeiner Richtung anschleichen.« Tojo klang zwar etwas beleidigt und dennoch sah er sie neugierig an. »Das habe ich ja auch getan, aber dann wurde mir die Sonne zu heiß ...« »Lass den Quatsch, sag es einfach.« »Du solltest besser auf dein Ziel achten.« Tama deutete mit einer Kopfbewegung neben sich. Tojo gehorchte sofort und legte sich dort nieder, dann fuhr sie fort: »Sich anzuschleichen bringt nur dann einen Vorteil, wenn man dabei nicht selbst die Orientierung verliert. Der Sinn dahinter ist ja schließlich, dass du deine Beute siehst, sie dich aber nicht.« »Das ist wie beim Kämpfen – man braucht selbst einen sicheren Stand, um seinen Gegner zu Fall zu bringen. Aber was ist, wenn ich entdeckt werde?« »Dann kannst du immer noch losstürmen. Du musst dir dabei aber immer merken: Wenn die Beute nicht in deine Richtung schaut, kann sie dich nicht sehen. Wenn sie es tut, kann sie dich zwar sehen, das heißt aber nicht, dass sie dich auch entdeckt hat. Handle nie voreilig auf der Jagd.« Daraufhin seufzte Tojo nur. »Was ist? Ist es beim Kämpfen nicht genauso? Du sagst doch immer selbst, dass der Verstand eine gefährlichere Waffe ist als Klauen und Zähne.« »Ja, schon. Aber es geht dabei weniger um bewusstes Denken; es ist vielmehr ein Gefühl. Man hat einfach keine Zeit, sich alles zweimal zu überlegen.« »Dann wirst du dich jetzt ganz schön umgewöhnen müssen.« »Das dachte ich mir schon.« »Und trotzdem willst du es lernen?« »Unbedingt!« Tojo sprang auf. »Lass uns weitermachen.« »Nicht jetzt.« Tama blickte nach oben in den wolkenlosen Himmel. »Über Mittag möchte ich lieber in den Schatten. Was hältst du davon, wenn wir uns ans Wasserloch legen? Manchmal sind da auch ein paar andere Löwinnen.« »Versucht du gerade, mich zu überzeugen?« »Du könntest dich mit ihnen über die Jagd austauschen. Immerhin willst du ja mal mit uns mitkommen.« »Ich und Jagen im Rudel?« Tojo scheiterte daran, ein Lächeln zu unterdrücken. »Ist das dein Ernst?« »Aber was hast du dann vor?« Doch sie kam gleich darauf selbst auf die Antwort und ihre Augen weiteten sich bei der Erkenntnis. »Du willst dich doch nicht mit dem Fremden anlegen?« »Sein Name ist Siri. Und nein, nicht wenn es nicht notwendig ist.« »Ich verstehe nicht«, gestand sie kopfschüttelnd. Tojo lächelte nur und diesmal war es ein ehrliches Lächeln. »Gut so.« Löwinnentratsch So vergingen die Mittagsstunden ohne irgendwelche Zwischenfälle, denn zu dieser Tageszeit stand das Leben im Geweihten Land praktisch still. Lediglich kleinere Tiere, deren Körper der Sonne nicht so viel Angriffsfläche boten, suchten nicht nach Schatten und dazu gehörten selbstverständlich auch Löwenkinder. Doch als wäre das noch nicht genug, war Kopa auch noch heiß darauf, endlich mit seinem Kampftraining beginnen zu können – im wahrsten Sinne des Wortes. »Komm schon aus der Sonne, Kopa. Du holst dir noch einen Hitzschlag.« Doch der Klang der Worte ließ erkennen, dass Simba seinen Enthusiasmus nachvollziehen konnte. Der lag faul an seiner gewohnten Stelle am Fuß des Königsfelsens. Sein Platz war etwas höher gelegen, sodass er einen hervorragenden Überblick über das Rudel hatte und im Gegensatz zu ihnen wurde er nicht von einem Baum beschattet, sondern vom Überhang der Felsterasse. »Wir werden aufbrechen, wenn Kulas Felsen im Schatten liegt. Bis dahin solltest du dich ausruhen, du wirst deine Kräfte noch brauchen.« »Pah!« Der kleine Prinz konnte es nicht lassen und duckte sich spielerisch vor seinem Vater. »Ich kann den ganzen Tag rumrennen.« »Wie du meinst, ich aber nicht. Dann such dir doch wen zum Spielen.« Na klasse. Unglücklicherweise war Kopa bisher das einzige Junge, das nach der Dürre geboren wurde, was Spielkameraden in seinem Alter ausschloss. Sein Onkel Mheetu kam dem noch am nächsten, aber selbst er verbrachte die Mittage nun schon wesentlich lieber im Schatten. Letztendlich fiel ihm nichts Besseres mehr ein und so machte er sich auf den Weg zu den Löwinnen. Vielleicht war ja eine von ihnen gerade gut drauf – oder zumindest durstig, dann könnten sie einen Spaziergang zum Wasserloch machen. »Hallo, mö –« Doch er wurde unterbrochen, als die Löwinnen allesamt auflachten. Irgendetwas in ihrem Kreis schien ihre Aufmerksamkeit fest zu binden. Schließlich drehte sich Nala nach ihrem Sohn um. »Kopa. Ich glaube, du hast die kleine Vitani noch gar nicht richtig gesehen.« Das stimmte. Bisher hatte er sie immer nur im Vorbeigehen bemerkt und auch nie besonders auf sie geachtet. Immerhin war sie sowieso noch zu jung, als dass er irgendetwas mit ihr anfangen könnte. Doch dann bemerkte er, dass das gerade keine Frage, sondern ein Angebot gewesen war ... oder eine Aufforderung, so genau konnte man das nie wissen. Als schob er sich vorsichtig an seiner Mutter vorbei. »Sei aber vorsichtig, sie ist noch klein«, ermahnte ihn Nala. »Und so putzig«, fügte die Löwin neben ihr hinzu. Vitani saß unter aller Augen vor ihrer Mutter und durchwühlte mit den Pfoten die feine Sandschicht, die das steinerne Plateau bedeckte. Dabei bemerkte sie ihn nicht einmal, als er direkt vor ihr stand. »Hallo, ich bin Kopa, Prinz und Thronanwärter.« Es dauerte einen Moment, bis sie reagierte. Aber anstatt dass sie ihn wahrgenommen hätte, sah sie zu den Löwinnen um sie herum, bis sie schließlich seine Pfoten entdeckte. Sie folgte den Beinen aufwärts und ihre Augen weiteten sich vor Schreck. Unter vereinzeltem Gekicher sprang sie auf und suchte Schutz zwischen den Vorderpfoten ihrer Mutter. Zira lächelte liebevoll und legte schützend das Kinn auf ihren Kopf, innerlich machte sie geradezu Luftsprünge vor Selbstgefälligkeit. Kopa musterte unterdessen die Löwinnen um ihn herum. Einige von ihnen waren schlicht und einfach amüsiert, andere hingegen sahen ihn äußerst ernst, fast schon vorwurfsvoll an. »Hab‘ ich was falsch gemacht?«, murmelte er Nala zu, während er sich zu ihr legte, um den allseitigen Blicken zumindest ein wenig zu entgehen. »Nein, aber besonders geschickt hast du dich auch nicht angestellt.« Sie lächelte ihm aufmunternd zu. »Vitani ist einfach noch sehr jung und hat außer ihrer Familie noch keinen Löwen aus der Nähe gesehen.« Kopa spähte hinüber zu Vitani, die nach wie vor in Ziras Schoß lag und interessiert zurückschaute, während ihr ihre Mutter mit der Schnauze zärtlich durchs Rückenfell fuhr. Irgendwie kam ihm der Anblick seltsam vor und er stellte sich vor, wie seine Mutter dasselbe unter aller Augen bei ihm tat. Vielleich wurde er allmählich zu alt dafür, immerhin begann heute ja auch sein Kampftraining. »Mama.« »Ja, mein Schatz.« Kopa sah an ihr vorbei und erkannte Kulas Liegeplatz, der schon zur Hälfte im Schatten des Königsfelsens lag. »Ich muss los. Papa, wollte gehen, sobald Kulas Felsen im Schatten liegt.« Nala folgte kurz seinem Blick, dann sah sie zurück zu ihrem Sohn. »Wenn das so ist, viel Spaß.« Kämpfen Aber so schnell sollte es dann doch nicht losgehen, Kopa musste es nämlich erst einmal schaffen, seinen Vater zu wecken. Er rüttelte an seiner Vorderpfote und zog an seinem Ohr, aber Simba schlief einfach weiter. Schließlich nahm er Anlauf und rannte ihm mit vollem Tempo in die Flanke. Es hatte funktioniert, Simba öffnete träge ein Auge und erkannte seinen Sohn. »Du hast es versprochen«, erinnerte ihn dieser. »Schon gut, schon gut, ich bin wach« Er stieß einen Laut aus, der irgendwo zwischen Gähnen und Brüllen lag, erhob sich und schüttelte den Kopf, sodass seine Mähne wild umherflog. Für einen Moment verlor Kopa den Blickkontakt unter all den verschwommenen rötlichen Schatten, die sein Gesicht verdeckten und als er ihn wiederfand, war sein Vater wie ausgewechselt – hellwach. »So, kann's losgehen?«, hakte Simba nach. Kopa antwortete mit einem breiten Grinsen, aber bevor er noch etwas sagen konnte, war sein Vater bereits davongestürmt. Dabei drehte er ohne anzuhalten noch einmal den Kopf nach hinten und rief ihm zu: »Zeig' mir, wie du rumrennen kannst.« Das ließ sich der junge Prinz nicht zweimal sagen und jagte hinterher. Die beiden tollten ein wenig über die Wiesen und entfernten sich dabei zunehmend vom Königsfelsen. Als Simba dem schließlich Einhalt gebot, fand sich Kopa an ebender Stelle wieder, an der er vor einer Woche seinen ersten Übungskampf mit Mheetu ausgetragen hatte. »Gut, dann lass uns anfangen.« Simba stellte sich ihm gegenüber. »Kampfhaltung!« Wie auf Befehl senkte Kopa den Kopf auf Schulterhöhe und nahm die Vorderbeine etwas auseinander, während sein Vater begann, ihn zu umkreisen. »Du musst beweglich bleiben. Immer die Schulter zum Gegner und den Kopf oben lassen.« Kopa drehte sich ein wenig zur Seite und schlich langsam mit seinem Vater im Kreis, darauf bedacht, ihm die linke Schulter zu zeigen. »Gut so. Dein Gewicht liegt auf den Hinterbeinen. So hast du die Vorderen für den Schlagabtausch frei und du kannst auch besser ausweichen.« Das Gewicht beim Laufen bewusst zu verlagern, war ungewohnt, doch Kopa tat sein Bestes und versuchte, dennoch gleichmäßige Schritte zu machen. Simba ließ ihm einige Umdrehungen Zeit, um sich an die neuen Bewegungen zu gewöhnen. »Die Pfote zum Gegner ist zum Blocken da, die andere zum schlagen. Du solltest jederzeit zu beidem bereit sein, aber im Notfall hat Blocken immer Vorrang.« Sie vollführten noch eine weitere Umdrehung und Kopa konzentrierte sich darauf, die linke Vorderpfote immer nur so kurz wie unbedingt nötig aufzusetzen. Dann, ohne Vorwarnung, sprang Simba auf ihn zu und holte zum Schlag aus. Kopa realisierte kaum, was geschah und auf einmal hörte er seinen Vater sagen: »Ich sagte doch Kopf oben lassen!« Er sah wieder auf und entdeckte seine eigene linke Vorderpfote, die zitternd zwischen seinem Gesicht und der Pranke seines Vaters hing. »Das war sehr gut. Mit der Zeit verlernst du ganz von selbst, den Kopf dabei wegzudrehen, dann blockst du nur noch. Jetzt die andere Richtung.« Das soeben Gelernte zu spiegeln, war besonders schwierig und diesmal war Kopa nicht schnell genug, um den Hieb seines Vaters zu blocken – von der nötigen Kraft mal ganz abgesehen, Simbas Pranke stoppte ohnehin kurz vor seinem Gesicht. »Das ist schwerer, als man denkt«, meinte er und sein Vater nickte bestätigend. Dann sprang Kopa zurück und begann wieder, seitwärts zu schleichen. »Gut so, du gibst die Richtung vor«, sagte Simba und tat es ihm nach. Sie wiederholten die Übung noch ein paar Mal schweigend, bis Kopa es schaffte, auch mit der rechten Pfote einen Hieb abzuwehren. »Okay, das sollte genug sein. Hast du den Unterschied zwischen Links und Rechts bemerkt?« Kopa schnaufte schwer und nickte nur. »Weißt du, woran das liegt?« »Weil ich mit Links angefangen habe.« »Nein, das glaube ich nicht.« Simba drehte sich um und ging zum Baumstamm, um sich sowie vor einer Woche daran niederzulassen. Damit war das körperliche Training anscheinend beendet. »Jeder Löwe hat eine starke und eine schwache Seite. Solltest du einmal in einen ernsthaften Kampf geraten, dann kann es dir einen großen Vorteil bringen, wenn du die schwache Seite deines Gegners erkennst. Gleichzeitig solltest du aber aufpassen, dass dasselbe nicht umgekehrt passiert.« »Deshalb also dieses Im Kreis Schleichen!« Jetzt verstand Kopa. »Was kommt denn häufiger vor – links oder rechts?« »Eine kluge Frage. Leider habe ich keine Antwort darauf, weil kein Löwe freiwillig seine Stärken und Schwächen preisgibt.« »Ja, klar.« Kopa sah seinen Vater leicht schief an, aber er musste es loswerden. »Was tue ich in einem richtigen Kampf?« »Du beobachtest – genau so, wie du es bei Mheetu getan hast. Du hast sein albernes Rumgehüpfe bemerkt und wolltest es ausnutzen, nur hast du dabei genau dasselbe getan und so deinen Vorteil hingeworfen.« Simba atmete tief durch. »So, das war erst einmal die Antwort, die du haben wolltest.« Dann deutete er mit dem Kopf neben sich. Kopa gehorchte und legte sich brav zu ihm. »Du fragst mich, was du in einem echten Kampf tun sollst. Ich muss dir aber zuallererst klarmachen, dass es so etwas wie glorreiche Kämpfe und ruhmreiche Sieger nicht gibt. Gewalt fordert immer Opfer auf beiden Seiten und zwar sowohl körperlich als auch geistig.« Er machte eine kurze Pause und Kopa öffnete schon halb das Maul, hielt seine Frage dann aber doch zurück. »Bei jedem Kampf geht es um irgendetwas. Dabei musst du dir immer überlegen, ob dir das, worum du kämpfst, den Schmerz wert ist. Wenn nicht, musst du eine andere Lösung finden und sei es die Flucht.« »Hast du schon mal um etwas gekämpft?« »Ja, einmal.« »Worum ging es dabei?« Simba sah ihn lange an, bevor er antwortete: »Um unsere Familie.« Dies war eine Geschichte für ein andermal. Löwenspiele ----------- Fünf Wochen vergehen Zunehmend trockene Tage markierten das Ende der Kleinen Regenzeit. Bald schon würde ein kräftiges Unwetter nach dem andern über das Geweihte Land ziehen und der Welt wieder Leben einhauchen. Doch nicht nur in dieser Hinsicht war es die Ruhe vor dem Sturm. Die meisten Löwinnen nahmen an, dass Siri wenn überhaupt noch vor Beginn der Großen Regenzeit wiederkehren würde. Dass ihn hier keiner kannte, konnte nur bedeuten, dass er nicht aus der näheren Umgebung kam, aber derart lange Märsche unternahm kein Löwe gerne im Regen. In diesem Trubel weitgehend unbemerkt wuchsen die vier Nachkömmlinge des Rudels schnell heran. Vitani entwickelte Selbsterkenntnis und reagierte nun immer, wenn man sie beim Namen ansprach. Bald schon war sie alt genug, um mit den drei Jungs mitzuziehen. An Kopas Scheitel sprossen derweil die ersten rostbraunen Haare, während sich die Mähnen von Mheetu und Nuka allmählich auch über den Nacken hinweg ausbreiteten. Wenn sie die Ohren aufstellten, reichten sie den Erwachsenen schon bis zu den Schultern. Hätte es gleichaltrige Löwinnen im Rudel gegeben, dann wäre Nukas Erscheinungsbild mit tiefschwarzer Mähne und gleichfarbigem Kinnbart wahrscheinlich als ansehnlich bezeichnet worden. Doch die Erwachsenen, die längst dieses Alter der wilden Schwärmerei hinter sich hatten, zeigten ihre Zurkenntnisnahme meistens mit Hilfe kleiner Scherze. Ein einfaches Kommentar wie „Bist du aber groß geworden!“ bekam er nie zu hören, nicht einmal von seiner eigenen Mutter. Immer im Vierergespann »Fangen! Du bist dran!« »Warum immer ich?« »Das Glück, erstaunlich ist's, zumeist den Richt'gen trifft.« »Na warte ... Hab dich! Hey, es macht keinen Spaß, wenn du dich immer fangen lässt, Mheetu.« »Bist du dir da so sicher?« Solange hier von Spaß die Rede sein konnte. Für Nuka war das Ganze nichts weiter als kindische Spielerei. Vor allem: Wie sollten die vier überhaupt vernünftig Fangen spielen? Eigentlich war von vornherein schon klar, wer wen fangen konnte und wer nicht. Also ließ er Mheetu mit Kopa und Vitani allein und lief zum Königsfelsen zu den Erwachsenen. »Gehe immer gegen den Wind, viele Tiere verlassen sich auf ihren Geruchsinn«, erklärte Tama Tojo, während sie einen selten genutzten Pfad von der Nordseite des Königsfelsens hinauf zu den Liegeplätzen entlangwanderten. Obwohl die Aussichten auf eine Rückkehr des Fremden schwanden, hatte Tojo darauf bestanden weiterzumachen. Allerdings hatte Tamas Zeit auch ihren Preis. Der Weg führte direkt zu Kulas Felsen und dort fanden sie sie auch zusammen mit ihrem Bruder. Die beiden erhoben sich, als sie ihren Besuch erkannten. Tama ging offen auf sie zu, köpfelte kurz mit Kula und anschließend auch mit Chumvi. »Wie schön, uns alle vier wieder zusammen zu sehen, es ist so lange her.« »Vier? Sag bloß nicht ...« Chumvi sah an Tama vorbei und erkannte Tojo, der noch immer auf dem Absatz stand, von wo aus der Pfad hinunter in die Savanne führte. »Nein, was machst du denn hier?« Er manövrierte schnell um sie herum und baute sich mit einem breiten Lächeln vor seinem Freund auf. Aber bevor er etwas sagen konnte, schritt Kula zwischen sie und vergrub kurz den Kopf in Tojos Mähne. »Endlich sieht man dich mal wieder bei Tageslicht.« »Es ist ja nicht so, als ob er nachtaktiv wäre«, fügte Chumvi hinzu. »Ich tue nur das, was ihr von mir wolltet.« »Abends während der Jagd, ja. Aber ansonsten musst du dich nicht von uns fernhalten.« Chumvi schielte aus dem Augenwinkel hinüber zu Tama und begann, breit zu grinsen. »Nein, sag' es nicht«, fuhr Tojo ihm dazwischen. »Ich habe doch gar nichts gesagt.« »Dann denk' es nicht.« Urplötzlich verschwand das Grinsen aus Chumvis Gesicht. »Zu spät ...« »Dann werde ich dich mal auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Wenn Siri hier wieder auftaucht, will ich nicht, dass er mich genauso leicht entdeckt wie das letzte Mal. Tama hilft mir dabei.« »Wer ist Siri?« »Der Fremde, der vor einem Mond hier aufgetaucht ist. Hat Zira es dir nicht erzählt?« »Was? Aber ...« Weiter kam Chumvi nicht. Völlig entgeistert sah er einen nach dem andern an, bis sein Blick wieder Tojos traf. »Aber dir hat sie es erzählt?« »Sie hat es Simba erzählt.« Tojo seinerseits wich nicht zurück. »Ich war einfach nur dabei.« »Na gut, aber warum sagt mir keiner was?« »Wir dachten, du wüsstest es bereits«, schaltete sich nun Kula wieder ein. »Du willst gar nicht wissen, wie oft ich schon dazu gedrängt wurde, dich auszufragen.« »Ich habe versucht, mit ihr zu reden, aber sie wollte nicht.« Chumvis Blick wurde nachdenklich. »Haltet ihr es für möglich, dass ich –« »Ich will nicht mehr Fangen spielen!« »Also das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.« Gleich nach ihrem Einwurf erkannte Tama, dass der letzte Teil des Satzes nicht von Chumvi sondern von Nuka, der gerade zu ihnen trat, gekommen war. »Oh, aber es geht ja um dich, Kleiner.« »Also, wo liegt das Problem?«, wollte Chumvi wissen. »Sobald Vitani an der Reihe ist, macht es keinen Sinn mehr. Sie kann ja keinen von uns einholen. Um Fangen zu spielen, müssen nun mal alle gleich schnell sein.« »Das kommt ganz auf die Regeln an«, erwiderte Kula, sichtlich enttäuscht von den ahnungslosen Gesichtern ihrer Freunde. »Erinnert ihr euch noch an Malka?« »Jaaa!«, rief Tama in einem Ton, der ihr schräge Blicke von Tojo und Chumvi einbrachte. »Ähm ... Ja, ich erinnere mich.« Allein ihrem Fell hatte sie zu verdanken, dass sie nicht errötete. Aber Tojo brach schnell das unangenehme Schweigen, das darauf folgte: »Malka war mal zu Besuch hier, das war noch zu Mufasas Zeiten. Er war schon etwas komisch und Fangen spielte er ganz anders. Anstatt vor dem, der Fangen musste, wegzulaufen, ist er ihm einfach hinterher gerannt und meinte dann: ›Ich muss, fangt mich doch!‹ Ich meine, er hätte es uns ja erklären können, aber einfach so – das war heftig.« »Auf jeden Fall ist es ein guter Plan, um die drei so richtig zu überraschen«, erkannte Nuka. »Bei mir hat es damals funktioniert«, bestätigte Tama, »und das Spiel ist so auch besser für euch, weil ihr lernt, zusammen zu arbeiten.« Ob Nuka das mitbekommen hatte, war allerdings fragwürdig. »Von wo kam Malka eigentlich?« »Das ist wie bei den beiden – irgendwann war er einfach da und keiner wusste, woher«, antwortete Tojo, ohne groß nachzudenken. »Als er dann aber mit seiner Mutter wieder gegangen ist, sind sie nach Norden gezogen.« Nuka stand das Maul halb offen, während er Chumvi ansah. »Du bist nicht von hier?« »Das ist eine längere Geschichte.« »Nein, eigentlich ist sie ganz kurz«, erwiderte Tojo. »Eines Tages lag er vor der Höhle wie ein verloren gegangener Savannenhase.« »Das ist nicht wahr!« »Stimmt ... du eher wie ein Maulwurf ausgesehen.« »Na warte!« Chumvi sprang einfach so aus dem Stand direkt auf Tojo zu, der behände zur Seite auswich. An den eingefahrenen Krallen war jedoch zu erkennen, dass die beiden nur herumalberten. Während Tama versuchte, die beiden übergroßen Spielkinder zu trennen, wandte sich Kula an Nuka: »Wir haben unsere Mutter seitdem nicht mehr gesehen. Warum sie uns hier abgeliefert hat, haben wir erst viel später erfahren.« »Warum denn?«, hakte der Kleine sofort nach. »Ich würde es dir ja erzählen, aber es ist ein Geheimnis, das ich mit meinem Bruder teile. Rede mit ihm, wenn du mehr wissen willst. Ich werde ihm sagen, dass es für mich in Ordnung ist.« »Okay.« Er schaute kurz zu Chumvi und Tojo hinüber, sah aber gleich wieder Kula an, als sie ihn ansprach: »Geh ruhig wieder spielen, die beiden sind jetzt erst mal nicht mehr ansprechbar.« Das neuaufgelegte Fangspiel Die drei anderen Löwenkinder waren ziemlich erstaunt über Nukas plötzlichen Enthusiasmus, Fangen zu spielen. Vor allem aber waren sie froh, dass er doch wieder mitmachte, und so ging es in die zweite Runde: Mheetu begann wieder. Es dauerte nicht lange, da hatte er Vitani erwischt. »Du bist viel älter«, beschwerte sie sich. »Daran kann ich auch nichts ändern.« »Du könntest langsamer laufen«, warf Kopa ein. »Als ob ich das nicht schon tun würde!« Er wollte gerade zum Gegenangriff ausholen, aber ein Schlag auf die Brust presste Kopa die Luft aus den Lungen. »Hab dich!«, rief Vitani. »Hey, ich hab' nicht aufgepasst!« »Nicht meine Schuld ...« Kopa sah sich nach einem leichten Opfer um und bemerkte, dass Nuka sich noch kaum am Spiel beteiligt hatte, er hatte sich noch nicht einmal besonders viel bewegt. ›Anfänger, den schnapp' ich mir.‹ Doch der hatte nur darauf gewartet. Sobald er Nuka abgeklatscht hatte, rannte dieser los und rief: »Ich muss, fangt mich doch!« Kopa machte ein Gesicht, als hätte er gerade Rafikis Stab an den Hinterkopf bekommen: »Was soll das?« »Es ist eine Idee und sie ist nicht einmal schlecht«, entgegnete Mheetu. »Auf geht's, den kriegen wir! Also hört zu, wir werden ...« Die Neuauflage des Fangspiels funktionierte gut, vor allem weil es wesentlich abwechslungsreicher war als ihre bisherige Variante. Erst unter der prallen Mittagssonne bestand Mheetu auf eine kurze Pause und führte das Vierergespann zum Königsfelsen. Dort fanden sie auf einer kleinen Felsterasse weiter unten am Fuße des Berges Nala und Zira, die schweigend dalagen und wahrscheinlich ihre Jungen beobachtet hatten. Kopa und Vitani zögerten kein bisschen, ihren Müttern von dem Fangspiel zu berichten, das sie soeben gelernt hatten. Für Zira war es tatsächlich neu, aber Nala lächelte Kopa an: »Das habt ihr von Tama, nehme ich an.« »Wie –« »Ich war damals doch auch dabei. Ja, Malka war schon ein schräger Zeitgenosse ... Eigentlich wollte er uns mal besuchen kommen.« »Ach so. Und ich dachte, das wäre Nukas Idee gewesen«, warf Mheetu ein. »Das habe ich nie behauptet«, verteidigte der sich allerdings. Kopa sah kurz zu seinen beiden älteren Spielgenossen, dann wandte er sich wieder seiner Mutter zu. »Wer ist Malka?« »Wir waren damals noch alle Kinder, ich war etwa so alt wie du jetzt. Malka hat sich ins Geweihte Land verirrt und während dein Großvater sich auf die Suche nach seinem Rudel gemacht hat, konnten wir den ganzen Tag lang mit ihm spielen. Wir hatten eine Menge Spaß, als ...« Nuka hörte gar nicht richtig zu, er kannte die Geschichte ja ohnehin schon. Doch plötzlich kam ihm ein Gedanke. »Nala, darf ich Kopa etwas zeigen?« »Was ist es denn diesmal? Wenn's blöd ist, bleib ich lieber hier.« »Nein. Es ist wirklich ein ganz ... besonderer Ort.« »Und wo befindet sich dieser „besondere Ort“?«, wollte Zira wissen. Anscheinend hatte sie ihren Sohn bereits durchschaut. »Ähm, ich habe ihn während des Unterrichts entdeckt. Wir waren unterwegs, irgendwo da hinten.« Er deutete in die Savanne nördlich den Königsfelsens. »Anstatt aufzupassen«, tadelte ihn Kopa. »Aber selbst wenn, da ist nichts als Gras. Was hast du denn gesehen?« »Das zeig' ich dir, wenn wir da sind.« Wirklich überzeugt schien er zwar nicht, doch letztendlich war er irgendwie neugierig. »Na gut. Mama, darf ich?« »Hm ... Was meinst du, Zira?« Das kam überraschend. Kopa hatte es bisher noch nie erlebt, dass seine Mutter sich hilfesuchend an sie gewandt hätte und so sah er Zira nur überrascht an. Dem unsicheren Blick zufolge schien auch Nuka die Wendung nicht zu gefallen. Zira hatte tatsächlich nicht vorgehabt, sie gehen zu lassen, doch als sie beobachtete, wie Mheetu sich hinter die beiden setzte, überdachte sie nochmal – Chumvi hielt nämlich viel von ihm. »Von mir aus.« Die Verwunderung stand den beiden deutlich ins Gesicht geschrieben, wich dann aber schnell der Vorfreude auf das bevorstehende Abenteuer. Nuka wollte schon vorausgehen, doch Zira war noch nicht fertig. »Aber nur, wenn ihr vier zusammen bleibt.« ›Nein, nicht die beiden! So würde es nie funktionieren.‹ Aber es hatte keinen Zweck, jetzt würden sie alle gemeinsam losziehen. Entdeckung Also führte Nuka die kleine Gruppe auf die Nordflanke des Königsfelsens zu, hielt sich dabei allerdings nahe an dem steinernen Monument, sodass sie es schon bald umrundet hatten und die flach ansteigende Rückseite emporblickten. »Wow, hier war ich noch nie!« Vitani schaute begeistert auf den Abhang. »Und was gibt es hier Aufregendes? Von da oben kann man sicher alles sehen.« »Nein, Vitani. Ich denke nicht, dass Nuka uns das Land von der Spitze des Königsfelsens aus zeigen möchte. Das ist ein Privileg der Könige.« Mheetu war an dieser Stelle selbstverständlich schon aufgefallen, dass Nuka seine Mutter angelogen hatte. Aber solange sie im Geweihten Land blieben, sah er sich außer Gefahr, also ließ er ihn einfach machen. »Damit hast du sogar Recht«, bemerkte Nuka. »Und warum halten wir dann an?« Kopa hatte von Anfang an nicht viel von diesem Ausflug gehalten. Was konnte Nuka ihm denn schon Interessantes zeigen? »Vitani hat angehalten, ich wollte eigentlich weitergehen.« Nuka setzte sich in Bewegung. Zunächst führte er sie auf direktem Weg nordwärts, mitten in die offene Savanne hinein, aber nach und nach driftete er immer weiter nach links ab. Die vier Löwenkinder kämpften sich eine Weile schweigend durch das hohe Gras, bis es auf einmal in einer fast geraden Linie abriss. Kurz nach Nuka traten auch Mheetu und Kopa ins Freie, Vitani folgte ihnen auf dem Fuß. »Wow.« Der kollektive Ausruf hallte ein paar Mal in der kargen Landschaft nach. »Was ist hier passiert?« Vitani schaffte es nicht ganz, ihre instinktive Angst unter der ebenso wenig gestellten Neugierde zu verbergen. »Man nennt das eine Narbe«, erklärte Mheetu und warf Nuka einen erbosten Blick zu. Doch der war zu beschäftigt damit, den Wänden zu folgen, die das Gras hinter ihnen bis zum Horizont bildete. Nein, das hier hatte er ihnen nicht zeigen wollen. »Vor einigen Monden hat es ein großes Feuer gegeben, das vom Wind ostwärts getrieben wurde. Das Land hier ist dabei vollständig ausgebrannt und wird noch eine Weile brauchen, um sich zu erholen.« »Warum ist diese Narbe so gerade?«, fragte Nuka unverwandt. »Der Wind hat den Brand auf die Westseite des Landes eingedämmt.« Mheetu schloss sich seinem Blick an. »Aber so gerade wie diese Linie hier ist – ich kann es nicht erklären, das müssen gewaltige Mächte gewesen sein, die da am Werk waren.« »Es ist, als hätte Aiheu selbst den Rest des Landes beschützt«, vollendete Kopa. Mheetu sah ihn kurz mit hochgezogenen Brauen an, dann schloss er die Augen und nickte einmal bestätigend. Anschließend wandte er sich an Nuka: »Du wolltest uns etwas zeigen?« »Aber wir sind doch da«, warf Vitani ein, bevor ihr Bruder etwas sagen konnte. »Nein, sind wir nicht. Ich wusste nichts von dieser Narbe«, erklärte Nuka und sein Blick traf Mheetus, doch er wandte ihn schnell wieder ab, »aber wenn wir ihr folgen, sollten wir es finden.« Und so wanderten die vier weiter nordwärts den Graswall entlang, allerdings war diese Monotonie unheimlich deprimierend. Die ganze Zeit sahen sie rechts von sich eine grüne Wand, die vor ihnen bis zum Horizont reichte und egal, wie weit sie liefen, nichts veränderte sich. Nach einer gefühlten Ewigkeit schien das Gras endlich einen Bogen zu machen, denn in der Ferne schimmerte ein schmaler, grüner Streifen. Mheetu jedoch erkannte, um was es sich dabei tatsächlich handelte: »Ach so, dahin wolltest du ... ich weiß nicht so Recht, ob –« »Seht mal, wir sind schon bald da«, unterbrach ihn Nuka. Die Aussicht, der endlosen Graswand zu entkommen, trieb die Löwenkinder voran und schon bald wurde der Bewuchs zu ihrer Rechten allmählich spärlicher, bis er schließlich ganz einem schmalen Streifen aus steinigem Boden wich. Dahinter war nichts zu sehen außer gähnender Leere, bis sich das Land auf der anderen Seite einer tiefen Schlucht fortsetzte. Sie musste das Feuer damals aufgehalten haben, denn dahinter war das Gras unversehrt, was die Narbe im Geweihten Land aber nur noch hässlicher aussehen ließ. Die Schlucht »Seht mal, da drüben können wir runtergehen!«, rief Nuka und lief auf eine Stelle zu, an der die Felswand eingestürzt war und das herabgesackte Erdreich einen steilen Weg hinunter bildete. »Dieser Ort birgt eine tragische Geschichte.« Nein, diesmal würde Nuka sich nicht von Mheetu die Show stehlen lassen. »Entweder wir hören uns wieder ein langweilige Geschichte an, oder wir finden es selbst heraus«, sagte er zu Kopa und Vitani, aber die erhoffte Zustimmung blieb aus. »Na gut. Wenn ihr damit einverstanden seid, schauen wir uns die Sache näher an.« Auf Mheetu reagierten die beiden dagegen begeistert und stürmten gleich übermütig auf den Abhang zu. »Das geht aber tief runter«, meinte Kopa allerdings, nachdem er über den Rand gespäht hatte. »Und dabei ist es noch eine der kleineren Schluchten hier«, erklärte Mheetu. »Na los, worauf warten wir denn?« Nuka wurde langsam ungeduldig oder er täuschte es zumindest vor. Jedenfalls ging er gleich darauf voran. »Bleibt dicht hinter mir«, befahl Mheetu seinen beiden Schützlingen und folgte ihm. Doch er hatte kaum über die Kante gelugt, da hielt er plötzlich inne. »Ist es sicher?«, fragte Vitani. »Ich denke schon.« Mheetu hatte die Augen auf die gegenüberliegende Klippe geheftet. »Ich dachte nur, ich hätte gesehen, wie sich da drüben was bewegt hat.« Kopa stellte sich neben ihn, konnte aber nichts erkennen. Das Gras war unberührt. »Vielleicht hast du dich geirrt.« »Wahrscheinlich.« Nur schwerlich konnte sich Mheetu von dem Anblick lösen. Jetzt musste er darauf achten, wo er die Pfoten hinsetzte. Der Erdrutsch muss lange her gewesen sein, denn es wuchs bereits stellenweise Gras, das den Löwenkindern guten Halt gab. So verlief der Abstieg ohne weitere Zwischenfälle. Unten angekommen vergewisserte sich Mheetu, dass sie vollzählig waren. »Kopa, Vitani, bei euch alles in Ordnung?« »Ja.« »Wo ist Nuka?« Mheetu schaute auf. Tatsächlich war er nirgends vor ihnen zu sehen. »Na, ihr da unten?« Er war beim Abstieg vom Schuttkegel auf einen Vorsprung in der Felswand geklettert, den er nun weiter entlanglief. »Da hält sich einer mal wieder für besonders wichtig«, bemerkte Mheetu spöttisch und wandte sich dann wieder an seine beiden kleineren Gefährten: »Nun, wenn wir schon mal hier sind, lasst uns ein wenig laufen. Immerhin kann Nuka uns ja nicht ewig da oben hinterherklettern.« »Okay«, meinte Vitani begeistert, aber Kopa blieb starr. »Kopa geht es dir gut?« »Mheetu, du hast doch vorhin gesagt, dass dieser Ort eine Geschichte hat, eine tragische.« Er schluckte. »Ich glaube, ich kann es spüren ... ist das schlecht?« »Weichei!«, ertönte es von weiter oben. »Nein, ist es nicht«, erwiderte Mheetu, ohne weiter auf den Zwischenruf einzugehen. »Diese Geschichte sollte dir allerdings dein Vater erzählen, schließlich ist es seine eigene.« »Aber irgendwas kannst du uns doch sicher erzählen«, drängte Vitani, als sie in Richtung Osten weitergingen. »Ich glaube, ich weiß, warum dein Bruder hierher wollte. Es ist der Ort, an dem die Herrschaft eures Vaters angefangen hat.« »Ach so. Und wie ist das passiert?« »Scar, Bruder! Hilf mir« »Lang lebe der König.« »Aaaaaaahh!« »Neeeiiiinnn!« »Kopa? Kopa, wach auf!« »W-Was?«, stammelte er und blickte in Vitanis besorgtes Gesicht. Mheetu hatte sich nicht gerührt und ließ nur den Kopf hängen. »Tut mir Leid, damit hatte ich nicht gerechnet.« Inzwischen hatte Nuka die drei wieder eingeholt: »Das soll also unser zukünftiger König sein? Ich befürchte ja, dass es ein besonders Bedauerlicher wird!« Endlich gab es etwas, das er wusste und Mheetu nicht, von daher kostete er diesen Moment voll aus. »Was soll das denn jetzt heißen?« Mheetu verengte die Augen, aber als er feststellen musste, wie wenig Wirkung seine Worte bei Nuka hatten, wurde er bereits stutzig. »Das, was du da gerade mitbekommen hast, Kopa, ist ganz normal ... jedenfalls für dich.« Das gab Mheetu jetzt den Rest. Das Maul halb geöffnet starrte er Nuka an, dann sah er zu Kopa und anschließend wieder zurück. »Du weißt, was eben passiert ist?« »Besser«, entgegnete der und schritt gelassen an ihnen vorbei, dann drehte er den Kopf zurück und vollendete seinen Satz, »ich weiß warum!« Kopa rappelte sich schnell wieder auf und lief hinterher, hielt sich aber, nachdem er aufgeschlossen hatte, knapp hinter ihm. »Los, erzähl schon, Nuka!« »Jeder Prinz bekommt genau einen einzigen Einblick in die Vergangenheit seines Vaters und das auch nur, wenn er den entsprechenden Ort betritt. Es ist eine Warnung, damit er nicht denselben Fehler macht wie sein Vorgänger.« »Das gilt dann ja auch für dich. Was hast du gesehen?« »Ich bin jedenfalls nicht zusammengebrochen«, entgegnete Nuka nur kühl. »Komm schon, Nuka, was hast du gesehen?«, drängte nun auch Vitani. »Ähm ... also –« »Du hast gar nichts gesehen«, stellte Mheetu trocken fest. »Vielleicht bist du deshalb nie König geworden.« »Nein, das war nicht meine Schuld.« »Vielleicht ist es auch einfach nur der falsche Ort«, gab Vitani zu bedenken. Die drei Jungs starrten sie allesamt erstaunt an. Sie war jetzt vier Monde alt, gerade genug, um mit ihnen alleine losziehen zu dürfen und da warf sie einen Gedanken ein, auf den keiner von ihnen gekommen wäre. Aber manche Dinge erkennt ein unberührtes Gemüt nun einmal wesentlich einfacher, während sie einem älteren nicht mehr auffallen. Danach war Mheetu der erste, der wieder nach vorne sah. »Ah, wir sind da.« »Wo denn?« »Am Ende der Schlucht.« Vor ihnen begann der Boden stetig anzusteigen und ging nach und nach in einen üppig bewachsenen Abhang über. Anscheinend hatte es hier schon einige Erdrutsche gegeben, die auch noch länger her waren als der, über den sie in die Schlucht gelangt waren. Die Löwenkinder hatten gerade mit dem Aufstieg begonnen, da stellte Mheetu die Ohren auf. Sein Blick wurde auf einmal todernst, während er sich umsah und schnell hinter einem Gebüsch nahe der Felswand in Deckung ging. Die drei anderen folgten ihm ohne Anweisung oder Widerrede. Gleich darauf hörte auch Kopa, wie etwas oben von Norden her ins Geweihte Land kam. Die Kreatur hielt einen Moment vor dem Abhang inne, lief dann aber weiter landeinwärts und folgte der Schlucht auf der anderen Seite. »Was war das?« »Jedenfalls kein Zebra«, entgegnete Mheetu. Doch ansonsten kam nur noch ein Tier in Frage, das groß genug und nicht unbedingt im Rudel unterwegs war. Sie gaben dem Geschöpf noch ausreichend Zeit, um außer Hörweite zu gelangen, dann krochen die vier Löwenkinder aus ihrem Versteck hervor und machten sich auf den Weg nach Hause. Schon für die Strecke hierher hatten sie ewig gebraucht und in der Schlucht hatten sie nicht sehen können, dass die Sonne nur noch gut zwei Baum hoch über dem Horizont stand. Ein denkwürdiger Jagdabend -------------------------- Die Leitlöwin Der frische Abendwind wehte ihr entgegen, als Tama an der Spitze der Steinbrücke stand, die erhaben in die östliche Landschaft stach, und beobachtete, wie der Schatten des Königsfelsens allmählich länger wurde. Sie schloss die Augen, nahm den Kopf ein wenig zurück und ließ die Luft ihr Kinn und die Unterseiten ihrer Ohren streicheln. Dabei freute sie sich nicht nur über die Erfrischung, die der Wind brachte, denn wenn er nicht drehte, dann waren das optimale Bedingungen für die Jagd. Heute Mittag hatte Sarabi sie damit völlig überrumpelt. »Geh zu Tama, es ist ihre Jagd heute«, hatte sie zu der Löwin gesagt, die mit der Erkundungstour an der Reihe gewesen war und ihr hatte Bericht erstatten wollen. Auf diesen Ausführungen basierend hatte Tama sich dann für eine Herde Gnus nördlich des Wasserlochs entschieden. Ebendies prüfte sie nun aus reiner Nervosität nach und versuchte, links in der Landschaft etwas zu erkennen. In der Ferne zeichnete sich tatsächlich eine Bewegung ab, aber die Schatten huschten viel zu schnell über die sanften Hügel. Es war nur das im Wind wogende Savannengras. Obwohl sie damit die Aussage ihrer Späherin nicht hatte bestätigen können, freute sie sich ungemein über ihre Entdeckung, denn die Bewegung war von Ost nach West erfolgt. Wenn der Wind seine Richtung beibehielt, müssten sie keinen großen Umweg machen. Mittlerweile warf der Königsfelsen seinen Schatten schon fast bis zum Wasserloch. Tama hatte es bereits bemerkt und atmete tief durch. Jetzt gab es kein Zurück mehr. In nächsten Moment verkündete ihr Gebrüll, dass den Schwestern eine weitere Jagd bevorstand. Sie beobachtete begeistert das Treiben, das sie ausgelöst hatte, dann schaute sie zurück zum Höhleneingang, vor dem sich die Löwinnen sammelten. Sarabi war auch dabei und sie war es auch, die Tama sogleich ansprach, als jene hinzutrat: »Na, wie fühlst du dich?« »Das ist viel schlimmer als die Jagd selbst.« Die kurzen Ansagen waren für Tama zur Routine geworden, aber gleich selbst vor den Löwinnen zu sprechen, schon allein der Gedanke daran, machte sie ganz nervös. Sarabi hatte dabei immer so sicher und selbstbewusst gewirkt. An regnerischen Tagen hatte sie Ruhe ausgestrahlt und wenn sie mal an einem Abend keinen Erfolg gehabt hatten, dann hatte sie am Tag darauf neue Begeisterung geweckt. Nun kamen auch Chumvi und Kula auf die Felsterasse und brachten die Löwenkinder mit. Vitani wurde getragen und sah ziemlich erschöpft aus. »Puh, geschafft. Und sogar noch vor Nala«, stieß Mheetu erleichtert hervor. »Gut gemacht«, antwortete Chumvi. »Jetzt aber rein mit euch.« Kula setzte Vitani ab und gab ihr einen kleinen Schubser, als sie sich einfach an Ort und Stelle hinlegen wollte. Während ihr Bruder mit der Kleinen in der Höhle verschwand, kam sie hinüber zu den Jägerinnen. »Sarabi?« Die Leitlöwin schaute auf. »Tojo ist schon unterwegs.« Keine Antwort. »Wie gewöhnlich«, fügte Kula mit einem nervösen Lächeln hinzu. »Wo patrouilliert er denn heute?« Auf Tamas Frage hin verschwand das Lächeln augenblicklich aus ihrem Gesicht und sie sah mit großen Augen zwischen den beiden Löwinnen hin und her. »Es ist Tamas Jagd heute, von Anfang bis Ende«, erklärte Sarabi, worauf sich Kulas Miene verstehend aufhellte. »Ach so ... Glückwunsch!« »Noch ist die Beute nicht erlegt«, erwiderte Tama. »Fehlschläge gehören dazu, auch mit ihnen musst du umgehen können«, wand Sarabi ein. »Solange wir alle unverletzt zurückkehren, bin ich zufrieden.« »Heißt das –« »Ja. Wenn alles glatt läuft, wird es meine letzte Jagd sein.« Tama neigte in Ehrerbietung den Kopf. Sie hatte lange mit Sarabi gejagt und fast alles von ihr gelernt. Jetzt ihren Platz einzunehmen, vor allem mit ihrer Zustimmung, erfüllte sie mit Stolz, andererseits überfiel sie auch eine gewisse Unsicherheit. Danach würde sie niemand mehr anleiten, denn genau das wäre von da an ihre Aufgabe. Als sie wieder aufblickte, sah sie Simba aus der Höhle treten. Ohne ein Wort zu sagen, stellte er sich zu ihnen und stillschweigend beobachteten sie alle, wie die letzten Jägerinnen vereinzelt zu ihnen stießen. Als der Strom schließlich abriss, trat er vor die Versammlung und verkündete mit majestätischer Autorität: »Sikuyo indlela yelizwi lobomi. Jägerinnen, wisset, dass, solange ihr diesem Weg folgt, der Geist Aiheus mit euch sein wird. Er wird bei euch sein und eure Klauen und Zähne leiten, auf dass ihr gesund und erfolgreich wiederkehrt.« »Aiheu abamami!« Noch während die allseitige Antwort von der Felswand widerhallte, nickte Simba Tama zu. Sie stellte die Frage, woher gerade er wusste, dass sie heute Sarabis Platz einnehmen würde, zurück und trat einen Schritt vor. Nach den Blicken, die ihr entgegengeworfen wurden, zu urteilen, war ansonsten keine der Löwinnen informiert gewesen und es herrschte eine erdrückende Stille auf dem Königsfelsen. Tama zwang sich, an Sarabis Ansprachen zu denken und begann, mit wackliger Stimme zu sprechen: »Schwestern, eine weitere Jagd steht uns bevor.« Überraschenderweise beruhigte sie das Echo ihrer eigenen Worte, verlieh ihnen trotz ihrer Unsicherheit Tiefe und Kraft. Von dieser unerwarteten Unterstützung beflügelt fuhr sie fort: »Man hat mir zugetragen, dass sich heute Nachmittag eine Herde Gnus nördlich des Wasserlochs niedergelassen hat. Diese Tiere sind zwar für ihre Aufmerksamkeit bekannt, aber der Wind stand schon den ganzen Tag zu günstig, um diese Gelegenheit verstreichen zu lassen. Sie werden uns nicht bemerkten, ehe es zu spät ist. Habt Vertrauen in die Schwesterschaft und wir werden erfolgreich sein.« Einen Moment lang hörte Tama nur den Widerhell ihrer letzten Worte verklingen, doch dann setzten die Löwinnen nach und nach zu ihrem vertrauten Jagdlied an. Während der Klang der altbekannten Verse die Luft erfüllte, wandte sie sich, auf einmal am ganzen Körper zitternd, an Sarabi, brachte aber keinen Laut hervor. Die alte Leitlöwin lächelte nur, ging zu ihr und schmiegte den Kopf kurz unter ihr rechtes Ohr. »Ich werde dir folgen, wohin auch immer du uns führst. Keine der Schwestern denkt anders.« Daraufhin übertrug sich das Lächeln auch auf Tamas Gesicht und bei der nächsten Wiederholung stimmte sie mit ins Jagdlied ein, während sie, die Jägerinnen im Gefolge, von der Felsterasse trabte. Zingela Siyo Der anschließende Marsch war nach dieser aufreibenden Situation das Entspannendste, was Tama bis dahin erlebt hatte. Erst jetzt verstand sie wirklich, warum das Jagdlied immer und immer wieder angestimmt wurde. Als der Mond schon baumhoch über dem Horizont stand, kam schließlich die Gnuherde in Sicht. Das Ausmaß des Zusammenschlusses vor ihr erschrak sie jedoch. Tama schätzte, dass es nicht weniger als fünfzig Tiere sein mussten, womit ihre gewohnte Strategie hinfällig war. Sobald sie die Herde aufschreckten, würden die Gnus in geschlossener Formation bleiben und damit den Löwinnen zahlenmäßig weit überlegen sein. Sie brauchte einen neuen Plan und ließ den Blick über die umliegende Landschaft wandern. Da kam ihr eine Idee und sie drehte sich zu ihren Jägerinnen um. »Okay, wir werden sie aufscheuchen. Das Gelände auf der anderen Seite ist weiträumig und flach. Es sollte uns genügend Platz bieten.« »Was hast du vor? Wir können aus dieser Masse kein Tier herauspicken. Das ist zu gefährlich.« »Das müssen wir auch nicht.« Tama ließ sich von dem Einwand nicht irritieren, vielmehr weckte er den Eifer, ihren Plan tatsächlich umzusetzen. »Wir teilen uns auf. Vier gehen mit Sarabi auf die linke Seite, Sarafina geht mit vier von uns auf die andere.« Die Jägerinnen bildeten wortlos die beiden Gruppen, während Kula bei Tama stehen blieb. »Sehr gut. Konzentriert euch auf das hintere Ende der Stampede und engt die Tiere ein. Das wird sie verlangsamen und vom Rest trennen.« Ein verstehendes Raunen ging durch die Löwinnen. »Das Gleiche machen wir mit der neuen Gruppe wieder, bis sie klein genug ist, um anzugreifen. Falls ein Tier zurückbleibt, gehört es uns.« Tama deute auf sich selbst und Kula. Sie wartete einen Moment auf Widerrede, sah aber nur erwartungsvolle Gesichter. »Gut, dann los.« Die beiden Gruppen verschwanden lautlos im hohen Savannengras. Tama wusste, dass Sarabi und Sarafina mittlerweile ein eingespieltes Team waren, denn es war wichtig, dass sie die Herde von beiden Seiten gleichzeitig aufschreckten, um den Tieren von Anfang an möglichst viel Raum zu nehmen. Kurz darauf ertönte in perfektem Einklang von links und rechts Löwengebrüll und es ging los. Tama behielt bei der Verfolgung immer einen Blick auf die beiden Flankengruppen. Die jeweils fünf Löwinnen liefen in einer Reihe hintereinander und fauchten immer wieder die äußeren Gnus an. Kurz nachdem sich die Herde zum zweiten Mal geteilt hatte, riss eins der Tiere aus und verlangsamte seinen Schritt. Tama holte es schnell ein und schnitt ihm den Weg zurück zur Herde ab. Der Schock über die verlorene Fluchtmöglichkeit machte das Gnu blind für die zweite Löwin, die es verfolgte. Kula überfiel es von hinten und hatte es binnen Sekunden erlegt. Der Todesschrei des verendenden Tiers löste unter den Restlichen, die noch von den anderen Löwinnen verfolgt wurden, Panik aus. Sie verloren die Formation und gaben den Jägerinnen damit ein weiteres Opfer preis. Während Kula, hocherfreut über ihre geschlagene Beute, zum Rudel hinüberging, bemerkte Tama, wie etwas im Savannengras lauerte. Sie ging neben dem Kadaver in Stellung, sowohl bereit, darum kämpfen, als auch zu fliehen. Aber sie richtete sich schneller wieder auf, als der Löwe ins Mondlicht trat. Sternschauer Schon kurz nach dem Abschied der Löwinnen herrschte wieder eine gewisse Betriebsamkeit am Königsfelsen. Während Chumvi bei den Kindern in der Höhle blieb, hatte Simba seinen gewohnten Posten an der Spitze des steinernen Monuments bezogen. Allnächtliche Stille umfing ihn, während er in sämtliche Richtungen nach allem spähte, was sich bewegte. Was man von Chumvi nicht sagen konnte. Unter dem Vorwand, nachzusehen, ob in der Futterkammer genügend Platz für ihre Beute war, hatte er die vier Sprösslinge in der Haupthöhle allein gelassen. »Ich gehe dann mal zu meinem Papa und frage ihn nach dieser Schlucht«, verabschiedete sich Kopa. »Bis später!« »Jaja, geh nur zu deinem Papi«, amüsierte sich Nuka. »Ich denke, das tue ich auch«, entgegnete Vitani. »Was willst du denn von Kopas Vater?« »Nicht zu seinem Vater, zu meinem!« »Er ist nicht –« Nuka stockte, als Mheetu zu ihnen stieß. »Gibt es hier Probleme?« »Nein, Vitani und ich wollten gerade gehen«, antwortete Kopa. »Na dann viel Spaß bei was auch immer ihr vorhabt. Aber vergesst nicht, dass es Essen gibt, sobald die Löwinnen rufen.« Dann wandte er sich an Nuka: »Hey, das in der Schlucht heute. Was auch immer dir damals passiert ist –« »Lass mich in Ruhe!« »Okay ...« Kopa wusste genau, wo er seinen Vater um diese Zeit finden würde. Er meldete sich bei Chumvi ab und wanderte vorsichtig den Pfad entlang, der in einer Spirale um das steinerne Monument von der Felsterasse hinauf zur Spitze des Königsfelsens führte. Als er auf die kleine Aussichtsplattform trat, saß Simba mit dem Rücken zu ihm und sah gerade in die Richtung, in die die Löwinnen davongezogen waren. »Papa?« »Kopa, warum bist du nicht mit den anderen in der Höhle?« Sein Ton war überrascht aber freundlich. Trotzdem ließ er nicht aus den Augen, was auch immer er gerade beobachtete. »Ich wollte mit dir reden.« Kopa wartete, bis sein Vater sich zu ihm umgedreht hatte, dann fuhr er fort: »Wir waren heute bei dieser Schlucht und da hatte ich dann auf einmal so einen komischen Traum.« »Von welcher Schlucht redest du? Es gibt mehrere hier.« Simba schien seine Bemerkung über den Traum gar nicht wahrgenommen zu haben. »Ich kann sie zwar nicht sehen, aber ich glaube, ich kann sie immer noch spüren«, erklärte er besorgt. »Schon den ganzen Abend kann ich an nichts anderes mehr denken.« »Ach so, ihr wart bei der Schlucht.« Die Reaktion seines Vaters erschrak ihn – er wirkte fast erleichtert. »Ich hatte schon überlegt, wann ich es dir selbst zeigen sollte. Jetzt muss ich es aber, wie es aussieht, gleich erklären.« »Was ist passiert? Was habe ich gesehen? Woher weiß Nuka so viel darüber? Warum hilft Aiheu mir, aus deinem Fehler zu lernen?« Simba nutzte die erste Atempause seines Sohnes, um selbst zu Wort zu kommen: »Ich habe keine Ahnung, was du gesehen hast, aber ich denke, ich kann –« »War das der Beginn von Scars Herrschaft?« Ein dunkler Schatten huschte über Simbas Gesicht. »Ja. Woher weißt du das?« »Mheetu«, sagte Kopa nur und legte die Ohren an. »Tut mir Leid.« Er sah zu seinem Vater auf und fragte noch einmal in wesentlich sanfterem Tonfall: »Was ist da passiert?« »Wie du bereits gesagt hast – Scar hat damals die Herrschaft erlangt, aber er hat dazu ein schreckliches Verbrechen begangen. Er hat seinen Bruder, deinen Großvater, getötet.« Kopa kannte zwar die Namen seiner Vorgänger bis zu seinem Ururgroßvater, aber er war nie auf die Idee gekommen, nach Einzelheiten zu fragen. Jetzt schien es ihm fast schon fahrlässig, dass er so wenig über Mufasas Leben wusste. Um wieder etwas zum Gespräch beitragen zu können, versuchte er, sich an genaue Details seiner Vision zu erinnern. Zu seiner eigenen Überraschung fiel es ihm ausgesprochen leicht, er musste nur an die Schlucht denken und sich vorstellen, erneut hindurchzuwandern, schon trat wieder dasselbe Bild vor sein Inneres Auge: Er sah, wie er jetzt wusste, Mufasa, der versuchte, einen steilen Hang hinaufzugelangen. Knapp über ihm erkannte er Scar, der gerade hektisch hin und her schaute. Er schien Kopas Anwesenheit nicht zu bemerken und wartete mit teilnahmsloser Miene, bis sein Bruder den Vorsprung fast erreicht hatte. »Scar, Bruder! Hilf mir!« Der tat so, als hätte er Mufasa just in diesem Moment entdeckt. Scar beugte sich herunter und ein verhohlenes Grinsen zog sich über sein Gesicht, als er seinem Bruder die Klauen in die Vorderläufe jagte. Allein der Anblick verursachte ein seltsames Kribbeln an Kopas Pfoten. »Lang lebe der König!« Mit einem einzigen Ruck riss Scar Mufasas haltgebende Krallen aus dem Gestein und ließ ihn in die Tiefe stürzen. Kopa sah den Löwen wie in Zeitlupe herabfallen und auf einmal packte ihn eine Angst wie nicht von dieser Welt, während eine Stimme hinter ihm in Mufasas Geschrei mit einstimmte: »Neeeiiiinnn!« Kopa riss den Kopf herum, aber die Konturen verfestigten sich nicht wieder, so als würde er sich weiter im Kreis drehen. Mit dem Verklingen des Wehklagens kehrte er wieder in die Realität zurück. Das erste, was er wahrnahm, waren seine Vorderpfoten, beide unversehrt. Dann sah er auf und erkannte seinen Vater, der noch immer ruhig vor ihm saß, wobei seine Neugierde den jungen Prinzen ein weiteres Mal erschrak. Kopa musste sich erst zur Besinnung zwingen, bevor er seine Frage stellen konnte: »Wer hat da gerade geschrien?« Simbas Vermutung schien sich damit bestätigt zu haben. »Du hast es also noch einmal erlebt?« »Ist denn etwas falsch daran?« »Ich bezweifle, dass man es einfach als gut oder schlecht bezeichnen kann.« Damit war Kopa nun überfordert, was seinen Vater aber nicht im Geringsten beunruhigte. »Es ist Zeit für die letzte und wichtigste Stufe deines Unterrichts. Auf dieser Ebene werde ich dir vieles nicht erklären können, sowie es auch nicht immer eine klare Antwort gibt.« »Jetzt?«, fragte Kopa ungläubig. »Ja«, entgegnete Simba. »Du hast mich darauf angesprochen, hier ist deine Antwort. Das, worauf du gestoßen bist, ist zu wichtig, als dass ich dich blind darauf loslassen möchte. Aber lass uns dazu woanders hinsehen, mir behagt der Anblick der Schlucht nicht.« Zwar konnte Kopa weder die Schlucht erkennen und er bezweifelte, dass sein Vater dazu in der Lage war, noch konnte er sich vorstellen, dass sie irgendeine Auswirkung auf seinen Unterricht haben sollte. Aber wie so oft gehorchte er einfach in der Hoffnung, doch noch aufgeklärt zu werden. Simba drehte sich wieder zurück in die Richtung, in die er schon zu Anfang gesehen hatte und wartete, bis sein Sohn an seiner Seite saß. »Kopa ... sieh hinauf zu den Sternen. Die großen Könige der Vergangenheit sehen von dort auf uns herab. Sie sind verantwortlich für deinen Traum.« »Was hast du eigentlich von deinem Vater gesehen?«, brach es aus Kopa hervor. »Was war sein größter Fehler?« »Das habe ich noch nicht herausgefunden. Wo auch immer es geschehen ist, der Ort ist mir wohl bisweilen noch unbekannt.« »Aber dann können sie dir doch gar nicht helfen.« »Natürlich können sie! Es war dein Großvater, der mich vor langer Zeit wieder nach Hause zurückgeführt hat.« »Aber Nuka hat gesagt, dass es nur einmal passiert.« »Ja, sie zeigen dir von sich aus genau einen Fehler deines Vorgängers, aber sie werden immer da sein, wenn du Hilfe brauchst – sowie es dein Großvater damals für mich war. Und genauso wirst du auch immer mit mir reden können, wenn ich einmal nicht mehr hier bin.« »Ich rede aber viel lieber so mit dir.« »Ich weiß.« »Aber Papa?« »Ja?« »Warum habe ich dann deine Erinnerung gesehen? Immerhin ... lebst du ja noch.« »Das war nicht meine Erinnerung.« »Ach so, dann habe ich eine Erinnerung meines Großvaters gesehen!« Kopa klang so erstaunt, man könnte meinen, dass ihn nichts auf der Welt mehr überraschen könnte. Doch er Schein trog: »Aber warum? Warum sehe ich etwas von Großvater?« »Ich weiß es nicht, das Schicksal beschreitet manchmal seltsame Wege. Rafiki ist das beste Beispiel dafür, dass nicht alles vorhersehbar ist.« Der junge Prinz blickte auf in den Nachthimmel, als eine Sternschnuppe darüber huschte und für einen Augenblick einen hellen Schweif hinterließ. Er folgte der Linie und versuchte auszumachen, wie viele Sterne er sehen konnte. Vergebens. Immer wieder verschwanden einzelne und an anderer Stelle schimmerten Neue auf. »Das waren alles Könige?« »Nein, das habe ich nicht gesagt.« »Also kommen wir alle in den Himmel?« »Ich weiß es nicht. Viele der Sterne kenne ich gar nicht.« »Verstehe, es sind einfach so viele ...« Kopa dachte an das, was Simba ihm erklärt hatte, dass es nicht immer eine klare Antwort gebe. Dann erinnerte er sich an die Narbe, die sie heute Mittag entdeckt hatten und da verstand er ihn. Es gab einfach Dinge, die größer waren, Dinge, die ihr Verstand nicht zu erfassen vermochte. Er wusste nicht, wie lange er neben seinem Vater dagesessen und in die Dunkelheit gestarrt hatte, denn es gab nichts, woran sich sein Zeitgefühl hätte orientieren können. Irgendwann ertönte aus der Ferne das Gebrüll der Jägerinnen. Simba schreckte hoch und Kopa wusste auch genau warum. Für gewöhnlich war es das Privileg der Löwin, die die Beute geschlagen hatte, dies auch zu verkünden, aber eben hatten sie fast die ganze Schwesterschaft gehört. Auch wenn sein Vater schnell versuchte, es zu verbergen, als sie hinunter zur Höhle gingen – er wusste, dass etwas nicht stimmte. Auf Streife Es war der letzte Rundgang, den Tojo vor der Großen Regenzeit in den westlichen Landen absolvieren würde, danach wollte er sich näher an der Jagdgruppe halten. Auf seiner Streife nordwärts ließ er den Königsfelsen immer weiter rechts hinter sich. Der Horizont, der dann folgte, war ständig in Bewegung; es war die Graswand, die sachte im Wind wogte. Irgendwo dahinter waren jetzt die Schwestern unterwegs, denen er Rückendeckung gab. Zumindest redete er sich das ein, weil es beruhigend war, zu denken, dass sein Platz genauso wichtig war wie er eines jeden anderen. Ein Geräusch zu seiner linken ließ Tojo herumfahren. Vom ersten Augenblick an wusste er, mit wem er es zu tun hatte – es waren dieselben schweren Schritte, wie er sie schon das letzte Mal gehört hatte, bevor ... Ein weiteres Mal raschelte es, als eine unachtsame Pfote einen kleinen Stein traf und ihn ein Stück durch die Asche zog, diesmal etwas näher. Tojo wusste nicht, ob er entdeckt worden war, aber sowie Tama es ihn gelehrt hatte, ging er dessen ungeachtet in Deckung, allerdings nur so weit, dass er noch seine Umgebung im Überblick behielt. Nein, er war nicht aufgeflogen. Der Eindringling wanderte vor ihm vorbei, ohne etwas zu bemerken. Tojo wartete, bis er den Fremden fast aus den Augen verlor, dann machte er sich an die Verfolgung. ›Gut. Sobald wir in der Savanne sind, bin ich im Vorteil.‹ Und tatsächlich hielt sein Opfer direkt auf die Graswand zu – jetzt hieß es alles oder nichts. Sobald der Eindringling zwischen den Halmen verschwunden war, spurtete Tojo los, wirbelte Asche und Steine auf und erreichte kurz darauf ebenfalls den Grenzwall. Selbstverständlich war das aufgefallen - und zwar mit Absicht. Der Fremde lugte wieder aus dem Savannengras hervor, sah aber nur eine Staubwolke und trat wieder ins Freie, um ihrer Ursache auf den Grund zu gehen. »Du bist hier nicht erwünscht, Siri.« Tojo stand direkt hinter ihm. Der Arme hatte natürlich nicht damit gerechnet, jetzt gerade aus dieser Richtung angesprochen zu werden, und machte einen kleinen Satz vorwärts. Dann erst drangen die Worte bis in seinen Kopf vor. »Soso, du kennst meinen Namen? Dann bin ich hier ja doch richtig.« ›Verdammt! Wie kann man nur so blöd sein.‹ »Wie kommst du denn darauf?« Siri zuckte kurz zusammen, als er merkte, dass auch er mehr als gewollt preisgegeben hatte. Doch seine Augen verengten sich schnell wieder zu schmalen Schlitzen, deren Gelb nur vom rötlichen Leuchten der Pupillen unterbrochen wurde. »Anscheinend kennt mich jemand hier. Als ich gefragt habe, ob ihr in letzter Zeit jemanden aufgenommen habt, habe ich mich nach den Maßstäben meines Alters gerichtet. Deshalb wohl das Missverständnis.« »Sie möchte dich ohnehin nicht mehr sehen.« »Sie? ... hat nichts zu befürchten, ich möchte nur mit ihr reden.« Tojo sah seinen Kontrahenten angewidert an. Er wollte kein Wort glauben, aber vielleicht war ja gerade das die Lösung. »Dann helfe ich dir, sie zu finden!« Er hatte genau das erreicht, was er wollte – Siri starrte ihn völlig perplex an. »Glaubst du mir nicht?« »Kein einziges Wort.« Tojo konnte nicht anders. Ein breites Grinsen überzog sein Gesicht, als er einen Schritt vortrat und sich querstellte, sodass sein eigener Körper den Pfad, den Siri ins Savannengras getreten hatte, versperrte. Dieser verstand die Botschaft und setzte zum Sprung an, war aber bei weitem zu langsam. Noch während sein Gegner in der Luft hing, hechtete Tojo zwischen die Deckung bietenden Grashalme. Siri seinerseits segelte weiter und landete ebenfalls knapp hinter dem Grenzwall, hatte jedoch den Sichtkontakt verloren. Was dann folgte, war das reinste Kinderspiel. Tojo behielt Siri ständig im Auge und lockte ihn immer tiefer in die Savanne hinein. Nach und nach erkannte er sogar einen gewissen Reiz darin, sich immer wieder kurz sehen zu lassen, nur um dann aufs Neue zu verschwinden. Nach einer Weile – Siri musste, seinen Flüchen zu urteilen, schon völlig die Orientierung verloren haben – hörte er massives Hufgetrappel. Tojo erklomm eine kleine Anhöhe, sah zuerst hinter sich nach seinem Verfolger und machte dann vor sich die Jägerinnen aus, die eine Herde Gnus quer durch die Savanne trieben. ›Wenn sich unsere Beute doch nur genauso verhalten würde.‹ Nach einem weiteren Blick zu Siri machte Tojo sich auf den Weg. Er sah, wie eines der Tiere ausriss und fast augenblicklich von zwei nachfolgenden Löwinnen zur Strecke gebracht wurde. Sein Herz schlug noch etwas höher, als er die beiden erkannte. Er lief zunächst auf die restliche Jagdgruppe zu, schüttelte Siri dann ab und schlich hinüber zu seinen beiden Freundinnen. Kula war schon gegangen, aber Tama hatte ihn wohl bemerkt: »Was machst du hier?« »Ich habe nicht viel Zeit, Siri ist mir auf den Fersen.« Sie hatte ja keine Ahnung. »Alles in Ordnung?« »Ich habe ihn hergebracht«, antwortete Tojo mit einem schiefen Grinsen. Tamas Blick wurde auf einmal merkwürdig klar. »Dann verliere ihn nicht! Ich rufe die Schwestern zusammen.« Lala kahle Siri war sich schon fast sicher, diesen frechen jungen Löwen verloren zu haben, als er ein Stück vor sich eine Bewegung ausmachte. Sofort duckte er sich vollends unter das Savannengras und schlich vorwärts, diesmal würde er unbemerkt bleiben. Mit bereits ausgefahrenen Krallen bewältigte er das letzte Stück, das ihn noch von seiner vermeintlichen, ahnungslosen Beute trennte. Ab und zu raschelte es links und rechts hinter ihm, aber er kannte jetzt nur ein Ziel. Dann trat er ins Freie, wo er seine Beute vermutete. Die Gnustampede hatte eine breite Schneise durch das Savannengras gezogen und in deren Mitte stand eine Löwin, die er nicht kannte. »Du bist also Siri«, stellte sie fest. Er ließ sich nicht beeindrucken und schritt weiter voran, worauf sie langsam zurückwich. Doch gerade als er selbst die Mitte des Freilands erreicht hatte, traten aus dem Gras hinter der Löwin noch weitere hervor und ehe er sich's versah, war er von fast einem Dutzend von ihnen umringt. Dann erschien zu allem Überfluss auch noch der Löwe, den er verfolgt hatte, und stellte sich ebenfalls dazu. »Was soll das?«, rief er und sah sich hektisch nach einem Fluchtweg um, doch es gab keinen. Zudem musste er feststellen, dass er keine der anwesenden Löwinnen kannte. Dann fiel sein Blick wieder auf den Löwen. »Du hast gesagt, du bringst mich zu ihr.« »Das habe ich«, entgegnete Tojo erhobenen Hauptes, »aber sie möchte dich nicht sehen, und diesen Wunsch respektiere ich ebenso.« »Eine Lüge! Habe ich dich etwa angelogen?« »Als du sagtest, du wolltest nur mit ihr reden. Allein deshalb ist man nicht so hinter jemandem her.« Tojo trat näher und die Löwinnen taten es ihm nach. Ganz langsam schloss sich der Kreis. »Also nochmal von vorne:« Er betonte jedes einzelne Wort. »Was willst du hier?« Es war offensichtlich, dass er Recht hatte, denn Siri verengte die Augen wieder zu Schlitzen. Anscheinend tat er das immer, wenn er scharf nachdachte. »Das weiß ich, wenn ich mit ihr geredet habe.« Dann schloss Siri die Augen komplett. »Aber ihr lasst mir keine Wahl.« Ohne Vorwarnung hechtete er vorwärts. Sein Ziel war die Löwin zwei Plätze rechts von Tojo – Nala, doch er wurde noch in der Luft gebremst, als ihm eine andere der Jägerinnen von der Seite dazwischen sprang. Die beiden landeten direkt zu Tamas Füßen und Siri schaute auf. Seine Schnauze war bereits voller Blut. Sie wollte sich schon auf ihn stürzen, ungeachtet dessen, wie unterlegen sie ihm gewesen wäre, als sie die Löwin erkannte. Sarabi keuchte schwer, während Blut, das aus mehreren Halswunden quoll, das zertretene Gras vor ihr im Mondlicht schimmern ließ. Der Schock hatte alle Schwestern auf der Stelle gelähmt. Siri nutzte die Gelegenheit und spurtete durch die Lücke, die Sarabi gelassen hatte. Eine der Löwinnen erwischte ihn noch am rechten Hinterlauf und kratzte Fell und Haut herunter, dann war er entwischt. Keine der Jägerinnen rührte sich und außer Sarabis leisem Stöhnen war es ruhig. Alle Blicke waren auf Tama gerichtet, die sich zu der alten Leitlöwin hinunter beugte. Es bedurfte keiner Worte, zu sagen, dass sie die Nacht nicht überleben würde. »Ich habe wieder versagt.« »Nein ... diesmal war ich ... zu langsam.« »Nicht sprechen, das macht es nur schlimmer!« Ihr sonst so gefasster Gesichtsausdruck wich nun blanker Hilflosigkeit. In Verzweiflung sah sie auf und wandte sich an die Löwin, die Siri am nächsten gewesen war: »Hast du ihn schwer verwundet?« Doch die sah nur auf ihre blutbefleckten Krallen und schüttelte dann den gesenkten Kopf. Danach fiel es Tama ungeheuer schwer, wieder hinabzusehen. »Sarabi, soll ich Simba holen?« »Nein ... hör mir zu. Die Schwestern ... sie vertrauen dir ... so wie ich. Du und Tojo ... vergesst nie ... was heute Nacht passiert ist.« »Bitte, du darfst nicht sterben.« Tränen, getrieben von Wut, Verzweiflung und Schmerz, rannen an ihrer Schnauze herab. »Nicht so!« »Spielt es denn eine Rolle? Ich war schon lange bereit dafür. Aiheu abamami!« Ihre Flanke hob und senkte sich noch ein letztes Mal, dann rührte sie sich nicht mehr. Nun konnte Tama sich nicht mehr zusammenhalten, ihre Beine schienen nachzugeben und am liebsten wäre sie einfach eingeknickt und liegen geblieben. Aber dann spürte sie eine Berührung. Wenn auch zögerlich, legte Tojo sanft seine Vorderpfote auf eine der ihren. Erst wollte sie sie zurückziehen, doch dann vergrub sie fast schon ruckartig den Kopf in seiner Mähne und ließ allen Kummer heraus. Währenddessen traten die Schwestern der Reihe nach vor, wobei eine jede von ihnen ihre alte Leitlöwin mit den Worten »Lala kahle.« sachte mit der Schnauze anstupste. Als letztes wiederholte Tama persönlich die Prozedur und sah dann durch die Reihen der Löwinnen. Trauer, Wut und Unsicherheit erfüllten ihre Gesichter, aber darüber hinaus erkannte sie, dass sie alle zu ihr aufsahen. Sie hatten sie akzeptiert. Dann reckte sie den Kopf zum Himmel und stieß ein wehklagendes Gebrüll aus, in das die Schwestern schnell einstimmten. In memoriam ----------- Böses Erwachen Die Nacht war schon weit vorangeschritten, als am Königsfelsen endlich Ruhe einkehrte. Zira hatte diesmal nachgegeben und schlief Seite an Seite mit Chumvi. Der hatte seinen Kopf in ihren Nacken gebettet, um deutlich zu machen, dass sie bei ihm in Sicherheit war. Irgendwann am frühen Morgen spürte er dann, wie sie sein Vorderbein umklammerte und den Kopf fest an seine Brust drückte. »Ich lasse nicht zu, dass dir etwas passiert«, flüsterte er ihr ins Ohr. Was er allerdings nicht wusste, war, dass sie im Traum bei einem ganz anderen Löwen lag. Ziras Griff wurde derweil immer fester, bis sie plötzlich aufschreckte, sich losriss und vor ihm zurückwich. Noch halb im Schlaf schlug Chumvi hart mit dem Kinn am Boden auf, bevor er überhaupt realisierte, was gerade passiert war. Zumindest hatte sie nicht geschrien und damit die Kinder geweckt. Dann sah er wieder zurück zu Zira. Sie lag da wie ein Häufchen Elend und versuchte gar nicht, es zu verbergen. Chumvi zuckte nur kurz mit dem Kopf Richtung Ausgang, verließ wortlos die Höhle und legte sich wieder hinter die erste Biegung. Doch diesmal musste er nicht lange warten. Sie war ihm zwar nicht gefolgt, kam aber schnell nach, stieg über ihn hinweg und legte sich dann ihm gegenüber nieder. Zira öffnete ein, zwei Mal das Maul, besann sich jedoch immer im letzten Moment, sodass sie in ein ungewolltes Schweigen verfielen. »So kann es nicht weitergehen«, sagte Chumvi schließlich. Obwohl er keine Antwort bekam, war er sich fast sicher, dass sie wusste, was er meinte. »Siri hat gestern zugegeben, dass er hinter dir her ist, auch wenn ich nicht glaube, dass er nur mit dir reden will. Würdest du dich nicht so seltsam verhalten, würde ich ihm gar nichts glauben, aber irgendwas war zwischen euch.« Zira machte keinerlei Anstalten, auf ihn einzugehen. »Warum willst du es nicht erzählen?« »Weil mir keiner wiedergeben kann, was er mir genommen hat.« Eigentlich hatte Chumvi keine Antwort erwartet. Demnach dauerte es einen Moment, bis er seine Stimme wiederfand: »Und was ist mit dem, was du jetzt hast? Bedeutet dir das nichts? Er hat schon eine von uns getötet – wer weiß, was noch passiert.« »Soll das heißen, es war meine Schuld?« »Nein ... vielleicht ... Ich weiß es nicht, woher auch? Wir haben keine Ahnung, was Siri hier überhaupt will. Womöglich hätten wir es verhindern können, wenn wir vorher Bescheid gewusst hätten, aber letztendlich sind wir jetzt immer noch nicht schlauer als vorher.« »Also doch.« »Rede mit mir, nur dann kann ich dir helfen.« Sie antwortete nur mit einem schwachen Kopfschütteln, ohne ihn dabei anzusehen. Wenn es so nicht funktioniert ... Chumvi wechselte zu einem möglichst teilnahmslosen Tonfall: »Simba wird dich heute wieder darauf ansprechen. Ich weiß nicht, was er anders macht, aber anscheinend hat er mehr Erfolg. Zumindest weiß ich diesmal auch etwas davon.« Er machte sich daran, aufzusehen. »Warte!« Angebissen! Er ließ sich nichts davon anmerken und legte sich wieder hin. »Du wusstest also nichts davon?« »Nicht bis heute Mittag.« »Hat es dir keiner erzählt?« »Alle dachten, ich wüsste es schon von dir.« »Nein. Es einmal zu erzählen, war genug.« »Dann denk‘ mal darüber nach, wie es jetzt aussieht. Ich habe Simba schon gestern gesagt, dass es nicht deine Schuld war und er glaubt mir auch ... aber er ist verletzt und er will Antworten. Er wird wieder auf dich zukommen und was wirst du ihm diesmal sagen? Die Wahrheit?« Sie antwortete ihm nicht, aber er wusste, dass er sie jetzt genau da hatte, wo er sie haben wollte. »Du musst es nicht tun. Du kannst mir hier und jetzt erzählen, was passiert ist – warum er hinter dir her ist. Dann wird dich jeder andere damit in Ruhe lassen, ich verspreche es.« Zira schloss die Augen und atmete tief durch, ihre Entscheidung war gefallen. Dann begann sie, zu erzählen, von Anfang bis Ende. Die Wahrheit Das Gestein bröckelte, als Simba mit aller Kraft versuchte, den Steilhang hinaufzugelangen. Er schaute auf und erblickte knapp außer Reichweite einen Vorsprung. Unter Mobilisation seiner letzten Reserven schlug er die Krallen in den Fels und versuchte, sich hinaufzuziehen, fand mit den Hinterläufen jedoch keinen neuen Halt. Plötzlich trat ein Löwe an den Abgrund und sah zu ihm herunter. Schon nach einem kurzen Blick in seine Augen konnte Simba sich nicht mehr davon losreißen. Die gelbe Iris war vor dem gleichfarbigen Augapfel nicht zu erkennen, was den Fremden halb wahnsinnig aussehen ließ. Er war Siri noch nie begegnet, aber er war sich sicher, dass er genauso aussehen würde. Er wollte sich zur Seite weghangeln, aber es war zu spät. Siri schlug die Klauen in seine Vorderpfoten und Simba brüllte vor Schreck. Doch auf einmal kam ihm die Situation merkwürdig vertraut vor, also wandte er den Blick nach rechts und seine Befürchtungen bestätigten sich. Unweit der Szene stand Kopa auf einem anderen Vorsprung und beobachtete die beiden. Simba wusste, was gleich geschehen würde, aber sein einziger Gedanke war, dass Kopa es nicht sehen sollte. Der Wunsch wurde ihm verwehrt. Siri riss seine Krallen aus der Felswand und ließ ihn abstürzen. Die Schreie von Vater und Sohn vereinten sich. Der schmerzhafte Aufprall blieb jedoch aus, denn kurz davor erwachte Simba aus seinem Traum. Es war noch früher Morgen, selbst Kopa lag noch auf seinem Platz gleich neben seinen Eltern und schlief. Simba kuschelte sich noch etwas fester an Nalas Flanke, aber er traute sich nicht, wieder einzuschlafen. Also lag er noch eine Weile wach, bis ihn seine herumschwirrenden Gedanken so sehr plagten, dass er es nicht mehr ertrug. Ganz vorsichtig stand er auf und sah noch einmal zu Nala hinab, wobei er bewusst darauf achtete, den Blick nicht über Sarabis leeren Schlafplatz schweifen zu lassen. Dann machte er sich auf den Weg nach draußen, obwohl es noch nicht einmal richtig dämmerte. Trotz der frühen Stunde hörte er im Gang Stimmen, auch wenn er kein Wort verstand. Simba schenke dem keine Beachtung, er wollte jetzt nur an die frische Luft. Draußen starrte er einen Moment lang auf die Steinbrücke, die majestätisch in den Nachthimmel ragte, wandte den Blick dann aber unter Mühen ab und setzte sich anstatt dessen an den rechten Rand der Felsterasse, sodass er nicht annähernd in die Richtung sah, in der der Kadaver seiner Mutter lag. Einige Sterne überleuchteten noch das erste, schwache Tageslicht. »Warum musste sie gehen?« Er wartete, wenn auch nicht auf eine Antwort – er wollte, dass etwas geschah. Doch tief im Inneren wusste er, dass es vorbei war. Sarabi hatte sie verlassen und sie kam nicht mehr zurück. Seine Mutter, sein Vater, nicht einmal sein Onkel Scar hatte lange genug gelebt, um eines natürlichen Todes zu sterben. War das der Preis, den sie alle zu zahlen hatten? Der Klang von Schritten in der Höhle ließ ihn zusammenzucken. Simba schaute zum Eingang, konnte in der Dunkelheit aber nichts erkennen. Er hatte sich gerade damit abgefunden, sich geirrt zu haben, als Chumvi aus dem Schatten trat, wobei er ebenso überrascht schien, Simba hier anzutreffen. »Simba?« Der nickte ihm nur kurz zu und schaute dann wieder in die Ferne. »Störe ich?« »Für dich habe ich immer Zeit.« »Nein, das ist es nicht ... Ich bin eigentlich hier, um nachzudenken.« Er sah einen Moment lang auf Simbas Profil, der den Blick wieder in weite Ferne gerichtet hatte – weiter, als das Auge sehen konnte. »Doch, ich wollte mit dir reden.« Simba ließ sich etwas Zeit, bis er den Kopf zurück zu seinem Freund drehte. »Worüber denkst du nach?« Sein Ton war hilfsbereit, brüderlich. »Es ist Zira, heute Nacht ... ich meine heute Morgen ... sie ist –« »Fang vorne an.« »Sie hatte Alpträume.« »Heute Nacht wundert mich das nicht. Habt ihr darüber geredet?« »Ja, über alles: Über Siri, über ihr altes Rudel – sie hat mir alles Wichtige erzählt.« Simba zog kurz überrascht die Augenbrauen hoch, doch etwas trübte das alles noch: »Wo liegt dann das Problem?« »Keine Ahnung. Als sie fertig war, hat sie nichts gesagt, sondern ist einfach aufgestanden, zurück in die Höhle gegangen und hat sich zu den Kindern gelegt.« Chumvi wurde immer leiser, bis Simba ihn nicht mehr verstand, wobei er aber noch ein einziges Wort aufschnappte: »... eiskalt ...« Er überlegte gerade noch, was er sagen sollte, da sah Chumvi wieder auf: »Ich fürchte, es war nicht gut, an diese alten Wunden zu rühren.« »Es war richtig.« Doch das reichte nicht, um ihn zu überzeugen. »Es tut weh, wer weiß wie sehr, jeder geht anders mit seinem Schmerz um. Gib ihr Zeit – wenn sie dich braucht, wird sie zu dir kommen.« Chumvi nickte dankbar und die beiden überblickten wieder gemeinsam in die südliche Savanne. Währenddessen wurde der Himmel immer heller, die Sterne verblassten und der östliche Horizont begann, gelb zu schimmern. Ein kurzer Windstoß bauschte den Löwen kräftig die Mähnen auf, aber es war keine gewöhnliche Brise. Durch einige mitgetragene Grashalme war genau zu sehen, welchen Weg die Luft nahm: am Höhleneingang vorbei, zurück über die Felsterasse bis nach vorne an die Spitze der Steinbrücke. Von dort wehte der Wind hinunter zu den Liegeplätzen, durchstieß die Krone einer der Schirmakazien und trug einige der Blüten hinfort. »Vater.« Simba schaute lange hinterher, auch wenn sich die winzigen Punkte schnell vor der aufgehenden Sonne verloren. ›Was hat das zu bedeuten?‹ Dann wurde ihm wieder klar, dass er Publikum hatte und er drehte sich zu Chumvi um. »Ich muss es wissen.« »Aber nicht jeder.« »Nicht was passiert ist, nur was es für uns bedeutet. Du kannst dich auf mich verlassen.« Chumvi drehte sich von ihm weg und sah in die Ferne, von wo aus der große Fluss im Süden zu ihnen strömte. »Du weißt, von wo Zira kommt?« »In etwa.« »Sie haben direkt am Fluss gelebt, ansonsten ist das Land dort zu trocken. Das Rudel war klein, aber sie waren wie eine Familie ... bis Siri kam. Er hatte damals gerade den Sprung zum Löwen hinter sich und trotzdem hat er es irgendwie geschafft, ihren König zu besiegen und seinen Platz einzunehmen.« Zwar klang das alles für Simba wirklich unschön, aber etwas schien noch zu fehlen. »Was ist mit dem alten ...?« »Nie wiedergesehen.« »Und Zira war seine –« »Nein, aber ... Siri hat anschließend alle anderen Löwen aus seiner Blutlinie beseitigt.« Simba hielt einen Moment lang den Atem an, dann stellte er die Frage, auf die er fürchtete, keine Antwort mehr zu bekommen: »Wer?« »Sein kleiner Bruder. Er war noch zu jung, um sich irgendwie zu wehren.« Simba rechnete kurz nach – immerhin wusste er, dass Zira schon zu seinen Kindheitstagen im Geweihten Land gewesen war. Sie und der Arme konnten noch kein Paar gewesen sein, aber vielleicht schon verliebt. Doch er traute sich nicht, nachzufragen, anstatt dessen lenkte er auf ein anderes Thema: »Warum ist Siri jetzt hinter ihr her?« »Die Partnerin des alten Königs ist sofort geflohen. Wahrscheinlich hat er die letzten Jahre damit verbracht, sie zu suchen. Ob er sie gefunden oder aufgegeben hat ... ich weiß es nicht, aber es spielt auch keine Rolle für uns.« Jetzt zeigte Chumvi zum ersten Mal eine Regung, als er ihn fast schon bittend ansah: »Oder?« »Trotzdem verstehe ich es nicht.« Doch als Simba darüber nachdachte, was einen Löwen zu solchen Taten bewegen könnte, kam ihm sein Onkel in den Sinn. »Aber vielleicht werde ich das auch nie. Ich sehe keinen Grund, der rechtfertigen würde, ihm Zira auszuliefern – sie ist hier sicher.« »Nkosi aka Nkosi Ich danke euch.« Simba stutzte, aber er beließ es bei der formellen Anrede und so verfielen die beiden wieder in Schweigen, während der Tag anbrach. Erinnerungen Schon am frühen Vormittag hatte sich der Großteil des Rudels am Ort des Geschehens versammelt, allein die Kinder waren unter Ziras Aufsicht zu Hause am Königsfelsen geblieben. Sie hatte sich freiwillig hierfür gemeldet, weil sie befürchtete, in Gegenwart von Sarabis sterblichen Überresten allzu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Immerhin hatte sich schnell herumgesprochen, hinter wem Siri tatsächlich her war. Simba sah den Kadaver seiner Mutter heute zum ersten Mal. Am Abend davor hatte er gerade mit Chumvi darüber diskutiert, was den Jägerinnen zugestoßen sein könnte und ob sie nachsehen sollten, da war Tojo mit der Nachricht eingetroffen. Anschließend hatte keiner von ihnen mehr wirklich Appetit gehabt und so hatten sie den Kindern von einer missglückten Jagd erzählt, während die Löwinnen bis auf Tama und Sarafina, die Totenwache hielten, gemeinsam die erlegten Gnus zum Königsfelsen schleppten. Keine der Schwestern beklagte sich, denn so hatten sie etwas zu tun und am Ende waren sie alle erschöpft in den Schlaf gefallen. Zudem hatte Simba noch in der Nacht Zazu nach Rafiki geschickt, der sie heute Morgen hier schon erwartet hatte. Wer weiß, die früh er aufgestanden war oder ob er überhaupt geschlafen hatte, denn Sarabi sah mittlerweile überhaupt nicht mehr schlimm aus: Etliche Blüten schmückten ihren toten Körper und überdeckten geschickt die Wunden am Hals und das blutgetränkte Gras. Für einen kurzen Moment hatte Simba tatsächlich den Eindruck, dass seine Mutter einfach nur schlief und die Versammlung und die Blumen nur ein Streich ohne wirkliche Pointe waren. Doch seine Tagträumerei fand ein jähes Ende, als Rafiki neben Sarabis Kadaver trat und begann, zu den Löwen zu sprechen. Er nannte Sarabis wichtigste Verwandte und erzählte von ihrem Leben: Wie sie ihn schon als Junges besucht hatte, wie sie später Königin des Geweihten Landes wurde, nur um alles zu verlieren und wie all die Freude mit Simba wieder zurückgekehrt war. Nach all dem hatte sie es verdient, ihre letzten Tage so unbeschwert zu verbringen. Dann war Tama an der Reihe. Sie berichtete von Sarabis Leben als Leitlöwin der Jagdgruppe: Sie begann damit, wie sie selbst als junge erwachsene Löwin fast ohne Jagderfahrung zu den Schwestern gekommen war, erzählte von ihrer ersten Jagd, ihrer ersten Beute und wie sie anfing, von Sarabi zu lernen, um später ihren Platz einzunehmen, was sie nun weitaus früher tat, als ihr lieb war. So teilte nach und nach jeder seine bedeutendsten Erinnerungen an die Verstorbene mit den Anwesenden, während die Sonne immer höher kletterte und den letzten Rednern allmählich unangenehm heiß aufs Fell brannte. Den Heimweg bewältigten sie danach schweigend in der prallen Mittagshitze, aber auch ansonsten war keiner von ihnen besonders erpicht auf Gespräche, denn jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Simbas geistige Ausflüge führten ihn zurück zum heutigen Morgen und dem, was er gesehen hatte. Also verlangsamte er seinen Schritt, bis er mit Rafiki, der in der Prozession an zweiter Stelle ging, gleichauf war. »Du bist nicht unser erster Besucher heute.« »Ah, der alte Fuchs – ich hätte es wissen müssen. Was hat er denn gesagt?« »Naja«, Simba legte verlegen den Kopf schief, »genau das ist mein Problem.« »Verstehe.« Rafiki sah nach vorne zum Königsfelsen, an dem nun allmählich immer mehr Details zu erkennen waren. Er meinte sogar, einen kleinen Löwen an der Spitze der Steinbrücke stehen zu sehen. »Dann erzähl doch mal.« »Nun, er ist aufgetaucht wie sonst auch immer, dann ist er vom Höhleneingang nach vorne zur Steinbrücke und da ist dann etwas sehr Merkwürdiges passiert. Auf einmal ist er nach unten abgedreht und hat ein paar Blüten von einem Baum geweht, dann ist er verschwunden. Warum dieser Umweg?« »War denn etwas Besonderes an diesem Baum?« »Nein, es war der, an dem ich als Kind immer gelegen habe, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass –« »Bei deiner Mutter, nehme ich an?« »Ja, natürlich bei meiner Mutter, ich meine ... natürlich! Das war früher mal ihr Liegeplatz.« Mit dem Alter war Sarabi auf die höher gelegenen Plätze ausgewichen, deshalb war Simba dies nicht sofort aufgefallen. Wenig später stand die gesamte Versammlung im kühlen Schatten, den der Königsfelsen vor der Höhle warf. Rafiki saß, die Füße auf die Oberschenkel gelegt, vor dem Rudel, während die Steinbrücke hinter ihm im gleißenden Sonnenlicht fast schon blendete. Die Erwachsenen hatten einen großen Halbkreis gebildet, aber die Kinder saßen direkt vor ihm. Vitani hatte die Vorderpfoten über sein linkes Bein gelegt und er kraulte sie im Gegenzug sachte im Nacken, während er seine Geschichte vortrug. Mwezis Reise Zum Anbeginn unseres Wissens war das Land immergrün, denn der Geist Aiheus war allseits und allgegenwärtig. Er begleitete seine Kinder auf Erden und nahm sie bereitwillig in Empfang, wenn ihre Zeit gekommen war. Es war zwar eine schöne Welt, in der unsere Vorfahren damals lebten, aber all das stand in keinem Vergleich zu Aiheus Reich, wo unser aller Reise enden soll. In eine dieser frühen Generationen wurde ein Löwe namens Mwezi geboren. Er hatte eine unbeschwerte Kindheit und genau im richtigen Alter fand er eine Löwin, der er sein Herz schenken konnte. Schon wenig später formte ihre Liebe den ersten Nachwuchs und seine Gefährtin verabschiedete sich, um die Kinder an einem sicheren Ort zur Welt zu bringen. Mwezi war überglücklich. In seinem Leben hatte es nie ein Problem, nicht das kleinste Bedenken gegeben und schon bald wäre es perfekt. Es geschah allerdings, dass er, gerade als seine Gefährtin zurückerwartet wurde, einer schweren Krankheit erlag. Er starb schließlich in Ungewissheit, ob sie die Geburt überlebt hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben gab es etwas, das er ändern wollte, aber nun war er machtlos. Sein Weg führte ihn zu Aiheu und er wurde willkommen geheißen: »Mwezi. Du hast nie gebetet, aber du hast an mich geglaubt und meinen Namen in Ehren gehalten. Mein Reich steht dir offen.« Mwezi warf einen Blick ins Paradies und es war perfekt. Es gab weder Sorgen noch Leid, doch das erinnerte ihn wieder schmerzlich an sein eigenes Leben. Nein, er glaubte nicht, dass er hier jemals so glücklich sein könnte wie zuvor. »Ich muss zurück.« »Es gibt keinen Weg zurück.« »Es muss einen geben und wenn es ihn gibt, dann werde ich ihn finden.« »So soll es sein.« Damit wandte Aiheu den Blick von ihm und es wurde dunkel um Mwezi. Er erwachte schließlich unter einem Affenbrotbaum, allerdings wusste er nicht, wo er war, nur wo er hin wollte. Vier Tage und fünf Nächte dauerte seine Reise, bis er schließlich seine Heimat wiederfand. Mwezi lief zu seinen Freunden und erzählte ihnen seine Geschichte und von ihnen erfuhr er auch, dass er nun Vater war. Sein Leben schien nun endlich perfekt zu sein, als er seine Gefährtin zusammen mit seinen Kindern sah. Mwezi trat auf seine Familie zu, doch der Blick in ihren Gesichtern, als sie ihn erkannten, erschrak ihn. Sie hatten damals bei seinem toten Körper gelegen und um ihn getrauert, er war von ihnen gegangen und jetzt stand er wieder vor ihnen. Sie hatten Angst. Also erzählte er ihnen von allem und als er fertig war, sah er das Glück in den Augen seiner Gefährtin wieder. Sie kam zu ihm, drückte sich fest an seine Seite und er wartete darauf, dass es auch ihn ergreifen würde, doch es geschah nicht. Und da erkannte er die wahre Bedeutung der Worte Aiheus. Der Weg zurück auf Erden war leicht zu bewältigen, aber es gab keinen Weg zurück ins Leben. Seine irdischen Bindungen und damit all die weltlichen Empfindungen waren in dem Moment erloschen, in dem er gestorben war. Mwezi musste es nicht erklären. Ein kurzer Blick zu seiner Gefährtin genügte, um zu sehen, dass auch sie wusste, dass er nicht bleiben konnte. »Ich werde euch wiedersehen.« Mit diesem Versprechen verließ er sie und kehrte zurück zu dem Baum, unter dem seine Reise begonnen hatte. Es geschah nichts, also legte er sich an den Stamm und versuchte zu schlafen. Als er erwachte, sah er eine Gestalt vor sich und er wusste sofort, wem er gegenüberstand. »Wie ich sehe, verstehst du mich nun, also frage ich dich diesmal: Bist du bereit, mich zu begleiten?« »Das bin ich.« So verließen sie gemeinsam diese Welt, doch ihre Geschichte geht noch weiter. Mwezis Freunde wussten nun vom Paradies und seiner Versuchung und mit der Bestätigung die sie hatten, war die Versuchung groß. Als sich die Nachricht weiter verbreitete, fielen dem immer mehr zum Opfer und schließlich brach ein gewaltiges Chaos aus, als sich zahlreiche Tiere das Leben nahmen. Nur eines wussten sie dabei nicht – Aiheu musste sie alle abweisen, denn ihre Zeit war noch nicht gekommen. Anschließend kehrten sie auf die Welt zurück, allerdings waren sie, so wie Mwezi, nicht mehr richtig lebendig. Das Grauen, das Aiheu sah, war unvorstellbar, aber er kannte dessen Ursprung, also suchte er einen alten Freund auf. »Mwezi, siehst du das Leid? Obwohl es nicht deine Absicht war, so bist du doch derjenige, der es über meine Kinder gebracht hat und damit bist du der einzige, der es wieder von ihnen nehmen kann.« »Sagt mir nur, was ich tun soll.« »Du weißt es bereits.« Fest entschlossen kehrte Mwezi zurück auf die Welt und suchte jedes verendende Tier auf, das er spürte. Diejenigen, deren Zeit gekommen war, schickte er auf die Reise. Die anderen ließ er wieder soweit genesen, dass sie überleben würden, doch ihre Verletzungen und Alpträume um den geheimnisvollen Löwen sollten sie davon abbringen, es erneut zu versuchen. Allerdings merkte er bald, dass er zu langsam war, denn mit jedem Tag verwahrlosten weitere Seelen, die er nicht rechtzeitig erreichte. Er musste zu den Lebenden durchdringen, ohne ihnen zu viel zu verraten und bald schon hatte er einen einfachen Plan. Für jeden, dem er Eintritt in Aiheus Reich gewährte, ließ er am Nachthimmel einen Stern aufleuchten und denen, die er zurückschickte, erklärte er, was dies bedeutete. Durch das Staunen, das die neuartigen Lichter hervorriefen, verbreitete sich die Kunde schnell genug, um dem Chaos Einhalt zu gebieten. Nach vollbrachter Tat kehrte er zu Aiheu zurück, um sich seinem Urteil zu unterziehen. »Mwezi, du hast deine Schuld beglichen und meine Kinder vor dem Untergang bewahrt. Mein Reich steht dir offen und ich werde tun, was immer nötig ist, damit du dort glücklich bist.« Bei seinem ersten Besuch hätte er wohl seine Gefährtin und Kinder nachgeholt, ohne dabei über ihr Schicksal nachzudenken, aber nun wusste er, dass sein Weg anderes vorsah: »Ich möchte zurück auf die Welt und verhindern, dass so etwas noch einmal geschieht.« »Sobald du dir dies auferlegt hast, gibt es keinen Weg zurück.« »Ich weiß.« Seitdem widmet sich Mwezi dieser Aufgabe und um dies festzuhalten, ließ Aiheu ein weiteres Licht am Nachthimmel aufleuchten, das das hellste von allen war und von allen gesehen wurde. Der Beginn von Weisheit Rafikis glasiger Blick wurde wieder klar und er sah der Reihe nach die versammelten Löwen an. »Isikhathi sifikile! Möge Mwezi über ihren Weg wachen und Aiheu sie willkommen heißen. Wir werden Sarabi vermissen, aber andere auf der anderen Seite haben sie bereits vermisst.« Dies war die endgültige Bestätigung, der endgültige Abschied. Die Erkenntnis zauberte augenblicklich nachdenkliche Mienen auf die Gesichter der Erwachsenen, die Kinder allerdings wirkten schockiert. Bisher war das alles noch so unwirklich gewesen, aber Rafiki – er konnte nicht lügen! Mheetu und Nuka schauten zwar noch etwas reservierter drein, doch Kopa und Vitani traf es am schlimmsten, denn sie hatten noch nie mit dem Tod zu tun gehabt. Ohne weitere Worte löste sich die Versammlung nach und nach auf und es bildeten sich die üblichen Gruppen. Freunde und Familien trösteten sich gegenseitig, während einige zu Rafiki gingen, Tama war die erste. »Ich wollte das alles nicht.« »Das macht dich nicht schuldig.« »Aber was soll ich jetzt tun?« »Stelle dir diese Frage jeden Tags aufs Neue und irgendwann wirst du die Antwort erkennen.« Kopa wollte Rafiki unbedingt über die Sterne ausfragen, denn seine Geschichte ließ vermuten, dass er mehr darüber wusste als sein Vater, doch er fand am restlichen Nachmittag keine Gelegenheit mehr dazu. Nicht nur weil der pausenlos bedrängt wurde, sondern auch weil seine Eltern ihn die ganze Zeit bei sich behalten wollten. Es war zwar ein langer Tag, aber auch der neigte sich schließlich dem Ende zu. Irgendwann lagen die Löwen allesamt in der Höhle und jeder einzelne war froh darüber, endlich schlafen zu können. Nur für Kopa war der Tag noch nicht zu Ende. »Papa, bitte!« »Kann das denn nicht bist Morgen warten?« Nein, das konnte nicht warten, er wollte unbedingt mehr über Rafikis Geschichte hören. Der alte Mandrill war am Abend entgegen dem Angebot der Löwen vom Königsfelsen herabgestiegen, um sich einen Platz für die Nacht zu suchen. Simba sah seinen Sohn an. Er wusste, dass er nicht alleine gehen würde und eigentlich war das Ganze eine nette Gelegenheit, um etwas für sich zu sein. »In Ordnung, reden wir mit ihm.« Er wollte sich gerade zu Nala umdrehen, um ihr von dem Vorhaben zu erzählen, da spürte er die sanfte Berührung ihrer Zunge auf seiner Lefze. »Sei vorsichtig.« Rafiki zu finden dauerte nicht lange, er saß in eben dem Baum, der ihm auch schon in der Nacht vor den Taufen Obhut geboten hatte. Kopa beobachtete staunend, wie sich der alte Mandrill elegant aus der Krone schwang und fast lautlos vor ihnen landete, wäre da nicht das Rasseln der Kürbisse an seinem Stab gewesen. Plötzlich drehte Simba den Kopf zur Seite, blieb ansonsten aber weitestgehend entspannt. »Ich glaube, da war was. Rafiki, passt du auf Kopa auf? Dann kann ich nachsehen gehen.« Rafiki hatte kaum mit dem Kopf genickt, da war Simba schon ins hohe Savannengras gehechtet und verschwunden. Besonders überrascht wirkte der Affe allerdings nicht, als er daraufhin einen interessierten Blick auf Kopa warf. »Du bringst Sorgen mit, das sehe ich.« Den Stab als Stütze nutzend setzte er sich nieder, dann legte er ihn quer über seine verschränkten Beine. »Ist es das, was dich zu mir geführt hat?« Kopa schien es überflüssig, zu antworten, also verzichtete er darauf und stellte direkt die Frage, die ihm schon die ganze Zeit auf der Seele brannte: »Ist Sarabi jetzt da oben?« Rafiki sah hinauf in die Sterne. »Jeder muss seinen eigenen Weg gehen. Wir wissen nur, wo er endet.« »Aber das dort oben ist doch Aiheus Reich, oder?« »Nein, das wäre viel zu einfach.« »Was ist dann da?« »Das ist uninteressant – viel wichtiger ist doch, was du dort siehst.« Kopa wartete gespannt auf eine Erklärung, aber als keine folgte, versuchte er selbst sein Glück: »Ähm, jede Menge Sterne, den Mond ... und ab und zu eine Sternschnuppe.« »Richtig. Was es mit den Sternen und dem Mond auf sich hat, weißt du.« Es war offensichtlich, dass Rafiki damit seine Geschichte meinte, aber was hatte der Mond damit zu tun? Doch dann machte auf einmal alles Sinn. »Wenn die Sterne die Toten sind, dann ist Mwezi der Mond.« »Nein, der Mond wurde nach Mwezi benannt und sein Licht soll uns an ihn erinnern. Genauso ist es auch mit den Sternen.« »Und die Sternschnuppen? Warum sind sie so selten?« »Du hast es immer noch nicht verstanden, oder? Sie sind nicht selten.« Rafiki machte eine bedeutsame Pause und da traf Kopa die Erkenntnis wie ein Schlag: »Ich sehe nur sehr wenige.« Ein ehrliches Lächeln schmückte das Gesicht des Mandrills, als er kurz nickte, um dann wieder hinauf in den Nachhimmel zu sehen. Doch Kopa wollte es einfach unbedingt wissen: »Was bedeuten sie denn?« »Jeden Tag sterben viele Tiere, aber du siehst nur sehr wenig davon. Genauso ist es auch mit den Sternen. –« »Es gibt mehr, als du siehst. Jetzt verstehe ich. Trotzdem, das ist nicht besonders schön.« »Allerdings. Und deshalb erinnern sie uns daran, was der Tod für diejenigen bedeutet. Das Leiden dieser Welt hat ein Ende und es bleibt nichts zurück als gute, hell leuchtende Erinnerungen – das, woran wir uns so schwertun, uns daran zu erinnern, solange wir noch leben.« »Ich glaube, das ist gut so«, meinte Kopa und Rafiki legte die Hand auf seinen Rücken, während die beiden weiter gemeinsam zu den Sternen emporblickten. Alte Bekannte ------------- Unwissenheit Selbst die niedrig stehende Vormittagssonne, der die beiden Freunde entgegen wanderten, hatte kein Erbarmen mit ihnen. Es gab keine Pflanzen, die die Hitze hätten aufnehmen können. Anstatt dessen ließ sie die am Boden liegende Luftschicht flimmern, wodurch der Wüstensand wie eine Wasseroberfläche schimmerte. Selbst ein paar Sonnenstrahlen spiegelten sich darin und blendeten die zwei Reisenden. Ein näherer Blick jedoch verriet, dass nur einer der beiden selbst lief, der andere machte es sich in dessen Nacken bequem. Tatsächlich hätten die zwei Freunde unterschiedlicher kaum sein können, denn es handelte sich um ein Erdmännchen und um ein Warzenschwein. »Du, Timon?« »Was, sind wir schon da?« Timon rappelte sich auf, krabbelte nach oben zwischen die Ohren seines Gefährten und lugte aus seiner Mähne hervor, doch die Landschaft hatte sich nicht verändert. »Das wird bestimmt klasse, alle wiederzusehen.« Das Warzenschwein lief unbeirrt weiter. »Glaub mir, Pumbaa, das wird noch wie in alten Zeiten. Nur du, ich und der kleine Racker.« »Wer?« »Simbas Sohn natürlich.« »Ach so. Aber der wird doch später König, da hat er sicher eine Menge zu lernen.« »Ach, papperlapapp. So wichtig kann diese ganze Königsgeschichte gar nicht sein – immerhin hat Simba es auch zu was gebracht. Und außerdem sind wir es, die ihm die wirklich wich –« Timon wurde jäh unterbrochen, als Pumbaa abrupt anhielt. »Was ist denn nun schon wieder los?« »Timon, ich glaube, wir sind da.« »Moment mal.« Das Erdmännchen bahnte sich wieder seinen Weg hinauf auf die Schädeldecke seines Gefährten und begann, in die Luft zu schnüffeln. »Pumbaa, riechst du das?« Dabei beugte er sich über sein Gesicht, sodass die beiden sich kopfüber in die Augen blickten. »Ich glaube, wir sind da.« »Oh.« Timon sah wieder geradeaus. Direkt vor ihnen lag ein einige Meter breiter Streifen seltsam krustiger Oberfläche, der nach links und rechts kein Ende nahm. Pumbaa stach prüfend mit einem Huf darauf ein, konnte allerdings rein gar nichts ausrichten. In der Ferne war der Königsfelsen zu erkennen, aber dazwischen lag nichts als farblose Einöde. »Also das sieht nicht viel besser aus als vorher.« »Du, Timon? Denkst du, Simba möchte uns jetzt sehen? Vielleicht sollten wir wieder gehen.« Das Erdmännchen schien tatsächlich ernsthaft darüber nachzudenken. Seine Augen wanderten kurz ziellos umher, doch dann fixierten sie wieder den Königsfelsen. »Vorher möchte ich noch rausfinden, was hier los ist.« Pumbaa nickte, schleuderte dadurch seinen kleinen Freund wieder auf seinen Rücken und setzte anschließend zu einem zügigen Trab an. Wenig später kam am Horizont ein grüner Streifen in Sicht. Die Tatsache, dass das Geweihte Land womöglich doch wieder blühte, trieb die beiden weiter voran, sodass sie noch in der glühenden Mittagshitze am Königsfelsen ankamen. Es war nicht das erste Mal, dass sie das steinerne Monument erklommen, weshalb sie bereits wussten, dass der Aufstieg über die Nordseite der kürzeste, halbwegs angenehme Weg war – allerdings führte er direkt durch die Liegeplätze der Löwinnen. Nicht dass sie ihnen nicht vertrauten, aber derart von Raubtieren umgeben zu sein, verursachte ganz instinktiv eine gewisse Nervosität und Nervosität konnte bei Pumbaa heftige Reaktionen hervorrufen. Doch ihre Bedenken waren unbegründet, nur zwei Löwinnen und ein Löwe hatten es sich auf den unteren Ausläufern des Königsfelsens bequem gemacht. Die, die ihnen am nächsten lag, hob den Kopf und richtete den Blick in etwa in ihre Richtung, doch eigentlich schien sie nicht wirklich interessiert zu sein. Am merkwürdigsten aber war die Tatsache, dass die beiden die Löwin nicht kannten. »Was wollt ihr hier?«, fragte sie schließlich mit teilnahmsloser Stimme. Timon hatte eigentlich nicht damit gerechnet, dass sie noch etwas sagen würde. »Simba besuchen.« »Ach ja? Und was glaubt ihr, sollte ihn dazu bewegen, euch zu empfangen?« »Wir sind alte Freunde«, platzte Pumbaa frei heraus. Zira wusste nicht, was sie mehr überraschte – die Tatsache, dass die beiden sich für Simbas Freunde hielten oder die Dreistigkeit, mit der sie selbiges behaupteten. »Also gut, ich bringe euch zu ihm.« Sie erhob sich. »Aber nur, weil ich nicht verpassen will, was er mit euch anstellt.« Oben vor der Höhle hielt Pumbaa jedoch inne. »Sind alle da drin?« Er brauchte keine Antwort. »Große Versammlungen in geschlossenen Räumen sind nicht so mein Ding.« Zira merke, wie sie die Augen verdrehte und richtete den Blick schnell wieder geradeaus in die Höhle. Ein klaustrophobisches Warzenschwein – schlimmer konnte es nicht mehr werden, oder? »Schon gut, Kumpel ... wir gehen ihn holen.« Timon sprang auf Pumbaas Nase und von dort hinunter auf den sandigen Boden. Anschließend ging er neben Zira in die Höhle, so als wären sie ebenbürtig. Erst fühlte sie sich etwas komisch dabei, aber drinnen konnte sie nicht anders, als das kleine Erdmännchen zu bewundern. Denn Timon schritt vollkommen gelassen zwischen den Löwinnen hindurch. Simba befand sich gerade im Gespräch mit einer Löwin, als die beiden ihn fanden. Zira sprach ihn trotzdem an. Sie wollte unbedingt sehen, wie er den Besucher abweisen würde. »Nkosi aka Nkosi! Besuch für euch.« Simba drehte den Kopf in ihre Richtung, konnte aber anscheinend niemanden sehen. Zira hob die linke Vorderpfote und deutete damit von oben auf ihren Begleiter. »Timon!« Simba ging auf ihn zu und kauerte sich vor ihm nieder. Zwar waren sie damit noch immer nicht auf Augenhöhe, aber viel näher würden sie dem auch nicht kommen. Obwohl der Kopf seines Gegenübers locker doppelt so groß war wie er selbst, zeigte Timon keinerlei Angst oder Bedenken, als er zur Begrüßung die Hand auf Simbas Nasenspitze legte. Man hätte Zira genauso gut in einen Fluss werfen können, der Schock wäre nicht größer gewesen. »Du kennst ihn wirklich?«, brachte sie schließlich zustande. »Wir sind alte Freunde«, bestätigte Simba. »Darf ich fragen, wie es dazu kam?« »Als ich von –« Simba besann sich gerade noch rechtzeitig. »Als ich weggelaufen bin, haben er und Pumbaa mich aufgenommen und großgezogen. Wo ist er denn überhaupt?« Die Frage galt Timon. »Draußen vor der Höhle. Du weißt ja ...« Simba nickte und sah noch einmal zu Zira, doch sie schien keine Fragen mehr zu haben. Also machte er sich mit Timon auf den Weg nach draußen. Das war also die Geschichte des großen Helden des Geweihten Landes – aufgezogen von einem Erdmännchen und einem Warzenschwein. Zira wusste noch nicht so recht, was sie davon halten sollte. Unterdessen waren die drei Freunde wieder vereint. »Simba, schön dich wiederzusehen.« »Ja, ich bin auch froh, dass ihr hier seid.« »Habt ihr früher nicht immer unten im Freien gelegen?« »In letzter Zeit ist viel passiert.« Und so erzählte Simba von allem. Generationen unter sich »Hey, Zira. Was sitzt du da so alleine herum?« Nala hatte sie im Vorbeilaufen entdeckt und ihren glasigen Blick bemerkt. »Sarafina erzählt den Kindern gerade eine Geschichte ... Was ist, möchtest du es vielleicht auch einmal probieren?« Zira glaubte, zu ahnen, worauf sie hinauswollte und verengte die Augen. »Meine Geschichte –« »Nein, das verlange ich nicht. Komm schon, du musst doch auch irgendwann mal etwas Schönes erlebt haben – erzähl doch davon. Fröhliche Geschichten hören sie sowieso am liebsten.« Ein sanftes Lächeln, kaum zu bemerken, zeichnete sich auf Ziras Gesicht ab, während sie die Augen schloss und ganz offensichtlich an alte Zeiten dachte. »Nein, das sind meine Erinnerungen.« »Aber du hast es doch Chumvi erzählt.« »Du weißt davon?« »Simba hat nur gesagt, dass er jetzt weiß, was dir passiert ist. Ich kann mir aber denken, was er damit meinte.« »Nein, du irrst dich. Er weiß nur, was er wissen muss.« Zira drehte sich in Richtung Höhleneingang, wandte aber noch einmal den Kopf zurück zu Nala: »Bitte, lasst mich damit einfach in Ruhe.« Die schien sich vorerst zufrieden zu geben, denn sie sah Zira noch einmal eindringlich an, ließ sie dann aber ziehen. Aber auch gab es keine Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen. Zira hatte sich gerade wieder an einem schattigen Plätzchen niedergelassen und suchte mit dem Kinn eine gemütliche Position auf den verschränkten Vorderpfoten, da hörte sie etwas auf sich zukommen. Die kleinen, tapsigen Schritte kamen immer näher, hörten dann aber plötzlich auf und es war wieder still. Die Begegnung mit Timon und Pumbaa noch im Hinterkopf hatte Zira sich fest vorgenommen, was auch immer da gerade angekommen war, zu ignorieren. Aber zu wissen, dass man von etwas angestarrt wird, war ein zu seltsames Gefühl, als dass sie dem lange Stand gehalten hätte, also schaute sie wieder auf. »Hallo Zira, was machst du hier draußen?« »Schlafen. Jedenfalls habe ich es versucht.« »Aber alle anderen sind in der Höhle. Warum du nicht?« Eigentlich war Kopa nicht besonders zutraulich, vor allem Zira gegenüber. Um ehrlich zu sein, war sie damit sehr zufrieden. Er war also aus einem bestimmten Grund zu ihr gekommen und den würde sie nur zu gerne erfahren. »Was willst du?« »Weißt du, wo Vitani ist?« Zira hob interessiert den Kopf und erblickte dadurch auch Mheetu und Nuka, die unweit der Szene standen. Anscheinend hatten sie den Kleinen vorausgeschickt. »Bei euch, bei Chumvi, irgendwo in der Höhle«, antwortete sie an Kopa gewandt. »Nein, da ist sie nicht«, entgegnete Mheetu, kam auf sie zu und stellte sich neben seinen Neffen. »Sie wollte schon die ganze Zeit nach draußen und wir haben für heute Nachmittag auch die Erlaubnis bekommen, aber ich hätte nicht gedacht, dass sie alleine geht.« Für einen Augenblick dachte Zira ernsthaft darüber nach, ob sie wirklich selbst nach ihr sehen sollte. Dass Vitani nach einem ganzen Vormittag in der Höhle so dringend nach draußen wollte, wunderte sie nicht, aber wenn ihr irgendetwas zugestoßen sein sollte ... Doch die Entscheidung wurde ihr einen Moment später wieder abgenommen. »Wir werden sie finden«, meinte Kopa selbstsicher und die drei Jungs trotteten davon. Auf dem Weg nach unten in die Savanne schaute sich Mheetu allerdings immer wieder aufmerksam um. »Was ist?«, fragte Kopa. »Mach du dir Sorgen um sie?« »Nein, nicht direkt. Ich glaube nur nicht, dass sie einfach so ohne Grund vorausgehen würde.« Nuka, der sich ein Stück hatte zurückfallen lassen, sah, dass sich links von den beiden etwa bewegte; Mheetu war es ebenfalls aufgefallen. Kurz darauf stürzte sich Vitani aus ihrer Deckung auf den immer noch ahnungslosen Prinzen und riss ihn gnadenlos von den Pfoten. Die beiden kullerten noch ein Stück durchs trockene Gras, ehe Kopa dem ein jähes Ende setzte. Mit den Hinterbeinen bremste er ihre Fahrt ab und mit dem den Vorderläufen fixierte er seinen Angreifer am Boden. »Ha, festgenagelt!« »Süß, aber das wäre nicht nötig gewesen, wenn du sie schon vorher bemerkt hättest«, tadelte ihn Mheetu. »Blind durch die Welt zu wandern, ist nicht gesund.« »Hey, sie hat sich angeschlichen. Nuka, hast du sie etwa gesehen?« Der schloss gerade wieder zu ihnen auf. »Ja, das habe ich.« »Nun, da ich euch gefunden habe.« Vitani legte kichernd eine Pfote an Kopas Brust. »Was hattet ihr eigentlich vor?« »Ähm, wir haben dich gesucht.« »Dann hab' ich euch ja ganz schön überrascht.« »Ihn vielleicht, mich verwundert gerade eher dein Bruder«, entgegnete Mheetu. »Ich hatte eigentlich schon darauf gewartet, dass ... naja, scheint jedenfalls, als wäre er doch ganz normal.« »Ich habe gerade nachgedacht«, verteidigte der sich allerdings, »bis ihr wieder ... ach, egal.« »Wann hast du denn damit angefangen?« Kopa ließ wieder von Vitani ab und drehte sich anstatt dessen zu Nuka. »Wie? Womit?« »Zu denken!«, ergänzte Vitani. Sie und Kopa brachen wieder in Gelächter aus und liefen in Richtung Wasserloch voraus. Mheetu war zwar anzusehen, dass auch er sich ein wenig über den Scherz amüsierte, trotzdem aber sprach er Nuka ganz ruhig an: »Worüber hast du denn nachgedacht?« »Erinnerst du dich an gestern, als Mutter auf uns aufpassen sollte?« »Du warst draußen bei ihr.« Jetzt wusste Mheetu, wohin Nuka am Vortag kurz verschwunden war. »Ich dachte mir, weil sie ja nicht mit den anderen mit konnte, würde sie sich vielleicht freuen.« Die Erinnerung schien Nuka jedoch plötzlich solche Schmerzen zu bereiten, dass er abbrach und die Augen zusammenkniff. »Was hat sie gesagt?«, versuchte Mheetu es ganz vorsichtig. »Sie hat mich einfach weggeschickt. Was ist ... was ist, wenn sie mich nicht mehr will?« »Sag' sowas nicht! Mit Sicherheit hat sie einen guten Grund.« »Mich zu ignorieren? Sie tut es doch schon die ganze Zeit. Nenn' mir dafür einen Grund!« »Ich habe keine Ahnung. Aber Chumvi kennt deine Mutter mittlerweile besser als jeder andere hier. Wenn dir einer helfen kann, dann er.« »Aber er wird nicht.« »Das bezweifle ich – vor allem, wenn du ihm sagst, dass du dir Sorgen um sie machst.« Nuka legte den Kopf schief und dachte einen Moment über den Vorschlag nach. »Solange dir selbst nichts Besseres einfällt, hast du doch nichts zu verlieren, oder?«, half Mheetu nach. »Hm ... ja, stimmt eigentlich. Na gut, ich werde es versuchen.« »Gut, dann lass uns jetzt erst einmal nach deiner kleinen Schwester sehen.« Mheetu gab Nuka gar keine Möglichkeit, zu widersprechen, sondern ging direkt voraus Richtung Wasserloch. Der folgte ihm etwas zögerlich, aber auf halbem Weg drängte Mheetu dann auf einmal zur Eile: »Oh, sieh mal! Das wird den Erwachsenen gefallen.« »Ich kann von hier aus nur sehen, dass da vorne das Wasserloch ist.« Nuka war mittlerweile wieder ganz in seinen gewöhnlichen Trab gefallen. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das überrascht.« »Na ja, mit Wasser liegst du richtig – da hinten braut sich was zusammen.« Tatsächlich türmten sich über der Hügelkette dunkle Wolken auf, aber überzeugen konnten sie Nuka anscheinend nicht. »Das zieht doch eh wieder an uns vorbei.« »Nein, siehst du wie es sich aufbaut? Da, von rechts nach links.« »Und das bedeutet?« »Dass wir die beiden schnellstmöglich finden und nach Hause bringen sollten.« Ohne weitere Zwischenfragen zuzulassen, eilte Mheetu wieder voraus, diesmal allerdings in wesentlich zügigerem Tempo. Gegen die Natur Auch am Königsfelsen hatte man die herannahende Regenfront bereits bemerkt. »Bei dem Wetter können sie unmöglich jagen«, dachte sich Simba, der die Wand aus Wolken von der Felsterasse aus beobachtete. Also ging er nach vorne auf die Steinbrücke und rief laut Tamas Namen, der anschließend dreimal deutlich hörbar von den Felsen widerhallte. Noch während er umkehrte, konnte Simba bei den Liegeplätzen unter ihm eine Bewegung ausmachen und als er vor der Höhle ankam, war Tama schon auf dem Pfad, der hinauf zur Felsterasse führte. Bei ihm angekommen neigte sie zu allererst das Haupt. »Nkosi aka Nkosi!« Simba nahm die Anrede mit einem Nicken zur Kenntnis und deutete dann mit dem Kopf auf das heranziehende Unwetter. »Auch wenn es nur eine reine Formalität ist, aber ich muss ich das fragen, also: Was hast du vor?« Tama sah ihn nur einen Moment lang verdutzt an. »Heute Abend ist es Wahnsinn, jagen zu gehen.« »Natürlich werden wir jagen gehen.« »Was? Aber wieso, ich meine –« Simba erkannte seinen Fehler, als Tama den Kopf so hoch wie möglich hob und die Brust schwellte. Zwar hatte Sarabi ihr das Jagen beigebracht, doch viel über ihre neue Position hatte Tama nicht von ihr lernen können. Aber eines wusste sie – als Leitlöwin war es ihre Aufgabe, Entscheidungen zu treffen und genau das hatte sie getan. Heute Abend würden sie jagen gehen. »Tut mir Leid, du hast sicher einen Grund dafür.« Jetzt hatte Simba ihr gegenüber den Kopf gesenkt. »Den hast du bereits erkannt.« Nun deutete Tama auf die Regenwolken. Allerdings konnte Simba ihr nicht folgen, weshalb sie es noch etwas ausführlicher erklären musste. »Da kommt eine Menge Regen auf uns zu und wir brauchen heute oder morgen etwas zu essen, weil wir gestern nicht jagen waren.« Simba nickte kurz. So weit war er mitgekommen, doch er unterbrach sie nicht. »So wie ich das sehe, wird das Unwetter uns erst heute Abend erreichen. Das heißt zwar, dass wir wahrscheinlich im Regen jagen werden, aber der Boden sollte dann noch nicht zu aufgeweicht sein. Morgen dagegen wird alles verschlammt und rutschig sein.« Da konnte Simba nicht widersprechen. Doch anstatt zu antworten, sah er ihr lange in die bernsteinfarbenen Augen. Wo war die alte Tama abgeblieben, die nach außen hin immer so viel selbstsicherer tat, als sie es eigentlich war? Es schien, als stünde er nur noch dieser Fassade gegenüber, so entschlossen wirkte sie auf einmal. »Sarabi wäre stolz auf dich.« Besser konnte er es einfach nicht in Worte fassen. Aber so hohl es für ihn auch geklungen haben mag, so zeigte es trotz allem auf der Stille Wirkung bei ihr. Im ersten Moment lächelte sie nur, kniff dann allerdings die Augen zusammen und schien plötzlich den Tränen nahe. »Was ist? Habe ich –« »Simba, ich ... ich hätte dir das schon viel früher sagen sollen. Siri hat Sarabi eigentlich gar nicht angegriffen, sie ist ihm dazwischen gesprungen.« Man konnte ihr die Überwindung ansehen, die es sie kostete, wieder aufzusehen. »Ich denke, sie hätte gewollt, dass wir weitermachen.« Simba erwiderte ihren Blick und dabei wurde ihm klar, dass sie ihn genau verstand. Sarabi hatte in ihr beider Leben ein klaffendes Loch hinterlassen. Damit war Tama eine Seelenverwandte und es brauchte weder Worte, um das festzustellen, noch um ihr zu erlauben, ihren Kopf Trost suchend wie spendend in seiner Mähne zu vergraben. Urplötzlich erfasste sie eine frische, kühle Brise – der erste Vorbote des Unwetters. Simba war noch immer etwas benebelt und glaubte zunächst gar nicht, was er sah. Aber als der den angewehten Blüten hinterher blickte, wurde er sich immer sicherer – das waren genau die Blüten, die er gestern hatte davonfliegen sehen. Doch was er dann sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Über Tamas Nacken hinweg erkannte er einen Löwen dort, wo der Pfad zu den Legeplätzen die Felsterasse erreichte. Wie hatte er nur vergessen können, dass es noch immer Nachmittag war? Jeder hätte sie gerade entdecken können, nicht nur Mheetu. Schnell und unsanft lösten sie sich voneinander. »Stehst du schon lange da?« »Lange genug, um Nein zu sagen.« Simba zog kurz die Augenbrauen hoch. »Kluge Antwort.« Er glaubte nicht, dass Mheetu etwas verlauten lassen würde, also versuchte er, möglichst schnell zu einem anderen Thema zu gelangen. »Also, zu wem wolltest du eigentlich?« »Zu euch beiden. Ich war eben bei Tojo und wir haben gesehen, wie Tama hier hoch gekommen ist, da hat er mich nachgeschickt.« Mheetu wandte sich an Tama. »Er meinte, es würde um die Jagd gehen. Wenn ja, dann sollte ich nämlich fragen, wo sie heute stattfindet, damit er seine Streife planen kann.« »Interessant«, fuhr ihm Simba dazwischen. »Trotzdem möchte ich dich bitten, ihn zu holen. Ich würde gerne mit ihm über etwas reden, das nichts mit der Jagd heute zu tun hat.« Etwas enttäuscht aber ohne zu widersprechen, kehrte Mheetu um und lief wieder hinunter zu den Liegeplätzen, während Simba ein weiteres Mal mit Tama auf der Felsterasse allein gelassen wurde. »Sie hat dir viel bedeutet, nicht?« Tama ging wieder einen Schritt auf ihn zu, hielt diesmal aber einen gebührlichen Abstand ein. »Was?« »Simba, ich bin nicht die einzige, die bemerkt hat, dass du seitdem etwas abwesend bist. Sarabi war eine großartige Löwin und wir alle trauern um sie, aber das Leben geht weiter. Sie würde es so wollen.« »Ja, das denke ich auch.« In der Tat, Tama verstand seine Mutter sehr gut. Sie hatte Recht und deshalb war er besonders froh über seinen Einfall von heute Vormittag. Auch Tojo neigte zur Begrüßung das Haupt. »Nkosi aka Nkosi!« Zu seiner Überraschung tat Simba es ihm gleich, sodass er, als er aufblickte, dessen Nacken betrachtete. »Ich habe nachgedacht«, begann Simba. »Vor zwei Tagen ... hat sich dieser Unfall zugetragen, aber es hätte so viel mehr passieren können, wenn du nicht gewesen wärst. Mit Sicherheit verdanken wir die Rückkehr einiger unserer Löwinnen deiner Streife. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das einmal sage, aber du hast wohl die meiste Erfahrung, was das angeht und deshalb möchte ich dich darum bitten, dass du mich mitnimmst und mir zeigst, was du weißt. Chumvi auch, wenn er danach fragt.« Tojo zog kurz die Mundwinkel zurück, doch sein Gesichtsausdruck entspannte sich schnell wieder. »Selbstverständlich, wann immer ihr wollt.« »Es kann gleich heute losgehen. Ah, und wenn wir schon beim Thema sind – warum hast du eigentlich Mheetu geschickt?« »Ich hatte ihm versprochen, ihn heute mitzunehmen.« Mheetu warf den Kopf von der einen Seite auf die andere, wodurch sein Mähnenansatz etwas umher wirbelte. Simba wusste sofort, was in ihm vorging. »Du kannst deine Mantlung wohl gar nicht abwarten. In Ordnung, ihr habt meinen Segen.« Die Zeremonie würde frühestens in drei Monden stattfinden, doch das schien den Kleinen nicht davon abzuhalten, an jeder Ecke so viel wie möglich für sein Leben als Erwachsener zu lernen. Tojo wartete einen Moment für den Fall, dass Simba etwas hinzuzufügen hatte und als das nicht geschah, wandte er sich an Tama: »Es wird heute wohl etwas unübersichtlich, da bleibe ich lieber in der Nähe. Wisst ihr schon, wo ihr sein werdet?« »Nein. Wir haben an einigen Ecken Beute gesichtet, aber ich denke, unsere Chancen sind da am besten, wo es am wenigsten regnet.« Im Verlauf des späteren Tages allerdings schien es immer mehr so, als würde es den Süden des Geweihten Landes am wenigsten erwischen. Andere Sorgen Während Simba seinen gewohnten Segen für die Jagdschwestern aussprach, fiel Tamas Rede kurz aus. Die Herausforderung, die ihnen bevorstand, war nur allzu offensichtlich und ebenso, wie wichtig es war, dass sie heute Beute schlugen. Den restlichen Abend verbrachte er mit Chumvi und den Kindern in der Höhle, denn oben auf dem Königsfelsen zu sitzen – da könnte er gleich von seiner Spitze springen. Draußen blitzte es wieder und wieder, gefolgt von Donnerschlägen, die das Gestein erzittern ließen. Dazwischen konnten sie den Regen hören, der in ungeahnten Massen auf die Erde niederschlug. Wie sollten sie nur in dem Chaos den Ruf der Löwinnen hören? Ganz vorsichtig trat Simba in den Eingang, wo er die Feuchtigkeit schon spürte. Schließlich machte er einen Schritt ins Freie, bereute es aber gleich im nächsten Moment, als das Wasser augenblicklich jedes bisschen Wärme aus seinem Körper zog und sein Fell schlaff herabhängen ließ. Doch eine schemenhafte Bewegung am Fuß des Königsfelsens hielt ihn davon ab, wieder ins Trockene zu gehen. Die Schatten kamen näher und im letzten Moment erkannte Simba seine eigenen Jägerinnen, dann erst entspannte er die Muskeln. »Und?« »Wir waren so kurz davor!« Tama schüttelte sich einiges an Wasser aus dem Fell, als sie auf die Felsterasse trat. »Ich habe meine Beute schon gespürt, aber ...« »Was?« »Ich konnte nicht sagen, was ich da vor mir hatte. Es hätte genauso gut eine von uns sein können. Das ist noch um einiges schlimmer, als ich erwartet hatte.« Die beiden hielten tapfer am Höhleneingang Wache, während die Löwinnen eine nach der anderen den Schutz ihres Heims betrat. »Papa, wo bleibt Mheetu?« Eigentlich war es kein Wunder, dass Kopa die Ankunft der Jägerinnen bemerkt hatte. Simba schreckte herum, aber auch Tama war anzumerken, dass sie die zwei streifenden Löwen völlig vergessen hatte. Sie nickten sich kurz zu, dann schritt Simba zügig nach vorne auf die Steinbrücke und brüllte, versuchte, gegen die Naturgewalten anzukommen, die ihm entgegen schmetterten. Alles was zählte, war, dass die beiden ihn hörten und nach Hause kamen. Aber sie kamen nicht. Nicht dass das Rudel sie damit für tot erklärt hätte – am wahrscheinlichsten war, dass die beiden irgendwo anders Unterschlupf gefunden hatten. Irgendwann aber hoben die Löwinnen eine nach der anderen die Köpfe und sahen zum Eingang. Simba folgte ihrem Blick und im nächsten Moment erkannte er, was ihre Aufmerksamkeit erregt hatte: der Geruch von Blut. Chumvi folgte ihm ohne Worte. Im Schatten der Seitenwände schlichen sie aus der Haupthöhle in den Gang, von wo aus sie schließlich einen den Eingang sehen konnten. Dort standen zwei Gestalten, wobei eine die andere ein wenig überragte. Von dieser schien auch der Blutgeruch zu kommen. Ein Blitzschlag tauschte die beiden für einen Augenblick in grelles Licht und Simba erkannte Mheetus Silhouette. Das andere musste demnach Tojo sein, doch sein Rücken war seltsam verformt. »Tojo? Mheetu? Seid ihr das?« »Ja.« Tojo trat vor und warf etwas von seinem Rücken vor Simbas Vorderpfoten. »Die Reste einer Antilope, die wir draußen gefunden haben.« Simba verstand nicht ganz. »Ihr seid doch keine Jägerinnen.« »Sieh sie dir genauer an!« Tojo ging einen Schritt zur Seite und wie aufs Stichwort beleuchtete ein weiterer Lichtblitz den Kadaver. Diese Kratzspuren waren ihm nur zu vertraut. »Hyänen?« »Wir sind gleich weiter zum Elefantenfriedhof.« »Und, was habt ihr gesehen?« »Nichts«, war Mheetus knappe Antwort. Auf Simbas Reaktion hin wandte er sich an Tojo: »Ich habe dort nicht weiter nachgefragt, weil ich schon gemerkt habe, dass das nichts Gute bedeutet, aber könnt ihr mir dann jetzt bitte erklären, warum?« Bevor er antwortete, sah Tojo zu Simba, der geduldig nickte. »Normalerweise schleichen sich die Hyänen nachts ins Geweihte Land, um leichter an Nahrung zu kommen. Wenn sie das aber nicht tun, dann bedeutet das –« »Dass sie auf dem Elefantenfriedhof genug haben. Dann haben sie deshalb auch die halbe Antilope liegen lassen.« »Richtig. Allerdings lebt auf dem Elefantenfriedhof außer den Hyänen rein gar nichts, also –« »Ist eine von ihnen gestorben. Würden sie das wirklich tun?« Mheetu schauderte merklich bei dem Gedanken. »Verstehst du jetzt, warum wir uns Sorgen machen?«, fragte Simba, sichtlich erfreut über Mheetus Auffassungsgabe. »Ehrlich gesagt, nein«, gestand der. »Für uns sind sie damit ja keine Gefahr.« »Ach so!«, rief Tojo nach kurzem Grübeln. »Du musst noch wissen, dass selbst die Hyänen die in Frieden von ihnen Gegangenen nicht anrühren. So viel Anstand haben sie dann doch.« »Also wurde eine von ihnen im Kampf getötet? Worum ging es dabei?« »Macht. Nach „seinem“ Sturz war es nur eine Frage der Zeit. Wenn sie so weit sind, dass sie sich gegenseitig angreifen, können sie nicht mehr gefährlicher werden. Sie sind noch viel unberechenbarer als sonst schon.« Er wandte sich an Simba. »Was können wir tun?« »Gar nichts – sie sind nicht auf unserem Land. Du hast hoffentlich nicht vor, sie alleine anzugreifen?« »Das wäre Selbstmord, aber wenn wir alle zusammen –« »Wie gesagt, es ist nicht unser Land, also kann ich keinen zwingen, uns zu helfen. Ich befürchte, wir können nur abwarten.« »Das ist ... unangenehm«, besann sich Tojo noch im letzten Moment mit einem Seitenblick auf Mheetu. »Ich weiß, aber dieses Gesetz muss unbedingt eingehalten werden, ansonsten –« »Könnte ein König seine Macht missbrauchen, um jemanden anzugreifen«, vollendete Mheetu wieder einmal den Satz. »Stimmt, Mheetu. Aber auf Dauer ist es unhöflich, andere nicht ausreden zu lassen«, tadelte ihn Simba. »Dann wäre das also geklärt? Nun gut, bringen wir den anderen das Essen.« »Viel ist es nicht«, erwiderte Tojo, nahm dann aber trotzdem ein Bein ins Maul und schleppte ihren Fund mit in die Haupthöhle. Zurück in den Alltag -------------------- Alte Erinnerungen Ein fernes Geräusch zeugte von Wasser, aber es war nicht das sanfte Plätschern eines Bachs sondern das Donnern eines reißenden Stroms. Trotzdem war hier weit und breit keine einzige grüne Pflanze zu sehen. Es schien, als würde sich das Gras weigern, zu wachsen, sowie der Boden sich weigerte, Wasser aufzunehmen. Vier Gestalten zeichneten sich schemenhaft gegen die Morgendämmerung ab. Als erstes war eine junge Hyäne zu erkennen, die aufgeregt jeden einzelnen Knochen des Elefantenfriedhofs beschnüffelte. Hinter ihr marschierten drei gleichaltrige Erwachsene. Auf dem dunkelgrauen Fell der Kleinen waren noch nicht die typischen Punkte zu erkennen, aber zwischen ihren Ohren markierten einige vereinzelte Haare schon die Stelle, die später mal eine kurze schwarze Mähne schmücken würde. Schließlich hob sie aufmerksam den Kopf, so als hätte sie gerade erst erkannt, dass es auf dem Elefantenfriedhof zu viele Knochen gab, um sie alle zu untersuchen. »Was gibt es heute zu essen?«, fragte sie an die Erwachsenen gewandt. »Das werden wir am Abend sehen.« Shenzi hatte vor ihr angehalten und den Kopf gesenkt, sodass sie sich von Angesicht zu Angesicht unterhalten konnten. »Ich habe aber jetzt Hunger! Warum bleiben wir denn nicht einfach auf der anderen Seite des Flusses? Da ist es doch viel schöner.« »Das geht nicht.« Shenzi richtete sich wieder auf, um das Thema abzuschließen, aber die Kleine ließ das nicht zu. »Warum nicht.« »Es gibt zu viele Tiere, die uns dort nicht haben wollen.« »Warum das denn?« »Weil wir anders sind.« Damit hatte Shenzi sie nun endlich zum Nachdenken gebracht. Gestern war die Kleine zu ihrer ersten Fleischmahlzeit zum ersten Mal im Geweihten Land gewesen. Bisher kannte sie also nur Hyänen, Antilopen und die Vögel, die manchmal über dem Elefantenfriedhof kreisten. »Mag man dort denn keine Tiere, die anders aussehen?« »Man, das nervt! Wir haben echt andere Probleme.« Banzai schritt davon, während ihm Ed in einem hysterischen Lachanfall folgte. »Halt die Klappe, Ed!« Shenzi ließ sich davon nicht beirren und wandte sich wieder ihrem Schützling zu: »Er hat Recht, Asante. Es gibt wichtigere Dinge, um die wir uns kümmern müssen.« »Was denn? Kann ich helfen?« Die Aussicht, womöglich eine Aufgabe zu bekommen, schien neue Energien in Asante zu wecken. »Äh, sieh mal ...« Das hatte Shenzi damit zwar nicht beabsichtigt, aber noch während sie zögerte, kam ihr eine Idee. »Weißt du, unser Abendessen gestern, das war eine Ausnahme. Lange bevor du geboren wurdest, war hier alles viel einfacher. Die Hyänen waren frei und wir durften jagen, wann, wo und was wir wollten. Dann gab es im Geweihten Land einen neuen König und wir wurden fortgeschickt.« Asantes Augen wurden mit jedem Satz, den sie hörte, größer. »Einfach so?« »Keine Sorge, wir haben auch schon davor hier gelebt. Aber vor einiger Zeit sind auf einmal so viele Tiere ins Geweihte Land gekommen, dass es fast nicht mehr möglich ist, dort unbemerkt zu jagen.« »Heißt das, es gibt heute Abend keine Antilope?« »Ich würde alles dafür tun, das weißt du. Aber ich fürchte nein.« Eine tiefe Enttäuschung trat auf Asantes Gesicht und sie ließ die Schultern hängen. Die köstliche Mahlzeit sollte also einmalig gewesen sein? Und das nur, weil die anderen Tiere sie nicht mochten? »Also, ich möchte, dass du jagen gehst. Wenn du dich etwas umsiehst, findest du sicher ein paar Mäuse.« »Du meinst, ich soll –« »Ja«, entgegnete Shenzi ruhig, »und du musst uns auch nichts mitbringen – es ist schon genug, zu wissen, dass hier zumindest eine satt ist.« Asante wollte sich schon auf den Weg machen, da kam ihr anscheinend ein Gedanke und sie drehte noch einmal den Kopf zurück. »Mama?« »Du sollst mich nicht so nennen und das weißt du auch!« »Entschuldigung ... Shenzi?« »Ja?« »Warum? Warum wollen uns die anderen Tiere nicht bei sich haben? Ist es, weil wir anders aussehen?« Ihr Versuch, vom Thema abzulenken war offensichtlich fehlgeschlagen. Shenzi hätte nur zu gerne die Wahrheit erzählt, aber sie konnte nicht. »Du wirst es verstehen, nicht jetzt und auch nicht heute aber irgendwann.« »Und dann mache ich, dass es aufhört!« Fest von sich überzeugt leckte Asante Shenzi zum Abschied am Bein. Dann wandte sie sich um, stürzte davon, sprang über einen kleinen Haufen Knochen und war verschwunden. »Wie lange willst du es ihr noch verheimlichen?« Banzai stand wieder direkt hinter Shenzi, während Ed neben ihm mit heraushängender Zunge den Kopf schief legte. »So lange wie nötig. Sie hat etwas Besseres verdient!« »Aber warum sie?« Shenzi schaute zurück auf den Knochenberg. »Sie erinnert mich an die alte Zeit. Wenn wir Glück haben und sie richtig vorbereiten, kann sie allen hier die Kraft geben, die sie brauchen.« First world problems Die Tage vergingen und auf das erste große Unwetter folgte bald ein Weiteres. In dieser Zeit schlugen die Jägerinnen nur selten Beute, was die Nahrung knapp werden ließ. Selbst die Kinder hatten unter diesen Umständen ein wenig von ihrer spielerischen Energie eingebüßt, einzig und allein Nuka wirkte unverändert. Nach dem dritten erfolglosen Jagdabend in Folge war Tojo schon früh morgens zu einem ausgiebigen Spaziergang aufgebrochen. Trotz seines langen Trainings mit Tama hielt er nachwievor nicht viel vom Jagen und außerdem war sein Platz anderswo, nämlich genau hier, auf Streife. Mittlerweile hatte er schon Simba und ein weiteres Mal Mheetu mitgenommen, wodurch für ruhige Rundgänge nur noch der Tag übrig blieb. Trotzdem war er nicht enttäuscht, als er in der Nähe der nördlichen Schlucht ein leises Rascheln aus der Richtung zum Königsfelsen hörte. Es hätte alles sein können, aber Tojo hatte einen ganz speziellen Verdacht, also schätzte er grob die Richtung ein, aus der das Geräusch gekommen war. Anschließend hob er vorsichtig den Kopf über die Spitzen des Savannengrases. Tatsächlich schlich etwas vom Königsfelsen weg und nach den Halmen zu urteilen, die es bewegte, war es wahrscheinlich eine Löwin. Tojo spielte dieses Spiel schon viel zu lange, aber so ein Glück wie jetzt hatte er noch nicht gehabt – sie hatte ihn anscheinend noch nicht bemerkt. Viel nachzudenken gab es nicht, so eine Gelegenheit musste er einfach ausnutzen, also nahm der die Verfolgung auf. Schon kurze Zeit später konnte er eine braune Schwanzquaste vor sich sehen. Er schnappte kurzerhand danach und genoss den überraschten Aufschrei, bis ihm auffiel, dass er sich geirrt hatte. »Tu' das nie wieder!« »Nala!« Er ließ sie schnell wieder los und sprang an ihre Seite. »Tut mir echt Leid. Ich hab' dich verwechselt.« Nala antwortete nicht, sondern legte sich behutsam auf die Seite. »Habe ich dir wehgetan?« »Kopa hat schon mit drei Monden stärker zugebissen. Nein, das ist es nicht.« Als sie begann, mit der oben liegenden Vorderpfote ihren geschwollenen Bauch abzutasten, traf Tojo die Erkenntnis wie ein Schlag. Nala war schwanger, hochschwanger sogar. Lange konnte es eigentlich nicht mehr dauern. »Ach, deine Jungen! Ich hoffe nur, ihnen ist nichts passiert.« Er machte einen vorsichtigen Schritt auf sie zu und war erleichtert, als sie nicht protestierte. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie die Augen geschlossen hatte und ihn gar nicht bemerkte. »Nein, es geht ihnen gut. Ich kann sie beide fühlen.« »Beide? Woher weißt du, dass es zwei sind?« Tojo hatte wohl genau das richtige Thema angeschlagen, denn Nala schien den Vorfall schon wieder vergessen zu haben vor lauter Hingabe. »So viel Energie kann unmöglich in einem einzelnen stecken«, schnurrte sie. »Versuch' es doch selbst.« »Du meinst ...?« »Ja, nur zu.« Etwas unsicher trat Tojo vor sie und hob eine Vorderpfote. Ganz sachte, so als würde er versuchen, sie auf Wasser aufzusetzen, legte er sie an. Es dauerte nur einen Augenblick, bis ihm ein überraschter Aufschrei entfuhr: »Da war was!« »Ja, ich habe es auch gespürt.« Nala zitterte und ihre Augen leuchteten förmlich vor unbändiger Freude, aber der Anblick machte Tojo irgendwie nervös. Er musste ehrlich zugeben, dass er so ein Glück wohl nie auf einem seiner Spaziergänge erleben würde. Jetzt verstand er auch Nalas Aufforderung von gerade eben, denn es war viel schöner, wenn man es teilte. »Wann wirst du uns denn verlassen?« Die Frage war ihm herausgerutscht. Tojo wusste nämlich, dass die Löwinnen damit am liebsten für sich blieben. Auch Zira hatte es vorher niemandem gesagt, sondern war vor drei Tagen einfach verschwunden. Die prompte Antwort kam deshalb umso überraschender: »Ist schon geschehen.« »Ach so. Dann habe ich dich also erwischt, als du gerade abhauen wolltest«, entgegnete er neckisch. »Nein, ich wollte vorher noch kurz zu dir.« Nala sah ihm einen langen Moment tief in die Augen, so als suchte sie etwas, ehe sie fortfuhr: »Es gibt da zwei Dinge, die ich so eigentlich nict zurücklassen will. Also –« »Warte mal! Warum kommst du damit zu mir?« »Hör' mir einfach zu, dann wirst du es schon verstehen. Also zuerst einmal wäre da Tama. Seit Sarabis Tod versucht sie alles, um an Beute zu kommen.« »Sie ist auch eine gute Jägerin«, warf Tojo ein. »Sie ist eine unserer Besten, aber das spielt keine Rolle. Als Leitlöwin hat sie andere Aufgaben.« »Was meinst du damit?« »Die letzten Male war sie viel zu sehr mit der Beute beschäftigt. Sie weiß, dass sie diesen matschigen Boden nicht so gut einschätzen kann, aber deshalb sollte sie uns nicht da raushalten. Sie muss uns nichts beweisen. Ich habe schon mit Mutter darüber gesprochen – sie hat mehr Erfahrung mit diesen Bedingungen und wäre bereit, ihr ein paar Tipps zu geben.« »Und was hat das mit mir zu tun?« »Es fällt niemandem leicht, Hilfe anzunehmen und Tama traue ich das momentan nicht zu. Kannst du deshalb mit ihr reden? Jemand muss sie davon überzeugen, dass sie welche braucht.« »Ich? Warum sollte gerade ich das schaffen?« »Weil du damals direkt zu ihr bist, als du Hilfe mit Siri gebraucht hast. Wenn sie auf jemanden hört, dann auf dich.« »Woher –« Weiter kam Tojo nicht, denn Nala verpasste ihm einen spielerischen Prankenhieb in die Mähne. »Außerdem hat sie dich ganz gern.« Einen Moment lang wusste er nicht, was er sagen sollte und starrte Nala nur perplex an. Schließlich fand er seine Stimme wieder: »Ähm und die andere Sache?« Nala richtete sich auf, um ihn direkt ansehen zu können. »Mheetu wird bald seine Mantlung bekommen. Weißt du, ich habe mir vorgenommen, immer für ihn da zu sein. Aber gerade jetzt, wo es so wichtig wird, kann ich es nicht.« »Keine Sorge, ich achte auf ihn.« In diesem Punkt war sich Tojo sicher, immerhin hatte er Mheetu jetzt schon zwei Mal dabeigehabt. »Du weißt gar nicht, wie viel mir das bedeutet.« Nala trat einen Schritt näher und legte den Kopf in seine Mähne. »Ich danke dir.« »Na ja, ich kann es mir denken.« Eher zurückhaltend erwiderte er die Geste. »Du als große Schwester würdest ihn wahrscheinlich gerne besser kennen, als ich es tue.« Plötzlich schreckte sie zurück. »Zumindest weiß ich, dass er gut aufgehoben ist.« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, kehrte sie um und lief davon, hinaus aus dem Geweihten Land. Training mit Tojo Auf einmal schienen Tojo die beiden Aufgaben, die sie ihm gegeben hatte, viel unangenehmer als gerade eben noch. Für einen kurzen Moment hatte er es sich tatsächlich vorstellen können, nach Hause zu kommen und sich über einen ausgiebigen Empfang zu freuen, doch davon war jetzt nichts mehr geblieben. Trotzdem hatte er nicht vor, sich davor zu drücken. Also machte er sich auf den Rückweg und als der Königsfelsen allmählich begann, majestätisch vor ihm in den Himmel zu ragen, bog er ab und lief in Richtung Wasserloch weiter. Insgeheim hoffte Tojo natürlich, zuerst auf Tama zu treffen, auch wenn Nalas Bemerkung ihn etwas verunsichert hatte. Der Wunsch blieb ihm allerdings verwehrt, wenig später traf er auf Simba, der gerade die drei Jungs ausführte. Tojo überspielte seine Enttäuschung, indem er in einigen großen Sätzen auf sie zusprang. »Ah, Tojo. Du kommst gerade richtig«, begrüßte ihn Simba. »Ich hatte schon befürchtet, dass ich dich heute nicht mehr finde.« »Ach, echt?« Ansonsten wollte doch nie jemand etwas von ihm und jetzt hatten an diesem Morgen schon zwei Löwen nach Tojo gesucht. »Für die beiden wird es langsam ernst«, verkündete Simba und deutete auf Mheetu und Nuka. »Ich wollte heute sehen, was sie gelernt haben und vor allem, dass sie es selbst merken. Das geht nun einmal im direkten Vergleich am besten. Außerdem möchte ich noch, dass Kopa mal einen Übungskampf zwischen erwachsenen Löwen sieht.« »Warum nimmst du dir dafür nicht Chumvi?« »Weil wir fast dieselbe Technik haben, bei uns beiden ist das was anderes.« »Da ist was dran.« Tojo warf einen kurzen Blick auf Mheetu und fragte sich dabei, ob der wusste, was er über ihn dachte. »Es gibt hier einen guten Platz ganz in der Nähe«, berichtete Simba und ging voraus. Dort angekommen wandte er sich sogleich wieder an Tojo: »Fangen wir beide an? So, wie ich dich kenne, möchtest du am liebsten bald wieder los.« »Ach nein, das passt schon.« Auch wenn Simba nichts dazu sagte, war ihm die Überraschung deutlich ins Gesicht geschrieben. »Trotzdem, es bleibt dabei. Wir beide fangen an.« »Gut, ich bin bereit.« Die beiden gingen aufeinander zu, bis sie sich direkt gegenüberstanden, senkten die Köpfe und legten die Schädeldecken aneinander. Kopa wartete gespannt darauf, wer den ersten Angriff wagen würde. Es war Simba, der eine Vorderpfote hob, aber Tojo hatte darauf geachtet und sprang auf Distanz, während der Schlag seines Gegenübers ins Leere ging. Kopa erkannte recht schnell die verschiedenen Vorgehensweisen der beiden Kontrahenten: Simba stürzte sich frontal in den Kampf, aber Tojo wich ihm immer wieder zur Seite aus und schnappte dabei drohend nach seinen Vorderpfoten. Dieses Spiel wiederholte sich etliche Male, bis Simba wieder die Initiative ergriff und sich einen Schritt weiter vorwagte. Tojo zögerte nicht, machte einen Schritt zur Seite und zielte auf Simbas Vorderbein. Doch der hatte es schon kommen sehen und die Pfote drohend zum Schlag erhoben. Noch nie hatte Kopa gesehen, wie sich etwas so schnell bewegte, als Tojo in einem Zug weitersprang und nur einen Augenblick später Simbas Hinterlauf zwischen den Zähnen hatte. Dadurch entkam er allerdings nicht Simbas Schlag und wurde kurzerhand zu Boden befördert. Kopa war sich sicher, dass sein Vater ihn ernsthaft hätte verletzen können, wenn er seine Krallen benutzt hätte. Genau das stellte Tojo nun nach, indem er kurz auf die Stelle sah, die Simba getroffen hatte. Doch damit versäumte er die Gelegenheit, sich rechtzeitig wieder aufzurichten. Einen Augenblick später war Simba über ihm und versuchte, an seinen Hals zu gelangen, aber Tojo hielt ihn an der Brust zurück und packte mit den Zähnen eine seiner Vorderpfoten. Doch der nutzte einfach die andere, um Tojos Beine zur Seite zu stoßen und sich wieder zu befreien. Jetzt hielt ihn nichts mehr davon ab, hinabzustoßen und Tojo am Hals zu packen. Der versuchte zwar noch kurz, sich herauszuwinden, aber Simba hatte ihn sicher und biss nun allmählich fester zu. Als Kopa schon befürchtete, sein Vater würde ihn umbringen, klopfte Tojo kurz mit einer Vorderpfote gegen die Innenseite eines von Simbas Beinen, worauf der sofort von ihm abließ und einen Schritt zurücktrat. »Glück für mich«, meinte er schwer schnaufend. »Ja, dass das ein Übungskampf war«, erwiderte Tojo nicht minder erschöpft. »Ich hatte dein rechtes Hinterbein und dein rechtes Vorderbein. Wenn ich richtig zugebissen hätte, wärst du nicht mehr über mir stehen geblieben.« »Ähm, gut.« Simba wandte sich wider den Jungs zu. »Irgendwelche Fragen?« »Ja«, meldete sich Kopa. »Warum hast du die Blockpfote zum Schlagen benutzt?« »Warte, ich zeige es ihm«, warf Tojo ein. Nachdem Simba per Nicken sein Einverständnis gegeben hatte, ging er zu Kopa und baute sich vor ihm auf. »Block' mich ab!« Der straffte die Schultern und verlagerte das Gewicht auf die Hinterbeine. »Bereit.« Tojo bewegte sich zwar wesentlich langsamer als gerade eben noch, aber trotzdem gelang er Kopa nur knapp, dessen vorschnellenden Kopf vor seiner Schulter mit einer Pfote zu bremsen. »Gut, jetzt nochmal«, meinte Tojo, zog sich kurz zurück und schlug dann noch einmal auf derselben Seite zu. Kopa konnte keinen Grund sehen, warum er es nicht wieder schaffen sollte und hob die Pfote zum Block, doch Tojo drehte einfach ein wenig den Kopf und hatte kurzerhand sein Vorderbein im Maul. »Siehst du?«, warf Simba ein. »Um Tojo abzublocken, muss man sehr schnell sein. Bei Löwen in deinem Alter musst du vor solchen Kunststücken aber keine Angst haben, das können wirklich nur die wenigsten.« Dann richtete er seine Worte wieder an alle drei: »Der Ablauf ist euch soweit klar? Um aufzugeben, schlagt ihr mit dem Schwanz oder einer Pfote zweimal irgendwohin.« Alle drei entgegneten mit einem kurzen Kopfnicken. »Gut. Mheetu, Nuka, ihr seid dran. Kämpft, bis einer aufgibt, aber ich will keine Verletzungen sehen! Wenn es so weit ist, lasst ihr sofort voneinander ab.« Kopa beobachtete gespannt, wie seine beiden Freunde aufeinander zugingen. Dass sie nun einen echten Übungskampf austrugen, ließ sie so viel erwachsener wirken. Genau wie Simba und Tojo bauen sie sich voreinander auf, senkten die Köpfe und legten die Schädeldecken aneinander. »Gibt es ein Startzeichen?«, fragte Mheetu, ohne aufzusehen. »Nein, wozu auch?«, entgegnete Tojo. »Der Kampf beginnt in dem Moment, in dem ihr euch berührt.« Er machte einen kleinen Bogen um die beiden Kämpfer und legte sich neben Kopa nieder. In dieser Zeit hatte sich noch keiner der beiden Jungs bewegt. Simba und Tojo sagten nichts dazu, sondern beobachteten sie interessiert. Als sie dann schließlich auseinandersprangen, konnte Kopa unmöglich sagen, wer sich zuerst bewegt hatte. »Sie sind sich sehr ebenbürtig«, sagte Tojo nachdenklich und bestätigte damit Kopas Verdacht. Währenddessen begannen die beiden, sich langsam zu umkreisen. Keiner von ihnen wagte es, dem anderen zu nahe zu kommen. »Nuka, zieh deine Krallen ein!«, mahnte Simba. Fast im selben Moment setzte Mheetu um Angriff an. Mit einem Satz war er bei Nuka und zielte mit der Pfote auf dessen Schulter. Anstatt den Schlag abzublocken, duckte der sich darunter weg und zog sich ein Stück zurück. »Wow, Mheetus Flanke war gerade völlig offen«, kommentierte Tojo für Kopa mit so leiser Stimme, dass die beiden kämpfenden Jungs ihn unmöglich verstehen konnten. »Nuka ist schneller, aber er braucht einen Plan.« Doch davon war keine Spur zu sehen; Nuka kam kaum zum Zug, während Mheetu ihn immer weiter an den Rand eines imaginären Kreises drängte. Dank Tojos Gemurmel erkannte Kopa allerdings jede Möglichkeit zum Gegenangriff. »Komm schon, Nuka. Du musst etwas tun, wenn du gewinnen willst«, rief Simba. Ohne auch nur aufzublicken, sprang Nuka seinen Gegner an. Genau wie Tojo versuchte er, dessen nächstgelegenes Bein zu fassen zu bekommen. Doch er Angriff zu offensichtlich gewesen. Mheetu empfing ihn mit einem Schlag ins Gesicht, der ihn augenblicklich zu Boden beförderte. Der Treffer schien auch Mheetu selbst überrascht zu haben. Einen winzigen Moment zögerte er, bevor er mit einer Pfote über Nuka hinwegstieg und versuchte, einen finalen Biss anzubringen. Plötzlich hörte Kopa Tojo etwas murmeln: »Wenn Nukas Hals in Mheetus Reichweite ist, dann es andersrum genauso. Es ist ein kühner Streich, aber er könnte es schaffen.« Er schaute noch einmal genau auf die beiden Kontrahenten, dann rief er laut: »Mheetu!« Der wandte sich sofort von Nuka ab und sah Tojo an. Die Gelegenheit blieb nicht ungenutzt; Nuka rollte sich unter Mheetu hervor und fegte dabei dessen einziges Bein, das links von ihm stand zur Seite. Dabei zog er auch noch etwas daran, sodass Mheetu flach auf dem Bauch landete. Noch bevor ihm ganz klar war, was gerade passiert war, hatte Nuka seinen Nacken zwischen den Zähnen. Mheetu gab den Kampf auf und wurde sofort freigelassen. Sowie er wieder auf den Beinen war, ging er schnurstracks auf Tojo zu. »Was war das eben?« »Ein Fehler, den du nicht noch einmal machen wirst.« Kopa befürchtete schon, Mheetu würde auf ihn losgehen – wenn er bei Tojo überhaupt einen einzigen Schlag anbringen könnte. »Er hat Recht, du darfst dich im Kampf nicht so leicht ablenken lassen«, mischte sich Simba ein. »Und was soll ich dann tun? Es könnte ja etwas Wichtiges sein.« »Egal was passiert, Mheetu, nichts ist wichtiger als der Kampf, den du in dem Moment führst.« Tojo kam Mheetus Erwiderung zuvor: »Ich hätte da ein paar Ideen. Wenn du erlaubst, Simba.« Er warf ihm einen vielsagenden Blick zu und zuckte kurz mit dem Kopf. »Ja, ihr könnt gehen. Wir sind hier fertig.« Sonderbare Lehrstunden »Wir lieben Larven!« Pumbaa untersuchte eine Spalte zwischen den Wurzeln eines Seidenbaums. »Nicht mögen ...«, warf Timon ein, während sein Freund den Kopf zurückzog. »... lieben!«, vollendeten die beiden im Chor. ›Das wäre nie passiert, wenn meine Mutter noch hier wäre.‹ »Ach komm schon, was soll das lange Gesicht? Hier –« Auf einmal Hatte Timon ein Stück Rinde in der Hand, auf dem sich allerlei Kriechtiere tummelten, und hielt es seinem Schützling vors Gesicht. »Die sind besonders knusprig.« »Die Schleimigen verstecken sich weiter unten«, bestätigte Pumbaa und suchte weiter seine Wurzel ab. »Es lohnt sich nicht, danach zu graben – die Knusprigen sind eh die Besten.« »Nein, die Schleimigen«, ertönte es aus Pumbaas Richtung. »Knusprig!« – »Schleimig!« – »Knusprig!« – »Schleimig!« Darüber konnte man doch nur den Kopf schütteln. Aber vielleicht war das die Gelegenheit, herauszufinden, was die Jungs gerade so trieben. Nachdem sie sichergestellt hatte, dass ihre beiden Aufpasser noch immer durch ihren Streit abgelenkt waren, stahl sich die Kleine davon. – »Knusprig ... siehst du, ich habe mal wieder Recht.« »Ähm, Timon?« »Ja, Pumbaa?« »Wo ist Vitani?« »Na gleicht hier, wo sie – oh nein, sie hat doch eben noch hier gesessen!« Die beiden Löwen trotteten gemütlich und einträchtig durch die Savanne. Mheetu hüllte sich in respektvolles Schweigen und auch Tojo machte vorerst keine Anstalten, etwas zu sagen. Nach einer Weile hatten sie den Königsfelsen schon weit hinter sich gelassen und ließen sich schließlich unter einem kleinen Felsüberhang nieder, um der sengenden Mittagshitze zu entkommen. »Sie hatte Recht.« Plötzlich kam Tojo ein Gedanke, der ihm sehr gefiel. »Vielleicht sogar mit allem.« »Was meinst du?«, fragte Mheetu »Wen«, verbesserte ihn Tojo. »Gut, wen meinst du?« »Nala.« Er warf einen kurzen Blick hinaus aus ihrem Versteck in die offene Savanne. »Ich habe sie heute Morgen getroffen.« »Ach so. Wann kommt die denn wieder?« »In zwei Monden.« »Was? Warum –« Aber da ging Mheetu ein Licht auf. »Warte mal, das heißt, ich werde bald wieder –« »Onkel«, bestätigte Tojo. »Wie fühlt sich das an?« »Naja, ich bin schon Onkel«, antwortete Mheetu mit einem verlegenen Grinsen. »Aber ich freue mich darauf.« »Allerdings weniger als deine Schwester.« »Es ist ja auch ihr Junges.« »Junge«, verbesserte Tojo. »Sie glaubt, es werden zwei.« »Wie –« »Frag' nicht. Sie glaubt einfach daran.« Zu Tojos Überraschung war diese Antwort für Mheetu vollauf zufriedenstellend. »Ja, sie ist schon etwas Besonderes.« »In der Tat. Sie hat mir außerdem noch etwas anvertraut. Sie ist unheimlich stolz auf dich, dass du bald deine Mantlung bekommen wirst.« »Wird sie denn da sein?« Die Aussicht, dass dies schiefgehen könnte, schien Mheetu stark zu beunruhigen. »Zur Mantlung auf jeden Fall, aber nicht davor, um dir zu helfen, dich darauf vorzubereiten.« »Ja, das wäre schön gewesen. Aber ich verstehe, warum sie es nicht kann.« »Dafür bin ich jetzt da«, entgegnete Tojo. Mheetu blickte verwundert auf. »Wie jetzt?« »Darum hat sie mich gebeten. Ich kann deine Schwester nicht ersetzen, aber ich werde auf dich Acht geben, solange sie es nicht kann ... wenn das für dich in Ordnung ist.« »Ja, das ist es«, antwortete Mheetu mit demselben Leuchten in den Augen, das er schon heute Morgen bei Nala gesehen hatte. So sah er seiner Schwester auf einmal sehr viel ähnlicher. »Gut.« Tojo erhob sich, wobei er sogfältig darauf achtete, nicht mit dem Kopf am Fels über ihm anzustoßen. »Unsere erste Lektion heute: Was tun, wenn man beim Kampf abgelenkt wird.« Schatten der Vergangenheit -------------------------- Alte Feinde Die heißen Mittagsstunden waren gerade vorüber, als Simba mit Kopa und Nuka im Gefolge vom Königsfelsen herabstieg. »Wo geht's diesmal hin?«, fragte Nuka in seinem gewohnt desinteressierten Tonfall. Simba schaute nur kurz zurück, dann sprang er vom letzten Felsen hinunter ins Gras. »Folgt mir einfach.« Die beiden Jungs wechselten einen kurzen Blick. »Scheint etwas Wichtiges zu sein«, vermutete Kopa. Unter ständigem Aufblicken in den teils bewölkten Himmel führte Simba sie zunächst unter der Steinbrücke hindurch und anschließend zur Rückseite des Königsfelsens. Dort bog er ab und schritt geradewegs in die südliche Savanne hinaus. Kopa hatte dieses Gebiet schon oft von der Spitze des Königsfelsens aus überblickt. Vor ihnen bahnte sich der Große Fluss seinen Weg durch eine tiefe Schlucht, von wo aus er am Elefantenfriedhof vorbei und anschließend aus dem Geweihten Land heraus floss. Nicht weit rechts von ihnen müsste die Narbe, die das Feuer vor einigen Monden hinterlassen hatte, direkt auf den Fluss zuführen. Aber allzu weit kamen sie nicht. Die Schlucht war gerade erst als schmaler, dunkler Streifen zu erkennen, als von links ein blaugefiederter Vogel in elegant gleitendem Sinkflug direkt auf sie zuheilt. Simba hatte ihn schnell bemerkt und blieb stehen. Zazu kreiste einmal über ihren Köpfen und landete kurz danach auf einer kleinen Anhöhe, wo das Savannengras nicht allzu hoch wuchs. »Eure Majestät«, begrüßte er Simba mit einer tiefen Verbeugung. »Prinz Kopa.« Auch ihm gegenüber deutete der Nashornvogel eine Verbeugung an. »Guten Tag, Zazu«, erwiderte Simba. »Was gibt es zu berichten?« »Wie es aussieht, hat Nala das Geweihte Land verlassen, um ihre Jungen zur Welt zu bringen.« Simba tat dies mit einem gelassenen Nicken ab, besonders zu überraschen schien es ihn jedenfalls nicht. Zazu fuhr daraufhin fort: »Der neuerliche Regen lässt das Geweihte Land aufgehen, wie ich es schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen habe. Bald wird alles wieder so sein wie früher«, trotz seiner Worte wirkte der Nashornvogel alles andere als glücklich, »leider mehr als uns lieb ist.« »Was soll das heißen?« »Hyänen haben wieder im Geweihten Land gejagt.« »Dann muss ich sie vertreiben ... oder du fliegst weiter zum Königsfelsen und – Moment, sie haben gejagt?« »In der Tat, Sire. Eine Herde Antilopen hat das schon erledigt. Sie und einige andere Tiere haben sich direkt gegenüber dem Elefantenfriedhof versammelt.« »Sie haben was? Ich muss sofort dorthin.« Simba warf nur einen kurzen Blick auf die Jungs, bevor er losstürmte. Über die Schulter rief er noch zurück, dass Zazu die beiden nach Hause bringen solle. Mit lautem Zischen schossen in regelmäßigen Abständen grüne Rauchsäulen empor und der salzig-ätzende Geruch vermischte sich mit dem Gestank nach Aas, der sowieso schon in der Luft hing. »Bitte, versucht, Ruhe zu bewahren.« Dieser Ort lag so weit in den Tiefen des Elefantenfriedhofs, dass selbst Shenzi nicht ganz wohl dabei war. Aber es musste hier geschehen, denn diese unwirkliche Bedrohlichkeit gab den anwesenden Hyänen ein Gefühl von Zusammenhalt. Als sie den Blick über ihre Artgenossen schweifen ließ, erkannte Shenzi eine Hyäne, die am Rande der Versammlung lag. Seine linke Flanke durchzogen zwei lange senkrechte Wunden, aus denen noch immer ein wenig Blut tropfte. Höchstwahrscheinlich hatte irgendetwas Gehörntes sie ihm beigebracht. »Was ist mit dir passiert?« »Er war jagen, drüben im Geweihten Land«, entgegnete eine Hyäne, die daneben stand. »Tagsüber? Was hast du dir dabei gedacht?« »Es war nur ein Savannenhase«, verteidigte sich der Verwundete und wich offensichtlich Shenzis Blick aus. »Das Vieh saß einfach am anderen Flussufer und hat mich angestarrt. Aber nicht mit mir. Ich bin rüber zum Baumstamm und auf die andere Seite, aber als ich dann dort war, stand da eine ganze Herde Antilopen.« »Moment mal! Sie waren hier am Fluss?« Mit dem Beginn der Großen Regenzeit waren die Bewohner des Geweihten Landes nicht mehr auf Wasser aus dem Fluss angewiesen. Schon seit Tagen war die Gegend um den Elefantenfriedhof deshalb vollkommen leer. »Ich hatte das Gefühl, dass sie mich erwartet haben.« »Das macht das Ganze weitaus weniger kompliziert.« Shenzi wandte sich von der Verletzten Hyäne ab und wieder der vollen Versammlung zu. »Wie es aussieht, arbeiten die Tiere im Geweihten Land nun gemeinsam gegen uns. Wir können uns nicht einmal mehr einen Savannenhasen schnappen, ohne zu riskieren, die Aufmerksamkeit von sonst etwas auf uns zu lenken – vielleicht sogar Löwen.« Gerade auf die letzte Bemerkung ging ein besorgtes Raunen durch die Menge. Manche trugen es mit Fassung, während andere nervös um sich schauten, so als könnte hier und jetzt ein ganzes Löwenrudel auf sie einfallen. »Was sollen wir tun?«, fragte ein ungewöhnlich großes Männchen in ruhigem Ton. »Wir müssen uns verbünden«, antwortete Shenzi entschlossen. »So haben wir schon einmal das Geweihte Land eingenommen und wir können es wieder tun.« Die Versammlung reagierte mit einigen Aufschreien. »Und wer soll uns anführen?« »Niemals!« »Shenzi?« »Das Ende naht!« »Chungu!« Kinderspiel Die allmählich sinkende Sonne wärmte Zazus Rücken angenehm auf, während er über den heimkehrenden Jungs dahinglitt. Ab und an ließ er sich etwas herabsacken, um in die etwas frischere Luft über dem Boden einzutauchen. Als sie sich dem Durchgang unter der Steinbrücke näherten, beschleunigte Nuka seinen Schritt, hängte Kopa ab und begann mit dem Aufstieg. Unterdessen hatte Zazus geübtes Auge eine weitere Bewegung wahrgenommen. Gleichzeitig wusste er aber auch, dass sich kein Tier so nah an den Königsfelsen herantrauen würde, solange kein zeremonieller Friede herrschte. Ohne weitere Bedenken segelte er deshalb über die Felsterasse hinweg und glitt über den sanft abfallenden Liegeplätzen dahinter in einer eleganten Kurve herab. Obwohl das Manöver nur einige Augenblicke gedauert hatte, so hatte sich die Situation gründlich verändert. Kopa war nun nicht mehr auf den Beinen, sondern lag auf dem Rücken am Boden, während Vitani beide Vorderpfoten auf seine Brust stemmte. »Hab’ ich dich!« »Musst du dich denn immer anschleichen?« Auf einmal schnappte Kopa nach ihrem Bein. Vitani quiekte überrascht auf und ging gleich darauf ebenfalls zu Boden, wo die beiden allerdings nicht so schnell wieder voneinander abließen. »Ach wisst ihr, ihr erinnert mich an Simba und Nala – wie sie vor langer Zeit mal waren«, sagte Zazu, während er noch sein Gefieder ordnete. »Und sieh' sich einer an, was aus ihnen geworden ist!« »Moment mal ...«, rief Vitani und ließ Kopa einfach links liegen. Aber auch der hatte was zu melden: »Zazu, du meinst doch nicht etwa, dass wir – nein, das geht nicht!« »Aber natürlich, ihr seid –« »– nur Freunde«, fiel ihm Vitani ins Wort. »Genau«, bestätigte Kopa. »Ich meine, ich könnte niemals –« Er verstummte, als er merkte, dass Vitani seinem Gesicht auf einmal gefährlich nahe war. »Was könntest du nicht?« Schon wieder raschelte es im Gras, aber derjenige war weniger vorsichtig, sodass selbst Vitani ihr Wortgefecht mit Kopa vergaß und in die entsprechende Richtung sah. »Wie konntest du sie nur verlieren?« »Ich? das warst du!« »Timon, Pumbaa!« Zazu entging nicht, dass nur Kopa die beiden begrüßte. »Und, was habt ihr gerade gemacht?« Wenn sie ihre Pflicht als Aufpasser vernachlässigt hatten, würde er sie nicht so einfach davonkommen lassen. »Wir ... also ... ähm ...« »Tut mir Leid, dass ich weggelaufen bin«, meinte Vitani. »Aber ich brauche doch auch keine Babysitter! Was soll schon passieren?« »Das Geweihte Land ist nicht so sicher, wie du vielleicht denkst«, entgegnete Zazu. Kopa flüsterte Vitani etwas ins Ohr und dachte anscheinend nicht daran, dass Zazu ihn trotzdem problemlos verstehen konnte: ›Hyänen.‹ »Nein, es ist mehr als das, junger Prinz. Aber zum Glück ist es nicht meine Aufgabe, dir das zu erklären.« »Es hat auf jeden Fall nichts mit deinem Vater zu tun«, versuchte Timon sie zu beruhigen. Doch Vitani stutzte erst einmal. »Mein Vater? Was ist denn mit ihm?« »Du weißt also gar nicht, was er getan hat«, stellte Pumbaa fest. »Und das ist auch gut so«, fügte Zazu hinzu. »Um manche Dinge zu hören, muss man alt genug sein, aber das ... ich würde am liebsten nie mehr darüber reden.« »Was? Das kann nicht sein!« Wie es aussah, würde Vitani ihren Vater bis aufs Letzte verteidigen. »Er war doch immer so lieb zu Mutter.« »Warte mal, ich dachte du wurdest erst geboren, nachdem Zira gegangen ist.« »Das ist ja auch normal.« »Nein, du verstehst nicht ... wie denn auch, du kannst es ja gar nicht wissen.« »Was kann ich nicht wissen?« Diesmal wirkte Vitani viel weniger bedrohlich als eben noch Kopa gegenüber. »Vergiss es. Vergiss, was ich über Chumvi gesagt habe, er ist ein guter Löwe.« »Und wer soll uns anführen?« »Niemals!« »Shenzi?« »Das Ende naht!« »Chungu!« Die Hyäne, die schon zuvor das Wort ergriffen hatte, drehte kurz den Kopf in die Richtung, aus der der Vorschlag gekommen war, und sah dann wieder Shenzi an. »Ja, vielleicht ist es besser, wenn diesmal mehr als nur einer über unser Schicksal entscheidet. Du hast beschlossen, dass wir uns zusammentun und ich werde uns alle leiten.« So schnell und unbemerkt wie nur irgendwie möglich versuchte Shenzi, ihre Lage abzuschätzen. War es klug, einen Streit anzufangen? Diese Wendung könnte für sie von großem Vorteil aber genauso gut auch von Nachteil sein. Chungu überragte sie um einiges – im Stehen würde sie niemals seinen Nacken zu fassen bekommen und auch sein Hals lag fast außer Reichweite. Dafür hatte er aber nicht ihre kräftige Statue, wenn sie ihm also nahe genug kommen würde ... Doch wie sie es auch drehte, er war zumindest in der Lage, sie zu besiegen und vor der vollen Versammlung war das schon Grund genug, sich zurückzuhalten. »Asante!«, rief sie, ohne sich von Chungu abzuwenden. Erst als die Kleine neben ihr stand, sah Shenzi hinunter. »Erzähl' allen, was sie wissen wollen.« Anschließend beugte sie sich herab und flüsterte Asante etwas ins Ohr. Die nickte kurz und richtete ihren Blick auf die Hyänen um sie herum. Es dauerte kaum einen Augenblick, bis die erste Frage aufkam: »Bist du Shenzis Tochter?« »Ich weiß nicht, wer meine Eltern sind.« Die Kleine schien das nicht zu bedauern. »Shenzi ist die erste, an die ich mich erinnern kann.« Chungus Ohren zuckten ein wenig, als er das hörte. »Dann hat sie dich also großgezogen?« »Ich kann auf mich selbst aufpassen. Ich kenne mich schon überall hier aus.« »So ganz ohne Aufpasser? Wow!« Shenzi, deren Aufmerksamkeit die ganze Zeit Chungu gegolten hatte, blickte kurz zu Asante herab und neigte fast unmerklich den Kopf. »Aber jetzt würde ich gern mehr über das Geweihte Land herausfinden!« Auf den unvermittelten Themenwechsel hin zog sich ein überraschtes Raunen durch die Menge. Nun hatte Asante die Aufmerksamkeit jeder anwesenden Hyäne. »Der Elefantenfriedhof ist ja ganz interessant, aber da drüben ist es viel schöner. Irgendwann möchte ich einmal dort leben, zusammen mit all den anderen Tieren.« »Shenzi«, Chungu verengte die Augen, »hast du ihr das in den Kopf gesetzt?« »Nein, sie meinte, das wird nicht passieren«, entgegnete allerdings Asante selbst und die Menge reagierte mit allseitigem Gemurmel. »Danke dir, ich denke das reicht.« Shenzi drückte mit dem Kopf sanft gegen ihre Flanke, worauf Asante sich in Bewegung setzte und die ganze Versammlung beobachtete, wie sie auf den schmalen Pfad zuhielt, der aus der Senke hinauf zum lichteren Teil des Elefantenfriedhofs führte. Sobald sie oben nicht mehr zu sehen war, ergriff Chungu wieder das Wort: »Weiß sie, was das bedeutet?« »Nein«, antwortete Shenzi, »aber du ... und auch jeder andere hier. Trotzdem verspüren wir alle denselben Wunsch, zu dem auch Asante ohne irgendwelches Zutun gekommen ist.« »Du sagst es: Ein Wunsch – Wunschdenken! Wir können nicht einfach ins Geweihte Land einfallen, jedes einzelne Tier dort wäre gegen uns.« »Das Problem haben wir ja jetzt schon.« »Also sollten wir jeden offenen Konflikt meiden!« »Keine Sorge, ich habe einen Plan.« Überzeugungsarbeit »So und jetzt versuch mal, dich zu befreien.« Mit gerademal einer Pfote hatte Tojo eines von Mheetus Vorderbeinen so am Boden fixiert, dass der sich nicht wieder aufrichten konnte. Aber auf einmal erregte etwas anderes seine Aufmerksamkeit. Hatte er da etwas im Gras gesehen? »Ist ja gut, du kannst mich loslassen!« »Oh, entschuldige.« »So viel zu deinen eigenen Ratschlägen«, meckerte Mheetu und setzte sich auf, um sein Bein zu betrachten, »den Blick kann man abwenden, aber die Gedanken müssen immer beim Gegner sein.« »Wir kämpfen nicht«, entgegnete Tojo nur und sah gleich wieder auf, aber es war bereits zu spät. »Hey, was macht ihr beiden denn hier?« »Hallo Tama«, rief Mheetu. Die nickte kurz und sah Tojo fragend an. »Ich bringe ihm bei, während dem Kampf aufmerksam zu sein.« »Ah, na dann ... klasse Beispiel!« Damit konnte Tojo auf Anhieb nichts anfangen und sah zurück zu Mheetu, doch der hatte bereits einen verlegenen Gesichtsausdruck aufgesetzt. »Tut mir Leid.« »Was –?« Da konnte Tama nicht mehr an sich halten und brach in Gelächter aus: »Ich meine ja nur ... du hast mich nämlich nicht bemerkt.« »Das wäre auch zu viel verlangt«, erwiderte Tojo allerdings. »Du bist zu gut.« Sobald sie sich beruhigt hatte, trat Tama ganz zu den beiden heran. »Nun, dann musst du dir für mich wohl eine besondere Strategie einfallen lassen.« »Mheetu, wir sind dann fertig«, sagte Tojo. »Du kannst gehen, wohin du willst.« »Schon klar«, entgegnete der, konnte ein leichtes Zucken seines Mundwinkels aber nicht vermeiden. »Diese „besondere Strategie“ funktioniert nur, wenn ihr beiden allein seid.« »Was? ... Nein! Was auch immer du denken magst, es stimmt nicht.« Mheetu antwortete nicht, sondern grinste noch einmal Tama an, bevor er im hohen Savannengras verschwand. »Warum interessiert sich jeder so für uns?«, fragte Tojo frei heraus. »Warum lässt du sie nicht einfach reden«, antwortete Tama. »Es ändert doch sowieso nichts.« Sie beobachtete Tojo einen Moment lang, während er zum Königsfelsen sah. »Warum hast du ihn eigentlich weggeschickt?« »Ich wollte allein mit dir sein ... aus einem anderen Grund«, fügte er noch schnell hinzu. »Weißt du, manchmal habe ich die Hoffnung, dich allmählich zu verstehen, aber irgendwie überraschst du mich immer wieder aufs Neue.« »Es geht nicht um mich. Heute Morgen habe ich Nala getroffen. Sie hat das Geweihte Land schon verlassen und wird bald ihre Kinder kriegen.« Tamas Kopf zuckte ein gutes Stück zurück. »Schön für sie.« »Es ist doch nicht falsch, sich für sie zu freuen!« Tojo zögerte einen Moment, aber anscheinend wartete sie darauf, dass er fortfuhr. »Na ja ... wie war die Jagd?« »Miserabel. Von hungrigen Jägerinnen kann man nicht erwarten, jeden Abend etwas im Schlamm zu fangen.« »Das ist nun einmal deine Aufgabe ... wobei ihr nicht jeden Abend etwas fangen müsst, selbstverständlich«, fügte er noch schnell hinzu, als Tama schon das Maul aufriss. »Ich weiß ganz genau, was meine Aufgabe ist«, entgegnete sie jedoch. »Das glaube ich dir. Aber ich denke auch, dass du daran zweifelst, dass du es schaffen kannst.« Erst kam gar keine Reaktion, dann öffnete sie ein paar Mal das Maul und schließlich fand Tama die Worte, die sie anscheinend gesucht hatte: »Da bin ich wohl nicht die einzige. Wenn das so weitergeht, sind die anderen Löwinnen ohne mich besser dran.« »Nein, sag' sowas nicht.« »Wer glaubt denn noch an mich?« »Ich tue es!« »Aha.« Tama legte den Kopf schief. »Warum?« »Es ist wegen Sarabi, nicht wahr? Du fühlst dich ohne sie unsicher.« »Weil ich genau weiß, dass ich nie so gut sein werde wie sie.« Tama sah hinüber zum Königsfelsen, dessen Flanken im Sonnenlicht glänzten. »Ich meine, sie hat mir so viel beigebracht.« »Und du hast mir so viel beigebracht.« Tojo wandte den Blick nicht von ihr, auch wenn sie den Kopf von ihm weggedreht hatte. »Hast du das denn schon vergessen?« »Nein, aber –« »Kein Aber! Das war dein Verdienst, dass ich Siri in die Falle locken konnte.« Tama sah ihn wieder direkt an. »Trotzdem warst du derjenige, der es getan hat.« »Mit deiner Hilfe.« Jetzt legte Tojo den Kopf schief. »Unser Verdienst?« »Damit kann ich leben.« Einen Moment lang glaubte Tojo, sie lächeln zu sehen. »Aber was soll ich dann heute Abend tun? Nichts gegen dich, aber die ganze Jagdgruppe ist etwas komplizierter zu handhaben.« »Hol' dir Hilfe. Bei mir hat es funktioniert.« »Das würde ich ja, aber Sarabi ist tot.« Nun blickte Tojo hinüber zum Königsfelsen. »Sarafina weiß Bescheid.« »Sarafina? Sie war doch nie Leitlöwin.« »Aber sie hat schon im Regen gejagt. Sie kann dir helfen, glaub mir.« »Ich soll also einfach zu ihr gehen und sie um Hilfe bitten? Das passt nicht.« Das Argument hatte Tojo eigentlich schon die ganze Zeit erwartet. »Ich weiß, dass es schwer ist, aber du musst daran denken, für wen du es tust. Es geht hier um uns alle.« Tama nickte zwar, schien aber immer noch zu zögern. »Bitte.« Genau in dem Moment ging ihr merklich ein Licht auf. Sie blinzelte Tojo an und nickte noch etwas kräftiger. »In Ordnung. Ich tue es für dich.« »Hauptsache wir haben heute Abend etwas zu essen«, entgegnete der mit einem verstohlenen Grinsen. Es schien zu funktionieren, auch Tamas Miene hellte sich wesentlich auf. Sie sah zu Boden, während sie auf ihn zuging und drückte anschließend den Kopf unter sein Kinn. »Danke.« Aber bevor er irgendwie wieder zu Wort kommen konnte, war sie schon in Richtung Königsfelsen davongeeilt. Väter Etwas dumpf klang der Radau, den die beiden anderen weiter unten veranstalteten. Er erhaschte noch einen kurzen Blick auf Zazu, der ihm flach entgegenkam, sah ihm aber nicht nach. Zwar wusste Nuka nicht wirklich, was er hier oben tun sollte, als er an den Liegeplätzen vorbei weiter den Königsfelsen hinaufstieg, aber das war in letzter Zeit nicht ungewöhnlich. Auf der Felsterasse angekommen schritt er quer darüber, setzte sich an den Rand auf der anderen Seite und schaute in die südliche Savanne hinaus. Es dauerte eine Weile, bis er die Stelle wiedergefunden hatte, wo ihr morgendlicher Ausflug beendet worden war. Gleich daneben erkannte er die Anhöhe, auf der Zazu gelandet war, aber nichts deutete jetzt noch darauf hin. Nuka ließ den Blick langsam die Schlucht in der Ferne entlangwandern. Von hier aus war sie nur ein dunkler Streifen, der sich quer durch die Landschaft zog und sich dann in einem Abhang verlor. Direkt dahinter lag der Elefantenfriedhof - etwas tiefer als das Geweihte Land. Zwar war Nuka noch nie da gewesen, aber er hatte gehört, dass dort alles ausgetrocknet sei, obwohl der Große Fluss direkt daran vorbeiführte. »Irgendwann schaue ich mir das mal an.« »Was?« Chumvi saß gleich neben ihm. »Ich meine ja nur, vielleicht können wir es zusammen tun.« »Wie ...?« »Nicht schlimm. Ich kann verstehen, dass du deinen richtigen Vater noch vermisst.« »Mein richtiger Vater?« Klasse! Da hatte Chumvi ihm schon eine Ausrede geboten, aber er selbst war zu überrascht von dem Thema gewesen, als dass er sich hätte im Griff halten können. »Ja. Ich dachte, du denkst an ihn.« Chumvi schien ihm allerdings kein bisschen böse zu sein. »Weißt du, es heißt, er hat sich auch sehr für die Schlucht und den Fluss interessiert.« Nuka dachte schnell nach, irgendetwas musste er jetzt sagen. Trotzdem ging ihm sein Vater nicht mehr aus dem Kopf - die alte Zeit, bevor das Wasserloch ... »Gut, ich erzähle es dir.« Chumvi lächelte erleichtert, blieb ansonsten aber ruhig. »Wie konnte das Wasserloch eigentlich austrocknen?« Als Chumvi etwas verwirrt dreinblickte, fügte er noch hinzu: »Darüber habe ich nachgedacht.« »Ach so. Nun, es hat nicht geregnet ... mehrere Monde lang.« »Aber völlig. Ich meine, die letzten Reste hat ja keiner mehr getrunken, weil alle schon woanders gesucht haben. Also irgendwo muss dieses Wasser hin sein.« Er sah wieder hinunter in die Ebene. »Vielleicht gibt es eine Verbindung zum Großen Fluss.« »Das wäre denkbar ... Aber ich kann es mir nicht vorstellen, ansonsten hätte sie wohl schon irgendwer gefunden.« »Und wenn es unter dem Boden fließt? Der Große Fluss tut das ja auch.« »So eine Schlucht ist ja noch auffälliger.« Nuka wollte gerade Luft holen, da hatte Chumvi es schon verstanden. »Es sei denn, es ist eine Höhle!« »Ja, genau.« »Gut, wir suchen danach. Ich denke, das ist genau das Richtige.« »Das Richtige?« »Für uns beide. Ich habe nicht vor, deinen Vater zu ersetzen, aber bis deine Mutter wiederkommt, möchte ich, dass wir uns verstehen.« Chumvi stupste ihn mit der Pfote an, als Nuka nicht gleich reagierte. »Das klappt aber nur, wenn wir beide daran arbeiten.« Nuka nickte nur kurz, aber anscheinend hatte Chumvi das nicht bemerkt. »Denk’ doch mal so darüber: Wir tun es für sie. Was glaubst du, wie sich deine Mutter freuen wird, wenn sie wieder da ist?« »Gar nicht. Sie interessiert sich sowieso nicht für mich.« Er traute sich nicht, aufzusehen. »Ist es wirklich so schlimm« ... »Glaub mir, sie hat einen guten Grund dafür.« Das war jetzt doch zu interessant. Nuka hob den Kopf. »Lass uns darüber reden. Das soll mein erster Schritt sein.« Aber irgendwie hatte Nuka so seine Zweifel an dieser Sache. Auf eigenen Pfoten stehen ------------------------- Kopa Kopa gefiel die große Regenzeit überhaupt nicht. Die Tage waren dunkel und ekelhaft feucht, genau wie die Stimmung am Königsfelsen. Zwar waren die Jägerinnen nun zunehmend erfolgreich, aber man konnte ihnen deutlich anmerken, wieviel Mühe es sie kostete. Dazu kam die angespannte Lage mit den Hyänen. Kopa hatte mittlerweile erfahren, dass sie vor nicht allzu langer Zeit noch im Geweihten Land gelebt hatten. Jetzt aber waren sie alle auf dem Elefantenfriedhof, was auch immer so schlimm daran war. Anfangs war das angeblich nur gut gegangen, weil das Geweihte Land so ausgetrocknet gewesen war und viele Tiere auf den Großen Fluss angewiesen gewesen waren. Durch die ergiebigen Regenfälle war das Wasserloch nun jedoch endlich wieder groß genug, um alle zu versorgen. So blieb den Hyänen nichts anderes übrig, als – Ein neuerliches Grollen riss ihn wieder aus seinen Gedanken. Selbst von den Liegeplätzen aus waren die dunklen Wolken über den fernen Hügeln nicht zu übersehen. Und so schwanden Kopas Hoffnungen, heute wieder etwas mit seinem Vater unternehmen zu können. Bald zwei Monde war es nun schon her, dass Sarabi gestorben war, aber seitdem war das Leben hier nicht mehr dasselbe gewesen. Und wie es aussah, würde sein Vater heute wieder keine Zeit für ihn haben. Dass ihm die Hyänen Sorgen bereiteten, hatte so ziemlich jeder schnell bemerkt, aber Kopa war einer der wenigen, die wussten, dass er sich mehr Gedanken über die Tiere im Geweihten Land machte. Nicht wenige von ihnen gaben den Hyänen die Schuld an der Dürre und unter den aktuellen Umständen war es praktisch unmöglich, sie dauerhaft voneinander fernzuhalten. Dabei endeten zu viele dieser Auseinandersetzungen blutig. Kopa überlegte gerade, ob sich ein Spaziergang noch lohnen würde, da hörte er seinen Namen, erst einmal deutlich und dann ein paar Mal den Nachhall von der Felswand. Als er nach oben blickte, erkannte er seinen Vater an der Spitze der Steinbrücke. Schnell stand er auf und machte sich auf den Weg. Es war das erste Mal, dass Kopa auf diese Weise aufgerufen worden war, also musste wohl irgendetwas passiert sein. Oben auf der Felsterasse empfing ihn Zazu mit einer knappen Verbeugung, bevor er sich mit einem einzigen Satz in die Luft schwang und einen engen Bogen um den herannahenden Simba flog, um sich auf dessen Schulter niederzulassen. Kopa warf ein wenig den Kopf hin und her, so wie er es schon oft bei Mheetu gesehen hatte. »Kopa, wir haben eine schwere Zeit hinter uns. Wenn ich jetzt zurückdenke, dann hätte ich einiges lieber anders gemacht.« Simba wog jedes Wort sorgfältig ab, während er sprach. »Ich sehe aber auch, dass du trotz allem herangewachsen bist und viel gelernt hat.« Kopa nickte. Tojo und Mheetu waren dafür genau die richtige Gesellschaft gewesen. »Deshalb denke ich nun, dass es für dich an der Zeit ist, deinen eigenen Weg zu gehen.« »Das bedeutet aber nicht, dass du jetzt nur noch das tun kannst, worauf du Lust hast«, warf Zazu ein. »Wir werden das Geweihte Land noch heute verlassen.« »Wie bitte?« Damit hatte Kopa nun überhaupt nicht gerechnet. Es war doch noch viel zu früh, um ihn wegzuschicken! »Ja, ich denke, ich komme im Moment auch eine Zeit lang ohne Zazu zurecht.« Simba hatte seine Überraschung wohl völlig missverstanden. »Machen wir uns nichts vor, ich bin bei diesem Wetter einfach nicht zu gebrauchen«, erwiderte Zazu und wandte sich dann an Kopa: »Aber dafür kann ich dich begleiten.« Na klar. Kopa versucht, nicht die Augen zu verdrehen. Zazu war natürlich der perfekte Schutz, wenn er da draußen einem fremden Löwen oder womöglich noch Schlimmerem begegnete. »Ihr habt aber noch ein wenig Zeit, bevor es losgeht. Da gibt es sicherlich noch etwas für dich zu erledigen, Zazu.« »Nun, Sire, wenn ich ehrlich sein soll –« »Zazu.« »– dann kann ein Blick in mein Nest nicht schaden. Man weiß nie, was man so vergessen haben könnte.« Der Nashornvogel verneigte sich noch einmal und flatterte davon. Simba setzte sich neben seinen Sohn und schaute auf die dunkle Wand aus Wolken. »Ihr solltet eigentlich keine großen Schwierigkeiten haben, noch vor dem Unwetter anzukommen.« Jetzt gab es also doch ein festes Ziel? Das ergab doch überhaupt keinen Sinn. »Wo denn?« »Ach so, das sollte ich dir vielleicht auch noch erzählen.« Simba lächelte über sein Versäumnis. »Du hast mir doch einmal erzählt, dass es dir lieber wäre, wenn du nie König werden müsstest.« Kopa nickte. Das war jetzt schon ein wenig her, aber im Prinzip hatte er seine Meinung nicht geändert. »Versteh' mich nicht falsch, ich finde das sehr weise. Aber du willst ja auch nicht das Geweihte Land verlassen, so wie Mheetu.« »Mheetu will gehen?« »Nach seiner Mantlung, aber das ist ein anderes Thema.« Er würde also nicht endgültig weggeschickt und doch hatte Kopa ein seltsames Gefühl bei der Sache. Vor allem kam es so unerwartet. »Wohin soll ich eigentlich gehen? Wenn ich meinen eigenen Weg gehen soll, dann –« »– musst du ihn erst einmal verstehen.« Simba wandte den Blick wieder zurück in die Ferne. »Weißt du, vor langer Zeit bin ich auch mal vom rechten Weg abgekommen und wollte auf niemanden hören.« Er sah Kopa sehr ernst an. »Du bist genauso orientierungslos, aber auf eine andere Weise. Trotzdem müsste dir derselbe alte Freund helfen können, der auch mir damals geholfen hat.« Jetzt konnte Kopa erstmals wieder lächeln, als er verstand, was das bedeutete. »Also gehe ich Rafiki besuchen.« Allerdings blickte er jetzt selbst besorgt auf die Regenwolken. »Wann soll ich zurückkommen?« »Heute, morgen, übermorgen – wann immer du willst.« »Und die Nächte?« »Rafiki wird etwas wissen.« Kopa konnte sich noch lebhaft erinnern, wie Rafiki immer gehaust hatte, als er hier im Geweihten Land gewesen war. Was dieser Affe wohl für einen Löwen bereithielt, war ihm ein Rätsel, aber er machte sich keine weiteren Gedanken darüber. Vitani Warum nur verbrachte Chumvi so viel Zeit mit Nuka? Auch wenn sie gerne glauben wollte, was Zazu gesagt hatte, hatte Vitani seitdem immer ein seltsames Gefühl gehabt, wenn sie an ihren Vater dachte. Was konnte es nur sein, was mit ihm nicht stimmte. Sie war sich ganz sicher, dass Nuka irgendetwas wusste, nur würde der es ihr garantiert nicht erzählen. Allerdings gab es auch sonst niemanden an den sie sich hätte wenden können. Neben ihrem Bruder und Chumvi hab es da noch Kopa, der gerade gerufen worden war, und Mheetu, doch der war dieser Tage ständig mit Tojo unterwegs. Der einzige Lichtblick für sie war, dass ihre Mutter bald zurückkommen würde. Wie dem auch sei, Kopa schien jetzt auf der Felsterasse fertig zu sein, denn er kam gerade wieder von dort herunter. Nur hieß das leider nicht, dass er jetzt Zeit hatte. Sie schätzte, dass Simba ihm gerade irgendeine Aufgabe gegeben hatte, die definitiv Vorrang vor ihr haben würde. Jetzt kam Zazu angeflogen und begleitete ihren Freund, währen er hinunter in die Savanne lief. Vitani sah den beiden noch nach, bis sie hinter den ersten Kuppen verschwanden, ohne dabei etwas Spektakuläres zu beobachten. Die übrigen Löwinnen waren für sie eigentlich alle gleich. Da ihre gewohnten Kameraden heute allerdings nicht da sein würden und sie auch nicht vorhatte, nur hier herumzuliegen, musste sie irgendwo anfangen. Also überlegte sie. Nuka hielt sich sowieso immer nur zurück, das brachte sie nicht weiter. Chumvi allerdings lag meistens bei zwei bestimmten Löwinnen. Die eine war seine Schwester Kula und die andere Tama. Vorher jedoch musste sie erst einmal eine der beiden finden. Auch wenn es nicht regnete, war die Luft draußen feucht und dazu noch erdrückend warm. Aus diesem Grund blieben die Löwinnen immer wieder ganze Tage in der Höhle – für manche war die Jagd allein schon genug. Ideale Bedingungen, um eine von ihnen allein anzutreffen. Vitani kletterte kreuz und quer über den Königsfelsen, bis sie schließlich Tama fand. Die lag weitab vom Pfad, der hinauf zur Felsterasse führte, und auch ein wenig abseits der übrigen Liegeplätze. Doch nun, da sie hinter ihr stand, hatte Vitani keine Idee, was sie sagen sollte. In der Hoffnung, noch nicht bemerkt worden zu sein, machte sie wieder kehrt. Zu spät, wie es sich herausstellte: »Vitani, wolltest du etwas von mir?« Sie hob nicht einmal den Kopf von den Vorderpfoten. »Ähm ... ja.« »Na dann komm doch her. Ich werde dir schon nicht wehtun.« Vitani ging langsam um sie herum und legte sich brav in Tamas Sichtfeld. »Also, wie kann ich helfen?« »Chumvi. Also Zazu hat mal gesagt, dass er etwas Böses getan hat.« Augenblicklich hatte Tama den Kopf hoch erhoben. »Nein, niemals!« »Hat Zazu dann etwa gelogen?« »Vielleicht verwechselst du da etwas.« »Nein, ich weiß genau, was ich gehört habe.« Tama nickte kurz und legte den Kopf zurück auf ihre Vorderpfoten. »Okay, aber selbst wenn das stimmt – was kann ich jetzt für dich tun?« »Ich dachte, du wüsstest vielleicht, was Zazu gemeint hat.« »Leider nein«, antwortete Tama kopfschüttelnd. »Ach, schade.« Sie hatte nun lange genug darüber nachgedacht. Vitani wollte endlich die Wahrheit wissen. »Und was weißt du über Chumvi? Hat er denn irgendwann mal etwas Böses getan?« »Nicht dass ich wüsste ... und das will etwas heißen, immerhin haben wir einen Großteil unserer Kindheit miteinander verbracht. Nur Chumvi hatte nie auch nur eine Phase, in der er irgendwem etwas angetan hätte.« »Aber das kann nicht sein ...« »Womöglich ist es etwas, das passiert ist, bevor er hierhergekommen ist. Er selbst war damals zwar noch viel zu jung, aber ich weiß zumindest, dass es einen bestimmten Grund gab, weshalb er aus seinem alten Rudel ausgesetzt worden war.« »Warum?«, fragte Vitani sofort. »Keine Ahnung, ich habe nie danach gefragt. Chumvi war und ist für mich immer noch ein guter Freund, ganz egal, was damals passiert ist.« »Dann muss ich also herausfinden, was davor war.« Eigentlich hatte Vitani das gar nicht laut aussprechen wollen. »Würde das irgendetwas ändern?«, fragte Tama mit hochgezogenen Augenbrauen. »Weiß ich noch nicht.« »Gut, aber das, was du da herausfinden willst, ist eines der bestgehüteten Geheimnisse hier überhaupt – nicht einmal Simba kennt es. Chumvi und Kula erzählen nämlich nur etwas davon, wenn sie sich einig sind. Bisher allerdings war es für sie noch nie nötig, auch nur miteinander darüber zu sprechen.« Vitani drehte sich von ihr weg und schaute hinaus auf die weite Savanne. »Ich muss es wissen.« »Das ist deine Entscheidung.« Sie hörte nicht, wie sich Tama hinter ihr bewegte, doch plötzlich war sie neben ihr. »Du hast im Moment also niemanden, um etwas zu unternehmen?« Vitani schüttelte nur den Kopf. »Dann lass uns etwas spazieren gehen! Na, was meinst du?« Mheetu »Es geht nicht mit Gewalt!« »Eine kurze Demonstration würde ja schon helfen.« »Wie oft denn noch? Man kann es nicht einfach lernen.« Für Mheetu wurden die Rundgänge mit Tojo derzeit immer deprimierender. Seine Mähne reichte ihm nun schon bis zu den Schultern und er wollte unbedingt noch vor deiner Mantlung ein paar Mal alleine nachts im Geweihten Land streifen. Aber dafür musste er erst einmal lernen, im Notfall um Hilfe zu brüllen, allerdings klappte das einfach überhaupt nicht. Alles, was er zustande brachte, war ein lächerliches Krächzen. »Wann hast du es denn gelernt?«, fragte er Tojo. »Keine Ahnung«, erwiderte der teilnahmslos. »Ich habe es in deinem Alter nicht gebraucht und später hat es einfach geklappt.« »Mheetu stand nun wirklich kurz vor der Verzweiflung. »Irgendwie muss es doch gehen. Was machst du genau, wenn du brüllst?« »Hm ...«Tojo richtete sich auf, schloss die Augen und atmete tief durch. Dann summte er leise vor sich hin und wurde dabei immer tiefer, bis er irgendwann das Maul öffnete und ein ziemlich leises Brüllen ertönen ließ. Aber es klang trotzdem gut. »Wow.« »Alles klar, hör gut zu ... Also, du brauchst sehr viel Luft und dann... nein, wir fangen anders an. Sag' R« »Hä?« »Willst du es nun lernen?« »Na klar!« Mheetu atmete tief ein und setze zu einem leisen rollenden R an. »Gut so, jetzt immer tiefer gehen ... tiefer und bleib' beim R.« Es dauerte eine Weile, bis er Tojo zufriedenstellen konnte. »Versuchen wir den nächsten Schritt«, meinte der. »Nur versprich dir nicht zu viel – wenn deine Stimme noch nicht so weit ist, geht es einfach nicht.« »Glaubst du, ich kann es schaffen?« »Lass' mal etwas mehr Luft durch. Wir hören dann ja, was dabei herauskommt.« Mheetu versuchte es. Beim ersten Mal wurde er nur leiser und verendete in einem Röcheln, doch schon wenig später konnte er den Ton konstant halten. »Na, wie war das?« »Jetzt kommt der schwierige Teil. Wenn es in deinem Hals anfängt zu kribbeln, kannst du versuchen, Kraft in ein Brüllen zu legen. Du wirst aber selbst herausfinden müssen, wie sich das genau anfühlt. Das kann ich dir nicht zeigen.« Mheetu gab sein Bestes, aber was er auch tat, er landete am Ende immer wieder bei dem lächerlichen Krächzen, das er schon zu Anfang von sich gegeben hatte. »Ja, das hatte ich mir fast gedacht«, meinte Tojo. »Üb' einfach immer weiter, dann –« »rrrRAAAWR!« »– gendwann ... nicht schlecht fürs erste Mal.« Mheetu schüttelte sich, sodass seine Mähne wild umherwirbelte. »Heißt das, ich kann jetzt alleine los?« »Wenn du bereit dazu bist«, antwortete Tojo unbeeindruckt. »Und wer entscheidet was?« »Du ganz allein – nämlich sobald die Jägerinnen dich hören.« »Also sobald mich eine gefunden hat.« Fein, das war dann wohl die erste kleine Probe, der sich Mheetu zu stellen hatte. »Das macht durchaus Sinn.« »In der Tat«, bestätigte Tojo, »ansonsten bist du uns nämlich keine große Hilfe.« »Ich will doch sowieso nicht hierbleiben.« »Das wirst du vorerst aber und da kannst du ruhig die Gelegenheit nutzen und lernen, Verantwortung zu übernehmen. Zuerst für andere und dann für dich selbst, andersherum ist –« Urplötzlich verstummte Tojo und stellte die Ohren auf. Nachdem Mheetu die anfängliche Überraschung überwunden hatte, konnte auch er es hören: Schritte, die auf sie zukamen. Und ein wenig Stolz flackerte schon in ihm auf, als er kurz darauf Tama erspähte. Mittlerweile konnte ihnen also nichts und niemand mehr auflauern. Doch irgendwie schien jene etwas überrascht, die beiden hier anzutreffen. Jedenfalls brachte sie nicht einmal eine Begrüßung zustande. »Hast du –« Weiter kam Mheetu nicht, denn da hatte sie ihre Stimme wieder gefunden. »Alles in Ordnung bei euch?« »Ähm, ja.« »Ich dachte, hier wäre wer gestorben.« Mheetu warf Tojo einen vielsagenden Blick zu und merkte, dass der genau dasselbe dachte. Insgeheim betete er, dass Tama nicht dahinter stieg und vor allem, dass Tojo – »Also wir beide sind weit entfernt davon«, meinte der gerade. »Hm ... aber ich meine, ich habe ganz in der Nähe etwas gehört. Da fällt mir ein – weil wir so nah dran waren, habe ich Vitani gesagt, sie solle warten.« »Ach so, du warst also schon in der Nähe.« Anscheinend hatte Mheetu noch einiges vor sich, bis er alleine auf Streife gehen könnte. Tief in Gedanken versunken trottete er Tojo und Tama hinterher, die jetzt beide damit beschäftigt waren, Vitani wiederzufinden. In ihrer Eile hatte Tama sich nämlich nur gemerkt, dass sie die Kleine angewiesen hatte, sich zwischen einen Felsen und einen dichten Busch aus Gras zu legen. Nuka Ein Savannenhase ergriff panisch die Flucht und stürzte lautstark durchs hohe Gras. Aber Nuka war schließlich nicht zum Jagen da. Es war mal wieder einer dieser besonders schlimmen Tage. Chumvi hatte ihn mitgenommen, um die Höhle vom Wasserloch zum Großen Fluss zu finden – wenn es denn überhaupt eine gab. Dass Nuka nicht im Geringsten daran glaubte, machte die Sache übrigens nicht unbedingt besser. Jedenfalls suchten sie gerade getrennt. Eigentlich müsste Nuka das eher recht sein, weil er die Ausflüge doch sowieso für komplette Zeitverschwendung hielt. Aber so ganz alleine war ihm auch nicht wirklich wohl. Nicht dass er Angst gehabt hätte, es wäre einfach nur schön, wenn sich jemand für ihn interessieren würde. Wen hatte er denn? Seine Mutter ignorierte ihn ohnehin schon am allermeisten, aber auch für alle anderen Löwinnen war er einfach nur der Prinz, der niemals hätte König werden dürfen. Sein Vater war tot und Chumvi hatte sogar selbst gesagt, dass er sich nur mit ihm abgab, weil er es für seine Mutter tat. Seine Schwester zu guter Letzt hatte schon viel mehr von Mheetu und Kopa übernommen, so als wären die ihre Brüder und nicht er. Also, wen hatte er noch? Nun ja, eines vielleicht ... Nuka war ein Prinz, also sollte er auch mit den großen Königen der Vergangenheit reden können. Allerdings hatte er es noch nie versucht und er glaubte auch nicht daran. Halb abwesend kletterte er auf eine kleine Anhöhe und besah sich die Gegend. Ein Stück weiter draußen zog eine Gnuherde vor dem Unwetter davon, den Großen Fluss entlang, der in der Ferne aus der Schlucht strömte. Links von Nuka fiel das Land gleichmäßig flach ab. So war der Fluss zum einen leicht erreichbar, aber auch von seiner Position aus hervorragend einsehbar. So entging ihm nicht das Treiben, das dort unten vor sich ging: Auf der anderen Seite lief eine kleine Gruppe das Ufer entlang. Nach einigen Augenblicken erkannte Nuka sie als Hyänen, die direkt auf den Baumstamm zuhielten, der weiter stromaufwärts über den Fluss gefallen war. Weit kamen sie jedoch nicht, denn eine größere – Nuka konnte von hier nicht mehr als ein Gerippe erkennen – Hyäne kam hinzu und nach einem kurzen Wortwechsel zogen sie sich allesamt wieder zurück. Nuka hatte mitbekommen, dass etwas mit den Hyänen los war in letzter Zeit. Da er Kopas Unterricht allerdings schon eine ganze Weile nicht mehr beiwohnte, wusste er selten mehr als das, was er abends beim Essen von den Löwinnen aufschnappte. Im Moment war einfach alles – »Hey Nuka, alles klar bei dir?« Ah ja, Chumvi war wieder da und setzte sich jetzt neben ihn. »Keine Lust mehr zu suchen?« »Nein – äh, doch. Ich bin nur hier oben –« »– und hältst etwas Ausschau, wie?« Er ließ eine Pause, aber Nuka sparte mit seinen Worten, wo er nur konnte. »Was entdeckt?« »Nein, nichts.« Chumvi stieß ihn kurz mir der Schulter an. »Auch egal, ich bin trotzdem froh, dass du dabei bist.« »Hm.« Die Hyänen waren schon längst nicht mehr zu sehen, doch Nuka starrte immer weiter auf die Stelle, wo er sie entdeckt hatte. »Aber so leicht geben wir nicht auf, oder?« Das war ein lächerlicher, letzter verzweifelter Versuch. Chumvi hatte wohl auch nicht damit gerechnet, dass es klappen würde, denn er wartete nicht erst lange auf eine Antwort. »Sag mal, Nuka, hast du denn schon über deine Mantlung nachgedacht?« Das überraschte Nuka, sodass er sogar die Hyänen vergaß. »Warum?« »Na ja, wir haben noch keinen Plan, wann sie stattfinden soll. Schließlich sollst du dann auch bereit dafür sein.« »Ich dachte, das entscheidet Simba. Warum sonst beobachtet er uns beim Training?« »Oh, körperlich bereit zu sein, reicht für eine Mantlung bei weitem nicht aus«, erwiderte Chumvi kopfschüttelnd. »Du musst doch zum Beispiel auch wissen, was du danach tun willst.« »Du meinst, ich soll fortgehen?« Nuka hatte bisher nur den Thron des Geweihten Landes im Visier gehabt. Wer weiß, ob er da draußen nicht sogar etwas Besseres finden würde? Nur kam das eigentlich gar nicht in Frage. »Du solltest zumindest darüber nachdenken ... aber um dich zu entscheiden, hast du noch sehr viel Zeit, keine Sorge.« »Okay.« Nuka sah noch einmal hinunter zum Fluss. Dort war kein einziges Tier mehr. »Gibt es noch mehr, über das wir reden sollten?« »Jede Menge«, antwortete Chumvi. »Es geht hier um deine Zukunft, da solltest du dir schon ein paar Gedanken machen.« Seine Zukunft? Die Erkenntnis traf schwer – was hatte Nuka eigentlich mit seiner Zukunft vor? »Mheetu weiß ganz genau, was er will, oder?« »Ich glaube, Mheetu hat nicht viel überlegt, als er seine Entscheidung getroffen hat. Ob es das Richtige für ihn ist, kann nur er selbst wissen.« Chumvi warf einen Blick auf den immer dunkler werdenden Himmel im Osten. »Wir machen hier dann ein andermal weiter.« Das kam Nuka gerade recht. Er war ohnehin alles andere als begeistert von ihren mittlerweile regelmäßigen Erkundungstouren, doch nun hatte ihn Chumvi ernsthaft zum Nachdenken gebracht. Was könnte Nuka wohl mit dem, was ihm noch von seinem einstigen Leben übrig geblieben war, anfangen? Von Chumvi hörte er später, dass ihn diese Frage ein Leben lang begleiten würde. Wenn er nur gewusst hätte, wie recht jener damit behalten sollte. Unter Regenwolken ----------------- Grenzpatrouille Asante war mittlerweile fast jeden Tag unterwegs und das von morgens bis abends. Obwohl sie wusste, dass sie das niemals tun dürfte, machte sich Shenzi insgeheim schon ein wenig Sorgen. Dabei bezogen sich ihre Bedenken weniger auf den Regen, der seit heute Nachmittag kontinuierlich niederging, sondern vielmehr auf die Tatsache, dass die Kleine noch lange nicht in der Lage war, brenzlige Situationen einzuschätzen. Sie lebte ihr sorgenfreies Leben nur deshalb, weil sich nichts Gefährlicheres als ein paar Ratten hierher auf den Elefantenfriedhof traute. Nur wurde es heute mal wieder extrem spät. Die Sonne war schon längst untergegangen, als Asante endlich munter in die Kluft trottete, wo im Moment der Großteil der Hyänen zuhause war. Dabei kam sie nicht umhin, an jeder Ecke Grüße einzusammeln, denn seit ihrer kleinen Vorstellung vor der ganzen Versammlung kannte sie jeder hier. Vielleicht war es an der Zeit, sie loszulassen ... »Und, wo bist du gewesen?«, fragte Shenzi sie beiläufig. »Unterwegs.« Das war genau die Antwort, die sie erwartet hatte und so ging sie nicht weiter darauf ein. Ihre Glaubwürdigkeit stand im Moment an erster Stelle. Im Geweihten Land konnte man sich als König den ein oder anderen Fehler leisten, das hatte die Vergangenheit bewiesen. Doch hier draußen herrschten andere Bedingungen. Keiner aus dem Königshaus war in der Lage gewesen, die Hyänen zu kontrollieren. »Alles wird gut, Asante. Wir sind schon bald hier weg.« »Vielleicht schneller als euch lieb ist.« Auf viele andere hätte Chungus Auftreten einschüchternd gewirkt, aber nicht auf Shenzi: »Willst du mir etwa drohen?« Dass er das einzige Männchen war, das sie überragte und dann auch noch um fast einen Kopf, war ihr vollkommen egal. Sie hatte größere Probleme. »Seht es eher als eine Warnung. Irgendwann habe ich keinen Einfluss mehr darauf.« »Was soll das denn heißen?«, erwiderte Shenzi und wollte sich eigentlich abwenden. »Dass du unser aller Sicherheit gefährdest!« Chungu schaute kurz hinab auf Asante, verlor aber keinen weiteren Kommentar über sie. »Und deshalb willst du was tun? Uns rauswerfen?« »Wir könnten alle unsere Heimat verlieren.« »Heimat«, wiederholte Asante nachdenklich. Dem folgte ein kurzes Schweigen. »Ähm, Asante, wir haben heute Abend leider wieder nichts zu essen«, sagte Shenzi schließlich. »Schon gut, ich hatte schon was.« Die Kleine wirkte noch immer etwas neben sich, als sie davontrottete. Chungu sah ihr noch kurz hinterher, ehe er sich wieder dem Gespräch widmete: »Was soll das eigentlich werden?« »Ähm, was?« »Heute Mittag«, Chungu machte eine kurze Pause, doch Shenzi reagierte nicht, »sind ein paar von uns den Fluss entlanggewandert. Hast du vielleicht vor, ihn zu überwachen?« »Warum sollte ich etwas damit zu tun haben?«, antwortete Shenzi unberührt. Es gab keine Möglichkeit, ihr irgendetwas nachzuweisen, das wusste sie genau. »Weil die drei eigentlich nicht zusammengehören.« »Vielleicht waren sie gerade zufällig auf demselben Weg.« »Möglich«, erwiderte Chungu mit dem Kopf nach links geneigt, »aber unwahrscheinlich«, wobei er ihn auf die andere Seite legte. »Selbst wenn, was wäre so schlimm daran? Wir dürfen doch wohl auf unserem eigenen Land hingehen, wo wir wollen.« »Ach ja? Auch wenn ich sagte, dass wir Konflikte meiden sollten?« »Wer ans andere Ufer kommt, ist halt selbst schuld«, antwortete Shenzi schulterzuckend. »Was verstehst du eigentlich unter "Konflikte vermeiden"?« »Aufpassen, dass wir und die drüben nicht aufeinandertreffen.« »Dann suchst du also den Konflikt?« Trotz Chungus fragendem Gesichtsausdruck war ihr vollkommen klar, dass die Antwort für ihn schon feststand. »Was?« »Du hast eben selbst gesagt, dass Meiden bedeuten würde, dass man sich von den anderen Tiefen fernhält. Wenn hier aber das genaue Gegenteil passiert und Patrouillen die Grenze überwachen –« »Und was, wenn sie zu uns kommen?« »Das werden sie nicht. Und wenn doch, kannst du mich persönlich dafür verantwortlich machen. Aber ich bin mir sicher, dass ich Recht habe.« »Natürlich.« Shenzi sah ihn noch einmal abschätzend an und wandte sich schließlich ab. Besser sie schwieg jetzt, als dass Chungu noch mehr hatte, das er gegen sie verwenden könnte. Antilopenjagd Kula hob träge den Kopf vom Felsboden in der Haupthöhle. »Muss das denn sein?« »Ja, leider«, entgegnete Tama, die gleich neben ihr stand. »Wir haben die vorletzte Nacht ausgelassen und gestern ist uns die Beute entwischt. Wir müssen heute raus.« »Hm ... ja, etwas Hunger habe ich schon.« Missmutig beäugte Kula Tamas nasses Fell. »Na gut. Aber ich hoffe für dich, dass wir diesmal Erfolg haben!« Tama lächelte nur, anstatt zu antworten, denn diese Unterstützung konnte sie gut gebrauchen. Je mehr man sich auf sie verließ, desto besser wurde sie. »Komm schon, i –« »Guten Abend, die Damen!« Auch wenn Mheetu allmählich etwas übermutig wurde, Tama ließ sich gerade gern ablenken: »Auch dir guten Abend. Du bist heute also wieder mit dabei?« »Na klar doch!« »Dann kann ja nichts mehr schiefgehen!«, lachte sie. »Aha«, machte Kula nur. »Mheetu wird schon bald erwachsen. Ich glaube nicht, dass er für Tojo noch eine Last ist«, entgegnete Tama. »In letzter Zeit habe ich die beiden oft genug trainieren sehen.« »Das war nicht immer Training«, erwiderte Mheetu sofort. »Auf jeden Fall scheinst du ihn nicht zu stören«, sagte Tama und Kula ergänzte: »Sowas sieht man bei ihm nicht oft.« »Ja, irgendwie kommen wir ganz gut zurecht, schätze ich.« Mheetu sah auf, als Simba zu ihnen trat. »So, sind wir alle versammelt?« »Tojo fehlt«, erklang es aus Kulas Richtung. Doch Simba fuhr unbeirrt fort: »Dann können wir. Tama?« »Schwestern!«, rief die und binnen weniger Augenblicke war die halbe Höhle auf den Beinen. »Hier?«, fragte sie anschließend an Simba gewandt. Der zuckte nur kurz mit dem Kopf, bevor er sich an die Versammlung wandte: »Sikuyo indlela yelizwi lobomi. Jägerinnen, wisset, dass, solange ihr diesem Weg folgt, der Segen Aiheus mit euch sein wird. Er wird bei euch sein und eure Klauen und Zähne leiten, auf dass ihr gesund und erfolgreich wiederkehrt.« »Aiheu abamami!« Tama übernahm: »Schwestern, eine weitere Jagd steht uns bevor. Die Nacht ist dunkel und das Wetter bietet uns Deckung. Heute kann uns nichts mehr im Weg stehen.« Hier in der Höhle bekam das Jagdlied einen ganz besonderen Klang, so als wären viel mehr Stimmen daran beteiligt, als Tama Jägerinnen hatte. Dementsprechend entwickelte sich auch die Lautstärke, sodass Kula ihr schon fast direkt ins Ohr schreien musste, damit sie sie verstand: »Tolle Ansprache! Warum hast du sie nicht schon früher gebracht?« »Ich habe sie mir für Notfälle aufgehoben, wenn mir nichts anderes mehr einfällt«, antwortete Tama auf dieselbe Weise. Sie sah durch ihre Löwinnen und sobald sie die Aufmerksamkeit jeder von ihnen hatte, marschierte sie aus der Höhle. Kurz bevor sie den Ausgang erreichte, schlug ihr eine Wand aus Feuchtigkeit entgegen, doch Tama dreht nur den Kopf weg und ging weiter – irgendwer musste voranschreiten. Äußerst vorsichtig, um nicht abzurutschen, führte sie die Schwestern herunter vom Königsfelsen und in die Savanne hinein. Dort setzte sich Mheetu ab, um Tojo zu finden, während es für die Löwinnen weiter Richtung Fluss ging. Es war schon etwas seltsam, denn so wirklich am suchen war Mheetu eigentlich nicht. Tama hatte vielmehr den Eindruck, dass er genau wusste, wo Tojo war. Doch da kam ihr Beute in Sicht und sie schob den Gedanken in die hinterste Ecke ihres Kopfes. Wobei von Sehen eigentlich nicht die Rede sein konnte. Durch die Wassermassen, die vom Himmel stürzten, konnte sie nicht mehr als ein paar dunkle Schemen erkennen. Es war nur zu hoffen, dass dies die Herde Antilopen war, die Tama heute Mittag beobachtet hatte. Sie blickte sich kurz nach ihren Jägerinnen um – an Zeichen oder gar eine kurze Besprechung war bei diesen Bedingungen nicht einmal zu denken. Eigentlich war ihre Strategie in solchen Fällen immer dieselbe: Tama stürmte los und suchte sich das erstbeste Beutetier. Dabei musste sie immer deutlich darauf zu sprinten, weil es damit auch das allgemeine Ziel war. Die übrigen Löwinnen sollten entweder andere Tiere aus dem Weg drängen, oder selbst die Beute erlegen; etwas anderes war ihnen zu ihrer eigenen Sicherheit nicht erlaubt. Außer Tama durfte nur Sarafina noch auf eigene Verantwortung handeln. Schon einige Minuten lang verharrte die Schwesterschaft nun in Lauerstellung, währen Tama versuchte, etwas mehr als nur Schatten zu erkennen. Aber es war vergeblich, heute würde sie wohl wieder blind angreifen müssten. Schließlich fasste sie einen Entschluss und machte einen deutlichen Satz über das hohe Savannengras hinaus. Dabei bemerkte sie, dass ein paar der Tiere aufmerksam wurden, aber vorerst noch keine Gefahr erkannten. Die Herde ergriff nicht die Flucht. Ihre Jägerinnen dagegen waren mit dieser Art von Signal bestens vertraut und allesamt zur Stelle. Als die ersten Tiere realisierten, was ihnen blühte, waren sie direkt hinter ihr und sprengten die Herde förmlich auseinander, sodass verängstigte Antilopen in alle Richtungen davonstoben. Tama hatte sich schnell festgelegt und nur noch Augen für ein Tier. Allerdings war es weder das Schwächste noch besonders dumm – schon nach wenigen Sätzen versuchte es, nach links zu einigen anderen Antilopen aufzuschließen. Tama war für den Haken einen Schritt zu langsam, rutschte ein wenig im Schlamm und verlor wertvollen Boden. Trotzdem setzte sie die Verfolgung fort, wenn auch jetzt mit etwas mehr Abstand. Aber sie war schließlich nicht allein in diesem Chaos. Ihr ganzer Plan bestand eigentlich darin, dass eine ihrer Jägerinnen entscheidend eingriff. Tatsächlich tauchte in genau diesem Moment Kula links von ihr auf und schnitt der Antilope den Weg ab. Das Tier schlug einen weiteren Haken, worauf Tama ihm wieder gefährlich nahe kam. Gemeinsam bedrängten sie es von beiden Seiten, bis es schließlich versuchte, direkt vor Tama vorbei zu gelangen. Doch diesmal hatte sie es kommen sehen, sprang mit aller Kraft nach vorne und erwischte die Antilope geradeso am Hinterlauf. Ihre Beute ging zu Boden und nur wenige Augenblicke später stand sie schon darüber. Jetzt, wo sie nah genug war, erkannte Tama allerdings, dass das hier gar keine Antilope war. Vor ihr lag eine keuchende Hyäne mit nassem, verdrecktem Fell, das in alle Richtungen davonstand. »Na klasse! « Tama verpasste ihr einen kräftigen Prankenhieb auf das Bein, das sie eben angekratzt hatte. »Und was mache ich jetzt mit dir?« »Hey Tama, warum –« Kula wäre auf dem rutschigen Untergrund fast gestürzt, als auch sie erkannte, was da vor ihrer Leitlöwin lag. »Oh nein, das bedeutet Probleme!« »Ja, vor allem für uns«, bestätigte Tama und hob drohend eine Pfote, worauf die Hyäne unter ihr in Angst und Elend den Kopf einzog. »Eigentlich solltest du jetzt sterben, so wie jede andere Beute auch. Wegen dir haben wir heute nichts zu essen.« »Lass‘ gut sein, Tama, das führt zu nichts«, wandte Kula ein. Beim Klang ihrer Worte hob die Hyäne den Kopf und sah zu ihr auf, aber Kula machte einen schnellen Schritt vorwärts. Auch wenn es im Regen unmöglich zu erkennen war, Tama war sich sicher, dass die Hyäne einige Schnurrhaare verloren hatte; so knapp hatten Kulas Krallen ihr Gesicht verfehlt. »Wow, du b –« Das Gebrüll einer ihrer Jägerinnen unterbrach Tama unverhofft. Sarafina schien Erfolg gehabt zu haben, während sie sich unter all den Antilopen natürlich die Hyäne gekrallt hatte. Aber zumindest hatten sie damit überhaupt etwas erlegt. »Damit bessert sich deine Lage zumindest ein klein wenig«, sagte sie zu der Hyäne. Heimkehr Man sollte eigentlich meinen, dass der Elefantenfriedhof des Nachts vollkommen still sein müsste. Aber jedes Mal, wenn Chungu so lange aufblieb, war es hier lebendiger als tagsüber, was die Atmosphäre jedoch nicht besserte. In erster Linie hörte er das Prasseln des Regens und ab und zu Ratten quieken, Knochen knacken und den Widerhall des Donnerns des Großen Flusses. Allerdings mischte sich bald ein weiteres Geräusch darunter, das weit weniger üblich war. Chungu ging nach vorne an den Ausgang der Kluft, konnte durch den Regen allerdings nichts erkennen. Das heißt noch nicht, denn er war sich sicher, dass ihn sein Gehör nicht getäuscht hatte. Wie auch immer, um den Schutz seines Heims zu verlassen, reichte das jedenfalls nicht. Hinter ihm lagen fast alle Hyänenfamilien an der linken Wand versammelt. Zwar hatten sie hier kein richtiges Dach über ihren Köpfen, aber die Felsspalte war hoch genug, dass der schräg einfallende Regen gegen den das Gestein auf der anderen Seite prallte und den Boden nur noch als feines Sprühwasser erreichte. Nur war es dadurch nach jedem Unwetter ekelhaft feucht. Schließlich erkannte Chungu schemenhaft mehrere Gestalten, die direkt auf ihn zukamen. Nun konnte er auch das ungewöhnliche Geräusch als schmerzhaftes Stöhnen identifizieren. Kurz darauf standen sie vor ihm: vier Hyänen, wobei eine von ihnen ein Vorderbein in der Luft hielt. Dazu waren sie allesamt völlig verdreckt. »Was ist mit euch passiert?« »Au«, machte die verletzte Hyäne. »Es gab bei der Jagd einen kleinen Zwischenfall«, bemerkte eine der anderen. »Hm, erzählt mal darüber.« Chungu sah sich das Bein der Hyäne genauer an. Bevor sie sich hinlegte, setzte sie es kurz auf, sodass es in einem merkwürdigen Winkel abknickte. »Gebrochen?« Doch jene war zu sehr mit ihren Schmerzen beschäftigt und hatte ihn wohl nicht einmal gehört. Chungu sah wieder die drei anderen an. »Ihr seid alle in Ordnung?« »Na ja, keine Ahnung, was mit –« Das einzige Männchen der Gruppe verstummte, als es den Blick seiner Begleiterinnen bemerkte. Doch es war schon zu spät: »Einer fehlt also. Was ist passiert?« »Er sollte voraus und die Antilopen aufmischen. Danach, ähm ...« »Antilopen?« Chungu brauchte nur wenige Augenblicke um alles zusammenzufügen. »Ihr erzählt mir also, dass ihr gegen alle Vorschriften im Geweihten Land jagen wart. Und dann schafft ihr es nicht einmal, irgendetwas zu erlegen, sondern kommt mir einer Verletzten zurück und ein anderer fehlt.« Er betrachtete noch einmal die Hyäne am Boden. Wenn sie vom Huf einer Antilope getroffen worden wäre, dann hätte er äußerliche Spuren erwartet, aber da war nichts. Diese Verletzung hatte ihr also etwas Größeres und weitaus Kräftigeres beigebracht. Er würde es sowieso herausfinden. »Antilopen, wie? Sollten wir euren Vermissten suchen?« »Nein!«, erwiderten sie allesamt sofort im Chor. »Hm, aber er weiß womöglich gar nicht, dass ihr schon wieder zurück seid. Womöglich jagt er noch immer den Antilopen hinterher.« »Das ist eine ganz schlechte Idee«, murmelte das Männchen. »Wie bitte?«, fragte Chungu gespielt höflich. Doch jener konnte sich noch retten: »Ich dachte, es wäre verboten, ins Geweihte Land zu gehen.« »Jetzt tun wir es auf meine Verantwortung«, erwiderte Chungu. »Ich darf das.« »Klar, du machst ja auch die Regen.« »So ist es.« Eine der Hyänen wandte sich kopfschüttelnd ab, aber Chungu war noch nicht fertig: »Hey, kommt ihr nicht mit? Immerhin habt ihr ihn zurückgelassen.« Ein paar unsichere Blicke wurden ausgetauscht und Chungu wusste sich bestätigt. Ab jetzt würde er nicht mehr locker lassen, bis sie vor ebender Stelle standen, wo es passiert war und er genau Bescheid wusste. Vielleicht war das dann endlich die Gelegenheit, Shenzi ihren Irrsinn nachzuweisen. »Du kannst hierbleiben«, sagte er zu der Hyäne am Boden. Die anderen würdigte er keines weiteren Blickes als er daraufhin losmarschierte, zum ersten Mal seit sehr langer Zeit mal wieder ins Geweihte Land. Verhandlungsbasis Ein Glück, dass Sarafina gerade jetzt Erfolg gehabt hatte, denn mit dieser erbärmlichen, ständig quiekenden Hyäne im Schlepptau hätten sie nie Beute gemacht. Kula hatte sie etwas weiter weggebracht, sodass die erlegte Antilope vom Königsfelsen aus näher lag. So harmlos sie auch wirkte, Kula hatte die Hyäne voll im Griff. Gerade als Tama den Kopf wieder in Richtung Königsfelsen drehte, raschelte es links von ihr im Gras. Aufmerksam geworden neigte sie den Kopf zur Seite. Eigentlich sollte nach Sarafinas Gebrüll alles in der Umgebung wissen, dass hier gerade die gesamte Jagdtruppe versammelt war. Wer außer Simba oder Chumvi würde sich also so offenkundig in ihre Nähe trauen? »Tojo?« Selbst ein Savannenhase hätte sie weniger überrascht. Gerade das gemeinsame Essen mied er am allerliebsten. Während sich Mheetu noch durchs hohe Gras kämpfte, bemerkte sie Tojos verdrecktes Fell und auch seine Mähne war um die Ohren herum völlig zerzaust – normalerweise klebte sie ihm durch den Regen förmlich am Schädel. »Was ist denn mit euch beiden passiert?« Denn auch Mheetu sah nicht besser aus. »Na ja, eine etwas interessantere Streife als sonst«, antwortete Tojo und hob die rechte Pfote, um mit der Zunge darüberzufahren. »Kann man von unserer Jagd auch sagen«, erwiderte Tama. »Willst du es dir ansehen?« Eigentlich hatte sie mit Wiederrede gerechnet, doch Tojo setzte sich wortlos in Bewegung. Tama leitete ihn weg von den anderen Jägerinnen. Weit war es nicht und auch nicht schwer zu finden, sodass sie kurze Zeit später vor Kula standen. »Na?«, meinte Tama. »Soso.« Tojo zog zwar kurz die Augenbrauen hoch, blieb ansonsten aber gelassen. »Da haben wir also den Letzten von euch.« »Wie jetzt?« »Wie es aussieht, habt ihr den Jäger zum Gejagten gemacht«, sagte er zu der Hyäne am Boden. Dann schaute er wieder Tama an: »Wir hatten gleich vier von ihnen.« »Wow, seid ihr in Ordnung?«, fragte Kula sofort. »Ja, weit –« »Ah, da haben wir sie ja!«, ertönte es hinter ihnen. Kurz darauf trat Mheetu dazu, dicht gefolgt von Simba, der auch gleich das Wort übernahm: »Dieser Regen, man sieht einfach überhaupt nichts.« Keiner reagierte, während er erwartungsvoll in die Runde sah. Hier war seine Bemerkung einfach zu trivial, als dass irgendwer etwas zu sagen gehabt hätte. »Nun, dann erzählt mir doch bitte, was passiert ist!« »Eine Gruppe von fünf Hyänen hat im Geweihten Land gejagt«, antwortete Mheetu sofort. »Eine ist vorausgegangen«, er machte eine bedeutsame Pause, in der jeder die Hyäne am Boden musterte, »die anderen vier haben nie ihre Beute gesehen.« Simba nickte und wandte den Blick zu Tama. »Wir haben sie für eine Antilope gehalten«, berichtete jene und Kula ergänzte: »Sie ist auch genauso davongerannt.« »Was ist mit den anderen vier passiert?«, fragte Simba. »Mheetu hat sich einfach eine von ihnen vorgenommen und niedergeschlagen und schon sind sie abgehauen. Ich hatte nicht einmal Zeit, mich hierfür zu revanchieren.« Tojo leckte sich wieder dieselbe Pfote wie vorhin schon, allerdings war durch Regen und Dunkelheit keine Verletzung zu erkennen. »Es ist nichts Ernstes!«, beteuerte er auf die besorgten Gesichter ihrer Runde hin. »Gut, wir haben nämlich bald andere Probleme«, verkündete Simba. »Am besten, wir sind auf alles vorbereitet.« Der Regen hatte etwas nachgelassen und am Kadaver der Antilope herrschte noch reges Treiben, als die Dunkelheit vier Hyänen preisgab. Jeder Löwe und jede Löwin, die nicht noch am Essen waren, hatte sich zu deren Empfang versammelt. Die große Hyäne ließ sich davon nicht beeindrucken, aber die anderen wirkten neben ihr immer kleiner, je näher sie kamen. Erst als es aussah, als würden sie allesamt mit dem Kinn auf dem Boden aufsetzen, machte ihr Anführer schließlich halt. »Warum seid ihr hier?« Simba wollte diese Begebenheit wohl so schnell wie möglich abhandeln. »Wir vermissen einen der unseren«, antwortete die große Hyäne ruhig. »Er liegt da drüben, wo die Löwin steht.« Eigentlich hatte Tama keine Angst vor einzelnen Hyänen, aber mit dieser hier würde sie sich nie anlegen. Jene sah nicht einmal zu ihrem Artgenossen hinüber, sondern war bereits voll und ganz auf Simba fixiert. »Ist er verletzt? Habt ihr ihn etwa auch noch festgehalten?« Die Ruhe, mit der diese Anschuldigungen ausgesprochen wurden, war beängstigend; so als würde der eigentliche Schlag erst noch kommen. »Dazu hattet ihr kein Recht.« »Wir haben das Recht, ihn zu töten!«, erwiderte Simba scharf. Ein überlegenes Kopfnicken untermalte, dass die Hyäne gehört hatte, was sie wollte. »Und, habt ihr davon Gebrauch gemacht?« »Das können wir noch«, schallte es irgendwo aus den Reichen der Löwinnen. »Natürlich«, diese Hyäne war in ihrem Tonfall so ruhig wie eh und je, »am besten ihr beseitigt uns, nachdem ihr gemerkt habt, dass ihr im Unrecht seid. Löwen gehen immer den einfachsten Weg.« Bei ihren Kameraden löste sie damit sichtlich blankes Entsetzen aus. Einige der Löwinnen bemerkten das und duckten sich ins Savannengras, so als würden sie gleich losspringen. »Genug!«, rief Simba. »In Ordnung, ich höre. Wer bist du und was willst du?« »Mein Name ist Chungu und ich will Gerechtigkeit.« Ein Männchen auch noch! Bisher hatte Tama gedacht, das wären die Kleineren. »Meine Hyänen werden ihre Strafe noch bekommen; was wirst du tun?« »Nun, bei Jagdunfällen wird die Schuldige normalerweise von der Jagd ausgeschlossen, bis sich alle Betroffenen wieder erholt haben.« Simba warf einen Blick in die Richtung, in der die Hyäne lag. »In diesem Fall werden wir es aber abschätzen müssen. Ich sage eine Woche, wenn er sich ausreichend schont.« »Eine Woche?!« »Treib' es nicht zu weit!« Chungu verstummte augenblicklich und Simba sah seine Löwinnen an. »Wer hat ihn denn nun erwischt?« Schweigen. Schließlich meldete sich Tama: »Ich war es, Simba.« Der Schock traf sämtliche Löwen so tief, dass es sogar Chungus Begleiter bemerkten. Auf einmal wirkten diese viel entspannter. »Dann ist es beschlossen, eine Woche«, bestätigte Chungu noch einmal. Tama hatte schon etwas in der Art befürchtet, nur hätte sie nie gedacht, dass es am Ende eine Hyäne sein würde, welche die Strafe gegen sie aussprach. Nun aber musste sie Simba zur Seite stehen: »Ich habe vollstes Vertrauen in meine Jägerinnen. Sie schaffen das.« »Also gut.« Simba nickte ihr dankbar zu und wandte sich dann wieder an die Hyänen. »Tama wird sich eine Woche lang in keinster Weise an der Jagd beteiligen – weder direkt noch indirekt. Wenn es von eurer Seite keine weiteren Anliegen mehr gibt, sind wir hier fertig.« »Vorerst«, entgegnete Chungu und zögerte keine weitere Sekunde. Wenig später waren er und seine Schar im Dunkel der Nacht verschwunden. In Freiheit Auch die Löwen verließen kurz darauf den Ort des Geschehens. Zwar war Tama offiziell keine Leitlöwin mehr, allerdings konnte sie ihre Gewohnheiten nicht ablegen und wartete, bis sich jede ihrer Jägerinnen in Bewegung gesetzt hatte. Doch gerade als sie sich selbst auf den Weg machen wollte, bemerkte sie Tojo und Mheetu, die noch immer neben den letzten Überresten der Antilope standen. »Kommt ihr nicht mit?«, rief sie. Aber Mheetu bedachte sie nur mit einem kurzen Blick, bevor er sich wieder Tojo zuwandte. Tama schüttelte nur den gesenkten Kopf und ging auf die beiden zu. Doch als sie wieder aufsah, kam Mheetu ihr schon entgegen, ließ ein kurzes "Nacht" verlauten und war im nächsten Moment hinter ihr verschwunden. »Willst du wirklich, dass ich mitkomme?« Tojo vermied es noch immer, sie direkt anzusehen. »Es wäre mir sehr recht, aber letztendlich ist es deine Entscheidung.« Irgendwie hatte Tama ein ungutes Gefühl, was ihn anging. »Auf jeden Fall solltest du Rafiki einen Blick auf dein Bein werfen lassen«, bemerkte sie, als Tojo schon wieder daran leckte. »Spätestens morgen!« »Hm ... ja ... vielleicht.« Normalerweise hatte er wirklich bessere Ausflüchte. Tama trat noch etwas näher und versuchte, ihm von unten ins Gesicht zu sehen. Tojo wirkte eigentlich ganz normal – bis auf dass er weiterhin jeden Blickkontakt vermied. »Was ist los?«, fragte sie vorsichtig. Er hob noch immer nicht den Kopf, sondern redete nur mit seinen Vorderpfoten: »Wie geht es jetzt weiter? Heute hatten wir noch etwas zu essen, aber wenn du nicht –« »So wie immer«, erwiderte Tama. »Nur habe ich jetzt mal ein paar Tage Pause. Die Löwinnen sind auch ohne mich erfolgreich.« »Denkst du das wirklich? Oder sagst du es nur wegen mir?« Jetzt sah Tojo sie auf einmal direkt an. »Warum sollte ich ... Glaubst du etwa, das Ganze ist deine Schuld?« »Wir haben nun einmal nur vier von ihnen aufhalten können.« »Und um drei davon hast du dich alleine gekümmert, wenn ich eure Geschichte richtig verstanden habe.« Allmählich wurde Tama klar, was in ihm vorging. »Wo ist das Problem?« »Dass es nicht genug war.« »Ja, ich weiß.« Tojo hatte definitiv eine andere Antwort erwartet, das konnte sie ihm ansehen. »Genauso habe ich mich gefühlt, als Sarabi gestorben ist, weißt du.« Tama warf einen Blick in Richtung Königsfelsen. »Manchmal ist das, was wir tun können, einfach nicht genug. Aber mittlerweile kann ich damit leben.« Tojo schaute ebenfalls noch dorthin, als sie ihn wieder ansah. »Ja, ich verstehe.« »Und, kommst du dann mit?« Zumindest ein wenig Hoffnung hatte Tama ja, dass der Regen ihn etwas geselliger machen könnte. »Nein, eher nicht«, erwiderte Tojo allerdings. »Wenn ich doch morgen zu Rafiki soll, kann ich auch gleich meine Pfote schonen und mir den Umweg sparen.« »Und wo willst du bei diesem Wetter die Nacht verbringen?« »Es gibt da eine Höhle gleich hinter ... Warum willst du das wissen?« »Ach, nur so.« Tama ging einen Schritt auf ihn zu. »Ich will nur sichergehen, dass du dich nicht drückst und wenn du sagst, dass es da eine Höhle gibt, –« »Nein«, meinte Tojo sofort, »es ist ziemlich eng da.« »Kein Problem«, lachte Tama. »Wir sind doch beide erwachsen.« Als sie an der besagten Höhle ankamen, musste Tama jedoch einsehen, dass er Recht hatte. Zwei Löwen hätten es darin wirklich eng. Der Eingang war nicht einmal hoch genug, damit sie aufrecht hindurchgehen konnte und weiter hinten war nichts zu erkennen. »Versuchen wir's« Hauptsache, sie würden bald diesem Regen entfliehen. »Und wie?« »Leg' du dich erstmal rein. Dann schaue ich, was ich machen kann.« »Allerhöchstens legen wir uns nebeneinander«, sagte Tojo, krabbelte in die Höhle und streckte nach ein paar Augenblicken den Kopf wieder darauf hervor. »Der Platz hinten reicht mir geradeso, wenn ich mich zusammenrolle.« Nun wurde klar, wie schwierig Tamas Unterfangen war, denn er versperrte schon jetzt fast den halben Eingang. »Also gut«, erwiderte sie. Darauf bedacht, nicht zu stolpern und am Ende auf Tojos Rücken zu landen, quetschte sie sich in die Höhle, wendete, indem sie im Dunkeln an der hinteren Wand entlangkratzte, und lag schließlich mit dem Kopf zum Ausgang neben ihm. Allerdings war es hier viel zu eng, um direkten Kontakt zu vermeiden. Normalerweise hätte Tama diesen Umstand begrüßt, aber im Moment war Tojos Mähne kalt, nass und strähnig, also alles andere als bequem, um darauf zu liegen. Jener nahm übrigens keinerlei Notiz davon, dass sie sich an seine Flanke lehnte. Irgendwie war ihr diese ganze Situation unangenehm, also hob Tama vorsichtig eine Pfote und legte sie auf Tojos. Nur so hatte sie seine Aufmerksamkeit nicht bekommen wollen: »Au, vorsichtig!« »Oh, Entschuldigung.« Erst wollte sie sich wieder zurückziehen, legte das Bein dann jedoch wieder ab, diesmal darauf bedacht, seine Verletzung nicht zu berühren. Anschließend beugte sie sich vor und fuhr selbst mit der Zunge über die Stelle, wo sie die Wunde vermutete. Nur hatte Tama nicht damit gerechnet, so intensiv Blut zu schmecken. Plötzlich spürte sie, wie ureigene Instinkte erwachten; ein Kribbeln fuhr ihr durch den ganzen Körper und mit Sicherheit stand ihr von den Ohren bis zur Schwanzspitze das Fell zu Berge. Ein Glück, dass es so dunkel war. Trotzdem war es nicht unbemerkt geblieben: »Ähm ... alles in Ordnung?«, fragte Tojo vorsichtig. »Es ist nur das Blut«, antwortete Tama schnell, »wahrscheinlich, weil ich zu sehr eine Jägerin bin.« »Ah, verstehe.« Tojo hielt den Kopf weiterhin hoch erhoben und spähte hinaus in die Dunkelheit. Jedenfalls hatte er nicht protestiert und so beugte Tama sich wieder hinunter und leckte ein weiteres Mal über sein verletztes Bein. Nun hatte sie sich wesentlich besser unter Kontrolle. »Tut es weh?« »Nein, mach' ruhig weiter.« Ansonsten verweigerte er strikt jeden direkten Kontakt, also wartete Tama nicht lange auf ein Bitte und säuberte sorgfältig Tojos Wunde. Dabei merkte sie allmählich, dass er vollkommen Recht hatte – es handelte sich nur um einen oberflächlichen Kratzer, den sie bald frei von Blut und Dreck hatte. »Fertig!«, keuchte sie schließlich und ließ den Kopf zur Seite fallen. So lag sie nun bei Tojo, als wäre sie seine Partnerin, aber das war erst einmal egal. Für Tama war nur wichtig, dass sie sich wohl fühlte und das obwohl seine Mähne sie überall im Nacken kitzelte. »Mir gefällt das Leben hier«, flüsterte sie. »Es hat seine Vorzüge«, erwiderte Tojo über ihren Kopf hinweg. »Du bist ja noch wach!« »Witzbold. Wie soll ich den einschlafen, wenn ich die ganze Zeit den Kopf oben halten muss, weil du da liegst?« »Deine Sache, gute Nacht.« Das meinte Tama nun wirklich ernst und rückte den Kopf noch etwas bequemer. Tojo ließ sie einfach machen und spähte weiter hinaus in die Dunkelheit. Unterdessen übermannte Tama das Geschehene des heutigen Tages und sie glitt allmählich hinüber in die dunkle Ungewissheit ihrer Träume. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ------------------------------------ Deja Vu Die Sonne war gerade erst aufgegangen und schon war sie wieder auf den Beinen. Wie hatte sie dieses Leben vermisst – die Freiheit, den ganzen Tag für sich zu gestalten. Bis auf die Jagd. Die letzten Wochen und Monate hatte sie sich ganz auf die Schwestern eingestellt und jetzt musste sie ohne sie zurechtkommen. Aber es war schließlich nicht das erste Mal, dass Zira allein unterwegs war. Schon nach drei Tagen hatte sie die erste Beute geschlagen. Und jetzt war es bald vollbracht. Ihr kleiner Sohn war mittlerweile drauf und dran, seine Umgebung zu erkunden. Daher war Zira keine andere Wahl geblieben, als ihre Jagd auf die frühen Morgen- und späten Abendstunden zu verlegen, wenn e noch schlief. Nur leider war auch an diesem Morgen noch nichts Lohnenswertes unterwegs, also machte sie sich wieder auf den Rückweg. Dabei beschleunigte sich ihr Schritt zunehmen, je näher sie ihrem Ziel kam. Aus irgendeinem Grund hatte sie seit vorgestern Abend immer wieder dasselbe Bild im Kopf: Nuka, der einen toten Savannenhasen ins Versteck geschleift hatte – eine Blutspur, die direkt zu ihrem geliebten Kind führte! Aber irgendetwas war heuet anders ... Als die dann endlich ankam, stockte ihr augenblicklich der Atem. Gleich neben ihrem Sohn lag ein Löwe mit dunklem Fell und fast schwarzer Mähne. Zira spürte, wie sich an ihrem ganzen Körper die Haare aufstellten. Wenn er wirklich schlief, so wie es schien, dann war das die perfekte Gelegenheit. Doch kaum hatte sie einen Schritt getan, da öffnete er ein Auge, in dem außer der Pupille nur reiner Wahn zu erkennen war. Obgleich ihrer Haltung blieb er entspannt liegen. »So sieht man sich also wieder; endlich! Guten Morgen, Zira.« »Was willst du?«, entgegnete sie spitz aber gedämpft, um ihren Sohn nicht zu wecken. Siri bemerkte ihren Blick dorthin und sah seinerseits auf das kleine Fellknäuel neben sich. »Ach, der gehört zu dir.« Zira wollte schon losspringen, aber Siri hatte bereits eine einzelne Kralle ausgefahren und fuhr dem Kleinen sanft durchs Fell. »Ich möchte etwas von dir wissen«, sagte er plötzlich, ohne sie dabei anzusehen. »Erinnerst du dich an Tumaini?« Diese Löwin würde Zira nie im Leben vergessen. »Warum?« »Weißt du, ob sie schon einmal in diesem ... "Geweihten Land" war?« »Ach, und du denkst, ich sage dir das einfach so?« »Allerdings.« Siri zeigte auch die anderen Krallen an seiner Pfote. »Ja, war sie!«, rief Zira hastig. Solange sie damit ihr Kind retten konnte, war ihr im Moment jedes Mittel recht. Siri sah so aus, als würde er ihr glauben. Einen Moment lang verharrte er in seiner Position, dann ließ er Ziras Junge in Ruhe und richtete sich halb auf. In diesem Moment hing Zira schon in der Luft, hatte aber trotzdem nicht den Hauch einer Chance. Siri lenkte ihre gesamte Bewegung mit der Rückseite eines seiner Vorderbeine von sich ab und sie krachte neben ihm zu Boden. Im nächsten Moment zuckte ein brennender Schmerz durch ihren Kopf, danach setze ihre Erinnerung aus. Das erste, was sie wieder wahrnahm, war ihr Sohn, der angestrengt versuchte, sie zu wecken. Auf die Hinterbeine gestellt drückte er mit beiden Vorderpfoten gegen ihre Wange. Zira öffnete vorsichtig die Augen. Siri war weg und auch ansonsten war es vollkommen ruhig. Doch als die Kopf zur Seite drehen wollte, flammte der Schmerz wieder auf. Sie ordnete ihn ihrem linken Ohr zu, zwang sich, die Augen offen zu halten und warf einen Blick auf ihren Schützling. Sowohl an seinen Pfoten als auch in seinem Gesicht klebte ihr Blut, aber schien nicht verängstigt zu sein. Noch wusste er nicht, was es bedeutete und für Zira war es bedeutungslos. Ihre Sorgen reichten viel weiter: Was sie auch tun würde, wohin sie auch gehen würde; jetzt würde sie selbst die Blutspur zu ihrem Kind legen. Das Schicksal schien ihr nie eine Wahl zu lassen. Nach dem Sturm Diese Nacht würde Kopa bis an sein Lebensende nicht vergessen. Gestern war er noch kurz vor dem Regen bei Rafikis Baum angekommen und kurzerhand hinauf in dessen Krone befördert worden. Während draußen das Unwetter getobt hatte, waren Rafiki und Zazu fast den ganzen Abend damit beschäftigt gewesen, Neuigkeiten über die aktuelle Lage im Geweihten Land auszutauschen. Die restliche Zeit hatte der Affe vor einem der hier abzweigenden Äste verbracht. Jener war dicker als jeder Baumstamm, den Kopa je gesehen hatte und rundherum mit Malereien versehen, darunter Löwen, Zebras, Elefanten und sogar Hyänen. Doch auch ohne dieses ansehnliche Kunstwerk war klar zu erkennen, dass Rafiki hier allein lebte. Überall auf dem Boden lagen halbe Kürbisschalen mit Farbe herum – wobei man dem Affen zugutehalten musste, dass er den Boden nur selten zum Laufen brauchte. Ansonsten war nur noch sein Stab zu sehen, der ordentlich in einer Astgabel lehnte. Im Moment hing sogar noch ein Flaschenkürbis daran. Kopa wünschte nur, dass er an einem freundlicheren Tag hergekommen wäre. Unter den Regenwolken war es inmitten der gewaltigen Baumkrone schnell dunkel geworden und er hatte beschlossen, sich für den Rest des Tages in eine Ecke zu legen. Rafiki war sowieso mit Zazu beschäftigt gewesen und außerdem wollte er am nächsten Morgen nicht aussehen wie eine Pfauenfeder, denn im Dämmerlicht war es unmöglich gewesen, all die herumliegenden Farbschalen zu erkennen. Aber dann war die Nacht hereingebrochen und das Unwetter hatte seine ganze Stärke offenbart. Durch die Blätter hatte der Aufprall jedes einzelnen Regentropfens so laut geklungen, wie wenn ein Zebra einen seiner Hufe auf den Boden schlug. Dafür war immerhin kein Wasser und nur ein klein wenig Wasser bis hierher in die Mitte der Krone vorgedrungen. Auch den Wind hatte man nur am Schaukeln des Baumes gespürt. Jedenfalls war Kopa irgendwann doch noch eingeschlafen, auch wenn er sich nicht mehr an die genauen Umstände erinnern konnte. Und nun war die Idylle am folgenden Morgen geradezu beängstigend. Hier oben hatte das Unwetter nicht die geringste Spur hinterlassen und bisher hatte Kopa an diesem Morgen weder Rafiki gesehen, noch eine Gelegenheit gehabt, nach draußen zu schauen. Da fiel ihm auf, dass er keinerlei Möglichkeit hatte, selbstständig – »Guten Morgen, mein verschlafener Prinz«, ertönte es plötzlich aus den Blättern über ihm. »Morgen, Zazu. Weißt du, wo Rafiki ist.« »Irgendwo hier im Baum, schätze ich. Je nachdem, was er beobachtet, sitzt er immer woanders.« »Und wie –« In eben diesem Augenblick schwang der sich auf die kleine Plattform, schritt, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, hinüber zu seinem Stab und riss den daran befestigten Flaschenkürbis ab. Anschießend teilte er die Frucht mit bloßen Händen und biss ein großes Stück aus einer der Hälften heraus, während er Kopa die andere entgegenhielt. »Sind die denn zum Essen da?«, fragte der überrascht. »Für was denn sonst?« Kopa konnte sich zwar nur verschwommen an seine Taufe erinnern, aber er wusste zumindest noch, dass das, womit Rafiki sie durchgeführt hatte, auch an dessen Stab befestigt gewesen war. »Nein, danke.« Denn mittlerweile wusste er, was er von dem Affen wollte. »Soso«, meinte Rafiki und biss kurzerhand auch von Kopas Hälfte ab. Ob er schon wusste, was der junge Prinz auf dem Herzen hatte? »Also, Papa hat mich hergeschickt, damit ich ... na ja, mit dir reden kann. Ich habe die ganze Nacht überlegt, was ich dich fragen könnte und ich denke, ich weiß es jetzt.« Rafiki begann nur, breit zu grinsen. Ansonsten zeigte er keine Reaktion. »Warum bin ich hier?« »Ah ja, eine gute Frage ... und ich habe die Antwort.« Rafiki bedeutete ihm mit einer Handbewegung näher zu kommen, legte selbige dann über Kopas Rücken und bildete mit der anderen eine Muschel, um ihm ins Ohr zu flüstern: »Simba hat dich geschickt!« Kopa zuckte überrascht zurück, während Rafiki in einen Lachanfall ausbrach, von der Plattform sprang und in den Ästen herumtollte. »Ja, sehr lustig!« Und das sollte ihm weiterhelfen? Schließlich landete Rafiki wieder vor ihm. »Es ist wahr.« »Und woher weißt du das?« »Weil du es mir gesagt hast.« Irgendwie hatte Kopa mehr erwartet. »Ich hätte lügen können.« »Sicher«, entgegnete Rafiki. »Hast du gelogen? Oder warum glaubst du, bist du hier? War es deine eigene Entscheidung?« »Ja, i –« Da glaubte er, Rafikis Gedankengang erkannt zu haben. »Wir waren uns einfach einig, dass ich gehen sollte.« »Ah, das macht deine Frage wirklich interessant«, meinte der. »Ich schätze, es dauert noch eine Weile, bis wir sie beantworten können.« Fremd und vertraut Fernes Hufgetrappel weckte Tama – dabei hörte sie eigentlich nichts, sondern nahm nur die Vibration im Boden wahr. Noch mit geschlossenen Augen versuchte sie, den Kopf ein wenig zu drehen, spürte aber einen Widerstand im Nacken. Gleichzeitig kitzelte sie etwas auf dem Kopf und am Rücken. Träge öffnete sie ein Lid und erkannte vor sich eine Felswand – die zu der Höhle gehörte, in der sie sich gestern Abend zusammen mit Tojo niedergelassen hatte. Von ihren Pflichten als Leitlöwin befreit, entschied sie, heute auszuschlafen. Also schloss Tama erneut die Augen und vergaß abermals, was um sie herum geschah. Sie war tatsächlich noch einmal eingenickt, denn das Nächste, das sie wahrnahm, war, dass ihr Kopf bewegt wurde. Anschließend hörte sie Tojo über sich lautstark gähnen. »Morgen. Wie geht es deinem Bein«, fragte sie, ohne aufzublicken. » Ich spüre es nicht mehr; wahrscheinlich weil du die ganze Nacht draufgelegen bist. « »Aiheu abamami! Wenn du mich noch einmal so erschreckst ...« Doch Tama verstummte schnell wieder, als sie sich aufrichtete, um Tojos Wunde zu betrachten. Jene war nun trocken und gut zu erkennen. Zwar war der Schnitt nicht besonders tief, dafür aber glatt und gerade, denn Hyänenkrallen waren unheimlich scharf. »Wie kommt es eigentlich, dass du nur einen Kratzer abbekommen hast? Hyänen haben doch mehr Krallen.« »Ich war eine Spur zu langsam, weil ich auf Mheetu geachtet habe«, antwortete Tojo nur, »eigentlich hätte auch das hier nicht passieren dürfen.« »Du hast das Richtige getan.« »Hoffen wir's.« Er versucht, sich aufzurichten, scheiterte aber an dem Bein, das unter ihrem Kopf lag. »Warte, ich stehe zuerst auf.« Tama kroch umständlich aus der Höhle; kurz darauf stand auch Tojo auf zumindest drei Beinen. »Geht es?«, fragte sie vorsichtig. «Alles in Ordnung«, entgegnete Tojo ruhig, setzte die Pfote aber noch immer nicht auf, »das Gefühl kommt schon wieder zurück.« »Trotzdem – Verletzungen, bei denen Hyänen in Spiel waren, sollte sich Rafiki ansehen.« »Was macht sie denn so besonders?« »Der Staub vom Elefantenfriedhof«, erklärte Tama prompt. »Ihm zufolge kann es schnell gefährlich werden, wenn man zu viel davon in einer Wunde hat.« »Ah ja«, Tojo vergaß sogar, sein verletztes Bein in der Luft zu halten, »und woher weißt du das so genau?« »Ich bin praktisch Dauergast bei ihm«, lachte Tama. »Jeder Kratzer bei der Jagd – und mir passiert ständig was.« »Das glaube ich dir sofort!« »Was soll das heißen? Jede Jägerin erwischt es mal.« »Ja, Jägerin ...« Tojos Betonung war äußerst merkwürdig. Spielte er vielleicht darauf an, dass Tama Leitlöwin war? Denn seitdem war sie immer weniger als richtige Jägerin unterwegs, sondern koordinierte meistens nur ihre Schwestern. Allerdings konnte er das nicht wissen. Sie legte den Kopf schief und Tojo tat es ihr nach. Fast im selben Moment nahm sie wieder das Hufgetrappel wahr. »Achtung, da kommt was«, flüsterte sie nur. Keiner der beiden rührte sich, während hinter einer nahegelegenen Kuppe eine Herde Gnus auftauchte. Der Tierverband jagte in sicherer Entfernung an ihnen vorbei. »Merkwürdig«, murmelte Tama. »Was?« »Ich glaube, diese Herde ist heute Morgen schon einmal hier vorbeigekommen.« Tojo schaute nur stur in die Richtung, aus der Tama noch immer Hufgetrappel vernahm. »Ähm Tojo, bist du da?« »Sollten wir nachsehen, was dort passiert ist?«, entgegnete der unbeeindruckt. »Also die Richtung, aus der sie gekommen sind.« »Ja, ich den –« »Es liegt sowieso auf dem Weg.« »Tojo, ich habe Ja gesagt«, erwiderte Tama schnell bevor er erneut Luft holen konnte. »Ach so.« Er hatte es wirklich nicht bemerkt. Was war nur los mit ihm? »Gehst du voran?«, fragte Tama vorsichtig, denn so könnte sie ihn noch etwas beobachten; nur zur Sicherheit. Tojo nickte kurz, kehrte um und humpelte los. Doch schon nach wenigen Schritten normalisierte sich sein Gang wieder. Entweder kehrte tatsächlich sein Gefühl wieder zurück oder aber er ignorierte den Schmerz. Tama folgte ihm, denn vor Rafiki würde er es nicht verbergen können, das wusste sie sicher. Rafikis Rätselstunde Es war nun schon Mittag und Kopa saß noch immer auf diesem Baum fest. Zwar hatte er schon ein wenig mit Rafiki geredet, aber der alte Mandrill vollführte gefühlt mehr Kunststücke in den Ästen, als er Worte sprach. Als jener wieder einmal an der Plattform vorbeibaumelte, traute sich Kopa: »Rafiki!« Der blieb einfach mitten in der Bewegung stehen und hielt sich mit einem Arm und einem Bein im Geäst fest. »Wann komme ich hier wieder runter? Und wie?« Kopa erwähnte lieber nicht, dass er ein Geschäft zu erledigen hatte, denn das würde er so tun wie immer. Nicht dass er am Ende mehr über Rafikis Alltagsleben erfuhr, als ihm lieb war. »Ich dachte, Löwen können klettern«, erwiderte der Affe Kopa wagte einen vorsichtigen Blick über die Kante nach unten, konnte den Boden jedoch nicht sehen. »Ja, eigentlich schon, aber ...« »Die Jugend von heute ist wohl auch nicht mehr das, was sie einmal war.« Rafiki ließ den Ast über ihm los, schwang, sich mit dem Fuß haltend, rücklings einmal um den Ast unter ihm und landete nach einem weiteren halben Salto auf der Plattform. »Früher hatte ich hier oben jeden zweiten Tag Besuch.« »Also ich glaube, das ist nichts für mich«, sagte Kopf kopfschüttelnd, allerdings mehr über Rafikis Waghalsigkeit. »Da lasse ich mich lieber von dir tragen.« »Also soll ich dich runterbringen?« »Ja, bitte.« Es war für Kopa der einzige Weg und beim zweiten Mal auch schon gar nicht mehr so schlimm. Gleich nachdem er wieder festen Boden unter den Füßen hatte, hielt er Ausschau nach einem etwas privateren Fleckchen. Rafiki empfing ihn anschließend wortlos am Fuß seines Baumes. Was heißt wortlos? Der alte Mandrill schien ihn nicht einmal zu bemerken, so wieder er da auf einer der Wurzeln saß, die Füße auf die Oberschenkel gelegt und die Augen geschlossen. »Ähm ... Rafiki? Bist du da?« Kopa hielt sicherheitshalber respektablen Abstand. Der Affe hob leicht ein Lid an, um zu sehen, er ihn angesprochen hatte. Einige Augenblicke später begann er, leise vor sich hin zu murmeln. Kopa verstand nur Bruchstücke, die keinen wirklichen Sinn ergaben: ... »für seine« ... »frei« ... Plötzlich blinzelte Rafiki ein paar Mal und öffnete schließlich ganz die Augen. »Hast du etwas gesehen?«, fragte Kopa sofort. »Ja, aber es wird dir nicht gefallen. Nur wenn du –« »Was ist es?« »Bist du dir sicher? Einmal Gesagtes kann ich nicht wieder zurücknehmen. Manchmal ist –« »Ich will es wissen«, entgegnete Kopa bestimmt. »Wenn es mich betrifft«, fügte er noch hinzu. »Einen toten Löwen«, antwortete Rafiki ruhig. »Er war mit dir verwandt.« Augenblicklich stellten sich Kopas Nackenhaare auf, in Vorbereitung auf das absolut Schlimmste. Vor seinem inneren Auge sah er seinen Vater, dann Mheetu und schließlich sogar Nuka. »Wer? Wann?«, brachte er nur hervor. Rafiki allerdings schüttelte nur den Kopf. »Ruhig. Denke nach. Zeit ist nur eine Illusion.« Kopas Gedanken flogen wild umher, wie sollte er da nur ruhig denken? Zeit sei nur eine Illusion ... Ja klar, Rafiki konnte auch in die Zukunft sehen. Aber Moment mal, widersprach er sich da nicht selbst? Da hatte er den entscheidenden Einfall: »Was es einer der alten Könige? Mein Großvater vielleicht!« Rafiki jedoch schüttelte weiter den Kopf. »Nein, das war eben kein Test ... und einer der alten Könige war es sicher nicht.« Er kratze sich am Kinn, während er über seine nächsten Worte nachdachte. »Die Zeit ist eine Illusion, durch die ich hindurchschaue. So kann ich Dinge sehen, die anderen verborgen bleiben, auch wenn ich nicht weiß, wann es genau geschehen wird.« Kopa war so erstaunt über diese Wendung, dass er sogar seine Panik von eben vergaß. Auf einmal erklärte Rafiki klar und verständlich! »Dann ist die Gabe, zu sehen, also nichts weiter als die Gabe, alles Unwichtige auszublenden?« »Ein Gabe!« Rafiki brach in einen Lachanfall aus und fiel rücklings von der Wurzel. Aus irgendeinem Grund konnte Kopa nicht mehr an sich halten und lachte lauthals mit. Als sich beide beruhigt hatten, hatte Kopa das Gefühl, einen viel klareren Kopf zu haben und versuchte eine andere Frage: »Was genau sagt dir, das dieser tote Löwe mit mir verwandt ist?« Rafiki tauchte wieder hinter der Wurzel auf. Auf einmal hatte er seinen Stab in der Hand. – Hatte er den überhaupt mit nach unten genommen? »Tote unterscheiden sich wesentlich von den Lebenden. Sie spüren weder Trauer noch Schmerz.« »Also ich spüre keins von beidem, bin ich dann tot?«, fragte Kopa unüberhörbar sarkastisch. »Ganz genau«, erwiderte Rafiki jedoch, »deshalb irrst du dich auch, denn du nimmst es lediglich nicht wahr. Dein Schmerz gilt der Sorge über die Aufgaben, die dir noch bevorstehen ... ohne sie zu kennen. Deine Trauer –« »Eigentlich will ich das gar nicht wissen«, fiel Kopa ihm ins Wort. Rafiki jedoch blieb ruhig. »Du solltest dich nie vor deinen eigenen Gefühlen verließen!« Kopa wüsste nur zu gerne, wie Rafiki das gemachte hatte, wie er das gesehen hatte. Doch er erhoffte sich nicht viel davon und zwang sich, eine andere Frage zu stellen: »Und die Verwandtschaft?« »Ihr seid euch ähnlich«, erwiderte Rafiki nur. »So, und jetzt lass uns unseren Besuch begrüßen.« Der unvermittelte Themenwechsel brachte Kopa schon gar nicht mehr aus dem Konzept. In aller Ruhe sah er zu Zazu auf, der seit einiger Zeit über ihren Köpfen kreiste. Der Nashornvogel bemerkte schnell seinen Blick und ließ sich so steil herabfallen, dass Kopa schon befürchtete, er würde sich geradewegs in den Boden bohren. Doch Zazu landete so anmutig wie immer. »Hast du wen auf uns zukommen sehen?«, fragte Kopa ohne Umschweife. »Tojo und eine Löwin. Ich konnte sie nicht erkennen, aber wenn ich raten müssten –« »Tama«, bestätigte Rafiki. Zazu warf ihm einen merkwürdig fragenden Blick zu und Kopa musste unweigerlich schmunzeln. Um sich wieder zu beruhigen, drehte er sich der offenen Savanne zu, um, wie Rafiki schon gesagt hatte, ihren Besuch zu begrüßen. Als erstes bemerkte er Tamas Gang. Während Tojo schnurstracks auf ihn zuhielt, sprang sie immer zur Seite und redete dabei durchweg auf ihren Begleiter ein. Worum es dabei ging, sollte Kopa allerdings nie erfahren. Gerade als die beiden nah genug gekommen waren, damit er vielleicht etwas hätte verstehen können, bemerkte Tojo die drei ungleichen Geschöpfe zwischen den Wurzeln. Er sagte etwas zu Tama, woraufhin jene ausgelassen zu lachen begann. Bis die beiden an Rafikis Baum angekommen waren hatte sie sich jedoch wieder beruhigt. »Hey Kopa, hallo Zazu. Rafiki.« Vor ihm neigte sie das Haupt. Der Affe lächelte nur, ging zu ihr und legte eine Hand auf ihren Nasenrücken und die andere seitlich an ihren Hals. »Möchtest du darüber reden?«, fragte er sanft. »Nicht jetzt«, entgegnete sie, ohne sich vor seiner Berührung zurückzuziehen. Daraufhin ließ Rafiki sie los und Tama öffnete wieder die Augen. »Tojo wurde gestern Abend von einer Hyäne gekratzt«, berichtete sie. »Ich wollte, dass du dir die Wunde ansiehst.« »Eine kluge Entscheidung«, meinte der Affe und wandte sich Tojo zu, Der hob das verletzte Vorderbein an, um zu zeigen, worum es ging. Rafiki schritt zu ihm hinüber und streckte die Hände aus, doch als Tojo seine Pfote hineinlegte fiel er fast vornüber. Sobald er sich seines Standes wieder sicher war, war Rafiki einen kurzen Blick auf die Wunde, dann ließ er Tojos Bein wieder los. Währenddessen ging Tama zu Kopa hinüber und versperrte ihm dabei kurz die Sicht. Als sie sie wieder freigab tastete Rafiki sich gerade an Tojos Flanke entlang. Kopa beobachtete die beiden mit mäßigem Interesse. Eigentlich galten seine Gedanken Tama und wie er etwas über ihr kurzes Gespräch mit Rafiki herausfinden könnte. »Sprecht ihr öfter über solche Dinge?«, fragte er sie schließlich. »Das geht dich in etwa so viel etwas an wie die Entscheidungen, die ich als Leitlöwin treffe.« »Tut mir leid, ich war nur neugierig.« »Dann bleib ruhig weiter neugierig«, entgegnete Tama belustigt. »Du wirst nichts erfahren.« »Hey!« Sie sahen beide überrascht auf und Kopa konnte gerade noch erkennen, wie Tojo seine Schwanzquaste Rafikis Hand entriss. Jener wandte sich unbeeindruckt an Tama: »Es geht ihm gut. Ich sehe keine Anzeichen für innere Verletzungen und sein Blutkreislauf funktioniert bis zur Schwanzspitze.« ›Was in Aiheus Namen ist ein Blutkreislauf?‹ Doch Kopa wurde von Tama angesprochen, bevor er die Frage stellen konnte: »Kopa, ich möchte dir etwas erzählen. Tojo war dagegen, aber ich denke, du solltest es wissen, bevor du nach Hause kommst.« Er horchte auf. »Was ist es?« »Deine Mutter ist zurück,« – Das bedeutete, er hatte jetzt einen kleinen Bruder oder eine Schwester! – »aber es geht ihr nicht besonders gut. Leider hat nur eines ihrer beiden Kinder überlebt.« »Was?«, rief er entgeistert. »Aber das kann nicht –« Da dachte er an Rafikis Deutung. »Du hast von einem Löwen gesprochen, nicht wahr?«, fragte er ihn und beachtete die verwirrten Blicke von Tojo und Tama gar nicht. »So ist es«, erwiderte Rafiki ruhig. »Und dieser kleine Prinz, wie ich jetzt weiß, war sehr mutig. Er wusste, dass es für ihn zu Ende ging und er hatte keine Angst vor dem, was vor ihm war.« Doch für Kopa zählte gerade nur, dass er seinen Bruder verloren hatte, bevor er ihn überhaupt einmal gesehen hatte. »Warum habt ihr mir das überhaupt erzählt?« »Weil wir uns Sorgen um Nala machen«, antwortete ihm Tama. »Egal, was du empfindest, ihr geht es schlimmer und deshalb solltest du jetzt etwas Rücksicht auf sie nehmen.« Auch sie verstand ihn nicht. »Und du, hast du auch etwas zu sagen?«, fuhr er Tojo an. Der sah nur auf den Boden zwischen seinen Pfoten. Doch dann begann er, leise vor sich hin zu murmeln, sodass es einigen Momente dauerte, bis Kopa ihn verstand: »– dass ich Nala noch einmal getroffen habe, kurz bevor sie das Geweihte Land verlassen hat. Und heute sind wir uns wieder über den Weg gelaufen. Tama war dabei.« Jene nickte zustimmend, unterbrach ihn jedoch nicht. »Sie hat eine ganze Herde Gnus aufgescheucht, als sie ins Geweihte Land gekommen ist. Normalerweise würde ich einer Löwin mit einem Jungen so etwas verzeihen, aber Nala ...« Immerhin hatte er es geschafft, einen Teil von Kopas Wut in Verwirrung zu ertränken. Das hatte schlichtweg überhaupt nichts mit ihm zu tun. »Was er eigentlich sagen will«, erklärte Rafiki, »ist, dass deine Mutter sich verändert hat. Vielleicht ist es nicht von Dauer, aber diese Frage kann im Moment wohl nicht einmal sie selbst beantworten.« Kopa senkte den Blick zu Boden. Keiner verstand ihn. »Kopa«, Tama kam zu ihm und stupste mit der Schnauze seine Flanke an. Die Aktion kam so unerwartet, dass er das Gleichgewicht verlor und plump aber halbwegs kontrolliert auf der Seite landete. »Wir wissen alle, dass du traurig bist, aber du musst verstehen, dass deine Mutter es im Moment vielleicht nicht verkraften kann, wenn du über sie herfällst.« Wie wahr das war. Am liebsten wäre Kopa sofort nach Hause losgestürmte und hätte seine Mutter mit Fragen zugedeckt, warum sie seinen Bruder verloren hatte. Doch schließlich musste er sich eingestehen, dass Tama Recht hatte. Im Moment musste er alleine damit zurechtkommen. Da fragte Rafiki Tojo, was er denn für Veränderungen erwarte. Jener erzählte von dem Zwischenfall bei der Jagd und brachte damit Kopa schnell auf andere Gedanken. Als er sich später von Tojo und Tama verabschiedete, war er sogar bereit, nach Hause zurückzukehren, ohne allzu sehr an seinen Verlust zu denken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)