Diary of Levi von Yamato_ (Levi's Tagebuch) ================================================================================ Kapitel 6: September 850, Teil 2 -------------------------------- September 850, Teil 2 (2/6) 10. September 850 Heute scheuche ich das Blag ziemlich früh aus den Federn, denn das ganze Titanentheater hat uns einiges an Zeit gekostet. Wir haben schließlich einen Trainingsplan einzuhalten. Vom Putzplan ganz zu schweigen. "Putzplan?“ Große Augen gucken mich verschlafen und verständnislos an. "Aber Captain, wir haben doch erst vor ein paar Tagen...“ Blitzmeldung, Grünschnabel, Dreck kehrt zurück. Heimtückisch, arglistig, niederträchtig. Und immer dann, wenn man ihn am wenigsten erwartet! Trotzdem, heut’ ist erst mal Training dran. Als erstes lass’ ich ihn Runden ums Gebäude laufen. Da Orlo mir zu viele Sprüche klopft und Petra zuviel gackert, dürfen die beiden gleich mitlaufen. Petra setzt eine todernste Miene auf. Ihr verschwörerisches Zwinkern sehe ich erst, als sie neben Eren um die Ecke biegt. Klasse! Jetzt hat sich mein eigenes Team schon gegen mich verbündet. Nach dem Frühstück bewegen wir die Pferde. Ich lasse Eren nacheinander auf mehreren Pferden reiten, um zu sehen, wie er sich dabei anstellt. Könnte schlimmer sein. Man merkt, dass er erst auf der Akademie Reitunterricht hatte, aber er hat einen sicheren Umgang mit den Tieren. Keine Berührungsängste. Résistance wirft ihn natürlich in hohem Bogen ab, weil ihr ziemlich schnell klar wird, dass er nicht ich ist. Doch er jammert nicht rum, sondern rappelt sich vom Boden hoch und steigt sofort wieder auf. Plumps, schon liegt er wieder im Stroh. Ich bin gespannt, wie lange er es versuchen wird. Orlo und Günther schließen bereits Wetten ab, doch Erd verzieht keine Miene. Ihm ist ebenso klar wie mir, wie verdammt hartnäckig dieser Bengel ist. “Kann es sein, Captain”, fragt Eren irgendwann, während er sich die schmerzende Schulter reibt, “dass Euer Pferd niemanden außer Euch auf seinem Rücken duldet?” “Tut nichts zur Sache. Ich habe dir einen Befehl gegeben und ich erwarte, dass du ihn befolgst.” Er versucht es weiter. Und weiter. “Captain.” Fern läge es Petra, mich vor versammelter Mannschaft zu kritisieren, deshalb nimmt sie mich beiseite und raunt mir leise ins Ohr: “Ich verstehe ja, dass Ihr kein Mitleid mit Eren habt, aber denkt doch bitte wenigstens an die arme Résistance.” Sie hat nicht unrecht, Pferde sind äußerst sensible Geschöpfe. Nachmittags ist Kampftraining dran und hier erlebe ich tatsächlich eine Überraschung. Der Kleine ist ein passabler Nahkämpfer. Nicht nur stellt er sich nicht allzu unbeholfen an, er ist sogar mit einigen Techniken vertraut. Damit hätt’ ich jetzt nicht gerechnet. Waffenloser Nahkampf ist genau die Disziplin, die auf der Akademie am meisten vernachlässigt wird, ganz einfach, weil man sie im Militär angeblich nicht braucht. Wir haben ja alle unsere Klingen, die uns natürlich niemals ausgehen, brechen oder stumpf werden können. Und mit Gewehren ist man dann sowieso unbesiegbar. Oder hält sich zumindest dafür. Wir beginnen mit ein paar technischen Übungen, dann steigen wir nacheinander in verschiedenen Konstellationen in den Ring. Zwischen Erd und Günther gibt es wie immer ein abwechslungsreiches Gefecht, ebenso zwischen den Jungs und mir. Nahkampf ist zwar nicht Petra’s Stärke, aber sie legt Orlo mächtig aufs Kreuz. Gegen sie stellt er sich einfach nur dämlich an. Eren dagegen hat keinerlei Probleme, gegen eine Frau anzutreten. “Ich hab’ bei einer Frau gelernt”, erzählt er stolz. “Annie Leonhardt war die beste Nahkämpferin unseres Jahrgangs. Wir haben regelmäßig morgens oder abends trainiert, manchmal auch in den Pausen.” Jetzt bin ich doch neugierig. “Nahkampf fließt doch überhaupt nicht in die Gesamtbewertung ein.” Er zuckt mit den Schultern. “Darum ging’s mir auch nicht. Ich hab’ einfach gesehen wie gut sie war, und wollte es auch lernen, deshalb hab ich sie gefragt, ob sie’s mir beibringt. Ich bin nicht besonders talentiert, das habt Ihr vielleicht schon gemerkt. Wenn ich etwas können will, dann übe ich es einfach so lange, bis ich’s kann.” “Ja, das ist besser als talentiert und faul.” Erd grinst und verpasst Orlo einen Stoß in die Seite. “Stimmt’s?” Orlo ist plötzlich mächtig an einer kleinen Fliege interessiert, die summend und brummend um Günther’s Nase kreist. 11. September 850 “Captain, muss ich mich heute verwandeln?” Der Bengel fragt es ganz unverblümt, als er den Haferbrei im großen Pott umrührt, der heute fürs Frühstück gedacht ist. Offenbar drückt ihn die Frage schon eine ganze Weile und er hat nur auf eine passende Gelegenheit gewartet, sie mir zu stellen. Jetzt sind wir für einen Augenblick alleine, da Petra gerade die Schüsseln holt. “Das bringt nichts”, gebe ich zurück. “Wenn du als Titan durchdrehst, muss ich dich töten und das war’s dann! Bevor wir nicht eine Möglichkeit gefunden haben, dich lebend aus dem Titanenkörper rauszuholen, arbeiten wir nicht mit Verwandlungen.” “Und was, wenn wir keine Möglichkeit finden?” Er stößt den Holzlöffel in den Brei, als wolle er ihn damit abstechen. Klar, Kleiner. Töte den Haferbrei. Der kann ja auch soviel dafür. “Dann gibt’s eben keine Verwandlung. Hast du nicht mehr zu bieten, als deine Titanenkräfte?” Sein Blick wird hart als er auf den meinen trifft, ein Ausdruck von Trotz tritt in seine Augen. ‘Euch zeig’ ich’s noch!’, scheinen sie zu sagen. Danach wendet er sich ab und fährt damit fort, den Brei zu malträtieren. Gut, denn das Letzte, was wir hier brauchen können, ist ein überemotionales Blag, das schmollend, motzend, flennend in der Ecke hockt, sich für ein Monster hält und seinen eigenen Wert danach bemisst, ob er sich in eins verwandeln kann. Da ist mir sein Trotz bedeutend lieber. Und was seine überschüssige Energie angeht, so wird er heute noch genug Gelegenheit haben, sie loszuwerden. Heut’ steht nämlich das erste richtige Training mit den Manövergeräten an und da wird der kleine Bengel mächtig ins Schwitzen geraten. Bisher hatte er’s noch nicht mit Profis zu tun. Nach dem Frühstück satteln wir die Pferde und reiten raus in den Wald. Erd hat schon vor einigen Tagen einen passenden Trainingsplatz ausgesucht, ein paar Baumgruppen rings um eine Lichtung. Die blöden Bäume sind zwar längst nicht so hoch wie die Dinger in den Hundertjährigen Wäldern, aber die gibt’s ja auch nur außerhalb des Mauergebiets. Dennoch ist es ein guter Ort für das erste Training. “Fuchsjagd?”, fragt Orlo. Er liebt Fuchsjagd und er fängt langsam an, mir Konkurrenz zu machen. Beim letzten Mal gab es tatsächlich eine Situation, wo er mir beinahe das Tuch weggeschnappt hätte. Den Tag, an dem es ihm gelingt, feier’ ich. Ich habe es nie jemandem erzählt, aber insgeheim wünsche ich mir, dass ich mal jemanden so weit bringe, dass er mich übertrifft. Und Orlo hat definitiv das Zeug dazu. Ein, zwei Jahre noch, dann können wir drüber reden. “Fuchsjagd, sagt dir das was?” Eren nickt eifrig, vermutlich kennt er’s von der Akademie. Allerdings ist deren Fuchsjagd nicht mit unserer zu vergleichen. Jeder einzelne aus meinem Team ist so gut, dass kein anderer ihm die Beute im Alleingang abjagen kann. Petra eröffnet die erste Runde. Ihre Fähigkeit, die Manöver der anderen zu erahnen und sich in Sekundenschnelle darauf einzustimmen, kommt ihr hier sehr zugute. Orlo fegt sofort in die Luft, ich halte mich noch ein wenig zurück, will erst mal beobachten. Günther und Erd verlassen sich auf altbewährte Taktik, sie bilden ein Team. Einer lenkt Petra ab, der andere greift nach dem Tuch. Aber sie hat’s kommen sehen und entwischt. Der Kleine hangelt sich hinterher. Er scheint nicht wirklich Ahnung vom dem zu haben, was er hier tut, aber Hauptsache mal irgendwas tun. Insgesamt bewegt er sich flink, aber an seiner Einschätzung von Entfernungen muss er noch arbeiten. Das kommt erst mit der Erfahrung. “Schieß die Haken nicht jedes Mal so schnell hintereinander ab, das verbraucht unnötig Gas”, ermahne ich ihn, als ich die Spule anziehe, an ihm vorbeizische und ihn zwinge, seinen Kurs zu ändern. “Wenn du den ersten so abschießt, dass dich das Seil möglichst lange in die richtige Richtung trägt, musst du den zweiten erst im letzten Moment abschießen.” “Aber, Captain, das macht meine Flugbahn vorhersehbar.” Er zieht die Nase kraus und versucht dann, sich in einem großen Bogen nach vorn zu schwingen, um Petra den Weg abzuschneiden. Sie wechselt ohne Probleme die Richtung. “Na und?”, ruft sie vom nächsten Baumwipfel zurück. “Ist das schlimm?“ Offenbar weiß sie schon ganz genau, worauf ich hinauswill. “Natürlich ist das schlimm”, knurrt Eren. “Dann sehen die anderen doch, wo ich hinwill und haben einen Vorteil.“ Er prescht Petra hinterher, das Jagdfieber hat ihn ergriffen. Für Worte ist er jetzt nicht mehr aufnahmefähig. Aber was soll’s. Durch Worte allein lernt man nicht und ganz besonders dann nicht, wenn man Eren Jäger heißt und ein fünfzehnjähriges hitzköpfiges Blag ist. Du brauchst Training. Mag sein, dass alles andere nur Theater fürs Gericht und die Militärpolizei war, diesen Satz hab’ ich ernst gemeint. 12. September 850 Hanji ist noch nicht wieder zurück, aber Moblit war heute morgen hier und hat mir einen ganzen Stapel an Zeichnungen und Notizen von ihr mitgebracht. Allerdings ist nichts davon wirklich brauchbar. Sie hat im Moment keine Ahnung, wie man einen Menschen lebend aus einem Titanenkörper rausschneidet. Mit dem Nackenschnitt würd’ ich ihn umbringen und alles andere macht dem Titan nicht viel aus, es hindert ihn jedenfalls nicht daran, Amok zu laufen. Man könnte ihn zwar fällen, indem man die Achillessehnen durchsäbelt, aber auch das ist nur eine Lösung auf Zeit. Ein paar Minuten Regeneration und er steht wieder. Es ist wie verhext. Ich weiß, dass wir eine Möglichkeit finden müssen. Dringend. Die Zeit läuft uns davon. Wir sind erschöpft, als wir abends nach dem Training zurückkehren und ziemlich verschwitzt dazu, deshalb geht’s erst mal an die Waschtröge. Heute waren wir den ganzen Tag unterwegs, erst ausreiten, dann Training im Wald mit den Manövergeräten. Es lief insgesamt nicht schlecht, aber der Bengel ist doch ein wenig frustiert darüber, dass er auch heute bei der Fuchsjagd versagt hat. Nicht ein einziges Mal hat er es geschafft, sich das begehrte Tuch zu schnappen. Am Rande bekomme ich mit, wie er sich mit Petra darüber unterhält. Aber sie hält sich strikt an meine Anweisung. Er muss es von selbst rauskriegen. Durch bloßes Vorbeten lernt er die Dinge nicht. “Du brauchst ’ne Abkühlung, Kleiner“, entscheide ich schließlich, als er nicht mit der Motzerei aufhören will und kippe einen Eimer kaltes Wasser (welchen ich eigentlich zum Haare waschen hatte verwenden wollen) über ihn. Er schüttelt sich wie ein nasser Hund und blickt mich vorwurfsvoll an. “Ihr seid gemein, Captain! Und ich kann mich nicht mal wehren, weil Ihr mein Vorgesetzter seid.“ “An deiner Stelle würd’ ich’s riskieren und das Rundenlaufen einfach in Kauf nehmen“, sagt Erd seelenruhig und noch bevor er den Satz beendet hat, spüre ich wie sich Wasser über mich ergießt. Es stört mich nicht weiter, so versifft wie ich bin, aber natürlich muss ich die Form wahren. “Zehn Runden ums Gebäude.“ “Geht klar, Captain.“ Grinsend stellt Erd den leeren Eimer ab, salutiert und läuft los. Ich blicke ihm noch hinterher, als mich der nächste Schwall Wasser trifft. “Verdammter Bengel!“ “Zehn Runden, bin schon unterwegs, Captain!“ “Fünfzehn.“ “Ihr seid wirklich gemein!“ “Zwanzig.“ “Jawohl, Captain.“ Na also, geht doch. 13. September 850 “Hier. Wird höchste Zeit, dass du mal lernst, Verantwortung zu übernehmen.“ Eren blickt mich verwirrt an, als ich ihm Rebellion’s Zügel in die Hand drücke. Offenbar hat er keine Ahnung, was ich von ihm will. “Soll ich ihn absatteln und versorgen, Captain?“ “Dafür ist es noch zu früh, er hatte ja noch kaum Bewegung. Erst mal wirst du ihn reiten, damit ich sehen kann, wie gut ihr miteinander harmoniert. Wenn’s zwischen euch nicht stimmt, dann bringt’s auch nichts.“ “Bringt was nichts?“, will er wissen, doch er steigt brav in den Sattel. Ich hab’ mich nicht getäuscht, die beiden sind ein gutes Gespann. Man sollte meinen, dass zwei Hitzköpfe sich gegenseitig hochschaukeln würden, aber dem ist nicht so. Gerade Rebellion’s Temperament zwingt Eren dazu, einen kühlen Kopf zu bewahren. Er muss schließlich den Ton angeben, sonst weiß das Pferd nicht, wo’s langgeht. “Auf geht’s!“ Ich schiebe die Beine zurück und verstärke den Schenkeldruck. Résistance versteht mein Zeichen sofort und wechselt vom Schritt in den Trab. Rebellion hat keine Mühe zu ihr aufzuschließen, der Weg ist auch breit genug, so dass wir nebeneinander her reiten können. Ich beobachte das Zusammenspiel zwischen Pferd und Reiter genau, denn auf Missionen ist es einer der entscheidenden Faktoren. Pferde haben keine natürliche Furcht vor Titanen, das sind keine Fressfeinde. Doch der Lärm und die Zerstörung, welche die Riesen verursachen, um an ihre Beute – uns Menschen – zu gelangen, können bei ihnen Angst auslösen oder sie sogar in wilde Panik versetzen. Wenn dein Pferd dich abwirft, ist es vorbei, denn im offenen Gelände gibt es keinerlei Möglichkeiten, den Titanen zu entkommen. Ich ziehe das rechte Bein nach oben, jetzt will ich’s wissen. Wenn Résistance erst mal galoppiert, macht ihr so leicht keiner was vor. Sie ist genau wie ich, klein, schnell und unglaublich wendig. Wenn ich es will, schlägt sie Haken wie ein Karnickel und die großen dummen Titanen haben das Nachsehen. Das Nachsehen hat jetzt auch Eren, denn Rebellion ist deutlich schwerer zu manövrieren, gerade für einen unerfahrenen Reiter. Doch der Bengel hält sich tapfer. Einen Moment lang scheint es, als könne er den Hengst nicht zügeln, denn Rebellion zieht an uns vorbei. Ich treibe Résistance an und mache mich bereit, einzugreifen. Doch es ist gar nicht notwendig, Eren hat sich die Kontrolle zurückgeholt. Offenes Gelände. Jetzt können wir die Pferde auch einfach mal laufen lassen. Ab und an brauchen die das. Ist wohl nicht anders als bei uns Menschen, oder? “Captain Levi.“ Eren blickt zu mir rüber, guckt mich an wie’n Pferd wenn’s donnert. Man kann förmlich sehen wie die kleinen grauen Zellen hinter seiner Stirn arbeiten. “Soll das wirklich heißen, dass er... dass ich jetzt für ihn verantwortlich bin?“ Ich nicke nur. Das Strahlen in seinen Augen ist nicht zu übersehen und wird doch im nächsten Moment von einer Sorgenfalte getrübt. Wir wissen beide, dass es möglicherweise nicht von Dauer ist. Dieses Wissen hängt über uns wie ein 60-Meter Koloss, der im Augenblick noch vor der Mauer steht, aber jeden Moment das Tor einreißen kann. “Wir haben ein Sprichwort beim Korps, Eren. Genauer gesagt, eine Art Philosophie. Wir wissen nie, was uns erwartet, bevor wir nicht da sind. Das gilt für alles Unbekannte, also nicht nur für die Welt außerhalb der Mauern.“ “Die Zukunft ist auch eine unbekannte Welt.“ Eren zügelt den Hengst, als der Weg einen Bogen macht und wieder in den Wald führt. Eine Weile reiten wir schweigend und sehen die Bäume an uns vorbeiziehen. Noch sind viele Blätter grün, doch die ersten bunten Farben halten Einzug. Der Herbst steht uns kurz bevor. “Kommandant Erwin weiß, was er tut, nicht wahr?“, bricht Eren das Schweigen. Seine Hand hat die Zügel losgelassen und umfasst etwas unter seinem Hemd. Vermutlich seinen Schlüssel, den Erwin ihm zurückgegeben hat. “Ihr vertraut ihm doch, oder?“ “Ich würde ihm mein Leben anvertrauen. Und das tue ich regelmäßig, wenn ich für ihn und mit ihm in den Kampf ziehe. Er hat mein Vertrauen noch nie enttäuscht.“ Außer einem einzigen Mal, doch das liegt lange zurück und gehört nicht hierher. 14. September 850 Was zum Teufel ist heut’ mit dem Bengel los? Das Training ist vorbei, er hätte schon seit einer halben Stunde Freizeit. Stattdessen steht er noch immer in der Scheune und prügelt unaufhörlich auf den Sandsack ein. Seine Miene ist verbissen, sein Atem ein wütendes Keuchen, die Schläge fallen beinahe mechanisch wie bei einem Uhrwerk. Irgendwas drängt ihn, hat sich in ihm angestaut, doch jetzt hat er wohl den Moment erreicht, in dem es sich nicht länger unterdrücken lässt. Eigentlich hätte es mir klar sein müssen. Auch Training, Putzen und Stallarbeit können ihn nur bis zu einem gewissen Grad beschäftigen und ihn nicht ewig vom Grübeln abhalten. “Eren!“ Normalerweise reagiert er sofort, aber diesmal muss ich seinen Namen fast brüllen, um mir Gehör zu verschaffen. “Eren! Hör auf!“ Er wirbelt herum und blickt mich an, die Fäuste noch immer erhoben. “Was ist, Captain Levi? Ich trainiere doch nur. Ich muss doch trainieren, damit ich besser werde und diese verdammten Drecksviecher fertigmachen kann.“ Er schlägt noch einmal gegen den Sandsack und lehnt sich dann schwer atmend gegen die Wand. “Diese verdammten…“ Sein Hass auf die Titanen. Ein Hass, den ich nur allzu gut nachvollziehen kann, ein Hass, der mir ebenso in der Seele brennt. Doch ich bin sicher, es ist nicht das einzige Problem, das ihn beschäftigt. Da drin steckt noch mehr und es ist an der Zeit, es rauszuholen, damit es ihm nicht länger den Geist vergiftet. “Eren. Steig mit mir in den Ring.“ “Das ist jetzt keine gute Idee, Captain. Ich… ich hab’ mich nicht so gut unter Kontrolle, wenn ich so aufgebracht bin. Und ich möchte Euch nicht verletzen.“ “Hör auf zu diskutieren und komm.“ Er folgt mir nach draußen. Ohne weitere Widerworte, doch mit einem missmutigen Ausdruck auf dem Gesicht. Die Hemden ziehen wir aus, sie würden das garantiert nicht überleben und so viele Ressourcen haben wir nicht, dass wir’s uns leisten können, damit verschwenderisch umzugehen. Reicht schon, dass wir von allen militärischen Einheiten den meisten Nachschub an Klingen brauchen. Unser ’Ring’ ist eigentlich nicht viel mehr als eine mit Sand aufgeschüttete Fläche im Hof. Dort haben wir in den letzten Tagen das Nahkampftraining abgehalten. Der Sand ist weicher als der Erdboden, um Verletzungen zu vermeiden. Ganz ausschließen kann man sie allerdings nicht. Doch ich habe keine Angst davor. Mit einem wütenden Bengel komm’ ich klar. Eren stürmt auf mich zu, greift sofort an, ohne jeden Versuch einer Täuschung. Sein Zorn verleiht ihm zusätzliche Kräfte, doch er umnebelt ihn zu sehr, als dass er jetzt noch taktisch denken könnte. Eine Schwäche, an der wir noch arbeiten müssen, Kleiner. Ich trete zur Seite, stelle ihm ein Bein und er schlägt der Länge nach hin. Keine zwei Sekunden sind vergangen, als er sich wieder hoch rappelt und mich erneut angreift. Sein Gesicht ist knallrot und verzerrt vor Wut, sein Haar zerzaust und voller Sand. Sand klebt auch auf seiner verschwitzen Haut, rinnt ihm in die Augen, doch er kümmert sich nicht darum. Ein schwerer Fehler. Alles, was die Sicht trübt, kann dir zum Verhängnis werden. Ich packe sein Handgelenk, als er zuschlagen will, drehe ihm den Arm auf den Rücken. Er schreit vor Enttäuschung auf und zappelt wie ein gestrandeter Fisch, doch aus einem Hebelgriff befreit man sich nicht mal eben so. “Schlag ab, Eren, hier kommst du nicht raus.“ Er zappelt noch heftiger und ich verstärke meinen Griff. “Schlag ab. Du wirst dir nur den Arm auskugeln, wenn du weitermachst.“ “Ist doch egal“, faucht er. “Könntet ihn mir auch abreißen, wächst eh alles wieder nach!“ “Eren.“ Mit der anderen Hand packe ich in seine Haare und drehe seinen Kopf, damit er mich ansieht. “Was ist los? Mach’s Maul auf, verdammt!“ Er schlägt ab, letztendlich ist Kämpfen wohl doch besser als reden. Ich lasse ihn auch sofort los und er springt ein paar Schritte zurück. Schon macht er sich bereit für den nächsten Angriff. “Na, was ist?“ Klar ist es nicht ohne Risiko, ihn jetzt noch zu provozieren, wenn er sich in einem solchen Zustand befindet. Aber wenn ich ihn nicht aus der Reserve locke, kommen wir nicht weiter. “Hast du schon genug?“ “Verdammt Captain, was soll das?“ Dieses Mal stellt er es geschickter an, er lässt mich auf sich zukommen. Ich ziehe meinen Arm hoch, um seinen Schlag abzuwehren. Es gelingt, doch die Wucht seines Angriffs reißt mich zu Boden. Ich rolle mich beiseite, bevor er sich auf mich werfen kann, und er setzt nach. Einen Schlag kassiere ich in den Magen, zum Glück hab’ ich rechtzeitig die Bauchmuskeln angespannt. Den nächsten wehre ich mit dem Unterarm ab. Das gibt blaue Flecken, vielleicht sogar ’ne leichte Prellung. Aber ich kann das ab. “Lass es raus, Eren. Lass es einfach raus.“ Er ist gut, ich muss ihm wirklich alles entgegensetzen, was ich habe. Ich kämpfe sehr defensiv, um ernsthafte Verletzungen zu vermeiden, sowohl bei mir als auch bei ihm. Ich kann sie schließlich nicht einfach wegregenerieren, er zwar schon, aber wenn er blutet, könnte er sich aus Versehen verwandeln. Und wir haben immer noch keine verdammte Möglichkeit gefunden. Ische, tu mal was für dein Geld! Außerdem möchte ich, dass Eren sich verausgabt. Irgendwann werden seine Kräfte aufgebraucht sein. Und auch seine Wut. Es dauert lange, bis ich die ersten Anzeichen von Erschöpfung an ihm bemerke. Sein Atem wird schwerer, seine Bewegungen langsamer. Und obwohl sein Körper irgendwann schlapp macht, ist sein Wille ungebrochen. “Ich werd’ sie fertig machen, diese verdammten Biester!“, brüllt er zum soundsovielten Mal. “Ich hasse sie, ich hasse sie, ich hasse sie!“ Ja, Kleiner, die Botschaft ist angekommen. Wieder einmal zappelt er in einem meiner Haltegriffe. Es ist diesmal kein Hebel, doch er kann sich auch nicht befreien, da ich ihn mit Armen und Beinen festhalte. “Verdammt, lasst mich los!“ “Du kennst die Regeln. Schlag ab.“ Es war nie meine Absicht, seinen Willen zu brechen, mir ging’s immer nur darum, ihn in die richtigen Bahnen zu lenken. Ihm die Möglichkeit zu geben, mit dieser unbezähmbaren Wut klarzukommen. Er weiß, wer der Alpha im Rudel ist. Ab und an muss ich ihn wieder daran erinnern. “Verdammt!“ Seine Stimme klingt erstickt, er hat mittlerweile angefangen zu heulen. “Ich krieg’ das Scheiß-Tuch nicht, Reiten kann ich auch nicht so wie Ihr und gegen Euch gewinnen kann ich sowieso nicht. Ich kann gar nichts, außer mich in einen verdammten Drecks-Titanen verwandeln, aber das darf ich nicht, weil Ihr mich sonst umbringt!“ Ähm... wann hast du dir diese Flucherei angewöhnt? Das wollt’ ich dir eigentlich nicht beibringen. “Ich versteh’s nicht, Captain Levi, Ihr gebt mir ein eigenes Pferd und sagt, dass ich ein Teil Eures Teams bin, aber dann sagt Ihr wieder, ich hätte nichts zu bieten außer meinen Titanenkräften. Ich will beim Korps sein, weil ich was tun will, nicht, weil ich ein verdammtes Monster bin.“ “Hey. Ich hab’ nichts dergleichen gesagt.“ Da hat er wohl was ganz gewaltig missverstanden. “Ich hab’ dich gefragt, ob du noch mehr zu bieten hast. Das heißt nicht, dass ich nicht daran glaube. Wenn ich das nicht täte, wärst du wohl kaum hier.“ “Aber es ändert nichts daran, was ich bin.“ Er lässt den Kopf in den Sand sinken. “Mein Leben lang wollte ich gegen Titanen kämpfen und jetzt steckt einer in mir drin. Und egal, was ich mache, ich kann nie wieder ein richtiger Mensch sein.“ “Eren.“ Ich entlasse ihn aus dem Haltegriff und ziehe ihn vom Boden hoch in eine sitzende Position vor mir. “Es ist wahr, du hast es in dir. Du kannst es nicht rausreißen. Du bist damit gezeichnet, so wie ich mit meinen Reflexen oder Petra mit ihrem sechsten Sinn oder Hanji mit ihrem dicken Gehirn. Aber mal ehrlich, keiner hat sich ausgesucht, wo und mit was er geboren wird. Wir werden einfach auf diese Welt geworfen und müssen dann das Beste draus machen.“ “Es ist nicht fair.“ Er wendet sein Gesicht ab, damit ich seine Tränen nicht sehe. Einen kurzen Moment lang lehnt er seinen Rücken gegen meine Brust. “Es ist einfach nicht fair.“ “Nein, ist es nicht.“ Wo sind meine verdammten Tücher, wenn ich eins brauche? “Ich war auch mal ein wütender Bengel, der nicht wusste, wohin damit. Mein ganzes Leben lang haben mir die Leute erzählt, nichts ist wichtig, außer womit man geboren wird. Adelige sind Adelige, Streuner sind Streuner. So ist das nun mal.“ Nach langem Herumkramen finde ich doch noch ein Tuch, um Eren’s Gesicht von Sand, Schweiß und den verräterischen Tränen zu befreien. “Doch eines Tages bin ich einem Mann begegnet, der mir klar machte, dass das alles völliger Quatsch ist. Und so wie er es damals zu mir sagte, sag’ ich’s jetzt zu dir: Womit du geboren wirst, zählt nicht. Das Einzige was zählt, ist, wofür du dich entscheidest. Deine Entscheidungen im Leben sind es, die bestimmen, wer du wirklich bist. Wofür hast du dich entschieden, Eren? Sag’s mir! Wofür hast du dich entschieden?“ Er wendet sich um und blickt mich lange an. Die Tränen sind getrocknet und als sein Blick auf den meinen trifft, ist die Entschlossenheit in seine Augen zurückgekehrt. “Ich habe mich dafür entscheiden, dem Kundschafterkorps beizutreten, um mit euch gemeinsam die Titanen zu bekämpfen und die Welt hinter der Mauer kennen zu lernen.“ ~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)