Drei Ansichten von Psychopath (einer Klassenfahrt) ================================================================================ Kapitel 11: 4c -------------- Ich war zwar der Meinung, Erwin hätte zu viel Vertrauen in den Verstand der Gören, doch sah ich davon ab, ihm das zu sagen. Er würde sich meine Meinung anhören und dann trotzdem tun, was er für richtig hielt. So war es immer. So würde es immer sein. Jedenfalls bestand er darauf, die geplante Nachtwanderung allein zu führen und beauftragte mich, ein Feuer zu entfachen und verschiedene Kleinigkeiten zum essen bereitzustellen. Mir sollte das recht sein, denn ich hatte wenig Lust, Gören zu beaufsichtigen, die sich gegenseitig erschreckten und aus unerfindlichen Gründen Angst im Dunkeln bekamen. Weder das Essen zusammenzutragen, noch das Feuer zu entfachen war eine schwere oder zeitaufwendige Aufgabe. So saß ich fast zehn Minuten am Feuer und wärmte mir die Hände. Wie ich es erwartet hatte, waren alle heilfroh, aus dem dunklen Wald herauszukommen und ein Teil von ihnen freute sich auch über das Lagerfeuer. Es schien aber, dass einige lieber schlafen gegangen wären. Doch Erwin hatte deutlich genug gemacht, dass sie alle ihre vier Buchstaben ans Feuer pflanzen sollten. Es wurden verschiedene „Gruselgeschichten“ erzählt, die nicht gruselig waren. Mir verging schnell die Lust, mir noch weitere Storys anzuhören und ich schaltete meine Ohren einfach ab. Stattdessen hielt ich einen Stock ins Feuer, bis er brannte und holte ihn dann heraus, um zu sehen, wann das Feuer selbstständig erlosch. Die Nachtwanderung hatte den Kindern mehr Energie abverlangt, als sie vielleicht selbst gedacht hatten. Jedenfalls machten die meisten von ihnen sich ziemlich früh auf den Weg in ihre Betten. Nur noch jeweils zwei Jungen saßen rechts und links und ich hatte schon die Befürchtung, auch auf diese vier aufpassen zu müssen, doch Erwin flüsterte mir ins Ohr, wir sollten verschwinden, den Schülern ihre Privatsphäre lassen und selbst etwas unternehmen, was diese Kinder nicht mitbekommen sollten. Jeder, der Erwin nicht so lange kannte, wie ich, hätte jetzt an etwas Unanständiges gedacht, doch ich kannte ihn nun mal sehr lange und sehr gut. Ich konnte aus diesem Satz demnach schließen, dass er einen Gute-Nacht-Kuss meinen könnte und es genauso ausdrücken würde. So verwirrend und doppeldeutig wie möglich zu sein, schien ihm Spaß zu machen und war Teil seiner Strategie, wenn es darum ging, alles richtig zu machen und weiter zu denken, als alle anderen, ohne dass diese es mitbekamen. Wir verließen das Feuer und entkamen der Pflicht, dieses zu löschen. Wieder ein Vertrauen in die Gören, das ich nicht nachvollziehen konnte. Er bat mich, noch eine Weile in sein Schlafzimmer zu kommen, da es noch zu früh zum Schlafen war und er sich noch gerne mit mir unterhalten wollte. Als ich das Zimmer betrat, sah ich sofort, dass die Möbel so gut es ging an die Seiten geschoben waren und in der Mitte des Raums standen ein Tisch und zwei Stühle. Auf dem Tisch konnte ich eine Kerze, Besteck, Teller, Servietten und ein kleines Päckchen sehen, das wie ein Geschenk verpackt und höchstwahrscheinlich auch eines war. „Überraschung!“, sagte Erwin und bat mich, Platz zu nehmen. Dann zündete er die Kerze an, schaltete das Licht aus und entschuldigte sich, weil er noch etwas abholen musste und mich einen Moment alleine ließ. Als er gegangen war, juckte es mich in den Fingern, das Geschenk zu öffnen. Es war immerhin für mich. Es konnte nur für mich sein. Allerdings beließ ich es bei neugierigem Starren. Es dauerte nicht lange, da kam Erwin wieder mit einem überladenen Tablett. „Ich weiß ja, dass du nicht auf Lagerfeueressen stehst, also habe ich dir gegen Mittag heimlich etwas gekocht, das man auch kalt essen kann und voilà!“, sagte er und stellte mir einen Teller hin und ein Glas Wein. „Ich dachte, wir als Lehrer sollen ein Vorbild sein und uns nicht nachts abschießen.“, stichelte ich. „Deshalb habe ich auch gewartet, bis die Kinder im Bett sind.“ „Und wenn jetzt jemand kommt?“ „Wieso sollten sie herkommen? Erwachsene sind die Letzten, denen sie ihre Probleme anvertrauen würden. Die gehen lieber an den Waldrand und heulen sich aus. Oder sie setzen sich an den See und heulen den Mond an. Entschuldige diese Ausdrucksweise, aber diese Worte verstehst du am besten und fühlst dich auch wohler, wenn ich nicht so hochgestochen spreche.“ Erwin stellte sich auch Essen und Trinken hin und warf das Tablett aufs Bett. Dann setzte er sich mir gegenüber an den Tisch. Das Essen war gut. Viel besser als ich dachte, dass es sein könnte, da er selten kochte und kein Talent dafür hatte. Er gestand, er hatte noch einen Nachtisch geplant, der verbrannt sei und den er hatte wegwerfen müssen. Da der Hauptgang, der eigentlich der einzige Gang war, völlig ausreichend war, war mir der Nachtisch egal. Wir leerten die Weinflasche, dann räumte Erwin Geschirr und Besteck auf das Tablett und setzte sich dann wieder. Wir unterhielten uns einfach nur, obwohl ich das verdammte Geschenk endlich haben wollte. Ich verkürzte meine Antworten und allgemein meine Beteiligung an dem Gespräch, damit er es mir endlich überreichte und ich es öffnen konnte! Nachdem unser Gespräch sehr abgeflaut war, seufzte Erwin und schüttelte den Kopf. „Ich dachte, du wärst geduldig genug, einen schönen Abend mit einer guten Unterhaltung mit mir zu führen, aber du bist nur auf Materielles aus.“ „Wenn du willst, dass ich mich viel mit dir unterhalte, darfst du Geschenke für mich nicht so offen hinstellen. Aber lass mich raten: Es war deine Absicht herauszufinden, wie lange es dauert, bis meine Neugier meine Höflichkeit besiegt.“ „Du hast es erfasst.“ Als er das sagte, klang es wie ein Lob und sollte womöglich eines sein. Dann schob er mir das kleine Geschenk mit Schleife herüber. Ich löste die Schleife, öffnete das Kästchen und sah einen Ring mit einem wunderschönen schwarzen Edelstein. Ich kannte mich nicht aus und wusste daher nicht, welche Art von Stein es war. Jedem anderen, wäre der Atem gestockt, da das Schenken eines Rings meistens einen Heiratsantrag beinhaltet. In meinem Fall konnte es nicht so sein, denn verheiratet war ich bereits seit mehr als fünf Jahren. Ich fragte, womit ich ein so teures Geschenk verdient hatte. Seine Erklärung war schlicht: „Als wir uns damals verlobt hatten, hast du zwar einen Ring bekommen, aber keinen wirklich schönen, da meine finanziellen Mittel doch sehr knapp waren. Jetzt habe ich heimlich etwas gespart, um dir davon einen Ring zu schenken, der angemessener erscheint. Der alte Ring hat zwar den Nostalgiefaktor, aber ich hoffe, dass du auch den neuen Ring magst. Ich stecke ihn dir an, wenn er die gefällt.“ „Dann los.“ Ich war unheimlich gerührt, auch wenn ich es nicht zugeben wollte. Als er mir den Ring ansteckte, kniete er vor mir und mir fiel nach langer Zeit wieder auf, dass er verdammt gut gebaut war, ein sehr schönes Gesicht hatte und sehr warme Hände, die viel weicher waren, als man ihm zutrauen würde. Alles in allem wurde mir in dem Moment klar, dass es niemanden auf der Welt gab, der besser war als er. Er war der einzige auf der Welt dessen Verlust ich beklagen und nicht verarbeiten können würde. In meinem Leben hatten mich viele Menschen enttäuscht und verlassen und ich war mit allem fertig geworden. Er blieb kniend vor mir auf dem Boden und ich betrachtete meine Hand, die nun von zwei Verlobungsringen geschmückt war. „Danke sehr. Aber du weißt, dass das nicht nötig war, oder? Ich fand den alten perfekt.“ „Aber du hast mehr verdient. Du sollst nur das beste von allem bekommen. Nur leider kann ich es dir nicht am Stück geben, da ich momentan weder über die finanziellen noch zeitlichen Mittel verfüge, die dafür notwendig sind, dir die besten Dinge zu zeigen oder zu schenken.“ „Ich habe schon das Beste, das diese Welt zu bieten hat.“ „Das kann nicht sein, weil ich es nämlich weggeschnappt habe, bevor es jemand anderes tun konnte.“ Er lächelte mich an, während ich ernst zurückschaute und seine blauen Augen bewunderte. Wieso fiel mir das alles auf einmal auf und dann auch noch nach so langer Zeit? „Wenn du erlaubst, stelle ich den Tisch und die Stühle wieder dort hin, wo ich sie her habe und schiebe die Möbel wieder an ihren rechtmäßigen Platz. Während ich dies alles tue, kannst du dir überlegen, was wir beiden Hübschen noch machen können, um uns noch ein wenig zu feiern.“, sagte er mit einer sehr sanften Stimme. Während er alles hin und her schob, Dinge aus dem Zimmer entfernte und hier und da etwas aufhob oder zurecht rückte, hatte mein Kopf nur eine einzige Idee, womit wir uns noch feiern konnten und ich gleichzeitig über noch so einige Dinge an ihm schwärmen konnte, weil ich in dem Moment wirklich alles sehen und bestaunen können würde. Ich konnte fest davon ausgehen, dass er nichts dagegen haben würde, denn das hatte er nie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)