Schlangenprinzessin von Sephigruen ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Gwendolyn Hopkins hatte sich sehr darüber gewundert, als sie Professor Dumbledore nach dem Abendessen des Slug-Clubs in den Kerkern angetroffen hatte und er sie in sein Büro gebeten hatte. Am liebsten wäre sie gar nicht mitgekommen, hätte stattdessen vor der Tür auf Tom Riddle gewartet, um mit ihm zusammen zum Gemeinschaftsraum zu gehen. Aber er hatte ausgesehen, als wäre es etwas Ernstes und er war nun mal ihr Lehrer. Im Moment sah es allerdings aus, als wäre sie umsonst hier, denn ihr Professor saß ihr einfach gegenüber, lutschte ein Bonbon und schwieg. Ihr hatte er ebenfalls eines angeboten, aber sie hatte höflich abgelehnt, weil sie noch vollkommen satt war, was sich so schnell auch nicht mehr ändern würde. Es hatte ganz köstlich geschmeckt und darum verstand sie auch nicht, dass Tom kaum etwas aß, genauso wenig wie er sich mit den Leuten unterhielt, selbst wenn Professor Slughorn ihn etwas fragte, antwortete er kurz angebunden. Dennoch war er heute länger geblieben, wollte sich anscheinend noch mit dem Professor unter vier Augen unterhalten, aber warum? Seine Zaubertranknoten waren ausgezeichnet, eben deswegen war er ja Mitglied des Clubs. Aber das würde sie sicher noch an diesem Abend erfahren, denn Gwens Freundin Mildred hatte ihr versprochen, noch zu warten. »Professor, Sie hatten mich hergebeten?«, hakte Gwendolyn nach, als sie langsam ungeduldig wurde. Schön und gut, wenn er etwas mit ihr zu besprechen hatte, aber dann sollte er das doch auch bitte tun. »Ja, ja, das hatte ich. Aber ich zweifle noch ein bisschen an mir selbst, müssen Sie wissen, ob ich das wirklich von Ihnen verlangen sollte.« Er strich sich mit der Hand durch den schon leicht ergrauten Bart und schaute sie eindringlich an. Im Grunde mochte sie ihn gern, er war ein freundlicher und fairer Lehrer, aber dieser Blick, er war ihr einfach unangenehm. Auch wenn sie absolut nichts zu verbergen hatte, fühlte sie sich schuldig, wenn er sie so anschaute, und genauso ging es auch ihren Freunden. »Was von mir verlangen, Sir?«, wollte sie wissen. Sie hatte keine Idee, was er gerade von ihr wollen konnte, von einem Mädchen aus Slytherin, das bisher durch nichts weiter aufgefallen war. Sie hatte es nicht einmal in die Hausmannschaft geschafft, gönnte es aber Mildred, die nun sogar Kapitänin geworden war. Was sollte es geben, worum er sie bitten sollte und keinen seiner eigenen Schüler? Professor Dumbledore atmete durch die Nase aus und bot ihr ein weiteres Bonbon an, das sie auch diesmal ablehnte. »Nun, in den letzten Wochen fiel mir auf, dass Sie wohl ein Auge auf Mr Riddle geworfen haben.« Gwen machte große Augen und lehnte sich in ihrem Stuhl weit zurück, sie war doch überrascht davon, dass sie es nicht besser hatte verbergen können. Noch überraschter und etwas peinlich berührt allerdings davon, warum er sie das fragte. »Ja, das ist richtig, stellt das irgendein Problem darf?« Abwehrend hob er die Hände, und auf seinem Gesicht breitete sich ein vorsichtiges Lächeln aus. »Aber ganz und gar nicht, meine Liebe. Die junge Liebe kann etwas Wunderbares sein, wenn sie denn von beiden Beteiligten geteilt wird.« Er blickte an ihr vorbei und sie gewann den Eindruck, dass seine Gedanken abgeschweift waren. »Worauf wollen Sie hinaus, Sir?«, fragte sie und klang dabei etwas gereizt, wodurch sie allerdings nur versuchen wollte, ihre Unsicherheit zu überspielen. Bei dieser Sache war ihr gar nicht wohl, was viel damit zu tun hatte, dass er ihr nicht einfach sagte, was Sache war. So heimlichtuerisch waren die Leute normalerweise nur an Weihnachten und wenn es etwas wirklich Ernstes war. Doch nun war sie hier und sie wollte es wissen. Der Professor verschränkte die Finger auf dem Tisch und wirkte jetzt, als sei ihm wirklich unbehaglich. Bald hatte er sich jedoch wieder gefangen und gelangte zu seiner bekannten stoischen Ruhe zurück. »Nun, so muss es denn sein. Ich hätte eine Bitte an Sie zu richten, Miss Hopkins, die vielleicht im ersten Moment etwas seltsam auf sie wirkt. Das ist sie ganz gewiss auch, aber hören Sie mich bitte zuerst an.« Er wartete ab, bis sie nickte. »Ihre Bemühungen eignen sich hervorragend dazu, das Vertrauen von Mr Riddle zu gewinnen. Vielleicht könnten Sie ihm etwas näher kommen und eventuell einige Dinge von ihm zu erfahren, die…« »Verlangen Sie gerade ernsthaft, meinen Schulkameraden auszuspionieren?«, unterbrach Gwen ihn und beugte sich heftig vor, eine Haarsträhne fiel ihr vor das linke Auge und sie strich sie sich hastig hinter das Ohr. Beinah hätte sie Schwarm gesagt, es sich aber rechtzeitig anders überlegt. »Wofür halten Sie mich denn?« Mit einer Geste gebot er ihr, sich zu beruhigen, aber es gelang ihr nicht so recht. »Nein, nein, so ist es nicht«, sagte er ruhig. »Aber Sie müssen wissen, ich mache mir seit geraumer Zeit Sorgen um den jungen Mr Riddle. Er zeigt Tendenzen, die mir gar nicht gefallen wollen, vielleicht haben Sie selbst etwas davon mitbekommen. Ich bitte Sie nur darum, mir mitzuteilen, falls Sie irgendetwas Bedenkliches bemerken.« Egal, in welche schönen Worte er es fasste, er wollte sie doch bloß zu seiner Spionin machen. Aber das konnte er doch unmöglich ernsthaft von ihr erwarten! Sie war keine Verräterin, keine Petze, schon gar nicht im eigenen Haus. »Nein, ich habe nichts davon mitbekommen, was Sie da ansprechen, Sir. Natürlich ist Tom ein bisschen seltsam, aber wer ist das nicht? Er ist nun einmal ein sehr zurückgezogener Mensch, mehr nicht.« Sie hatte erwartet, dass er ihr wegen ihres respektlosen Tons böse sein würde, doch er lächelte nur aus einem Grund, den sie nicht verstand. »Ich kann Sie selbstverständlich zu nichts zwingen, Miss Hopkins«, sagte er ruhig. »Doch ich fürchte, dass er sich in große Schwierigkeiten bringen wird, wenn er weiter auf den falschen Pfaden wandelt. Denken Sie bitte nicht, ich wollte ihm oder Ihnen etwas Böses, ganz gewiss nicht.« Gwen war verunsichert. Natürlich traute sie ihm keine bösen Absichten zu, aber genauso wenig konnte sie sich vorstellen, das Tom solche hegte. Doch wenn sie mitspielte, konnte sie Dumbledore genau das beweisen. Tom etwas näher zu kommen war mit oder ohne Dumbledores Bitte ihr Plan, also warum sollte sie nicht zusagen? Weil sie sich falsch vorkommen würde. Doch was, wenn doch etwas geschah, das sie hätte verhindern könnte? »Geben Sie mir bitte etwas Zeit zum Nachdenken«, bat sie, jetzt wieder versöhnlicher. Sein Lächeln wurde breiter, weil er merkte, dass er sie am Haken hatte. »Aber natürlich, Miss Hopkins. Sie haben Bedenkzeit, so viel Sie wünschen.« Er setzte sich gerade hin, was für sie das Signal war, dass sie gehen konnte. »Gute Nacht, Sir. Bis morgen.« Sie stand auf und huschte durch die Tür nach draußen auf den Gang. Wenn sie Glück hatte, würde sie noch rechtzeitig im Kerker ankommen, um Tom und Mildred zu begleiten. Vor dem Hausmeister musste sie keine Angst haben, den würde einfach zu Dumbledore schicken, wenn er sie aufhielt. Zum Glück begegnete sie ihm nicht, aber die Kerkergänge waren leer, als sie unten ankam. In Slughorns Speisesaal war es auch schon dunkel, unter der Tür schien kein Licht mehr hindurch. Es war schaurig, allein durch die niedrigen Steingänge zu gehen, in der Hoffnung, dass Peeves sich nicht hier unten herumtrieb. Aber wahrscheinlich fand selbst er es hier gruselig, wo Gwendolyns Schritte an den Wänden widerhallten und ihr weit voraus eilten. Auch der Gemeinschaftsraum war schon leer, alle waren in den Betten, und der See vor dem Fenster war bedrohlich schwarz. Gwen beeilte sich, in den Schlafsaal zu kommen und gab dabei Acht, nicht zu laut zu sein, schließlich wollte sie auch niemanden wecken. Doch Mildred war noch wach, hinter den Vorhängen ihres Himmelbetts leuchtete schwach die Zauberstabspitze. Sie blendete Gwen, als der Vorhang zurückgezogen wurde, und mit dem Licht unter dem Kinn sah Mildred furchteinflößend aus. »Was wollte Dumbledore denn von dir?«, fragte sie im Flüsterton. Während sie sich den Umhang auszog, überlegte Gwen sich eine Antwort. Unmöglich konnte sie sagen, was das Anliegen des Professors wirklich gewesen war, und schon gar nicht, dass sie mit dem Gedanken spielte, zuzusagen. Wirklich nur für den Ernstfall, weil sie ja nicht wollte, dass Tom oder irgendjemand anderem etwas geschah. »Es ging nur um die OWLs«, antwortete sie und ließ sich auf ihr Bett fallen. »Meine Noten in Verwandlung sind ja nicht so besonders, was die Praxis angeht, darum hat er mir Nachhilfe angeboten.« In Wahrheit ließen ihre Noten in jedem Fach zu wünschen übrig, wo es um die Praxis ging, während sie vor allem in Zaubereigeschichte zu den besten in der Klasse gehörte. Zaubertränke sagte ihr auch zu, sie hatte exakte Dinge gern. Damit gab Mildred sich zufrieden, es war ja auch eine plausible Erklärung, sogar noch etwas glaubwürdiger als die Wahrheit. »Also, ich glaub, es war ganz gut, dass du gegangen bist und nicht gesehen hast, was mit Tom los war. Ich hab ja nun nicht viel gehört und wollte auch nicht lauschen, aber überhören konnte ich’s nun auch nicht. Jedenfalls haben die beiden sich ziemlich gestritten, Tom und Professor Slughorn. Leider hab ich nicht gehört, worum es ging, das hätte ich ja schon gern gehört. Jedenfalls hatte Tom dann ganz schlechte Laune, als er heraus gekommen ist. Ich glaube, er hat mich nicht einmal bemerkt, obwohl er genau an mir vorbei gelaufen ist.« Gwendolyn runzelte die Stirn. Das gehörte wohl zu dem Verhalten, das Dumbledore Sorgen bereitete. Denn um Toms Noten konnte es auf keinen Fall gegangen sein, wegen denen gab es keinen Grund für Streit. Und wenn er so in Rage geriet, wo er doch sonst immer ein so ruhiger Typ war, musste es gleich zweimal wichtig gewesen sein. Doch worum auch immer es gegangen war, Streit mit einem Lehrer war nie ein gutes Zeichen. Kapitel 2: ----------- Die ganze Nacht lang hatte Gwendolyn sich den Kopf darüber zerbrochen, was sie tun sollte, und kaum geschlafen. Und so sehr es ihren Prinzipien auch widersprach und so schlecht ihr Gewissen auch sein mochte, aber sie holte das in der Zaubereigeschichtsstunde nach, mit der der Tag begann. Das Kapitel, das heute Thema war, hatte sie bereits im Vorfeld gelesen und sich auch Notizen gemacht, aber dennoch fühlte sie sich unendlich schlecht damit. Doch sie war zu einem Entschluss gekommen, und zwar würde sie Dumbledores Bitte nachkommen. Ein bisschen Sorgen um Tom machte sie sich ja selbst, nach dem, was Mildred erzählt hatte, und wenn irgendetwas wirklich Schlimmes loswar, wäre sie ohnehin zu einem Lehrer gegangen. Aber bisher hatte sie niemandem davon erzählt, was sie auch nicht vorhatte. Schließlich ging es niemanden etwas an außer sie selbst. Das Problem war im Moment nur, wie sie die Sache angehen sollte. Er umgab sich immer nur mit Leuten, die Gwendolyn allesamt nicht besonders schätzte, und gab auf die meisten anderen nur wenig. Über ihn selbst wusste sie nicht besonders viel, weil er nur sehr wenig preisgab, nur, dass er ein Halbblut war und sich schrecklich dafür schämte, kein Reinblut zu sein. Trotzdem war er in Slytherin gelandet. Aber er sah gut aus und war sich dieser Tatsache bewusst, genau wie der, dass er sehr gut reden konnte. Seine Stimme und seine Worte verzauberten alle, Schüler wie Lehrer, und Gwen ganz besonders, sodass sie jede Gelegenheit zu nutzen versuchte, um seine Stimme zu hören. Am Morgen hatte sie sich neben ihn gesetzt und mit Mildred belanglose Gespräche über das Essen am Vorabend und die Hausaufgaben geführt, ihr noch einmal für die vier Tore beim Spiel gratuliert, das sie nur wegen des letzten hatten gewinnen können, das gefallen war, kurz bevor der Sucher der Ravenclaws den Schnatz hatte fangen können. Nebenbei hatte sie Tom zugehört, wie er über das dumme Gesicht eines Gryffindors gesprochen hatte, mit dem er wohl irgendetwas angestellt hatte. Nun saß sie mit Mildred beim Mittagessen, aber viel Hunger hatten sie noch immer nicht, das Mahl vom Abend zuvor wirkte noch nach. Sie hatte vergeblich nach Tom Ausschau gehalten, der allerdings weit und breit nicht zu sehen war. Sie ließ sich wirklich Zeit mit ihren paar Bissen. So sehr, dass Mildred sie wiederholt fragte, ob irgendetwas mit ihr nicht stimmte. »Nein, ich bin nur noch total fertig«, nuschelte sie und schob sich eine Gabel Kartoffelbrei in den Mund. »Und das gerade vor Verwandlung.« »Ja.« Mildred deutete mit ihrer Gabel auf sie. »Was, wenn dein Türknauf plötzlich zu einem Greifen wird, statt zu einem Gnom? Das wäre fatal. Er könnte jemanden erschlagen.« Bei der bildlichen Vorstellung, wie plötzlich ein riesiger Messinggreif auf ihrem Tisch erschien, musste Gwendolyn kichern. Aber mit Sicherheit wäre das auch beeindruckend, wenn es doch an der Zielvorgabe weit vorbeischoss. »Ich glaube nicht, dass so etwas dabei rauskommen würde. Eher bekommt der Knauf einfach Gnomenfüße.« »Das wäre eine gute Möglichkeit, lästigen Besuch zu vertreiben«, bemerkte Mildred und grinste. „Aber schau mal, dort hinten, da kommt Besuch, der überhaupt nicht lästig ist.« Damit es nicht gar zu auffällig wurde, warf Gwen sich die Haare über die Schulter und blickte sich dabei kurz um. Da entdeckte sie tatsächlich Tom, und zu ihrer Überraschung war er ganz allein. Für gewöhnlich traf man ihn nur selten allein an, immer war er von einer ganzen Traube seiner Freunde umgeben. Sie wartete, bis er an ihnen vorbeigegangen war, bevor sie ihn ansprach. »Hallo, Tom. Möchtest du vielleicht mit uns essen?« Mit einer Hand strich sie über den freien Platz neben sich auf der Bank. Zögernd musterte er sie und dann Mildred, bevor er nickte. »Gern«, sagte er und setzte sich neben sie. »Wir hatten es gerade davon, dass ich ziemlichen Bammel vor der Verwandlungsprüfung am Jahresende habe.« Sie spießte Erbsen auf ihre Gabel auf. »Du weißt ja auch, dass solche Sachen nicht grad meine Stärke sind. Darum wollte ich dich bitten, weil du ja der Beste in der Klasse bist, ob du mir vielleicht helfen könntest?« Sie hatte damit gerechnet, dass er ablehnen und sich vielleicht sogar über sie lustig machen würde, doch stattdessen lächelte er zufrieden. »Selbstverständlich«, antwortete er und allein dieser Ton bewirkte, dass ihr die Röte ins Gesicht trat. »Was hältst du davon, wenn wir uns nach dem Unterricht in der Eingangshalle treffen? Bis dahin habe ich einen Klassenraum organisiert, in dem wir niemanden stören. Wird deine Freundin auch dabei sein?« »Nein, wird sie nicht«, antwortete Mildred. »Heute Nachmittag ist Quidditchtraining, am Freitag steht ja schon das nächste Spiel an.« »Da darf die Kapitänin natürlich nicht fehlen, nicht wahr?«, sagte er an Gwen vorbei nun direkt zu Mildred und blickte ihr dann wieder in die Augen. Wie dieser Blick ihr Herz höher schlagen ließ, zuvor hätte sie wohl jedes andere Mädchen dafür ausgelacht, dass ein Blick solche Konsequenzen haben konnte. Doch nun, da es ihr selbst widerfuhr, verstand sie. Auch wenn sie nicht glaubte, dass irgendein Junge außer Tom dazu imstande war. Nach der Stunde Alte Runen, was zu Gwens Lieblingsfächern gehörte, weil es hauptsächlich aus Theorie bestand, wünschte sie Mildred viel Erfolg für das Training und beeilte sich, aus dem Raum zu kommen. In der Eingangshalle, am Fuß der Treppe, fand sie tatsächlich Tom, der sich gerade leise mit Avery – einem von denen, die Gwen wirklich gruselig fand – unterhielt. Er schickte ihn fort, als sie in die Nähe kam. »Musstest du lange warten?«, fragte sie. Manchmal waren sie so in Tabellen und Texte vertieft, dass sie das Stundenende schlichtweg nicht bemerkten, bis einer von denen, die das Fach nur als das Kleinste der Übel gewählt hatten, den Professor darauf aufmerksam machte. »Aber nein.« Tom legte ihr eine Hand auf den Rücken und zusammen gingen sie durch die Flure, die voller Schüler waren, die nach dem Schultag nur nach draußen wollten. Auch Gwen wollte später noch nach draußen, am liebsten mit Tom, aber gern auch mit Mildred, wenn die fertig war. Aber vorher kam die Arbeit, auch wenn es ihr mit Tom zusammen wahrscheinlich nicht wie welche vorkommen würde. Tom zog ihr an einer der Bänke einen Stuhl zurück und setzte sich neben sie, als sie sich setzte. »Gibt es irgendetwas, womit du besonders Probleme hast?« Gwen drehte den Zauberstab zwischen den Fingern und lächelte nervös. Sie wollte nicht sagen, dass sie wirklich mit allem nicht so recht klarkommen wollte, wie sehr sie es auch versuchte. Er sah ja selbst immer wieder in Dumbledores Unterricht, wie schwer es ihr fiel, dass sie keine Aufgabe in unter fünf Versuchen auch nur annährend zufrieden stellend lösen konnte. Gerade vor ihm war ihr das furchtbar peinlich, denn sie wusste ja, wie viel Wert er auf gute Noten legte. Doch es schien ihn nicht zu stören, offensichtlich, ganz im Gegenteil. Er hatte sich bereiterklärt, ihr zu helfen. In Einzelstunden. Größeres Glück konnte sie sich in diesem Moment nicht vorstellen. »Am schwersten fällt es mir, wenn es mit Tieren zu tun hat«, antwortete sie schließlich. Dafür brauchte sie wirklich am längsten, und ganz einwandfrei hatte sie es nie hinbekommen. Tom nickte verstehend. »Das ist auch wirklich nicht so einfach«, sagte er, der seit der zweiten Klasse nie mehr als einen Versuch für eine Verwandlung gebraucht hatte. »Wir sollten das Schritt für Schritt angehen. Keine Tiere, vorerst, sondern einfache Gegenstände.« Ein bisschen hatte sie das Gefühl, als spräche er mit ihr wie mit einem Kind, aber sie redete sich ein, dass er einfach nur freundlich sein und auf sie eingehen wollte. Sie nickte einmal. Tom zog seinen Zauberstab und rutschte mit seinem Stuhl weg von dem Tisch. Gwen tat es ihm auf eine Geste hin nach. »Versuchen wir, aus dem Tisch einen Stuhl zu machen.« Er sagte den Spruch, tippte mit dem Zauberstab zweimal auf die Platte und sie konnte zusehen, wie das Holz sich verformte und schließlich ein Stuhl gleich derer, auf denen sie saßen, vor ihnen stand. »Wenn du das machst, sieht das so leicht aus«, flüsterte sie und versuchte nicht, die Anerkennung aus ihrer Stimme herauszuhalten. Er sollte wissen, dass sie von ihm beeindruckt war. Wieder hatte er dieses zufriedene Lächeln im Gesicht. »Es ist auch leicht«, versicherte er ihr. »Du musst dich nur konzentrieren, aber trotzdem ganz entspannt bleiben. Und wieder zurück.« Zweimal tippte er auf die hölzerne Lehne, sagte den Gegenspruch und der Stuhl wurde wieder zum Tisch. Gwen murmelte den Spruch vor sich hin, krempelte die Ärmel ihres Umhangs hoch und hielt den Zauberstab erhoben. Während sie mit dessen Spitze auf das Holz tippte und die Worte leise, aber deutlich sprach, hatte sie Toms Lächeln im Sinn, und wie stolz er sein würde, wenn er etwas schaffte, das Dumbledore in bisher keiner Stunde geschafft hatte. Während es bei Tom ganz lautlos vonstatten gegangen war, ächzte das alte Holz des Tischs, während es seine neue Form annahm. Doch es funktionierte besser, als je zuvor einer ihrer ersten Versuche funktioniert hatte. Da stand tatsächlich ein Stuhl vor ihr. Ein etwas unförmiger vielleicht, wie die erste Arbeit eines Tischlerlehrlings, aber man konnte sicher darauf sitzen. Für ihre Verhältnisse war das grandios. Das schien auch Tom anzuerkennen, der er klopfte ihr auf den Rücken und nickte zufrieden, das Lächeln noch ein bisschen stolzer, als sie es sich vorgestellt hatte. »Ausgezeichnet. Und jetzt wieder zurück.« Die Rückverwandlung lief besser, der Tisch sah wieder genauso aus wie vorher. Im Stillen schob Gwen das darauf, dass es sicher einfacher war, die ursprüngliche Form wiederherzustellen als eine neue zu erschaffen. Sie übte weiter, bis sie jeden der Tische im Raum einmal verwandelt hatte, und schon nach einem halben Dutzend Versuchen konnte man ihre Stühle gar nicht mehr von den echten unterscheiden. »Dann können wir morgen etwas Schwierigeres versuchen«, sagte Tom, als er den Raum wieder zuschloss. »Das heißt, wenn du mit mir zusammen weiterüben möchtest.« »Zu gern.« Sie lächelte und war einfach überglücklich, dass er auch weitermachen wollte. Und falls es Mildred nichts ausmachte, konnten sie dabei auch weiterhin zu zweit sein, denn nötig hatte sie es bestimmt nicht. »Ich wollte noch ein bisschen raus, einen kleinen Spaziergang am See machen. Hast du vielleicht Lust, mich zu begleiten?« Er lächelte hielt den Schlüssel hoch. »Es tut mir leid, aber das geht heute leider nicht. Ich muss den zurückbringen und dann in die Bibliothek. Falls du da also nicht mit hin möchtest, muss ich dich leider enttäuschen.« Für einen Augenblick überlegte Gwen wirklich, ob sie mit ihm gehen sollte, aber die Aussicht, den Rest dieses schönen Tages zwischen Büchern zu verbringen, wo sie im Moment nicht einmal eine dringende Hausaufgabe zu erledigen hatte, war nicht sonderlich verlockend. »Nein, lieber nicht, ich brauch jetzt wirklich frische Luft. Vielen Dank für deine Hilfe und bis zum Abendessen.« Sie umarmte ihn flüchtig und war überrascht davon, dass er sich dabei so versteifte. Wahrscheinlich hatte er nur nicht damit gerechnet, dachte sie sich, und ging in Richtung Eingangshalle davon. Kapitel 3: ----------- Auch an den folgenden Tagen übten sie nach dem Unterricht und es fiel Gwen mit jedem Mal leichter. Allerdings nur, so lang er dabei war, denn wenn sie abends im Bett allein eine kleine Verwandlung versuchte, gelang es ihr nur selten. Darüber machte sie sich aber keine Sorgen, denn im Unterricht war er ja anwesend und bis zu den Prüfungen würde sie das Problem schon in den Griff bekommen. Am Freitag zum Quidditchspiel gegen Gryffindor stand sie in einer der vorderen Reihen auf der Tribüne und hielt das eine Ende eines grünen Banners, auf dem eine silberne Schlange abgebildet war, die sich immer wieder aus einem Ende herausschlängelte, worauf an ihrer statt ein Slytherin erschien, und am anderen wieder auftauchte. Clover Collins, eine blasse Viertklässlerin mit roten Locken, die immer ein bisschen kränklich aussah, hielt das andere Ende. Sie hatte den Aufdruck verzaubert, was nur dann verwunderlich war, wenn man nicht wusste, dass sie die meiste Zeit mit den Siebtklässlern verbrachte und nicht mit den eigenen Klassenkameraden. Das Spiel hatte noch nicht angefangen, es waren auch noch nicht alle Zuschauer da, aber die Stimmung war schon großartig. Gwen liebte Quidditchspiele und war beinah froh darüber, dass sie das als Zuschauerin erleben konnte, denn dieses Hochgefühl, das die Menge bei jedem Tor ergriff, wollte sie nicht verpassen. Das Holz der Tribüne hinter ihr knackte und als sie sich umdrehte, erschrak sie kurz. Da stand Tom mit dem Rücken zu ihr und machte eine ausladende Geste mit beiden Armen, als wollte er jemanden verscheuchen. Auf der Treppe standen seine Freunde mit ganz seltsamen Ausdrücken in den Gesichtern. Gwen begriff sofort. Er wollte mit ihr allein sein. Sofort wanderten ihre Gedanken weiter zur Bedeutung dieser Geste und dass ihr Plan ganz vorzüglich funktionierte. Sie bekam Herzklopfen, wollte sich jedoch nichts anmerken lassen. Vor ihm wollte sie ganz sicher nicht wirken wie eines dieser aufdringlichen, anhänglichen Mädchen. Er drehte sich zu ihr um und lächelte. »Hallo, Gwen«, sagte er leise, gab seiner Stimme dabei wieder diesen ganz besonderen Klang. »Hättest du etwas dagegen, wenn ich mich zu dir stellte?« »Ganz und gar nicht.« Sie war froh darum, den Banner zu halten, denn sonst hätte sie nicht gewusst, wohin mit den Händen. »Tatsächlich habe ich den Platz freigehalten und gehofft, dass du kommst.« Sie gab wirklich ihr Bestes, das nur freundlich klingen zu lassen, damit er keine seltsamen Dinge von ihr dachte. Tom stellte sich neben sie und stützte die Arme auf dem Geländer ab. »Danke, das ist nett von dir«, sagte er lächelnd und beugte sich nach vorn, um den Banner mustern zu können. »Das habt ihr richtig gut hinbekommen. Mit dieser Unterstützung kann die Mannschaft ja nur gewinnen.« »Das hoffe ich auch.« Sie freute sich ehrlich über seine Worte. Als sie sich zu Clover umdrehte, stellte sie fest, dass die sie wohl auch gehört hatte, denn sie war ganz rot im Gesicht und starrte auf das Spielfeld, ohne dass es da bisher etwas zu sehen gab. Das Spiel verlief prächtig und von der Euphorie der Menge gepackt, hatte Gwen sich nicht so sehr unter Kontrolle, wie sie sich gewünscht hätte. Als Mildred das Tor zum fünfzig zu zehn schoss, indem sie ganz knapp einem Klatscher auswich und eine halsbrecherisch anmutende Fassrolle vollführte, ging es mit Gwen durch und sie fiel Tom kreischend um den Hals. Er ließ sich nicht so sehr hinreißen, hielt nur den Banner hoch, den sie losgelassen hatte, und klatschte mit den Handballen. »Oh, entschuldige.« Gwen trat einen Schritt vor ihm zurück und strich sich die Haare hinter die Ohren. Gleich mehrmals, da sie sich immer wieder lösten. Sie wollte nicht so sehr übertreiben, aber vielleicht – hoffentlich glaubte er, das ginge bloß vom Spiel aus. Was er nun dachte, konnte sie nicht sagen, denn er lächelte nur verständnisvoll und zog seine Finger nicht sofort zurück, als sie ihre berührten, als sie ihm den Banner wieder abnahm. Für den Rest des Spiels gab sie sich dennoch wirklich Mühe, sich zu beherrschen. Zur Feier des Sieges – des Sieges ausgerechnet über Gryffindor, das dadurch auch nur noch auf Platz zwei der Hauspunkterangliste stand – wurde an diesem Abend im Gemeinschaftsraum Butterbier und Kürbissaft ausgeschenkt. Es wurden Lobeshymnen und Schmählieder angestimmt, die immer derber wurden. Gwen hatte silbernes und grünes Lametta im Haar, das irgendjemand herbeigezaubert hatte, und hörte Mildred, die sich den verzauberten Banner wie eine Decke umgeschlungen hatte, schon zum dritten Mal interessiert dabei zu, wie sie von jedem einzelnen ihrer vier erzielten Tore berichtete. »Das war das beste Spiel des ganzen Turniers bisher!«, sagte sie lauter, als nötig gewesen wäre. »Dreihundertzwanzig zu dreißig nach nur einer Stunde! Und die drei, die Carver kassiert hat, hätte niemand halten können, da machen wir ihm ja gar kein Vorwurf.« Sie prostete dem Hüter zu, der mit dem Rest der Mannschaft um einen kleinen Tisch saß, an dem noch ein Platz für Mildred frei war. Er erwiderte die Geste. »Ihr habt gewonnen, was wollt ihr mehr?« Gwen stieß mit ihr an. »Das letzte Spiel auch gewinnen«, antwortete Mildred und ihre Lippen formten sich zu einem breiten Grinsen. »Das Rückspiel gegen Hufflepuff und alle vergessen lassen, dass wir je gegen die verlieren konnten.« Sie stand auf und klopfte Gwen auf die Schulter, ging mit ausgebreiteten Armen und wehendem Banner zu ihren Mannschaftskameraden. Gwen erhob sich ebenfalls und suchte Tom, den sie im Gemenge nach dem Spiel aus den Augen verloren hatte. Sie fand ihn etwas abseits der Schülerschar auf dem Sims der großen Fenster, hinter denen nur der schwarze See lag. Natürlich hatte er Avery und Carrow bei sich, die gerade über irgendetwas lachten. Sie wollte zu ihm gehen, wurde allerdings von einem Grüppchen Drittklässler aufgehalten, die mit ihr auf den Sieg anstoßen wollten. Sie tat ihnen den Gefallen, weil sie es in dem Alter auch chic gefunden hatte, mit älteren Schülern gesehen zu werden. Und heute stieß ohnehin jeder mit jedem an. Auch mit Clover erhob sie die Gläser, das aber von sich aus, für die Mühe mit dem Banner und weil es schön war, zu sehen, dass sie zu Spielen auch mal ein bisschen lebhafter sein konnte. Als sie endlich bei Tom angekommen war, sahen Carrow und Avery sie an, als störte sie und wäre unerwünscht, doch Tom lächelte. »Komm doch, Gwen, setz dich zu mir. Jungs, würdet ihr uns wohl für einen Moment allein lassen?« Es wunderte Gwen ein wenig, dass er seine Freunde immer fort schickte, wenn sie in der Nähe war, doch sie war durchaus zufrieden damit. So hatte ihr Plan wohl die besten Chancen auf Erfolg. Sie setzte sich ihm gegenüber auf das Fensterbrett und tat, als würde sie nach draußen schauen. In Wahrheit sah sie natürlich nur die Spiegelungen des Gemeinschaftsraums, der Leute hinter sich, und seine. Seine Augen, die im Licht schwach schimmerten, sein Lächeln, das etwas Siegessicheres an sich hatte und doch nicht den Eindruck machte, es rührte vom gewonnenen Spiel her. Seine Finger, die gedankenverloren um den Rand des Glases strichen. »Warum sitzt ihr hier so abseits?«, fragte sie. Ein Umstand, der sie schon länger beschäftigte. So viele Schüler rissen sich förmlich darum, in seiner Nähe zu sein, und doch ließ er nur Avery, Carrow und wenige andere – darunter neuerdings auch Gwen – an sich heran. Stets mied er der größeren Gruppen, blieb für sich, hier im Gemeinschaftsraum wie auch beim Essen. »Der Trubel liegt mir nicht«, antwortete er und trank einen Schluck Kürbissaft. »Ich gönne ihnen den Sieg und die Anerkennung, halte mich aber doch lieber heraus.« »Ja, da kann ich dich verstehen.« Gwen konnte ihn sich auch gar nicht so recht vorstellen, wie er Arm in Arm mit den anderen im Kreis stand und sang, es ging einfach nicht. Das passte nicht zu ihm, zu seiner ganzen Art, die sonst ebenso still war wie in diesem Moment. »Mir wird es mit der Zeit auch zu anstrengend.« Tom beugte sich zu ihr vor und wie automatisch tat sie es ihm nach. »In der Zweisamkeit ist es viel schöner, nicht wahr?« Er sprach leise, sodass sie ihn gerade noch verstehen konnte. Es waren nicht die Worte allein, die ihr einen wohligen Schauer verschafften, es war der Klang seiner Stimme, der Ton, in dem er sprach, dem er sich bewusst sein musste. Er konnte reden, konnte in jeden noch so kurzen, noch so banalen Satz so viel Bedeutung legen, dass es keinerlei weiteren Wortes bedurfte. Auf diese Weise hatte er die Lehrer für sich gewonnen, die Schüler, und wäre Gwen ihm nicht schon seit langer Zeit verfallen gewesen, so wäre es jetzt um sie geschehen. »So viel schöner«, bestätigte sie und hob ihr Glas an die Lippen, nur um festzustellen, dass es leer war. Das wäre ihr peinlich gewesen, wäre da nicht Toms Lächeln, als er es ihr aus der Hand nahm und mit seinem zusammen zur Seite stellte. »Siehst du, ich genieße die Zeit, die wir zusammen verbringen, ebenfalls. Die Nachhilfestunden meine ich. Ich bin wirklich stolz auf dich, wie groß deine Fortschritte in so kurzer Zeit sind.« Er stützte den Ellbogen auf den Oberschenkel und lehnte sich noch etwas weiter zu ihr. Beinah berührten sich ihre Gesichter. »Das liegt an dir.« Aus irgendeinem Grund war sie heiser, und ihr wurde so warm, dass sie spüren konnte, wie die Scheibe Kälte ausstrahlte. »Du musst wissen, einen Anderen hätte ich nie gefragt, denn keiner reicht an dich heran. Weder im Verwandlungsunterricht noch sonst irgendwie.« Sie hätte sich schämen müssen, doch die Worte kamen einfach wie von selbst über ihre Lippen. Zum Glück war außer ihm niemand in Hörweite, und für ihn waren sie ja bestimmt, schon so lang, doch nun hatte sie endlich den Mut gefasst. Ob durch die allgemeine Stimmung, durch das Butterbier, das sie zwischendurch getrunken hatte oder einfach durch seine Nähe, das spielte für sie in diesem Augenblick keine Rolle. Da war noch mehr, das sie hatte sagen wollen, doch sie konnte nicht, als er die Hand in ihren Nacken legte und ihren Kopf die letzten paar Zentimeter zu sich heranzog, bis ihre Lippen sich trafen. Eine Schrecksekunde verging, weil sie damit überhaupt nicht gerechnet hatte, bevor sie die Augen schloss und sich ganz dem Kuss hingab, der nach Kürbissaft schmeckte und der erste ihres Lebens war. Leise wie aus weiter Ferne hörte sie jemanden aus der feiernden Schülerschaft einen unartikulierten Laut machen, dann wurde für eine Ewigkeit, die einen Augenblick andauerte, alles aus ihrer Wahrnehmung ausgeblendet bis auf sie und ihn. Er ließ seine Hand, wo sie war, auch als sie sich voneinander lösten. Gwen beugte sich noch weiter vor, bis ihr Mund genau an seinem Ohr war. »Keiner reicht an dich heran, denn … Du bist etwas ganz Besonderes, Tom Riddle«, hauchte sie und setzte sich wieder aufrecht. Da veränderte sich etwas in seinem Blick. Er schien plötzlich nicht mehr so abwesend wie in der gesamten letzten Zeit, und sie hatte das Gefühl, dass sein Lächeln nun zum ersten Mal wirklich ehrlich war. Kapitel 4: ----------- Gwen hatte sich sehr auf dieses Hogsmeadewochenende gefreut, das das letzte des Schuljahres gewesen wäre. Sie hätte es gern zusammen mit Mildred verbracht, um sich dafür zu entschuldigen, dass sie ihre Freundin in den letzten Wochen zu sehr vernachlässigt hatte. Doch es war abgesagt worden, nachdem die Leiche eines Mädchens namens Myrthe gefunden worden war. Es war der Gipfel einer ganzen Reihe ähnlicher Vorfälle in den letzten Wochen, alle verursacht von etwas, das sich offenbar unentdeckt von allen in der Schule aufhielt. Am Abend nach der Trauerfeier konnte Gwen nicht schlafen, und während Mildred und die anderen bereits zu Bett gegangen war, saß sie allein auf dem Fenstersims im Gemeinschaftsraum und starrte hinaus in die Schwärze des Sees. Als sie Schritte hörte, fuhr sie heftig zusammen, so sehr vertieft in den Anblick war sie, obwohl es nichts zu sehen gab, nicht einmal ihr Spiegelbild, da das Licht so schwach war. Es gab auch keinen Grund zur Furcht, denn es war nur Tom, der gerade herein kam. »Wo warst du?«, fragte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange, bevor er sich ihr gegenüber setzte. Gleich war sie etwas beruhigter, weil er da war. »Ich hatte eine kleine Unterhaltung mit Professor Slughorn«, erklärte er lächelnd. »Und warum bist du so spät noch wach?« Gwen sah keinen Grund, warum sie ihm nicht die Wahrheit erzählen sollte. »Ich habe Angst, Tom«, flüsterte sie. »All die verletzten Schüler und jetzt auch noch dieses Mädchen… Das ist alles so furchtbar…« »Nicht doch.« Tom nahm sie in den Arm, ganz langsam, und streichelte ihr sacht über den Rücken. »Für dich besteht keinerlei Anlass, dich zu fürchten, glaub mir.« Die Sicherheit, mit der er diese Worte sprach, überraschte sie. »Wie kannst du das wissen?«, fragte sie und presste die Stirn gegen seine Schulter. »Wie kannst du wissen, ob ich nicht die Nächste bin oder Mildred oder Clover oder irgendjemand, den wir kennen und mögen?« Ihre Stimme war immer dünner geworden, bis sie in einem kläglichen Quietschen geendet hatte. Tom schmunzelte. »Aber siehst du es denn nicht? All die Opfer bisher waren nichts als wertlose Schlammblüter.« Gwen löste sich von ihm und sah ihm in die Augen. In der Tat hatte sie bisher nicht darauf geachtet, welcher Abstammung die angegriffenen Schüler gewesen waren, viel zu entsetzt war sie von den bloßen Vorgängen gewesen. Und dieses Wissen milderte die Taten nur wenig ab. »Aber was sagt dir und mir, dass es dabei bleiben wird?« Toms Lächeln veränderte sich in Gwen kam ein Verdacht auf, den sie selbst nicht recht wahrhaben wollte. Konnte Tom im Ernst etwas damit zu tun haben? All diese Dinge, die er und seine Freunde in der Vergangenheit getan hatten, ja, aber das hier war doch eine völlig andere Sache. »Da kannst du mir vertrauen«, sagte er und die Wärme dieser Worte ließ sie Kälte der davor vergessen. »Aber die Frage ist, kann ich auch dir vertrauen, Gwen?« Es war das erste Mal, dass Gwen auf Professor Dumbledore zugegangen war, seit er sie darum gebeten hatte, ein Auge auf Tom zu haben. Hin und wieder hatte sie seine fragenden Blicke bemerkt, jedoch schlicht nichts zu berichten gehabt. Auch in diesem Moment war sie sich sicher, dass sie ihn nicht verraten wollte, so sehr sie das, was er erzählt hatte, auch geschockt hatte. Denn für die vergangenen Vorfälle war ein Junge namens Rubeus Hagrid verantwortlich gemacht worden, der offenbar eine monströse Spinne im Schloss aufgezogen hatte. Gwen hielt ihn für seltsam, ja, vor allem wegen seiner unnatürlichen Größe, nur hatte sie bisher eher den Eindruck gehabt, dass er ein freundlicher Junge war. Viel hatten sie nicht miteinander zu tun gehabt, doch sie hätte sich auch nicht vorstellen können, dass er etwas damit zu tun hatte, hätte sie die Wahrheit nicht gekannt. »Sie wollten mich sprechen, Miss Hopkins?« Dumbledore faltete die Hände über dem Knie und schaute sie über die Ränder seiner Brille hinweg an. Sie musste aufpassen, ihm nicht alles zu erzählen, bei diesem Blick geschah das leicht. »So ist es, Sir.« Sie mied direkten Augenkontakt und schaute stattdessen die halb leere Schale mit Bonbons auf seinem Schreibtisch an. Würde er ihr heute eines anbieten, würde sie es nehmen, so trocken war ihr Hals. »Sehen Sie, es geht um diesen Hagridjungen. Ich kann Ihnen nicht alles sagen, nur weiß ich, dass er nichts damit zu tun hat.« Professor Dumbledore beugte sich vor und legte die Hände auf den Tisch. »Und wie kommen Sie zu dieser Sicherheit, Miss?« Gwen blickte für einen Sekundenbruchteil in sein Gesicht, hielt dem Blick dieser Augen jedoch nicht lang stand. »Fragen Sie mich das bitte nicht, ich kann es Ihnen nicht sagen. Nur kann ich auch nicht mit ansehen, wie einem unschuldigen Jungen solches Unrecht widerfährt.« »Nun, ganz unschuldig ist er nicht«, wandte Dumbledore ein. »Schließlich hat er eine gefährliche Kreatur aufgezogen, hier in der Schule. Damit hat er sowohl die Schüler als auch die Lehrer in Gefahr gebracht.« »Ja, aber diese Kreatur hat nichts getan! Nicht sie hat all das angerichtet, so glauben Sie mir doch.« »Ich glaube Ihnen, Miss Hopkins«, versicherte Professor Dumbledore. »Und ich verspreche Ihnen, dass ich mein Bestes tun werde, damit für den jungen Mr Hagrid gesorgt ist.« Er zwinkerte ihr zu und sie war unendlich erleichtert, dass er nicht weiter nachfragte. »Einen schönen Tag, Miss, und ich danke Ihnen, dass sie den Mut gefunden haben, herzukommen.« »Ich habe Ihnen zu danken, Sir.« Mit einem angedeuteten Knicks verließ Gwen das Büro und traf zu ihrer Überraschung vor der Tür nicht Mildred, die eigentlich hatte warten wollen, sondern Tom. »Bin ich nicht der Einzige, bei dem du dir Nachhilfe in Verwandlung holst?«, fragte er im Scherz, doch in seinem Lächeln lag etwas Seltsames. Gwen lachte und klang vielleicht etwas nervös, als sie die ihr dargebotene Hand nahm. »Doch, doch. Aber genau deshalb hat er gefragt, er wollte mit mir darüber sprechen, wie meine Leistungen in so kurzer Zeit so viel besser geworden sind. Wo ist Mildred?« »Sie ist schon zu Slughorn gegangen. Weißt du, beim letzten Festmahl des Jahres sollte man rechtzeitig da sein. Doch sie hat versprochen, dir etwas aufzuheben. Also haben wir noch etwas Zeit, wenn du möchtest.« Sie waren allein am Waldrand, die Sonne stand schon tief, doch es war noch immer warm. Grillen zirpten und aus dem Wald konnte Gwen Geräusche hören, denen sie lieber nicht auf den Grund gehen wollte. Darum hatte sie darauf bestanden, hier zu bleiben, obwohl Tom lieber in den Wald gegangen wäre. Sie saßen im Gras und schwiegen, und auch wenn es schön war, begann Gwen sich zu fragen, warum er sie hergebracht hatte. »Du warst die Einzige, der ich es anvertraut habe, Gwen«, sagte er nach einer Weile. »Du hast mir dein Wort gegeben, dass ich dir vertrauen kann.« »Das kannst du auch.« Ihr Lächeln war nervös und sie wusste, dass er das merkte. Doch sie würde ihm alles erklären, wenn er sie danach fragte und er würde es verstehen. Sie hatte doch nur das Richtige tun wollen. »Warum hast du mich dann belogen? Du hast mit Dumbledore nicht über deine Noten gesprochen.« Als er sie ansah, erkannte sie sein Gesicht kaum wieder. Da war nichts von der Wärme in seinem Blick, mit der er sie für gewöhnlich angesehen hatte. »Aber auch nicht über dich.« Wie viel hatte er gehört? Offenbar nicht alles, denn sonst wüsste er, dass sein Name nicht einmal gefallen war. »Ich habe dich nicht verraten, Tom, ich habe Dumbledore nur darum gebeten, sich darum zu kümmern, dass der Junge glimpflich davon kommt. Weil er es nicht war, verstehst du, aber ich habe ihm nicht erzählt, dass du … von diesem …« Sie sprach es nicht aus, denn so ganz konnte sie es noch immer nicht glauben, was er von der Kammer und dem Basilisken erzählt hatte. »Selbst wenn du mir jetzt die Wahrheit sagst, Gwen, wer garantiert mir, dass du auch in Zukunft schweigst?« Sie hatte Angst vor ihm in diesem Moment. Vor dieser Härte in seiner Stimme und in seinem Blick. Er hatte überhaupt nichts mehr von dem Jungen, mit dem sie so schöne Nachmittage verbracht hatte, der sie hatte vergessen lassen, dass seine Freunde ihr die ganze Zeit über furchtbar unheimlich gewesen waren. »Ich schwöre es, Tom.« Sie griff nach seiner Hand, doch er nahm sie weg, nicht hastig, sondern wie beiläufig. »Von mir wird niemand die Wahrheit erfahren, das musst du mir glauben. Ich …« Schmerz, der wie ein Blitz ihr Handgelenk durchzuckte, ließ sie innehalten. Als sie an sich hinunter sah, entdeckte sie zwei Blutströpfchen an ihrem Handgelenk und eine Bewegung im Gras, doch sie erkannte nichts. Ihr wurde schwindlig und sie drohte zu fallen, doch Tom packte sanft ihre Schultern, legte sie langsam auf den Boden. Ihr wurde heiß, als sie im kühlen Gras lag. »Es ist sehr schade, Gwen«, sagte Tom leise und lächelte. »Es tut mir sehr leid, dass ich dieses Risiko nicht eingehen kann.« Er streichelte ihr über die Haare, doch es fühlte sich an, als gehörten sie nicht ihr. Tränen quollen aus ihren Augen und ließen ihre Sicht verschwimmen, flossen an den Schläfen entlang in ihre Ohren. Sie wollte den Kopf drehen, konnte es aber nicht. Sie wollte schreien, doch ihre Stimme gehorchte ihr ebenfalls nicht. »Es ist wirklich schade, weil du so ein nettes Mädchen warst, Gwen, und ich hatte dich wirklich gern. Ich dachte, wenn ich dich habe, würde mich selbst der alte Mann einfach für einen Jungen halten und sein Misstrauen aufgeben, aber offenbar hat er dich genauso benutzt wie ich.« Benutzt?, wollte sie rufen und ihm erklären, dass sie nicht wegen Dumbledore auf ihn zugegangen war. Doch sie konnte nicht. Sie konnte nicht einmal mehr die Augen schließen, musste ihn ansehen, dieses Lächeln. Blut rauschte in ihren Ohren und als er weiter sprach, klang seine Stimme ganz leise. »Keine Sorge, Gwen, es ist gleich vorbei.« Mit dem Daumen strich er ihr Tränen von ihrer Wange und die Haare aus ihrer Stirn. Ihre Sicht verschwamm immer mehr, dennoch wusste sie, dass sie sich das, was dort auf seiner Schulter entlang kroch, nicht einbildete. Es war eine orangefarbene Schlange mit schwarzen Streifen – und jeder ihrer drei Köpfe schaute sie an. »Sie ist noch sehr jung, aber ihr Gift wirkt schon ausgezeichnet, wie du siehst.« Beinah liebevoll strich er über den mittleren Kopf. »Das ist eine Runespoor, Gwen«, erklärte er. »Und ist sie nicht wunderschön? Wenn der Basilisk der König der Schlangen ist, ist sie die Prinzessin.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)