Der König der Löwen von Izruo (Wir sind Eins) ================================================================================ Der nächste Morgen ------------------ Das Erwachen »Komm Nuka, spielen!« Das war das erste, was Zira mit noch geschlossenen Augen hörte. Sie hob das rechte Lid ein winziges Stück an und konnte erkennen, wie Vitani um ihren Bruder herum hüpfte, der vermutlich nur vorgab, noch zu schlafen. Dass er bei diesem Radau nicht aufwachte, war unwahrscheinlich. Zira gähnte herzhaft und begann, sich ausgiebig zu strecken. »Wo ist Vater?« Anscheinend hatte Vitani nun ein neues Opfer gefunden und kam auf ihre Mutter zu. Irgendwie überraschte Zira die Frage und sie sah sich in der Höhle um – keine Spur von Chumvi. Und da kam die Erinnerung an den gestrigen Abend wieder hoch, aber es fühlte sich an wie durch Watte. Der Schlaf hatte seine Wirkung getan. »Wahrscheinlich ist er schon vorausgegangen, ich schau‘ mal nach. Bleib‘ du solange bei Nuka.« Vitani war sichtlich enttäuscht, dass sie sich nun wieder mit ihrem langweiligen Bruder beschäftigen musste, aber sie ließ ihre Mutter gehen. Weit kam Zira jedoch nicht. Gleich nach der ersten Biegung wäre sie fast über einen schlafenden Löwen gestolpert, der sich quer in den Gang gelegt hatte. »Was machst du denn hier?« Bevor er antwortete, streckte sich der Löwe erst einmal aus, um die Verspannungen nach einer Nacht auf hartem Fels zu lockern. »Wonach sieht es denn aus?« »Ich hätte nicht gedacht, dass du dein Versprechen gestern so wörtlich gemeint hast.« Chumvi ließ sich wieder auf die Seite fallen und warf einen genauen Blick auf Zira. Die Tatsache, dass sie ihre sarkastische Art wiedergefunden hatte, ließ darauf schließen, dass sich die Wogen des gestrigen Abends geglättet hatten, auch wenn es nicht gut für sie sein konnte, alles so in sich hinein zu fressen. »Du weißt, wir können jederzeit darüber reden.« »Nein, diesmal ist es anders.« Er wollte etwas erwidern, zögerte dann aber und stellte die Ohren auf. Wenige Augenblicke später kam Vitani um die Ecke und schaute neugierig zu ihrer Mutter auf. »Gefunden! Hat Vater draußen geschlafen?« »Ich habe aufgepasst, dass keiner zu euch kommt.« Chumvis Erklärung schien sie allerdings nicht zu überzeugen. Ihr war vollkommen klar, dass er dazu genauso gut in der Höhle hätte liegen können. »Habt ihr euch nicht mehr lieb?« »Doch, natürlich«, antwortete Zira, aber Vitani legte nur den Kopf schief. »Hier, siehst du?« Sie beugte sich herunter und leckte Chumvi über den Nasenrücken. Dem Guten schien es zu gefallen. Nun stieß auch Nuka hinzu. »Ich hatte doch gesagt, du sollst liegen bleiben.« »Langweilig!« Er schüttelte leicht den Kopf über seine Schwester, hielt aber plötzlich inne, als er seine Mutter erblickte, die gerade noch mit dem am Boden liegenden Löwen köpfelte und sein Gesicht verlor jeglichen Ausdruck. Schließlich beendete Chumvi das Gekuschel, zog sich zurück und sah zu den beiden Löwenkindern. »Habt ihr Hunger?« Aber keins der beiden reagierte. Vitani wusste, dass sie nicht antworten musste, weil sie sowieso noch kein Fleisch fraß und Nuka wandte nur den Blick ab, als er erkannte, dass Chumvi ihn bemerkt hatte. Doch der ließ sich nicht irritieren und fuhr einfach fort: »Geht doch schon mal vor, ich brauche noch einen Moment.« Dabei ließ er demonstrativ den Kopf wieder zu Boden fallen und gähnte ausgelassen. »Ich weiß noch, als ich so jung war wie ihr ... diese Energie!« Nuka konnte nicht umhin, als wieder den Kopf zu schütteln, dann trottete er erhobenen Hauptes nach draußen. Vitani folgte ihm zügig, warf aber noch einen letzten unsicheren Blick auf ihre Mutter. Zira hielt den Kopf bewusst gesenkt. Sie wollte jetzt nur noch so schnell wie möglich in den Alltag zurückkehren und versuchte deshalb, die Szene nicht unnötig heraus zu zögern. Gleich nachdem sie die Schritte ihrer Kinder nicht mehr hören konnte, wandte sie sich an Chumvi. »Nein.« »Ich habe doch gar nichts gesagt.« Darauf war Zira nicht vorbereitet gewesen und brauchte einen Moment, um ihre Gedanken zu ordnen, ehe sie fortfuhr: »Es gibt nichts, worüber wir reden müssten. Es ist alles in Ordnung.« Chumvi hob den Kopf wieder an und schob sein unteres Vorderbein dorthin, wo dieser eben gelegen hatte, wandte den Blick dabei aber nicht von ihr ab. »Warum habe ich dann hier geschlafen?« Es klang nicht wie ein Vorwurf, sondern eher, als würde er sich Sorgen machen. »Das hat nichts mit dir zu tun.« »Aber es hat was mit dem Fremden zu tun.« Chumvi legte leicht den Kopf schief. »Erinnere ich dich an ihn?« »Nein, ihr seid grundverschieden, nur ...« Ziras Blick wurde kurz glasig. Das, woran sie dachte, zauberte für einen Augenblick den Hauch eines Lächelns auf ihr Gesicht, doch dann schloss sie plötzlich fest die Augen und das Glück wich Schmerz. »Ich hatte einfach nur ein komisches Gefühl, als ich daran dachte, neben einem Löwen zu liegen.« »Zira, ich würde dir niemals etwas antun. Das weißt du doch.« »Genau das ist es ja.« Damit konnte Chumvi nun gar nichts anfangen und bemerkte in seiner Verwirrung überhaupt nicht, wie Zira an ihm vorbeiging. Sie ließ ihn aber auch nicht stehen und sprach ihn sogar noch einmal an. »Ich hatte es schon fast vergessen, die Erinnerung an damals ist verschwommen ... und schwach. Heute Nacht kann ich wieder normal schlafen.« »Zira, ich –« Doch er wusste nicht weiter. Sie hatte gerade loslaufen wollen und auf Chumvis Wort nur den Kopf nach hinten gedreht. Jetzt sah sie ihn kurz fragend an und erkannte einen Freund. Trotz allem konnte sie es nicht. »Ich weiß, aber nicht diesmal. Es zu erzählen, wieder daran zu denken, was damals passiert ist, wird nur alte Wunden aufreißen. Aber wozu? Es ist nicht deine Geschichte. Anders als das letzte Mal kannst du mir nichts dazu sagen, was irgendetwas ändern würde.« Chumvi sah zu, wie sie sich nun endgültig auf den Weg in die Haupthöhle machte. Er wusste, dass er es ihr irgendwann erzählen musste, auch wenn es wahrscheinlich nicht von Bedeutung war. Aber falls doch ... »Aiheu abamami!« Fest entschlossen sprang er auf und setzte sogleich einen strammen Trab an, um zu Zira aufzuschließen. Kurz vor der Kreuzung zum Hauptgang holte er sie schließlich ein. »Zira?« »Ja?« Sie sah zu ihm zurück, als hätte ihr Gespräch gerade nie stattgefunden, als wäre nie irgendetwas passiert – sie lächelte sogar ein wenig. »Ich wollte nur, dass wir zusammen bei den anderen ankommen. Jetzt, wo wir die Kinder vorausgeschickt haben, werden sie das erwarten.« »Gut.« In der Hoffnung, gerade keine falsche Entscheidung getroffen zu haben, atmete Chumvi tief durch, als er an ihrer Seite in die Haupthöhle trat. Es wäre einfach zu viel des Zufalls gewesen, wenn all das, was er vermutete, tatsächlich zugetroffen hätte und es gab ohnehin keine Möglichkeit, herauszufinden, ob es letztendlich auch der Wahrheit entsprach. Vielleicht war es besser so. Verabredungen Leider brachte das Frühstück keine Ablenkung – nicht nur, weil wegen der fehlgeschlagenen Jagd am Vorabend kaum etwas Essbares da war: Der gestrige Vorfall machte selbstverständlich die Runde und es kursierten bereits die verschiedensten Gerüchte über den ungebetenen Besucher. Selbst Tojo war anwesend, um seine Geschichte wieder und wieder zu erzählen und damit die abgefahrensten Theorien im Keim zu ersticken. Aber der Auftritt des unbekannten Löwen war derart mysteriös gewesen, dass nicht einmal das half. Bald schon gab es die unwahrscheinlichsten Vermutungen, was der Fremde verloren hat und was ihn wohl auf die Idee brachte, dass er es hier im Geweihten Land finden könne. Auch die Pläne für den kommenden Tag betrafen den Vorfall, zumindest die meisten – die auch umgesetzt wurden. »Papa, wann fangen wir heute an?« Kopa war ganz versessen darauf, endlich mit seinem richtigen Kampftraining zu beginnen. »Gar nicht, ich habe zu tun. Es gab gestern Abend einen kleinen Unfall bei der Jagd.« »Deshalb also hattet ihr nichts zu essen. Was ist passiert?« »Du weißt es nicht? Ich hätte meinen Anteil beim Abendessen darauf verwettet, dass du schon längst bei Tojo gewesen bist und es dir hast erzählen lassen.« »Naja, Tojo ist ...« »Anders?« Simba wusste nur zu genau, wie die Kleinen über ihn dachten, aber er hatte Kopas Neugier für größer gehalten. »Irgendwie, ja.« »Das ändert nichts daran, dass er einer von uns ist. Sag ihm einfach, dass ich dich geschickt habe, dann wird dir mit Sicherheit alles erzählen.« »Okay.« Da Kopa ohnehin kein Fleisch fraß, hatte er beim gemeinsamen Frühstück sowieso nicht viel zu tun und machte sich gleich auf den Weg. Er wünschte allen Löwinnen, an denen er vorbeilief einen Guten Morgen, bis er schließlich am äußeren Rand, nahe des Eingangs der Haupthöhle ankam. Tojo unterhielt sich gerade mit Tama, während einige tuschelnde Löwinnen von den beiden weggingen. »Guten Morgen, Tama. Guten Morgen, Tojo.« »Guten Morgen, Kopa«, erwiderte Tama erfreut. Tojo zog kurz die Augenbrauen hoch. »Was ist gestern Abend passiert?« Er hatte die Frage an Tama gerichtet. Umso mehr überraschte es ihn, dass Tojo antwortete: »Und ich hatte gehofft, das wäre eben die letzte Gruppe gewesen?« »Komm schon, einmal mehr oder weniger ... danach können wir los.« Durch Tamas Einwurf ermutigt sprach Kopa ihn nun direkt an: »Bitte Tojo. Papa meinte, er hätte zu viel zu tun, um es mir selbst zu erzählen.« »Ah, Simba schickt dich?« Das hatte wohl sein Interesse geweckt. »Wenn das so ist ... wie geht es eigentlich Nala?« »Tojo!« Tama verpasste ihm einen spielerischen Prankenhieb in die Flanke. »Jetzt fang nicht an, ihn abzulenken.« Kopa konnte nicht umhin, leicht zu schmunzeln und zu seiner Verwunderung lachte Tojo mit ihm. Nachdem er ihm versichert hatte, dass seine Mutter bei bester Gesundheit war, machte er es sich bequem und lauschte der Geschichte. »Zira?« Simba hatte sie in Ruhe mit ihrer Familie frühstücken lassen, doch jetzt stand er mit all seiner königlichen Autorität vor ihr. »Komm doch bitte einen Moment mit.« Siri Er führte sie in eine weitere kleine Nebenhöhle, die aktuell als Futterkammer diente. Es handelte sich hierbei neben Ziras und der großen Schlafhöhle um den letzten Hohlraum, der von der Felsterasse aus begehbar war. Hier wurden abends die Reste der Beute abgelegt – das Frühstück für alle Löwen, die zumindest ein halbes Jahr alt waren und damit schon Fleisch fraßen. Tojo wartete dort bereits auf sie. Simba setzte sich einfach mitten in den Raum und die beiden anderen taten es ihm nach. Dabei wählten sie ihre Positionen so, dass jeder der drei die jeweils anderen beobachten konnte. »Guten Morgen«, begrüßte er sie schließlich. »Sparen wir uns das Vorspiel. Ihr könnt euch wahrscheinlich denken, warum ich mit euch reden will. Ich habe nicht vor, mich auf Gerüchte zu verlassen und ich verspreche euch, dass, egal was ihr mir erzählt, nichts davon diesen Raum verlassen wird.« Er sah kurz zu Zira, dann zu Tojo. »Ich weiß, wie oft du die Geschichte heute Morgen schon erzählen musstest, aber tu mir bitte den Gefallen. Jetzt wird dich auch keiner unterbrechen.« »Nein, du weißt es nicht«, entgegnete Tojo mit einem leichten Lächeln, das schnell von Simba erwidert wurde. Dann berichtete er in allen Einzelheiten, was sich gestern auf seiner Streife zugetragen hatte und ließ dabei nichts aus, weder seine Gedanken, noch seine vermeintlichen Fehler. Sein Bericht endete an der Stelle, an der er mit Tama auf der Felsterasse geredet hatte. »Und dann haben wir Zira entdeckt«, sagte er und wandte sich anschließend direkt an sie. »Tama macht sich immer noch Vorwürfe, dass sie dich vergessen hat.« Simba nickte ihm kurz zu und wandte sich dann selbst an Zira: »Und sie ist nicht die einzige, die sich Sorgen um dich macht. Du sagtest, du kennst diesen Löwen?« »Ja, aber –« »Wir wissen nicht, was er dir vielleicht angetan hat und keiner wird dich zwingen, darüber zu reden. Aber sag uns bitte wenigstens, wer er ist und was er hier will. Zumindest ein Name, damit wir wissen, von wem wir sprechen, wenn wir untereinander über ihn reden.« Zira rang einen langen Moment mit sich selbst, doch sie musste eingestehen, dass Simba Recht hatte. Es war zwecklos, es verheimlichen zu wollen – vor allem, weil er sowieso wiederkommen würde. »Sein Name ist Siri. Er sucht nach mir, weil er denkt, dass ich zu seinem Rudel gehöre.« »Jetzt gehörst du zu uns«, sagte Simba. »Und wenn du ihn nicht mehr wiedersehen willst, dann sorgen wir dafür, dass das auch nicht passiert«, fügte Tojo hinzu. Er sah Simba an, der ihn mit einem Nicken entließ. Während dieser mit Zira in die Haupthöhle zurückkehrte, nutzte Tojo die Gelegenheit, um nach draußen zu gehen. Bevor er gleich wieder zu den anderen zurückkehren würde, konnte er diesen Moment der Ruhe gut gebrauchen. Letztendlich war er an diesem Morgen nur so gesellig, weil Tama ihm versprochen hatte, dass sie gleich heute beginnen würde, mit ihm Jagen zu gehen. Auf der Felsterasse angekommen musste er allerdings schnell einsehen, dass seine Pläne und auch die aller anderen buchstäblich ins Wasser fielen. Die frühe Morgensonne wurde von turmhohen Regenwolken verdeckt, die bereits schwer über den östlichen Hügeln lagen. Es war das zweite große Unwetter vor der eigentlichen Regenzeit, weshalb niemand mehr damit gerechnet hatte. Eine Ausnahme bestätigte die Regel, aber noch eine Weitere bedeutete Veränderung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)