Schlangenprinzessin von Sephigruen ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Auch an den folgenden Tagen übten sie nach dem Unterricht und es fiel Gwen mit jedem Mal leichter. Allerdings nur, so lang er dabei war, denn wenn sie abends im Bett allein eine kleine Verwandlung versuchte, gelang es ihr nur selten. Darüber machte sie sich aber keine Sorgen, denn im Unterricht war er ja anwesend und bis zu den Prüfungen würde sie das Problem schon in den Griff bekommen. Am Freitag zum Quidditchspiel gegen Gryffindor stand sie in einer der vorderen Reihen auf der Tribüne und hielt das eine Ende eines grünen Banners, auf dem eine silberne Schlange abgebildet war, die sich immer wieder aus einem Ende herausschlängelte, worauf an ihrer statt ein Slytherin erschien, und am anderen wieder auftauchte. Clover Collins, eine blasse Viertklässlerin mit roten Locken, die immer ein bisschen kränklich aussah, hielt das andere Ende. Sie hatte den Aufdruck verzaubert, was nur dann verwunderlich war, wenn man nicht wusste, dass sie die meiste Zeit mit den Siebtklässlern verbrachte und nicht mit den eigenen Klassenkameraden. Das Spiel hatte noch nicht angefangen, es waren auch noch nicht alle Zuschauer da, aber die Stimmung war schon großartig. Gwen liebte Quidditchspiele und war beinah froh darüber, dass sie das als Zuschauerin erleben konnte, denn dieses Hochgefühl, das die Menge bei jedem Tor ergriff, wollte sie nicht verpassen. Das Holz der Tribüne hinter ihr knackte und als sie sich umdrehte, erschrak sie kurz. Da stand Tom mit dem Rücken zu ihr und machte eine ausladende Geste mit beiden Armen, als wollte er jemanden verscheuchen. Auf der Treppe standen seine Freunde mit ganz seltsamen Ausdrücken in den Gesichtern. Gwen begriff sofort. Er wollte mit ihr allein sein. Sofort wanderten ihre Gedanken weiter zur Bedeutung dieser Geste und dass ihr Plan ganz vorzüglich funktionierte. Sie bekam Herzklopfen, wollte sich jedoch nichts anmerken lassen. Vor ihm wollte sie ganz sicher nicht wirken wie eines dieser aufdringlichen, anhänglichen Mädchen. Er drehte sich zu ihr um und lächelte. »Hallo, Gwen«, sagte er leise, gab seiner Stimme dabei wieder diesen ganz besonderen Klang. »Hättest du etwas dagegen, wenn ich mich zu dir stellte?« »Ganz und gar nicht.« Sie war froh darum, den Banner zu halten, denn sonst hätte sie nicht gewusst, wohin mit den Händen. »Tatsächlich habe ich den Platz freigehalten und gehofft, dass du kommst.« Sie gab wirklich ihr Bestes, das nur freundlich klingen zu lassen, damit er keine seltsamen Dinge von ihr dachte. Tom stellte sich neben sie und stützte die Arme auf dem Geländer ab. »Danke, das ist nett von dir«, sagte er lächelnd und beugte sich nach vorn, um den Banner mustern zu können. »Das habt ihr richtig gut hinbekommen. Mit dieser Unterstützung kann die Mannschaft ja nur gewinnen.« »Das hoffe ich auch.« Sie freute sich ehrlich über seine Worte. Als sie sich zu Clover umdrehte, stellte sie fest, dass die sie wohl auch gehört hatte, denn sie war ganz rot im Gesicht und starrte auf das Spielfeld, ohne dass es da bisher etwas zu sehen gab. Das Spiel verlief prächtig und von der Euphorie der Menge gepackt, hatte Gwen sich nicht so sehr unter Kontrolle, wie sie sich gewünscht hätte. Als Mildred das Tor zum fünfzig zu zehn schoss, indem sie ganz knapp einem Klatscher auswich und eine halsbrecherisch anmutende Fassrolle vollführte, ging es mit Gwen durch und sie fiel Tom kreischend um den Hals. Er ließ sich nicht so sehr hinreißen, hielt nur den Banner hoch, den sie losgelassen hatte, und klatschte mit den Handballen. »Oh, entschuldige.« Gwen trat einen Schritt vor ihm zurück und strich sich die Haare hinter die Ohren. Gleich mehrmals, da sie sich immer wieder lösten. Sie wollte nicht so sehr übertreiben, aber vielleicht – hoffentlich glaubte er, das ginge bloß vom Spiel aus. Was er nun dachte, konnte sie nicht sagen, denn er lächelte nur verständnisvoll und zog seine Finger nicht sofort zurück, als sie ihre berührten, als sie ihm den Banner wieder abnahm. Für den Rest des Spiels gab sie sich dennoch wirklich Mühe, sich zu beherrschen. Zur Feier des Sieges – des Sieges ausgerechnet über Gryffindor, das dadurch auch nur noch auf Platz zwei der Hauspunkterangliste stand – wurde an diesem Abend im Gemeinschaftsraum Butterbier und Kürbissaft ausgeschenkt. Es wurden Lobeshymnen und Schmählieder angestimmt, die immer derber wurden. Gwen hatte silbernes und grünes Lametta im Haar, das irgendjemand herbeigezaubert hatte, und hörte Mildred, die sich den verzauberten Banner wie eine Decke umgeschlungen hatte, schon zum dritten Mal interessiert dabei zu, wie sie von jedem einzelnen ihrer vier erzielten Tore berichtete. »Das war das beste Spiel des ganzen Turniers bisher!«, sagte sie lauter, als nötig gewesen wäre. »Dreihundertzwanzig zu dreißig nach nur einer Stunde! Und die drei, die Carver kassiert hat, hätte niemand halten können, da machen wir ihm ja gar kein Vorwurf.« Sie prostete dem Hüter zu, der mit dem Rest der Mannschaft um einen kleinen Tisch saß, an dem noch ein Platz für Mildred frei war. Er erwiderte die Geste. »Ihr habt gewonnen, was wollt ihr mehr?« Gwen stieß mit ihr an. »Das letzte Spiel auch gewinnen«, antwortete Mildred und ihre Lippen formten sich zu einem breiten Grinsen. »Das Rückspiel gegen Hufflepuff und alle vergessen lassen, dass wir je gegen die verlieren konnten.« Sie stand auf und klopfte Gwen auf die Schulter, ging mit ausgebreiteten Armen und wehendem Banner zu ihren Mannschaftskameraden. Gwen erhob sich ebenfalls und suchte Tom, den sie im Gemenge nach dem Spiel aus den Augen verloren hatte. Sie fand ihn etwas abseits der Schülerschar auf dem Sims der großen Fenster, hinter denen nur der schwarze See lag. Natürlich hatte er Avery und Carrow bei sich, die gerade über irgendetwas lachten. Sie wollte zu ihm gehen, wurde allerdings von einem Grüppchen Drittklässler aufgehalten, die mit ihr auf den Sieg anstoßen wollten. Sie tat ihnen den Gefallen, weil sie es in dem Alter auch chic gefunden hatte, mit älteren Schülern gesehen zu werden. Und heute stieß ohnehin jeder mit jedem an. Auch mit Clover erhob sie die Gläser, das aber von sich aus, für die Mühe mit dem Banner und weil es schön war, zu sehen, dass sie zu Spielen auch mal ein bisschen lebhafter sein konnte. Als sie endlich bei Tom angekommen war, sahen Carrow und Avery sie an, als störte sie und wäre unerwünscht, doch Tom lächelte. »Komm doch, Gwen, setz dich zu mir. Jungs, würdet ihr uns wohl für einen Moment allein lassen?« Es wunderte Gwen ein wenig, dass er seine Freunde immer fort schickte, wenn sie in der Nähe war, doch sie war durchaus zufrieden damit. So hatte ihr Plan wohl die besten Chancen auf Erfolg. Sie setzte sich ihm gegenüber auf das Fensterbrett und tat, als würde sie nach draußen schauen. In Wahrheit sah sie natürlich nur die Spiegelungen des Gemeinschaftsraums, der Leute hinter sich, und seine. Seine Augen, die im Licht schwach schimmerten, sein Lächeln, das etwas Siegessicheres an sich hatte und doch nicht den Eindruck machte, es rührte vom gewonnenen Spiel her. Seine Finger, die gedankenverloren um den Rand des Glases strichen. »Warum sitzt ihr hier so abseits?«, fragte sie. Ein Umstand, der sie schon länger beschäftigte. So viele Schüler rissen sich förmlich darum, in seiner Nähe zu sein, und doch ließ er nur Avery, Carrow und wenige andere – darunter neuerdings auch Gwen – an sich heran. Stets mied er der größeren Gruppen, blieb für sich, hier im Gemeinschaftsraum wie auch beim Essen. »Der Trubel liegt mir nicht«, antwortete er und trank einen Schluck Kürbissaft. »Ich gönne ihnen den Sieg und die Anerkennung, halte mich aber doch lieber heraus.« »Ja, da kann ich dich verstehen.« Gwen konnte ihn sich auch gar nicht so recht vorstellen, wie er Arm in Arm mit den anderen im Kreis stand und sang, es ging einfach nicht. Das passte nicht zu ihm, zu seiner ganzen Art, die sonst ebenso still war wie in diesem Moment. »Mir wird es mit der Zeit auch zu anstrengend.« Tom beugte sich zu ihr vor und wie automatisch tat sie es ihm nach. »In der Zweisamkeit ist es viel schöner, nicht wahr?« Er sprach leise, sodass sie ihn gerade noch verstehen konnte. Es waren nicht die Worte allein, die ihr einen wohligen Schauer verschafften, es war der Klang seiner Stimme, der Ton, in dem er sprach, dem er sich bewusst sein musste. Er konnte reden, konnte in jeden noch so kurzen, noch so banalen Satz so viel Bedeutung legen, dass es keinerlei weiteren Wortes bedurfte. Auf diese Weise hatte er die Lehrer für sich gewonnen, die Schüler, und wäre Gwen ihm nicht schon seit langer Zeit verfallen gewesen, so wäre es jetzt um sie geschehen. »So viel schöner«, bestätigte sie und hob ihr Glas an die Lippen, nur um festzustellen, dass es leer war. Das wäre ihr peinlich gewesen, wäre da nicht Toms Lächeln, als er es ihr aus der Hand nahm und mit seinem zusammen zur Seite stellte. »Siehst du, ich genieße die Zeit, die wir zusammen verbringen, ebenfalls. Die Nachhilfestunden meine ich. Ich bin wirklich stolz auf dich, wie groß deine Fortschritte in so kurzer Zeit sind.« Er stützte den Ellbogen auf den Oberschenkel und lehnte sich noch etwas weiter zu ihr. Beinah berührten sich ihre Gesichter. »Das liegt an dir.« Aus irgendeinem Grund war sie heiser, und ihr wurde so warm, dass sie spüren konnte, wie die Scheibe Kälte ausstrahlte. »Du musst wissen, einen Anderen hätte ich nie gefragt, denn keiner reicht an dich heran. Weder im Verwandlungsunterricht noch sonst irgendwie.« Sie hätte sich schämen müssen, doch die Worte kamen einfach wie von selbst über ihre Lippen. Zum Glück war außer ihm niemand in Hörweite, und für ihn waren sie ja bestimmt, schon so lang, doch nun hatte sie endlich den Mut gefasst. Ob durch die allgemeine Stimmung, durch das Butterbier, das sie zwischendurch getrunken hatte oder einfach durch seine Nähe, das spielte für sie in diesem Augenblick keine Rolle. Da war noch mehr, das sie hatte sagen wollen, doch sie konnte nicht, als er die Hand in ihren Nacken legte und ihren Kopf die letzten paar Zentimeter zu sich heranzog, bis ihre Lippen sich trafen. Eine Schrecksekunde verging, weil sie damit überhaupt nicht gerechnet hatte, bevor sie die Augen schloss und sich ganz dem Kuss hingab, der nach Kürbissaft schmeckte und der erste ihres Lebens war. Leise wie aus weiter Ferne hörte sie jemanden aus der feiernden Schülerschaft einen unartikulierten Laut machen, dann wurde für eine Ewigkeit, die einen Augenblick andauerte, alles aus ihrer Wahrnehmung ausgeblendet bis auf sie und ihn. Er ließ seine Hand, wo sie war, auch als sie sich voneinander lösten. Gwen beugte sich noch weiter vor, bis ihr Mund genau an seinem Ohr war. »Keiner reicht an dich heran, denn … Du bist etwas ganz Besonderes, Tom Riddle«, hauchte sie und setzte sich wieder aufrecht. Da veränderte sich etwas in seinem Blick. Er schien plötzlich nicht mehr so abwesend wie in der gesamten letzten Zeit, und sie hatte das Gefühl, dass sein Lächeln nun zum ersten Mal wirklich ehrlich war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)