I'll always remember von Liete ================================================================================ Kapitel 1: 1. Kapitel --------------------- Wie lange war es nun schon her, dass sie in einem richtigen Bett geschlafen hatten? In einem gemütlichen, warmen Raum mit einem prasselndem Feuer? Nicht auf hartem Stein, in einer Höhle oder unter freiem Himmel. Immer der Gefahr ausgesetzt von Feinden überrascht zu werden. Thorin konnte es nicht sagen. Genauso wenig konnte er wissen, wie lange es dauern würde, bis seine Gemeinschaft nochmals diese Annehmlichkeiten haben würde. Dann vielleicht sogar in ihrem eigenen Zuhause - ihrer Heimat. Wie fremd ihm diese Worte geworden waren. Zuhause… Heimat… Aber nun stand er im Türrahmen eines Raumes der ihm – zumindest für einige Nächte – genau dies ersetzen sollte. Eingeladen von einem Elben aus einem Dorf zwischen dem Düsterwald – welcher auf ihrer schweren Reise erst noch durchschritten werden musste – und dem Nebelgebirge – welches sie eben erst hinter sich gelassen hatten. Es war der letzte solcher Orte die überhaupt noch auf dem Weg zum Erebor zu finden waren. Sogar um seine Wunden, die er durch den Kampf mit Azog erlitten hatte, wollte man sich hier kümmern. Weshalb die Bewohner des Dorfes so hilfsbereit waren war ihm unklar. Das Leben musste für sie in solch einer unwirtlichen Umgebung ohnehin schwer genug sein. Aber der Zwerg war zu erschöpft für Misstrauen, zu erleichtert darüber seine Freunde in Sicherheit zu wissen. Zumindest Gandalf schien die Dorfbewohner bereits zu kennen und ihnen zu vertrauen. Langsam durchschritt Thorin den Raum, der von einem warmen Feuer erhellt war. Auch eine Schale und ein Krug mit Wasser zum Waschen standen bereit. Notdürftig wischte er sich damit das Blut aus dem Gesicht. Zu seinem Bedauern war es sein eigenes. Viel lieber hätte er das Blut des blassen Orks von sich waschen wollen. Aber er hatte versagt. Dieses Wissen schmerzte ihn mehr als jede körperliche Wunde es könnte. Azog… Der Mörder seines Großvaters und seines Vaters. Zerfressen von Hass, der ihn zu unbesonnen Taten trieb, glaubte er dennoch, dass die Zeit für seine Rache noch kommen würde. Ein leises Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen düsteren Gedanken. „Tretet ein.“ grummelte er. Eine, sogar für ihre Art kleine, recht zierliche Zwergin trat ein, beladen mit einer Tasche, mehreren sauberen Tüchern und einer weiteren Schüssel voll Wasser. „Ich wurde geschickt um Eure Wunden zu versorgen, mein König.“ Ehrfürchtig blieb sie stehen. Ihre Worte waren fast nur ein Flüstern, aber Thorin erkannte Ihre Stimme. Die Zwergin war ihm einst in einer großen Stadt im Süden aufgefallen, in der er eine Weile als Schmied gearbeitet hatte. Sie war eine unter vielen Zwergen und Zwerginnen gewesen, die sich dort ebenfalls zwischenzeitlich niedergelassen hatten, nachdem auch sie ihrer Heimat im einsamen Berg beraubt wurden. Mit verbissener Miene begab Thorin sich ans andere Ende des Raumes in dem ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen stand. Nun wo sein Körper zur Ruhe kam, machte sich ein reißender Schmerz in seinem Brustkorb bemerkbar. Das Ergebnis des brachialen Keulenschlags Azogs. Das Gehen viel dem jungen Helden zusehends schwerer und doch hielt er sich aufrecht. Darum bemüht die Haltung zu wahren, wie es ihm sein Vater vor so vielen Jahren beibrachte. Und doch konnte er seine Schmerzen nicht vor der Zwergin verbergen, die ihre Utensilien mittlerweile auf dem Tisch ausgebreitet hatte. „Darf ich Euch helfen, mein König?“, fragte sie und deutete auf die Schnallen die Thorins Wams zusammenhielten. Er nickte nur und legte mühsam seinen staubbedeckten Umhang ab. Kaum löste sich der Wams konnte er aufatmen. Ein riesiger Bluterguss erstreckte sich über seine Brust. Durchzogen von Narben längst vergangener Kämpfe. „Diese Wunden gehen weit über meine Fähigkeiten hinaus“, sagte die Zwergin leise, „Ihr solltet den Heiler aufsuchen, mein König. Er ist oft in den Wäldern unterwegs, aber Ihr habt Glück. Er ist für einige Tage hier. Wenn Ihr wollt, bringe ich euch hin, sobald ich getan hab was ich kann. Es ist nicht weit. Nur ein paar hundert Meter zum Fluss.“ Thorin zog scharf die Luft ein, als sie anfing die Bisswunden des Warges an seinem Arm und Schulterblatt mit einer übel riechenden Tinktur abzutupfen. „Verzeiht mir, mein König.“ „Hört auf mich so zu nennen!“, knurrte er, „Ich bin nicht Euer König. Solange mein Reich in den Klauen dieses widerlichen Drachen liegt, bin ich niemandes König.“ Hörbar seufzend fuhr die junge Zwergin fort die Bisse zu säubern. Hätte er nicht seine robuste Weste getragen, wären die scharfen Zähne direkt bis in die Lunge vorgedrungen. „Was ist euch widerfahren, dass ihr solch schlimme Verletzungen davon tragen musstet?“ „Ihr seid zu neugierig und ich nicht in der Stimmung meine Erlebnisse zu schildern.“ „Nun, vielleicht möchtet Ihr lieber eine Geschichte hören? Sie handelt von einer Zwergin die in einer Stadt der Menschen in der Ebene des Celebrant lebte.“ Ein Keuchen durchfuhr Thorin als ihn eine erneute Welle des Schmerzes seinen Brustkorb durchfuhr. „Ihr solltet Euch ausruhen, mein König.“ Ein kurzes, heiseres Lachen durchfuhr Thorin: „König… Nein. Erzählt ruhig eure Geschichte.“ Und sie erzählte. „Vor nicht allzu langer Zeit lebte eine Zwergin in einer Stadt der Menschen. Sie war nicht besonders schön, sehr jung und unerfahren. Ihre Eltern sind bei einem Feuer ums Leben gekommen, als sie noch ein Kind war. Eine Gruppe anderer Zwerge welche ebenfalls ihr Zuhause verlassen mussten, nahmen sie mit auf ihre Suche nach einem neuen Wohnsitz und ließen sie in eben dieser Stadt bei einer Menschenfamilie als Wäscherin zurück. Es war kein einfaches Leben, aber sie hatte stets genug zu essen und ein Dach über dem Kopf. Die Menschen bei denen sie unterkam behandelten sie stets sehr freundlich. Doch sie konnten ihr eine Heimat und die Gesellschaft ihres eigenen Volkes nicht ersetzen. Viele andere Zwerge zogen zu jener Zeit durch die Lande, verweilten vielleicht einige Monate oder auch Jahre und verschwanden wieder. Andere blieben. Meist Alte, die die Kraft für weitere Reisen nicht mehr aufbringen konnten oder wollten. Als die Zwergin schon viele Jahre in der genannten Stadt gelebt hatte, kam ein stattlicher junger Zwergenmann mit tiefen, unruhigen Augen in die Stadt. Er suchte sich eine Anstellung bei einem Waffenschmied und schnell wurde klar, dass er kein Meister in diesem Handwerk war, sich jedoch durchaus damit durchschlagen konnte. Dem Fremden ging es damit nicht anders, als es ihr selbst ergangen war. Obwohl die Zwergin ihn nie zuvor gesehen hatte und nicht wusste wer er war, war ihr auf den ersten Blick klar, dass dies der Eine war. Ihn wollte sie durch ihr ganzes Leben begleiten. Ihm wollte sie Glück und Freude in sein schönes Gesicht zeichnen und die Traurigkeit und Verbittertheit aus den Augen verbannen. Erst später erfuhr sie, wer er war und dass es ein unüberwindbares Hindernis zwischen ihnen gab. Und trotzdem wuchs ihre Sehnsucht nach ihm mit jedem Tag. Allein der Mut fehlte ihr es zu wagen. So verging die Zeit. Oft blieb sie in seiner Nähe, aber nie begegneten sich ihre Blicke. Sie nahm sich fest vor doch wenigstens einmal mit ihm zu sprechen, doch dann war er fort. Ohne den Fremden war die so große, volle Stadt für die Zwergin nur noch leer. Sodass sie es schließlich nicht länger dort aushielt und auch sie ihre wenigen Habseligkeiten packte und dem Ort den Rücken zuwandte. Sie zog einige Zeit durch die Lande, immer nordwärts in die Richtung ihres Geburtstortes und ließ sich schließlich in einem kleinen Ort, in dem fast alle Völker Mittelerdes vertreten waren und dem es doch keinen davon wirklich zu gehören schien, nieder. Sie erlernte im Laufe der nächsten Jahre verschiedenste Fähigkeiten. Sie stellte sich als gute Wirtin heraus, sie war eine gute Köchin, konnte schöne Stoffe weben, pflegte kranke oder verletzte Dorfbewohner oder Reisende, sogar als Schmiedin von Gold- und Silberschmuck konnte sie sich bewehren. Sie hätte mit ihrem Leben zufrieden sein können. Doch nichts was sie tat, konnte eine echte Leidenschaft entfachen. Und nie verlor sich die Sehnsucht nach dem einen Zwerg, welchen sie bis zum heutigen Tage nicht wieder sah.“ Kapitel 2: 2. Kapitel --------------------- Eine lange Stille folgte dieser Erzählung. Thorin war sich sehr wohl im Klaren darüber, um welche beiden Zwerge es sich in dieser Geschichte handelte. Schon damals in der Ebene war er sich den Wünschen der Zwergin bewusst gewesen. Auch er hatte gespürt, dass sie zusammengehörten. Diese Art der schicksalhaften Verbundenheit war unter ihrer Art nicht selten. Aus diesem Grund hatte er die Stadt damals verlassen. Er suchte seine Bestimmung darin sein Reich zurückzuerobern. Erst dann konnte und wollte er sich einem normalen, schöneren Leben hingeben, in seiner Heimat mit einer Familie, wie in seiner Kindheit. Und nun da er wusste, dass Azog der Schänder noch lebte, wuchs der Wille nach Vergeltung ins unermessliche. Verzweifelt suchte Thorin nach den richtigen Worten. Er war dem allen so müde geworden. Er war jederzeit bereit sich in einen Kampf zu stürzen, wenn es nur dem Ziel diente, sein Volk wieder zu vereinen und sei es noch so aussichtslos. Aber all die verstreuten Gruppen von auseinandergerissenen Familien zu sehen – heimatlos und ohne Hoffnung, immer auf Reisen um zu suchen, was sie doch nicht finden konnten – das war etwas für das er nicht geschaffen war. Und nun auch noch die Träume der so verzweifelt Liebenden zerschlagen? Abwartend saß die Zwergin auf dem Stuhl hinter Thorin. Sie war anscheinend fertig mit der Säuberung der Wunden. Mühsam stand Thorin auf, drehte sich um und sah der Zwergin in die Augen. Hoffnung und Vorfreude strahlte ihm daraus entgegen. Wie lang hatte sie auf diesen Augenblick gewartet. Dem Moment in dem sich all ihr Sehnen erfüllte. Sie wusste, dass er ihr Schicksal war. Und Thorin wusste es ebenso. Das war zu viel. Er drehte sich um, nahm seinen Umhang und ging mit schwerfälligen Schritten aus dem Zimmer. Gerade als er die Tür öffnete hielt sie ihn zurück. „Mein König?“ Thorin sah auf, drehte sich jedoch nicht um. „Hört zu Mädchen. Ich…“, immer noch wollten die richtigen Worte nicht gefunden werden, „Ich… Vielen Dank für Eure Hilfe. Ich hoffe Ihr findet Euren Einen.“ Er öffnete die Tür und verließ sie. Ein unterdrücktes Schluchzen drang zu ihm. Vor seinem geistigen Auge konnte er die Tränen ihre Wangen hinunterlaufen sehen. Und auch ihm schien es ein Stück seiner Seele zu zerreißen. Er schloss die Tür hinter sich, war jedoch nicht fähig auch nur einen Schritt zu tun. Was nun? Azog war ihm entkommen. Oder war es umgekehrt? Die Eroberung des Erebor lag in weiter Ferne und seine Kräfte waren erschöpft. Der Anblick des einsamen Berges von der Spitze des Carrock aus, hatte ihm Mut und Hoffnung gegeben und sein Herz für einen Moment schneller schlagen lassen. So weit waren sie schon gekommen. Doch die Freude war schnell wieder vergangen. Selbst wenn Sie es zum Berg oder sogar hinein schafften – wie sollten Sie den Drachen töten? Schon oft auf ihrer Reise hatte ihn diese Frage gequält, doch nie fand er auch nur den Ansatz einer Antwort. Smaug würde sie alle bei lebendigem Leibe verbrennen. Auch Fili und Kili. Dabei hatte Thorin seiner Schwester versprochen, sie nicht in Gefahr zu bringen. Und nun fand ihn auch noch die junge Zwergin wieder, vor der er schon einmal feige davongelaufen war, um ihrer beider Herzen Leid zu ersparen. Auch wenn ihn das Schicksal förmlich anschrie, sie in seine Arme zu schließen und nie wieder loszulassen. Heute lief er wieder vor ihr davon. Leid konnte er dieses Mal jedoch nicht verhindern. Weder ihres noch seines. Das was unerreichbar schien war das was er wollte. Und das was zum Greifen nah schien wollte er nicht haben – nicht jetzt. So stand er dort im kleinen, halbdunklen Gang, Die Hand fest auf die schmerzende Brust gedrückt, und war in seinen eigenen Gedanken gefangen. Er hörte schnelle, trampelnde Schritte auf sich zukommen. Eindeutig die von Kili. Selbst wenn es um sein Leben ginge, könnte Kili sich nicht leise fortbewegen. Zudem ging von ihm steht’s eine geradezu kraftsprühende Aura aus, welche Thorin aus duzenden Metern Entfernung wahrnahm. Augenblicklich straffte sich sein Rücken und er nahm seine gewohnt grade Haltung an. „Thorin! Onkel! Hast du die Zimmer gesehen! Richtige weiche, warme Betten! Ich werde schlafen wie ein Baby!“ Die Freude in Kilis Worten ließ sogar Thorin lächeln. Aber es war ein verbissenes Lächeln, was Kili nicht entging. „Was ist los?“ Thorin seufzte. Natürlich konnte er Kili seine Schmerzen nicht verheimlichen. Verstohlen versuchte Kili einen Blick auf Thorins Wunden zu werfen. Doch der versteckte sie unter seinem Mantel. Thorin kannte seinen Neffen wie einen Bruder. Und somit auch seine Schwächen. „Alles in Ordnung. Ich brauche nur ein wenig Ruhe. Ich hab meine Räume ebenfalls schon gesehen. Und das Beste wartet in der Halle auf euch. Ich hab gehört es gibt ein Mahl, ähnlich dem das Bilbo uns zu Beginn unserer Reise auftischte.“ „Wirklich?! Da gab es sogar Bier!“ Seine Augen sprühten vor Erregung. Er fing an von einem Bein auf das andere zu wippen. „Ich denke auch Bier wird es hier geben.“ „Großartig! Worauf warten wir also?!“ Kili war nicht mehr aufzuhalten und eilte bereits den Gang hinab um seinen Bruder zu holen. Zum Glück für Thorin, dass Kili noch so jung war. Andernfalls hätte er sich nicht so einfach von den Sorgen um seinen Onkel ablenken lassen. Aber Thorin brauchte ein paar Minuten für sich. Kili wird ihm das sicher nicht verübeln. Kaum war er um die nächste Ecke gebogen, sackte Thorin wieder in sich zusammen. Sein Atem ging zu flach. Und so sehr er sich auch bemühte, an tiefes gleichmäßiges Luft holen war nicht einmal zu denken. Thorin musste es sich eingestehen. Ihn hatte der Kampf gegen Azog und seinem weißen Warg mehr zugesetzt als es zunächst den Anschein hatte. Kapitel 3: 3. Kapitel --------------------- Seine Wunden brannten wie Feuer. Was zur Hölle hatte diese Zwergin ihm da auf die Haut gerieben? Der scharfe Geruch dieser Salbe machte ihn schwindlig. Er brauchte unbedingt frische Luft. Er taumelte aus dem Gasthaus und blieb auf der Straße stehen. Die Sonne war bereits hinter den Bergen im Westen untergegangen. Die Luft war zu dieser Jahreszeit noch nicht sehr kalt, aber er fror erbärmlich. Auch sein Mantel konnte ihm nicht viel helfen. Die pulsierenden Schmerzen in seinem Brustkorb wurden mit jeder Minute schlimmer. Die Zwergin hatte Recht. Er brauchte mehr Hilfe als sie ihm hatte bieten können. Was hatte sie mit ihrer lieblichen Stimme gesagt wo der Heiler weilte? Am Fluss. In welcher Richtung lag der Fluss? Wo war er überhaupt? Alles um ihn herum drehte sich und immer wieder sah er die feinen Züge der Zwergin vor sich – mal freudig lächelnd, mal bitterlich weinend, dann wieder nur die wohligen Rundungen ihrer Silhouette. Sie war so schön. In der Ferne hörte er jemanden oder etwas aufheulen. Ein Wolf? Eine Horde Warge? Orks? Azog? Griff jemand das Dorf an? Auf einem Schlag wurde ihm heiß. Der Schweiß brach ihm aus. Er sah nur noch kleine Sterne vor den Augen flimmern. Und dann war alles dunkel. Ohne dass Thorin es bewusst wahrgenommen hatte, ist er hintenüber in die Böschung am Rand der Straße gefallen. Dort lag er nun, halb verdeckt von dornigen Büschen. … … … Beängstigende Bilder schossen durch Thorins Gedanken. Kili, mit weit aufgerissenen Augen, bewegungslos inmitten eines riesigen Schlachtfelds. Fili, der ihn anschrie und verzweifelt versuchte ihn aufzuwecken. Balin und Dwalin die Rücken an Rücken mit letzter Kraft gegen eine Horde Orks kämpften. Eine weitere Welle Orks kam über die Hügel gerannt und auf Wargen geritten. Dem entgegen stellte sich eine Gruppe von etwa fünfzig bewaffneten Zwergen, bestehend aus seinen eigenen Gefährten, sodass er jeden von ihnen mindesten dreifach kämpfen sah. Auch sich selbst sah Thorin dort auf dem Kampfplatz verbittert um sein Leben kämpfen. Es würde aussichtslos sein. Es stank fürchterlich nach Blut, Tot und Rauch. Über der ganzen Szene stand Azog auf einem breiten, flachen Felsen mit seiner Keule in der Hand, die Thorin schon einmal zu Fall gebracht hatte. Befriedigt betrachtete er die Entwicklung des Kampfes. Neben ihm lag sein blasser Warg mit blutverschmiertem Maul ebenfalls aufmerksam dem Kampfgeschehen folgend. Zu seinen Füßen lag die Zwergin. Ihr feines Haar war blutgetränkt. Aus mehreren Wunden am ganzen Körper troff weiteres Blut. Ein kleiner Hauch Leben floss noch durch ihre Venen, aber wer weiß wie lange noch. Azog blickte Thorin an, sah seine Furcht, den Schock und die Verzweiflung und fing schallend an zu lachen. Panisch schreckte Thorin aus diesem furchtbaren Traum auf. Über ihn gebeugt stand ein zerzauster Kerl mit wirrem Haar. Beruhigend sprach er auf Thorin ein: „Sch… Sch… ruhig… ruhig junger Zwerg. Schön Euch wieder unter den Wachenden zu wissen.“ Behutsam drückte er ihn zurück auf die harte Holzpritsche. Der merkwürdige Kauz wirbelte herum, ergriff einen Holzbecher und reichte ihn Thorin. „Trinkt das.“ Thorin war immer noch benommen. Sein Herz galoppierte als wollte es den Brustkorb durchbrechen, was seine Schmerzen noch verstärkte. „Wer seid Ihr?“, keuchte Thorin und versuchte seine verschwommene Sicht durch blinzeln zu schärfen. „Oh! Ihr enttäuscht mich Thorin Eichenschild. Ihr solltet mich kennen.“ Langsam kam Thorin vollends zu sich. Er erkannte die Stimme tatsächlich. Erleichterung durchfuhr ihn: „Radagast. Ihr seid es. Welch ein Glück.“ „Ganz Recht, ganz Recht. Ich habe euch in mein Haus gebracht. Ihr seid fürs Erste in Sicherheit. Wenn Ihr wollt nennt es Glück.“, er grinste geheimnisvoll, „Nun trinkt. Es wird Euch gut tun.“ Radagast stützte ihm den Nacken und half ihm so einige Schlucke des widerlichen Gebräus zu sich zu nehmen. Langsam beruhigte sich Thorins Herzschlag. Erschöpft sank er wieder auf das Holzbett. „Nun gut. Das soll nicht alles gewesen sein.“ Radagast wirbelte erneut herum und kramte aus einer Kiste verschiedene Utensilien hervor. Er setzte eine Kräutermischung in Brand, blies das Flämmchen wieder aus und stellte die rauchende Schale neben Thorin auf ein schmales Schränkchen. „Eine üble Verletzung habt Ihr Euch da zugezogen. Aber überlasst das nur mir.“ Die Dämpfe der Kräuter ließen Thorin noch ruhiger werden. Fast konnte er sich ein wenig entspannen. Wieder kam ihm das hübsche runde Gesicht der Zwergin in den Sinn. Hatte er richtig gehandelt? Wie hatte er diesem zauberhaften Wesen nur so einfach ihre größten, sehnsüchtigsten Wünsche zerstören können? Zerbrach sie vielleicht sogar daran? Hatte er nicht vielleicht, und sei es nur für einen kurzen Moment, vergessen können, was er war – oder eben nicht war. Nur für einen Augenblick - einen Herzschlag - eine Berührung - eine Umarmung - einen einzigen Kuss lang. Der Rauch der Kräuter machte ihn immer benebelter. In Thorin entstand eine tiefe Sehnsucht, die er so noch nie empfunden hatte. Das musste es sein, was auch die Zwergin fühlte. Wie konnte er diesem liebreizenden Geschöpf nur die kalte Schulter zeigen? Thorin wollte diese wunderbare Schöpfung einfach nur noch halten, wollte sie beschützen, wollte jedes Stück ihrer Seele und ihres Körpers kennen lernen. Er wollte sie lieben bis ans Ende ihrer beider Leben. Diese Wünsche entwickelten sich bereits bei ihrem ersten Treffen in der Ebene vor so vielen Jahren. Doch wie konnte dieses Verlangen nach dieser zweiten, kurzen Begegnung plötzlich so stark werden? Und war er nur deshalb auch bereit seine Pflichten hintenan zu stellen? Wie aus weiter Ferne hörte Thorin Radagast zu ihm sprechen: „Oh! Welch bitter-süße Miene Ihr aufgelegt habt. Wer mag es sein, der Euer Herz so verwirrt?“ Thorin drehte langsam den Kopf in die Richtung aus der die Stimme kam. Radagast saß direkt an seiner Seite. Er wollte antworten. Doch da stutzte er. Wer war sie überhaupt? Er kannte nicht einmal ihren Namen. Was ist, wenn sie in ihrem Leid diesen Ort verlassen hatte. Nach wem sollte Thorin suchen? Nach wem konnte er sich durch die Lande fragen? Hatte er vielleicht den schlimmsten Fehler seines Lebens begangen? Wieder drang die Stimme des Zauberers zu ihm: „So bedrückt Herr Thorin? Hütet Euch davor, so Eure Reise weiterzuführen. Unterschätzt niemals die Stärke eines glücklichen, zufriedenen Herzens, mein Freund.“ Thorin wollte etwas antworten, doch seine Zunge war ihm schwer wie Blei. „Oho! Vielleicht habe ich etwas übertrieben mit den Kräutern.“, er kicherte leise, „Ich vergaß, dass Ihr solche Behandlungen nicht gewohnt seid.“ Er sprang auf und legte die immer noch rauchende Schale ans andere Ende des Raumes. „Kümmern wir uns also zunächst um Eure körperlichen Leiden. Ihr habt starke innere Blutungen. Eure Lunge scheint es auch in Mitleidenschaft gezogen zu haben und wie es aussieht auch ein paar Rippen. Ihr seid wirklich bemerkenswert zäh, dass Ihr bei solchen Verletzungen noch auf den Beinen seid. Nun ja. Mehr oder weniger. Nun gut. Es ist nichts, was nicht wieder in Ordnung zu bringen wäre. Aber ich muss Euch warnen. Das wird unerfreulich.“ Kapitel 4: 4. Kaptel -------------------- Nun, wo der betäubende Rauch zwar nicht fort, aber immerhin nicht mehr so stark war, beruhigten sich Thorins Gedanken wieder. Jedoch blieb eine unbestimmte Verwirrung. Hatte Fili um seinen Bruder trauern müssen? Hatte Azog ein so mächtiges Heer um sich scharen können? Hatten letztendlich alle seine Freunde ihr Leben in einem so ungleichen Gefecht lassen müssen? Und war nicht auch die Zwergin dort gewesen? Er blickte durch den kleinen Raum und erblickte Radagast. Richtig. Der Zauberer wollte ihm helfen. Radagast eilte durch jeden Winkel des Häuschens, offensichtlich war er auf der Suche nach etwas. Leise murmelte er vor sich hin: „Verflixt! Ich weiß, er war hier irgendwo. Ich hatte ihn doch vor einen Moment noch in der Hand. Das ist ja wie verhext!“ Sein Blick blieb an dem kleinen Feuer im Kamin hängen. „Ach! Natürlich! Wo hab ich nur meine Gedanken.“ Er huschte die wenigen Schritte zu dem Tisch in der Ecke des Raumes, auf dem allerlei Bündel von Kräutern, Federn und Schalen mit verschiedenfarbigen Flüssigkeiten, Pulvern und Salben verstreut lagen und griff nach seinem hölzernen Stab der an den Tisch gelehnt stand. Er tastete an dem Stein am wurzelförmigen Ende des Stabes herum, aber dieser ließ sich nicht lösen. Er flüsterte einige komplizierte Worte, woraufhin ihm der Stein wie von selbst in die Hand rutschte. Er war etwa faustgroß, länglich und leuchtete blass. Mit dem Relikt in der Hand wandte er sich an Thorin: „Manchmal muss Magie erst überzeugt werden. Aber sie ist auf Eurer Seite.“ Abwesend starrte er auf den mystischen Stein. Er hatte die Farbe des tiefen, weiten Belegaer, ein dunkles Blau aus dem ein schwacher aber deutlich sichtbarer Schimmer glühte. Radagast seufzte. „Nun gut. Seid Ihr bereit Herr Thorin? Ach was rede ich da? Natürlich seid Ihr das.“ Er setzte sich wieder auf den Stuhl neben der Pritsche und schob sich seine Ärmel ein Stück hoch. Wieder flüsterte er dem Relikt unbestimmbare Worte zu, bevor er ihn flach auf Thorins nackte Brust legte und dort festhielt. „Versucht einfach Euch nicht zu bewegen.“ Als der Stein seinen Brustkorb berührte, spürte Thorin eine angenehme Wärme die davon ausging. Sie sammelte sich auf seiner Haut und breitete sich darauf aus, bevor sie sich wie Nebel in seinem Innersten ausbreitete. Ein stetiger Fluss aus Wärme strömte immer weiter nach. Als hätte dieser Strom keinen Ablauf, staute er sich und wurde immer wärmer. Schließlich wurde es richtiggehend heiß und immer heißer, bis es sich schließlich anfühlte als würde sein Brustkorb brennen. Unwillkürlich spannte sich Thorins Körper an. „Radagast… wartet…!“ Der Zauberer ging nicht darauf ein. Er stand auf und drückte den Stein fester auf seine Brust. Die Hitze in Thorin schwoll immer weiter an. Sie glühte in ihm wie das heißeste aller Schmiedefeuer. Thorins Hände ballten sich zu Fäusten, er stemmte die Ellenbogen und Fersen in das harte Holz unter ihm und versuchte sich aus diesem furchtbaren Brennen zu winden. „Radagast! … bitte!“ Es sollte aufhören! Doch der Druck auf seinem Brustkorb ließ nicht nach. Der Zauberer war nun weit über ihn gebeugt und presste fast sein gesamtes Körpergewicht auf den Stein und damit auf Thorins Brustkorb. Dieser Druck nahm ihm alle Luft zum atmen. Es schmerze so. Das Brennen wollte und wollte nicht aufhören. Ihm wurde schwarz vor Augen, doch die erlösende Ohnmacht wollte sich nicht einstellen. Thorins Gedanken kreisten nur noch darum diesen entsetzlichen Flammen in seinem Inneren zu entgehen. Noch nie hatte er solche Schmerzen zu ertragen gehabt. Verbissen presste er die Kiefer zusammen. Mit einem Keuchen verschwendete er die letzte übriggebliebene Luft aus seinen Lungen. Einige schmerzlich lange Sekunden vergingen. Dann endlich ließ der Druck schlagartig nach, doch das höllische Brennen blieb. Gierig atmete Thorin tief ein, wobei seine Rippen mehrfach hörbar knackten. Endlich konnte er seine Schmerzen und all seinen Frust frei herausschreien. Was er tat solange dieser eine Atemzug nur reichte. Nun, da Radagast mit diesem verfluchten Stein von ihm zurückgetreten war, konnte er zwar wieder atmen und sich bewegen, aber vor dem wütenden Feuer in ihm gab es noch immer kein entkommen. Er drehte sich auf die Seite und krümmte sich vor Schmerzen. Alles in ihm zog sich zusammen, in dem Versuch diese flammende Glut auszuschließen. Ein heller Blitz zuckte vor seinen Augen auf. Für einen Moment gab sein Körper jede Lebensfunktion auf. Sein Blut stockte in den Adern, sein Atem setzte aus und selbst sein Herz blieb für diesen Augenblick stehen. Erneut ergriffen ihn die Furcht und die Verzweiflung aus seinem Traum. Sollte das wirklich schon das Ende sein? Würde er seine Freunde im letzten Kampf nicht einmal unterstützen, geschweige denn anführen können? Hatten sie überhaupt eine Chance? Wieder hörte er Azogs siegessicheres Gelächter, sah Fili weinend seinen kleinen Bruder eng an sich gedrückt halten. Nein! Das würde Thorin nicht zulassen. Er würde sie alle beschützen und Azog in die Knie zwingen. Er würde kämpfen bis zum letzten Moment und dieser war noch nicht gekommen! Er zwang sich einzuatmen, spürte, wie sein Herz zögernd wieder anfing zu schlagen, wie es das Blut wieder durch seine Venen trieb. Die lodernde Hitze in ihm ließ nach. Nur ein feines Glimmen blieb zurück. Erleichtert atmete Thorin auf. Seine Muskeln entspannten sich. Erschöpft drehte er sich wieder auf den Rücken und blieb dort liegen. Nach einigen Augenblicken ließ endlich auch das übriggebliebene Glimmen nach. Radagast hatte den Stein auf dem kleinen Schrank abgelegt. Er reichte Thorin einen Becher Wasser, der sich mühsam aufsetzte und diesen dankbar entgegennahm. „Nun, wie fühlt Ihr Euch jetzt?“ „Furchtbar! Das… war in der Tat ‚unerfreulich‘. Ihr solltet Eure Definition dieses Wortes nochmal überdenken.“ Nachdenklich neigte Radagast den Kopf und sah ihm in die Augen: „Horcht in Euch hinein, ehe Ihr auf meine Frage antwortet junger Zwerg.“ Und so lauschte Thorin in sich. Sein Herzschlag war ruhig und kraftvoll, sein Atem tief und gleichmäßig, kein Schwindelgefühl und keine Spur des ehemals so pulsierenden Schmerzes. „Ihr habt Recht. Ich fühle mich viel besser.“ „Haha!“, Radagast lachte breit und setzte sich wieder auf den Stuhl neben der Pritsche auf der Thorin saß, „Ich wusste doch, dass es funktionieren würde. Nicht, dass ich je daran gezweifelt hätte, aber ich hatte schon Bedenken, ob es nicht bereits zu spät sei.“ Zufrieden nickte er. Thorin sah an sich hinab. Die dunkle Färbung des Bluterguss war noch da, doch die Schwellung war zurückgegangen. Er nahm den Geruch der Salbe wahr, welche die Zwergin ihm auf die Bisse gerieben hatte. Ein Stich durchzuckte seinen Magen. Die Zwergin… Ob sie noch immer in seinen Räumen saß und weinte? Hatte er vielleicht noch die Chance seinen Fehler wieder gut zu machen? Kapitel 5: 5. Kapitel --------------------- Die Erleichterung über die endlich überstandene Prozedur der Heilung rückte in den Hintergrund. Es ist ein Fehler gewesen, nicht wenigstens den Mut aufzubringen der Zwergin die Gründe dafür zu nennen, warum er sie nicht erhören konnte. Oder nicht? Es ist doch so viel einfacher. Radagast‘ Worte holten ihn aus seinen Gedanken zurück: „Junger Thorin, Ihr verdrängt etwas Wichtiges.“ Er winkte abfällig: „Es ist immer das Gleiche mit diesem ach so zivilisierten Völkern. Immer vergessen sie was wirklich wichtig ist. Stärke resultiert nicht aus bloßer Muskelkraft und ungebrochenem Siegeswillen.“, er seufzte tief, „Ihr könnt es nicht leugnen junger Thorin. Im Rausch dieser Kräuter wird so manches wohl gehütetes Geheimnis enthüllt. Lasst mich Euch einen Rat geben.“ Er sah Thorin tief in die Augen: „Belastet Euer Herz nicht grundlos. Gönnt wenigstens diesem Teil Eurer Seele Frieden, bevor Ihr in Euren Krieg zieht. Ihr werdet es bereuen, wenn es erst zu spät ist.“ Unruhe stieg in Thorin auf. Radagast hatte Recht. Der einfache Weg war nicht immer der Beste. War es das überhaupt jemals? Diese Zwergin gehört zu ihm. Und sie Beide wussten es. Warum es länger vor ihr verleugnen? Er sah zu dem Zauberer auf, der während seiner Rede aufgestanden war und nun unruhig im Raum auf du ab ging. Seiner schnellen Genesung nicht recht trauend stand Thorin vorsichtig auf, doch es war alles in Ordnung. „Radagast…“ Der Zauberer unterbrach ihn wirsch: „Es sind keine Worte nötig, junger Zwerg. Doch seid in Zukunft vorsichtiger bei der Wahl Eurer Widersacher. Denn dann werde ich nicht vor Ort sein um Euch zu helfen.“ Thorin verneigte sich leicht zum Zeichen seines Dankes. Radagast lächelte breit zur Antwort. Ohne ein weiteres Wort nahm Thorin seinen Mantel und verließ das kleine Haus. Vor der Tür ließ Thorin den Kopf in den Nacken fallen und atmete so tief ein, wie er nur konnte. Die klare Luft hier draußen tat ihm gut. Endlich wusste er was zu tun ist. Er sah sich um. Am Ende der Straße sah er bereits das einladend beleuchtete Gasthaus. Auf direktem Weg ging er die Straße hinauf. Er wollte keine weitere Minute verlieren. In der Halle lärmten die zwölf Zwerge und mit Sicherheit auch Bilbo. Der Halbling ließ sich ebenso wenig ein kostenloses Festmahl entgehen, wie es der Rest seiner Gemeinschaft tun würde. Keiner von ihnen schien Thorin bereits vermisst zu haben. Vor seinen Räumen blieb er verunsichert stehen. Hatte er die richtigen Worte nun schon gefunden? Er würde sich für seine Lüge entschuldigen. Er würde gestehen, dass es kein Zufall war, dass sich ihre Blicke in der Zeit, in der sie in der Stadt der Menschen gelebt hatten, nie getroffen hatten und er so bald verschwunden war. Und er würde sie für seine Feigheit um Verzeihung bitten, sie nun schon zum zweiten Mal der Erfüllung ihrer Träume beraubt zu haben. Er würde ihr schwören sie, in dem schönsten goldenen Kleid das in ganz Mittelerde je gesehen wurde, zur Königin zu machen. In der prunkvollen Halle des Erebor würde er sie zur Frau nehmen und für immer für sie da sein. Und so sie ihm nur ein kleines Stück weit verzeihen könnte und es ihm erlaubte, würde er so sanft wie nur möglich dieses Versprechen mit einem Kuss auf ihre Stirn besiegeln, wie es unter seinem Volk einst üblich war. Ja. Das war es, was er tun würde. Mut und Zuversicht keimten in ihm auf. Ein letztes Mal holte er tief Luft. ‚Bitte. Lass sie mir meine dumme Feigheit verzeihen!‘ Sollte er eigentlich anklopfen? Er war so aufgeregt. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Leise öffnete er die Tür ein Stück und lugte durch den Spalt wie ein kleiner, spionierender Junge. Die Leere die ihm aus dem Zimmer entgegen starrte war wie ein Schlag ins Gesicht. Sie war nicht hier. Thorin wurde das Herz schwer. Und schon im nächsten Moment schalte er sich selbst. Wie naiv von ihm. Natürlich war sie fort. Warum hätte sie auch warten sollen? Er hatte sie abgewiesen. Er schloss die Tür hinter sich. Das Feuer im Kamin knisterte im gleichen Rhythmus wie zuvor und doch war alles dunkler. Die von ihr mitgebrachten Sachen waren verschwunden. Nicht die kleinste Spur hatte sie hinterlassen. Nur sein Wams lag ordentlich zusammengefaltet auf dem Tisch. Niedergeschlagen setzte Thorin sich auf den Stuhl, auf dem er schon vorher gesessen hatte. Er nahm seine Kleidung in die Hand. Bildete er sich das nur ein oder duftete sie sogar noch nach ihr? Tief sog er ihren Geruch in sich ein. Er spürte wieder ihre vorsichtigen Berührungen auf seiner Schulter, hörte ihre sanfte Stimme. Frust sammelte sich in Thorin. Mehr als er je meinte ertragen zu können. Müde sackte er über der Tischplatte zusammen. Den Kopf auf eine Hand gestützt, die Haare fielen ihm ins Gesicht, seinen Wams fest an seine Wange gedrückt. Er spürte sogar noch die Nässe ihrer Tränen. Er hatte es vermasselt. Alles hätte für den Moment so schön sein können. Er hätte das Versprechen mit dem Kuss besiegelt und dabei den wunderbaren Duft ihres Haars aufnehmen können. Doch so schnell hätte er sie nicht wieder loslassen können. Vorsichtig hätte er ihre Wangen in seine Hände genommen und sie an sein Gesicht gezogen. Er hätte ihren warmen Atem auf seinen Lippen gespürt, der einen wohligen Schauer über seinen Rücken laufen lassen hätte. Er hätte ihr in ihre unergründlichen Augen geblickt und nach einem Zeichen der Zustimmung gesucht. Und wenn auch nur die kleinste Spur davon erkennbar gewesen wäre, und er wusste mit Gewissheit, dass es das wäre, hätte er sich ihrer beiden Lippen berühren lassen. Das überwältigende Prickeln, das in ihm aufgestiegen wäre, hätte auch sie erfasst. Er hätte sie fest an sich gedrückt und ihre wohl proportionierten Rundungen an seinem Körper gespürt. Vorsichtig hätte seine Zungenspitze ihre Lippen nachgezeichnet. Und sie hätte es ihm gleich getan. Sie hätten sich schließlich gefunden und zart betastet. Ihrer beider Leidenschaft hätte sie übermannt. Die sanften Berührungen ihrer Zungen und Hände wäre fordernder, stürmischer geworden. Und für diese viel zu kurze Zeit wären sie beide erfüllt mit schier unendlichem Glück. Doch es war zu spät. Er hatte versagt – wieder einmal. Ein tiefes Seufzen entfuhr Thorin. Vielleicht war es besser so. Nach allem war er doch noch immer ein König ohne Krone, ohne Reich, ohne Volk und ohne Zukunft. Welches Recht hatte er schon diese Frau zu wählen? Langsam zog er sein Wams an. Er genoss den letzten Rest des süßen Duftes, der ihn umgab. Vielleicht schon in wenigen Stunden würde er verflogen sein. Und auch die Tränen darin wären getrocknet. Thorin suchte Halt in dem Gedanken, dass sie auf diese Weise doch immer noch bei ihm war. Er blickte auf und starrte in die Dunkelheit vor dem schmutzigen Fenster, doch nichts war dort draußen zu sehen. So vergingen einige Minuten in denen Thorin trübsinnig seinen Gedanken nachhing, bis ihn ein Geräusch an der Tür aufhorchen ließ - eine Art Scharren oder Kratzen. Thorin drehte sich langsam um. Auch nur den kleinsten Funken von Hoffnung verbot er sich und konnte doch nichts dagegen tun, dass er sich in seinen Geist einschlich. Schließlich senkte sich der Türgriff und herein gestrauchelt kam Kili. „Onkelschen! Da bis du ja. Wir vermissn disch schon alle. Du hattst Recht. Es gibt Bier. Richtig Guts sogar! Und wenn d‘ nich bald mitkommst, wirst du nichs mehr davon abkriegn!“ Er grinste breit, schwankte zu Thorin und ließ sich ihm gegenüber auf den Stuhl fallen. Ungläubig blinzelte Thorin seinen Neffen an: „Junge, bist du betrunken. Das wird dir morgen sehr leid tun.“ „Ach komm schon Onkelschen!“ Er guckte Thorin mit großen treuen Augen an und knuffte ihn schließlich in die Schulter. „Wann habn wir schon mal die Gelegnheit richtig zu feiern?“ Er taumelte um Thorin herum und umarmte ihn über die Stuhllehne hinweg. „Nich so misssmutig Onkelschen. Balld sin wir beim Erebor und dann haun wir den doofn Drachn tot und dann habn wir unser schönes Zuhause wiedr. Und dann wird alles gud.“ Thorin grinste in sich hinein. So wie Kili es sagte, war es eigentlich ganz einfach. Kili ließ seinen Onkel los und taumelte durch das Zimmer. Leise und auffallend klar sang er ein Lied, das Thorin nur zu gut kannte: „Über die Nebelberge weit, zu Höhlen tief aus alter Zeit, da ziehn wir hin da lockt Gewinn, An Gold und Silber und Geschmeid“ Er setzte sich auf die Kante von Thorins Bett und blinzelte träge. „Und dort wo knisternd im Gehölz erwacht, Ein Brand vom Winde angefacht...“ Langsam ließ er sich nach hinten umkippen. „Zum Himmel rot die Flamme loht, Der Wald befackelt hell die Nacht.“ Die letzten Takte der Melodie waren deutlich langsamer und leiser geworden und die letzten Silben hatte Kili sicher nicht einmal mehr mitbekommen. Sein leises Schnarchen erfüllte den Raum. Nun musste Thorin wirklich lächeln. Sein Neffe verstand es ihn wieder aufzurichten, auch wenn er selbst es nicht merkte. Zumindest für ihn musste er stark bleiben. Für seine Gemeinschaft und seine Schwester, für sein zukünftiges Volk. Und nicht zuletzt auch für seine zukünftige Gemahlin. Denn er würde sie finden. Und auch wenn sie nichts davon wusste, so würde er sein Versprechen doch wahr machen. Und dann wäre er endlich ihr König – ihrer allein. Vorsichtig zog Thorin die Decke unter Kili hervor und deckte ihn damit zu. Kili schien nicht das Geringste davon zu merken. Nicht einmal der Drache hätte ihn in dieser Nacht aufwecken können. Sein Schnarchen schwoll zu einer beachtlichen Lautstärke an. Thorin schmunzelte immer noch in sich hinein. Seinem Neffen würde ein übler Morgen bevorstehen. Aufrecht verließ Thorin seine Räume um seinen treuen Begleitern Gesellschaft zu leisten und vielleicht doch noch etwas von dem Bier zu bekommen. Erst jetzt merkte er, wie hungrig er war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)