Feder und Schwert von Hoellenhund (Ein Hörspiel) ================================================================================ Prolog: Pre-Intro ----------------- ~Kulisse: Auf dem Dach eines Hochhauses. Geräusch eines Schuhs, der auf Beton rutscht. Lilian (erschrockener Aufschrei). Seth: Lilian! Halt dich fest! Lilian (leise, ängstlich): Seth... Ihre Hand entgleitet seinem Griff. Seth: Nein! Lilian (schreit lang, zugleich): Seeeeth! Nachhall des Schreis. Kurze Stille. Matthäus (lacht amüsiert, böse). Man hört Schuhe auf dem Beton, als sich Seth umdreht. Seth (bebend vor Zorn, schockiert): Du...! Intro Geflüstert: Feder und Schwert... Ende des Intros. Kapitel 1: Szene 1 ------------------ ~Kulisse: In Seths Wohnung; Schlafzimmer. Seth (zieht erschrocken Luft ein, als er aus dem Schlaf erwacht). Parallel dazu: Rascheln einer Bettdecke. Erzähler: Schweißgebadet schreckte ein junger Mann aus dem Schlaf und strich sich das dunkle Haar aus der Stirn. Sein glasiger Blick ruhte auf der gegenüberliegenden Wand des geräumigen Schlaf- und Arbeitszimmers, während er sich mühte, sich jedes Detail des eben erloschenen Traumes zurück in Erinnerung zu rufen und seinen Sinn zu entschlüsseln. Seth (murmelt): Wieder dieser Traum... Längere Pause. Das Ticken einer Uhr ist zu hören. Mona (leicht unnatürlich betont): Guten Morgen, Seth. Es ist sieben Uhr dreißig, Zeit aufzustehen! Seth (murmelt): Dieser Wecker... Mona (leicht unnatürlich betont): Sie sollten sich nun ins Bad begeben. In einer Stunde findet eine Pressekonferenz in der Südhalle statt. Seth (genervt): Das weiß ich doch, Mona. Bettdecke wird zurückgeschlagen, knarren des Bettes, als Seth aufsteht. Schritte entfernen sich. Mona (unnatürlich nachrufend): Sie sollten sich nicht zu viel Zeit nehmen! Seth (Entferntes Gemurmel). ~Kulisse: Die Straßen einer Großstadt Eine Haustür, die ins Schloss gezogen wird. Schritte auf Stein, Lärm entfernter Autos, der stetig lauter wird. Seth (ruft): Taxi! Ein Auto fährt mit Vollgas an Seth vorbei. Seth (denkt): Es ist auch immer das gleiche! Wo habe ich denn...? Geräusch, als Seth seine Taschen durchwühlt und Klimpern, als er einen Schlüsselbund herauszieht. Seth (denkt): Aha! Erzähler: Als Seth nun den Schlüsselbund, an dem eine kleine rote Plastikkarte baumelte, in die Höhe streckte, musste er nicht lange warten, bis eines der silberfarbenen Hybrithautomobile für ihn bremste. Ein bremsendes Auto. Seth (denkt): Und ich dachte, es hätte keine Vorteile, Vorzugsperson der Regierung zu sein. Eine Autotür wird geöffnet. Seth (geschäftlich): Guten Morgen. Taxifahrer (unfreundlich): Moin. Na los, rein mit dir, ich hab' nicht den ganzen Tag Zeit. Seth steigt ein und die Autotür wird zugeschlagen. Augenblicklich fährt der Wagen los. ~Kulisse: Im Auto. Taxifahrer (rauchig, freundlicher): Na, wo soll's denn hingehen? Seth (geschäftlich): Südhalle. Taxifahrer (rauchig, wissend):Aha? Ja ja, da gibt’s heute mal wieder 'ne große Pressekonferenz. Bist du Reporter? Hab' mich gleich gewundert, dass du 'ne Vorzugskarte hast. Seth (geschäftlich): Nicht ganz. Ich bin Autor. Seth (denkt): Und ich gebe diese Pressekonferenz, um genau zu sein. Erzähler: Die letzten Worte hatte sich Seth gerade noch verkneifen können. Er war nicht in der Stimmung, mit diesem Fahrer über seine Arbeit zu diskutieren – das würde er noch früh genug tun müssen. Und zwar mit einer Meute sensationshungriger Reporter. Kapitel 2: Szene 2 ------------------ ~Kulisse: Pressesaal in der Südhalle. Die Reporter rufen durch das Stimmengewirr, Seth und der Moderator haben ein Mikrofon. Stimmengewirr, Knipsen von Kameras. Reporter1: Nach dem Bestseller „Der Sünder“, in dem Sie den Wertverfall der Gesellschaft eindrucksvoll in eine fantastische Geschichte verpackt haben, wird der neue Roman also eine völlig andere Richtung einschlagen Fürchten Sie nicht, so Ihre Stammleser zu verlieren? Unruhiges Gemurmel. Seth: Nein, das denke ich nicht. Ganz im Gegenteil: Ich möchte meine Leser nicht immer mit denselben Themen langweilen. Reporter1: Trotzdem ist das ein sehr gewagtes Manöver. Seth (schlicht): Wenn Sie das so sehen wollen. Reporter2 (abfällig): Sie nennen sich Seth, nach dem ägyptischen Gott der Wüste. Halten Sie sich selbst für einen Gott? Erzähler: In diesem Augenblick öffnete sich die entfernte Tür des Konferenzraumes und ein junges Mädchen mit schulterlangem Blondhaar schob sich durch den entstandenen Spalt hindurch. Sie lächelte Seth entgegen und deutete ein kurzes Winken an, bevor sie nahe der Tür stehen blieb und sich mit dem Rücken an karge die Wand lehnte. Reporter2 (misstrauisch): Wollen Sie die Frage nicht beantworten? Seth (aufgescheucht): Hm? Oh... (nachdenklich) Ja, vielleicht habe ich etwas von einem Gott. Aufgeregtes Gemurmel. Seth (mit angehobener Stimme): Ich erschaffe Figuren und Geschichten – in meinen Werken. Kurze Pause, Gemurmel. Denice (einscheidend): Und damit erkläre ich die Pressekonferenz für beendet, vielen Dank für Ihr Erscheinen! Der Saal leert sich unter Gemurmel. Rasche Schritte nähern sich. Lilian (ruft): Seth! Schritte halten inne. Lilian (aufgeregt, schnell): Tut mir wirklich Leid, dass ich erst so spät gekommen bin! Ich stand mindestens eine halbe Stunde an der Hauptstraße und habe auf ein Taxi gewartet, das ist einfach verrückt! Aber in die Magnetbahn kann man sich ja erst recht nicht quetschen. Irgendwann hat mich dann eine Freundin mitgenommen, die zufällig vorbei kam. Du weißt schon, Mina, die im Landtag sitzt. Sie hat eine Fahrzeuglizenz... Seth (sanft, unterbrechend):Hallo Lilian. Das macht doch nichts. Und glaub' mir, das Problem mit den Taxis kenne ich nur zu gut. Lilian (feixend): Also irgendwie kann ich dir das nicht so recht glauben. Du hast doch eine Vorzugskarte! Wieso hast du die eigentlich? Bist du der Lieblingsautor des Bürgermeisters? Seth (leicht angesäuert): Also das finde ich nicht fair von dir. Ich habe mit meinem Roman „Der Sünder“ einfach mitten ins Herz der Gesellschaft getroffen; schließlich wurde er sogar ausgezeichnet. Lilian (seufzt): Ja, das weiß ich doch. Ich finde das nur manchmal einfach nicht fair. Ich muss stundenlang auf ein Taxi warten, nur weil mir kein Talent zum Schreiben in die Wiege gelegt worden ist. Seth (seufzt): Wenn du das so nennen willst... Lilian (nörgelt): Und die qualitativ hochwertigeren Produkte im Supermarkt kann ich auch nicht kaufen! Seth (frech): Aber dafür hast du ja mich. Denice (schnell, schneidend): Hey, Seth, bevor du gehst: Die Konferenz ist super gelaufen. Du hast diese Papparazzi wirklich gut abserviert. Wir sehen uns dann Montag in alter Frische in meinem Büro – und wehe, du kommst zu spät! Ich habe dir diesen teuren Wecker schließlich nicht umsonst gekauft. Alles klar? Seth (seufzt, leise): Mona... Lilian (irritiert): Wer ist Mona? Seth (deprimiert): Mein Wecker. Lilian (lacht): Aha? Seth (schmunzelt): Also los, gehen wir. Schritte, die Tür zum Konferenzraum wird geöffnet und fällt hallend ins Schloss. Hallende Schritte im Flur. ~Kulisse: Der hohe, beinahe gänzlich leere Flur der Südhalle. Gefliest. Lilian (nachdenklich): Deine Lektorin mag die Reporter nicht besonders, oder? Seth (trocken): Hm, mindestens genauso wenig wie ich. Wenn es nach mir ginge, würde ich diese ganze Öffentlichkeitsarbeit an den Nagel hängen. Oder sie zumindest an jemand anderen abtreten. Knirschen an der Decke. Der schwere Kronleuchter droht aus der Decke zu reißen. Die Schritte verstummen. Lilian (irritiert): Was war das? Seth (unwissend): Was war was? Kurze Stille. Krachen, als der Kronleuchter aus der Decke reißt. Seth (schreit): Vorsicht! Erzähler: Lilian sah den Kronleuchter auf sich zu rasen; immer näher und näher. Die Sekunden zogen sich ins Endlose und es gab nichts, das sie hätte tun können, nichts, als ihrem Schicksal entgegen zu starren, nichts... Blitzschnell packte Seth Lilian am Arm und riss sie zur Seite. Lilian (überraschtes Stöhnen). Parallel dazu: Der Kronleuchter zerschellt auf dem Fliesenboden. Kurze Stille. Lilian (atemlos): Oh mein Gott! Seth (irritiert, wiederholend): Gott..? Ich glaube, ich habe gerade ein Déja-vu... Rennende Schritte von Stöckelschuhen nähern sich. Empfangsdame (aufgeregt): Was ist passiert? Sind Sie verletzt?! Seth (in Gedanken, abwesend): Nein, wir sind zum Glück unversehrt geblieben. Empfangsdame (aufgeregt): Wie konnte das denn nur passieren? Die Leuchter sind erst vor einer Woche angeliefert worden! Das kann doch nur Schlamperei gewesen sein! Seth (beruhigend, nachdenklich): Kronleuchter fallen nicht einfach so von der Decke. Schon gar nicht, wenn Teile der Decke dabei heraus brechen... Empfangsdame (irritiert): Ja... Da haben Sie wohl Recht... Wie dem auch sei. Ich werde in jedem Fall Beschwerde einreichen! (aufgeregt) Entschuldigen Sie das bitte. Sie werden doch keine Anzeige erstatten? Es ist ja zum Glück niemand zu Schaden gekommen! Seth (schnaubt): Natürlich nicht... Komm, Lilian, lass uns gehen. Schritte. Lilian (noch perplex, ängstlich): Dass so etwas überhaupt passieren kann, gehört verboten! Das hätte ganz schön ins Auge gehen können... Seth (abtuend): Tja... (charmant) Du hattest mir ein Abendessen versprochen. Welches Lokal hast du ausgesucht? Lilian (erschöpft): Bitte, Seth, lass uns das verschieben. Auf den Schock möchte ich einfach nur nach Hause. Tut mir Leid... Eingangstür wird geöffnet. Seth (sanft):Gut, ich bringe dich hin. Mit der Vorzugskarte sind wir in null Komma nichts da. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Tür fällt ins Schloss. Kapitel 3: Szene 3 ------------------ ~Kulisse: Ein kleines Café am Morgen, einige Tische sind belegt, es ist aber noch recht ruhig. Kellnerin: Bitte, Ihr Kaffee. Klappern von Geschirr. Lilian: Danke. Seth: Seien Sie so gut und bringen Sie noch ein Kännchen Milch. Kellnerin: Ja, natürlich. Schritte entfernen sich. Erzähler: Das kleine Café in der Innenstadt war bereits früh am Morgen gut besucht. In gemeinsamen Einverständnis hatten Seth und Lilian es ausgesucht, um das am Vortag versäumte Abendessen wett zu machen. Schritte, die sich entfernen. Eine Tasse wird angehoben, etwas Kaffee getrunken und wieder abgestellt. Lilian (plaudernd): Die Sache mit dem Kronleuchter ist heute ganz groß im News-Blog des Stadtverlags, sogar mit Bild! Seth (interessiert): Und, was schreiben sie? Lilian (nachdenklich): Sie können sich nicht recht erklären, wie der Leuchter von der Decke fallen konnte. Du hattest vermutlich Recht und er ist manipuliert gewesen, aber sie wissen noch nicht, wie und wieso. Und natürlich vor allem von wem. Seth (spöttisch): Dann weiß der Stadtverlag auch nicht mehr als ich. (nach kurzer Pause neu ansetzend) Ich habe gestern Abend übrigens noch ein wenig darüber nachgedacht und es ist mir wieder eingefallen, wieso mir die Situation so bekannt vor kam, gerade als du das Wort „Gott“ erwähnt hast. Ich habe genau diese Szene in „Der Sünder“ verwendet. Lilian (verwundert, abtuend): Ach so? Seth (seufzt): Hast du das Buch überhaupt gelesen? Lilian (zögerlich): Also, naja... Ich habe es angelesen, würde ich sagen... Die ersten fünf Seiten. Seth (schnaubt). Lilian (verteidigend): Lesen ist einfach nicht so meine Stärke, das liegt nicht an deiner Schreibkunst! Seth (seufzt): Also, na schön. Der Roman greift die zehn Gebote der Bibel auf und zeigt, wie sie übergangen werden. Das erste und zweite Gebot natürlich nur metaphorisch: „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“ und „Du sollst den Namen des Herren nicht missbrauchen“. Schritte nähern sich. Kellnerin: Bitte sehr, die Milch. Seth (irritiert): Ah, vielen Dank. Schritte entfernen sich. Milch wird in den Kaffee gegossen, Klimpern des Löffels in der Tasse, als Seth umrührt. Seth: Ähm, ja... Wie auch immer. Der Protagonist der Geschichte ist Matthäus, ein Halbdämon, dem aufgrund dieses Daseins die Herrschaft über die Menschen verwehrt bleibt. Es gelingt ihm allerdings, die einzige Tochter des Kaisers und somit die Thronfolgerin zu verführen und mit ihr in den Bund der Ehe einzutreten. Lilian (interessiert, zweifelnd): Und wo soll da die Parallele zu dem Vorfall in der Südhalle sein? Seth: Darauf komme ich jetzt. Im Kapitel des fünften Gebots „Du sollst nicht töten“ versucht Matthäus nun, sich seiner Frau zu entledigen, indem er einen der Kronleuchter im Speisesaal manipulieren lässt. Im rechten Moment setzt er seine kümmerlichen dämonischen Fähigkeiten ein, um den Leuchter endgültig von der Decke stürzen zu lassen, und so seine Frau zu erschlagen. Lilan (nachdenklich): Hm, schon ein komischer Zufall. Seth: Eigentlich glaube ich nicht an Zufälle. Lilian (schnaubt): Und was ist es dann, wenn man mal sofort ein Taxi bekommt? Seth (bestimmt): Das ist Glück. Lilian (herausfordernd): Und was ist es, wenn dein neuer Roman in allen Läden ausverkauft ist? Etwa auch Glück? Seth (überzeugt): Nein, das ist Talent. Oder eine geglückte Analyse der Bedürfnisse der Masse der Bevölkerung. Lilian (schnaubt):Und wenn morgens die Milch sauer ist und die Heizung nicht anspringt? Seth (überzeugt): Das ist Pech. Und so etwas, wie der Sturz des Kronleuchters, ist Schicksal. Der wesentliche Unterschied zwischen Schicksal und Pech oder Glück liegt in den Verflechtungen. Pech und Glück treten aus unserer Sicht völlig zusammenhanglos auf. Wir können keine Ursache oder Verbindung zu unserem Handeln erkennen. Das ist das, was du als Zufall bezeichnest. Mit dem Schicksal ist es anders. Schicksalhafte Ereignisse weisen Verbindungen zu vergangenen oder kommenden Ereignissen auf und ziehen sich wie ein Faden durch unser Leben. Lilian (unterbrechend, amüsiert): Du philosophierst schon wieder. Seth (lacht): Ja, du hast Recht. Ich habe wohl wieder mal zu lange an meinem Manuskript gesessen. Lilian (lacht): Ja, das glaub ich auch! Eine Tasse wird angehoben. Schlürfendes Geräusch, als aus der Tasse getrunken wird. Tasse wird wieder abgestellt. Lilian (seufzt): Also schön, ich muss langsam los. Wenn ich nach zehn in der Druckerei aufkreuze, ist meine Kollegin wieder stinksauer. Seth (interessiert): Was ist denn im Moment im Druck? Lilian (gleichgültig): Ach, nur so eine Flyer-Aktion vom Feinelektronikzentrum. Die scheinen Fachkräftemangel zu haben. Seth (nachdenklich): Das wundert mich. Lilian: Mich auch. Aber wer weiß, was die auch wieder für Anforderungen stellen. Ich kann dir ja einen Flyer mitbringen, ein paar Probedrucke bleiben immer übrig. (verabschiedend) Also dann! Rücken eines Stuhls, als Lilian aufsteht. Seth (frech): Bekomme ich noch einen Abschiedskuss? Kurze Pause. Lilian (schnaubt): Du lässt auch nicht locker. Wenn du nicht aufpasst, bekommst du eher einen Schlag auf den Hinterkopf! (fröhlich) Bis heute Abend! Sich entfernende Schritte. Öffnen einer Tür, Klingeln der Ladenglocke, Tür fällt ins Schloss. Kulisse und Gespräch werden zunehmend leiser. Erzähler: Noch einen Augenblick länger blickte Seth Lilian nach, ehe er die Hand hob, um die Kellnerin herbei zu winken. Seth (mit angehobener Stimme): Ich würde gerne zahlen. Hintergrundgeräusche des Cafés klingen langsam aus. Kapitel 4: Szene 4 ------------------ ~Kulisse: Auf der Straße, Autoverkehr. Mona (leicht unnatürlich betont, Hall): Guten Morgen! Zeit aufzustehen, Seth! Es bleiben noch dreißig Minuten und siebenundvierzig Sekunden bis Sie im Büro Ihrer Lektorin zu erscheinen haben. Keine Zeit zu vertrödeln! Ein Auto fährt nahe vorbei. Seth (murmelt): Oh, dieser verdammte Wecker... (nach kurzer Pause) Wenigstens kann ich mir heute das Taxi sparen, es ist ja nicht weit... Schritte auf Stein. Erzähler: Das Verlagsgebäude erhob sich gläsern einige Stockwerke gen Himmel und schien mit seiner imposanten Fassade einen abschreckenden Eindruck Besucher hinterlassen zu wollen. Schritte halten inne. Eine Schiebetür öffnet sich. Erneute Schritte auf Parkett, die Schiebetür schließt sich im Hintergrund. Für Seth jedoch war dieser Gang geschäftliche Gewöhnlichkeit, sodass seine Füße beinahe ohne sein Zutun den Weg an der Rezeption vorbei, hin zum Büro seiner Lektorin fanden. Klopfen an einer Bürotür. Kurze Stille. Öffnen der Tür. ~Kulisse: Ein kleines Büro mit Teppichboden. Denice (schnell): Ah, Seth! Fünf Minuten zu spät, gar nicht schlecht, für deine Verhältnisse. Na los, setz' dich, ich habe nachher noch einen anderen Termin. Dir scheint die Zeit ja nicht so im Nacken zu sitzen. Tür wird geschlossen, Schritte auf Teppich. Seth setzt sich. Seth (verteidigend, schlicht): Wenn ich die ganze Nacht an einem Manuskript geschrieben habe, fällt es mir nun einmal schwer, unsere frühmorgendlichen Termine wahrzunehmen. Denice (schnell, tadelnd): Aber dafür hast du jetzt ja deinen Wecker, nicht war? Also keine Verspätungen! Kurze Pause. Geräusch eines Papierstapels, der mit der Kante auf den Tisch geklopft wird, um die Blätter zu ordnen. Denice (etwas unbehaglich): Ich habe mir den Anfang deines neuen Manuskripts angesehen. Was soll ich sagen? Ich bin nicht sicher, ob ich dieses Skript vor der Programmkonferenz vertreten kann. Seth (ernst, leicht erschrocken): Was soll das heißen? Denice (ernst): Du bist zwar einer unserer Hausautoren und dazu wohl bemerkt noch einer derjenigen, denen wir im letzten Jahr den höchsten Absatz zu verdanken haben. Aber in dieser Form können wir das Manuskript nicht verlegen. Die Chancen auf Erfolg scheinen ziemlich schlecht zu stehen und wir können uns momentan keine großen Sprünge leisten. Seth (ernst, verbissen): Was veranlasst Sie zu dieser Annahme? Denice (sich erklärend): Die Leute wollen Gesellschaftskritik, sie wollen etwas lesen, das sie unmittelbar angeht. Und dieses Skript ist einfach – viel zu fern. Seth (verbissen): Das letzte Manuskript war ebenfalls ein Experiment und es hatte durchschlagenden Erfolg. Denice (ausweichend): Ja, natürlich. Aber wie groß ist die Chance, dass das ein zweites Mal funktioniert? „Der Sünder“ war natürlich ein fantastisches Werk – aber es hatte Gegenwartsbezug. Den kann ich in diesem Manuskript leider nicht entdecken. Seth (sich verteidigend): Die Idee schien auf der Pressekonferenz gut angekommen zu sein. Denice (lacht): Ja, du bist ein guter Redner, Seth. Du kannst verkaufen, was immer du willst. So bin ich dir ja auch das erste Mal auf den Leim gegangen. Aber ich frage mich, ob auch das Werk an sich letzten Endes den Kritiken Stand halten kann. Seth (leicht drohend): Wie würde es auf die Öffentlichkeit wirken, wenn ich das Skript anderweitig verlegen ließe? Denice (ernst, sehr bedauernd): Ich habe nicht gesagt, dass ich nicht versuchen will, das Buch in unser Programm aufnehmen zu lassen. Ich fürchte nur, dass ich es in seiner jetzigen Form kaum vertreten kann. Seth (holt Luft, um etwas zu sagen). Denice (fährt dazwischen): Die Idee ist gut! Es wundert mich überhaupt nicht, dass sie auf der Pressekonferenz Anklang gefunden hat. Ich meine nur, dass du die Umsetzung noch einmal überdenken solltest. Seth (trocken): Gut. Stühlerücken, als Seth aufsteht. Seth (bitter): Auf Wiedersehen. Denice (einlenkend, bedauernd): Seth...! Schritte. Öffnen der Bürotür, Tür fällt hinter Seth ins Schloss. ~Kulisse: Die Eingangshalle des Verlags: sehr geräumig und beinahe leer, Parkett. Lilian (ruft, fröhlich): Seth! Schritte verstummen. Längere Pause. Lilian (lacht): Hier drüben! Erzähler: Erst jetzt, da er den Kopf zur Seite wandte, entdeckte Seth Lilian an einer entfernten Tischgruppe sitzend und ihm zuwinkend. Rasch hatte sie sich erhoben, war zu ihm hinüber geeilt und hatte sich bei ihm eingehakt, um ihn aus dem Gebäude zu begleiten. Parallel zur folgenden Konversation: Schritte auf Parkett. Eine Schiebetür öffnet sich und schließt sich. ~Kulisse: Die Stadt an der Hauptstraße zur Mittagszeit. Schritte. Lilian (irritiert): Was machst du denn für ein Gesicht? Seth (abweisend): Ich bin mit der Gesamtsituation unzufrieden, das ist alles. (nach kurzer Pause, freundlicher) Was machst du eigentlich hier? Musst du nicht arbeiten? Lilian (lächelt): Doch doch! Ich habe mit einer Kollegin die Schicht getauscht, ich wusste ja, dass du hier einen Termin hast. Da ich allerdings nicht wusste, wann du fertig bist, habe ich einfach so lange hier gewartet, bis du vorbei kamst. Seth (leicht gerührt): Womit habe ich denn das verdient? Lilian (fröhlich, frech): Ach, einfach nur so. Immerhin hast du dich die letzten Tage über nur in deiner Wohnung verkrochen. Da konnte ich doch nicht zulassen, dass du mir wieder entwischst! Seth (schmunzelt): Nun ja, ein paar Minuten kann ich sicher für dich freimachen. Lilian (lacht): Hoffentlich auch ein bisschen mehr als nur ein paar Minuten. Ich habe nämlich vor, dich zu mir nach Hause zu entführen und uns was Schönes zu kochen. Seth (frech): Oh, das lasse ich mir natürlich nicht entgehen. Lilian (kess): Na, das will ich wohl auch hoffen! (nach kurzer Pause, erschrocken) Warte kurz, wo habe ich eigentlich meinen Schlüssel...? Schritte verstummen abrupt. Lilian beginnt, ihre Taschen zu durchwühlen. Dramatisches Geräusch... Ein Ziegel zerschellt auf dem Bordstein. Lilian (schreit erschrocken auf). Herzklopfen im Hintergrund. Seth: Lilian! Alles in Ordnung? Lilian (perplex): J... Ja, ich glaube schon... Seth (murmelt, irritiert): Ein Dachziegel...? Lilian (schluchzt leise): Wieso immer ich...? Kapitel 5: Szene 5 ------------------ ~Kulisse: Seths Schlaf- und Arbeitszimmer bei Nacht. Leises Ticken einer Uhr. Trommeln mit den Fingerspitzen auf einem Schreibtisch. Erzähler: Seth hatte sich auf seinem Bett ausgestreckt und starrte der eben weißen Decke entgegen, ohne sie jedoch tatsächlich zu sehen. Sein Blick war nach innen gerichtet, dort, wo in seinem Hinterkopf die Gedanken kreisten, aus dem Nichts aufflackerten und so jäh, wie sie erschienen waren, wieder erloschen, ohne ihn zu einem Ergebnis zu führen. Seth (denkt): Der Kronleuchter, der Ziegel... Und dann... dieser Traum... Im Hintergrund: Take 2 von Seth und Take 3 von Lilian aus der Einführungsszene, hallend: Ihre Hand entgleitet seinem Griff. Seth: Nein! Lilian (schreit lang, zugleich): Seeeeth! Seth: Alles führt immer wieder zum selben Ausgangspunkt zurück... Ein Buch wird auf den Tisch gelegt. Seth (denkt): Dieses Buch... Buch wird aufgeschlagen, Seiten werden durchgeblättert. Seth (nachdenklich): Hmm... Mona (leicht unnatürlich betont): Sie sollten das Licht löschen und zu Bett gehen. Morgen um neun Uhr dreißig haben Sie einen Termin mit einem Reporter des Stadtverlags. Seth (murmelt): Jetzt nicht, Mona. Blättern von Seiten. Seth (murmelt): Dieses Buch... Tippen mit dem Finger auf eine Buchseite. Seth (liest): Matthäus... (nach kurzer Pause, nachdenklich) Aber... Wie...? Geräusch einer kurzen Erscheinung, die genauso schnell verschwindet, wie sie erschienen ist. Erzähler: Rasch wandte Seth den Kopf. Er hätte schwören können, aus dem Augenwinkel ein fremdes Gesicht dort draußen vor dem Fenster erblickt zu haben - doch nun, da er genauer hinsah, war dort nichts als Dunkelheit. Seth (denkt): Ich muss zu ihr... Stühlerücken. Schritte. Mona (leicht unnatürlich betont): Seth, Sie sollten jetzt nicht... Tür wird zugeschlagen. ~Kulisse: Die Stadt bei Nacht. Schritte auf Stein. Klimpern eines Schlüsselbundes. Seth (ruft): Taxi! Schritte halten kurz inne. Ein Auto bremst. Schritte. Autotür wird geöffnet, Seth steigt ein, Autotür wird zugeschlagen, Auto fährt los. Kapitel 6: Szene 6 ------------------ ~Kulisse: Die Stadt bei Nacht, verkehrsberuhigte Zone Läuten an der Tür. Längere Pause. Erneutes Läuten. Seth (denkt): Nicht da... Vielleicht ist sie noch in der Druckerei? Aber um diese Uhrzeit? (kurze Pause) Wenn ihr nur nichts zugestoßen ist...! Rennende Schritte auf Stein, Verkehr nimmt zu. Schritte verstummen. Seth (atmet schwer). Erzähler: Die schmalen hohen Fenster der Druckerei waren noch hell erleuchtet, als Seth an der Fassade des Gebäudes empor spähte. Seth (denkt): Sie muss in die Nachtschicht getauscht haben, um sich den Nachmittag freizuhalten... Erneute Schritte, drei Stufen hinauf. Läuten einer Firmenklingel. Kurze Pause. Eine schwere Tür wird geöffnet, Geräusch von Druckpressen im Hintergrund erklingt. Lilian (überrascht): Seth! Was machst du denn noch hier? Hast du morgen früh nicht einen Pressetermin? Seth (überrumpelt): Nein... Ich meine: Doch! Aber das ist nicht so wichtig. Lilian (irritiert): Was ist denn mit dir los? So aufgewühlt hab' ich dich ja nicht mehr gesehen, seit du das letzte Mal den Verlag gewechselt hast. (nach kurzer Pause) Na, komm erst mal rein! Schritte. Druckerpressen werden lauter. Tür wird geschlossen. ~Kulisse: Flur in der Druckerei, die Druckpressen im anschließenden Raum, dessen Türen offen stehen. Seth (ernst): Hast du einen Moment Zeit? Lilian (nachdenklich): Naja, es ist noch eine Kollegin da. Ich glaube, sie kann die Robotik-Maschinen auch zehn Minuten alleine beaufsichtigen. Wir hatten den ganzen Abend noch keine Probleme. Seth (holt tief Luft): In Ordnung. (kurze Pause) Ich habe dir doch von dem Protagonisten meines Romans „Der Sünder“ erzählt, Matthäus. Lilian (unterbricht ihn): Der, der seine Frau mit dem Kronleuchter erschlagen hat? Seth (etwas irritert): Ja, genau. (wieder gefasst) Im Laufe des Romans verliert er beim Bau eines neuen Palastes von Steuergeldern seinen einzigen Sohn; er wird unter einem einstürzenden Turm begraben. Kurz darauf stürzt seine Geliebte, mit der er bereits seine Ehefrau betrogen hat, während eines Ausflugs einen Abhang hinab und verunglückt tödlich. Lilian (leicht irritiert): Ja – und? Seth (fest, sich in Rage sprechend): Das ist das Ende und die Moral des Romans: Nachdem Matthäus die zehn Gebote übertreten hat, verliert er alles, was ihm lieb und teuer ist und bleibt mit seiner Macht allein zurück. Lilian (irritiert): Und du bist extra gekommen, um mir das zu sagen? Seth (hitzig): Denk doch mal weiter, Lilian. Als Autor habe ich Matthäus alles genommen – und jetzt versucht er mir alles zu nehmen! Aber ich habe keine Frau und kein Kind – alles was ich habe, bist du! Du als Äquivalent zu Matthäus' Geliebter. Der Kronleuchter und der Dachziegel – es fehlt nur noch der Sturz. Und genau der soll dich mir wegnehmen! Längere Pause. Lilian (ernst): Sven, ich fürchte, dir ist nicht ganz klar, wo die Realität aufhört und die Fiktion anfängt. Seth (perplex): Natürlich ist mir... Lilian (unterbricht ihn, aufgebracht): Das alles hat doch schon mit diesem albernen Namen angefangen! Ich war von Anfang an dagegen, dass du dich nur noch 'Seth' nennen lässt. Das ist doch kein normales Pseudonym mehr! Wann hast du das letzte Mal deinen richtigen Namen benutzt, hm? Seth (irritiert): Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun! Lilian (aufgebracht): Oh, das hat es sehr wohl! Du musst auf den Boden der Tatsachen zurückkommen. Ich bin hier, in der Wirklichkeit, nicht in irgendeinem deiner Bücher! Seth (abwehrend): Aber Lilian, ich... Lilian (unterbricht ihn, bestimmt): Ich glaube, du solltest jetzt gehen und dich ausschlafen. Komm erst wieder, wenn du wieder einen klaren Kopf hast. Schritte entfernen sich. Seth (leise, betroffen): Lilian... Warte doch mal...! Schritte werden leise mischen sich unter das Geräusch der Druckpressen. Kurze Pause. Seth (denkt): Wie soll ich sie schützen, wenn ich nicht an ihrer Seite sein kann? Geräusch von Druckerpressen klingt aus. Kapitel 7: Szene 7 ------------------ ~Kulisse: Seth's Zimmer bei Nacht. Ticken einer Uhr. Tippen auf einer Tastatur. Kurzes Innehalten. Die Zeilen werden wieder gelöscht. Seth (seufzt genervt, denkt): Heute hat es einfach keinen Sinn. Erzähler: Die Stirn in Falten gelegt, lehnte sich Seth in den Schreibtischstuhl zurück und starrte auf den Bildschirm seines Laptops, auf dem die zahlreichen Buchstaben zu einem einzigen Farbrauschen zu verschwimmen schienen. Seth (denkt): Realitätsbezug... Wie stellt sie sich das vor? Natürlich hat es Realitätsbezug. Ich lebe in der Realität, es ist also völlig unmöglich, das irgendetwas aus meiner Feder keinerlei Bezug zu ihr hat! Es fragt sich nur, wie offensichtlich er ist... Hallend Szene 6, 6. Take von Lilian: Lilian (ernst): Sven, ich fürchte, dir ist nicht ganz klar, wo die Realität aufhört und die Fiktion anfängt. Seth (bedauernd, denkt): Lilian... Pingen einer Uhr zu voller Stunde, das in das folgende Take übergeht. Mona (leicht unnatürlich betont): Reden ist Silber und Schweigen ist Gold! Kurze Pause. Seth (irritiert, genervt): Es ist nicht nötig, mir Lebensweisheiten an den Kopf zu werfen, nur weil morgen kein Termin ansteht. Außerdem wurde der Goldpreis längst von dem des Silbers eingeholt. Das krempelt das ganze Sprichwort um. Mona (leicht unnatürlich betont): Es ist dreiundzwanzig Uhr, Zeit, das Licht zu löschen! Seth (grummelnd): Mit dir kann man auch nicht reden... Morgen habe ich keinen Termin, das weiß ich ganz genau. Mona (leicht unnatürlich betont): Ein guter Bürger geht am Abend jeden Tages zu Bett, nicht erst, wenn der neue Tag schon wieder dämmert! Seth (genervt): Jetzt fang' bitte nicht schon wieder an. Ich versuche hier zu arbeiten. Mona (leicht unnatürlich betont): Ich gebe Ihnen nur von meinem System als gut befundene Ratschläge, das ist meine Aufgabe. Seth (seufzt): Nein, deine Aufgabe ist es, mich morgens zu wecken, Mona! Piepen eines Handys: SMS. Seth (denkt): Eine Textnachricht? (hoffnungsvoll) Vielleicht Lilian...? Hohes Piepen, als Seth die Tastensperre aus dem Handy nimmt. Tieferes Piepen, als er eine Taste drückt. Matthäus (verzerrt): Willst du sie zurück, solltest du dich beeilen. Vielleicht nutzt ein nächtlicher Bibliotheksbesuch? Herzklopfen im Hintergrund. Seth (irritiert, denkt): Was...? (nach kurzer Pause, erschrocken) Die Nachricht hat keinen Absender, wie kann das sein? Selbst wenn sie von einem öffentlichen Message-Point aus gesendet wurde, muss doch eine Nummer angezeigt werden! Rücken eines Stuhls, kurz Schritte, Geräusch, als Seth langsam seine Jacke anzieht. Mona (leicht unnatürlich betont): Es ist dreiundzwanzig Uhr eins. Sie sollten das Haus jetzt nicht mehr verlassen. Es ist Zeit, zu Bett zu gehen! Seth (abwesend, bestimmt): Tut mir Leid, Mona. Schnelle Schritte. Tür Wird geöffnet und ins Schloss gestoßen. Kapitel 8: Szene 8 ------------------ ~Kulisse: Der Verwaltungsbezirk bei Nacht, sehr ruhig. Rennende Schritte auf Stein. Der Verkehr im Hintergrund wird stetig leiser. Erzähler: Der Kultur- und Verwaltungsbezirk der Stadt war zu so später Stunde nur noch spärlich beleuchtet und während Seth die Stadtbibliothek ansteuerte, beschlich ihn das unangenehme Gefühl, der einzige Mensch weit und breit zu sein. Einige hundert Meter von ihm entfernt raste eine nächtliche Magnetbahn vorüber, ohne jedoch an einer der nahen Haltestellen abzubremsen. Schritte verstummen. Seth (atmet schwer, denkt): Die Bibliothek... (irritiert) Aber weit und breit kein Licht zu sehen... Geräusch aus Szene 5: „Geräusch einer kurzen Erscheinung, die genauso schnell verschwindet, wie sie erschienen ist.“ Seth (irritiert, murmelt): Was zum...? Erzähler: Langsam hob Seth den Kopf und spähte zum Dach der Bibliothek hinauf, wo er meinte, soeben etwas aufblitzen gesehen zu haben. Doch ganz gleich, wie sehr er die Augen verengte, er konnte dort oben nichts Ungewöhnliches ausmachen. Seth (murmelt, bestimmt): Nein, das habe ich mir nicht eingebildet... Erzähler: Rasch hatte Seth die metallene Feuerleiter fixiert, die sich frei zugänglich bis zum Dach des Gebäudes empor zog. Nur einen Augenblick lang zögerte er, dann übermannte ihn die Gewissheit, dass sich dort oben auf dem Dach jemand, etwas verbarg, das nur ihn allein anging. Schritte auf Stein. Verstummen kurz. Erneute Schritte, dieses Mal auf einer metallenen Feuerleiter. Endschritt auf Beton, Schritte verstummen. Leise pfeifender Wind. Schritte eines Menschen, der sich umdreht. Matthäus (böse, amüsiert): Du kommst spät. Ich fürchtete bereits, ich hätte das falsche Lockmittel ausgewählt... Lilian (versucht etwas zu rufen, doch Matthäus hält ihr den Mund zu). Seth (halb erschrocken, halb wissend): Lilian! (nach kurzer Pause, argwöhnisch, fordernd) Wer bist du? Matthäus (böse, überheblich): Du weißt, wer ich bin. (nach kurzer Pause, lacht) Du selbst hast mir die Gabe des Gedankenlesens zugesprochen, Seth. Seth (perplex): Matthäus... Wie ist das möglich...? Matthäus (laut): Hast du wirklich geglaubt, du würdest damit davonkommen? Seth (gereizt): Wovon redest du? (kurze Pause) Nein... Du kannst nicht der sein, für den ich dich halte... Das ist völlig unmöglich! Matthäus (lacht amüsiert, böse): Bist du dir da absolut sicher? Wusch-Geräusch, als Matthäus verschwindet. Herzklopfen. Seth (perplex): Was...? Matthäus (haucht, amüsiert): Hinter dir... Seth (erschrockenes Seufzen). Schuhe auf Beton, als sich Seth umdreht. Kurze Schritte, als er zurückweicht. Matthäus (böse): Es waren deine Worte, Seth: Du hast mir alles genommen – und jetzt werde ich dir alles nehmen! Schritte. Lilian (versucht etwas zu rufen, doch Matthäus hält ihr den Mund zu). Seth (ruft): Lass Lilian gehen, sie hat nichts damit zu tun! Matthäus (böse): Hatten mein Sohn oder meine Geliebte etwas damit zu tun? Seth (gereizt): Das ist etwas völlig anderes! Matthäus (leise): So? Ist es das? Geräusch, als Lilian weggestoßen wird, stolpernde Schritte. Geräusch eines Schuhs, der auf Beton rutscht. Lilian (erschrockener Aufschrei). Seth (panisch): Lilian! Erzähler: In einer flinken Bewegung hatte Matthäus Lilian von sich gestoßen. Sie geriet ins Stolpern, ihre Schuhe rutschten auf dem Beton und nur einen Lidschlag später verlor sie den Boden unter den Füßen. Mit einem schnellen Satz hatte Seth sie erreicht. Gerade noch rechtzeitig gelang es ihm, ihr Handgelenk zu packen und sie so daran zu hindern, in die Tiefe zu stürzen. Lilian (leise, dankbar): Seth... Schritte nähern sich. Matthäus (leise, interessiert): Wie lange kannst du sie halten? Ihre Hand entgleitet seinem Griff. Seth: Nein! Lilian (schreit lang, zugleich): Seeeeth! Nachhall des Schreis. Kurze Stille. Matthäus (lacht amüsiert, böse). Man hört Schuhe auf dem Beton, als sich Seth umdreht. Seth (bebend vor Zorn, schockiert): Du...! Kapitel 9: Szene 9 ------------------ ~Kulisse: In Seths Wohnung; Schlafzimmer. Seth (zieht erschrocken Luft ein, als er aus dem Schlaf erwacht). Parallel dazu: Rascheln einer Bettdecke. Seth (murmelt): Wieder dieser Traum... Kurze Pause. Das Ticken einer Uhr ist zu hören. Mona (leicht unnatürlich betont): Guten Morgen, Seth. Es ist sieben Uhr dreißig, Zeit aufzustehen! Seth (murmelt): Dieser Wecker... Mona (leicht unnatürlich betont): Sie sollten sich nun ins Bad begeben. In einer Stunde findet eine Pressekonferenz in der Südhalle statt. Seth (genervt): Das weiß ich do – (bricht ab) Ab jetzt leises Herzklopfen im Hintergrund. Seth: (nach kurzer Pause) Pressekonferenz? Wieso Pressekonferenz...? Bettdecke wird zurückgeschlagen, Knarren des Bettes, als Seth aufsteht. Mona (unnatürlich nachrufend): Die Pressekonferenz zu ihrem neuen Roman! Ihre Lektorin wird ebenfalls anwesend sein. Seth (leicht irritiert, zweifelnd): Ich verstehe... Schritte entfernen sich. ~Kulisse: Die Straßen einer Großstadt Eine Haustür, die ins Schloss gezogen wird. Schritte auf Stein, Lärm entfernter Autos, der stetig lauter wird. Erzähler: Wie von allein trugen Seths Beine ihn auf die Hauptstraße zu. Alles um ihn her wirkte so unnatürlich, als durchwandelte er einen Traum; einen Traum, den er schon einmal geträumt hatte... Noch immer Herzklopfen im Hintergrund. Seth (ruft, halbherzig): Taxi! Ein Auto fährt mit Vollgas an Seth vorbei. Geräusch, als Seth seine Taschen durchwühlt und Klimpern, als er einen Schlüsselbund herauszieht. Ein bremsendes Auto. Seth (denkt): Wieso kommt mir das alles nur so bekannt vor...? Eine Autotür wird geöffnet. Seth (denkt): Ist das nicht schon einmal geschehen? Einmal? Oder... vielleicht schon viel öfter...? Taxifahrer (unfreundlich):Moin. Na los, rein mit dir, ich hab' nicht den ganzen Tag Zeit. Herzklopfen wird lauter. Seth: Vielen Dank, ich habe es mir anders überlegt. Ich gehe doch lieber zu Fuß! Rennende Schritte entfernen sich. Taxifahrer (wütend, nachrufend): Na warte, Bürschchen, wenn ich dich erwische! Seth (denkt): Alles dreht sich im Kreis - Da muss etwas sein... Es muss etwas geben, das ich in dieser Woche getan habe, etwas, das ich anders machen muss...! (nach kurzer Pause) Lilian...! Ein Auto fährt nahe vorbei, Klimpern eines Schlüssels. Auto bremst ab, Schritte, Autotüren werden geöffnet und geschlossen. Auto fährt ab, Motorengeräusch verklingt. Kapitel 10: Szene 10 -------------------- ~Kulisse: Die Stadt am Vormittag, verkehrsberuhigte Zone Läuten an der Tür. Surrendes Geräusch, als sich eine Videokamera bewegt. Erzähler: Die Videokamera, die unscheinbar an der Decke über dem Türbereich angebracht war, richtete sich auf den Besuch aus und stellte scharf. Ihr leises aber prägnantes Surren, ließ Seth zu ihr aufblicken und sie näher in Augenschein nehmen - und erst einige Sekunden später wurde die Haustür entriegelt. Surren, Haustür wird aufgedrückt. ~Kulisse: Großes Treppenhaus, Hall. Hallende Schritte im Treppenhaus, eine Treppe hinauf. Schritte verstummen. Lilian (überrascht, feststellend): Seth...! Was machst du denn hier? Hast du nicht gleich eine Pressekonferenz? Ich wollte gerade los und dir zusehen! Seth (überzeugt, ernst): Doch, doch. Aber ich habe etwas Wichtiges mit dir zu besprechen. Kann ich rein kommen? Lilian (irritiert, schlechtes Gefühl): Ja... Natürlich. Schritte. Wohnungstür wird geschlossen. ~Kulisse: Lilians 2-Zimmer-Wohnung. Schritte auf Laminat. Kurze Stille. Lilian (gespielt ruhig): Setz dich doch. Seth (sie übergehend): Lilian... (nach kurzer Pause) Ich liebe dich. Kurze Stille. Schritte. Schranktüren werden geöffnet, Klirren von Gläsern, die aus dem Schrank geholt werden. Lilian (nervös): Willst du was trinken? Gläser werden abgestellt. Seth (sanft, fordernd): Lilian..! Lilian (zieht die Luft scharf ein): Ich... Schritte, leises Rascheln von Kleidern. Erzähler: Doch noch ehe Lilian ihren Satz beenden oder sich auch nur darüber klar werden konnte, was sie eigentlich hatte sagen wollen, war Seth bereits auf sie zugekommen und hatte seine Arme fest um ihre Schultern gelegt. Kurzes, leises Herzklopfen (1x). Erzähler: Sanft drücke er sie an sich und legte seinen Kopf auf ihre Schulter, sodass sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Doch das war auch nicht nötig; sein heftiger Herzschlag verriet ihr, dass er genauso nervös war, wie sie selbst. Langsam löste sich Seth aus der Umarmung, um Lilian in die Augen blicken zu können. Seth (leise): Und da ist noch etwas... (nach kurzer Pause, ernst) Ich werde verfolgt. Lilian (erschrocken): Was...? Seth (einlenkend): Ich vermute, dass ein Fan von meinem Roman „Der Sünder“ es auf mich abgesehen hat. Er scheint sich selbst für den Protagonisten zu halten und will mir das Ende des Romans heimzahlen, an dem der Protagonist alles verliert... Lilian (aufgeregt): Aber Seth! Das musst du der Volksaufsichtsbehörde melden! Seth (abweisend): Es ist nur ein Verdacht, ich bin mir nicht sicher... Tut mir Leid, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich habe nur die Befürchtung, dass er es auch auf dich abgesehen haben könnte, daher- Lilian (unterbricht, aufgeregt): Er kann doch gar nichts von uns wissen! Seth (ernst): Er scheint mich zu beobachten... Mach dir bitte keine allzu großen Sorgen. Vielleicht sehe ich Gespenster. Aber bitte tu' mir den Gefallen und geh' nicht mehr aus dem Haus, wenn es dunkel ist - und halt Fenster und Türen geschlossen. Versprichst du mir das? Lilian (zögerlich, ängstlich): J... Ja, natürlich... (nach kurzer Pause, fest) Aber bitte, Seth, versprich auch du mir etwas: Wenn du deinen Verdacht auch nur irgendwie bestätigt siehst: Melde das sofort der Behörde! Erzähler: Seth nickte schweren Herzens, denn bereits zur selben Sekunde war ihm bewusst, dass er sein Versprechen nicht würde halten können. Kapitel 11: Szene 11 -------------------- ~Kulisse: In Seth's Wohnung; Schlafzimmer. Ticken einer Uhr ist zu hören. Seth (denkt, nachdenklich): Dienstag... Wenn sich alles wiederholt, wenn sich alles im Kreis dreht, wird Matthäus ihr am Dienstag auflauern und sie zur Stadtbibliothek bringen... Piepsen eines Handys: SMS. Seth (fährt erschrocken auf): Nein, das kann doch nicht...! Rascheln von Kleidung, als Seth nach dem Handy greift, Schleifen des Handys einem Holztisch. Tiefes Piepen, als Seth eine Taste betätigt. Denice (wütend, verzerrt): Seth! Wo steckst du? Ruf mich sofort zurück, ich bin in meinem Büro. Seth (leise, erschrocken): Die Pressekonferenz..! Geräusch, als Seth vom Bett aufsteht. Schritte, Rücken eines Stuhls. Telefonhörer wird aufgenommen. Seth (murmelt): Nicht richtig aufgelegt...? Ach daher die Textnachricht... Piepen von Tasten, als Seth eine achtstellige Nummer wählt. Leises Tuten, verstummt kurz darauf. Knacken, als abgehoben wird. Denice (wütend): Seth! Seth (unangenehm): Es tut mir Leid, dass Sie mich nicht erreichen konnten. Der Hörer muss wohl nicht richtig... Denice (unterbricht ihn, wütend): Darum geht es nicht! Die Pressekonferenz war schon lange angekündigt, wo warst du?! Seth (unangenehm): Über der Arbeit habe ich den Termin völlig vergessen. Denice (wütend) Das ist jawohl nicht dein Ernst! Wozu habe ich dir den Wecker geschenkt? Du kannst es nicht vergessen haben! (zunehmend verzweifelter) Wieso tust du mir das an? Weißt du, wie ich vor den Reportern dastand, als ich ihnen keinen Autor präsentieren konnte? (wieder wütender) Das gibt einen glatten Skandal! Du schadest dem Verlag! Seth (perplex): Ich... Denice (unterbricht ihn, wütend): Und weißt du, was das Schlimmste ist? Dass ich dafür zu sorgen habe, dass du zu solchen Anlässen erscheinst! Wessen Fehler ist das dann in Augen des Vorstands? Hast du schon mal darüber nachgedacht? Seth (leise, zögerlich): Es... tut mir Leid... Denice (wütend): Wenn ich meinen Job verliere, kannst du mich bis an dein Lebensende ausbezahlen! Seth (laut): Es tut mir Leid! Es ist nicht mehr zu ändern! Kurze Pause. Denice (nüchtern, etwas gebrochen): (schnaubt leise) Vielleicht ist es für uns alle besser, wenn du den Verlag wechselst, Seth. Seth (zögerlich): (nachdenklich) Ja... (bestätigend) Ja... Ich werde darüber nachdenken. Ich rufe Sie zurück. Piepen, als Seth das Gespräch mit einem Tastendruck beendet. Seth (seufzt). Geräusch, als Seth das schnurlose Telefon zurück auf die Station stellt. Seth (denkt, bedauernd): Es musste so kommen... Ich wusste es doch bereits... Wenn nicht heute, dann am kommenden Montag – aber habe ich das letzte Mal auch noch einen anderen Menschen mit hineingezogen...? Nein... Nein, es ist nicht, wie das letzte Mal. Ich habe mich verändert. Und mit mir alle Handlung um mich her. Wie ein Schachspiel – mit dem Zug einer einzigen Figur wird über alle weiteren Züge bestimmt... Kann ich mich noch darauf verlassen, Matthäus erst am Dienstag gegenüberzustehen? Kann ich mich darauf verlassen, dass Lilian bis dahin in Sicherheit ist? Pingen zu voller Stunde. Mona (leicht unnatürlich betont): Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen! Seth (seufzt, leicht gereizt): Bitte, Mona, verschone mich! Kapitel 12: Szene 12 -------------------- Straßenlärm. Schritte auf Asphalt. Steinerne Treppe mit wenigen Stufen, Schiebetür. Erzähler: Als Seth am folgenden Nachmittag die Stadtbibliothek betrat, war ihm selbst nicht bewusst, wonach er eigentlich suchte. Seine sich stetig im Kreis drehenden Gedanken hatten ihm den Schlaf geraubt und immer und immer wieder auf den selben Punkt zugeführt: Matthäus würde Lilian auf das Dach der Bibliothek bringen, wenn Seth es nicht zu verhindern wüsste. Das Dach der Bibliothek... Schritte auf Holz, erneute Schiebetür. ~Kulisse: Empfangsbereich der Stadtbibliothek. Teppichboden, ein hölzerner Tresen. Schritte. Bibliothekarin (gutmütig, fröhlich): Herzlich willkommen! Schritte halten inne. Seth (unpersönlich): Entschuldigen Sie, wo finde ich die Schließfächer? Bibliothekarin (irritiert): Schließfächer? Seth (irritiert): Ja, um meine Garderobe einzuschließen. Bibliothekarin (lächelnd): Wir haben keine Schließfächer, Sie können ihre Garderobe gerne mit rein nehmen. Wenn Sie ihren Mantel ablegen möchten, finden Sie dort drüben einige Kleiderhaken. (nach kurzer Pause) Sie sind das erste Mal hier? Damit sie Bücher entleihen können, muss ich Ihnen einen kleinen Platz in unserer Kartei einräumen. Seth (geschäftlich): Danke, ich möchte mich erst einmal nur umsehen. Bibliothekarin (freundlich): Nur zu! Bloß keine Eile, ich laufe Ihnen ja nicht weg. Die Menschen nehmen sich nur noch viel zu wenig Zeit für die guten Dinge im Leben, finden Sie nicht? Seth (lächelnd): Ja, da könnten Sie Recht haben... Vielen Dank. Erneute Schritte. ~Kulisse: Die Stadtbibliothek. Teppichboden, hohe Regale. Leises Treiben, Kinderstimmen und verhaltenes Kichern. Erzähler: Wie lange war Seth nicht mehr hier gewesen? Die Stadtbibliothek unterschied sich so gänzlich von den Forschungsbibliotheken, die er üblicherweise für seine Recherchen nutzte, dass er sich beinahe wie ein Fremder in einem fernen Land fühle. Es schien, als sei die Zeit an diesem Ort stehen geblieben oder zumindest an ihm vorüber gezogen, ohne jegliche Spuren zu hinterlassen. Der Hauptbereich der Bibliothek war von zwei mannshohen massiven Regalen durchzogen, in denen sich mehr oder weniger abgegriffene Bücher tummelten und es stellte sich bald heraus, dass der Personalcomputer, der Seth im Eingangsbereich ins Auge gesprungen war, der einzige seiner Art bleiben sollte. Seth (murmelt): Romantik, Komödie, Phantastik, Bestseller, Neuerscheinungen.... (nach kurzer Pause, überrascht) Oh! Schritte verstummen. Erzähler: Im Regal der Bestseller hatte Seth einige seiner eigenen Romane entdeckt. Doch von dem Buch, das ihn am meisten interessierte, fehlte jede Spur. Schritte, verstummen nach kurzer Zeit. ~Kulisse: Empfangsbereich der Stadtbibliothek. Teppichboden, ein hölzerner Tresen. Seth: Entschuldigung, wo finde ich das Buch „Der Sünder“ von Seth? Bibliothekarin (freundlich): Oh, diese Bücher sind im Moment sehr beliebt. Es kann sein, dass alle Exemplare verliehen sind. Einen Moment, ich frage kurz meinen Kollegen. Tippen auf einer Tastatur. Seth (irritiert): Ihren Kollegen...? Bibliothekarin (fröhlich): Ja, den Computer hier. Ich habe ihn gerade erst eingearbeitet und schon weiß er besser Bescheid als ich, wissen Sie? (lacht). Erneutes Tippen. Bibliothekarin (erfreut): Oh, Sie haben Glück! Ein Exemplar ist noch da. Sie finden es bei den Bestsellern. Da haben wir alle seine Bücher untergebracht, weil sie so häufig nachgefragt werden. „Der Sünder“ war eigentlich der einzige Bestseller... Seth (amüsiert): Ja, ich weiß. Aber ich habe bereits bei den Bestsellern nachgesehen, dort war es nicht. Bibliothekarin (voller Tatendrang): Einen Moment. Bei den vielen Büchern und Regalen kann man schnell etwas übersehen, wenn man sich nicht auskennt. Ich sehe mir das mal an. Zurückrollen eines Bürostuhls, Bibliothekarin erhebt sich. Seth (irritiert): Aber was, wenn nun jemand etwas ausleihen will...? Bibliothekarin (überzeugt): Wer heute noch die Zeit für ein gutes Buch findet, hat auch die Zeit, fünf Minuten auf mich zu warten. Schritte zweier Menschen, verstummen nach kurzer Zeit. ~Kulisse: Die Stadtbibliothek. Teppichboden, hohe Regale. Leises Treiben. Bibliothekarin (etwas verstimmt): Tatsächlich, es ist nicht da. Muss wohl jemand aus dem Regal genommen und danach falsch einsortiert haben. (bedauernd) Das tut mir wirklich Leid. Ich könnte Sie trotzdem schon mal in die Kartei eintragen und Sie benachrichtigen, sobald ein anderes Exemplar zurückgegeben wird. Seth: Oh, vielen Dank, das ist nicht nötig. Ich komme einfach ein anderes Mal wieder vorbei. Bibliothekarin (freundlich): Natürlich. Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag. Seth: Danke, gleichfalls. Schritte, Schiebetür. Seth (denkt): Seltsam... Piepen eines Handys: SMS. Piepen einer Taste. Lilian (verzerrt): Treffen wir uns um achtzehn Uhr dreißig vor dem kleinen Italiener in der Heinze-Straße? Ich kann etwas früher Feierabend machen! Lilian Seth (schmunzelt/kichert). Tastenpiepen – Seth antwortet auf die SMS. Wird ausgeblendet. Kapitel 13: Szene 13 -------------------- ~Kulisse: Die Innenstadt am Abend. Schnelle Schritte. Erzähler: Nur wenige Stunden später hatte Lilian es eilig, den vereinbarten Treffpunkt zu erreichen. Da sie noch auf die Kollegin der Folgeschicht hatte warten müssen, war sie für das ausgemachte Abendessen spät dran. Zwei Personen stoßen zusammen. Ein Buch fällt zu Boden. Denice: Uff... Lilian (erschrocken, bedauernd, schnell): Oh, entschuldigen Sie! Ich war so in Gedanken... Einen Moment, ich hebe das für Sie auf! (nach kurzer Pause nachdenklich) „Der Sünder“...? Denice (kurz angebunden): Vielen Dank. Schnelle Schritte entfernen sich. Lilian (nachrufend): Einen Moment! Sind Sie nicht...? (kurze Pause, zu sich selbst) So was... Schritte nähern sich. Seth (freundlich): Hallo Lilian. Lilian (erschrocken): Oh, Seth! Sag mal, war das da eben nicht deine Lektorin? Seth (irritiert): Mag sein, wieso? Lilian (nachdenklich): Sie hatte ein Exemplar von deinem letzten Roman dabei. Sah ziemlich ramponiert aus. Seth (nachdenklich): ...als stammte es aus einer Bibliothek? Lilian (bestätigend): Ja, genau so! Seltsam, nicht? Sie hat doch sicher Zugang zu frisch gedruckten Exemplaren, also wieso...? Seth (hastig abtuend): Wer weiß, ist das so wichtig? Lass uns Essen gehen. Schritte entfernen sich, Stimmen werden langsam leiser. Lilian (erfreut): Ja! Ich glaube ich, bestelle mir wieder diese Spaghetti Toscana, die waren wirklich großartig! Hast du in der Zwischenzeit eigentlich noch etwas von diesem Stalker gehört? Ich meine den Fan, der es auf dich abgesehen hat! Das macht mir wirklich Sorgen. Seth (sanft): Nein, aber ich werde dich nachher trotzdem nach Hause begleiten. Lilian (lacht): Mit der Vorzugskarte geht es ja auch viel schneller! In der Ferne öffnet und schließt sich eine Schiebetür. Kapitel 14: Szene 14 -------------------- ~Kulisse: Die Stadt bei Nacht, verkehrsberuhigte Zone Ein Taxi hält, zwei Türen öffnen sich und werden zugeschlagen. Erzähler: Es war bereits nach 23 Uhr, als Seth Lilian zu ihrer Haustür führte. Schritte nähern sich. Das Taxi fährt ab. Lilian (gähnt): Das wird morgen wieder ein langer Tag... Seth (tadelnd): Hast du schon wieder zwei Schichten hintereinander übernommen? Schritte verstummen. Lilian (murmelt): Ja... Aber was soll ich machen? Sonst muss ich immer arbeiten, wenn du frei hast und umgekehrt. Irgendwie passt es einfach nie! Seth (lächelnd): Du bist verrückt. Lilian (frech): Findest du...? (nach kurzer Pause) Naja, gut, dann werd' ich mal 'rauf gehen. Und du willst wirklich zu Fuß gehen? Um diese Uhrzeit? Seth (beruhigend): Es sind ja nur ein paar Meter. Lilian (kokett): Naja, also das ist wohl etwas untertrieben. Und was ist mit dem Stalker? Seth (frech): Sieh' du nur zu, dass du deine Rollläden herunter lässt. Lilian (schnippisch): Pff... (nach kurzer Pause) Na gut, dann komm gut Heim. Gute Nacht! Schritte, Kramen in einer Tasche, hohes Piepen. Tür wird aufgedrückt. Seth (sanft): Gute Nacht. Tür fällt ins Schloss. Stille, Geräusche der nächtlichen Stadt. Seth (denkt): Komm schon, Matthäus, trau dich nur... Geräusch einer kurzen Erscheinung. Matthäus (überheblich): Mir scheint, ich werde erwartet. Geräusch von Schuhen auf Stein, als sich Seth umwendet. Seth (halb erschrocken, feindselig): Matthäus...! Erzähler: Seths Augen fixierten das scharf geschnittene Gesicht seines Gegenübers, um dann an dem kantigen Gegenstand hängen zu bleiben, den dieser unter den Arm geklemmt bei sich trug. Seth (denkt): Dieses Buch...! Matthäus (überheblich, böse): Ich dachte nicht, dass du mein Spiel so schnell durchschauen würdest, Seth. Aber auch das wird dir nichts nutzen. Seth (fest): Solange ich hier stehe, wirst du Lilian nicht anrühren können! Matthäus (lacht böse): Glaubst du das wirklich...? Du hast eine Kleinigkeit vergessen. Ich bin kein Mensch. Seth (feindselig): Ganz Recht, du bist kein Mensch. Du bist nichts weiter als ein Gedankenfetzen, ein Funke einer Fantasie, dem Leben eingehaucht worden ist! Du kannst die Realität nicht verändern, habe ich Recht? Weil du kein Teil von ihr bist. Du kannst Lilian nicht töten. Matthäus (leise, gefährlich): Nein... Ich kann sie dir nicht nehmen... Aber ich werde dir immer und immer wieder zeigen, wie es sich anfühlt, sie zu verlieren! Seth (wütend): Dem setze ich ein Ende! Matthäus (böse, spöttisch): Du bist kein Gott. Seth: Ich habe dich erschaffen! Ein Fenster wird geöffnet. Geräusch, als Matthäus verschwindet. Lilian (ruft gedämpft): Seth? Bist du etwa noch da? Was ist das für ein Lärm? Alles in Ordnung? Seth (unangenehm, zögerlich): Ja... Entschuldige, Lilian, ich... Lilian (verunsichert): Ist jemand bei dir? Doch nicht etwa dieser Stalker? Seth (beruhigend): Nein, nein, niemand. Ich habe nur ein ernsthaftes Wort an mich selbst gerichtet – ich wollte gerade gehen, wirklich. Und du sollst doch die Fenster geschlossen halten. Lilian (irritiert): Ich mache mir wirklich Sorgen um dich. Seth (beruhigend): Das brauchst du nicht, schlaf jetzt... Lilian (seufzt, misstrauisch): Na schön, wenn du es sagst... Gute Nacht. Seth (denkt): Wieso ist er verschwunden...? Fenster wird geschlossen. Kapitel 15: Szene 15 -------------------- ~Kulisse: In Seths Wohnung; Schlafzimmer. Ticken einer Uhr. Seth (denkt): Dieses Buch ist der Schlüssel, es muss der Schlüssel sein... Aber wie...? (verärgert über sich selbst) Matthäus ist kein Teil dieser Welt, ich muss endlich damit aufhören, irdisch zu denken. Ich habe die Welten, in denen ich mich jetzt zurechtfinden muss, erschaffen, wieso fällt es mir trotzdem zu schwer? Schleifen eines Buches, das von einem Holztisch genommen wird. Blättern von Seiten. Seth (murmelt): Es muss doch... Irgendetwas... Hallend, aus Szene 12, Take 10 der Bibliothekarin: Bibliothekarin (etwas verstimmt): Tatsächlich, es ist nicht da. Hallend, aus Szene 13, Take 5/6 Lilian: Lilian: War das da eben nicht deine Lektorin? Sie hatte ein Exemplar von „Der Sünder“ dabei. Hallend, aus Szene 11, Take 4 der Denice: Denice (zunehmend verzweifelter): Wieso tust du mir das an? Hallend, Stene 8, Take 9 Matthäus: Matthäus (leise, schadenfroh): Wie lange kannst du sie halten? Stimmen Verklingen nach langem Nachhall. Deutliches Ticken der Uhr. Hallend, leise, aus Szene 11, Take 4 der Denice: Denice (zunehmend verzweifelter): Wieso tust du mir das an? Rascheln von Bettwäsche, als Seth abrupt aufsteht. Schritte. Pingen einer Uhr zur vollen Stunde. Mona (leicht unnatürlich betont): Besser ein Ende mit Schrecken, als eine Schrecken ohne Ende. Tür fällt ins Schloss. Kapitel 16: Szene 16 -------------------- ~Kulisse: Die Stadt am Abend. Knistern von Papier (Notizzettel) Seth (murmelt): Hier müsste es sein... Denice Wegener... Erzähler: Langsam hob Seth den Kopf und ließ den Blick von seinem Notizzettel hin zu dem alt anmutenden Backsteingebäude wandern, das sich vor ihm erhob.  Verwundert musste er feststellen, dass es nicht einmal eine Überwachungskamera zu geben schien. Entferntes Klingelgeräusch. Tür öffnet sich. Seth (geschäftlich): Guten Tag. Denice (erschrocken): Seth? Was machst du denn hier? (wütend) Ich hätte nicht gedacht, dass du dich so schnell wieder bei mir blicken lässt. Und dann auch noch hier und um diese Uhrzeit! Was immer wir zu besprechen haben: Komm in mein Büro. Dort werde ich dann entscheiden, ob es sich lohnt, dich anzuhören. Seth (einlenkend): Einen Moment! Geräusch, als die Tür gegen Seths Fuß schlägt. Denice (wütend): Nimm sofort den Fuß aus der Tür! Seth (übergehend, ): Kann es sein, dass Sie etwas bei sich haben, das Ihnen nicht gehört...? Denice (zittrig abstreitend): Wie kommst du denn darauf? Seth (vorwurfsvoll): Meine Freundin hat gestern Abend zufällig bemerkt, dass Sie ein sehr altes Exemplar von „Der Sünder“ mit sich herum trugen. Unerklärlicherweise ist genau so ein Band jüngst aus der Stadtbibliothek verschwunden. Denice (überrumpelt): Ich... Seth (fordernd): Wieso haben Sie das Buch mitgenommen? Meine Manuskripte liegen Ihnen vor und sicher wäre es für Sie auch kein Problem gewesen, ein druckfrisches Exemplar aus der Herstellung anzufordern. Denice (zögerlich, leise): Ich... Ich weiß es nicht! Es war... seltsam... Ich musste es mitnehmen... Als hätte es - mich gerufen... (kurze Pause, lacht gespielt) Ha, was rede ich denn da? Seth (freundlich): Geben Sie es mir einfach und ich bringe es für Sie zurück. Denice (erschrocken): Nein! Seth (irritiert): Aber wieso denn nicht? Denice (drucksend): Ich... habe einige Notizen gemacht... Seth (irritiert): Notizen..? Denice (bestimmt): Ich werde es einfach behalten und ein neues Exemplar für die Bibliothek bestellen. Vielen Dank für deine Mühen. Geräusch, als Denice sich müht, die Tür zu schließen. Seth (zur Vernunft rufend): Denice! Denice (jähzornig): Oh! Nenn' mich nie wieder so! Erzähler: Mit einem kräftigen Tritt gegen Seths Schienbein entledigte sich Denice des unerwünschten Hindernisses und stieß die Haustür unsanft ins Schloss. Parallel zum Erzählertext: Trittgeräusch. Seth (stöhnt schmerzerfüllt auf). Tür knallt zu. Seth (schnaubt). Kurze Pause. Schritte. Seth (nachdenklich): Hmm... Piepen eines Handys: SMS. Seth (irritiert): Mh? Wühlen in Jackentaschen. Hohes Piepen, als Seth die Tastensperre aus dem Handy nimmt. Tieferes Piepen, als er eine Taste drückt. Matthäus (verzerrt): Überrascht...? Seth (irritiert, murmelt): Keine Nummer... (kurze Pause, flucht) Das gibt’s doch nicht! Rennende Schritte entfernen sich. Kapitel 17: Szene 17 -------------------- ~Kulisse: Der Verwaltungsbezirk bei Nacht, sehr ruhig. Rennende Schritte auf Asphalt, eine eiserne Feuerleiter hinauf. Hörbarer Wind. Erzähler: Seths Beine hatten ihn auf direktem Wege auf das Dach der Stadtbibliothek geführt. Nicht eine Sekunde lang hatte er gezögert; die Gewissheit, hier auf Matthäus zu treffen, hatte ihn geleitet, ohne die Reaktion seines Verstandes abzuwarten. Lilian (ruft): Seth! Seth (schnaubt): Du wirst durchschaubar, Matthäus.  Matthäus (überheblich): Ich hoffe doch, du hast nicht geglaubt, ich versuchte mich vor dir zu verstecken, Seth? Lilian (ängstlich, irritiert): Wer ist dieser Kerl? Doch nicht etwa dieser Stalker? Matthäus (lacht böse): Stalker... Lilian (wütend): Lass mich los, du Fiesling! Geräusch, als Lilian gegen Matthäus' Schienbein tritt. Matthäus (stöhnt schmerzerfüllt auf). Geräusch, als ein Buch zu Boden fällt. Erzähler: Lilian hatte ihrem Peiniger mit voller Kraft gegen das Schienbein getreten. Vor Schreck und Pein hatte dieser von ihr abgelassen und während er sich nun das schmerzende Bein rieb, entglitt ihm auch das Buch, welches er unter den Arm geklemmt getragen hatte und fiel zu Boden. Und noch ehe sich Matthäus versah, hatte Seth es bereits aufgelesen. Seth (fordernd): Dieses Buch...! Was hat es damit auf sich? Ist das deine Verbindung zur Realität? Kannst du deshalb in unserer Welt existieren? Blättern von Seiten. Seth (denkt): Kritzeleien... Die gedruckte Schrift der Fiktion hat sich mit der Handschrift der Wirklichkeit vermischt... (nach kurzer Pause) Was steht da...? Matthäus (leise, böse): Händige es mir aus...! Kurze Pause. Handgemenge. Erzähler: Jäh stürzte Matthäus auf Seth zu und suchte ihm das Buch zu entreißen. Immer und immer näher rückte der bedrohliche Abgrund, der erst viele Meter weiter unten auf dem Bürgersteig vor der Stadtbibliothek sein Ende fand. Matthäus (perplex): Nein...! Erzähler: Im Handgemenge hatte sich das Buch dem Griff entwunden und stürzte in die Tiefe. Nur einen Lidschlag später löste sich Matthäus' Körper auf, zerbröckelte wie totes Gewebe zu Asche und wurde vom nächtlichen Wind davongetragen. Geräusch, als Matthäus zu Staub zerfällt. Seth (erschrocken): Was...? Geräusch eines abrutschenden Schuhs. Dramatisches Geräusch, als Seth stürzt. Lilian (schreit): Seth! Rennende Schritte, Geräusch, als sich Lilian auf den Boden wirft, um Seths Hand zu erreichen. Erzähler: Mit einem Hechtsprung gelang es Lilian, Seths Hand zu packen und ihn so davor zu wahren, dem Buch in den Abgrund zu folgen. Herzklopfen. Seth (ruft): Lass mich los! Lilian (wütend): Du spinnst wohl! Seth (entschlossen): Du kannst mich nicht halten! Lilian (angestrengt): Warte... Hier, nimm auch meine andere Hand...! Seth (warnend, in böser Erwartung): Beug' dich nicht so weit vor...! Geräusch, als auch Lilian den Halt verliert. Erzähler: Doch zu spät. Die Hände noch immer eng umschlungen stürzten Seth und Lilian vom Dach, folgten dem Buch, bis alles um sie her in Dunkelheit verschwamm. Platschen, als das Buch ins Wasser stürzt. Lauteres Platschen, als Lilian und Seth folgen. ~Kulisse: Unter Wasser. Längere Pause. Seth (denkt): Nanu...? Ich lebe noch? Obwohl... Wasser? Geräusch einer Bewegung unter Wasser. Seth (denkt): Das Buch! (kurze Pause) Was ist das...? Erzähler: Das lädierte Exemplar von „Der Sünder“ wurde von Wellen umtrieben. Um es her hatte sich eine schwarze Wolke gebildet, die stetig anzuwachsen schien. Seth (murmelt): Tinte... Die handschriftlichen Notizen lösen sich auf... Geräusch einer Bewegung im Wasser. Seth (denkt, perplex): Wieso muss ich keine Luft holen? Bin ich etwa doch...? (kurze Pause) Lilian! Erzähler: Erst jetzt, da Seth den Blick von dem Buch losgerissen hatte, entdeckte er Lilian. Sie trieb ganz nahe bei ihm im Wasser; die Augen geschlossen, als würde sie schlafen. Geräusch einer Bewegung im Wasser. Erzähler: Vorsichtig legte er die Arme um ihre Brust und zog sie an sich, um mit ihr gen Wasseroberfläche zu streben. Geräusch, als die beiden die Wasseroberfläche durchstoßen. ~Kulisse: Das Meer, ein Sandstrand. Völlige Stille, nur das Rauschen der Wellen. Denice (schluchzt leise). Seth (irritiert): Denice...? Hall, Szene 16, letztes Take Denice: Denice (jähzornig): Nenn' mich nie wieder so! Denice (schluchzt): Hallo...? Seth (sanft): Wieso weinst du...? Denice (beruhigt sich ein wenig): Ist da jemand...? Seth (irritiert): Kannst du mich nicht sehen? Kurze Pause. Denice (seufzt, zu sich selbst): Du bist unerreichbar... Geräusch, als Denice etwas mit dem Finger in den Sand schreibt. Erzähler: Die Augen der Lektorin waren auf die Weiten des Meeres gerichtet; ihr Blick schien geradewegs durch Seth hindurchzugehen, während sie sich langsam vorbeugte und mit dem Zeigefinger einen Namen in den feinen Sand schrieb. Denice (leise): Seth.... (den vorigen Satz fortsetzend) Seth (perplex): Was...? Soundeffekt, als sich die Szenerie auflöst (quasi zerbröselt). Kapitel 18: Szene 18 -------------------- ~Kulisse: In Seth's Wohnung; Schlafzimmer. Seth (zieht erschrocken Luft ein, als er aus dem Schlaf erwacht). Parallel dazu: Rascheln einer Bettdecke. Seth (murmelt): Dieser Traum... Kurze Pause. Das Ticken einer Uhr ist zu hören. Mona (leicht unnatürlich betont): Guten Morgen, Seth. Es ist sieben Uhr dreißig, Zeit aufzustehen! Sie sollten sich nun ins Bad begeben. In einer Stunde findet eine Pressekonferenz in der Südhalle statt. Seth (verzweifelt, verärgert): Nicht doch schon wieder! Bettdecke wird zurückgeschlagen, knarren des Bettes, als Seth aufsteht. Läuten der Türglocke. Seth (irritiert, murmelt): Mh? Das ist die letzten Male aber nicht passiert... Schritte. Piepen von verschiedenen Tasten. Geräusch, als ein Bildschirm aus dem Standby angeht. Seth (denkt, verwundert): Lilian? Erzähler: Über den kleinen Bildschirm, der direkt neben der Wohnungstür in die Wand eingelassen war, konnte Seth den Hauseingang einsehen. Dort stand sie, in einen warmen Mantel gehüllt, und winkte mit einer Papiertüte in die Kamera. Surren einer Türanlage, Öffnen einer Tür. Schritte im Treppenhaus nähern sich. Lilian (ruft, fröhlich): Guten Morgen, Seth! Seth (irritiert): Lilian... Ich bin noch im Morgenmantel. Schritte verstummen. Lilian (grinsend): Das macht gar nichts, der steht dir sehr gut! Kann ich reinkommen? Ich hab uns frische Brötchen mitgebracht. Seth (irritiert, zögerlich): Ähm, ja, natürlich... Schritte. Tür wird geschlossen. Weitere Schritte. Stühlerücken. Lilian (geschäftig): Hast du es noch nicht gehört? Seth (irritiert): Was gehört...? Lilian, ich habe wirklich nicht so viel Zeit, ich muss gleich zu einer Pressekonferenz... Klappern von Geschirr, als Lilian den Tisch deckt. Lilian (amüsiert): Hab ich mir doch gedacht, dass du's noch nicht gehört hast. Darum bin ich ja schnurstracks hierher, nachdem ich den News-Blog des Stadtverlags gelesen habe. Seth (zunehmend genervter): Würde es dir etwas ausmachen, mich einzuweihen? Lilian (fröhlich): Nein, natürlich nicht. Setz' dich, und nimm dir ein Brötchen, dann erzähle ich es dir. Und schau mich nicht so an, du hast alle Zeit der Welt, glaub mir! Seth (irritiert): In Ordnung...? Schritte, Stühlerücken, als sich Seth setzt. Lilian (amüsiert): Ich vermute stark, dass du es mir nicht glauben wirst, aber: Es sieht ganz danach aus, als wenn sämtliche Exemplare deines Romans „Der Sünder“ verschwunden sind! Und damit meine ich wirklich alle! Aus den Privathaushalten, den Bibliotheken, alle weg. Seth (perplex): Was...? (nachdenklich, halb wissend/amüsiert, schnaubt) Hm... Lilian (grinsend): Tja und seither steht wohl eine Horde Reporter vor dem Hauptgebäude des Verlags, wo sich die Leitung verbarrikadiert hat. Seth (voraussehend, ernst): Und deshalb fällt die Pressekonferenz in der Südhalle aus? Lilian: Ganz genau! Alle Termine und Konferenzen wurden für heute abgesagt. Die Leitung hat wohl eine Art Krisenzustand ausgerufen und hockt jetzt in ihrem Büro, um aufgeregt darüber zu diskutieren, ob es für das Verlagsimage besser ist, Stellung zu nehmen oder nicht. Seth (trocken, leicht amüsiert): Und das findest du lustig. Lilian (amüsiert): Oh, ja, das finde ich sehr lustig! Ganz egal, was sie machen, dem Image schadet es in jedem Fall. Und jetzt verkriechen sie sich wie Mäuschen im Kellerloch. Seth (trocken, etwas stärker amüsiert):Was ist denn das für ein Vergleich? Lilian (lacht): Du bist der große Autor, das solltest du mir sagen können! (nach kurzer Pause, freundlich) Lach doch mal, du kannst solche Pressekonferenzen doch ohnehin nicht ausstehen. Und für dich ist das sicher nur positive Publicity, das macht dich interessant! Ach, und noch etwas: Jetzt haben wir einen ganzen Tag nur für uns allein! Erzähler: Und damit beugte sich Lilian über den Tisch und drückte Seth einen sanften Kuss auf die Wange – und noch ehe sich dieser versah, hatte ihr Lächeln ihn angesteckt. Längere Pause. Lilian (nachdenklich): Aber vielleicht solltest du den Verlag wechseln. Seth (schnaubt belustigt): Ja, darüber habe ich in den letzten Tagen mehr als nur einmal nachgedacht. Lilian (kichert). Outro. Credits. Ende des Outros. Lilian (denkt): Ob er sich an die vergangene Woche erinnern kann...? Aus Szene 10, 2. Take Seth, starker Hall: Seth: Ich liebe dich. Lilian (glückliches Kichern). Hallt länger aus. Musik, parallel dazu: Outtakes. ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)