Der König der Löwen von Izruo (Wir sind Eins) ================================================================================ Alte Bekannte ------------- Unwissenheit Selbst die niedrig stehende Vormittagssonne, der die beiden Freunde entgegen wanderten, hatte kein Erbarmen mit ihnen. Es gab keine Pflanzen, die die Hitze hätten aufnehmen können. Anstatt dessen ließ sie die am Boden liegende Luftschicht flimmern, wodurch der Wüstensand wie eine Wasseroberfläche schimmerte. Selbst ein paar Sonnenstrahlen spiegelten sich darin und blendeten die zwei Reisenden. Ein näherer Blick jedoch verriet, dass nur einer der beiden selbst lief, der andere machte es sich in dessen Nacken bequem. Tatsächlich hätten die zwei Freunde unterschiedlicher kaum sein können, denn es handelte sich um ein Erdmännchen und um ein Warzenschwein. »Du, Timon?« »Was, sind wir schon da?« Timon rappelte sich auf, krabbelte nach oben zwischen die Ohren seines Gefährten und lugte aus seiner Mähne hervor, doch die Landschaft hatte sich nicht verändert. »Das wird bestimmt klasse, alle wiederzusehen.« Das Warzenschwein lief unbeirrt weiter. »Glaub mir, Pumbaa, das wird noch wie in alten Zeiten. Nur du, ich und der kleine Racker.« »Wer?« »Simbas Sohn natürlich.« »Ach so. Aber der wird doch später König, da hat er sicher eine Menge zu lernen.« »Ach, papperlapapp. So wichtig kann diese ganze Königsgeschichte gar nicht sein – immerhin hat Simba es auch zu was gebracht. Und außerdem sind wir es, die ihm die wirklich wich –« Timon wurde jäh unterbrochen, als Pumbaa abrupt anhielt. »Was ist denn nun schon wieder los?« »Timon, ich glaube, wir sind da.« »Moment mal.« Das Erdmännchen bahnte sich wieder seinen Weg hinauf auf die Schädeldecke seines Gefährten und begann, in die Luft zu schnüffeln. »Pumbaa, riechst du das?« Dabei beugte er sich über sein Gesicht, sodass die beiden sich kopfüber in die Augen blickten. »Ich glaube, wir sind da.« »Oh.« Timon sah wieder geradeaus. Direkt vor ihnen lag ein einige Meter breiter Streifen seltsam krustiger Oberfläche, der nach links und rechts kein Ende nahm. Pumbaa stach prüfend mit einem Huf darauf ein, konnte allerdings rein gar nichts ausrichten. In der Ferne war der Königsfelsen zu erkennen, aber dazwischen lag nichts als farblose Einöde. »Also das sieht nicht viel besser aus als vorher.« »Du, Timon? Denkst du, Simba möchte uns jetzt sehen? Vielleicht sollten wir wieder gehen.« Das Erdmännchen schien tatsächlich ernsthaft darüber nachzudenken. Seine Augen wanderten kurz ziellos umher, doch dann fixierten sie wieder den Königsfelsen. »Vorher möchte ich noch rausfinden, was hier los ist.« Pumbaa nickte, schleuderte dadurch seinen kleinen Freund wieder auf seinen Rücken und setzte anschließend zu einem zügigen Trab an. Wenig später kam am Horizont ein grüner Streifen in Sicht. Die Tatsache, dass das Geweihte Land womöglich doch wieder blühte, trieb die beiden weiter voran, sodass sie noch in der glühenden Mittagshitze am Königsfelsen ankamen. Es war nicht das erste Mal, dass sie das steinerne Monument erklommen, weshalb sie bereits wussten, dass der Aufstieg über die Nordseite der kürzeste, halbwegs angenehme Weg war – allerdings führte er direkt durch die Liegeplätze der Löwinnen. Nicht dass sie ihnen nicht vertrauten, aber derart von Raubtieren umgeben zu sein, verursachte ganz instinktiv eine gewisse Nervosität und Nervosität konnte bei Pumbaa heftige Reaktionen hervorrufen. Doch ihre Bedenken waren unbegründet, nur zwei Löwinnen und ein Löwe hatten es sich auf den unteren Ausläufern des Königsfelsens bequem gemacht. Die, die ihnen am nächsten lag, hob den Kopf und richtete den Blick in etwa in ihre Richtung, doch eigentlich schien sie nicht wirklich interessiert zu sein. Am merkwürdigsten aber war die Tatsache, dass die beiden die Löwin nicht kannten. »Was wollt ihr hier?«, fragte sie schließlich mit teilnahmsloser Stimme. Timon hatte eigentlich nicht damit gerechnet, dass sie noch etwas sagen würde. »Simba besuchen.« »Ach ja? Und was glaubt ihr, sollte ihn dazu bewegen, euch zu empfangen?« »Wir sind alte Freunde«, platzte Pumbaa frei heraus. Zira wusste nicht, was sie mehr überraschte – die Tatsache, dass die beiden sich für Simbas Freunde hielten oder die Dreistigkeit, mit der sie selbiges behaupteten. »Also gut, ich bringe euch zu ihm.« Sie erhob sich. »Aber nur, weil ich nicht verpassen will, was er mit euch anstellt.« Oben vor der Höhle hielt Pumbaa jedoch inne. »Sind alle da drin?« Er brauchte keine Antwort. »Große Versammlungen in geschlossenen Räumen sind nicht so mein Ding.« Zira merke, wie sie die Augen verdrehte und richtete den Blick schnell wieder geradeaus in die Höhle. Ein klaustrophobisches Warzenschwein – schlimmer konnte es nicht mehr werden, oder? »Schon gut, Kumpel ... wir gehen ihn holen.« Timon sprang auf Pumbaas Nase und von dort hinunter auf den sandigen Boden. Anschließend ging er neben Zira in die Höhle, so als wären sie ebenbürtig. Erst fühlte sie sich etwas komisch dabei, aber drinnen konnte sie nicht anders, als das kleine Erdmännchen zu bewundern. Denn Timon schritt vollkommen gelassen zwischen den Löwinnen hindurch. Simba befand sich gerade im Gespräch mit einer Löwin, als die beiden ihn fanden. Zira sprach ihn trotzdem an. Sie wollte unbedingt sehen, wie er den Besucher abweisen würde. »Nkosi aka Nkosi! Besuch für euch.« Simba drehte den Kopf in ihre Richtung, konnte aber anscheinend niemanden sehen. Zira hob die linke Vorderpfote und deutete damit von oben auf ihren Begleiter. »Timon!« Simba ging auf ihn zu und kauerte sich vor ihm nieder. Zwar waren sie damit noch immer nicht auf Augenhöhe, aber viel näher würden sie dem auch nicht kommen. Obwohl der Kopf seines Gegenübers locker doppelt so groß war wie er selbst, zeigte Timon keinerlei Angst oder Bedenken, als er zur Begrüßung die Hand auf Simbas Nasenspitze legte. Man hätte Zira genauso gut in einen Fluss werfen können, der Schock wäre nicht größer gewesen. »Du kennst ihn wirklich?«, brachte sie schließlich zustande. »Wir sind alte Freunde«, bestätigte Simba. »Darf ich fragen, wie es dazu kam?« »Als ich von –« Simba besann sich gerade noch rechtzeitig. »Als ich weggelaufen bin, haben er und Pumbaa mich aufgenommen und großgezogen. Wo ist er denn überhaupt?« Die Frage galt Timon. »Draußen vor der Höhle. Du weißt ja ...« Simba nickte und sah noch einmal zu Zira, doch sie schien keine Fragen mehr zu haben. Also machte er sich mit Timon auf den Weg nach draußen. Das war also die Geschichte des großen Helden des Geweihten Landes – aufgezogen von einem Erdmännchen und einem Warzenschwein. Zira wusste noch nicht so recht, was sie davon halten sollte. Unterdessen waren die drei Freunde wieder vereint. »Simba, schön dich wiederzusehen.« »Ja, ich bin auch froh, dass ihr hier seid.« »Habt ihr früher nicht immer unten im Freien gelegen?« »In letzter Zeit ist viel passiert.« Und so erzählte Simba von allem. Generationen unter sich »Hey, Zira. Was sitzt du da so alleine herum?« Nala hatte sie im Vorbeilaufen entdeckt und ihren glasigen Blick bemerkt. »Sarafina erzählt den Kindern gerade eine Geschichte ... Was ist, möchtest du es vielleicht auch einmal probieren?« Zira glaubte, zu ahnen, worauf sie hinauswollte und verengte die Augen. »Meine Geschichte –« »Nein, das verlange ich nicht. Komm schon, du musst doch auch irgendwann mal etwas Schönes erlebt haben – erzähl doch davon. Fröhliche Geschichten hören sie sowieso am liebsten.« Ein sanftes Lächeln, kaum zu bemerken, zeichnete sich auf Ziras Gesicht ab, während sie die Augen schloss und ganz offensichtlich an alte Zeiten dachte. »Nein, das sind meine Erinnerungen.« »Aber du hast es doch Chumvi erzählt.« »Du weißt davon?« »Simba hat nur gesagt, dass er jetzt weiß, was dir passiert ist. Ich kann mir aber denken, was er damit meinte.« »Nein, du irrst dich. Er weiß nur, was er wissen muss.« Zira drehte sich in Richtung Höhleneingang, wandte aber noch einmal den Kopf zurück zu Nala: »Bitte, lasst mich damit einfach in Ruhe.« Die schien sich vorerst zufrieden zu geben, denn sie sah Zira noch einmal eindringlich an, ließ sie dann aber ziehen. Aber auch gab es keine Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen. Zira hatte sich gerade wieder an einem schattigen Plätzchen niedergelassen und suchte mit dem Kinn eine gemütliche Position auf den verschränkten Vorderpfoten, da hörte sie etwas auf sich zukommen. Die kleinen, tapsigen Schritte kamen immer näher, hörten dann aber plötzlich auf und es war wieder still. Die Begegnung mit Timon und Pumbaa noch im Hinterkopf hatte Zira sich fest vorgenommen, was auch immer da gerade angekommen war, zu ignorieren. Aber zu wissen, dass man von etwas angestarrt wird, war ein zu seltsames Gefühl, als dass sie dem lange Stand gehalten hätte, also schaute sie wieder auf. »Hallo Zira, was machst du hier draußen?« »Schlafen. Jedenfalls habe ich es versucht.« »Aber alle anderen sind in der Höhle. Warum du nicht?« Eigentlich war Kopa nicht besonders zutraulich, vor allem Zira gegenüber. Um ehrlich zu sein, war sie damit sehr zufrieden. Er war also aus einem bestimmten Grund zu ihr gekommen und den würde sie nur zu gerne erfahren. »Was willst du?« »Weißt du, wo Vitani ist?« Zira hob interessiert den Kopf und erblickte dadurch auch Mheetu und Nuka, die unweit der Szene standen. Anscheinend hatten sie den Kleinen vorausgeschickt. »Bei euch, bei Chumvi, irgendwo in der Höhle«, antwortete sie an Kopa gewandt. »Nein, da ist sie nicht«, entgegnete Mheetu, kam auf sie zu und stellte sich neben seinen Neffen. »Sie wollte schon die ganze Zeit nach draußen und wir haben für heute Nachmittag auch die Erlaubnis bekommen, aber ich hätte nicht gedacht, dass sie alleine geht.« Für einen Augenblick dachte Zira ernsthaft darüber nach, ob sie wirklich selbst nach ihr sehen sollte. Dass Vitani nach einem ganzen Vormittag in der Höhle so dringend nach draußen wollte, wunderte sie nicht, aber wenn ihr irgendetwas zugestoßen sein sollte ... Doch die Entscheidung wurde ihr einen Moment später wieder abgenommen. »Wir werden sie finden«, meinte Kopa selbstsicher und die drei Jungs trotteten davon. Auf dem Weg nach unten in die Savanne schaute sich Mheetu allerdings immer wieder aufmerksam um. »Was ist?«, fragte Kopa. »Mach du dir Sorgen um sie?« »Nein, nicht direkt. Ich glaube nur nicht, dass sie einfach so ohne Grund vorausgehen würde.« Nuka, der sich ein Stück hatte zurückfallen lassen, sah, dass sich links von den beiden etwa bewegte; Mheetu war es ebenfalls aufgefallen. Kurz darauf stürzte sich Vitani aus ihrer Deckung auf den immer noch ahnungslosen Prinzen und riss ihn gnadenlos von den Pfoten. Die beiden kullerten noch ein Stück durchs trockene Gras, ehe Kopa dem ein jähes Ende setzte. Mit den Hinterbeinen bremste er ihre Fahrt ab und mit dem den Vorderläufen fixierte er seinen Angreifer am Boden. »Ha, festgenagelt!« »Süß, aber das wäre nicht nötig gewesen, wenn du sie schon vorher bemerkt hättest«, tadelte ihn Mheetu. »Blind durch die Welt zu wandern, ist nicht gesund.« »Hey, sie hat sich angeschlichen. Nuka, hast du sie etwa gesehen?« Der schloss gerade wieder zu ihnen auf. »Ja, das habe ich.« »Nun, da ich euch gefunden habe.« Vitani legte kichernd eine Pfote an Kopas Brust. »Was hattet ihr eigentlich vor?« »Ähm, wir haben dich gesucht.« »Dann hab' ich euch ja ganz schön überrascht.« »Ihn vielleicht, mich verwundert gerade eher dein Bruder«, entgegnete Mheetu. »Ich hatte eigentlich schon darauf gewartet, dass ... naja, scheint jedenfalls, als wäre er doch ganz normal.« »Ich habe gerade nachgedacht«, verteidigte der sich allerdings, »bis ihr wieder ... ach, egal.« »Wann hast du denn damit angefangen?« Kopa ließ wieder von Vitani ab und drehte sich anstatt dessen zu Nuka. »Wie? Womit?« »Zu denken!«, ergänzte Vitani. Sie und Kopa brachen wieder in Gelächter aus und liefen in Richtung Wasserloch voraus. Mheetu war zwar anzusehen, dass auch er sich ein wenig über den Scherz amüsierte, trotzdem aber sprach er Nuka ganz ruhig an: »Worüber hast du denn nachgedacht?« »Erinnerst du dich an gestern, als Mutter auf uns aufpassen sollte?« »Du warst draußen bei ihr.« Jetzt wusste Mheetu, wohin Nuka am Vortag kurz verschwunden war. »Ich dachte mir, weil sie ja nicht mit den anderen mit konnte, würde sie sich vielleicht freuen.« Die Erinnerung schien Nuka jedoch plötzlich solche Schmerzen zu bereiten, dass er abbrach und die Augen zusammenkniff. »Was hat sie gesagt?«, versuchte Mheetu es ganz vorsichtig. »Sie hat mich einfach weggeschickt. Was ist ... was ist, wenn sie mich nicht mehr will?« »Sag' sowas nicht! Mit Sicherheit hat sie einen guten Grund.« »Mich zu ignorieren? Sie tut es doch schon die ganze Zeit. Nenn' mir dafür einen Grund!« »Ich habe keine Ahnung. Aber Chumvi kennt deine Mutter mittlerweile besser als jeder andere hier. Wenn dir einer helfen kann, dann er.« »Aber er wird nicht.« »Das bezweifle ich – vor allem, wenn du ihm sagst, dass du dir Sorgen um sie machst.« Nuka legte den Kopf schief und dachte einen Moment über den Vorschlag nach. »Solange dir selbst nichts Besseres einfällt, hast du doch nichts zu verlieren, oder?«, half Mheetu nach. »Hm ... ja, stimmt eigentlich. Na gut, ich werde es versuchen.« »Gut, dann lass uns jetzt erst einmal nach deiner kleinen Schwester sehen.« Mheetu gab Nuka gar keine Möglichkeit, zu widersprechen, sondern ging direkt voraus Richtung Wasserloch. Der folgte ihm etwas zögerlich, aber auf halbem Weg drängte Mheetu dann auf einmal zur Eile: »Oh, sieh mal! Das wird den Erwachsenen gefallen.« »Ich kann von hier aus nur sehen, dass da vorne das Wasserloch ist.« Nuka war mittlerweile wieder ganz in seinen gewöhnlichen Trab gefallen. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das überrascht.« »Na ja, mit Wasser liegst du richtig – da hinten braut sich was zusammen.« Tatsächlich türmten sich über der Hügelkette dunkle Wolken auf, aber überzeugen konnten sie Nuka anscheinend nicht. »Das zieht doch eh wieder an uns vorbei.« »Nein, siehst du wie es sich aufbaut? Da, von rechts nach links.« »Und das bedeutet?« »Dass wir die beiden schnellstmöglich finden und nach Hause bringen sollten.« Ohne weitere Zwischenfragen zuzulassen, eilte Mheetu wieder voraus, diesmal allerdings in wesentlich zügigerem Tempo. Gegen die Natur Auch am Königsfelsen hatte man die herannahende Regenfront bereits bemerkt. »Bei dem Wetter können sie unmöglich jagen«, dachte sich Simba, der die Wand aus Wolken von der Felsterasse aus beobachtete. Also ging er nach vorne auf die Steinbrücke und rief laut Tamas Namen, der anschließend dreimal deutlich hörbar von den Felsen widerhallte. Noch während er umkehrte, konnte Simba bei den Liegeplätzen unter ihm eine Bewegung ausmachen und als er vor der Höhle ankam, war Tama schon auf dem Pfad, der hinauf zur Felsterasse führte. Bei ihm angekommen neigte sie zu allererst das Haupt. »Nkosi aka Nkosi!« Simba nahm die Anrede mit einem Nicken zur Kenntnis und deutete dann mit dem Kopf auf das heranziehende Unwetter. »Auch wenn es nur eine reine Formalität ist, aber ich muss ich das fragen, also: Was hast du vor?« Tama sah ihn nur einen Moment lang verdutzt an. »Heute Abend ist es Wahnsinn, jagen zu gehen.« »Natürlich werden wir jagen gehen.« »Was? Aber wieso, ich meine –« Simba erkannte seinen Fehler, als Tama den Kopf so hoch wie möglich hob und die Brust schwellte. Zwar hatte Sarabi ihr das Jagen beigebracht, doch viel über ihre neue Position hatte Tama nicht von ihr lernen können. Aber eines wusste sie – als Leitlöwin war es ihre Aufgabe, Entscheidungen zu treffen und genau das hatte sie getan. Heute Abend würden sie jagen gehen. »Tut mir Leid, du hast sicher einen Grund dafür.« Jetzt hatte Simba ihr gegenüber den Kopf gesenkt. »Den hast du bereits erkannt.« Nun deutete Tama auf die Regenwolken. Allerdings konnte Simba ihr nicht folgen, weshalb sie es noch etwas ausführlicher erklären musste. »Da kommt eine Menge Regen auf uns zu und wir brauchen heute oder morgen etwas zu essen, weil wir gestern nicht jagen waren.« Simba nickte kurz. So weit war er mitgekommen, doch er unterbrach sie nicht. »So wie ich das sehe, wird das Unwetter uns erst heute Abend erreichen. Das heißt zwar, dass wir wahrscheinlich im Regen jagen werden, aber der Boden sollte dann noch nicht zu aufgeweicht sein. Morgen dagegen wird alles verschlammt und rutschig sein.« Da konnte Simba nicht widersprechen. Doch anstatt zu antworten, sah er ihr lange in die bernsteinfarbenen Augen. Wo war die alte Tama abgeblieben, die nach außen hin immer so viel selbstsicherer tat, als sie es eigentlich war? Es schien, als stünde er nur noch dieser Fassade gegenüber, so entschlossen wirkte sie auf einmal. »Sarabi wäre stolz auf dich.« Besser konnte er es einfach nicht in Worte fassen. Aber so hohl es für ihn auch geklungen haben mag, so zeigte es trotz allem auf der Stille Wirkung bei ihr. Im ersten Moment lächelte sie nur, kniff dann allerdings die Augen zusammen und schien plötzlich den Tränen nahe. »Was ist? Habe ich –« »Simba, ich ... ich hätte dir das schon viel früher sagen sollen. Siri hat Sarabi eigentlich gar nicht angegriffen, sie ist ihm dazwischen gesprungen.« Man konnte ihr die Überwindung ansehen, die es sie kostete, wieder aufzusehen. »Ich denke, sie hätte gewollt, dass wir weitermachen.« Simba erwiderte ihren Blick und dabei wurde ihm klar, dass sie ihn genau verstand. Sarabi hatte in ihr beider Leben ein klaffendes Loch hinterlassen. Damit war Tama eine Seelenverwandte und es brauchte weder Worte, um das festzustellen, noch um ihr zu erlauben, ihren Kopf Trost suchend wie spendend in seiner Mähne zu vergraben. Urplötzlich erfasste sie eine frische, kühle Brise – der erste Vorbote des Unwetters. Simba war noch immer etwas benebelt und glaubte zunächst gar nicht, was er sah. Aber als der den angewehten Blüten hinterher blickte, wurde er sich immer sicherer – das waren genau die Blüten, die er gestern hatte davonfliegen sehen. Doch was er dann sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Über Tamas Nacken hinweg erkannte er einen Löwen dort, wo der Pfad zu den Legeplätzen die Felsterasse erreichte. Wie hatte er nur vergessen können, dass es noch immer Nachmittag war? Jeder hätte sie gerade entdecken können, nicht nur Mheetu. Schnell und unsanft lösten sie sich voneinander. »Stehst du schon lange da?« »Lange genug, um Nein zu sagen.« Simba zog kurz die Augenbrauen hoch. »Kluge Antwort.« Er glaubte nicht, dass Mheetu etwas verlauten lassen würde, also versuchte er, möglichst schnell zu einem anderen Thema zu gelangen. »Also, zu wem wolltest du eigentlich?« »Zu euch beiden. Ich war eben bei Tojo und wir haben gesehen, wie Tama hier hoch gekommen ist, da hat er mich nachgeschickt.« Mheetu wandte sich an Tama. »Er meinte, es würde um die Jagd gehen. Wenn ja, dann sollte ich nämlich fragen, wo sie heute stattfindet, damit er seine Streife planen kann.« »Interessant«, fuhr ihm Simba dazwischen. »Trotzdem möchte ich dich bitten, ihn zu holen. Ich würde gerne mit ihm über etwas reden, das nichts mit der Jagd heute zu tun hat.« Etwas enttäuscht aber ohne zu widersprechen, kehrte Mheetu um und lief wieder hinunter zu den Liegeplätzen, während Simba ein weiteres Mal mit Tama auf der Felsterasse allein gelassen wurde. »Sie hat dir viel bedeutet, nicht?« Tama ging wieder einen Schritt auf ihn zu, hielt diesmal aber einen gebührlichen Abstand ein. »Was?« »Simba, ich bin nicht die einzige, die bemerkt hat, dass du seitdem etwas abwesend bist. Sarabi war eine großartige Löwin und wir alle trauern um sie, aber das Leben geht weiter. Sie würde es so wollen.« »Ja, das denke ich auch.« In der Tat, Tama verstand seine Mutter sehr gut. Sie hatte Recht und deshalb war er besonders froh über seinen Einfall von heute Vormittag. Auch Tojo neigte zur Begrüßung das Haupt. »Nkosi aka Nkosi!« Zu seiner Überraschung tat Simba es ihm gleich, sodass er, als er aufblickte, dessen Nacken betrachtete. »Ich habe nachgedacht«, begann Simba. »Vor zwei Tagen ... hat sich dieser Unfall zugetragen, aber es hätte so viel mehr passieren können, wenn du nicht gewesen wärst. Mit Sicherheit verdanken wir die Rückkehr einiger unserer Löwinnen deiner Streife. Ich hätte nicht gedacht, dass ich das einmal sage, aber du hast wohl die meiste Erfahrung, was das angeht und deshalb möchte ich dich darum bitten, dass du mich mitnimmst und mir zeigst, was du weißt. Chumvi auch, wenn er danach fragt.« Tojo zog kurz die Mundwinkel zurück, doch sein Gesichtsausdruck entspannte sich schnell wieder. »Selbstverständlich, wann immer ihr wollt.« »Es kann gleich heute losgehen. Ah, und wenn wir schon beim Thema sind – warum hast du eigentlich Mheetu geschickt?« »Ich hatte ihm versprochen, ihn heute mitzunehmen.« Mheetu warf den Kopf von der einen Seite auf die andere, wodurch sein Mähnenansatz etwas umher wirbelte. Simba wusste sofort, was in ihm vorging. »Du kannst deine Mantlung wohl gar nicht abwarten. In Ordnung, ihr habt meinen Segen.« Die Zeremonie würde frühestens in drei Monden stattfinden, doch das schien den Kleinen nicht davon abzuhalten, an jeder Ecke so viel wie möglich für sein Leben als Erwachsener zu lernen. Tojo wartete einen Moment für den Fall, dass Simba etwas hinzuzufügen hatte und als das nicht geschah, wandte er sich an Tama: »Es wird heute wohl etwas unübersichtlich, da bleibe ich lieber in der Nähe. Wisst ihr schon, wo ihr sein werdet?« »Nein. Wir haben an einigen Ecken Beute gesichtet, aber ich denke, unsere Chancen sind da am besten, wo es am wenigsten regnet.« Im Verlauf des späteren Tages allerdings schien es immer mehr so, als würde es den Süden des Geweihten Landes am wenigsten erwischen. Andere Sorgen Während Simba seinen gewohnten Segen für die Jagdschwestern aussprach, fiel Tamas Rede kurz aus. Die Herausforderung, die ihnen bevorstand, war nur allzu offensichtlich und ebenso, wie wichtig es war, dass sie heute Beute schlugen. Den restlichen Abend verbrachte er mit Chumvi und den Kindern in der Höhle, denn oben auf dem Königsfelsen zu sitzen – da könnte er gleich von seiner Spitze springen. Draußen blitzte es wieder und wieder, gefolgt von Donnerschlägen, die das Gestein erzittern ließen. Dazwischen konnten sie den Regen hören, der in ungeahnten Massen auf die Erde niederschlug. Wie sollten sie nur in dem Chaos den Ruf der Löwinnen hören? Ganz vorsichtig trat Simba in den Eingang, wo er die Feuchtigkeit schon spürte. Schließlich machte er einen Schritt ins Freie, bereute es aber gleich im nächsten Moment, als das Wasser augenblicklich jedes bisschen Wärme aus seinem Körper zog und sein Fell schlaff herabhängen ließ. Doch eine schemenhafte Bewegung am Fuß des Königsfelsens hielt ihn davon ab, wieder ins Trockene zu gehen. Die Schatten kamen näher und im letzten Moment erkannte Simba seine eigenen Jägerinnen, dann erst entspannte er die Muskeln. »Und?« »Wir waren so kurz davor!« Tama schüttelte sich einiges an Wasser aus dem Fell, als sie auf die Felsterasse trat. »Ich habe meine Beute schon gespürt, aber ...« »Was?« »Ich konnte nicht sagen, was ich da vor mir hatte. Es hätte genauso gut eine von uns sein können. Das ist noch um einiges schlimmer, als ich erwartet hatte.« Die beiden hielten tapfer am Höhleneingang Wache, während die Löwinnen eine nach der anderen den Schutz ihres Heims betrat. »Papa, wo bleibt Mheetu?« Eigentlich war es kein Wunder, dass Kopa die Ankunft der Jägerinnen bemerkt hatte. Simba schreckte herum, aber auch Tama war anzumerken, dass sie die zwei streifenden Löwen völlig vergessen hatte. Sie nickten sich kurz zu, dann schritt Simba zügig nach vorne auf die Steinbrücke und brüllte, versuchte, gegen die Naturgewalten anzukommen, die ihm entgegen schmetterten. Alles was zählte, war, dass die beiden ihn hörten und nach Hause kamen. Aber sie kamen nicht. Nicht dass das Rudel sie damit für tot erklärt hätte – am wahrscheinlichsten war, dass die beiden irgendwo anders Unterschlupf gefunden hatten. Irgendwann aber hoben die Löwinnen eine nach der anderen die Köpfe und sahen zum Eingang. Simba folgte ihrem Blick und im nächsten Moment erkannte er, was ihre Aufmerksamkeit erregt hatte: der Geruch von Blut. Chumvi folgte ihm ohne Worte. Im Schatten der Seitenwände schlichen sie aus der Haupthöhle in den Gang, von wo aus sie schließlich einen den Eingang sehen konnten. Dort standen zwei Gestalten, wobei eine die andere ein wenig überragte. Von dieser schien auch der Blutgeruch zu kommen. Ein Blitzschlag tauschte die beiden für einen Augenblick in grelles Licht und Simba erkannte Mheetus Silhouette. Das andere musste demnach Tojo sein, doch sein Rücken war seltsam verformt. »Tojo? Mheetu? Seid ihr das?« »Ja.« Tojo trat vor und warf etwas von seinem Rücken vor Simbas Vorderpfoten. »Die Reste einer Antilope, die wir draußen gefunden haben.« Simba verstand nicht ganz. »Ihr seid doch keine Jägerinnen.« »Sieh sie dir genauer an!« Tojo ging einen Schritt zur Seite und wie aufs Stichwort beleuchtete ein weiterer Lichtblitz den Kadaver. Diese Kratzspuren waren ihm nur zu vertraut. »Hyänen?« »Wir sind gleich weiter zum Elefantenfriedhof.« »Und, was habt ihr gesehen?« »Nichts«, war Mheetus knappe Antwort. Auf Simbas Reaktion hin wandte er sich an Tojo: »Ich habe dort nicht weiter nachgefragt, weil ich schon gemerkt habe, dass das nichts Gute bedeutet, aber könnt ihr mir dann jetzt bitte erklären, warum?« Bevor er antwortete, sah Tojo zu Simba, der geduldig nickte. »Normalerweise schleichen sich die Hyänen nachts ins Geweihte Land, um leichter an Nahrung zu kommen. Wenn sie das aber nicht tun, dann bedeutet das –« »Dass sie auf dem Elefantenfriedhof genug haben. Dann haben sie deshalb auch die halbe Antilope liegen lassen.« »Richtig. Allerdings lebt auf dem Elefantenfriedhof außer den Hyänen rein gar nichts, also –« »Ist eine von ihnen gestorben. Würden sie das wirklich tun?« Mheetu schauderte merklich bei dem Gedanken. »Verstehst du jetzt, warum wir uns Sorgen machen?«, fragte Simba, sichtlich erfreut über Mheetus Auffassungsgabe. »Ehrlich gesagt, nein«, gestand der. »Für uns sind sie damit ja keine Gefahr.« »Ach so!«, rief Tojo nach kurzem Grübeln. »Du musst noch wissen, dass selbst die Hyänen die in Frieden von ihnen Gegangenen nicht anrühren. So viel Anstand haben sie dann doch.« »Also wurde eine von ihnen im Kampf getötet? Worum ging es dabei?« »Macht. Nach „seinem“ Sturz war es nur eine Frage der Zeit. Wenn sie so weit sind, dass sie sich gegenseitig angreifen, können sie nicht mehr gefährlicher werden. Sie sind noch viel unberechenbarer als sonst schon.« Er wandte sich an Simba. »Was können wir tun?« »Gar nichts – sie sind nicht auf unserem Land. Du hast hoffentlich nicht vor, sie alleine anzugreifen?« »Das wäre Selbstmord, aber wenn wir alle zusammen –« »Wie gesagt, es ist nicht unser Land, also kann ich keinen zwingen, uns zu helfen. Ich befürchte, wir können nur abwarten.« »Das ist ... unangenehm«, besann sich Tojo noch im letzten Moment mit einem Seitenblick auf Mheetu. »Ich weiß, aber dieses Gesetz muss unbedingt eingehalten werden, ansonsten –« »Könnte ein König seine Macht missbrauchen, um jemanden anzugreifen«, vollendete Mheetu wieder einmal den Satz. »Stimmt, Mheetu. Aber auf Dauer ist es unhöflich, andere nicht ausreden zu lassen«, tadelte ihn Simba. »Dann wäre das also geklärt? Nun gut, bringen wir den anderen das Essen.« »Viel ist es nicht«, erwiderte Tojo, nahm dann aber trotzdem ein Bein ins Maul und schleppte ihren Fund mit in die Haupthöhle. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)