Die Trauerweide von Gurgi ================================================================================ Kapitel 24: Dämonen die ich rief -------------------------------- Dämonen die ich rief Blütenblätter wirbelten im lauen Wind, wie kleine Fabelwesen zogen sie ihre Bahnen. Spielten miteinander, wurden vom Wind auf und ab geweht. Die Luft roch frisch und jung, war erfüllt von Wärme und Glück. Tief sog er diesen Duft in seine Lungen ein, schloss seine Augen, sein gemarterter Körper entspannte sich. Blut und Schmutz fiel von seinen Händen ab, er wollte all das nicht mehr spüren, nicht mehr sehen. Langsam ging er einige Schritte vorwärts, das Gras gab unter seinen schweren Stiefeln nach, brach unter seinem Gewicht. Das Schwert an seiner Hüfte klapperte leise gegen die mit Metal beschlagenen Panzer seines Oberschenkels. Dieses Geräusch ließ ihn zusammen zucken, als habe ihn ein Blitz getroffen. Lange war dieses Geräusch sein einziger Begleiter gewesen, hatte dunkle Stunden angekündigt. Stunden des Kampfes, des Blutes und des Verlustes. Doch zählten das alles jetzt noch? Jetzt, da er in sein zu hause zurückkehrte? Zaghaft schüttelte er seinen Kopf, verdrängte diese vor Blut starrenden Bilder. Es war nicht mehr Zeit daran zu denken, er durfte es nicht. Musste die Rolle des Kriegers ablegen, sowie er es immer tat, wenn er zurückkehrte. Er schmunzelte leicht über diese Wandlung. Wie viel Gesichter Menschen doch besaßen, wie perfekt ihn jedes Mal ein anderes passte und nur wenige sagen konnten, welches das wahre war. Der Duft von Apfelblüten stieg ihm in seine Nase, genüsslich ließ er seinen Geist von diesem Geruch betören. Ihr Garten, mit wie viel Liebe pflegte sie ihn? Wie sehr hatte er sie vermisst? Plötzlich vernahm er ein Geräusch, hob seinen Kopf, um seine Mundwinkel zuckte es. Er bereitete seine Arme aus, sank auf seine Knie. Mit schnellen Schritten lief ein kleiner Junge auf ihn zu, rief freudig seinen Namen. Schnell trugen seine kleinen Füße ihn über das Gras hinweg, freudestrahlend warf sich der Junge in seine Arme und er presste ihn fest an sich. Streichelte seinen braunen Haarschopf, hob ihn hoch. Wie leicht Kinder doch waren, wie unschuldig? Er fühlte, wie sich die kleinen Arme um seinen Nacken schlangen, ihn fest hielten. Er lächelte... Leise wirbelte der Wind einige Blütenblätter auf, er sah über die Schulter des kleinen Jungen hinweg und sein Blick wurde weich, fast zärtlich. Nur selten sah man diese Verwandlung in seinen Augen. Liebe lag in diesem Blick, tiefe, aufrichtige Liebe. Nie hatte er geglaubt, solch ein Gefühl einem anderen Menschen entgegen zubringen, doch für sie verspürte er es. Langsam kam sie auf ihn zu, Tränen des Glücks glitzerten auf ihren Wangen. Ihr braunes Haar wehte sacht im warmen Wind. Hatte er ihr jemals gesagt, wie wunderschön sie war? Und wenn er es getan hatte, so hatte er es nicht oft genug gesagt. Ihre Füße schienen das Gras kaum zu berühren, sie schwebte förmlich, so zart waren ihre Schritte. Er atmete tief die Luft ein, sein Körper spannte sich. Seine Augen suchten die ihren, verbanden sich in einem liebevollen Blick. Fest presste er seine Lippen aufeinander, schloss seine Augen. Nie hatte er verstanden, wie solch ein wunderbares Wesen ihn lieben konnte. Gerade ihn. Ihn, den so viele nur "dunkler Schatten" nannten. Grausam und kalt war, wenn er zum Krieger wurde, doch all das fiel hier von ihm ab. War nicht mehr Teil seiner Selbst, sondern etwas, dass er an und auszog wie ein Mantel. Sanft legte sich eine Hand auf seine Wange, seine Augenlider flatterten leicht. Zärtlich strich diese Hand die Konturen seines Gesichtes nach und lag dann erneut bewegungslos auf seiner rauen Wange. Vorsichtig öffnete er seine Augen, blickte in die ihren. Sie lächelte, sprach Worte des Glücks über seine Heimkehr, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Er lächelte sie an, streckte eine Hand nach ihr aus, zog sie nahe an sich, sog ihren Duft ein. Er fühlte ihren bebenden Körper an dem seinen und strich ihr beruhigend über ihr langes Haar. Kaum merklich hob sie ihren Kopf, sah ihn lange schweigend an. Schloss schließlich ihre Augen und nährte sich seinem Gesicht. Zärtlich berührten ihre Lippen seine, küssten ihn mit Erleichterung und Liebe. Zuhause, schoss es ihm durch den Kopf, ich bin zuhause... Schwer atmend schreckte Katlar aus seinem Schlaf. Sein wirres Haar klebte ihm an seiner schweißnassen Stirn. Heftig schlug sein Herz gegen seinen Brustkorb, sein Blut rauschte hastig durch seine Adern. Verklärt war sein Blick, sein Geist immer noch in diesen längst vergangenen Empfindungen. "Nur ein Traum", flüsterte er leise und enttäuscht zu sich selbst. "Es war nur ein Traum." Seufzend ließ er sich zurück in die Kissen sinken, starrte in die Dunkelheit der Nacht, welche ihn umfing wie ein alter Freund. Immer noch entrann sein Atem keuchend seiner Kehle. Sein Herz wollte sich nicht beruhigen, er spürte Schmerz in jeder Faser seines Körpers und er lächelte bitter. "Seltsam, ich hatte immer geglaubt, tote Körper könnten nichts mehr fühlen. Dennoch fühle ich diesen Schmerz, aber auch nur ihn." Wie oft hatte er diesen Traum bereits gehabt? Warum quälte ihn sein Geist mit vergangenen Träumen und Wünschen? Sie würden doch niemals zurückkehren, sie waren tot, begraben unter einer dicken Schicht aus Schmerz und Hass. Er wollte sich nicht an diese Stunden erinnern, er wollte es nicht... Mit einer schnellen Bewegung schlug Katlar die Bettdecke von seinem Körper und stand auf. Sein Körper zitterte im kalten Wind. Wie lange versteckte er sich nun schon hier an der Grenze zum Eismeer? Er war nicht gewillt gewesen Barolon gänzlich zu verlassen, er wollte wenigstens in Reichweite für Nachrichten sein. Immer noch empfand Katlar dieses Versteck als gut gewählt, wer würde ihn schon direkt an der Grenze vermuten? Seufzend umfingen seine Finger den aus Stein gehauenen Fensterrahmen, suchten einen Halt. Nachdenklich starrten seine schlaftrunkenen Augen in die Dunkelheit. "Maris", flüsterte er leise. "Schickst du mir diese Träume? Soll ich mich erinnern? Ich erinnere mich doch. Es vergeht kein Tag, an welchem ich nicht an euch beide denke. Ihr seid immer bei mir, jeden Augenblick, doch gleichzeitig seid ihr soweit entfernt..." Fest umklammerten seine Finger das Gestein, leise knackten seine Fingernägel auf. Blut sickerte lautlos an der Wand hinunter. "Ich verstecke mich wie ein Tier", zischte Katlar wütend, sein Körper zitterte nun noch stärker, doch nicht mehr länger vor Kälte. Wut wärmte seine kalte Haut, ließ seine Gedanken schneller durch seinen Geist schießen. "Wie merkwürdig", wisperte Katlar und sein Blick verlor sich im gestirnten Himmel. "Wer hätte gedacht, dass sich die Zeit der Herrschaft dem Ende zu neigt? Wer hätte gedacht, dass du es sein wirst, Gerin? Ich spüre es, du wirst der Anfang vom Ende sein." Ein kaum sichtbares, spöttisches Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Niemand wusste so gut wie er, was nun folgen würde. Was womöglich einst vorherbestimmt gewesen war. "Alles muss irgendwann enden", flüsterte Katlar zu sich selbst und schloss für einen Augenblick seine brennenden Augen. Plötzlich zuckte er zusammen. Da waren sie wieder, diese fremdartigen Augen, die ihn schon so viele Jahre lang verfolgten. Ihn nicht zur Ruhe kommen ließen. Ihm jedes Mal verdeutlichten, dass er noch etwas zu tun hatte, bevor er diese Welt stolz und frei verlassen konnte. Wie die glühenden Augen einer Katze schienen sie ihn anzufunkeln. Kampflustig, wissend, lauernd, überlegen, siegesgewiss. "Wie lange willst du bei ihr Unterschlupf suchen, Ryan?" fragte er und lächelte kalt. "Glaubst du etwa, ich würde zu lassen, dass du glücklich wirst? Meinst du, ich wüsste nicht, wo du dich befindest? Welche Schwachstelle du nun besitzt. Naives, dummes Kind." Verächtlich spukte er die letzten Worte aus. Sein Körper zitterte im kalten Nachtwind, doch nun spürte er keine Kälte mehr. Hass und Wut wärmten seine Glieder, sein alter Geist erwachte. Langsam keimte er empor. Wie die Saat im Frühling reckte er sich der Sonne entgegen. "Ryan, Ryan. Wie dumm von dir. Du glaubst doch wirklich, dass du nun Frieden finden kannst. Du bist wahrlich noch sehr jung. Für dich gibt es keinen Frieden, genauso wenig wie es ihn für mich gibt. Wir sind uns zu ähnlich, viel zu ähnlich. Ich weiß, was du nun träumst, welche Angst tief in dir steckt. Sie ist der meinigen nicht unähnlich. Kleines Waldkind, ich schenke dir den Winter. Nutze ihn gut, der Frühling kommt schneller als du glauben magst. Im Frühling sehen wir uns wieder." Scheu öffnete Katlar seine Augen. Sterne funkelten hell am schwarzen Firmament, erfüllten seinen kalten Blick mit ein bisschen Wärme und Zuversicht. Seufzend lösten sich seine verkrampften Finger um den kalten Stein. Warmes Blut klebte an seinen Fingerspitzen. "Bis zum Frühling", flüsterte er abermals und lächelte. "Ich freue mich auf unser Wiedersehen. Bis zum Frühling, Ryan..." Die Luft brannte in ihren Augen. Als wäre es flüssiges Feuer, legte sie sich über das verletzliche Gewebe, stach wie mit tausenden von Messern immer wieder und wieder in ihr Fleisch hinein. Tränen glitten über ihre Wangen, legten die braune Haut unter der dicken Schicht aus Schmutz und Russ wieder frei. Schleppend war ihr Gang. Sie fühlte die starke Hand, welche sich um ihr Handgelenk gelegt hatte und sie festhielt. Tief inhalierte sie die Luft, doch sie schmeckte seltsam. Nach Rauch, Blut und Verzweifelung. Ja, die Luft schmeckte nach alledem. Machte ihr deutlich, dass sie verloren hatte. Alles hatte sie verloren, einfach alles, was sie geglaubt hatte zu besitzen. Sie weinte, schrie ihren Schmerz laut hinaus. Wollte der Welt zeigen, wie groß ihre Pein war. Ihre kraftlosen Beine brachen unter ihr weg, bewegungslos lag sie in der von Blut aufgeweichten Erde. Sie fühlte, wie man sie immer weiter zog. Unermüdlich, immer weiter und weiter. "Steh auf", zischte eine Stimme über ihr. Sie kannte sie, doch sie wollte diese Stimme jetzt nicht hören. Sie wollte vergessen, alles einfach vergessen. Ausblenden, als wären diese Ereignisse nur ein schrecklicher Traum gewesen. "Törichtes Kind", schrie die Stimme nun lauter. Ein harter Schlag traf sie im Gesicht, doch sie fühlte ihn nicht. Sie konnte keinen Schmerz mehr fühlen. "Steh endlich auf, kleines Waldkind, oder ich lasse dich hier verrecken. Erbärmlich bist du. Dafür ist Sera bestimmt nicht in den Tod gegangen." Fest presste sie ihre Augen zusammen, biss sich auf die Unterlippe, bis sie Blut schmeckte. Keuchend erhob sie sich, blickte in kalte grüne Augen. Ein weiterer Schlag traf ihr Gesicht und ihr Kopf wurde zur Seite geschleudert. "Ich hasse dich", schrie sie mit Tränenerstickter Stimme. "Ich hasse dich." Ein leises Lachen drang an ihre Ohren. Irritiert hob sie ihren Kopf, erwiderte den abschätzenden Blick stolz. Jede Faser ihres Körper spannte sich, ihre kleinen Hände ballten sich zu Fäusten. "Ich hasse dich", schrie sie so laut, dass sich ihre kindliche Stimme überschlug. Zitternd stand sie da. In Blut, Zerstörung und Verlust. Kurz schloss sie ihre schmerzenden Augen. Tränen bahnten sich ihren Weg durch ihre fest verschlossenen Augenlider. Höhnisch schallte das kalte Lachen der Frau zu ihr hinüber. Immer näher kam sie, Äste knackten unter ihren Stiefeln. Je packte sie eine Hand, drückte sie gen Boden, riss an ihrem Haar. Verzweifelt kämpfte sie darum, diesen Feind abzuschütteln, sich frei zu machen. Es war vergeblich, sie war zu schwach. Immer stärker wurde der Druck, bis sie ihr Gesicht in das feuchte Erdreich gepresst wieder fand. Sie hustete, versuchte zu atmen. Tief inhalierte sie den würzigen Geruch, Wasser glitt ihre Kehle hinab. "Du hasst mich?" hörte sie die Stimme über sich sprechen. "Du weißt doch noch gar nicht, was wirklicher Hass bedeutet, Närrin." Noch einmal verstärkte sich der Druck, hielt sie für einen kurzen Moment gefangen. Doch schließlich wurde ihr schwacher Körper nach oben gerissen. Sie würgte, hustete und starrte hasserfüllt ihre Peinigerin an. "Aber, meine Kleine", sagte diese und lächelte spöttisch. "Du wirst es bald wissen. Ich schwöre es dir, bald wirst du genauso hassen wie ich..." Hastig schlug Ryan ihre Augen auf. Blickte sich verstört um. Ihr keuchender Atem hallte durch den kleinen Raum. Dunkelheit hielt sie umfangen, tröstlich und ruhig. Vorsichtig tastete eine ihrer Hände über das verschwitzte Bettlaken. Ein erleichtertes Lächeln ließ ihre verspannten Gesichtszüge weich werden, als sie die Wärme des anderen Körpers spürte. Tief atmete Ryan die schwere Luft in ihre Lungen ein, langsam beruhigte sich ihr laut schlagendes Herz. Lange hatte sie nicht mehr solch einen Traum gehabt. Jedoch, es war kein normaler, fiktiver Traum. Es war etwas, dass zu ihrer Geschichte gehörte. Alte Geister, die sie immer noch jagten und die sie nicht abschütteln konnte. "Du hattest recht, Markos", flüsterte sie und strich sich zitternd einige Haarsträhnen aus der Stirn. "Ich werde wahrhaft lange kämpfen müssen bis sie endlich verschwindet." Unruhig wanderte ihr Blick umher, doch plötzlich hielt sie inne, drehte sich vorsichtig auf die Seite und lächelte. Friedlich und ruhig schlief Ayesha neben ihr. Fasziniert beobachtete Ryan, wie sich ihr Brustkorb in einem gleichmäßigen Takt anhob und senkte. Sie erinnerte sich, dass sie Ayesha schon damals, während ihrer Reise, um ihren friedlichen Schlaf beneidet hatte. Sie selbst schlief nie so tief, dass sie in der Lage war zu träumen. Zu groß war die Angst, so etwas immer wieder und wieder zu erleben. Zaghaft streckte Ryan eine Hand aus, berührte das Gesicht Ayeshas zärtlich mit ihren Fingern. Sanft strich sie die Konturen nach, verlor sich in der Ruhe, welche Ayesha ausstrahlte. Sie lächelte glücklich und rückte ein Stück näher an den anderen Körper heran, schlang die Arme um ihn und legte ihren Kopf auf die Brust Ayeshas. Müde schloss sie ihre Augen, lauschte dem gleichmäßigen Herzschlag, als würde er ihr eine Geschichte erzählen. Ryan fühlte, wie die Anspannung aus ihren Gliedern wich, sie dieser süßen Ruhe erlag. Hatte Ayesha überhaupt eine Ahnung, wie dankbar sie ihr war? Wie viel Macht sie über Ryan hatte? Sie hielt sie in ihrer Hand, jedoch nicht besitzend, sondern beschützend und für diesen Schutz war Ryan unendlich dankbar. "Ich liebe dich", wisperte sie leise und umfing den warmen Körper noch fester mit ihren Armen. "Ich sage diese Worte viel zu selten. Ich liebe dich, Ayesha." "Und ich dich." Irritiert hob Ryan ihren Kopf an. Ihre Augen brauchten eine Weile, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, doch dann erblickte sie, dass Ayesha ihre Augen geöffnet hatte und sie anlächelte. "Ich dachte du würdest schlafen", erwiderte Ryan leise und küsste sie flüchtig auf ihre Stirn. "Da siehst du wieder", flüsterte Ayesha ebenso leise und streichelte sanft über Ryans Haar. "Auch eine Kriegerin kann dem erliegen was sie sehen will. Du hast mich aufgeweckt." "Verzeih, dass war nicht meine Absicht." Ein leises Lachen entfuhr Ayesha, sie schüttelte sacht ihren Kopf. Manchmal erschien ihr Ryan nicht als junge Frau, sondern als kleines Mädchen. Insbesondere, wenn Ryan sie mit solch einem Blick ansah. Es hatte etwas Kindliches und unschuldiges. "Warum musstest du nur so früh erwachsen werden?" dachte Ayesha wehmütig, zog Ryan sanft zu sich und streichelte über ihr Haar. "Von was hast du geträumt?" fragte sie nach einer Weile und spürte, dass sich Ryan in ihren Armen versteifte. "Ist das wichtig?" entgegnete diese ausweichend. "Nein, ich dachte nur, du würdest es mir gerne erzählen." Ein leiser Seufzer drang an Ayeshas Ohren und sie hielt Ryan fester umschlungen. Diese legte ihren Kopf erneut auf ihre Brust und atmete tief durch. "Ich habe von Resa geträumt, von dem Tag, an welchem alles begann. Es war seltsam, ich konnte sogar das Blut riechen, das über allem lag. Es war so real..." Ein kurzes Zittern durchfuhr Ryans Körper und sie presste ihre Augen fest zusammen. "Verstehst du, Ayesha?" fragte sie leise und wandte ihr das Gesicht zu. "Es war zu real, zu greifbar. Es war nicht einfach nur ein Traum." Sacht nickte Ayesha verstehend, umfing das Gesicht Ryans mit ihren Händen. Hielt es liebevoll umfangen. "Irgendwann wird sie verschwinden", versicherte sie zuversichtlich und lächelte aufmunternd. "Irgendwann..." "Nein", unterbrach sie Ryan unruhig. "Ich weiß, dass sie nicht gehen wird. Nicht bevor ich es selbst zulasse." "Dann lass es doch endlich zu", bedauernd blickte Ayesha Ryan in ihre Augen. Ihre Gesichter waren nur noch eine Fingerlänge von einander entfernt. "Warum quälst du dich jedes Mal von neuem? Lass es doch endlich ruhen." Ein scheues Lächeln bildete sich um Ryans Mundwinkel und sie senkte ihren Blick. "Du hast Recht, jedoch, ich habe es versucht. So oft habe ich versucht zu vergessen. Ich schaffe es einfach nicht. Ich schaffe es nicht, verzeih." Schweigend sah Ayesha Ryan an. Sanft, aber bestimmt, zog sie ihr Gesicht an das ihre. Küsste ihre zitternden Lippen. Verstehend, liebend, vertrauend. Sie wollte nicht mehr reden. Alles was sie wollte, war die Wärme Ryans zu spüren. Ihre Liebe fühlen. Zögernd erwiderte Ryan den Kuss, verbannte die dunklen Erinnerungen. Welches Gewicht besaß die Vergangenheit jetzt in diesem Moment? Sie sollte verschwinden, aus ihrem Denken und Fühlen, sie sollte bedeutungslos werden. Jedenfalls für einen winzigen Moment. Sie würde früh genug zurückkehren. Zärtlich küsste sie dieses wunderschöne Mädchen. Hatte sie überhaupt eine Ahnung, was sie durch dieses Handeln in ihr auslöste? Wie sehr sich Ryan nach ihr verzehrte? Sie hatte gewartet, bei den Göttern, sie hatte lange gewartet, um Ayesha so nahe sein zu können wie in diesem Moment. Nur der, dieser eine Gedanke, hatte sie ihre Gefangenschaft überstehen lassen. Nur dieser eine Gedanke, nur dieser eine Wunsch. Vielleicht war es darum manchmal so unwirklich, so als würde sie nur träumen. Langsam wanderten die zierlichen Hände Ayeshas ihren Rücken hinunter, suchten sich ihren Weg unter den Stoff des Gewandes, welches Ryan trug. Schienen die Haut unter ihm zu verbrennen. Mit jeder Berührung steigerte sich die Anspannung in Ryans Muskeln. Sie fühlte die sanften Hände, wie sie ihren Rücken entlang strichen, bis sie zwischen ihren Schulterblättern ruhten. Ein schwaches Zittern ließ Ayesha erbeben, widerwillig löste sie den Kuss, sah Ryan lange schweigend an. Suchte in ihren Augen eine stumme Zustimmung, ein Zeichen, doch sie waren leer. Schüchtern erwiderten Ryans Hände das sanfte Streicheln, vorsichtig, darauf bedacht nichts falsch zu machen, glitten sie Ayeshas Körper hinab und wanderten zurück zu ihren Händen. Verbanden sich mit ihnen zu einem beschützenden Halt. Eine leichte Röte zierte Ayeshas Wangen und ihr Atem wurde mit jedem Zug schneller. Warum spürte es Ryan nicht? Warum ignorierte sie ihre Zeichen so beharrlich? Musste sie noch deutlicher werden, ihre Wünsch einklagen, wie ein bittendes Kind? Immer noch schweigend führte sie Ryans Hände an ihre Lippen, küsste ihre Fingerspitzen und sah sie eindringlich an. Plötzlich veränderte sich der Ausdruck in Ryans hellen Augen. Sie glühten auf, und ihre Lippen trafen sich erneut zu einem Kuss. Ein leiser Seufzer entglitt Ayeshas Kehle, fest umfing sie den andern Körper. Spürte dessen Wärme. Die Haut, welche sie berührte glühte auf. Ihr Denken war im Fieber, tausende von Empfindungen durchfluteten ihren Körper. Je unterbrach Ryan den Kuss, drehte ihren Kopf zur Seite und atmete schwer durch. "Was hast du?" fragte Ayesha und versuchte ihre Stimme fest und sicher klingen zu lassen. "Ich, ich", stotterte Ryan und ihre Blicke streiften sich kurz. "Ich will, ich möchte..." "Ryan, was ist los?" Sanft strich Ayesha Ryan über ihre Wange, drehte ihren Kopf in ihre Richtung, zwang Ryan ihr in die Augen zu sehen. "Ich will alles richtig machen", bekannte Ryan leise. "Ich will nicht, dass alles so schnell geht. Ich will, dass es dieses Mal perfekt ist. Verstehst du? Ich kann warten, ich will warten. Ich..." Bestimmt legte Ayesha ihr einen Finger auf die Lippen, brachte sie auf diese Weise zum verstummen und lächelte schief. "Du willst warten?" Hastig richtete sich Ayesha auf. Sie sah im fahlen Licht, dass Ryan sacht nickte. Sie seufzte leise, legte Ryan ihre Arme um den Nacken, zog sie mit sich hinunter in die weichen Decken. "Aber was ist?" raunte sie Ryan zu. "Wenn ich nicht mehr warten will?" Verstört blickte Ryan sie an, erkannte, was in ihren Augen lag. Das ihr Wunsch der dem ihren entsprach. Ergeben strich Ayesha über Ryans Gesicht, sah sie eindringlich an. "Ich will nicht mehr warten", sagte sie fest und küsste Ryan innig... Schwache Sonnenstrahlen fielen durch das winzige Fenster. Leuchteten in unregelmäßigen Abstanden in der Dunkelheit, welche in dem kleinen Raum herrschte, auf. Zärtlich streichelten sie das entspannte Gesicht von Markos. Tief atmete er die frische Morgenluft in seine Lungen ein, lächelte schief, als er ihm nicht unbekannte Empfindungen verspürte. Der weiße Stein glühte hell über seinem Herzen. Fein prickelte das helle Licht auf seiner Haut und er verstand. "Ich wollte nur sehen, wie es dir geht", flüsterte er in seinen Gedanken entschuldigend und zog sich langsam aus dem anderen Geist zurück. Stück für Stück glitt sein Bewusstsein zurück in seinen Körper, er hörte sein Herz lauter schlagen, als je zuvor. Feine Schweißperlen sammelten sich auf seiner Stirn, sein Atem beschleunigte sich für eine kurze Zeit, während sein Geist wieder vollständig mit seinem Körper verschmolz. Benommen schlug Markos seine Augen auf, blickte auf seinen Anhänger hinab. Das Licht war erloschen. Konzentriert atmete Markos mit kräftigen Zügen ein und aus, entspannte seinen Geist, doch das Lächeln war immer noch nicht von seinen Lippen verschwunden. Ein leiser Seufzer entstieg seiner Kehle. Regelmäßig pulsierte sein Blut nun wieder durch seine Adern, sein Herzschlag war ruhig und gleichmäßig. Müde fuhr sich Markos über sein Gesicht, warf einen flüchtigen Blick zur Seite und fixierte dann liebevoll den schlafenden Körper neben sich. Zärtlich wanderten seine Fingerspitzen über das wunderschöne Gesicht seiner Frau. Sanft, darauf bedacht sie nicht zu wecken, strich er ihr einige verirrten Haarsträhnen hinter ihr Ohr, legte dann seine Hand auf ihre Wang und küsste flüchtig ihre Stirn. Wie lange hatte er solch einen Anblick entbehrt? Er hatte wahrlich vergessen, wie schön es war, neben ihr aufzuwachen. Sie in ihrem friedlichen Schlaf zu beobachten, ihre Nähe zu spüren, ihre Stimme zu hören und ihre Liebe zu erfahren. Es war wahrlich lange her, zu lange. "Verzeih mir", raunte Markos ihr zu und küsste sie sacht auf die Wange. "Verzeih mir, Nima. Wie oft ich diese Worte zu dir sagen muss, ist in der Tat bedauernswert. Ich weiß, ich bin ein Schuft...Verzeih mir, meine Liebe, verzeih mir." Zaghaft erhob sich Markos, deckte seine Frau fürsorglich zu und schlich leise aus dem kleinen Zimmer. Friedliche Stille umfang ihn. Wie wunderschön war es, nicht mehr diese Angst zu spüren. Die Sorgen und Zweifel ruhen zu lassen, sie würden früh genug zu ihm zurückkehren. Auf leisen Sohlen schlich Markos weiter, kurz hielt er vor einer Tür inne und öffnete sie vorsichtig. Erneut lächelte er, als sein Blick auf die schlafenden Körper seiner Töchter fiel. Er erinnerte sich schmerzlich, dass es Tage gedauert hatte, bis sie mit ihm gesprochen hatten. Ihre Augen hatten jede seiner Bewegungen stumm und strafend verfolgt, und Markos wusste, dass er diese Art von Strafe verdient hatte. Die Tür knarrte und fiel leise ins Schloss. Seufzend lief Markos weiter. In seinem Haus hatte sich viel verändert, seit er zum letzten Mal durch die Zimmer gegangen war. Was konnte er auch anderes erwarten? Jedes Jahr von neuem verschwand er, sobald der Schnee zu tauen begann. "Zeit verändert alles", dachte er bitter und hüllte sich in seinen schweren Umhang ein. "Sie verändert einfach alles..." Kalter Wind empfing ihn und er fröstelte. Majestätisch erhob sich die Sonne hinter den Hügeln. Der Schnee glitzerte rötlich, fast wie Blut. Fester zog Markos den Umhang um sich, verschränkte seine Arme vor der Brust und wohnte diesem Schauspiel stumm bei. Nur selten war es ihm vergönnt, solchen Dingen beizuwohnen. Sie einfach auszukosten. Zu viele Sorgen belasteten sein Denken, zu viele Empfindungen rasten durch seinen Geist. Das war die Strafe seines Stammes von jeher gewesen. Fast schon zu klein war sein Geist für all die Gefühle, welche er verspürte. Fast schon zu schwach war er selbst durch diese zerrenden Reisen geworden. "Kara", flüsterte Markos und schloss seine Augen. Leise heulte der Wind in seinen Ohren, wirbelte einige Schneeböen auf. "Sei unbesorgt, es geht ihr gut. Sehr gut sogar. Ich hab sie gespürt, Schwester." Leise streifte der Wind über seine Haare, streichelten sanft seinen Kopf. Markos lächelte zärtlich. "Du bist früh auf den Beinen, mein Freund." Hastig wandte Markos seinen Kopf zur Seite, blickte in die müden Augen seines Freundes und nickte sacht. "Ich konnte nicht mehr schlafen. Was treibt dich so früh aus der Wärme deines Hauses, Ragan?" Der Schnee ächzte unter Ragans Stiefeln während er näher auf Markos zuging. Sein Haar hing im strähnig in die Stirn und unter den müden Augen zeigten sich dunklen Schleier. "Ich habe schlecht geschlafen", sagte er leise und fuhr sich seufzend über sein Gesicht. "Onone schenkte mir böse Träume." Ein scheues Lächeln zierte Markos Gesicht, während er seinem Vertrauten verstehend zu nickte. "Ich weiß", sagte er schließlich und ließ seinen Kopf hängen. "Mir geht es nicht anders. Unsere Göttin segnet uns dieses Mal nicht mit ihrer Güte." "Wahrlich nicht, Markos", bestätigte Ragan und blickte zu den Hügel. "Sag, hast du deiner Nichte einen Besuch beschert?" Ein leises Lachen drang an Ragans Ohren und er wandte Markos sein Gesicht zu. In seinen Augen blitzte es schelmisch. "Ja, dass habe ich getan. Aber ich glaube, mein Besuch war zu einem schlecht gewählten Zeitpunkt." "Wie meinst du das?" fragte Ragan und runzelte argwöhnisch seine Stirn. Stumm blickte Markos in Ragans Augen, zwinkerte ihm kurz zu und lachte laut auf, als er die Erkenntnis in Ragans dunklen Augen aufkeimen sah. Leise pfiff dieser durch die Zähne und grinste. "In Ordnung, ich habe schon verstanden. Dann war es wirklich besser, dass sie dich nicht bemerkt hat." "In der Tat, so wie ich Ryan kenne, wäre sie darüber wenig erfreut gewesen." "Ich glaube viel eher, sie wurde bei eurem nächsten Zusammentreffen ihre Krallen an dir wetzen", erwiderte Ragan und schlug Markos leicht auf den Rücken. Schweigend standen beide Männer neben einander, blickten dem Sonnenaufgang zu. Spürten, wie das Licht immer wärmer wurde und ihre dunklen Vorahnungen zerstreute. "Weißt du Ragen", sprach Markos mit Bedauern in der Stimme. "Es ist seltsam. Ich habe dieses Mädchen nur für eine kurze Zeit gesehen, doch ich beginne sie bereits zu vermissen." "Das ist doch nicht seltsam. Immerhin hast du fast dein ganzes Leben nach ihr gesucht. Da ist es natürlich, dass du sie jetzt vermisst." "Ich weiß", flüsterte Markos so leise, dass es fast vom Wind verschluckt wurde. "Ich hoffe nur, sie nutzt ihre Zeit gut. Ich wünsche mir, dass sie ein wenig Glück finden wird. Sie hat es verdient, sie..." Je riss Markos seine Augen auf, presste seine Hände gegen seinen Kopf und sank auf seine Knie. Krämpfe schüttelten seinen Körper und der weißte Stein glühte heiß auf. Dunkel wurde der Himmel, Wolken verhüllten die Sonne. Kalt wurde es um ihn, Blut quoll aus der Erde empor, überschwemmte die Welt wie eine gigantische Flut. Tote Körper trieben auf der roten Oberfläche, ihre Augen waren weit aufgerissen. Angst verzehrte ihre Gesichter zu garstigen Fratzen. Gellend schrie Markos auf. Dunkelheit ließ seine Augen blind werden. Er hörte Schreie von sterbenden Menschen, das Klirren von Schwertern, roch den Geruch von verbrannter Erde. Schmerz erfasste jede Faser seines Körpers, nahm ihm die Kraft um aufstehen zu können. Wie Feuer brannte sein Anhänger auf seiner Brust, der Geruch von versengtem Fleisch stieg ihm in die Nase. "Markos", weit entfernt erschien ihm die Stimme Ragans. Er spürte zwei starke Arme, die ihn festhielten, ihn aufrichteten. Jedoch waren seine Glieder zu schwach, um seinen Körper zu tragen. Kalter Schnee berührte seine Handflächen, ein schreckliches Husten durchfuhr Markos Körper. Langsam verschwanden die Bilder aus seinem Geist, er hustete und der bittere Geschmack von Blut berührte seine Zunge. "Markos", schrie Ragan und stützte seinen Freund. "Was, was ist passiert. Markos, was hast du?" Keuchend kniete Markos im Schnee, versuchte das eben gesehen zu verstehen, einzuordnen. Immer noch zitterte sein Körper unkontrolliert und er schlug seine schmerzenden Augen auf. Blickte unter sich, eine feine Spur aus Blut ließ den weißen Schnee rot aufleuchten. "Markos, red mit mir? Was hast du, Bruder?" "Der Wolf wird einen großen Fehler machen", flüsterte Markos abwesend. "Einen großen Fehler...Krieg...Tod...Blut..." Angsterfüllt packte Ragan Markos, zog ihn hinauf, hielt ihn fest. "Von was sprichst du da Markos? Was hast du gesehen, sag es mir." "Krieg, Ragan", stammelte Markos, seine Hände ballten sich zu Fäusten. "Krieg...Zerstörung...Blut. Der Wolf, er ist so dumm, so dumm. Er begeht seinen letzten Fehler. Im Frühling...Krieg...Bald...Im Frühling, ja im Frühling werden wir durch Blut waten. Im Frühling, im Frühling..." Nachwort: Hallo, an alle, die dieses Kapitel von mir gelesen haben. Ich weiß, ich habe mir sehr lange Zeit gelassen, bis ich ein neues hochlade. Ich hatte super viel privaten Stress in der letzten Zeit. Uni, sonstiges Zeug, Arbeiten. Ich hatte einfach keine Zeit um zu tippen. Ich hoffe aber, die Wartezeit war nicht all zu lang. Genauso sehr hoffe ich, dass dem einen oder anderen dieses Kapitel gefallen hat. Für Kritik bin ich ja jederzeit offen! Eigentlich wollte ich mit diesem Kapitel zeigen, dass jeder der Figuren eine Bürde mit sich herum schleppt, die er/sie einfach nicht los wird und immer wiederkehrt. Ich hoffe, dass ist mir ein bisschen gelungen. Ich kann schon mal versprechen, dass es in den letzten Kapitel noch so einiges auf euch zukommt, aber was, verrate ich nicht. Sonst ließt es ja keiner. Einen Gruß, fast wie immer, an Igel und Mondscheinelfe, meine wirklich treuen Leser! © 2004 by seen Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)