Weltenende von Kadan (Die Legende von Serelia) ================================================================================ Kapitel 1: Prolog - Teil II --------------------------- Ein Ruck ließ den Geist erwachen, das Gefühl des freien Falls, überraschend, schreckvoll, kurz. Treseré saß aufrecht in seinem Bett, als er die Augen endlich öffnen konnte. Seine Nachtkleidung war nass, ebenso sein Bettzeug, und es roch nach Urin und Schweiß. Es war still, so still, dass der junge Priester seine Atmung hören konnte, rasend und abgehackt, während sein Herz aus der Brust zu springen drohte. Seine Finger waren so sehr in seine Decke verkrallt, dass die Knöchel weiß hervortraten und es schmerzte, als er losließ und versuchte sie zu entspannen. Noch immer begriff er nicht, was geschehen war. Ein Traum, ja, doch gleichzeitig auch nicht. Es war etwas anderes gewesen, etwas schreckenerregenderes, etwas… realeres. Das Ende aller Dinge? Eine Vision? Der Wächter atmete tief durch, versuchte die Angst, die in seiner Brust rebellierte, zu verdrängen und stand dann auf, bewegte die Finger, die vom verkrampften Griff schmerzten, bewegte die Beine, die sich anfühlten, als hätte sie jemand zwischen eine Holzklemme gelegt. Noch immer irritiert griff Treseré nach dem kleinen, bronzenen Kerzenhalter und öffnete die Holztür zum Flur, entzündete die Kerze an einer der Fackeln im Gang und ging wieder zurück in seinen Raum. Auf dem Nachttisch abgestellt, machte er sich ersteinmal daran, das Bett abzuziehen, das strohgefüllte Laken und die Wolldecke, denn beides musste gewaschen werden. Das Stroh würde entsorgt werden müssen, doch darum kümmerte sich der Wächter ersteinmal nicht, denn allein der Gedanke hinaus auf den dunklen Hof zu gehen jagte ihm einen eisigen Schauer über den Rücken. Treseré hatte sich noch nie vor der Dunkelheit gefürchtet, sie war immerhin ein Teil des ewigen Zyklus, ein wichtiger Bestandteil der Welt, doch jetzt schienen ihm sogar die Schatten der wenigen Möbel bedrohlich, die die kleine Kerze an die Wand warf. Das durchnässte Stroh in einem Eimer abgelegt, hob er die Decke und das Laken auf, beides wirr und knotig ineinander verschlungen. Ungewöhnlich, war es sonst nicht seine Art, denn Treseré hasste Unordnung. “Bruder? Ich muss mit dir reden!” Wie absurd die Handlung war, die der Wächter nun auf die Stimme und das Öffnen der Tür folgen ließ, wurde ihm erst bewusst, als Bruder Fared die Wolldecke und das nasse Laken behutsam von sich hinabstriff. Sofort machte der junge Wächter einen Satz nach vorne, schob mit dem blanken Fuß beides beiseite und verneigte sich leicht, entschuldigend. “T-Tut mir leid, Fared…” Seine Stimme zitterte. Sie hatte einen brüchigen Klang, war belegt und die Tonlage wollte die Furcht, die noch immer in ihm weilte, alles andere als verstecken. “Schon gut… Ich wollte eigentlich auf ein ‘Herein’ warten, doch ich wusste nicht, ob du wach warst oder geschlafen hast… deswegen bin ich einfach hereingekommen.” Fared strich sich durch die Haare. Erst jetzt bemerkte Treseré dass auch er zerzaust wirkte, die schulterlangen, schwarzen Haare waren ungekämmt und standen ab und das linke Auge des Ordenbrudes war blutunterlaufen. Auch er trug nicht die normale Nachtrobe, schien sich ebenso umgezogen zu haben und ein leichter Geruch von Kernseife ging von ihm aus. Im Gegensatz zu Treseré selbst. “Du hast es auch gesehen, nicht wahr?” Eine einfache Frage, die jedoch unglaublichen Schrecken in dem jungen Wächter hervorrief. Wenn der Bruder nun mit ja antwortete, bedeutete es, dass all das kein Traum gewesen war… sondern eine Vision, eine Einsicht und das Schicksal aller Dinge. Innerlich betete Treseré zur Goldenen, dass er es verneinen würde, dass er sich alles nur einbildete… “Das Ende aller Dinge? Ja.” Fared senkte den Blick, bestürzt, und legte die rechte Hand auf seine linke Brust, hielt sie dann ausgebreitet einen Moment über der rechten Schulter, die Innenfläche nach außen gerichtet und die Finger wie Strahlen abgespreizt. Das Zeichen der Sternenbringerin, der Göttin La’faresh. Treseré wurde bleich und ein Gefühl von Taubheit durchzog seine Beine, ein Gefühl von absoluter Schwäche durchzog seinen ganzen Leib und er spürte nichteinmal, wie Fared ihn auf den Stuhl drückte, der vor dem kleinen Schreibpult stand. Es dauerte einige Momente, bis das Bewusstsein des Wächters wieder ganz zurückkehrte und er den Blick fast verzweifelt, doch gleichzeitig fest entschlossen hob, seinen Glaubensbruder ansehend. Fared verstand, was er sagen wollte. “Ja, Treseré. Die Zeit ist gekommen. In einer Stunde werde ich es allen eröffnen, in der großen Halle. Mach dich fertig und bereite alles vor, was du brauchst. Ich werde nach Bruder Laktus und Schwester Marie sehen.” Der ältere Wächter verneigte sich, was Treseré erwiderte, und verschwand dann wieder aus dem Zimmer. Seufzend fuhr Treseré sich mit der Hand durch die kurzen, rotbraunen Haare und verweilte noch einen Moment auf dem Stuhl. Wie konnte eine einzige Nacht nur alles so sehr verändern? Wie konnte eine einzige Nacht das Schicksal allen Lebens so vernichten? Es war unbegreifbar und selbst wenn er wollte, Treseré würde es wohl nicht verstehen. Nur eines hatte der junge Mann verstanden: Das beginnende Schicksal der Welt lag nun in den Händen der Wächter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)