Der König der Löwen von Izruo (Wir sind Eins) ================================================================================ Löwenspiele ----------- Fünf Wochen vergehen Zunehmend trockene Tage markierten das Ende der Kleinen Regenzeit. Bald schon würde ein kräftiges Unwetter nach dem andern über das Geweihte Land ziehen und der Welt wieder Leben einhauchen. Doch nicht nur in dieser Hinsicht war es die Ruhe vor dem Sturm. Die meisten Löwinnen nahmen an, dass Siri wenn überhaupt noch vor Beginn der Großen Regenzeit wiederkehren würde. Dass ihn hier keiner kannte, konnte nur bedeuten, dass er nicht aus der näheren Umgebung kam, aber derart lange Märsche unternahm kein Löwe gerne im Regen. In diesem Trubel weitgehend unbemerkt wuchsen die vier Nachkömmlinge des Rudels schnell heran. Vitani entwickelte Selbsterkenntnis und reagierte nun immer, wenn man sie beim Namen ansprach. Bald schon war sie alt genug, um mit den drei Jungs mitzuziehen. An Kopas Scheitel sprossen derweil die ersten rostbraunen Haare, während sich die Mähnen von Mheetu und Nuka allmählich auch über den Nacken hinweg ausbreiteten. Wenn sie die Ohren aufstellten, reichten sie den Erwachsenen schon bis zu den Schultern. Hätte es gleichaltrige Löwinnen im Rudel gegeben, dann wäre Nukas Erscheinungsbild mit tiefschwarzer Mähne und gleichfarbigem Kinnbart wahrscheinlich als ansehnlich bezeichnet worden. Doch die Erwachsenen, die längst dieses Alter der wilden Schwärmerei hinter sich hatten, zeigten ihre Zurkenntnisnahme meistens mit Hilfe kleiner Scherze. Ein einfaches Kommentar wie „Bist du aber groß geworden!“ bekam er nie zu hören, nicht einmal von seiner eigenen Mutter. Immer im Vierergespann »Fangen! Du bist dran!« »Warum immer ich?« »Das Glück, erstaunlich ist's, zumeist den Richt'gen trifft.« »Na warte ... Hab dich! Hey, es macht keinen Spaß, wenn du dich immer fangen lässt, Mheetu.« »Bist du dir da so sicher?« Solange hier von Spaß die Rede sein konnte. Für Nuka war das Ganze nichts weiter als kindische Spielerei. Vor allem: Wie sollten die vier überhaupt vernünftig Fangen spielen? Eigentlich war von vornherein schon klar, wer wen fangen konnte und wer nicht. Also ließ er Mheetu mit Kopa und Vitani allein und lief zum Königsfelsen zu den Erwachsenen. »Gehe immer gegen den Wind, viele Tiere verlassen sich auf ihren Geruchsinn«, erklärte Tama Tojo, während sie einen selten genutzten Pfad von der Nordseite des Königsfelsens hinauf zu den Liegeplätzen entlangwanderten. Obwohl die Aussichten auf eine Rückkehr des Fremden schwanden, hatte Tojo darauf bestanden weiterzumachen. Allerdings hatte Tamas Zeit auch ihren Preis. Der Weg führte direkt zu Kulas Felsen und dort fanden sie sie auch zusammen mit ihrem Bruder. Die beiden erhoben sich, als sie ihren Besuch erkannten. Tama ging offen auf sie zu, köpfelte kurz mit Kula und anschließend auch mit Chumvi. »Wie schön, uns alle vier wieder zusammen zu sehen, es ist so lange her.« »Vier? Sag bloß nicht ...« Chumvi sah an Tama vorbei und erkannte Tojo, der noch immer auf dem Absatz stand, von wo aus der Pfad hinunter in die Savanne führte. »Nein, was machst du denn hier?« Er manövrierte schnell um sie herum und baute sich mit einem breiten Lächeln vor seinem Freund auf. Aber bevor er etwas sagen konnte, schritt Kula zwischen sie und vergrub kurz den Kopf in Tojos Mähne. »Endlich sieht man dich mal wieder bei Tageslicht.« »Es ist ja nicht so, als ob er nachtaktiv wäre«, fügte Chumvi hinzu. »Ich tue nur das, was ihr von mir wolltet.« »Abends während der Jagd, ja. Aber ansonsten musst du dich nicht von uns fernhalten.« Chumvi schielte aus dem Augenwinkel hinüber zu Tama und begann, breit zu grinsen. »Nein, sag' es nicht«, fuhr Tojo ihm dazwischen. »Ich habe doch gar nichts gesagt.« »Dann denk' es nicht.« Urplötzlich verschwand das Grinsen aus Chumvis Gesicht. »Zu spät ...« »Dann werde ich dich mal auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Wenn Siri hier wieder auftaucht, will ich nicht, dass er mich genauso leicht entdeckt wie das letzte Mal. Tama hilft mir dabei.« »Wer ist Siri?« »Der Fremde, der vor einem Mond hier aufgetaucht ist. Hat Zira es dir nicht erzählt?« »Was? Aber ...« Weiter kam Chumvi nicht. Völlig entgeistert sah er einen nach dem andern an, bis sein Blick wieder Tojos traf. »Aber dir hat sie es erzählt?« »Sie hat es Simba erzählt.« Tojo seinerseits wich nicht zurück. »Ich war einfach nur dabei.« »Na gut, aber warum sagt mir keiner was?« »Wir dachten, du wüsstest es bereits«, schaltete sich nun Kula wieder ein. »Du willst gar nicht wissen, wie oft ich schon dazu gedrängt wurde, dich auszufragen.« »Ich habe versucht, mit ihr zu reden, aber sie wollte nicht.« Chumvis Blick wurde nachdenklich. »Haltet ihr es für möglich, dass ich –« »Ich will nicht mehr Fangen spielen!« »Also das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.« Gleich nach ihrem Einwurf erkannte Tama, dass der letzte Teil des Satzes nicht von Chumvi sondern von Nuka, der gerade zu ihnen trat, gekommen war. »Oh, aber es geht ja um dich, Kleiner.« »Also, wo liegt das Problem?«, wollte Chumvi wissen. »Sobald Vitani an der Reihe ist, macht es keinen Sinn mehr. Sie kann ja keinen von uns einholen. Um Fangen zu spielen, müssen nun mal alle gleich schnell sein.« »Das kommt ganz auf die Regeln an«, erwiderte Kula, sichtlich enttäuscht von den ahnungslosen Gesichtern ihrer Freunde. »Erinnert ihr euch noch an Malka?« »Jaaa!«, rief Tama in einem Ton, der ihr schräge Blicke von Tojo und Chumvi einbrachte. »Ähm ... Ja, ich erinnere mich.« Allein ihrem Fell hatte sie zu verdanken, dass sie nicht errötete. Aber Tojo brach schnell das unangenehme Schweigen, das darauf folgte: »Malka war mal zu Besuch hier, das war noch zu Mufasas Zeiten. Er war schon etwas komisch und Fangen spielte er ganz anders. Anstatt vor dem, der Fangen musste, wegzulaufen, ist er ihm einfach hinterher gerannt und meinte dann: ›Ich muss, fangt mich doch!‹ Ich meine, er hätte es uns ja erklären können, aber einfach so – das war heftig.« »Auf jeden Fall ist es ein guter Plan, um die drei so richtig zu überraschen«, erkannte Nuka. »Bei mir hat es damals funktioniert«, bestätigte Tama, »und das Spiel ist so auch besser für euch, weil ihr lernt, zusammen zu arbeiten.« Ob Nuka das mitbekommen hatte, war allerdings fragwürdig. »Von wo kam Malka eigentlich?« »Das ist wie bei den beiden – irgendwann war er einfach da und keiner wusste, woher«, antwortete Tojo, ohne groß nachzudenken. »Als er dann aber mit seiner Mutter wieder gegangen ist, sind sie nach Norden gezogen.« Nuka stand das Maul halb offen, während er Chumvi ansah. »Du bist nicht von hier?« »Das ist eine längere Geschichte.« »Nein, eigentlich ist sie ganz kurz«, erwiderte Tojo. »Eines Tages lag er vor der Höhle wie ein verloren gegangener Savannenhase.« »Das ist nicht wahr!« »Stimmt ... du eher wie ein Maulwurf ausgesehen.« »Na warte!« Chumvi sprang einfach so aus dem Stand direkt auf Tojo zu, der behände zur Seite auswich. An den eingefahrenen Krallen war jedoch zu erkennen, dass die beiden nur herumalberten. Während Tama versuchte, die beiden übergroßen Spielkinder zu trennen, wandte sich Kula an Nuka: »Wir haben unsere Mutter seitdem nicht mehr gesehen. Warum sie uns hier abgeliefert hat, haben wir erst viel später erfahren.« »Warum denn?«, hakte der Kleine sofort nach. »Ich würde es dir ja erzählen, aber es ist ein Geheimnis, das ich mit meinem Bruder teile. Rede mit ihm, wenn du mehr wissen willst. Ich werde ihm sagen, dass es für mich in Ordnung ist.« »Okay.« Er schaute kurz zu Chumvi und Tojo hinüber, sah aber gleich wieder Kula an, als sie ihn ansprach: »Geh ruhig wieder spielen, die beiden sind jetzt erst mal nicht mehr ansprechbar.« Das neuaufgelegte Fangspiel Die drei anderen Löwenkinder waren ziemlich erstaunt über Nukas plötzlichen Enthusiasmus, Fangen zu spielen. Vor allem aber waren sie froh, dass er doch wieder mitmachte, und so ging es in die zweite Runde: Mheetu begann wieder. Es dauerte nicht lange, da hatte er Vitani erwischt. »Du bist viel älter«, beschwerte sie sich. »Daran kann ich auch nichts ändern.« »Du könntest langsamer laufen«, warf Kopa ein. »Als ob ich das nicht schon tun würde!« Er wollte gerade zum Gegenangriff ausholen, aber ein Schlag auf die Brust presste Kopa die Luft aus den Lungen. »Hab dich!«, rief Vitani. »Hey, ich hab' nicht aufgepasst!« »Nicht meine Schuld ...« Kopa sah sich nach einem leichten Opfer um und bemerkte, dass Nuka sich noch kaum am Spiel beteiligt hatte, er hatte sich noch nicht einmal besonders viel bewegt. ›Anfänger, den schnapp' ich mir.‹ Doch der hatte nur darauf gewartet. Sobald er Nuka abgeklatscht hatte, rannte dieser los und rief: »Ich muss, fangt mich doch!« Kopa machte ein Gesicht, als hätte er gerade Rafikis Stab an den Hinterkopf bekommen: »Was soll das?« »Es ist eine Idee und sie ist nicht einmal schlecht«, entgegnete Mheetu. »Auf geht's, den kriegen wir! Also hört zu, wir werden ...« Die Neuauflage des Fangspiels funktionierte gut, vor allem weil es wesentlich abwechslungsreicher war als ihre bisherige Variante. Erst unter der prallen Mittagssonne bestand Mheetu auf eine kurze Pause und führte das Vierergespann zum Königsfelsen. Dort fanden sie auf einer kleinen Felsterasse weiter unten am Fuße des Berges Nala und Zira, die schweigend dalagen und wahrscheinlich ihre Jungen beobachtet hatten. Kopa und Vitani zögerten kein bisschen, ihren Müttern von dem Fangspiel zu berichten, das sie soeben gelernt hatten. Für Zira war es tatsächlich neu, aber Nala lächelte Kopa an: »Das habt ihr von Tama, nehme ich an.« »Wie –« »Ich war damals doch auch dabei. Ja, Malka war schon ein schräger Zeitgenosse ... Eigentlich wollte er uns mal besuchen kommen.« »Ach so. Und ich dachte, das wäre Nukas Idee gewesen«, warf Mheetu ein. »Das habe ich nie behauptet«, verteidigte der sich allerdings. Kopa sah kurz zu seinen beiden älteren Spielgenossen, dann wandte er sich wieder seiner Mutter zu. »Wer ist Malka?« »Wir waren damals noch alle Kinder, ich war etwa so alt wie du jetzt. Malka hat sich ins Geweihte Land verirrt und während dein Großvater sich auf die Suche nach seinem Rudel gemacht hat, konnten wir den ganzen Tag lang mit ihm spielen. Wir hatten eine Menge Spaß, als ...« Nuka hörte gar nicht richtig zu, er kannte die Geschichte ja ohnehin schon. Doch plötzlich kam ihm ein Gedanke. »Nala, darf ich Kopa etwas zeigen?« »Was ist es denn diesmal? Wenn's blöd ist, bleib ich lieber hier.« »Nein. Es ist wirklich ein ganz ... besonderer Ort.« »Und wo befindet sich dieser „besondere Ort“?«, wollte Zira wissen. Anscheinend hatte sie ihren Sohn bereits durchschaut. »Ähm, ich habe ihn während des Unterrichts entdeckt. Wir waren unterwegs, irgendwo da hinten.« Er deutete in die Savanne nördlich den Königsfelsens. »Anstatt aufzupassen«, tadelte ihn Kopa. »Aber selbst wenn, da ist nichts als Gras. Was hast du denn gesehen?« »Das zeig' ich dir, wenn wir da sind.« Wirklich überzeugt schien er zwar nicht, doch letztendlich war er irgendwie neugierig. »Na gut. Mama, darf ich?« »Hm ... Was meinst du, Zira?« Das kam überraschend. Kopa hatte es bisher noch nie erlebt, dass seine Mutter sich hilfesuchend an sie gewandt hätte und so sah er Zira nur überrascht an. Dem unsicheren Blick zufolge schien auch Nuka die Wendung nicht zu gefallen. Zira hatte tatsächlich nicht vorgehabt, sie gehen zu lassen, doch als sie beobachtete, wie Mheetu sich hinter die beiden setzte, überdachte sie nochmal – Chumvi hielt nämlich viel von ihm. »Von mir aus.« Die Verwunderung stand den beiden deutlich ins Gesicht geschrieben, wich dann aber schnell der Vorfreude auf das bevorstehende Abenteuer. Nuka wollte schon vorausgehen, doch Zira war noch nicht fertig. »Aber nur, wenn ihr vier zusammen bleibt.« ›Nein, nicht die beiden! So würde es nie funktionieren.‹ Aber es hatte keinen Zweck, jetzt würden sie alle gemeinsam losziehen. Entdeckung Also führte Nuka die kleine Gruppe auf die Nordflanke des Königsfelsens zu, hielt sich dabei allerdings nahe an dem steinernen Monument, sodass sie es schon bald umrundet hatten und die flach ansteigende Rückseite emporblickten. »Wow, hier war ich noch nie!« Vitani schaute begeistert auf den Abhang. »Und was gibt es hier Aufregendes? Von da oben kann man sicher alles sehen.« »Nein, Vitani. Ich denke nicht, dass Nuka uns das Land von der Spitze des Königsfelsens aus zeigen möchte. Das ist ein Privileg der Könige.« Mheetu war an dieser Stelle selbstverständlich schon aufgefallen, dass Nuka seine Mutter angelogen hatte. Aber solange sie im Geweihten Land blieben, sah er sich außer Gefahr, also ließ er ihn einfach machen. »Damit hast du sogar Recht«, bemerkte Nuka. »Und warum halten wir dann an?« Kopa hatte von Anfang an nicht viel von diesem Ausflug gehalten. Was konnte Nuka ihm denn schon Interessantes zeigen? »Vitani hat angehalten, ich wollte eigentlich weitergehen.« Nuka setzte sich in Bewegung. Zunächst führte er sie auf direktem Weg nordwärts, mitten in die offene Savanne hinein, aber nach und nach driftete er immer weiter nach links ab. Die vier Löwenkinder kämpften sich eine Weile schweigend durch das hohe Gras, bis es auf einmal in einer fast geraden Linie abriss. Kurz nach Nuka traten auch Mheetu und Kopa ins Freie, Vitani folgte ihnen auf dem Fuß. »Wow.« Der kollektive Ausruf hallte ein paar Mal in der kargen Landschaft nach. »Was ist hier passiert?« Vitani schaffte es nicht ganz, ihre instinktive Angst unter der ebenso wenig gestellten Neugierde zu verbergen. »Man nennt das eine Narbe«, erklärte Mheetu und warf Nuka einen erbosten Blick zu. Doch der war zu beschäftigt damit, den Wänden zu folgen, die das Gras hinter ihnen bis zum Horizont bildete. Nein, das hier hatte er ihnen nicht zeigen wollen. »Vor einigen Monden hat es ein großes Feuer gegeben, das vom Wind ostwärts getrieben wurde. Das Land hier ist dabei vollständig ausgebrannt und wird noch eine Weile brauchen, um sich zu erholen.« »Warum ist diese Narbe so gerade?«, fragte Nuka unverwandt. »Der Wind hat den Brand auf die Westseite des Landes eingedämmt.« Mheetu schloss sich seinem Blick an. »Aber so gerade wie diese Linie hier ist – ich kann es nicht erklären, das müssen gewaltige Mächte gewesen sein, die da am Werk waren.« »Es ist, als hätte Aiheu selbst den Rest des Landes beschützt«, vollendete Kopa. Mheetu sah ihn kurz mit hochgezogenen Brauen an, dann schloss er die Augen und nickte einmal bestätigend. Anschließend wandte er sich an Nuka: »Du wolltest uns etwas zeigen?« »Aber wir sind doch da«, warf Vitani ein, bevor ihr Bruder etwas sagen konnte. »Nein, sind wir nicht. Ich wusste nichts von dieser Narbe«, erklärte Nuka und sein Blick traf Mheetus, doch er wandte ihn schnell wieder ab, »aber wenn wir ihr folgen, sollten wir es finden.« Und so wanderten die vier weiter nordwärts den Graswall entlang, allerdings war diese Monotonie unheimlich deprimierend. Die ganze Zeit sahen sie rechts von sich eine grüne Wand, die vor ihnen bis zum Horizont reichte und egal, wie weit sie liefen, nichts veränderte sich. Nach einer gefühlten Ewigkeit schien das Gras endlich einen Bogen zu machen, denn in der Ferne schimmerte ein schmaler, grüner Streifen. Mheetu jedoch erkannte, um was es sich dabei tatsächlich handelte: »Ach so, dahin wolltest du ... ich weiß nicht so Recht, ob –« »Seht mal, wir sind schon bald da«, unterbrach ihn Nuka. Die Aussicht, der endlosen Graswand zu entkommen, trieb die Löwenkinder voran und schon bald wurde der Bewuchs zu ihrer Rechten allmählich spärlicher, bis er schließlich ganz einem schmalen Streifen aus steinigem Boden wich. Dahinter war nichts zu sehen außer gähnender Leere, bis sich das Land auf der anderen Seite einer tiefen Schlucht fortsetzte. Sie musste das Feuer damals aufgehalten haben, denn dahinter war das Gras unversehrt, was die Narbe im Geweihten Land aber nur noch hässlicher aussehen ließ. Die Schlucht »Seht mal, da drüben können wir runtergehen!«, rief Nuka und lief auf eine Stelle zu, an der die Felswand eingestürzt war und das herabgesackte Erdreich einen steilen Weg hinunter bildete. »Dieser Ort birgt eine tragische Geschichte.« Nein, diesmal würde Nuka sich nicht von Mheetu die Show stehlen lassen. »Entweder wir hören uns wieder ein langweilige Geschichte an, oder wir finden es selbst heraus«, sagte er zu Kopa und Vitani, aber die erhoffte Zustimmung blieb aus. »Na gut. Wenn ihr damit einverstanden seid, schauen wir uns die Sache näher an.« Auf Mheetu reagierten die beiden dagegen begeistert und stürmten gleich übermütig auf den Abhang zu. »Das geht aber tief runter«, meinte Kopa allerdings, nachdem er über den Rand gespäht hatte. »Und dabei ist es noch eine der kleineren Schluchten hier«, erklärte Mheetu. »Na los, worauf warten wir denn?« Nuka wurde langsam ungeduldig oder er täuschte es zumindest vor. Jedenfalls ging er gleich darauf voran. »Bleibt dicht hinter mir«, befahl Mheetu seinen beiden Schützlingen und folgte ihm. Doch er hatte kaum über die Kante gelugt, da hielt er plötzlich inne. »Ist es sicher?«, fragte Vitani. »Ich denke schon.« Mheetu hatte die Augen auf die gegenüberliegende Klippe geheftet. »Ich dachte nur, ich hätte gesehen, wie sich da drüben was bewegt hat.« Kopa stellte sich neben ihn, konnte aber nichts erkennen. Das Gras war unberührt. »Vielleicht hast du dich geirrt.« »Wahrscheinlich.« Nur schwerlich konnte sich Mheetu von dem Anblick lösen. Jetzt musste er darauf achten, wo er die Pfoten hinsetzte. Der Erdrutsch muss lange her gewesen sein, denn es wuchs bereits stellenweise Gras, das den Löwenkindern guten Halt gab. So verlief der Abstieg ohne weitere Zwischenfälle. Unten angekommen vergewisserte sich Mheetu, dass sie vollzählig waren. »Kopa, Vitani, bei euch alles in Ordnung?« »Ja.« »Wo ist Nuka?« Mheetu schaute auf. Tatsächlich war er nirgends vor ihnen zu sehen. »Na, ihr da unten?« Er war beim Abstieg vom Schuttkegel auf einen Vorsprung in der Felswand geklettert, den er nun weiter entlanglief. »Da hält sich einer mal wieder für besonders wichtig«, bemerkte Mheetu spöttisch und wandte sich dann wieder an seine beiden kleineren Gefährten: »Nun, wenn wir schon mal hier sind, lasst uns ein wenig laufen. Immerhin kann Nuka uns ja nicht ewig da oben hinterherklettern.« »Okay«, meinte Vitani begeistert, aber Kopa blieb starr. »Kopa geht es dir gut?« »Mheetu, du hast doch vorhin gesagt, dass dieser Ort eine Geschichte hat, eine tragische.« Er schluckte. »Ich glaube, ich kann es spüren ... ist das schlecht?« »Weichei!«, ertönte es von weiter oben. »Nein, ist es nicht«, erwiderte Mheetu, ohne weiter auf den Zwischenruf einzugehen. »Diese Geschichte sollte dir allerdings dein Vater erzählen, schließlich ist es seine eigene.« »Aber irgendwas kannst du uns doch sicher erzählen«, drängte Vitani, als sie in Richtung Osten weitergingen. »Ich glaube, ich weiß, warum dein Bruder hierher wollte. Es ist der Ort, an dem die Herrschaft eures Vaters angefangen hat.« »Ach so. Und wie ist das passiert?« »Scar, Bruder! Hilf mir« »Lang lebe der König.« »Aaaaaaahh!« »Neeeiiiinnn!« »Kopa? Kopa, wach auf!« »W-Was?«, stammelte er und blickte in Vitanis besorgtes Gesicht. Mheetu hatte sich nicht gerührt und ließ nur den Kopf hängen. »Tut mir Leid, damit hatte ich nicht gerechnet.« Inzwischen hatte Nuka die drei wieder eingeholt: »Das soll also unser zukünftiger König sein? Ich befürchte ja, dass es ein besonders Bedauerlicher wird!« Endlich gab es etwas, das er wusste und Mheetu nicht, von daher kostete er diesen Moment voll aus. »Was soll das denn jetzt heißen?« Mheetu verengte die Augen, aber als er feststellen musste, wie wenig Wirkung seine Worte bei Nuka hatten, wurde er bereits stutzig. »Das, was du da gerade mitbekommen hast, Kopa, ist ganz normal ... jedenfalls für dich.« Das gab Mheetu jetzt den Rest. Das Maul halb geöffnet starrte er Nuka an, dann sah er zu Kopa und anschließend wieder zurück. »Du weißt, was eben passiert ist?« »Besser«, entgegnete der und schritt gelassen an ihnen vorbei, dann drehte er den Kopf zurück und vollendete seinen Satz, »ich weiß warum!« Kopa rappelte sich schnell wieder auf und lief hinterher, hielt sich aber, nachdem er aufgeschlossen hatte, knapp hinter ihm. »Los, erzähl schon, Nuka!« »Jeder Prinz bekommt genau einen einzigen Einblick in die Vergangenheit seines Vaters und das auch nur, wenn er den entsprechenden Ort betritt. Es ist eine Warnung, damit er nicht denselben Fehler macht wie sein Vorgänger.« »Das gilt dann ja auch für dich. Was hast du gesehen?« »Ich bin jedenfalls nicht zusammengebrochen«, entgegnete Nuka nur kühl. »Komm schon, Nuka, was hast du gesehen?«, drängte nun auch Vitani. »Ähm ... also –« »Du hast gar nichts gesehen«, stellte Mheetu trocken fest. »Vielleicht bist du deshalb nie König geworden.« »Nein, das war nicht meine Schuld.« »Vielleicht ist es auch einfach nur der falsche Ort«, gab Vitani zu bedenken. Die drei Jungs starrten sie allesamt erstaunt an. Sie war jetzt vier Monde alt, gerade genug, um mit ihnen alleine losziehen zu dürfen und da warf sie einen Gedanken ein, auf den keiner von ihnen gekommen wäre. Aber manche Dinge erkennt ein unberührtes Gemüt nun einmal wesentlich einfacher, während sie einem älteren nicht mehr auffallen. Danach war Mheetu der erste, der wieder nach vorne sah. »Ah, wir sind da.« »Wo denn?« »Am Ende der Schlucht.« Vor ihnen begann der Boden stetig anzusteigen und ging nach und nach in einen üppig bewachsenen Abhang über. Anscheinend hatte es hier schon einige Erdrutsche gegeben, die auch noch länger her waren als der, über den sie in die Schlucht gelangt waren. Die Löwenkinder hatten gerade mit dem Aufstieg begonnen, da stellte Mheetu die Ohren auf. Sein Blick wurde auf einmal todernst, während er sich umsah und schnell hinter einem Gebüsch nahe der Felswand in Deckung ging. Die drei anderen folgten ihm ohne Anweisung oder Widerrede. Gleich darauf hörte auch Kopa, wie etwas oben von Norden her ins Geweihte Land kam. Die Kreatur hielt einen Moment vor dem Abhang inne, lief dann aber weiter landeinwärts und folgte der Schlucht auf der anderen Seite. »Was war das?« »Jedenfalls kein Zebra«, entgegnete Mheetu. Doch ansonsten kam nur noch ein Tier in Frage, das groß genug und nicht unbedingt im Rudel unterwegs war. Sie gaben dem Geschöpf noch ausreichend Zeit, um außer Hörweite zu gelangen, dann krochen die vier Löwenkinder aus ihrem Versteck hervor und machten sich auf den Weg nach Hause. Schon für die Strecke hierher hatten sie ewig gebraucht und in der Schlucht hatten sie nicht sehen können, dass die Sonne nur noch gut zwei Baum hoch über dem Horizont stand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)