The Son von Fay_Fee (Der etwas andere Nebenjob) ================================================================================ Kapitel 3: CHAPTER THREE ------------------------ CHAPTER THREE Der Tag der großen Feier rückte immer näher. Im Kunieda-Anwesen herrschte Hochbetrieb. Es wurde geputzt, dekoriert, Essen vorgekostet und unzählige andere Vorbereitungen getroffen. Ryu beobachtete das Treiben während dieser Zeit mit gemischten Gefühlen. So konnte er einfach nicht fassen, dass dieser ganze Terz wegen eines, seiner Meinung nach, einfachen Geburtstags veranstaltet wurde. Er dachte dabei an seinen eigenen neunzehnten Geburtstag. Sein Vater hatte im Garten ein BBQ für die Familie, Freunde und ein paar Nachbarn gemacht. Und auch ohne das ganze Drumherum, was Hiro an seinem Geburtstag erwarten würde, war es einer der tollsten Partys, die er je gefeiert hatte. Zwei Tage vor der Feier wagte Ryu einen Blick in den Festsaal, der auch als 'Halle der Götter' bezeichnet wurde. Der Saal überstieg sämtliche seiner Vorstellungen. Er erstreckte sich über drei offene Etagen. Das Erdgeschoss des Saales konnte sicher ohne Probleme 500 Gäste beherbergen. Auf den beiden Etagen jeweils noch einmal etwa 150. Er erinnerte sich an die Hochzeit seiner Cousine. Sie hatten damals große Probleme einen Saal für ihre knapp 300 Gäste aufzutreiben. Und Hiro hatte all diese Möglichkeiten nur fünf Minuten von seinem Schlafzimmer entfernt. Als er den edlen, weißen Marmorboden und die goldenen Säulen näher betrachtete, wurde ihm auch klar, woher dieser Saal seinen Namen hatte. Hiros Geburtstag viel auf einen Mittwoch. Ryu hatte lange nach einem passenden Geschenk gesucht, gab dann aber schließlich auf und fragte Hiro einfach gerade heraus. Was sollte er bloß jemandem schenken, der bereits alles, wirklich ALLES besaß? Hiros Antwort viel kurz und trocken aus: nichts. Das passte Ryu so gar nicht, denn er hätte es als unhöflich empfunden, ihm nicht wenigstens eine kleine Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Schließlich entschied er sich für die altbewährte Last-Minute-Idee. Er brannte Hiro eine CD mit seinen Lieblingssongs aus den USA. Da er sich nicht entscheiden konnte, wurde es ein Doppelalbum mit einem bunten Mix aus Hiphop, R'n'B, Soul und Pop. Das Album bekam den unkreativen Titel 'Hiro Goes To Hollywood', was den Empfänger aber nicht störte. Tatsächlich schien Hiro sich, trotz all seinen teuren Luxusgeschenken, über die CD am Meisten zu freuen. Und immerhin waren darunter Designerklamotten, teure Uhren und ein Smartphone, so technisch ausgeklügelt, wie Ryu es auf dem freien Markt noch nie gesehen hatte. Die Feier fand statt am Abend des zehnten November und sollte pünktlich um sieben beginnen. Ryu stand bereits in seinem neuen Umzug und frisch frisiert im Wohnbereich des Lofts, welchen er 'Lounge' getauft hatte, und begutachtete sich in der Spiegelung von Lennys Becken. Er trug einen schwarzen Anzug, darunter ein ebenfalls schwarzes Hemd und italienische Schuhe. Alles vom Feinsten. Luca saß in der Ecke und knurrte ihn böse an. Dieses Mal aber noch mehr als sonst. Ryu glaubte, es lag an seinem neuen Parfum. Er schaute auf die Uhr in der Küche. In zehn Minuten würde die Feier beginnen, die Gäste waren sicher schon fast alle eingetroffen und Hiro war immer noch nicht aus seinem Zimmer gekommen. Ryu fürchtete, dass er die Konsequenzen tragen würde, wenn Hiro zu spät käme. Doch dann kam er schließlich doch hinunter. Sein Anzug war dunkelblau und das Hemd dazu hellblau. Sein Haar hatte er irgendwie gebändigt und zu einem eleganten Scheitel frisiert. An seinem Handgelenk trug er eine goldene Rolex, eines seiner Geschenke. „Nicht schlecht, du siehst gut aus. Nur...“ Hiro zog herausfordernd eine Augenbraue hoch. „Nur was?“ Ryu grinste. „Diese Frisur... nicht schlecht aber... gewöhnungsbedürftig.“ Hiro grinste auch. „Im Gegensatz zu dir hab ich mir wenigstens Mühe gegeben, du Struwwelpeter!“ „Im Gegensatz zu dir muss ich auch nicht seriös wirken.“ Hiro schnaubte. „Okay, der Punkt geht an dich...“ Das Telefon klingelte. Ryu ging, inzwischen aus Gewohnheit dran. „Hier Bond, James Bond“, sagte er so mysteriös wie er konnte. Am anderen Ende konnte er hören, wie Miss Nori in den Hörer prustete. „Hören Sie mal, Ryu, so was können Sie doch nicht machen, wenn ich schon meinen ersten Champagner schlürfe!“ „Klar kann ich. Wir machen uns jetzt auf den Weg. Oder besser gesagt...“ Er senkte die Stimme. „Ich nähere mich nun mit dem Zielobjekt.“ Miss Nori kicherte noch mehr. „Wir sollten gleich unbedingt zusammen einen heben! Lassen Sie mich raten: geschüttelt und nicht gerührt?“ Ryu versuchte sich ein Lachen zu verkneifen. „Und vergessen sie um Himmels willen das Schirmchen nicht!“ Unter lautem Gelächter legte Miss Nori auf. Hiro sah ihn Kopfschüttelnd und schmunzelnd an. „Falls du dir das mit den Männern irgendwann mal anders überlegen solltest, dann heirate bitte Miss Nori. Einfach, weil ich sehen will, was dabei wohl für Kinder bei rum kommen.“ Laut lachend machten sich die Beiden auf den Weg zu Hiros Party. Ryu war erleichtert, dass Hiro an diesem Tag so locker wirkte. An den voran gegangenen Tagen befand er sich ständig irgendwo zwischen absolut genervt und unendlich nervös. Er war auch froh, dass Hiro sich, nach dem peinlichen Abend, wieder etwas gefangen hatte und die Beiden ihren bisherigen Umgang fortführten, wie er war. Allerdings spürte Ryu eine Veränderung, was seine Sichtweise auf Hiro betraf. Er hatte einen ganz anderen Einfluss auf ihn, als in der anfänglichen Zeit. Wo er ihm zu Beginn am liebsten die verwöhnten Ohren lang gezogen hätte, machte sich jetzt ein immer stärker werdender Drang ihn zu Schützen breit. Und das beinhaltete nicht nur, dass Ryu nicht von seiner Seite wich um eventuell bei Gefahr einzugreifen. Er hatte das Gefühl, ihn vor der ganzen Welt und dem Bösen, das in ihr lauerte, zu schützen. Seine zarten Hände halten und ihm unaufhörlich zuflüstern, dass er vor nichts angst haben musste, solange Ryu bei ihm war. Hiro wurde zudem immer offener. Ein paar Tage zuvor, als Hiro mal wieder wie einer Phase der Nervosität empfand, wollte Ryu ihn ablenken, indem er mit ihm eine Komödie schaute. Es ging um eine verworrene Liebesgeschichte, die zu einem unrealistischen und viel zu albernem Happy End führte. Hiro hatte ihm gestanden, dass er zwar schon einige Mädchen geküsst hatte, aber noch nie in einer richtigen Beziehung war. Sichtlich beschämt gab er ebenfalls zu, dass er auch kein Interesse an einer Beziehung hatte... oder an Sex. Ryu glaubte, es lag daran, dass er noch so unerfahren war. Ihm schwirrte allerdings noch ein anderer Verdacht im Kopf herum. Tief durchatmend standen sie, pünktlich auf die Sekunde, vor dem Nebeneingang des Festsaals. Hiro schloss seine Augen und atmete mehrmals tief durch. Ryu legte ihm die Hand auf die Schulter. „Wird schon schief gehen!“ Hiro sah ihn böse an. „Das hilft nicht wirklich. „Ehm... dann vielleicht... Hals- und Beinbruch?“ „Willst du mir Mut machen oder zu einem Nervenzusammenbruch führen?“ „Du wirst schon nicht den Kopf verlieren?“ „Halt einfach die Schnauze!“ Einer der Bediensteten näherte sich räuspernd. „Kann es losgehen?“ Hiro nickte, wenn auch nur zögerlich. Die Tür öffnete sich und Hiro trat herein. Ryu folgte ihm unauffällig einige Sekunden später. Alle Augen waren auf Hiro gerichtet. Und das waren verdammt viele. Während Hiro eine kurze Begrüßungsrede hielt, verschaffte sich Ryu einen ersten, flüchtigen Überblick über die Partygesellschaft. Im Saal waren Leute aller Altersklassen, sogar einige Kinder waren hier und da zu sehen. Und alle waren sie piekfein angezogen. Atemberaubende Kleider, elegante Anzüge, aufwendige Frisuren und teurer Schmuck. Für Ryu bestand kein Zweifel: diese Leute hatten allesamt verdammt viel Geld. Als Hiro seine Begrüßung beendet hatte, erklang Beifall und einige Glückwünsche wurden durch den Raum gerufen. Dann ging die Party los. Sofort nach seiner Rede kamen einige Gäste auf ihn zu, verbeugten sich oder schüttelten einfach seine Hand, beglückwünschten ihn und überreichten kleine Geschenke und Umschläge. Ryu fragte sich, ob die persönlichen Gratulanten wohl alle zu den Kuniedas gehörten oder zu den verfeindeten Clans. Er begutachtete die Leute, die sich um ihn herum standen, behielt Hiro dabei immer ein wenig im Blick. Plötzlich tippte jemand Ryu auf die Schulter. Als er sich umdrehte, erblickte er ein wirklich hübsches, junges Mädchen mit blond gefärbtem Haar und einem sehr knappen, blauen Kleid. „Und wer bist du?“ fragte sie Ryu mit zuckersüßer Stimme. „Ladys first.“ gab er mit einem charmanten Lächeln zurück. Sie kicherte. „Mein Name ist Misaki Koyama. Eigentlich solltest du mich kennen.“ Ryu missfiel der arrogante Ton, den sie plötzlich anschlug. „Ja, den Namen habe ich schon mal gehört.“ gab er trocken zurück. Misaki Koyama? Das Mädchen, dessen Vater hoffte, Hiro würde eine Bindung mit ihr eingehen? Er hoffte, dass er sie mit seiner Antwort nicht allzu sehr gegen sich aufgebracht hatte. Ihrem verbitterten Gesichtsausdruck nach zu urteilen war es dafür jedoch bereits zu spät. „Jeder hier kennt mich!“ gab sie bissig zurück. Ryu versuchte, die Situation so gut es ging zu retten und ließ seinen berühmten Charme spielen. Er verbeugte sich und sah Misaki Koyama tief in die Augen. „Es tut mir wirklich Leid, Miss Misaki, ich bin erst seit kurzem in diesem Geschäft. Selbstverständlich weiß ich, wer ihr seid. Nur war ich nicht darauf vorbereitet, einer so schönen, jungen Frau gegenüber zu stehen.“ Nach dieser Sülzbombe gab er ihr noch einen seichten Handkuss. Augenblicklich verwandelte sich ihre verbitterte Miene in ein strahlendes Lächeln. Ryu hatte wohl genau den richtigen Punkt erwischt. Sie kicherte gekünstelt. „Schon gut. Ausnahmsweise verzeihe ich dir. Ich wollte eigentlich dem Geburtstagskind gratulieren, aber... ich denke, das kann auch noch warten.“ Ryu wurde zusehends mulmiger zumute. „Ich weiß deinen Namen noch nicht.“ Er wünschte sich, er hätte vor dieser Party einige Dinge mit Hiro besprochen. War es klug, der Tochter des Erzfeindes einfach so seinen Namen zu nennen? Er glaubte nicht. „Hey, Mr. Bond!“ Dem Himmel sei Dank erschien genau in diesem Moment Miss Nori auf der Bildfläche. „Oh, Verzeihung!“ Sie machte eine kurze Verbeugung vor Misaki. „Guten Abend, Miss Koyama. Sie sehen toll aus!“ Miss Nori reichte ihm ein Glas mit etwas zu trinken... und einem Schirmchen drin. „Geschüttelt, nicht gerührt.“ Sie zwinkerte ihm zu und verschwand wieder. Entrüstet sah Misaki ihr hinterher. „So eine Frechheit!“ Glücklicherweise hatte Hiro die Situation mitbekommen und rettete Ryu aus seiner Lage. „Misaki, schön dich zu sehen.“ Sein Mund lächelte zwar, aber aus seiner Stimme vernahm Ryu tiefste Verachtung. „Hiro! Alles Gute Nachträglich, mein Lieber.“ Sie küsste ihn rechts und links auf die Wange. „Meine treueste Studienhilfe hast du ja offenbar bereits kennen gelernt. Misaki, das ist Ryu Yuan.“ „Studienhilfe, so so.“ Sie umkreiste ihn wie ein Löwe seine Beute. „Was macht dich denn zu so einem guten Nachhilfelehrer?“ Hiro schaute zu, offenbar abwartend, welche Antwort Ryu geben würde. Er versuchte cool zu bleiben. „Private Informationen gebe ich nicht so einfach raus.“ Misaki lächelte ihn verführerisch an. „Gutaussehend, verschwiegen und auch noch Intelligent. Kann man dich abwerben, Ryu?“ „Nein, kann man nicht.“ Misaki schien verwirrt, von Hiros Einmischung, die nicht nur sehr schnell kam, sondern auch sehr ruppig. „Mit Geld kann man alles kaufen, Hiro. Solltest du das nicht am Besten wissen?“ „Das weiß ich genauso gut, wie du wissen solltest, dass ein falsches Lächeln und ein tiefes Dekolleté nicht bei jedem funktionieren.“ Ryu glaubte für einen kurzen Moment, zwischen ihren Blicken kleine Blitze aufleuchten zu sehen. Eine Glocke war zu hören. Die Gespräche um sie herum verstummten. Alle Blicke richteten sich nun auf die große Bühne, die mitten im Saal aufgebaut war. Hiros Vater, wie immer äußerst schick gekleidet, betrat sie mit einem Mikrofon in der Hand. „Sehr verehrte Gäste, vielen Dank, dass sie so zahlreich erschienen sind, um mit uns gemeinsam den neunzehnten Geburtstag meines Sohnes zu feiern!“ Ein Applaus erfüllte die Halle. „Leider ist Hiro irgendwo in ihren Reihen verloren gegangen, deswegen werde wohl ich kurz einspringen müssen.“ Eine Chor falschen Lachens ertönte kurz. „Was ich eigentlich nur sagen wollte: das Buffet ist eröffnet.“ Und wie es eröffnet war. Das Buffet war nicht nur groß, es war gigantisch. Ryu wandte sich an Hiro. „Hast du Hunger? Bitte sag ja! Ich darf erst essen, wenn du auch isst.“ Das war eine der ganz wenigen Regeln, die Ryu am Anfang seines Jobs mitbekommen hatte: Auf Partys darf er erst essen, wenn Hiro dies auch tut. Und er musste genau beobachten, wen alle mit Hiros Essen in Berührung kam. Ein leicht genervtes Räuspern war zu vernehmen. „Da die Herren mich anscheinend vergessen haben, werde ich mich ein wenig an die frische Luft begeben.“ Ohne sich noch einmal umzudrehen stöckelte sie in Richtung der Terrasse. Hiro kicherte. „Von wegen 'frische Luft'. Die geht jetzt eine rauchen, um ihren Hunger zu unterdrücken.“ „Warum sollte sie das tun?“ „Diätwahn. Von mir aus können wir uns was holen.“ Ryu brauchte nicht zweimal zu überlegen, um das Angebot anzunehmen. Die Beiden schlängelten sich, möglichst unauffällig, damit Hiro nicht von Gratulanten aufgehalten wurde, durch die Menge. Dann endlich stand Ryu vor dem ersehnten Essen. Es gab alles, was man sich hätte vorstellen können: Salate, Suppen, Fisch, Fleisch, Gemüse, Obst, zahllose Beilagen und Unmengen an Desserts. Unter anderem eine dreistöckige Geburtstagstorte. Ryu nahm sich, zur Sicherheit, genau dasselbe wie Hiro. Das stellte kein Problem dar, denn es gab nichts, was Ryu nicht mochte. Außer Marzipan. Hiro nahm sich eine Tomatensuppe, etwas Salat mit Garnelen, Hähnchen, Reis und Currysauce. Ryu war mit dieser Auswahl mehr als zufrieden. Sie setzten sich zu Herrn Kunieda an den kleinen Familientisch, der ebenfalls ordentlich reinhaute. „Und Ryu, wie gefällt dir die Party?“ Ryu aß schnell die Garnele auf und trank einen Schluck von Miss Noris Drink, der sich als Cola Light entpuppte. „Großartig! Das Essen ist der Wahnsinn. Und dieser Saal ist der Hammer. Vielen Dank, dass ich einfach mitmischen darf!“ Dabei viel sein Blick auf Herrn Kuniedas Leibwachen, die alle mit Ohrstöpseln in den Ecken standen und auffällig unauffällig die Leute beobachteten. Herr Kunieda beugte sich vor und flüsterte ihm zu. „Genau das wollte Hiro. Jeder erwartet, dass Hiro von einem schweren Mann im Anzug begleitet wird. Wenn sie denken, er sei unbewacht, werden sie unvorsichtig und leichtsinnig. So hast du leichtes Spiel. DU musst nur unauffällig sein, bekommst du das hin?“ Ihm schlotterten zwar ein wenig die Knie, aber er nickte. „Guter Junge. Ach übrigens, hier deine Gehaltsabrechnung für den ersten Monat, ich hab ganz vergessen dir die zu geben. Das Geld ist bereits auf deinem Konto.“ Herr Kunieda reichte ihm einen Umschlag, der nicht zugeklebt war. Als Ryu diesen öffnete und die Zahl sah, die ganz unten abgebildet war, rechnete er, wie immer, In seine gewohnte Währung um, das mit den Yen bekam er nicht noch nicht so ganz auf die Kette. Als ihm klar wurde, welche Zahl dabei heraus kam, erstickte er fast an einem Stück Hühnchen. Fünftausend Dollar. Fassungslos starrte er Hiros Vater an. „Ist das Ihr ernst?“ quiekte er Atemlos. Herr Kunieda sah ihn fragend an. „Zu wenig?“ Ryu hob abwehrend die Hände. „Nein, Nein! Das ist... ich meine... Ich bin...“ Er zuckte mit den Schultern. „Das ist ganz normal.“ Ryu konnte es noch immer nicht glauben. Fünftausend Dollar. Und das jeden Monat. So viel Geld hatte er noch nie auf einen Schlag bekommen. Es war wie Weihnachten, Ostern, Thanksgiving, der vierte Juli, Chinesisches Neujahr und sein Geburtstag zusammen. „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie Dankbar ich bin!“ Unauffällig stecke Ryu den Umschlag in eine Innentasche seines Jacketts. Ryu und Hiro holten sich beide ein Stück von der Geburtstagstorte, die Hiro erst unter Beifall, offensichtlich peinlich berührt, anschneiden musste. Es war eine Schokoladentorte mit Sahne und einer Schicht Marmelade in der Mitte. Ryu wünschte sich, er hätte das Essen vorher weggelassen, denn die Torte war so mächtig, dass er glaubte bald zu platzen. Als alle Gäste satt und das Buffet fast leergeräumt war, begann eine Band zu spielen. Sie spielten eine Mischung aus Jazz und Swing und ein junges Ehepaar sangen dazu Hits von Frank Sinatra und anderen Größen der damaligen Zeit. Ryu hatte schon immer eine Schwäche. Hiro wurde während des ganzen Abends immer wieder in Gespräche mit älteren Herren und dessen Söhne verwickelt. Es ging um Wirtschaft und Politik und wie man sie verändern könnte. Ryu war fest davon überzeugt, dass einige dieser Herren mit Sicherheit in der ein oder anderen Politischen oder Wirtschaftlichen Entscheidung ihre Finger, und ihr Geld, im Spiel hatten. Er selbst beteiligte sich nicht an diesen Gesprächen, sondern hörte nur aufmerksam zu. Er war erstaunt, wie viele Gesichter er wiedererkannte, die er seit seinem Aufenthalt in Japan aus dem Fernsehen oder den Nachrichten kannte. Ein Paar Politiker und Geschäftsmänner, damit hatte er bereits gerechnet. Aber auch Leute aus Film und Fernsehen waren vertreten. Sogar ein berühmter Nachrichtensprecher tummelte sich in der Menge. Ihm wurde jetzt erst klar, wie tief die Yakuza in der Entwicklung Japans mitmischten. Er wusste nicht, ob er das beeindruckend, oder beängstigend finden sollte. Während er den Gesprächen lauschte, tippte er die ganze zeit mit dem Fuß zur Musik. Er konnte sich kaum ruhig auf der Stelle halte. Seine Blicke schweiften immer häufiger zu den Paaren, die sich auf der Tanzfläche ausgelassen dem Rhythmus hingaben. Er hatte es Hiro nie erzählt, aber er war selber ein leidenschaftlicher Tänzer. Irgendwie lag ihm Swing, Salsa und Co einfach im Blut. Irgendwer tippte ihm plötzlich auf die Schulter. Als er sich umdrehte, stand eine Frau mittleren Alters vor ihm. Sie hatte ihr langes Haar zu einem strengen Knoten gewickelt und trug ein dunkelrotes Kleid mit einer Pelzstola. Aber ihr Blick war warm und freundlich. „Ich nehme an, Sie sind Ryu? Ich habe schon viel von ihnen gehört.“ Ryu wusste nicht recht, wie er damit umgehen sollte. Da tauchte Herr Kunieda aus der Menge auf. „Ah, du warst mal wieder schneller als ich. Ryu, darf ich Vorstellen? Das ist Hiros Liebreizende Tante und meine jüngere Schwester Moriko.“ Ryu machte sofort eine tiefe Verbeugung. „Verzeihung, das habe ich nicht gewusst. Ich war gerade kurz irritiert. Ryu Yuan, es freut mich, Sie kennen zu lernen.“ Hiros Tante lachte auf. Das erste Mal an diesem Abend, dass er ein ehrliches Lachen hörte, das von Herzen zu kommen schien. „Das macht doch nichts, mein Junge. Lassen Sie sich mal etwas genauer anschauen.“ Die Art, wie sie ihn umkreiste und dabei musterte, machte ihn etwas nervös. „Ein hübscher, junger Mann.“ Sie zwanzig Jahre zu jung.“ Herr Kunieda schüttelte mit dem Kopf. „Meine Liebe Schwester ist mit einem offenen Herzen und einem losen Mundwerk geboren.“ Sie grinste frech. Ryu konnte nicht anders, als ebenfalls zu grinsen. „Gefällt Ihnen die Feier, Frau...“ Ryu wusste Ihren Nachnamen gar nicht. „Nennen sie mich einfach Moriko. Das macht fast jeder.“ In diesem Moment stieß Hiro zu ihnen. Mit einem breiten Lächeln schloss er seine Tante in die Arme. „Moriko! Schön, dass du kommen konntest! Wie geht es dir?“ Sie stupste ihn mit dem Ellenbogen an. „Na hör mal, ich habe doch wohl Zeit, meinem einzigen Neffen zum Geburtstag zu Gratulieren.“ Sofort waren Hiro und seine Tante in ein lebhaftes Gespräch verwickelt. Ryu machte es richtig Spaß dabei zuzusehen, wie sehr Hiro aufblühte. So herzhaft hatte er ihn nie zuvor Lachen gesehen. Unbemerkt hatten es Hiro und auch seine Familie geschafft, sich einen Platz in seinem Herzen zu ergattern. Herr Kunieda lehnte sich zu ihm hinüber. „Moriko sich Hiros Erziehung gewidmet, nachdem seine Mutter abgehauen ist.“ „Seine Mutter ist abgehauen?“ Die Frage kam schneller, als ihm lieb war. Schließlich sprach er nicht mit irgendwem, sondern mit Hiros Vater. „Oh, es tut mir leid! Ich wollte nicht zu forsch wirken.“ Herr Kunieda schaute ihn besorgt an. „Hat Hiro dir etwas anderes erzählt?“ Schnell schüttelte er den Kopf. „Nein, wir haben nicht ein einziges Mal über sie gesprochen.“ „Hast du nicht gefragt?“ „Nein. Ich habe schon oft festgestellt, dass es vielen in so einer Situation unangenehm ist, darüber zu reden. Ich wollte warten, bis er selbst auf mich zukommt.“ In Wahrheit brannte Ryu diese Frage aber schon lange auf der Zunge. Sicher, er fragte auch aus Höflichkeit nicht. Aber vor allem auch aus Angst. Bislang glaubte er, Hiros Mutter sei verstorben. Besser gesagt sie 'schläft bei den Fischen... oder dem Fisch.' „Als Kazumi ging war Hiro vier Jahre alt. Moriko hat alles getan um sie zu ersetzen, aber sein Herz war gebrochen.“ Und seines? Ryu war erstaunt, wie trocken Herr Kunieda darüber sprach. Vielleicht war es für ihn einfacher gewesen es zu akzeptieren. Wer weiß, was zwischen ihnen vorgefallen war. „Tanzt du eine Runde mit mir, Ryu? Einen flotten Swing?“ Frau Moriko hatte ihn aus seinen Gedanken gerissen. „Wie, was? Tanzen? Na ja, also...“ Er schaute zu Herrn Kunieda. Dieser deutete lächelnd auf die anderen Securitys, die am Rand standen. „Liebend gerne, Frau Moriko.“ Er verbeugte sich und hielt ihr, ganz die alte Schule, den Ellenbogen hin. Sie hakte sich kichernd unter und ließ sich von ihm auf die Tanzfläche führen. Passenderweise spielte die Band nun ein sehr fröhliches, schwungvolles Lied. Er packte sie bei der Hand und an der Hüfte und begann sofort sie gekonnt über die Tanzfläche zu wirbeln. Frau Moriko erwies sich als gute Tanzpartnerin und sie hatten viel Spaß auf der Fläche. Einige andere Paare blieben stehen, schauten zu und klatschend bewundernd Beifall. Bis plötzlich der Strom ausfiel. Aufgeregtes, fast panisches Gerede, erfüllte den Raum. Herr Kunieda versuchte seine Gäste zu beruhigen, doch es half nichts. Frau Moriko zog Ryu an sich heran. „Schnell, du musst zu Hiro!“ Ryu hatte ihn, trotz der wilden Tanzeinlage, nicht aus den Augen gelassen. Er bahnte sich einen Weg durch die Leute, bis er ihn schließlich fand. „Hiro?“ „Ja, ich bin hier.“ Er fasste ihn am Oberarm und stellte sich Instinktiv dicht vor ihn. „Alles okay?“ „Ja, alles... hhhmpfff!!“ Ryu konnte nichts sehen. Im Saal war es dunkel und er hatte sich noch nicht an das Mondlicht gewöhnt, dass durch die Fenster schien. Er spürte nur, wie Hiro von ihm weggerissen wurde. Im selben Moment packte ihn jemand bei der Schulter und versuchte, ihn zu Boden zu drücken. Gekonnt duckte Ryu sich nach unten und trat der Person die Beine unter den Füßen weg. Mit einem dumpfen Schlag landete er auf dem Boden. Er musste dabei einen Kellner oder so mit umgerissen haben. Es waren jede Menge Gläser zu hören, die am Boden zerschellten. Nun brach Chaos aus. Ryu wurde von allen Seiten angerempelt und geschubst. Es war eine außer Kontrolle geratene Party voller Yakuza. Eine Frage der Zeit, bis die ersten Schüsse fallen würde. Orientierungslos blickte Ryu umher. Als er schon beinahe die Hoffnung aufgegeben hatte sah er, wie zwei Gestalten sich über die Terrasse davonschleichen wollten. Ryu zögerte keine Sekunde und rannte los. Unterwegs rempelte er zahlreiche Gäste um, aber das war ihm egal. In ihm wuchs die Angst. Hätte er doch bloß besser aufgepasst! Er rannte auf die Terrasse und sah gerade noch, wie die Gestalten im Garten verschwanden. Ryu spurtete hinterher. Hinter der nächsten Ecke fand er sie. Es waren zwei große Männer einer von ihnen warf Hiro, der offenbar betäubt war, vor seine Füße. Der Andere hielt ihm eine Pistole an den Kopf. Er konnte den Mann mit der Waffe reden hören. „So, hier ist Endstation, du kleiner Mistbengel! Jetzt kann dir nicht mal mehr dein Vater helfen!“ Als Ryu sah, wie er die Waffe hob, um Hiro zu erschießen, tat er das Einzige, was ihm einfiel: er zog einen seiner Schuhe von den Füßen und warf ihn mit voller Wucht dem Schützen entgegen. Er traf die Hand des Schützen, die die Pistole hielt. Diese flog ihm in hohem Bogen aus der Hand. Sichtlich verwirrt blickte der Schütze hektisch umher. Und auch sein Komplize schien verwirrt. Ryu nutzte die Gunst der Stunde und spurtete auf die Männer zu. Den großen, der Hiro getragen hatte, erledigte er mit zwei sehr schnellen Faustschlägen auf die Schläfe. Dann drehte er sich blitzschnell um und trat dem Schützen, der nach der Waffe am Boden suchte, gegen die Kniescheibe. Er konnte spüren, wie unter der Kraft seines Tritts die Kniescheibe des Mannes heraussprang. Schreiend kauerte er auf dem Boden. Der Andere, den Ryu zuvor mit seinen Fäusten außer Gefecht gesetzt hatte, rappelte sich auf und schwankte auf ihn zu. Doch er Kam gar nicht erst bis zu ihm. In diesem Moment tauchten die Männer von Herrn Kuniedas Security auf und überrumpelten die Männer. Herr Kunieda folgte ihnen. „Hiro!“ Er kniete sich neben Ryu auf den Boden. „Hiro, kannst du mich hören?“ Hiro stöhnte auf und blinzelte mit den Augen. Erleichtert atmeten Herr Kunieda und Ryu auf. „Alles in Ordnung? Hast du Schmerzen?“ Hiro sah sich verwirrt um. „Was... was ist... passiert?“ Ryu half ihm, sich aufzurappeln. Einer der Securitys reichte ihm eine Flasche Wasser. „Gut gemacht, Ryu. Das war Haarscharf.“ Er blickte zu seinen Männern. „Und?“ Einer von ihnen antwortete knapp. „Ishida-Clan.“ Herr Kunieda machte eine Kopfbewegung und die Männer schleiften die Angreifer weg. „Ryu, bei dir auch alles gut?“ Er nickte knapp. „Gut. Ich möchte, dass du Hiro sofort zurück ins Loft bringst. Einer der Männer wird euch auf dem unauffälligsten Weg dorthin begleiten.“ „Und die Party?“ „Ich denk mir was aus, das kennen die eh alle schon.“ So schnell es ging, schleifte Ryu Hiro, der langsam wieder zur Besinnung kam, über das dunkle Gelände. Der Mann von der Security kannte zum Glück einen kurzen Weg an den Partygästen vorbei. Auf dem Weg dorthin erzählte er Hiro, was passiert war. Vor der Tür ließ der Mann die Beiden alleine. Ryu gab den Code ein und ließ seine Finger scannen, die mittlerweile im System waren. Als sie das Loft betraten, wurde Ryu von einem unfreundlichen Knurren begrüßt. „Jetzt nicht, du blöder Köter!“ Er schien es sehr bestimmt gesagt zu haben, denn Luca legte sich mit eingezogenem Schwanz auf den Boden. Ryu bugsierte Hiro auf die Liegewiese. Dann wischte er sich den Schweiß von der Stirn und zog sein Jackett aus. Hiro war wieder bei Sinnen, nur etwas verwirrt. „Kannst du mir Wasser holen?“ sprach er mit heiserer Stimme. „Natürlich.“ Ryu ging zum Kühlschrank und holte eine Flasche. Dann nahm er noch ein Glas aus dem Regal. Er schenkte ihm etwas ein und reichte es ihm. Dann trank er selbst einen großen Schluck. Er seufzte tief. „Das war ja mal was.“ „Es tut mir so leid.“ sprach Hiro. Ryu verstand nicht ganz. „Wie meinst du das? Was tut dir leid?“ Hiro starrte wie gelähmt auf sein Glas. „Wenn ich nur... etwas stärker wäre... dann...“ Ryu sah ihn an. „Dann was?“ „Dann... hättest du dich nicht... ich meine... du müsstest dich nicht in solche... Gefahren begeben.“ Er zitterte am ganzen Körper. Ryu nahm ihm das Glas aus der Hand und stellte es zusammen mit der Flasche zu Boden. Dann setzte er sich vor Hiro. Ryu umfasste sein Gesicht mit seinem Händen. „Sieh mich an.“ Zögerlich blickte Hiro auf und sah ihn mit seinen dunkelbraunen Augen an. Hiro wirkte zerbrechlicher als je zuvor. Er strich ihm, ohne dass er es bemerkte, durch die Haare und sprach ganz sanft um ihn zu beruhigen. „Es ist mein Job, dich zu beschützen. Sonst wäre ich doch gar nicht hier.“ Hiros Blick schien seine Augen zu fixieren. Als würde er in ihnen etwas suchen. Ryu spürte, wie sein Atem plötzlich schwerer wurde und sein Herz lauter schlug. Hiros Stimme zitterte noch ein wenig. „Ich weiß nicht genau wieso, aber... ich fühle mich jetzt besser.“ Ryu legte seinen Arm um Hiro. „Ich glaube, ich weiß wieso.“ Ryu wusste nicht, wie ihm geschah. Aus einem starken, inneren Drang heraus, zog er Hiro an sich heran und küsste ihn sanft. Und zu seiner Verwunderung ließ Hiro ihn. Er stieß ihn nicht von sich weg, versuchte nicht, es zu beenden. Ryu spürte, wie sein Atem ruhiger wurde. Langsam löste Ryu seine Lippen von ihm. Er sah ihm in die Augen und wartete auf eine Reaktion. Schlagartig lief Hiro dunkelrot an. Doch er wich nicht zurück. Er versteckte sein Gesicht, indem er sich an Ryus Brust drückte. Ryu streichelte wieder durch sein Haar. Dann begann Hiro leise zu reden, aber nicht mehr zittrig. Es klang fester und bestimmter. „Ryu... Ich weiß nicht, was im Moment mit mir passiert. Alles in mir spielt verrückt. Seit du da bist hat sich was verändert. Ich kann es nicht zuordnen, ich weiß nur, dass...“ Er hörte mitten im Satz auf. Ryu sprach sanft weiter. „Dass was?“ „... Bitte, bleib bei mir. Wenigstens heute.“ Ryu lächelte. „Gerne.“ Dann legte er sich auf die Liegewiese und zog Hiro sanft zu sich. Dieser lehnte sich wieder an seine Brust. Ryu griff nach einer der Stoffdecken, die überall herumlagen, und deckte sie beide zu. Er gab Hiro noch einen sanften Kuss auf die Stirn. Es dauerte nur wenige Augenblicke, da schlief Hiro sanft in seinen Armen ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)