Wie es dazu kam von Kyo-chi ================================================================================ Wie es dazu kam --------------- Mit einem kaum hörbaren Klacken fiel die Tür hinter ihm ins Schloss und seufzend ließ er seine Tasche auf den Boden sinken, entledigte sich seiner Jacke, die er auch gleich an den Haken hängte. Es brauchte ein paar Anläufe, bis er eben jenen traf, war es doch recht dunkel in der Wohnung. Aber er kannte sich aus und war im Moment einfach zu faul das Licht einzuschalten. Zu guter Letzt widmete er sich seinen Schuhen, zog die Schnürsenkel auf und streifte sie sich etwas grob von den Füßen, ließ sie einfach auf dem Boden liegen. Warum sollte er sie ordentlich hinstellen, wenn er sie morgen sowieso wieder anzog? Lieber sparte er sich die Arbeit und einige Sekunden, umso früher konnte er es sich auf der Couch gemütlich machen. Und so ging er langsam den Flur entlang, kam jedoch nicht weit, da er sich in irgendetwas verfing, stolperte und nur mit Mühe und Not sein Gleichgewicht behielt und nicht mit Ach und Krach auf dem Boden landete. Genervt knurrte Die, brauchte einen Augenblick, um wieder ganz zu sich zu kommen und tastete an der Wand entlang zum Lichtschalter, den er nun doch betätigte. Immerhin hatte er keine Lust, sich vielleicht die Beine zu brechen. Und binnen weniger Sekunden wurde der Flur bereits von einem warmen Licht durchflutet, so dass er erkannte, welche Stolperfallen sich vor seinen Füßen befanden. Auf dem Boden lagen einige Stoffe, schwarze Kleidung, die den Weg durch den ganzen Flur bis hin zum Badezimmer säumten. Irritiert besah er sich das ganze Ausmaß. Was war denn hier nur geschehen? Eigentlich war Die davon ausgegangen, dass er alleine zuhause war, aber scheinbar hatte er sich da wohl getäuscht. Unerwarteter Besuch schien sich angekündigt zu haben. „Kyo?“, fragte er verwundert nach, konnte es doch nur eben jener sein, der sich in seiner Wohnung befand. Zwar lebte Kyo nicht hier, aber er besaß einen Schlüssel zu dieser Wohnung, genauso wie Die einen zu Kyo's besaß. Und obwohl Kyo eine eigene Wohnung hatte, hielt er sich viel häufiger bei Die auf, lebte hier die meiste Zeit über und hatte sich sogar mehr oder weniger häuslich eingerichtet. Auf die Frage, ob er denn ganz bei ihm einziehen wollte, hatte Kyo bisher aber immer verneint. Zuerst waren ihm die Beweggründe seines Freundes unklar, doch je länger er ihn kannte, je häufiger sie zusammen waren, je öfter Kyo bei ihm in der Wohnung war, desto mehr verstand Die es. Kyo brauchte einen Rückzugsort. Einen Platz, an dem er das fand, wonach er sich oft sehnte - Ruhe. Solch einen Ort gab es in Die's Wohnung leider nicht. Er besaß kein freies Zimmer, in welchem sich Kyo einrichten und zurückziehen konnte, wenn er es brauchte, in dem er einfach verschwinden konnte, wenn er nicht gestört werden wollte. Aus diesem Grund behielt das Warumono seine Wohnung, einfach nur um sich zurückziehen zu können, wenn es ihm zu viel wurde. Dennoch erklärte dies gerade nicht, warum er hier war. Kyo hatte ihm heute Morgen mitgeteilt, dass er etwas vor und somit keine Zeit hatte, um vorbei zu kommen. Aber nun war er hier und hatte ein Chaos hinterlassen, das seinesgleichen suchte. Manchmal konnte Kyo wirklich mehr als unordentlich sein. So gut er alles plante und tat, so perfekt seine Auftritte und Bewegungen waren, so chaotisch war des Öfteren der Rest seines Lebens und auch aufräumen gehörte nicht unbedingt zu seinen Stärken. Deshalb sammelte Die gleich die ganzen Kleidungsstücke und Fetzen auf, die sich über den Boden schlängelten, fast so, als hätte sich eine Schlange quer durch seine Wohnung gehäutet. Ein Grinsen breitete sich bei diesem Gedanken auf seinen Lippen aus. Vielleicht fand er Kyo ja nackt vor? Vielleicht hatte er es sich auf dem Bett bequem gemacht und wartete nur noch auf ihn. Oder er lag in der Wanne und entspannte, so dass er einfach nur zu ihm schlüpfen musste. Die's Fantasien fuhren Achterbahn, sein Grinsen wurde noch etwas dreckiger und angetan biss er sich auf die Unterlippe, beschleunigte seinen Schritt ein wenig und sammelte hier und da die ganzen Sachen auf, legte sie sich über den Arm, um sie später Kyo in die Hand zu drücken, damit er sie wegräumte. Nur weil er alles zusammentrug, hieß das immerhin nicht, dass er es letztendlich auch alles zurück an seinen Platz räumte. Nachdem er der Spur gefolgt war, führte ihn sein Weg ins Badezimmer, in welchem noch immer das Licht brannte. Die stieß die Tür ein wenig auf, vorfreudig auf das, was kam. Zu seiner Enttäuschung war da aber kein Kyo. Sein Grinsen verschwand, stattdessen fiel ihm beinahe die Kinnlade herunter und seine Augenbraue begann leicht zu zucken. „Kyo…“ Die's Stimme war leise, aber dennoch lag eine gewisse Schärfe in ihr. Was hatte der Kerl hier nur angestellt? Das Chaos im Flur war nichts gegen das Bild, welches sich ihm hier bot. Es sah aus wie nach einem Erdbeben, nach einem Bombeneinschlag. Kreuz und quer lagen Schminkutensilien auf dem Boden, Pinsel, Stifte, Tiegel und Töpfchen. Und auch das Waschbecken und die kleine Ablage darüber waren gesäumt von Kyo's Sammelsurium an Schminkkram. Wo Die auch hinsah, überall kleine Döschen, Tuben oder gar Fläschchen in allen möglichen Formen, Farben und Größen. Noch schlimmer war aber, dass sein gesamtes Waschbecken, die Fliesen an der Wand dahinter und auch der große, frisch geputzte Spiegel hier und da mit schwarzer und weißer Farbe beschmiert waren. Die's entsetzter, beinahe wütender Gesichtsausdruck wurde verzweifelt. Gestern hatte er alles sauber gemacht und nun glich sein Badezimmer einem Schlachtfeld. Was hatte Kyo hier nur angerichtet? Mit einem genervten Schnaufen schmiss er das Bündel Kleidung auf den Boden, wandte sich ab und verließ stampfend den Raum, durchsuchte die Wohnung nach dem kleinen, frechen, vor allem aber unberechenbaren Warumono. Kyo konnte sich jetzt etwas anhören. So wichtig er ihm auch war und so sehr er ihn auch liebte, das hier ging einfach zu weit. Er konnte doch nicht einfach zu Besuch kommen und seine Wohnung in Schutt und Asche legen. Und das binnen weniger Stunden, in denen Die lediglich beim Friseur und kurz bei Kaoru war. „Kyo“, knurrte er leise und ging zum Schlafzimmer, in welchem er seinen Freund vermutete. Wo sollte er sich auch sonst aufhalten? Als Die an der Küche vorbeigegangen war, hatte er seinen Freund nicht entdeckt und mehr Zimmer besaß er nicht. Außer noch sein Wohnzimmer. Durch eben jenes führte ihn sein Weg und auch in diesem Raum lagen hier und da noch einige schwarze Sachen auf dem Boden, sogar die Couch war gesäumt von Kleidungsstücken. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Das hier war doch kein Vergnügungspark, der heute kostenfrei seine Pforten für Kyo's wahnwitzige Ideen öffnete, damit er sich ausleben und alles im Chaos versinken lassen konnte. Das hier war seine Wohnung, die er gestern geputzt und aufgeräumt hatte! Und nun sah sie schlimmer aus als je zuvor. So entwickelte sich langsam Wut in seinem Bauch. Wut, die er nur selten spürte, Wut auf Kyo, der alles so durcheinander gebracht hatte, Wut, die ganz sicher gleich wieder verschwand, spätestens dann, wenn Kyo zu ihm kam, sich entschuldigte und versprach, es nie wieder zu tun. Und so wie immer, wenn er irgendein Durcheinander hier anrichtete oder etwas tat, was Die nicht gefiel, verzieh er ihm und alles war wieder gut. Aber daran wollte Die gerade nicht denken. Er war wütend! Und heute wollte er es auch bleiben. Wenigstens kurz, wenigstens ein paar Minuten, wenigstens bis er Kyo die Meinung gegeigt hatte. Doch bereits als er die Tür des Schlafzimmers öffnete und hineinsah, verschwand seine Wut und machte Verwunderung Platz. „Kyo?“ Wieder entkam Die der Name seines Freundes, welcher auf dem Bett saß, eingehüllt in schwarzen Stoff, in einen Kimono, auf welchem vereinzelt große, farbige Blüten zu erkennen waren. Schon lange hatte Die dieses Kleidungsstück nicht mehr an seinem Freund gesehen und es irritierte ihn sichtlich, dass er es nun trug. Dazu hatte er sich ein langes, schwarzes Tuch über den Kopf gehangen, welches beinahe wie eine Art Schleier wirkte. Zumindest vermutete Die das in dem etwas abgedimmten Licht, welches den Raum nur wenig erhellte. Normalerweise hatte Kyo doch nie etwas auf dem Kopf, wenn er einen Kimono trug. Das konnte nur ein Tuch sein. Aber warum? Was hatte er vor? Und warum blickte er noch immer nicht zu ihm, sondern hielt den Kopf zu Boden gerichtet, rührte sich keinen Zentimeter? „Ist alles okay bei dir?“ Je länger Die das Bild vor sich betrachtete, desto besorgter wurde er und die Wut von zuvor war gänzlich verschwunden. War ja klar. Im Moment kümmerte es ihn aber nicht. Nur Kyo zählte. Und dessen Verhalten war mehr als nur merkwürdig. Vorsichtig trat Die weiter in den Raum, sah sich um und versuchte auszumachen, was gerade los war. Doch alles schien normal und sein Schlafzimmer sah noch immer aufgeräumt aus. Lediglich Kyo passte nicht hierher. „Warum sprichst du nicht mit mir?“, fragte er vorsichtig nach und das mulmige Gefühl in seinem Bauch breitete sich nur noch mehr aus, so dass er leise schluckte, unsicher weiterging. Kyo sollte mit ihm sprechen. Sein Verhalten rief Beklemmung in ihm hervor, einfach nur, weil er nicht wusste, was los war. Selbst als er neben seinem Freund stand, ihn von der Seite betrachtete, den Kimono und das Tuch beäugte, regte sich Kyo noch immer nicht und so sehr er sich gerade auch dagegen sträubte, noch näher zu ihm zu gehen, ihn zu berühren oder dergleichen - er tat es. Zögerlich ließ Die seine Hand auf Kyo's Schulter sinken, spürte den glatten, seidigen Stoff, der sich unglaublich angenehm auf seiner Haut anfühlte. „Kyo…“ Langsam kam er sich wirklich dumm vor, dennoch ging er noch einen Schritt weiter zu ihm, beugte sich etwas vor, damit er ihn besser ansehen konnte. Und endlich regte sich Kyo, drehte seinen Kopf langsam zu ihm. Und das, was er erblickte, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren und mit einem leisen, aber dennoch angsterfüllten Schrei wich er zurück, stolperte und landete mit einem schmerzerfüllten Zischen auf den Boden. „Sag mal, spinnst du?!“, schrie er den Kleineren panisch an, Tränen bildeten sich vor Schreck in seinen Augen und er spürte, wie sein Herz ihm bis zum Hals schlug, wie sein Blut nun kochte, sein Puls raste. „Du hast sie doch nicht mehr alle!“ Wieder schrie er, einfach nur weil er überfordert war und er das alles nicht verarbeiten konnte. Kyo saß da, in seinem Kimono, das Tuch über seinem Kopf, so dass man nur sein Gesicht erkannte. Eine angsteinflößende Fratze war auf dieses geschminkt, ein Totenschädel, der für Die in diesem Moment einfach zu real wirkte. Zu allem Überfluss lachte Kyo jetzt auch noch, lachte ihn aus, wo er sich doch vor Angst beinahe in die Hosen machte. Wie konnte sein Freund ihn nur absichtlich so erschrecken und es auch noch lustig finden? „Du bist so ein Aas.“ Noch immer hörte man heraus, wie Die sich fühlte und zitternd versuchte er sich zu erheben, rieb sich über sein Steißbein, welches unglaublich schmerzte. Und das alles war nur Kyo's Schuld. Wie konnte er nur so etwas machen? „Es tut mir leid“, entschuldigte sich dieser aber letztendlich und erhob sich nun, lächelte, was die Fratze in seinem Gesicht nur noch gruseliger erscheinen ließ. Die konnte einfach nicht hinsehen und wich dem Blick seines Freundes aus, sah zu irgendeinem Fleck, aber bloß nicht zu Kyo. Am liebsten wollte er ihn einfach nur weiter anbrüllen, solange, bis er sich abgeregt hatte und er wieder voll bei Verstand war. Doch Kyo's liebe Stimme, wie er sich entschuldigte und schließlich zu ihm trat, sich an ihn schmiegte, ließ seinen Plan scheitern, er zerplatzte wie eine Seifenblase. Wieder schluckte Die, bemüht sich zu beruhigen und seinen Herzschlag wieder unter Kontrolle zu bringen. „Was soll das?“ Krampfhaft hatte er die Finger in sein Shirt gekrallt, versuchte Kyo nicht zu umarmen, so wie er es sonst immer tat. Auch einen Kuss wollte er ihm unter keinen Umständen geben. Das verdiente er nicht und Die wollte ihm zudem kein zweites Mal ins Gesicht sehen. Nicht jetzt, nicht bei diesem Licht, nicht bei dem, was er dann wieder erblickte. „Mein neues Bühnenoutfit“, verkündete das Warumono fröhlich und er drängte sich etwas mehr an den Körper Die's, reckte sich zu ihm und gab ihm einen federleichten Kuss, immer darauf bedacht sein kunstvoll geschminktes Gesicht nicht zu verschmieren. Immerhin hatte es viel Arbeit gekostet, bis er alles so hatte, wie er es wollte. Es war ein Meisterwerk, welches er jetzt noch nicht zerstören wollte. „Dein neues Bühnenoutfit?“, krächzte Die heiser, verstand noch immer nicht, warum Kyo so etwas tat. „Und warum musstest du das an mir testen?“ Kyo sollte ihn gut genug kennen, um zu wissen, wie er auf so etwas reagierte. Er hasste Horrorfilme, sah sich diese nur unter Zwang mit seinem Freund an. Er hasste Skelette, Totenschädel, einfach alles, was damit zu tun hatte, sofern es wirklich real wirkte. Und das hier wirkte mehr als nur real. „Ich wollte nur sehen, ob es auch die Wirkung erzielt, die es erzielen soll.“ Kyo's Stimme klang zufrieden, beinahe wie ein Schnurren und er drängte sich mehr an den größeren Körper seines Freundes, geschmeidig, so wie eine Katze. Ein tiefes, verständnisloses Seufzen entkam Die's Lippen und er fuhr sich unwirsch durch sein rotes Haar, legte zögerlich einen Arm um Kyo's Hüfte, sah ihn aber noch immer nicht an, sondern krallte sich nur in den seidigen Stoff des Kimonos, versuchte die ganze Situation zu kompensieren. „Ich nehme an, es hat genau diese Wirkung erzielt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)