Feder und Schwert von Hoellenhund (Ein Hörspiel) ================================================================================ Kapitel 3: Szene 3 ------------------ ~Kulisse: Ein kleines Café am Morgen, einige Tische sind belegt, es ist aber noch recht ruhig. Kellnerin: Bitte, Ihr Kaffee. Klappern von Geschirr. Lilian: Danke. Seth: Seien Sie so gut und bringen Sie noch ein Kännchen Milch. Kellnerin: Ja, natürlich. Schritte entfernen sich. Erzähler: Das kleine Café in der Innenstadt war bereits früh am Morgen gut besucht. In gemeinsamen Einverständnis hatten Seth und Lilian es ausgesucht, um das am Vortag versäumte Abendessen wett zu machen. Schritte, die sich entfernen. Eine Tasse wird angehoben, etwas Kaffee getrunken und wieder abgestellt. Lilian (plaudernd): Die Sache mit dem Kronleuchter ist heute ganz groß im News-Blog des Stadtverlags, sogar mit Bild! Seth (interessiert): Und, was schreiben sie? Lilian (nachdenklich): Sie können sich nicht recht erklären, wie der Leuchter von der Decke fallen konnte. Du hattest vermutlich Recht und er ist manipuliert gewesen, aber sie wissen noch nicht, wie und wieso. Und natürlich vor allem von wem. Seth (spöttisch): Dann weiß der Stadtverlag auch nicht mehr als ich. (nach kurzer Pause neu ansetzend) Ich habe gestern Abend übrigens noch ein wenig darüber nachgedacht und es ist mir wieder eingefallen, wieso mir die Situation so bekannt vor kam, gerade als du das Wort „Gott“ erwähnt hast. Ich habe genau diese Szene in „Der Sünder“ verwendet. Lilian (verwundert, abtuend): Ach so? Seth (seufzt): Hast du das Buch überhaupt gelesen? Lilian (zögerlich): Also, naja... Ich habe es angelesen, würde ich sagen... Die ersten fünf Seiten. Seth (schnaubt). Lilian (verteidigend): Lesen ist einfach nicht so meine Stärke, das liegt nicht an deiner Schreibkunst! Seth (seufzt): Also, na schön. Der Roman greift die zehn Gebote der Bibel auf und zeigt, wie sie übergangen werden. Das erste und zweite Gebot natürlich nur metaphorisch: „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“ und „Du sollst den Namen des Herren nicht missbrauchen“. Schritte nähern sich. Kellnerin: Bitte sehr, die Milch. Seth (irritiert): Ah, vielen Dank. Schritte entfernen sich. Milch wird in den Kaffee gegossen, Klimpern des Löffels in der Tasse, als Seth umrührt. Seth: Ähm, ja... Wie auch immer. Der Protagonist der Geschichte ist Matthäus, ein Halbdämon, dem aufgrund dieses Daseins die Herrschaft über die Menschen verwehrt bleibt. Es gelingt ihm allerdings, die einzige Tochter des Kaisers und somit die Thronfolgerin zu verführen und mit ihr in den Bund der Ehe einzutreten. Lilian (interessiert, zweifelnd): Und wo soll da die Parallele zu dem Vorfall in der Südhalle sein? Seth: Darauf komme ich jetzt. Im Kapitel des fünften Gebots „Du sollst nicht töten“ versucht Matthäus nun, sich seiner Frau zu entledigen, indem er einen der Kronleuchter im Speisesaal manipulieren lässt. Im rechten Moment setzt er seine kümmerlichen dämonischen Fähigkeiten ein, um den Leuchter endgültig von der Decke stürzen zu lassen, und so seine Frau zu erschlagen. Lilan (nachdenklich): Hm, schon ein komischer Zufall. Seth: Eigentlich glaube ich nicht an Zufälle. Lilian (schnaubt): Und was ist es dann, wenn man mal sofort ein Taxi bekommt? Seth (bestimmt): Das ist Glück. Lilian (herausfordernd): Und was ist es, wenn dein neuer Roman in allen Läden ausverkauft ist? Etwa auch Glück? Seth (überzeugt): Nein, das ist Talent. Oder eine geglückte Analyse der Bedürfnisse der Masse der Bevölkerung. Lilian (schnaubt):Und wenn morgens die Milch sauer ist und die Heizung nicht anspringt? Seth (überzeugt): Das ist Pech. Und so etwas, wie der Sturz des Kronleuchters, ist Schicksal. Der wesentliche Unterschied zwischen Schicksal und Pech oder Glück liegt in den Verflechtungen. Pech und Glück treten aus unserer Sicht völlig zusammenhanglos auf. Wir können keine Ursache oder Verbindung zu unserem Handeln erkennen. Das ist das, was du als Zufall bezeichnest. Mit dem Schicksal ist es anders. Schicksalhafte Ereignisse weisen Verbindungen zu vergangenen oder kommenden Ereignissen auf und ziehen sich wie ein Faden durch unser Leben. Lilian (unterbrechend, amüsiert): Du philosophierst schon wieder. Seth (lacht): Ja, du hast Recht. Ich habe wohl wieder mal zu lange an meinem Manuskript gesessen. Lilian (lacht): Ja, das glaub ich auch! Eine Tasse wird angehoben. Schlürfendes Geräusch, als aus der Tasse getrunken wird. Tasse wird wieder abgestellt. Lilian (seufzt): Also schön, ich muss langsam los. Wenn ich nach zehn in der Druckerei aufkreuze, ist meine Kollegin wieder stinksauer. Seth (interessiert): Was ist denn im Moment im Druck? Lilian (gleichgültig): Ach, nur so eine Flyer-Aktion vom Feinelektronikzentrum. Die scheinen Fachkräftemangel zu haben. Seth (nachdenklich): Das wundert mich. Lilian: Mich auch. Aber wer weiß, was die auch wieder für Anforderungen stellen. Ich kann dir ja einen Flyer mitbringen, ein paar Probedrucke bleiben immer übrig. (verabschiedend) Also dann! Rücken eines Stuhls, als Lilian aufsteht. Seth (frech): Bekomme ich noch einen Abschiedskuss? Kurze Pause. Lilian (schnaubt): Du lässt auch nicht locker. Wenn du nicht aufpasst, bekommst du eher einen Schlag auf den Hinterkopf! (fröhlich) Bis heute Abend! Sich entfernende Schritte. Öffnen einer Tür, Klingeln der Ladenglocke, Tür fällt ins Schloss. Kulisse und Gespräch werden zunehmend leiser. Erzähler: Noch einen Augenblick länger blickte Seth Lilian nach, ehe er die Hand hob, um die Kellnerin herbei zu winken. Seth (mit angehobener Stimme): Ich würde gerne zahlen. Hintergrundgeräusche des Cafés klingen langsam aus. Hosted by Animexx e.V. 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