Das Lied im Automaten von pandine ================================================================================ Kapitel 11: Getrennte Wege -------------------------- Alyne sah sich um. Heißer Atem entkam ihr keuchend, ihre Brust krümmte sich bei jedem Einatmen schmerzhaft zusammen. Wo war sie? Wie weit war sie gelaufen? Kein Stoß zu spüren. Es schien, als würde die Gefahr gebannt sein. Vorsichtig blickte sie sich um. Niemand war zu sehen. Auch nicht ihr Begleiter, Feliff. Wo war er? Sie seufzte frustriert und ließ sich auf den Boden sinken. Sie lehnte sich an den kühlen Baumstamm der Eiche, an der sie Halt gesucht hatte. In ihrer einen Hand befand sich immer noch das Schwert, das Einzige, welches sie nun noch hatte. Was die Dorfbewohner wohl mit ihrem Sammelsarium an Metallklingen machen würden? Vielleicht verkaufen. Oder sie würden sie behalten, bis ihre Besitzerin eines Tages zurückkehren würde. An diese Hoffnung klammerte sie sich, als sie kurz die Augen schloss. Nur kurz würde sie sich ausruhen, vielleicht fand er sie in dieser Zeit ja. Dann könnten sie weitergehen und das Rätsel ihres Vaters lösen. Nur noch ganz, ganz kurz... Ihre Hand berührte etwas Hölzernes, aber es fühlte sich glatt und nicht rau an. Es konnte also keine Rinde eines Astes oder Baumes sein. Die Müdigkeit immer noch in den Augen habend öffnete sie ein Auge. Sie schielte zu dem Gegenstand, den ihre Hand berührt hatte, und ihr Herz setzte einen Schlag aus. Es war nichts Fürchteinflößendes, dazu war es zu klein und zu normal, aber es war etwas, das sie nicht erwartet hatte. Sie erkannte es im Dunkel zwar nur schemenhaft, aber es war unverwechselbar. „Was macht der Automat hier?“, fragte sie sich selbst flüsternd. Sie stupste eine freie Stelle der Holzwand an, doch er rührte sich nicht. Er schien in der Erde festzustecken, aber warum um alles in der Welt war er hier? Und nicht bei Feliff, der ihn schließlich die ganze Zeit umklammert gehalten hatte? Es war ein Rätsel, dessen Lösung sie nicht zu sehen vermochte. Schließlich seufzte sie und schüttelte den Kopf. Sie massierte sich die Schläfen, es war alles so furchtbar kompliziert geworden! Ihr Vater hatte sich ein nettes Abschiedsgeschenk ausgedacht. Entschlossen klopfte sie sich den Schmutz von der Hose, als sie aufstand. Die Pause war vorbei. Wäre doch gelacht, wenn sie Feliff nicht wiederfinden würde... Er konnte ja nicht so weit weg sein. Sie klemmte sich den Automaten unter den einen Arm und hielt mit der anderen ihr Schwert kampfbereit. Sie blickte in ein dichtes Gebüsch aus Wald, welches bei Nacht noch einmal heimtückischer war als am Tag. Und genauso unübersichtlich, wenn nicht sogar noch viel mehr. Bäume reihten sich gleich an gleich aneinander, ihre dunkle Schatten raubten auch den winzigsten Funken Licht. Büsche versperrten den ein oder anderen Weg und überall lauerte die Gefahr, sich zu verlaufen, wenn man es denn nicht schon getan hatte. Ganz nach ihrem Instinkt gehend schlug sie irgendeinen Weg ein, in diesem Fall den geradeaus. Vielleicht war das ja der Richtige und wenn nicht, führte irgendeiner sie schon zu ihm, auch wenn sie in der Dunkelheit durch Morast laufen musste. Schließlich hatte sie immer noch keine Ahnung, wo oder was Efarnia war und dort schien doch etwas Wichtiges zu liegen. Vielleicht etwas, was mit dem Rätsel zu tun hatte. So schritt sie also den Pfad entlang, den ihre Willkür erwählt hatte. Die Nacht war noch relativ jung, der Mond schien hell, aber unsichtbar über sie. Sie hatte im Dorf noch ein wenig geschlafen, also war sie nicht müde, aber das würde wohl noch kommen. Sie könnte jetzt aber sowieso nicht einschlafen, Tatendrang durchfloß sie wie Blut durch ihren Körper. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, nicht vor Morgengrauen zu ruhen, denn jede Sekunde war wertvoll. Er könnte sich gerade in diesem Augenblick weiter von ihr entfernen und sie konnte das nicht zulassen. Außerdem, gab sie zu, war seine Gesellschaft doch etwas in Richtung angenehm. Seine ewige Schüchternheit oder was auch immer das war, konnte sie zwar zum Kochen und Seufzen bringen, aber es war auch ganz amüsant, fand sie. Sie sollte ihn am besten so schnell wie möglich finden, vielleicht wusste er etwas über diese Kraft der Rebellen. Oder wer auch immer das gewesen war. Ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, als sie an die Stöße dachte, die sie erfasst hatten. Für Menschen unhörbar hohe Laute und eine scheinbar nur auf Elfenblut reagierende Energiewelle, die sie als Stoß wahrgenommen hatten. Und dann auch noch dieser Schmerz, der durch ihre Glieder gefahren war. Keine besonders schönen Erinnerungen. Doch auf all ihre Fragen wusste sie keine einzige Antwort. Der Tag war schon lange angebrochen, als Feliff benommen erwachte. Verwirrt sah er sich um. Er kannte seine Umgebung nicht, aber das konnte nichts heißen. Jemand, der sein Leben lang in einem einzigen Wald verbracht hatte, konnte nicht viel von der Welt wissen. Aber diese hier kam ihm nicht einmal vertraut vor. Schwache Bilder von dem gestrigen oder sogar noch länger zurückliegenden Tag kamen ihm in den Sinn. Er hatte den Automaten umklammert, während Alyne ihn weggezogen hatte. Danach lief er selbst los und... Wo war der Automat? Er sah sich um. Neben ihm lag nichts, nur seine Tasche hatte er noch geschultert. Als er in dieser herumwühlte, fand er nichts. Der Automat war verschwunden. Er setzte sich in den Schneidersitz, die Arme überkreuzt und den Blick konzentriert auf den Boden gerichtet. Er dachte nach. Sann darüber nach, was wohl passiert sein konnte. Und wie es passiert war. Er hatte den Automaten doch die ganze Zeit in den Händen gehalten. Aber Halt. Er hatte eine Nacht oder mehr in Bewusstlosigkeit verbracht. Vielleicht hatte irgendjemand ihm den Automaten in dieser Zeit weggenommen. Doch welche Wert hatte er für Fremde? Und warum war er noch am Leben? Die Rebellen schloss er aus. Er spürte auch keine Magie in der Nähe und im weiteren Umfeld. Überhaupt schien es merkwürdig leer zu sein. Es war beinahe wie in Efarnia, nur mit viel weniger Energie und um eine Spur belebter. Tiere waren es, die diesen Wald besiedelten. War es überhaupt ein Wald? Er besah sich seine Umgebung genauer an. Doch, es war einer. Nur befand er sich an einer Lichtung, auf der saftig grünes Gras wuchs. Der Wind pfiff eine unerklärliche Melodie durch die Baumkronen, es schien alles idyllisch und traummalerisch. War er sich sicher, dass er nicht träumte? Ja, es fühlte sich anders an, als wenn er in einem Traumzustand war. Was er nur sehr selten schaffte. Oft erwachte er, ohne zu merken, dass eine ganze Nacht vergangen war. Oder mehrere Tage. Er rappelte sich auf, klopfte sich das Laub von der Kleidung. Er sollte sich aufmachen, irgendwen zu finden, den er fragen konnte, wo er war. Er hoffte, auf dem Weg Alyne zu begegnen, doch diese Wahrscheinlichkeit hielt er für sehr gering. Er wusste ja nicht einmal, warum sie überhaupt getrennt worden waren! Er ging in die Richtung, in die er aufgewacht war. Also durch die Lichtung hindurch zur anderen Seite und dann einfach immer weiter geradeaus. Oder einem Weg folgend, der sich dann zeigen würde. Er hielt sich alle Möglichkeiten offen. Rhythmisch klangen seine Schritte federnd von dem weichen Boden wieder. Doch in seinen Gedanken war er nicht bei seiner unmittelbaren Umgebung. Es war nicht so, dass er sich keine Sorgen um Alyne machte, aber sie schien auch alleine sehr gut zurecht zu kommen. Sie würde es auch ohne ihn schaffen, dessen war er sich sicher. Aber was den Automaten anging, fühlte er sich schuldig. Wie konnte er ihn einfach verlieren! Er verstand noch nicht viel von den Banden, die in einer Familie herrschten, aber es war immer noch das Letzte, was sie von ihrem Vater hatte. Er war ein Tölpel und Idiot, so etwas Wichtiges einfach zu verlieren. Seine Hoffnung ruhte darauf, die Diebe vor dem Auftreffen auf Alyne zu finden und den Automaten wieder zurückzuholen. Vielleicht konnte er dann so tun, als wäre nichts passiert. Er war lautlos. Er verschmolz mit seiner Umgebung, den Geräuschen und wurde ein Teil von ihnen. So zumindest hatte er es immer gelernt. Ob es der Realität entsprach, war ihm egal. Bisher hatte ihn keiner entdecken können und das würde auch noch so bleiben. Das wusste er. Keiner hatte seine Maskerade aufgedeckt. Unruhig und rastlos tigerte sie in ihrem Zimmer auf und ab. Das abendliche Licht kam in großzügigen Strahlen durch die Fenster hinein, golden beleuchtete es schwach den Raum. An ihrem Schreibtisch saß der Elf, der sie immer mit ruhiger und zugleich liebevoller Miene betrachtete, auch wenn seine Stirn nun in Falten gelegt war. Aber sie konnte es einfach nicht glauben! Wie konnte man sie, Erfline, die eigene Tochter und Jahrgangsbeste in Magiekunst, theoretische Elfengeschichte, Elfenphilosphie, Wesenkunde und Allgemeinbildung, eine hoch angesehene Jungelfe, nur so behandeln, als wäre sie ein kleines Kind? Es war unglaublich, mit welchen Ausreden der König und ihr Vater, sein engster Berater, sie loswerden wollten. Kurzum gefasst war die ganze Audienz ein Desaster gewesen. Man hatte sie nicht ernstgenommen, man hatte ihre Haltung gegenüber der Tatsache nicht verstanden. Doch das Merkwürdigste an der ganzen Situation war, dass sie sich selbst nicht mehr verstand. Es war klar, sie mochte Halbelfen nicht. In ihren Augen waren sie einfach nur ein hässlicher Fleck auf einem sonst so schönen Bild, ein Fleck, den man nicht weiter beachtet, der einen jedoch immer wieder in Rage bringt. Doch wieso war ihr dieses Monster dann so zuwider? Sie wusste, dass sie die Antwort kannte. Sie blieb stehen. Ihr Kopf war gesenkt, ihre Augen starr vor Schreck. Schon bald hörte sie seine Schritte, doch sie erreichten sie nur entfernt. Sie spürte seine warmen Hände, doch sie selbst zitterte unter dem Trauma der Vergangenheit. Sie wusste ganz genau, wieso sie dieses Monster hasste, noch viel mehr als jede ihrer Abneigungen. Doch sie wusste auch ganz genau, dass sie dieses Monster fürchtete. Vor nichts mehr in der Welt hatte sie solche Angst. Aber seine Hände, die sie vor dem Fall hinderten, gaben ihr die Kraft. Sie ließ sich noch einen kurzen Augenblick länger halten. Nur einen kleinen Moment noch, dann wäre sie wieder bereit, dem Problem entgegen zu treten. Dann würde sie keine Angst mehr haben, vor nichts und niemandem. „Ich danke dir, Futa“, lächelte sie sanft, als sie sich immer noch etwas zittrig wieder aufrichtete. „Es geht schon wieder, ich kann alleine stehen, schau!“ Sie vollführte vor seinen immer noch sorgeerfüllten Augen ein paar Bewegungen, die fröhlich wirken sollten. „Prinzessin, bitte tu nichts, das dich-“ „Alles ist in Ordnung“, sagte sie bestimmt. Der Ernst war wieder in ihr Gesicht zurückgekehrt, doch nun war sie nicht mehr hilflos und schockiert. „Wir müssen dieses Biest einfangen.“ Er nickte zustimmend, aber seine Gestik verriet Zweifel, welcher durch seine Worte bestätigt wurde: „Wie sollen wir das angehen?“ Er klang skeptisch, war sich aber auch sicher, dass sie eine Lösung finden würde. Er kannte sie viel zu gut, als dass er denken könnte, sie würde das nicht schaffen. Irgendwie schaffte sie immer alles. Außer das, was nicht in ihren Möglichkeiten lag. Er machte sich Sorgen. Er hielt sie jedoch schwach im Hintergrund, während sie wieder im Zimmer auf und ab ging. Sie murmelte Sätze, denen er ausnahmsweise nicht zu hörte. War dies eine Angelegenheit, die sie schaffen konnte? Egal. Er würde sie nicht alleine lassen. Niemals. „Du hast mir nicht zugehört, was?“ Sie sah ihn mit einem leichtem Vorwurf an. Er errötete verlegen und schüttelte den Kopf. Sie seufzte in gespieltem Ärger. „So geht das aber nicht!“ Dann kicherte sie leise. „Also gut, noch einmal.“ Sie erklärte ihm ihren Plan, den sie innerhalb von Sekunden erstellt hatte. Ihm war es schon früher aufgefallen, aber würde sie nicht so tiefe Grölle gegen andere Völker hegen, sie wäre eine gute Königin gewesen. Und er ihr wohl untertänigster Diener. Er hörte ihren Worten genau zu, passte auf, ob sie eine Komponente übersehen hatte oder etwas falsch eingeschätzt hatte, wies sie auf Fehler hin und gemeinsam perfektionierten sie den Plan so viel wie sie vor der endgültigen Ausführung konnten. Aber das war erst der leichtere Teil des Vorhabens. Sie atmete tief durch, nachdem sie sich ihren Mund trocken geredet hatten. Sie lehnte sich in dem Stuhl zurück, in den sie sich irgendwann hineingesetzt hatte. Ein kurzer Blick in den pechschwarzen Himmel zeigte ihr, dass es schon deutlich nach Mitternacht war. Und auch der Mond schien hell von seinem Platz am nächtlichen Firmament herab. Hell, als würde er wachen wollen. Doch worüber konnten sie nur vermuten. Sie gähnte, auf einmal fühlte sie sich schwer. Sie konnte kaum noch ihre Lider oben halten, geschweige denn klar denken. Es hatte ihr mehr abverlangt als sie vermutet hatte. Ein kurzes Nickerchen würde ihre Kräfte aber wieder mobilisieren, wieso Elfen trotz ihrer Regenerationsfähigkeit früh zu Bett gingen, wie die Menschen es auch taten, würde wohl ein Rätsel bleiben. Futave erhob sich als Erstes von seinem Stuhl, damit Erfline sich an ihm festhalten konnte, bevor sie ihm noch umkippte. Sie lächelte ihn schwach an, ehe er sie auf seine Arme hob und in das Bett trug. Er gab ihr noch einen kleinen Gutenachtkuss, ehe er zum Sofa in ihrem Zimmer ging. Es würde sich nicht mehr lohnen, in sein eigenes Zimmer zu gehen. Und wer weiß, vielleicht würden sie doch heute und nicht morgen ihren Plan ausführen können. Innerhalb von wenigen Stunden hatte sich das erledigt. Während sie einen ruhigen, erholsamen Schlaf schlief, war er unruhig. Vielleicht hatte doch etwas von ihrer anfänglichen Unruhe auf ihn abgefärbt, vielleicht hatte er sie etwas von ihr übernommen. Fakt war jedenfalls, dass er nicht schlafen konnte. Ab und zu viel er in einen wachnähnlichen Schlaf, den er nicht kannte. Er hatte so etwas noch nie gehabt, deswegen versetzte ihn dieses Auftreten des Phänomens in Schlaflosigkeit. Ebenfalls etwas, unter das Elfen normalerweise nicht leideten. Manchmal zuckte er zusammen, unter welchen Umständen auch immer. Ihn packte dann das leise Echo eines Schmerzes, der in weiter Ferne schien. Was war das bloß? Er fühlte sich nicht mehr sicher. Ein Fluchtinstinkt wurde in ihm geweckt, wenn auch nur schwach. Dennoch reichte es aus, um seine Gedanken in einem ewig gleichem Kreis kreisen zu lassen. Kurz vor Sonnenaufgang hielt er es nicht mehr aus. Mit einer verzweifelt anmutenden Bewegung erhob er sich von der Liege. Und es schien alles wie zuvor. Die Kopfschmerzen, welche ihn geplagt hatten, waren verschwunden. Im Gegenteil. Er fühlte sich wie immer, vielleicht sogar ein wenig besser. Er sah erstaunt seine Hände an, ein Reflex seinerseits. Sie waren unverändert. Auch sein restlicher Körper war unversehrt, soweit er feststellen konnte. Er blickte hinaus. Es ließ sich ein schwacher Lichtstreifen ganz nahe dem Horizont erkennen. Es wäre bestimmt besser, jetzt als gleich aufzubrechen. Er legte ein wenig Magie über seine Prinzessin, um nachzuprüfen, ob sie sich erholt hatte. Das hatte sie. Er strich ihr sanft über die Wange, was meistens schon ausreichte, um sie aus einem Erholungsschlaf zu holen. Sie blinzelte und blickte ihm dann mit einem undefinierbarem Blick in die Augen, ehe sie sich augenreibend erhob. „Ist es schon soweit?“, flüsterte sie, ein Gähnen unterdrückend. Er nickte. „Ich komme sofort, bereite du den Rest vor.“ Sie sah ihn nun voller Ernst an, er nickte mit derselben Emotion. Es durften keine Fehler passieren, sonst würden sie auffliegen. Und die Bestie wäre so frei wie der Wind es war. Bei diesem Gedanken erschauderte er. Nein, das durfte nicht weiter sein. Es gehörte eingesperrt oder... Er schluckte. Tot. Eilig schritt er, um nicht weiter darüber nachdenken zu müssen, den Flur hinunter. Seine nackten Füße verursachten kein Geräusch auf dem weichen Teppichboden, doch war die Gefahr, morgendlichen Frühaufstehern oder Schlafwandlern zu begegnen, doch höher als nächtlichen. Bald würden auch die Diener erwachen, um das Aufstehen der Höheren angenehm zu gestalten. Er schlich durch die Gänge, achtsam, bis er endlich sein Ziel erreicht hatte. Es lag in den unteren Gefilden des Wendeltreppenbaumkomplexes, in Richtung Diener und Angestelle. Das, was die Grundlage aller Ausbruchspläne darstellte war während des Tages nur schwer unauffällig in der Geschäftigkeit zu beschaffen. Die Küche lag so ziemlich an den Wurzeln des Baumes, sie war, sofern man den Dienstboteneingang benutzte, das erste, was man von diesem Haus sah. Am frühen Morgen, wenn die Köche noch alle in ihren Betten lagen, war hier nicht viel los. Es herrschte noch die Unordnung des gestrigen Tages, die man noch nicht beseitigt hatte. Flink schlüpfte er durch das Gewirr aus Pfannen und Töpfen, kalten Speisen und allerlei Gewürzen und Zutaten. Geschickt umging er die Stolperfallen, die sich in diesem Gedränge aus Herden und Öfen, Arbeitsplatten und Regalen nur allzu leicht übersehen ließen. Er war sichtlich nicht das erste Mal hier. Mit schlafwandlerischer Sicherheit fand er das, was er suchte, und nahm es in seinem Rucksack, den er nun auspackte, mit. Er arrangierte die Überbleibsel so, dass es nicht weiter auffallen würde. Doch das war erst der erste Teil. Es dürften kaum mehr als 30 Minuten vergangen sein, doch die Diener hielten sich bestimmt schon auf den Beinen. Das, was er nun tun würde, würde seine komplette Aufmerksamkeit erfordern. Er atmete tief durch. Diese Art von Zauber war er definitiv nicht gewohnt. Es war normalerweise Erfline, die Magie anwandte, er war als eine Art Verstärker an ihrer Seite. Er seufzte. So lang war der Weg nun auch wieder nicht, versuchte er, sich zu beruhigen. Dann eilte er aus der Küche, während er den Zauber wirkte. Ein unsichtbares unsichtbar machendes Geflecht aus Magie legte sich um ihn. Es verbarg ihn auf seinem huschenden Weg durch den Flur nach oben. Nach beinahe ganz oben. Der Flur war unten bei den Dienern hier und da mit Personen gespickt, mal auch mit einer Personengruppe. Aber je höher er kam, desto weniger Personen waren da. Sehr zu seinem Glück mussten sie erst einmal alles Nötige vorbereiten, was sie unten tun mussten. Er seufzte erleichtert, als er die Tür zu ihrem Zimmer öffnete und sie hinter sich schloss. Er widerstand dem Drang, sich nach unten sinken zu lassen, und löste stattdessen den Zauber wieder auf. „Erschrick mich doch nicht so!“, klagte Erfline dann, nachdem sie auf dem ersten Schock wieder erwacht war. Es war nicht wirklich amüsant gewesen, zu sehen, wie die eigene Tür sich von alleine öffnete. Und vor allem, nicht zu wissen, ob es nicht jemand war, der ihre Pläne aufhalten würde. „Hast du alles?“, fragte sie dann jedoch sanfter. Er nickte und deutete auf den Rucksack in seiner Hand. Sie nickte daraufhin ebenfalls kurz. „Ich auch.“ Sie hielt einen einfachen, aber kompakten Bogen höchster Qualität hoch. Einen Köcher hatte sie geschultert. Ihm war mulmig zu Mute, als er sah, wie sie sich ein dünnes, stabiles Schwert, welches wohl eher ein Degen war, um die zarte Taille schnallte. Doch dann fing auch er seinerseits mit seiner Aufrüstung an. Die Waffen lagen, von ihr geholt, auf dem Boden. Schnell hatte er das Schwert um seine Taille geschnallt, ebenso den Langbogen mitsamt Köcher auf seinem Rücken. Zusätzlich steckte er noch einen Dolch in seinen Gürtel und versteckte es dann unter seinem Hemd. Sicher war sicher. „Ich bin soweit“, sagte er dann. Sie hatte währenddessen ihre Tasche zu Ende gepackt. Sie wussten nicht, wie lange sie auf Reise sein würden. Überhaupt war ihr Plan zwar stundenlang beredet worden, doch war er auch nicht mehr als ein Blatt im Wind. Es war ein äußerst schwieriges Unterfangen, eine Bestie, die eigentlich nur aus einem Hass bestand, zu finden. Es war rastlos und war praktisch magielos, wie ein normales Tier. Man konnte nicht herausfinden, dass es magischen Usprunges war und mittels derer ließ es sich auch nicht orten. Es war die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Entweder, man fand sie vorbereitet, oder man stach sich in die Hand. Es gab nur zwei Varianten. An ein Dazwischen wollte niemand glauben. „Zielobjekt erfasst“, murmelte er leise. Seine katzenhafte Erscheinung lauerte zwischen den Ästen einer Baumkrone, während er seinen Bogen spannte. Ein Auge hielt er geschlossen, als er sein Ziel fixierte. Wenige Sekunden später war nur ein Sirren zu hören, unmittelbar danach ein Fall auf weiches Laub. Er steckte den Bogen in einer geschmeidigen Bewegung wieder ein. Er sprang zielgerichtet auf den Boden und blieb neben der Einschussstelle hocken. Seine Hände falteten sich ineinander. „Danke.“ Dann packte er das gejagte Kaninchen an seinen Ohren. Er entfernte vorsichtig den dunklen Pfeil mit einer noch dunkleren Spitze, von der Blut tropfte. Außeneinsätze widerstrebten ihm immer, wenn sein Proviant zu Ende ging und es immer kälter wurde. Vielleicht sollte das Lager darüber nachdenken, winterharte Nutzpflanzen zu züchten und zu verbreiten. Ihm war bewusst, dass es momentan andere Dinge gab, über die man sich Sorgen machen musste als das Widerstreben eines Einzelnen. Es war die Gelegenheit gekommen, einen der Reinblütigen zu vernichten. Bei diesem Gedanken loderte ein kaltes Feuer in ihm, welches ihn selbst immer wieder in Angst und Schrecken versetzte. Diese Seite galt denjenigen, mit denen die Welt nicht mehr funktionieren würde. Man konnte als Elf nie wissen, wann man von ihnen kontrolliert wurde. Wenn sie wollten, würde man zu ihren Spielbällen werden. Und seine ganze Freiheit aufgeben. Er erschauderte. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als Erinnerungen wieder an das Tageslicht rückten. Nein, diese Freiheit würde er nicht mehr hergeben. Nie wieder. Er verdrängte die Szenarien in seinem Kopf, die ihn an Vergangenes erinnerten. Das war schon lange her. Nun war er frei und durfte walten und schalten wie er will, die Vergangeheit würde ihn nie wieder einholen. Entschlossen machte er sich dann zu Werke. Er musste das Fleisch möglichst haltbar machen, mit Hilfe von Magie war es nur eine Fingerbewegung. Auch dies war ihm früher nicht erlaubt gewesen. Reinblütige Elfen waren machthungrige Monster. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)