Der König der Löwen von Izruo (Wir sind Eins) ================================================================================ Lerne fürs Leben ---------------- Storytime Wenn auch diese Veränderung noch lange auf sich warten lassen würde, waren die direkten Folgen des Regens nicht zu verkennen. Das Wasserloch hatte seine Größe abermals verdoppelt und fasste damit genug Wasser, damit zum ersten Mal seit über einem Jahr alle Tiere des Geweihten Landes versorgt waren. So lag der von unzähligen Pfoten und Hufen ausgetretene Pfad zum Großen Fluss einsam da, wie eine Erinnerung an eine vergangene Ära. Der ergiebige Regen hatte außerdem den Boden weiträumig aufgeweicht. Zwar bedeutete das in erster Linie, dass dort wieder mehr als nur Gras wachsen konnte, aber andererseits stellte der Matsch für die Jägerinnen eine erhebliche Gefahr dar. Ein falscher Tritt während der Verfolgung und sie würden sich unter ihrer Beute wiederfinden, anstatt sich in deren Nacken zu verbeißen. Der feuchte Untergrund bot kaum Halt und das war für Tama völliges Neuland, weshalb die sich mit Sarabi einig gewesen war, dass ihre nächste eigene Jagd auf bessere Bedingungen warten könne. So gelang es ihnen am Abend dann doch, ein Gnu zu Fall zu bringen. Ganz ähnlich erging es auch all den anderen, die Pläne für diese Zeit gehabt hatten. Aber das war nicht der einzige Grund, weshalb Kopas Kampftraining zurückgestellt wurde. Simba teile die nächsten drei Tage dauerhaft mehrere Streifen ein, um das Geweihte Land vollständig abzusuchen, doch von Siri war nirgends eine Spur zu finden. Anscheinend hatte Zira Recht und er würde sich in naher Zukunft nicht mehr blicken lassen. Trotzdem vergingen danach noch weitere zwei Tage, bis Simba den Löwenkindern wieder erlaubte, den Königsfelsen zu verlassen. Aber dann war es soweit! Kopa holte auf Anweisung seines Vaters schon früh am Morgen Nuka ab und die drei Löwen machten sich auf den Weg. Simba führte sie von der Felsterasse herunter, vorbei an den Gesteinsbrocken am Fuße des Königsfelsens und hinaus in die offene Savanne. »So, da wären wir.« Er setzte sich nieder und amüsierte sich einen Moment lang an der Ratlosigkeit seiner beiden Begleiter. »Aber hier ist nichts«, stellte Nuka fest. »Wir können heute nicht so weit weg, weil wir nur wenig Zeit haben.« »Warum sind wir dann nicht einfach zu Hause geblieben?«, schloss sich Kopa an. »Hier gibt es nichts, was es nicht auch dort gibt. »Genau deshalb – hier gibt es nichts, was euch ablenkt und das ist wichtig. Die Geschichte, die ich euch erzählen will, ist schon sehr alt. Sie wird von Generation zu Generation weitergegeben und darf niemals in Vergessenheit geraten, also passt genau auf.« Die Legende von Mwanga und Kivuli Einst war das Geweihte Land nichts weiter als eine endlose Savanne gewesen. Gelegentlich streiften kleine Herden von Gnus oder Antilopen und selten ein vereinzeltes Zebra durch das Gras. Doch eines Tages kamen zwei Löwenrudel von Norden in das Land. Angeführt wurden sie von Mwanga und Kivuli, zwei Brüdern einer stolzen Familie, die in die Welt hinausgegangen waren, um ihren Platz darin zu finden. Beide hatten bereits eine Lebensgefährtin und ein kleines Gefolge befreundeter Löwinnen. Alles, was ihnen noch fehlte, war eine Heimat. Sowie es unter Brüdern üblich ist, wurde daraus ein Wettstreit und es war nicht der erste in ihrem Leben. Zuvor schon hatten sie versucht, sich gegenseitig zu übertrumpfen, doch bisher war es keinem gelungen. Jeder der Brüder beneidete den anderen um seine Partnerin und sie wurden beide von derselben Anzahl an Löwinnen begleitet. Trotzdem verband sie eine tiefe Freundschaft, die weit über die Brüderlichkeit hinausging. Deshalb traten sie diese Reise gemeinsam an und wenn sie sich an den Abenden schlafen legten, hätte man die beiden Gefolge für ein Rudel halten können. Kivuli war der erste, der die weite Savanne erblickte und er war sich sofort sicher, dass es der richtige Ort für seine Familie war. Aber als er seinen Bruder ansah, bekam er Mitleid und versprach, mit ihm weiter zu ziehen, bis sie auch für ihn eine Heimat gefunden hatten. So machte sich die Gemeinschaft auf den Weg nach Süden und legte sich am Abend im Schatten eines gewaltigen Monolithen zur Ruhe. Tags darauf setzten sie ihre Reise fort und fanden sich schließlich in einer weitläufigen Flusslandschaft wieder. Der Strom wurde von sanften, mit grünen Auen bedeckten Erhebungen in zahlreiche Arme geteilt. Dabei war das Wasser fast überall so flach und ruhig, dass sich selbst die Jüngsten unter ihnen gefahrlos darin fortbewegen konnten und nur an wenigen Stellen reichte es den Erwachsenen bis über die Schultern. Mwanga wollte gerade seinen Gefallen daran aussprechen, als sein Bruder das Gebiet als sein Eigen deklarierte. Er ging auf Kivuli zu und wies ihn darauf hin, dass sie auf der Suche nach einer Heimat für sein eigenes Rudel waren. Doch der lächelte nur triumphal und erinnerte Mwanga an das Versprechen, das sie ihren Eltern gegeben hatten - nämlich, dass sie eine Heimat für sich finden würden. Gleich in der ersten Nacht ihrer Reise hatten sich die beiden geeinigt, dass sie nicht eine Heimat sondern zwei suchen würden. So würden sie ihre Eltern nicht belügen und jeder der beiden hätte sein eigenes Reich. Kivuli hatte Wort gehalten. Sie hatten nie einen Gedanken daran verloren, wer am Ende welches Gebiet bekommen würde und Mwanga stand in der Schuld seines Bruders, weil er mit ihm weitergezogen war, nachdem sie die Savanne erreicht hatten. Also willigte er ein und kehrte zurück in das Land, das nun sein eigenes war. Es verging eine Zeit, in der die beiden Rudel friedlich nebeneinander lebten. Die Brüder hielten ihre Freundschaft so gut es ging aufrecht, aber sie hatten beide Pflichten und Verantwortung gegenüber ihren Ländern, sodass sie sich immer seltener sahen. Irgendwann siedelte sich ein Stück flussabwärts eine Herde Elefanten an. Da den Kolossen das Wasser kaum bis zu den Knien reichte, waren sie den anderen Tieren in dieser Landschaft noch überlegender als ohnehin schon. Die Nächte verbrachten sie oft am nördlichen Ufer, wobei sie sich in Mwangas Land befanden. Aber entgegen der häufigen Versuche beider Brüder, sie für ihr eigenes Reich zu gewinnen, blieb diese Herde unabhängig. Mwanga kannte die saisonale Regenzeit schon von zu Hause her, doch nach neun Monden ohne ein größeres Unwetter begann seine Savanne, allmählich auszutrocknen. In Sorge, dass ihnen womöglich eine Dürre bevorstand, suchte er seinen Bruder auf. Kivuli war ihm noch immer ein guter Freund und gestatte Mwangas Rudel und allen anderen Tieren, in sein Land zu kommen, wann immer sie Wasser brauchten. Aber das Vorüberziehen weiterer regenloser Tage drohte, die Befürchtungen einer Trockenzeit zu bewahrheiten. Für die Tiere der Savanne war das nichts Neues und sie zogen nach und nach hinunter zum Fluss. Eines Tages folgten die Löwinnen einer Herde Antilopen dorthin und brachten schließlich eines der Tiere zu Fall. Kivuli konnte das nicht tolerieren und suchte noch am selben Abend seinen Bruder auf. Letztendlich stand jedes Tier, das in sein Reich kam, unter seinem Schutz gegenüber Feinden, die außerhalb lauerten. Mwanga jedoch verteidigte seine Jägerinnen, weil diese die Beute bereits im eigenen Land ausgemacht hatten. Am Ende behielt die Freundschaft der beiden die Oberhand und sie ließen die Angelegenheit ruhen. Doch je weniger Wasser in der Savanne übrig blieb, desto weniger Alternativen hatte Mwangas Rudel. Als das Szenario begann, sich regelmäßig zu wiederholen und sich die Beschwerden an Kivulis Hof häuften, war dieser gezwungen, seinen Bruder öffentlich zur Rede zu stellen. Doch mit dem, was dann geschah, hatte niemand gerechnet. »Bruder, dein Land stirbt und deine Untertanen kommen aus freiem Willen zu mir. Ich biete dir an, dich ihnen anzuschließen. Hier hat dein Rudel Wasser und Nahrung und außerdem steht ihr dann ab sofort unter meinem Schutz, sowie all die anderen hier.« »Dein Angebot ist großzügig, doch ich muss es ablehnen. Mein Land leidet, aber es wird sich erholen und erblühen. Ich kann es nicht aufgeben, nicht jetzt, wo ich so sehr gebraucht werde.« An diesem Tag verließ Mwanga das Land seines Bruders als Freund, doch bei seiner Rückkehr würde er nur noch ein gewöhnlicher Fremder sein. Kivuli gab jedoch nicht auf und schickte einige Löwinnen zu denen seines Bruders, um sich am Abend mit ihnen an der Grenze zu treffen. Alles lief wie geplant. In der Dunkelheit versammelte sich das Rudel aus der Savanne am Flussufer und Kivuli richtete sein Angebot an jede einzelne der Löwinnen. Schnell trat eine Gestalt aus der Menge hervor und ging auf ihn zu, aber als ein kühler Wind aufzog, konnte er eine Mähne erkennen. Mwanga stellte sich zwischen sein eigenes Rudel und seinen Bruder. Jeder der beiden wartete auf die Reaktion des jeweils anderen, doch es war Aiheu selbst, der ihnen antwortete. Ein Blitz schlug flussaufwärts am Horizont ein und die Erde erzitterte unter dem Donner. Im ersten Moment nahm keiner der Anwesenden besonders Notiz davon, aber als das Beben weiter anhielt, tauschten die Löwinnen nervöse Blicke aus. Sie alle sahen aber wieder auf, als die Landschaft vor ihnen von einem parallel zum Ufer verlaufenden Riss geteilt wurde und Mwanga befand sich in ebendiesem Niemandsland. Er sah sich nach einem Ausweg um und spurtete kurzerhand zurück zu seinem Rudel. Doch er hatte keine Chance und wurde nach wenigen Metern mit dem herabsackenden Erdreich in die Tiefe gezerrt. Es war noch nicht vorbei, denn Kivuli hörte ein lautstarkes Getöse auf sie zukommen – der Fluss! Er brüllte hinunter in die Schlucht; wenig später folgte die Antwort seines Bruders, aber sie ging allmählich im herannahenden Donnern unter. Die darauf entstandene Stille wurde von einem Schlag, der tief aus der Savanne herrührte, unterbrochen. Das Erdbeben hatte den Monolithen in deren Zentrum an seiner schwächsten Stelle gespalten. Die Ostseite war abgekippt und hatte sich im Material am Fuße des Felsens verkantet, sodass sie nun in einem flachen Winkel zur Erdoberfläche stand. Die Silhouette des steinernen Monuments sah damit aus wie ein zum Himmel brüllender Löwe. Die Trauer der anderen Löwinnen war nicht die seine. Kivuli hatte einen Bruder verloren und machte sich auf den Weg nach Hause, aber schon wenige Schritte nach der Grenze stockte er. Das Wasser, das sein Reich all die Zeit zu etwas Besonderem gemacht hatte, war bereits merklich zurückgegangen. Bald schon würde sein Land genauso austrocknen wie die Savanne seines Bruders – schlimmer noch, im Flussbett gab es nichts, was Regenwasser lange speichern konnte. So kehrte Kivuli wieder um und eilte zurück zur Schlucht, während es zu regnen begann. In der Ferne hörte er das verzweifelte Trompeten der Elefanten flussabwärts. »Wartet!« Und die Löwinnen, die gerade von dannen ziehen wollten, warteten. »Der Strom, der Leben in mein Land gebracht hat, ist versiegt; in ein paar Tagen wird es nicht mehr bewohnbar sein. Mwanga hatte Recht, unsere Zukunft liegt in seinem Land, aber es braucht einen König. Ich bitte euch, mich und mein Rudel bei euch aufzunehmen. Im Gegenzug biete ich an, das Land zu regieren und sicherzustellen, dass die Taten meines Bruders niemals vergessen werden.« Er legte den Kopf in den Nacken und stieß ein Gebrüll aus, das von den Löwinnen auf der anderen Seite erwidert wurde. Kivuli versammelte noch in dieser Nacht seine Löwinnen und zog mit ihnen in Mwangas Reich. Der gewaltige Monolith im Zentrum der Savanne bot nun eine Höhle, die er in Gedenken an seinen Bruder zu ihrem neuen Heim erklärte. Er nannte das Monument den Königsfelsen, auf dass man nie den ersten König dieses Landes vergessen sollte. Simba ließ den letzten Eindruck einen Moment wirken und fügte dann noch hinzu: »Das Land, das er zurückgelassen hatte, trocknete wie erwartet aus und wurde das Schattenland genannt. Die Elefanten gedenken bis heute des Tages, an dem sie ihre Heimat verloren haben. Nachdem sie von Kivuli im Geweihten Land aufgenommen worden waren, führt noch heute ihr letzter Weg über den Fluss. Sie sagen, sie fühlen sich dort zu Hause.« Jagen Weiter draußen lag eine Löwin im hohen Savannengras, das sich um das Wasserloch ausbreitete, und genoss die erfrischende Vormittagssonne. Ein seltsames Gefühl, nicht allein zu sein, ließ sie allerdings den Kopf heben. Sie öffnete blinzelnd die Augen und lauschte, während sie sorgfältig ihre Umgebung scannte. Auf einmal hielt sie inne, die Ohren aufgestellt. Fast lautlos erhob sie sich und schlich geduckt ein paar Schritte vorwärts, drehte sich dann um und legte sich mit Blick auf ihren alten Platz wieder hin. Anschließend schloss sie die Augen. »Drei, zwei, eins ...« Exakt zum Countdown hechtete ein Löwe aus dem hohen Gras und landete genau da, wo sie gerade noch gelegen hatte. Was hätte sie darum gegeben, jetzt sein Gesicht zu sehen! »Hier drüben.« Der Löwe riss den Kopf so schnell herum, dass seine rostbraune Mähne umherwehte und ihm leichte zerzaust wieder um den Hals fiel, doch das schien ihm gerade kaum zu kümmern. Als er die Löwin erkannte, öffnete er halb das Maul, war aber zunächst unfähig, etwas zu sagen. »Hat der große Jäger seine Beute verfehlt?« Tama genoss den Moment, bis er seine Stimme wiederfand, redlich. »Du hast gesagt, du legst dich hier hin und ich kann mich aus irgendeiner Richtung anschleichen.« Tojo klang zwar etwas beleidigt und dennoch sah er sie neugierig an. »Das habe ich ja auch getan, aber dann wurde mir die Sonne zu heiß ...« »Lass den Quatsch, sag es einfach.« »Du solltest besser auf dein Ziel achten.« Tama deutete mit einer Kopfbewegung neben sich. Tojo gehorchte sofort und legte sich dort nieder, dann fuhr sie fort: »Sich anzuschleichen bringt nur dann einen Vorteil, wenn man dabei nicht selbst die Orientierung verliert. Der Sinn dahinter ist ja schließlich, dass du deine Beute siehst, sie dich aber nicht.« »Das ist wie beim Kämpfen – man braucht selbst einen sicheren Stand, um seinen Gegner zu Fall zu bringen. Aber was ist, wenn ich entdeckt werde?« »Dann kannst du immer noch losstürmen. Du musst dir dabei aber immer merken: Wenn die Beute nicht in deine Richtung schaut, kann sie dich nicht sehen. Wenn sie es tut, kann sie dich zwar sehen, das heißt aber nicht, dass sie dich auch entdeckt hat. Handle nie voreilig auf der Jagd.« Daraufhin seufzte Tojo nur. »Was ist? Ist es beim Kämpfen nicht genauso? Du sagst doch immer selbst, dass der Verstand eine gefährlichere Waffe ist als Klauen und Zähne.« »Ja, schon. Aber es geht dabei weniger um bewusstes Denken; es ist vielmehr ein Gefühl. Man hat einfach keine Zeit, sich alles zweimal zu überlegen.« »Dann wirst du dich jetzt ganz schön umgewöhnen müssen.« »Das dachte ich mir schon.« »Und trotzdem willst du es lernen?« »Unbedingt!« Tojo sprang auf. »Lass uns weitermachen.« »Nicht jetzt.« Tama blickte nach oben in den wolkenlosen Himmel. »Über Mittag möchte ich lieber in den Schatten. Was hältst du davon, wenn wir uns ans Wasserloch legen? Manchmal sind da auch ein paar andere Löwinnen.« »Versucht du gerade, mich zu überzeugen?« »Du könntest dich mit ihnen über die Jagd austauschen. Immerhin willst du ja mal mit uns mitkommen.« »Ich und Jagen im Rudel?« Tojo scheiterte daran, ein Lächeln zu unterdrücken. »Ist das dein Ernst?« »Aber was hast du dann vor?« Doch sie kam gleich darauf selbst auf die Antwort und ihre Augen weiteten sich bei der Erkenntnis. »Du willst dich doch nicht mit dem Fremden anlegen?« »Sein Name ist Siri. Und nein, nicht wenn es nicht notwendig ist.« »Ich verstehe nicht«, gestand sie kopfschüttelnd. Tojo lächelte nur und diesmal war es ein ehrliches Lächeln. »Gut so.« Löwinnentratsch So vergingen die Mittagsstunden ohne irgendwelche Zwischenfälle, denn zu dieser Tageszeit stand das Leben im Geweihten Land praktisch still. Lediglich kleinere Tiere, deren Körper der Sonne nicht so viel Angriffsfläche boten, suchten nicht nach Schatten und dazu gehörten selbstverständlich auch Löwenkinder. Doch als wäre das noch nicht genug, war Kopa auch noch heiß darauf, endlich mit seinem Kampftraining beginnen zu können – im wahrsten Sinne des Wortes. »Komm schon aus der Sonne, Kopa. Du holst dir noch einen Hitzschlag.« Doch der Klang der Worte ließ erkennen, dass Simba seinen Enthusiasmus nachvollziehen konnte. Der lag faul an seiner gewohnten Stelle am Fuß des Königsfelsens. Sein Platz war etwas höher gelegen, sodass er einen hervorragenden Überblick über das Rudel hatte und im Gegensatz zu ihnen wurde er nicht von einem Baum beschattet, sondern vom Überhang der Felsterasse. »Wir werden aufbrechen, wenn Kulas Felsen im Schatten liegt. Bis dahin solltest du dich ausruhen, du wirst deine Kräfte noch brauchen.« »Pah!« Der kleine Prinz konnte es nicht lassen und duckte sich spielerisch vor seinem Vater. »Ich kann den ganzen Tag rumrennen.« »Wie du meinst, ich aber nicht. Dann such dir doch wen zum Spielen.« Na klasse. Unglücklicherweise war Kopa bisher das einzige Junge, das nach der Dürre geboren wurde, was Spielkameraden in seinem Alter ausschloss. Sein Onkel Mheetu kam dem noch am nächsten, aber selbst er verbrachte die Mittage nun schon wesentlich lieber im Schatten. Letztendlich fiel ihm nichts Besseres mehr ein und so machte er sich auf den Weg zu den Löwinnen. Vielleicht war ja eine von ihnen gerade gut drauf – oder zumindest durstig, dann könnten sie einen Spaziergang zum Wasserloch machen. »Hallo, mö –« Doch er wurde unterbrochen, als die Löwinnen allesamt auflachten. Irgendetwas in ihrem Kreis schien ihre Aufmerksamkeit fest zu binden. Schließlich drehte sich Nala nach ihrem Sohn um. »Kopa. Ich glaube, du hast die kleine Vitani noch gar nicht richtig gesehen.« Das stimmte. Bisher hatte er sie immer nur im Vorbeigehen bemerkt und auch nie besonders auf sie geachtet. Immerhin war sie sowieso noch zu jung, als dass er irgendetwas mit ihr anfangen könnte. Doch dann bemerkte er, dass das gerade keine Frage, sondern ein Angebot gewesen war ... oder eine Aufforderung, so genau konnte man das nie wissen. Als schob er sich vorsichtig an seiner Mutter vorbei. »Sei aber vorsichtig, sie ist noch klein«, ermahnte ihn Nala. »Und so putzig«, fügte die Löwin neben ihr hinzu. Vitani saß unter aller Augen vor ihrer Mutter und durchwühlte mit den Pfoten die feine Sandschicht, die das steinerne Plateau bedeckte. Dabei bemerkte sie ihn nicht einmal, als er direkt vor ihr stand. »Hallo, ich bin Kopa, Prinz und Thronanwärter.« Es dauerte einen Moment, bis sie reagierte. Aber anstatt dass sie ihn wahrgenommen hätte, sah sie zu den Löwinnen um sie herum, bis sie schließlich seine Pfoten entdeckte. Sie folgte den Beinen aufwärts und ihre Augen weiteten sich vor Schreck. Unter vereinzeltem Gekicher sprang sie auf und suchte Schutz zwischen den Vorderpfoten ihrer Mutter. Zira lächelte liebevoll und legte schützend das Kinn auf ihren Kopf, innerlich machte sie geradezu Luftsprünge vor Selbstgefälligkeit. Kopa musterte unterdessen die Löwinnen um ihn herum. Einige von ihnen waren schlicht und einfach amüsiert, andere hingegen sahen ihn äußerst ernst, fast schon vorwurfsvoll an. »Hab‘ ich was falsch gemacht?«, murmelte er Nala zu, während er sich zu ihr legte, um den allseitigen Blicken zumindest ein wenig zu entgehen. »Nein, aber besonders geschickt hast du dich auch nicht angestellt.« Sie lächelte ihm aufmunternd zu. »Vitani ist einfach noch sehr jung und hat außer ihrer Familie noch keinen Löwen aus der Nähe gesehen.« Kopa spähte hinüber zu Vitani, die nach wie vor in Ziras Schoß lag und interessiert zurückschaute, während ihr ihre Mutter mit der Schnauze zärtlich durchs Rückenfell fuhr. Irgendwie kam ihm der Anblick seltsam vor und er stellte sich vor, wie seine Mutter dasselbe unter aller Augen bei ihm tat. Vielleich wurde er allmählich zu alt dafür, immerhin begann heute ja auch sein Kampftraining. »Mama.« »Ja, mein Schatz.« Kopa sah an ihr vorbei und erkannte Kulas Liegeplatz, der schon zur Hälfte im Schatten des Königsfelsens lag. »Ich muss los. Papa, wollte gehen, sobald Kulas Felsen im Schatten liegt.« Nala folgte kurz seinem Blick, dann sah sie zurück zu ihrem Sohn. »Wenn das so ist, viel Spaß.« Kämpfen Aber so schnell sollte es dann doch nicht losgehen, Kopa musste es nämlich erst einmal schaffen, seinen Vater zu wecken. Er rüttelte an seiner Vorderpfote und zog an seinem Ohr, aber Simba schlief einfach weiter. Schließlich nahm er Anlauf und rannte ihm mit vollem Tempo in die Flanke. Es hatte funktioniert, Simba öffnete träge ein Auge und erkannte seinen Sohn. »Du hast es versprochen«, erinnerte ihn dieser. »Schon gut, schon gut, ich bin wach« Er stieß einen Laut aus, der irgendwo zwischen Gähnen und Brüllen lag, erhob sich und schüttelte den Kopf, sodass seine Mähne wild umherflog. Für einen Moment verlor Kopa den Blickkontakt unter all den verschwommenen rötlichen Schatten, die sein Gesicht verdeckten und als er ihn wiederfand, war sein Vater wie ausgewechselt – hellwach. »So, kann's losgehen?«, hakte Simba nach. Kopa antwortete mit einem breiten Grinsen, aber bevor er noch etwas sagen konnte, war sein Vater bereits davongestürmt. Dabei drehte er ohne anzuhalten noch einmal den Kopf nach hinten und rief ihm zu: »Zeig' mir, wie du rumrennen kannst.« Das ließ sich der junge Prinz nicht zweimal sagen und jagte hinterher. Die beiden tollten ein wenig über die Wiesen und entfernten sich dabei zunehmend vom Königsfelsen. Als Simba dem schließlich Einhalt gebot, fand sich Kopa an ebender Stelle wieder, an der er vor einer Woche seinen ersten Übungskampf mit Mheetu ausgetragen hatte. »Gut, dann lass uns anfangen.« Simba stellte sich ihm gegenüber. »Kampfhaltung!« Wie auf Befehl senkte Kopa den Kopf auf Schulterhöhe und nahm die Vorderbeine etwas auseinander, während sein Vater begann, ihn zu umkreisen. »Du musst beweglich bleiben. Immer die Schulter zum Gegner und den Kopf oben lassen.« Kopa drehte sich ein wenig zur Seite und schlich langsam mit seinem Vater im Kreis, darauf bedacht, ihm die linke Schulter zu zeigen. »Gut so. Dein Gewicht liegt auf den Hinterbeinen. So hast du die Vorderen für den Schlagabtausch frei und du kannst auch besser ausweichen.« Das Gewicht beim Laufen bewusst zu verlagern, war ungewohnt, doch Kopa tat sein Bestes und versuchte, dennoch gleichmäßige Schritte zu machen. Simba ließ ihm einige Umdrehungen Zeit, um sich an die neuen Bewegungen zu gewöhnen. »Die Pfote zum Gegner ist zum Blocken da, die andere zum schlagen. Du solltest jederzeit zu beidem bereit sein, aber im Notfall hat Blocken immer Vorrang.« Sie vollführten noch eine weitere Umdrehung und Kopa konzentrierte sich darauf, die linke Vorderpfote immer nur so kurz wie unbedingt nötig aufzusetzen. Dann, ohne Vorwarnung, sprang Simba auf ihn zu und holte zum Schlag aus. Kopa realisierte kaum, was geschah und auf einmal hörte er seinen Vater sagen: »Ich sagte doch Kopf oben lassen!« Er sah wieder auf und entdeckte seine eigene linke Vorderpfote, die zitternd zwischen seinem Gesicht und der Pranke seines Vaters hing. »Das war sehr gut. Mit der Zeit verlernst du ganz von selbst, den Kopf dabei wegzudrehen, dann blockst du nur noch. Jetzt die andere Richtung.« Das soeben Gelernte zu spiegeln, war besonders schwierig und diesmal war Kopa nicht schnell genug, um den Hieb seines Vaters zu blocken – von der nötigen Kraft mal ganz abgesehen, Simbas Pranke stoppte ohnehin kurz vor seinem Gesicht. »Das ist schwerer, als man denkt«, meinte er und sein Vater nickte bestätigend. Dann sprang Kopa zurück und begann wieder, seitwärts zu schleichen. »Gut so, du gibst die Richtung vor«, sagte Simba und tat es ihm nach. Sie wiederholten die Übung noch ein paar Mal schweigend, bis Kopa es schaffte, auch mit der rechten Pfote einen Hieb abzuwehren. »Okay, das sollte genug sein. Hast du den Unterschied zwischen Links und Rechts bemerkt?« Kopa schnaufte schwer und nickte nur. »Weißt du, woran das liegt?« »Weil ich mit Links angefangen habe.« »Nein, das glaube ich nicht.« Simba drehte sich um und ging zum Baumstamm, um sich sowie vor einer Woche daran niederzulassen. Damit war das körperliche Training anscheinend beendet. »Jeder Löwe hat eine starke und eine schwache Seite. Solltest du einmal in einen ernsthaften Kampf geraten, dann kann es dir einen großen Vorteil bringen, wenn du die schwache Seite deines Gegners erkennst. Gleichzeitig solltest du aber aufpassen, dass dasselbe nicht umgekehrt passiert.« »Deshalb also dieses Im Kreis Schleichen!« Jetzt verstand Kopa. »Was kommt denn häufiger vor – links oder rechts?« »Eine kluge Frage. Leider habe ich keine Antwort darauf, weil kein Löwe freiwillig seine Stärken und Schwächen preisgibt.« »Ja, klar.« Kopa sah seinen Vater leicht schief an, aber er musste es loswerden. »Was tue ich in einem richtigen Kampf?« »Du beobachtest – genau so, wie du es bei Mheetu getan hast. Du hast sein albernes Rumgehüpfe bemerkt und wolltest es ausnutzen, nur hast du dabei genau dasselbe getan und so deinen Vorteil hingeworfen.« Simba atmete tief durch. »So, das war erst einmal die Antwort, die du haben wolltest.« Dann deutete er mit dem Kopf neben sich. Kopa gehorchte und legte sich brav zu ihm. »Du fragst mich, was du in einem echten Kampf tun sollst. Ich muss dir aber zuallererst klarmachen, dass es so etwas wie glorreiche Kämpfe und ruhmreiche Sieger nicht gibt. Gewalt fordert immer Opfer auf beiden Seiten und zwar sowohl körperlich als auch geistig.« Er machte eine kurze Pause und Kopa öffnete schon halb das Maul, hielt seine Frage dann aber doch zurück. »Bei jedem Kampf geht es um irgendetwas. Dabei musst du dir immer überlegen, ob dir das, worum du kämpfst, den Schmerz wert ist. Wenn nicht, musst du eine andere Lösung finden und sei es die Flucht.« »Hast du schon mal um etwas gekämpft?« »Ja, einmal.« »Worum ging es dabei?« Simba sah ihn lange an, bevor er antwortete: »Um unsere Familie.« Dies war eine Geschichte für ein andermal. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)