Der König der Löwen von Izruo (Wir sind Eins) ================================================================================ Unter Regenwolken ----------------- Grenzpatrouille Asante war mittlerweile fast jeden Tag unterwegs und das von morgens bis abends. Obwohl sie wusste, dass sie das niemals tun dürfte, machte sich Shenzi insgeheim schon ein wenig Sorgen. Dabei bezogen sich ihre Bedenken weniger auf den Regen, der seit heute Nachmittag kontinuierlich niederging, sondern vielmehr auf die Tatsache, dass die Kleine noch lange nicht in der Lage war, brenzlige Situationen einzuschätzen. Sie lebte ihr sorgenfreies Leben nur deshalb, weil sich nichts Gefährlicheres als ein paar Ratten hierher auf den Elefantenfriedhof traute. Nur wurde es heute mal wieder extrem spät. Die Sonne war schon längst untergegangen, als Asante endlich munter in die Kluft trottete, wo im Moment der Großteil der Hyänen zuhause war. Dabei kam sie nicht umhin, an jeder Ecke Grüße einzusammeln, denn seit ihrer kleinen Vorstellung vor der ganzen Versammlung kannte sie jeder hier. Vielleicht war es an der Zeit, sie loszulassen ... »Und, wo bist du gewesen?«, fragte Shenzi sie beiläufig. »Unterwegs.« Das war genau die Antwort, die sie erwartet hatte und so ging sie nicht weiter darauf ein. Ihre Glaubwürdigkeit stand im Moment an erster Stelle. Im Geweihten Land konnte man sich als König den ein oder anderen Fehler leisten, das hatte die Vergangenheit bewiesen. Doch hier draußen herrschten andere Bedingungen. Keiner aus dem Königshaus war in der Lage gewesen, die Hyänen zu kontrollieren. »Alles wird gut, Asante. Wir sind schon bald hier weg.« »Vielleicht schneller als euch lieb ist.« Auf viele andere hätte Chungus Auftreten einschüchternd gewirkt, aber nicht auf Shenzi: »Willst du mir etwa drohen?« Dass er das einzige Männchen war, das sie überragte und dann auch noch um fast einen Kopf, war ihr vollkommen egal. Sie hatte größere Probleme. »Seht es eher als eine Warnung. Irgendwann habe ich keinen Einfluss mehr darauf.« »Was soll das denn heißen?«, erwiderte Shenzi und wollte sich eigentlich abwenden. »Dass du unser aller Sicherheit gefährdest!« Chungu schaute kurz hinab auf Asante, verlor aber keinen weiteren Kommentar über sie. »Und deshalb willst du was tun? Uns rauswerfen?« »Wir könnten alle unsere Heimat verlieren.« »Heimat«, wiederholte Asante nachdenklich. Dem folgte ein kurzes Schweigen. »Ähm, Asante, wir haben heute Abend leider wieder nichts zu essen«, sagte Shenzi schließlich. »Schon gut, ich hatte schon was.« Die Kleine wirkte noch immer etwas neben sich, als sie davontrottete. Chungu sah ihr noch kurz hinterher, ehe er sich wieder dem Gespräch widmete: »Was soll das eigentlich werden?« »Ähm, was?« »Heute Mittag«, Chungu machte eine kurze Pause, doch Shenzi reagierte nicht, »sind ein paar von uns den Fluss entlanggewandert. Hast du vielleicht vor, ihn zu überwachen?« »Warum sollte ich etwas damit zu tun haben?«, antwortete Shenzi unberührt. Es gab keine Möglichkeit, ihr irgendetwas nachzuweisen, das wusste sie genau. »Weil die drei eigentlich nicht zusammengehören.« »Vielleicht waren sie gerade zufällig auf demselben Weg.« »Möglich«, erwiderte Chungu mit dem Kopf nach links geneigt, »aber unwahrscheinlich«, wobei er ihn auf die andere Seite legte. »Selbst wenn, was wäre so schlimm daran? Wir dürfen doch wohl auf unserem eigenen Land hingehen, wo wir wollen.« »Ach ja? Auch wenn ich sagte, dass wir Konflikte meiden sollten?« »Wer ans andere Ufer kommt, ist halt selbst schuld«, antwortete Shenzi schulterzuckend. »Was verstehst du eigentlich unter "Konflikte vermeiden"?« »Aufpassen, dass wir und die drüben nicht aufeinandertreffen.« »Dann suchst du also den Konflikt?« Trotz Chungus fragendem Gesichtsausdruck war ihr vollkommen klar, dass die Antwort für ihn schon feststand. »Was?« »Du hast eben selbst gesagt, dass Meiden bedeuten würde, dass man sich von den anderen Tiefen fernhält. Wenn hier aber das genaue Gegenteil passiert und Patrouillen die Grenze überwachen –« »Und was, wenn sie zu uns kommen?« »Das werden sie nicht. Und wenn doch, kannst du mich persönlich dafür verantwortlich machen. Aber ich bin mir sicher, dass ich Recht habe.« »Natürlich.« Shenzi sah ihn noch einmal abschätzend an und wandte sich schließlich ab. Besser sie schwieg jetzt, als dass Chungu noch mehr hatte, das er gegen sie verwenden könnte. Antilopenjagd Kula hob träge den Kopf vom Felsboden in der Haupthöhle. »Muss das denn sein?« »Ja, leider«, entgegnete Tama, die gleich neben ihr stand. »Wir haben die vorletzte Nacht ausgelassen und gestern ist uns die Beute entwischt. Wir müssen heute raus.« »Hm ... ja, etwas Hunger habe ich schon.« Missmutig beäugte Kula Tamas nasses Fell. »Na gut. Aber ich hoffe für dich, dass wir diesmal Erfolg haben!« Tama lächelte nur, anstatt zu antworten, denn diese Unterstützung konnte sie gut gebrauchen. Je mehr man sich auf sie verließ, desto besser wurde sie. »Komm schon, i –« »Guten Abend, die Damen!« Auch wenn Mheetu allmählich etwas übermutig wurde, Tama ließ sich gerade gern ablenken: »Auch dir guten Abend. Du bist heute also wieder mit dabei?« »Na klar doch!« »Dann kann ja nichts mehr schiefgehen!«, lachte sie. »Aha«, machte Kula nur. »Mheetu wird schon bald erwachsen. Ich glaube nicht, dass er für Tojo noch eine Last ist«, entgegnete Tama. »In letzter Zeit habe ich die beiden oft genug trainieren sehen.« »Das war nicht immer Training«, erwiderte Mheetu sofort. »Auf jeden Fall scheinst du ihn nicht zu stören«, sagte Tama und Kula ergänzte: »Sowas sieht man bei ihm nicht oft.« »Ja, irgendwie kommen wir ganz gut zurecht, schätze ich.« Mheetu sah auf, als Simba zu ihnen trat. »So, sind wir alle versammelt?« »Tojo fehlt«, erklang es aus Kulas Richtung. Doch Simba fuhr unbeirrt fort: »Dann können wir. Tama?« »Schwestern!«, rief die und binnen weniger Augenblicke war die halbe Höhle auf den Beinen. »Hier?«, fragte sie anschließend an Simba gewandt. Der zuckte nur kurz mit dem Kopf, bevor er sich an die Versammlung wandte: »Sikuyo indlela yelizwi lobomi. Jägerinnen, wisset, dass, solange ihr diesem Weg folgt, der Segen Aiheus mit euch sein wird. Er wird bei euch sein und eure Klauen und Zähne leiten, auf dass ihr gesund und erfolgreich wiederkehrt.« »Aiheu abamami!« Tama übernahm: »Schwestern, eine weitere Jagd steht uns bevor. Die Nacht ist dunkel und das Wetter bietet uns Deckung. Heute kann uns nichts mehr im Weg stehen.« Hier in der Höhle bekam das Jagdlied einen ganz besonderen Klang, so als wären viel mehr Stimmen daran beteiligt, als Tama Jägerinnen hatte. Dementsprechend entwickelte sich auch die Lautstärke, sodass Kula ihr schon fast direkt ins Ohr schreien musste, damit sie sie verstand: »Tolle Ansprache! Warum hast du sie nicht schon früher gebracht?« »Ich habe sie mir für Notfälle aufgehoben, wenn mir nichts anderes mehr einfällt«, antwortete Tama auf dieselbe Weise. Sie sah durch ihre Löwinnen und sobald sie die Aufmerksamkeit jeder von ihnen hatte, marschierte sie aus der Höhle. Kurz bevor sie den Ausgang erreichte, schlug ihr eine Wand aus Feuchtigkeit entgegen, doch Tama dreht nur den Kopf weg und ging weiter – irgendwer musste voranschreiten. Äußerst vorsichtig, um nicht abzurutschen, führte sie die Schwestern herunter vom Königsfelsen und in die Savanne hinein. Dort setzte sich Mheetu ab, um Tojo zu finden, während es für die Löwinnen weiter Richtung Fluss ging. Es war schon etwas seltsam, denn so wirklich am suchen war Mheetu eigentlich nicht. Tama hatte vielmehr den Eindruck, dass er genau wusste, wo Tojo war. Doch da kam ihr Beute in Sicht und sie schob den Gedanken in die hinterste Ecke ihres Kopfes. Wobei von Sehen eigentlich nicht die Rede sein konnte. Durch die Wassermassen, die vom Himmel stürzten, konnte sie nicht mehr als ein paar dunkle Schemen erkennen. Es war nur zu hoffen, dass dies die Herde Antilopen war, die Tama heute Mittag beobachtet hatte. Sie blickte sich kurz nach ihren Jägerinnen um – an Zeichen oder gar eine kurze Besprechung war bei diesen Bedingungen nicht einmal zu denken. Eigentlich war ihre Strategie in solchen Fällen immer dieselbe: Tama stürmte los und suchte sich das erstbeste Beutetier. Dabei musste sie immer deutlich darauf zu sprinten, weil es damit auch das allgemeine Ziel war. Die übrigen Löwinnen sollten entweder andere Tiere aus dem Weg drängen, oder selbst die Beute erlegen; etwas anderes war ihnen zu ihrer eigenen Sicherheit nicht erlaubt. Außer Tama durfte nur Sarafina noch auf eigene Verantwortung handeln. Schon einige Minuten lang verharrte die Schwesterschaft nun in Lauerstellung, währen Tama versuchte, etwas mehr als nur Schatten zu erkennen. Aber es war vergeblich, heute würde sie wohl wieder blind angreifen müssten. Schließlich fasste sie einen Entschluss und machte einen deutlichen Satz über das hohe Savannengras hinaus. Dabei bemerkte sie, dass ein paar der Tiere aufmerksam wurden, aber vorerst noch keine Gefahr erkannten. Die Herde ergriff nicht die Flucht. Ihre Jägerinnen dagegen waren mit dieser Art von Signal bestens vertraut und allesamt zur Stelle. Als die ersten Tiere realisierten, was ihnen blühte, waren sie direkt hinter ihr und sprengten die Herde förmlich auseinander, sodass verängstigte Antilopen in alle Richtungen davonstoben. Tama hatte sich schnell festgelegt und nur noch Augen für ein Tier. Allerdings war es weder das Schwächste noch besonders dumm – schon nach wenigen Sätzen versuchte es, nach links zu einigen anderen Antilopen aufzuschließen. Tama war für den Haken einen Schritt zu langsam, rutschte ein wenig im Schlamm und verlor wertvollen Boden. Trotzdem setzte sie die Verfolgung fort, wenn auch jetzt mit etwas mehr Abstand. Aber sie war schließlich nicht allein in diesem Chaos. Ihr ganzer Plan bestand eigentlich darin, dass eine ihrer Jägerinnen entscheidend eingriff. Tatsächlich tauchte in genau diesem Moment Kula links von ihr auf und schnitt der Antilope den Weg ab. Das Tier schlug einen weiteren Haken, worauf Tama ihm wieder gefährlich nahe kam. Gemeinsam bedrängten sie es von beiden Seiten, bis es schließlich versuchte, direkt vor Tama vorbei zu gelangen. Doch diesmal hatte sie es kommen sehen, sprang mit aller Kraft nach vorne und erwischte die Antilope geradeso am Hinterlauf. Ihre Beute ging zu Boden und nur wenige Augenblicke später stand sie schon darüber. Jetzt, wo sie nah genug war, erkannte Tama allerdings, dass das hier gar keine Antilope war. Vor ihr lag eine keuchende Hyäne mit nassem, verdrecktem Fell, das in alle Richtungen davonstand. »Na klasse! « Tama verpasste ihr einen kräftigen Prankenhieb auf das Bein, das sie eben angekratzt hatte. »Und was mache ich jetzt mit dir?« »Hey Tama, warum –« Kula wäre auf dem rutschigen Untergrund fast gestürzt, als auch sie erkannte, was da vor ihrer Leitlöwin lag. »Oh nein, das bedeutet Probleme!« »Ja, vor allem für uns«, bestätigte Tama und hob drohend eine Pfote, worauf die Hyäne unter ihr in Angst und Elend den Kopf einzog. »Eigentlich solltest du jetzt sterben, so wie jede andere Beute auch. Wegen dir haben wir heute nichts zu essen.« »Lass‘ gut sein, Tama, das führt zu nichts«, wandte Kula ein. Beim Klang ihrer Worte hob die Hyäne den Kopf und sah zu ihr auf, aber Kula machte einen schnellen Schritt vorwärts. Auch wenn es im Regen unmöglich zu erkennen war, Tama war sich sicher, dass die Hyäne einige Schnurrhaare verloren hatte; so knapp hatten Kulas Krallen ihr Gesicht verfehlt. »Wow, du b –« Das Gebrüll einer ihrer Jägerinnen unterbrach Tama unverhofft. Sarafina schien Erfolg gehabt zu haben, während sie sich unter all den Antilopen natürlich die Hyäne gekrallt hatte. Aber zumindest hatten sie damit überhaupt etwas erlegt. »Damit bessert sich deine Lage zumindest ein klein wenig«, sagte sie zu der Hyäne. Heimkehr Man sollte eigentlich meinen, dass der Elefantenfriedhof des Nachts vollkommen still sein müsste. Aber jedes Mal, wenn Chungu so lange aufblieb, war es hier lebendiger als tagsüber, was die Atmosphäre jedoch nicht besserte. In erster Linie hörte er das Prasseln des Regens und ab und zu Ratten quieken, Knochen knacken und den Widerhall des Donnerns des Großen Flusses. Allerdings mischte sich bald ein weiteres Geräusch darunter, das weit weniger üblich war. Chungu ging nach vorne an den Ausgang der Kluft, konnte durch den Regen allerdings nichts erkennen. Das heißt noch nicht, denn er war sich sicher, dass ihn sein Gehör nicht getäuscht hatte. Wie auch immer, um den Schutz seines Heims zu verlassen, reichte das jedenfalls nicht. Hinter ihm lagen fast alle Hyänenfamilien an der linken Wand versammelt. Zwar hatten sie hier kein richtiges Dach über ihren Köpfen, aber die Felsspalte war hoch genug, dass der schräg einfallende Regen gegen den das Gestein auf der anderen Seite prallte und den Boden nur noch als feines Sprühwasser erreichte. Nur war es dadurch nach jedem Unwetter ekelhaft feucht. Schließlich erkannte Chungu schemenhaft mehrere Gestalten, die direkt auf ihn zukamen. Nun konnte er auch das ungewöhnliche Geräusch als schmerzhaftes Stöhnen identifizieren. Kurz darauf standen sie vor ihm: vier Hyänen, wobei eine von ihnen ein Vorderbein in der Luft hielt. Dazu waren sie allesamt völlig verdreckt. »Was ist mit euch passiert?« »Au«, machte die verletzte Hyäne. »Es gab bei der Jagd einen kleinen Zwischenfall«, bemerkte eine der anderen. »Hm, erzählt mal darüber.« Chungu sah sich das Bein der Hyäne genauer an. Bevor sie sich hinlegte, setzte sie es kurz auf, sodass es in einem merkwürdigen Winkel abknickte. »Gebrochen?« Doch jene war zu sehr mit ihren Schmerzen beschäftigt und hatte ihn wohl nicht einmal gehört. Chungu sah wieder die drei anderen an. »Ihr seid alle in Ordnung?« »Na ja, keine Ahnung, was mit –« Das einzige Männchen der Gruppe verstummte, als es den Blick seiner Begleiterinnen bemerkte. Doch es war schon zu spät: »Einer fehlt also. Was ist passiert?« »Er sollte voraus und die Antilopen aufmischen. Danach, ähm ...« »Antilopen?« Chungu brauchte nur wenige Augenblicke um alles zusammenzufügen. »Ihr erzählt mir also, dass ihr gegen alle Vorschriften im Geweihten Land jagen wart. Und dann schafft ihr es nicht einmal, irgendetwas zu erlegen, sondern kommt mir einer Verletzten zurück und ein anderer fehlt.« Er betrachtete noch einmal die Hyäne am Boden. Wenn sie vom Huf einer Antilope getroffen worden wäre, dann hätte er äußerliche Spuren erwartet, aber da war nichts. Diese Verletzung hatte ihr also etwas Größeres und weitaus Kräftigeres beigebracht. Er würde es sowieso herausfinden. »Antilopen, wie? Sollten wir euren Vermissten suchen?« »Nein!«, erwiderten sie allesamt sofort im Chor. »Hm, aber er weiß womöglich gar nicht, dass ihr schon wieder zurück seid. Womöglich jagt er noch immer den Antilopen hinterher.« »Das ist eine ganz schlechte Idee«, murmelte das Männchen. »Wie bitte?«, fragte Chungu gespielt höflich. Doch jener konnte sich noch retten: »Ich dachte, es wäre verboten, ins Geweihte Land zu gehen.« »Jetzt tun wir es auf meine Verantwortung«, erwiderte Chungu. »Ich darf das.« »Klar, du machst ja auch die Regen.« »So ist es.« Eine der Hyänen wandte sich kopfschüttelnd ab, aber Chungu war noch nicht fertig: »Hey, kommt ihr nicht mit? Immerhin habt ihr ihn zurückgelassen.« Ein paar unsichere Blicke wurden ausgetauscht und Chungu wusste sich bestätigt. Ab jetzt würde er nicht mehr locker lassen, bis sie vor ebender Stelle standen, wo es passiert war und er genau Bescheid wusste. Vielleicht war das dann endlich die Gelegenheit, Shenzi ihren Irrsinn nachzuweisen. »Du kannst hierbleiben«, sagte er zu der Hyäne am Boden. Die anderen würdigte er keines weiteren Blickes als er daraufhin losmarschierte, zum ersten Mal seit sehr langer Zeit mal wieder ins Geweihte Land. Verhandlungsbasis Ein Glück, dass Sarafina gerade jetzt Erfolg gehabt hatte, denn mit dieser erbärmlichen, ständig quiekenden Hyäne im Schlepptau hätten sie nie Beute gemacht. Kula hatte sie etwas weiter weggebracht, sodass die erlegte Antilope vom Königsfelsen aus näher lag. So harmlos sie auch wirkte, Kula hatte die Hyäne voll im Griff. Gerade als Tama den Kopf wieder in Richtung Königsfelsen drehte, raschelte es links von ihr im Gras. Aufmerksam geworden neigte sie den Kopf zur Seite. Eigentlich sollte nach Sarafinas Gebrüll alles in der Umgebung wissen, dass hier gerade die gesamte Jagdtruppe versammelt war. Wer außer Simba oder Chumvi würde sich also so offenkundig in ihre Nähe trauen? »Tojo?« Selbst ein Savannenhase hätte sie weniger überrascht. Gerade das gemeinsame Essen mied er am allerliebsten. Während sich Mheetu noch durchs hohe Gras kämpfte, bemerkte sie Tojos verdrecktes Fell und auch seine Mähne war um die Ohren herum völlig zerzaust – normalerweise klebte sie ihm durch den Regen förmlich am Schädel. »Was ist denn mit euch beiden passiert?« Denn auch Mheetu sah nicht besser aus. »Na ja, eine etwas interessantere Streife als sonst«, antwortete Tojo und hob die rechte Pfote, um mit der Zunge darüberzufahren. »Kann man von unserer Jagd auch sagen«, erwiderte Tama. »Willst du es dir ansehen?« Eigentlich hatte sie mit Wiederrede gerechnet, doch Tojo setzte sich wortlos in Bewegung. Tama leitete ihn weg von den anderen Jägerinnen. Weit war es nicht und auch nicht schwer zu finden, sodass sie kurze Zeit später vor Kula standen. »Na?«, meinte Tama. »Soso.« Tojo zog zwar kurz die Augenbrauen hoch, blieb ansonsten aber gelassen. »Da haben wir also den Letzten von euch.« »Wie jetzt?« »Wie es aussieht, habt ihr den Jäger zum Gejagten gemacht«, sagte er zu der Hyäne am Boden. Dann schaute er wieder Tama an: »Wir hatten gleich vier von ihnen.« »Wow, seid ihr in Ordnung?«, fragte Kula sofort. »Ja, weit –« »Ah, da haben wir sie ja!«, ertönte es hinter ihnen. Kurz darauf trat Mheetu dazu, dicht gefolgt von Simba, der auch gleich das Wort übernahm: »Dieser Regen, man sieht einfach überhaupt nichts.« Keiner reagierte, während er erwartungsvoll in die Runde sah. Hier war seine Bemerkung einfach zu trivial, als dass irgendwer etwas zu sagen gehabt hätte. »Nun, dann erzählt mir doch bitte, was passiert ist!« »Eine Gruppe von fünf Hyänen hat im Geweihten Land gejagt«, antwortete Mheetu sofort. »Eine ist vorausgegangen«, er machte eine bedeutsame Pause, in der jeder die Hyäne am Boden musterte, »die anderen vier haben nie ihre Beute gesehen.« Simba nickte und wandte den Blick zu Tama. »Wir haben sie für eine Antilope gehalten«, berichtete jene und Kula ergänzte: »Sie ist auch genauso davongerannt.« »Was ist mit den anderen vier passiert?«, fragte Simba. »Mheetu hat sich einfach eine von ihnen vorgenommen und niedergeschlagen und schon sind sie abgehauen. Ich hatte nicht einmal Zeit, mich hierfür zu revanchieren.« Tojo leckte sich wieder dieselbe Pfote wie vorhin schon, allerdings war durch Regen und Dunkelheit keine Verletzung zu erkennen. »Es ist nichts Ernstes!«, beteuerte er auf die besorgten Gesichter ihrer Runde hin. »Gut, wir haben nämlich bald andere Probleme«, verkündete Simba. »Am besten, wir sind auf alles vorbereitet.« Der Regen hatte etwas nachgelassen und am Kadaver der Antilope herrschte noch reges Treiben, als die Dunkelheit vier Hyänen preisgab. Jeder Löwe und jede Löwin, die nicht noch am Essen waren, hatte sich zu deren Empfang versammelt. Die große Hyäne ließ sich davon nicht beeindrucken, aber die anderen wirkten neben ihr immer kleiner, je näher sie kamen. Erst als es aussah, als würden sie allesamt mit dem Kinn auf dem Boden aufsetzen, machte ihr Anführer schließlich halt. »Warum seid ihr hier?« Simba wollte diese Begebenheit wohl so schnell wie möglich abhandeln. »Wir vermissen einen der unseren«, antwortete die große Hyäne ruhig. »Er liegt da drüben, wo die Löwin steht.« Eigentlich hatte Tama keine Angst vor einzelnen Hyänen, aber mit dieser hier würde sie sich nie anlegen. Jene sah nicht einmal zu ihrem Artgenossen hinüber, sondern war bereits voll und ganz auf Simba fixiert. »Ist er verletzt? Habt ihr ihn etwa auch noch festgehalten?« Die Ruhe, mit der diese Anschuldigungen ausgesprochen wurden, war beängstigend; so als würde der eigentliche Schlag erst noch kommen. »Dazu hattet ihr kein Recht.« »Wir haben das Recht, ihn zu töten!«, erwiderte Simba scharf. Ein überlegenes Kopfnicken untermalte, dass die Hyäne gehört hatte, was sie wollte. »Und, habt ihr davon Gebrauch gemacht?« »Das können wir noch«, schallte es irgendwo aus den Reichen der Löwinnen. »Natürlich«, diese Hyäne war in ihrem Tonfall so ruhig wie eh und je, »am besten ihr beseitigt uns, nachdem ihr gemerkt habt, dass ihr im Unrecht seid. Löwen gehen immer den einfachsten Weg.« Bei ihren Kameraden löste sie damit sichtlich blankes Entsetzen aus. Einige der Löwinnen bemerkten das und duckten sich ins Savannengras, so als würden sie gleich losspringen. »Genug!«, rief Simba. »In Ordnung, ich höre. Wer bist du und was willst du?« »Mein Name ist Chungu und ich will Gerechtigkeit.« Ein Männchen auch noch! Bisher hatte Tama gedacht, das wären die Kleineren. »Meine Hyänen werden ihre Strafe noch bekommen; was wirst du tun?« »Nun, bei Jagdunfällen wird die Schuldige normalerweise von der Jagd ausgeschlossen, bis sich alle Betroffenen wieder erholt haben.« Simba warf einen Blick in die Richtung, in der die Hyäne lag. »In diesem Fall werden wir es aber abschätzen müssen. Ich sage eine Woche, wenn er sich ausreichend schont.« »Eine Woche?!« »Treib' es nicht zu weit!« Chungu verstummte augenblicklich und Simba sah seine Löwinnen an. »Wer hat ihn denn nun erwischt?« Schweigen. Schließlich meldete sich Tama: »Ich war es, Simba.« Der Schock traf sämtliche Löwen so tief, dass es sogar Chungus Begleiter bemerkten. Auf einmal wirkten diese viel entspannter. »Dann ist es beschlossen, eine Woche«, bestätigte Chungu noch einmal. Tama hatte schon etwas in der Art befürchtet, nur hätte sie nie gedacht, dass es am Ende eine Hyäne sein würde, welche die Strafe gegen sie aussprach. Nun aber musste sie Simba zur Seite stehen: »Ich habe vollstes Vertrauen in meine Jägerinnen. Sie schaffen das.« »Also gut.« Simba nickte ihr dankbar zu und wandte sich dann wieder an die Hyänen. »Tama wird sich eine Woche lang in keinster Weise an der Jagd beteiligen – weder direkt noch indirekt. Wenn es von eurer Seite keine weiteren Anliegen mehr gibt, sind wir hier fertig.« »Vorerst«, entgegnete Chungu und zögerte keine weitere Sekunde. Wenig später waren er und seine Schar im Dunkel der Nacht verschwunden. In Freiheit Auch die Löwen verließen kurz darauf den Ort des Geschehens. Zwar war Tama offiziell keine Leitlöwin mehr, allerdings konnte sie ihre Gewohnheiten nicht ablegen und wartete, bis sich jede ihrer Jägerinnen in Bewegung gesetzt hatte. Doch gerade als sie sich selbst auf den Weg machen wollte, bemerkte sie Tojo und Mheetu, die noch immer neben den letzten Überresten der Antilope standen. »Kommt ihr nicht mit?«, rief sie. Aber Mheetu bedachte sie nur mit einem kurzen Blick, bevor er sich wieder Tojo zuwandte. Tama schüttelte nur den gesenkten Kopf und ging auf die beiden zu. Doch als sie wieder aufsah, kam Mheetu ihr schon entgegen, ließ ein kurzes "Nacht" verlauten und war im nächsten Moment hinter ihr verschwunden. »Willst du wirklich, dass ich mitkomme?« Tojo vermied es noch immer, sie direkt anzusehen. »Es wäre mir sehr recht, aber letztendlich ist es deine Entscheidung.« Irgendwie hatte Tama ein ungutes Gefühl, was ihn anging. »Auf jeden Fall solltest du Rafiki einen Blick auf dein Bein werfen lassen«, bemerkte sie, als Tojo schon wieder daran leckte. »Spätestens morgen!« »Hm ... ja ... vielleicht.« Normalerweise hatte er wirklich bessere Ausflüchte. Tama trat noch etwas näher und versuchte, ihm von unten ins Gesicht zu sehen. Tojo wirkte eigentlich ganz normal – bis auf dass er weiterhin jeden Blickkontakt vermied. »Was ist los?«, fragte sie vorsichtig. Er hob noch immer nicht den Kopf, sondern redete nur mit seinen Vorderpfoten: »Wie geht es jetzt weiter? Heute hatten wir noch etwas zu essen, aber wenn du nicht –« »So wie immer«, erwiderte Tama. »Nur habe ich jetzt mal ein paar Tage Pause. Die Löwinnen sind auch ohne mich erfolgreich.« »Denkst du das wirklich? Oder sagst du es nur wegen mir?« Jetzt sah Tojo sie auf einmal direkt an. »Warum sollte ich ... Glaubst du etwa, das Ganze ist deine Schuld?« »Wir haben nun einmal nur vier von ihnen aufhalten können.« »Und um drei davon hast du dich alleine gekümmert, wenn ich eure Geschichte richtig verstanden habe.« Allmählich wurde Tama klar, was in ihm vorging. »Wo ist das Problem?« »Dass es nicht genug war.« »Ja, ich weiß.« Tojo hatte definitiv eine andere Antwort erwartet, das konnte sie ihm ansehen. »Genauso habe ich mich gefühlt, als Sarabi gestorben ist, weißt du.« Tama warf einen Blick in Richtung Königsfelsen. »Manchmal ist das, was wir tun können, einfach nicht genug. Aber mittlerweile kann ich damit leben.« Tojo schaute ebenfalls noch dorthin, als sie ihn wieder ansah. »Ja, ich verstehe.« »Und, kommst du dann mit?« Zumindest ein wenig Hoffnung hatte Tama ja, dass der Regen ihn etwas geselliger machen könnte. »Nein, eher nicht«, erwiderte Tojo allerdings. »Wenn ich doch morgen zu Rafiki soll, kann ich auch gleich meine Pfote schonen und mir den Umweg sparen.« »Und wo willst du bei diesem Wetter die Nacht verbringen?« »Es gibt da eine Höhle gleich hinter ... Warum willst du das wissen?« »Ach, nur so.« Tama ging einen Schritt auf ihn zu. »Ich will nur sichergehen, dass du dich nicht drückst und wenn du sagst, dass es da eine Höhle gibt, –« »Nein«, meinte Tojo sofort, »es ist ziemlich eng da.« »Kein Problem«, lachte Tama. »Wir sind doch beide erwachsen.« Als sie an der besagten Höhle ankamen, musste Tama jedoch einsehen, dass er Recht hatte. Zwei Löwen hätten es darin wirklich eng. Der Eingang war nicht einmal hoch genug, damit sie aufrecht hindurchgehen konnte und weiter hinten war nichts zu erkennen. »Versuchen wir's« Hauptsache, sie würden bald diesem Regen entfliehen. »Und wie?« »Leg' du dich erstmal rein. Dann schaue ich, was ich machen kann.« »Allerhöchstens legen wir uns nebeneinander«, sagte Tojo, krabbelte in die Höhle und streckte nach ein paar Augenblicken den Kopf wieder darauf hervor. »Der Platz hinten reicht mir geradeso, wenn ich mich zusammenrolle.« Nun wurde klar, wie schwierig Tamas Unterfangen war, denn er versperrte schon jetzt fast den halben Eingang. »Also gut«, erwiderte sie. Darauf bedacht, nicht zu stolpern und am Ende auf Tojos Rücken zu landen, quetschte sie sich in die Höhle, wendete, indem sie im Dunkeln an der hinteren Wand entlangkratzte, und lag schließlich mit dem Kopf zum Ausgang neben ihm. Allerdings war es hier viel zu eng, um direkten Kontakt zu vermeiden. Normalerweise hätte Tama diesen Umstand begrüßt, aber im Moment war Tojos Mähne kalt, nass und strähnig, also alles andere als bequem, um darauf zu liegen. Jener nahm übrigens keinerlei Notiz davon, dass sie sich an seine Flanke lehnte. Irgendwie war ihr diese ganze Situation unangenehm, also hob Tama vorsichtig eine Pfote und legte sie auf Tojos. Nur so hatte sie seine Aufmerksamkeit nicht bekommen wollen: »Au, vorsichtig!« »Oh, Entschuldigung.« Erst wollte sie sich wieder zurückziehen, legte das Bein dann jedoch wieder ab, diesmal darauf bedacht, seine Verletzung nicht zu berühren. Anschließend beugte sie sich vor und fuhr selbst mit der Zunge über die Stelle, wo sie die Wunde vermutete. Nur hatte Tama nicht damit gerechnet, so intensiv Blut zu schmecken. Plötzlich spürte sie, wie ureigene Instinkte erwachten; ein Kribbeln fuhr ihr durch den ganzen Körper und mit Sicherheit stand ihr von den Ohren bis zur Schwanzspitze das Fell zu Berge. Ein Glück, dass es so dunkel war. Trotzdem war es nicht unbemerkt geblieben: »Ähm ... alles in Ordnung?«, fragte Tojo vorsichtig. »Es ist nur das Blut«, antwortete Tama schnell, »wahrscheinlich, weil ich zu sehr eine Jägerin bin.« »Ah, verstehe.« Tojo hielt den Kopf weiterhin hoch erhoben und spähte hinaus in die Dunkelheit. Jedenfalls hatte er nicht protestiert und so beugte Tama sich wieder hinunter und leckte ein weiteres Mal über sein verletztes Bein. Nun hatte sie sich wesentlich besser unter Kontrolle. »Tut es weh?« »Nein, mach' ruhig weiter.« Ansonsten verweigerte er strikt jeden direkten Kontakt, also wartete Tama nicht lange auf ein Bitte und säuberte sorgfältig Tojos Wunde. Dabei merkte sie allmählich, dass er vollkommen Recht hatte – es handelte sich nur um einen oberflächlichen Kratzer, den sie bald frei von Blut und Dreck hatte. »Fertig!«, keuchte sie schließlich und ließ den Kopf zur Seite fallen. So lag sie nun bei Tojo, als wäre sie seine Partnerin, aber das war erst einmal egal. Für Tama war nur wichtig, dass sie sich wohl fühlte und das obwohl seine Mähne sie überall im Nacken kitzelte. »Mir gefällt das Leben hier«, flüsterte sie. »Es hat seine Vorzüge«, erwiderte Tojo über ihren Kopf hinweg. »Du bist ja noch wach!« »Witzbold. Wie soll ich den einschlafen, wenn ich die ganze Zeit den Kopf oben halten muss, weil du da liegst?« »Deine Sache, gute Nacht.« Das meinte Tama nun wirklich ernst und rückte den Kopf noch etwas bequemer. Tojo ließ sie einfach machen und spähte weiter hinaus in die Dunkelheit. Unterdessen übermannte Tama das Geschehene des heutigen Tages und sie glitt allmählich hinüber in die dunkle Ungewissheit ihrer Träume. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)