Weltenende von Kadan (Die Legende von Serelia) ================================================================================ Kapitel 2: Sumpfjagd -------------------- Tief atmete er ein, als er das große Tor hinter sich ließ und die hölzerne Zugbrücke überquerte. Die Morgenluft war angewärmt und es roch nach frischem Gras und den purpurnen Glockenblumen, die überall auf den saftigen Wiesen wuchsen. Eine seichte Brise wehte und das Laub der Bäume bewegte sich sacht mit, während der Gesang der Vögel die Szenerie untermalte. Ein wunderbarer Morgen, wie Selian fand, und er drehte sich ein letztes Mal um und überlegte, ob er auch wirklich alles bei sich hatte, was er für diese Reise brauchte. In Gedanken ging er alles durch, was er eingepackt hatte und  kam zu dem Schluss, dass ihm wohl nichts fehlen würde. Wenn doch, so würde er halt improvisieren müssen. Doch das sollte wohl kaum ein Problem darstellen, nicht? Der Krieger war immerhin die letzten Jahre auf diesen Moment vorbereitet worden. Guter Dinge schritt er voran, der Geist von Tatendrang und Ehrgeiz erfüllt. Selian wusste zwar, dass nur ein Fünftel der Krieger, die sich dieser Queste stellten, auch wieder zurückkehrten - und dieser Gedanke hatte ihm heute Nacht zumindest für eine gewisse Zeit den Schlaf geraubt - doch er war zuversichtlich, dass er es schaffen würde. Ja, dessen war er sich sicher!   Das war vor knapp einer Woche. Die positive Einstellung, die Selian noch am Anfang trug, war nun fast gänzlich verloren gegangen. Sonnenschein hatte er zuletzt vor drei Tagen gesehen, denn  nun verschluckten die gigantischen Mangroven sämtliche Sonne und was blieb war eine graue Mischung aus Nebel, Sumpfgasen und dem bisschen Licht, dass es noch durch die Blätter schaffte. Selian seufzte. Seine Kleidung war klamm, die Stiefel nass und matschig und vermutlich roch er auch nicht mehr sehr angenehm. Doch es musste sein! So sehr sich sein Körper mittlerweile nach einem warmen Bett sehnte, so sehr war es seine Pflicht, diese Aufgabe zu beenden - erfolgreich zu beenden! Die Option des Versagens gab es nicht, entweder er kam erfolgreich zurück oder gar nicht. Eher würde der Krieger sich selbst in den sumpfigen Mooren dem Tod überlassen, als mit der Schande und Ehrlosigkeit zu leben die ein Versagen mit sich brachte. Doch noch war nichts aussichtslos! Erst heute Morgen hatte er Spuren gefunden, die ihm deutlich gezeigt hatten, dass er auf dem richtigen Weg war. Einzig eine gute Gelegenheit musste sich noch bieten, ein einzigartiger, perfekter Moment, der es ihm ermöglichte den letzten Schritt zu wagen und sich der Bestie zu stellen. Die Frage war allerdings, ob sich dieser Moment in wenigen Minuten, in ein paar Stunden oder erst in ein paar Tagen ergeben würde. Selian hoffte inständig, dass es weder das erste noch das letzte wäre. Er fühlte sich in diesem Moment alles andere als bereit, doch genauso wenig war ihm der Gedanke angenehm, noch Tage in diesen Sümpfen verbringen zu müssen. Das frische Wasser wurde knapp - und Selian wusste, dass er auf keinen Fall das scheinbar saubere Wasser aus den kleinen Tümpeln trinken dürfte, so verlockend es auch schien. Es würde ihn krank machen und er konnte es sich nicht leisten, in irgendeiner Art und Weise geschwächt zu werden. Zumindest noch schwächer, als er eh schon war, denn die Reise und der Marsch durch die Sümpfe zerrten bereits an seinen Kräften. Bereits Monate zuvor hatte er sich auf diese Reise vorbereitet und doch fühlte er sich, als hätte er gestern erst erfahren, dass er sie antreten muss. Selian hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit dem Offensichtlichsten: Dass es derart schwer würden würde. Nicht, dass es völlig abstrus war - es hatte immerhin einen Grund, warum so viele die Prüfung niemals schafften. Doch er hatte es unterschätzt, und das nicht wenig. Es raschelte in den dichten Blättern links von ihm und der Krieger erstarrte. Sofort legte er die Hand an den Griff seiner Waffe und zog sie ein Stück aus der Scheide heraus. Er schob sie jedoch wieder zurück, als nur ein Bo'arg-Junges hervorkam und ihn erschrocken ansah. Es schien ebenso wenig damit mit Gesellschaft gerechnet zu haben und nachdem es den Krieger für ein paar Sekunden regungslos angesehen hatte, quiekte es schrill auf und verschwand wieder in den dichten Farnblättern. Die Luft, die Selian zuvor in seiner Lunge gefangen gehalten hatte, entwich mit einem deutlich hörbaren Zischen, als er sie zwischen den Zähnen heraus presste. "Verdammtes Wildschwein...", Selian grummelte, ließ die Klinge wieder in die Scheide zurückgleiten und wischte sich mit einer Hand den Schweiß von der Stirn. Es war viel zu warm und die Luftfeuchtigkeit war unangenehm hoch. Der Krieger schwitzte unter seiner Rüstung und dem Gambeson, doch er würde sie hier in dieser Gegend sicherlich nicht ablegen. Stattdessen griff er nach seinem Wasserschlauch, nahm einen kräftigen Schluck davon und kippte sich etwas über den Kopf und in den Rücken seiner Rüstung hinein. Er schauderte kurz, seufzte dann aber wohlig aus und genoss den kurzen Moment der Abkühlung. Dann ging er weiter, einfach 'der Nase nach', auch wenn es hier in dieser sumpfartigen Gegend doch etwas schwerer war. Seine Beute schien zu wissen, wie es sich vor ungebetenen Gästen schützen musste. Dennoch war der Geruch des Markierungspfeils selbst zwischen Sumpfgasen und abgestandenem Wasser noch gut zu verfolgen. Selian hoffte nur, dass der Pfeil auch noch saß - nicht dass er nun einer längst unbrauchbaren Spur folgte. Doch bisher war es so gelaufen, wie Selian geplant hatte. Nun, zumindest in den größten Teilen. Aber ein paar Abweichungen vom Plan waren wohl nicht schlimm, immerhin zählte Improvisation auch zu einer der Eigenschaften, die ein Krieger des Khaniresh brauchte... Immer wieder zog es ihm fast die Stiefel aus, wenn er sie nicht so fest geschnürt hätte. Mal versank er bis zum Knöchel, ein anderes Mal sogar bis ans Knie. Fluchend verbrachte er mehrere Male damit, sich zu befreien und sein Bein wieder aus einem Schlammloch zu ziehen. Er wusste jetzt genau warum die meisten diese Gegend mieden. Zwei Stunden war er weiter marschiert und eigentlich wollte er auch noch viel weiter, doch Selian sah ein, dass er nun eine Pause brauchte. Sein Magen knurrte und seine Füße schmerzten von den feuchten Schuhen und dem unwegsamen Gelände. Eine hochgelegene und damit trockene Wurzel einer Mangrove bot den perfekten Platz um sich auszuruhen. Sie stach geradezu hervor; ein Glücksfund in dieser nassen Gegend. Vielleicht könnte er ja sogar die Schuhe ein wenig ausziehen, seine Wollsocken trocknen lassen und dann ... Selian stoppte wenige Schritte vor der Wurzel. Das war fast schon ZU gut um wahr zu sein... fast schon zu gestellt. Der Krieger zog das Schwert aus der Halterung am Gürtel und machte einen vorsichtigen Schritt nach vorne, so dass er mit der Spitze der stählernen Klinge an die Wuzel kam. Kaum, dass er sie berührte, sank die vermeintliche Wurzel ab und aus dem schlammigen Wasser schnellte ein dunkelgrünes, pflanzliches Maul hervor. Fast wäre er darauf hereingefallen... Selian zog das Schwert aus den schmalen Lücken zwischen den hölzernen 'Zähnen'  wieder zu sich und betrachtete den leicht ölig schimmernden Überzug aus Gift. Eine Klappdorne; eine fleischfressende Pflanze. Wie der Name schon vermuten ließ, besaß die Pflanze zwei Klappen, die sich bei Berührung der vermeintlichen Wurzel schlagartig schlossen und mithilfe von festen, verholzten Dornen ein Schlafgift in das Opfer injizierten. Ein Entkommen gab es nicht, denn das Gift war hochwirksam und die Pflanze begann sofort mit der Verdauung des Opfers.   "Bei La'faresh ... soviel zu meiner Pause.", Selian seufzte, zuckte aber mit den Schultern und sah wieder auf sein Schwert. Das Gift klebte daran ... vielleicht könnte er es ja nutzen? Er schwang die Klinge ein paar Mal durch die Luft, damit das ölig-klebrige Gift zumindest im Ansatz etwas trocknete , ehe er sie wieder wegsteckte. Mit ein wenig Glück könnte ihm das den Kampf um einiges erleichtern. Blieb nur zu hoffen, dass es dadurch seine Wirkung nicht verlor... Seine Pause machte der angehende Ritter nun auf einer feuchten Mangrovenwurzel. Es war besser als nichts und ein wenig zu sitzen half auch schon um die Müdigkeit etwas zu vertreiben. Zuviel Ruhe durfte er sich nicht gönnen, denn seine Beute blieb nicht an Ort und Stelle. Und im Gegensatz zu Selian besaß sie einen entscheidenden Vorteil: Flügel. Allerdings stank das Tier nun meilenweit und kein Raubtier konnte es sich erlauben, dass sowohl Rivalen als auch Beute ihn sogar gegen den Wind erschnuppern könnten. Dem Tier blieb nichts anderes als die Flucht in die Mangrovensümpfe, denn dort wurde sein Geruch zumindest etwas abgeschwächt und er war vorerst vor Konkurrenten sicher. Allerdings nicht vor seinem menschlichen Jäger - denn Selian hatte nicht vor seine Jagd aufzugeben. Nur der Tod könnte ihn von seinem Erfolg abbringen, das hatte er sich fest vorgenommen. Ein seltsamer Vorsatz, wenn er so darüber nachdachte. Der Krieger runzelte die Stirn bei seinen eigenen Gedanken, lachte dann aber und lehnte sich zurück um ein wenig zu dösen. In der Dämmerung war er besser unterwegs. Selian schreckte auf, von einem ohrenbetäubendem Lärm aus seinem Schlaf gerissen. Die Müdigkeit hatte ihn übermannt, es war bereits deutlich nach Sonnenuntergang. Neben dem Krieger ging ein Baum zu Fall, Holz splitterte und er machte einen Hechtsprung von seinem Ruheplatz weg. Schlammiges Wasser spritzte auf, als die Mangrove zu Boden kam und ein lautes, trompetenartiges Geräusch erklang. Ein grauer, mit Knochenplatten geschützter Schädel brach aus dem Dickicht hervor und schlug wie wild hin und her. Das breite, abgeflachte Horn auf der Nase des Tieres wirkte wie ein Rammbock und ließ Holz splittern und junge Bäume brechen. Deutlich konnte Selian die panisch aufgerissenen Augen des Tieres erkennen, das mit seinem Körpergewicht versuchte die im Weg stehenden Wurzeln und Pflanzen zu zertrampeln. Noch bevor er allerdings irgendwie reagieren konnte, ging ein Ruck durch den Leib des Graubiests und es brüllte auf, ehe ein weiterer Ruck es nach hinten zog, seinen noch immer im Dickicht steckenden Leib tiefer in das Pflanzengewirr riss. Es versuchte mit aller Macht fortzukommen, stemmte die massigen Hufe in den Morast und brüllte erneut auf, schlug mit einem freien Hinterlauf aus, doch es schien nichts zu bringen. Im Grün hinter ihm knurrte es zischend auf und ein unglaublich süßer, fast penetrant in der Nase haftender Geruch wehte zu Selian herüber. Augenblicklich wusste er, was er vor sich hatte, nein, WEN er vor sich hatte. Der Krieger zog die Klinge, wich jedoch zurück. Das Graubiest trat erneut aus, traf diesmal anscheinend und machte einen Satz nach vorne, auf die nun etwas offenere Fläche, ehe es sich so drehte, dass sein gepanzerter Kopf in Richtung der Bedrohung zeigte. An seiner linken Flanke prangte eine tiefe und stark blutende Bisswunde, die mit einer schwarzen, stechend riechenden Flüssigkeit verklebt war. Selian war sich sicher: Er hatte gefunden, was er suchte. Seine Vermutung bestätigend kroch aus dem Dickicht ein reptilienartiges Wesen, eine Bestie mit Schwingen. Ein Wyvern. Der Kopf war wie der eines Warans, doch spitz zulaufend, und die rasiermesserscharfen Zähne waren gebleckt und blutverschmiert. Zwei Hörner ragten am Ende der Wangenknochen empor, ein roter Stachelkamm zog sich vom Kopf über den Rücken entlang und wurde am vertikal abgeflachten Schwanz  farblos. Das Tier ging auf muskulösen, klauenbewehrten Hinterläufen, nutzte seine zu Schwingen umgeformten Vorderbeine jedoch ebenfalls zum Laufen. Die fingerlangen Krallen an swn Flügeln drückten den Morast beiseite und versanken in dem undurchsichtigen, stinkenden Matsch. Der Wyvern knurrte, sah von dem Graubiest zu Selian und schien unsicher was er tun wollte. Dem angehenden Ritter zog es eiskalt den Rücken hinab, als sich sein Blick mit dem der Bestie traf. Den Pfeil mit der Markierung hatte er aus der Ferne abgefeuert; jetzt war das erste Mal, dass er seiner Beute in die Augen sah. Sie waren kalt, die Pupille zu einem Kreuz zusammen gezogen und die Iris von fast feurigem Orange. Selian erkannte Hunger im Blick, doch auch Verwirrung über die plötzliche Unterbrechung der Jagd. Das Reptil knurrte erneut, während das Graubiest drohend mit dem Kopf schüttelte und seine Waffe präsentierte, mit der es sogar Bäume aus dem Boden reißen konnte. Sie alle standen für eine gefühlte Ewigkeit einfach da. Keine regte sich mehr als nötig; sie alle schienen auf eine Reaktion des jeweils anderen zu warten. Der Schweif des Wyvern peitschte unruhig hin und her und das Graubiest trampelte mit den Vorderhufen im Matsch. Selian blieb wie er war: Sprungbereit in der Hocke, mit gebührendem Abstand zur Graubestie. Dann ging es erstaunlich schnell. Der Wyvern preschte nach vorne, doch nicht etwa zur Graubestie. Er wusste, dass das Gift seine Wirkung bald entfalten würde; es gab keinen Grund sich in einen direkten und gefährlichen Kampf mit dem gepanzerten Pflanzenfresser zu begeben. Stattdessen war da Beute, die viel einfacher erschien: Selian. Ein Satz nach links. Selian brauchte einiges an Kraft um sich von dem weichen Boden abzustoßen und seine Stiefel aus dem Schlamm zu reißen. Das klaffende Maul des Wyvern verfehlte sein Ziel, die Zähne krachten in der Leere aufeinander. Das Graubiest rannte los, vorbei an seinem Jäger und ins Dickicht zurück. Der Wyvern brüllte, holte gleichzeitig mit seinem Schwanz aus und Selian blieb die Luft aus den Lungen, als die schwarzgrünen Schuppen auf seinen Plattenpanzer schlugen. Er stemmte sich mit aller Kraft dagegen, konnte das Gleichgewicht sogar halten und nutzte den Moment um seine stählerne Klinge in die weiche Seite des Schweifs zu treiben. Er stieß sie hindurch, so weit es ihm möglich war, und riss sie wieder heraus. Ein kurzer Monent, ein winziges Gefühl des Triumphs, dann kreischte Metall auf und Selian verlor den Boden unter den Füßen. Fauliges Wasser und Schlamm raubten ihm die Sicht. Ein überaus stechender Schmerz durchzog seinen Rücken und er biss sich auf die Lippen um nicht augenblicklich nach Luft zu schnappen. Er versuchte sich aufzurichten, doch da war nichts. Nur Schlamm, nur Matsch, nur Wasser. Selian spürte wie Panik in ihm aufkam und er hastig nach festem Grund suchte, bis er verstand, dass er in einem der Tümpel gelandet war. Er musste aufstehen. Sofort. Er stemmte die Arme in den Schlamm, zog die Beine unter seinen Oberkörper und stieß sich blindlings ab. Seine Stiefel fanden Halt an einer Wurzel. Als er wieder das Knurren des Wyvern hören konnte, schnappte er nach Luft. Der süßliche Geschmack von Verfall kroch auf seine Zunge und er würgte auf. Es brannte ihm in den Augen, in der Nase, in den Lungen. Seinen Rücken spürte er kaum noch. Der Schmerz war höllisch. Selian brauchte viel zu lange um seine Gedanken wieder zu ordnen. Er wusste, dass sich jederzeit das Biest auf ihn stürzen könnte. Er wusste, dass es jetzt jederzeit vorbei sein könnte. Ein dummer Anfängerfehler; er hatte seiner Beute den Rücken zugekehrt. Doch es geschah nichts. Der Krieger hatte sogar Zeit sich mit einer Hand durch das Gesicht zu fahren, sich den Schlamm provisorisch aus den Augen zu wischen und sich umzudrehen. Einen Moment wunderte Selian sich über das Verhalten, dann fiel es ihm wieder ein. Der Wyvern gab leise, kehlige Geräusche von sich, ein bisschen wie das Winseln eines Hundes. Er wankte und wirkte benommen, der Kopf hing leicht herab und das Reptil schien nicht zu verstehen, was gerade geschah. Selian hingegen konnte sein Glück nicht fassen. Das verdammte Gift hatte seinen Zweck doch noch erfüllt! Es würde das massige Tier zwar nicht schlafen legen, doch so benommen war der Wyvern eine wesentlich geringere Gefahr. Freude wollte allerdings dennoch nicht aufkommen; Selians schmerzender Körper übertönte sie. Noch war der Kampf nicht gewonnen und noch war der Wyvern durchaus eine Bedrohung. Er musste weitermachen, egal wie sehr der Schmerz brannte. Er war so nah an seinem Ziel ... entweder er schaffte es nun oder er würde sterben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)