Die Trauerweide von Gurgi ================================================================================ Kapitel 20: Wahrheit oder Lüge? ------------------------------- Wahrheit oder Lüge? Zischend entwich Gerins Atem seiner Kehle, nervös starrte er in die Flammen des Kaminfeuers. Sah zu, wie sich das Feuer genüsslich durch die Fasern des Holzes fraß. Fest krallten sich seine Finger in den Stoff des Sessels, und er seufzte leise. Nun war er wieder hier, war zurückgekehrt. Jedoch ohne seinen Auftrag ausgeführt zu haben. Er hatte es nicht vermocht, er konnte es einfach nicht tun... Niedergeschlagen ließ Gerin sein Haupt in seine Handflächen sinken, und wischte sich über seine müden Augen. So vieles hatte er erfahren, so vieles, was er am liebsten niemals ans Tageslicht befördert hätte. Warum war es nicht im Schattenreich aus Erinnerungen geblieben? Warum drängte es solche Wahrheiten ans Tageslicht? Warum konnten sie nicht einfach zu einem weiteren Schatten werden? "Katlar", dachte Gerin und ein Lächeln der Bitterkeit breitete sich auf seinem Antlitz aus. "Ich weiß, ich hätte dich töten sollen. Wäre es für dich nicht sogar ein Segen gewesen? Was bindet dich außer Hass und Rache noch an diese Welt? Wie muss es sein, wenn man keine Gefühle mehr hat? Wie muss es sein, wenn man ganz alleine ist? Wie muss es sein, wenn man weiß, dass man bald sterben wird? Bruder, warum? Warum hast du das getan? Flieh doch einfach, lauf weg...Ich kann es nicht tun...es geht nicht..." Ein kalter Luftzug traf ihn auf seiner Gesichtshaut, und Gerin zitterte leicht. Das Feuer im Kamin flackert sacht hin und her. Er war gekommen... "Gerin", hörte er die ihm so vertraute Stimme Neroms sagen. Diese Stimme, wie lange hatte er ihr geglaubt? Wie lange hatte er alles was diese sagte für den richtigen Weg gehalten? Viel zu lange... "Du bist also wieder zurückgekehrt", sagte Nerom, lächelte leicht und setzte sich dem jüngeren gegenüber. "Es freut mich zusehen, dass du wohlauf bist, mein Junge." Gerin hob leicht seinen Kopf, sah seinen Lehrmeister aus leeren Augen an. "Wie man es nimmt", flüsterte er. Argwöhnisch furchte Nerom seine Stirn. Ihm gefiel der Ausdruck in den Augen seines ehemaligen Schülers nicht. Er war kalt geworden, wo war dieses Feuer, welches er immer so sehr an Gerin geschätzt hatte? Es schien erloschen zu sein... Sanft faltete Nerom seine Hände, beäugte Gerin kritisch und fragte: "Wie war deine Reise, mein Junge? Ich hoffe, du hast einige wichtige Nachrichten für mich." "Die habe ich allerdings", versetzte Gerin scharf und erhob sich abrupt, lief langsam in dem Raum auf und ab, und blieb vor dem großen Fenster stehen. "Katlar ist noch am Leben." "Das ist für mich nicht verwunderlich", erwiderte Nerom und lächelte leicht in sich hinein. "Dein Bruder ist nicht dumm, Gerin. Er ist sogar sehr intelligent, fast schon zu intelligent und zu wahnsinnig..." "Wahnsinnig", dachte Gerin und verzog verächtlich seinen Mund. "Ich glaube, wir sind alle wahnsinnig geworden...Jeder für sich selbst, auch ich..." Still verharrte er in seiner Position, lehnte sich leicht gegen den Rahmen des Fensters und sah schweigend zu, wie sich die Nacht über das Land legte. Wie ein schwarzer Schatten kroch es über die Ebene, hüllte es in ein wunderschönes Schweigen. "Gerin, warum hast du unseren Auftrag nicht ausgeführt?" Der jüngere hörte die Frage, doch er antwortete nicht gleich. In seinem Geist hallten diese Wörter wider wie ein Echo. "Warum? Warum?" Langsam drehte sich Gerin um, betrachtete den alten Mann welcher in dem Lehnsessel saß, und ihn musterte. Er kannte diesen Blick, er hatte ihn oft während seiner Ausbildung über sich ergehen lassen müssen. Ja, erkannte ihn gut, und wusste was er bedeutete. "Sag du mir lieber", begann Gerin und ging auf seinen Lehrmeister zu, seine Schritte hallten durch den Raum. "Warum ist er so gefährlich für euch? Sag mir, was er schon ausrichten kann? Er ist nur ein wildes, verletztes Tier..." "Und genau das macht ihn so gefährlich", beendete Nerom den Satz Gerins und blickte ihn lange an. "Genau das ist die Gefahr welche von Katlar ausgeht. Du musst wissen, Gerin. Nichts macht einen Menschen so gefährlich und unberechenbar, als blinde Wut und Rachdurst. Was wird geschehen, wenn es kein Ziel mehr für seine Wut gibt, auf was wird er dann losgehen? Wer wird der nächste sein? Wir können uns nicht leisten, dass einer unserer Männer womöglich eines Tages eine Gefahr für uns alle wird", kurz hielt Nerom inne, verlieh seinen Worten durch eben diese Pause noch mehr Gewicht und ergänze dann leise: "Auch für dich ist er eine Gefahr." Schweigend starrte Gerin Nerom an, versuchte in seinem Geist zu ordnen wer log und wer die Wahrheit sprach... Er kannte seinen Bruder, wusste, dass er im Moment gefährlich war. Er war es schon immer gewesen, doch da gab es eine weitere Seite in Katlar welche nur wenige Menschen kannten. Auch er war fähig zu lieben, und Katlar hatte ihn einst geliebt. Ja, das hatte er einst, bevor Gerin vom hohen Rat berufen wurde... Katlar hatte Maris geliebt. Mehr als sein eigenes Leben hatte er diese Frau geliebt, sie war womöglich die einzige Person gewesen, die seinen Bruder wirklich gekannt und geliebt hatte. "Gerin, hörst du mir überhaupt zu?" "Ja", sagte der jüngere und setzte sich wieder in gegenüber liegenden Sessel. "Ich habe jedes deiner Worte gehört, doch ich fragen mich: Sprichst du die Wahrheit, oder lügst auch du mir ins Gesicht? Wann wird meine Zeit gekommen sein, da ihr mir ein Messer in den Rücken rammt? Sag mir Nerom, wann wird meine Zeit kommen?" Für einen kurzen Moment glaubte Gerin so etwas wie erschrecken in dem vom Wetter gegerbten Gesicht Neroms zu sehen, doch es verschwand so schnell wie es gekommen war. Das Gesicht des älteren wurde wieder verschlossen und ausdruckslos. "Wann deine Zeit gekommen ist?" gab er die Frage zurück und lehnte sich nachdenklich in seinem Sessel zurück. "So wie ich dich einschätze, mein Junge, werden wir dafür noch sehr viel Zeit haben. Du bist nicht wie dein Bruder, du bist nicht so leicht lenkbar wie er. Das macht dich zwar auf eine andere Art und Weise gefährlich, aber auch sehr nützlich..." "Jeder ist für dich eine Figur, die du nach deinem Belieben herum schieben kannst, oder?" schrie Gerin und in seinen Augen begann Wut aufzulodern. Das Holz im Kamin brach unter dem Ansturm der Flammen zusammen, laut ächzte und knackte es...verlor den Kampf. "Ich bin nicht anders als du, Gerin", versetzte Nerom gleichgültig und breitete seine Arme aus. "Spielst nicht auch du mit den Menschen wie es dir beliebt? Oh, hast du etwa geglaubt ich wüsste das nicht? Ich war schließlich dein Lehrer, ich weiß in welchen Vorgehensweisen deine Stärken liegen. Ich weiß es sehr genau. Du bist, genau wie ich, ein Meister der Manipulation. Vielleicht bist du sogar noch geschickter darin als ich...Wer weiß." Wütend verzog Gerin sein Gesicht, kalt wurde es, als wäre es aus Eis gehauen. Nur seine Augen zeigten was tief in ihm vorging. Furcht, Wut, Hass. Nun befielen auch ihn diese Gefühle während er den alten Mann vor sich musterte. "Lügen, alles nur Lügen", dachte er bitter und schloss vor Schmerz seine Augen. "Mein ganzes Leben lang habe ich nichts anderes gehört, ich kenne Wahrheit überhaupt nicht, werde sie nie kennen...Nie." "Was ist los mit dir, mein Junge", die verhöhnende Stimme Neroms holte Gerin zurück in die Wirklichkeit, und sein Blick schien den alten Mann vor sich zu durchbohren. "Was willst du wirklich von mir?" fragte dieser und lächelte schief. Er war sich so siegessicher, er wusste, dass er niemals verlieren konnte. Er war unantastbar...Unantastbar...noch... "Warum habt ihr meinen Vater getötet? Warum musste es Katlar tun? Warum?" schrie Gerin seine Frage welche ihn schon so lange quälte heraus. "Warum? Sag es mir." "Dein Vater", flüsterte Nerom und faltete erneut seine Hände, legte sie in seinen Schoß und blickte Gerin lange an. "Dein Vater, was für ein großer Krieger. Er war unbeugsam, stark und hat viele Kämpfe für uns gewonnen. Das wir in Barolon Fuß fassen konnte, haben wir Evanus zu verdanken." "Warum habt ihr ihn dann getötet?" flüsterte Gerin, er war es müde um Antworten kämpfen zu müssen...Er war so müde... "So stark dein Vater auch war", erzählte Nerom weiter. "So widerspenstig war er auch. Seine Vorstellungen unterschieden sich zu stark von den unseren. Ich wusste, dass Evanus von sehr vielen Kriegern bewundert wurde, es wäre für ihn ein leichtes gewesen sie zu mobilisieren und uns anzugreifen. Das konnte ich doch nicht zu lassen, dass verstehst du doch, oder?" Wütend ballte Gerin seine Hände zu Fäusten, weiß traten seine Fingerknöchel hervor und sein Atem entwich zischend seiner Kehle. "Welch ein Glück, dass es Katlar gab. Ein junger, aufstrebender Krieger. Es dürstete ihn förmlich danach in unserem Ansehen aufzusteigen. Du weißt doch Gerin, junge Menschen sind leicht zu manipulieren, manchmal ist es sogar viel zu leicht. Wir unterbreitetem ihm ein Angebot, und er erledigte unseren Auftrag." "Ihr habt ihn benutzt, ebenso, wie ihr mich benutzen wolltet", zischte Gerin gefährlich und kämpfte um seine Fassung. "Er hat sich benutzen lassen, mein Junge", verbesserte ihn Nerom und zuckte gleichgültig mit seinen Achseln. "Er wollte es, er hätte auch ablehnen können..." "Natürlich hätte er das", spottete Gerin und lächelte böse. "Ihr hättet ihn nur dann getötet, nicht wahr?" "Ja, hätten wir", versetzte Nerom kalt und schaute dann in die Flammen des Feuers. "Was hat Katlar für diesen Auftrag erhalten? Was habt ihr ihm gegeben?" Leise seufze Nerom auf, schüttelte leicht seinen Kopf, jedoch er sah seinen ehemaligen Schüler nicht an. "Schon wieder hast du die Frage falsch formuliert. Du musst eher fragen: Was wollten wir ihm geben, und was hat er angenommen?" Wütend starrte Gerin sein Gegenüber an, er hasste es, wenn man ihn so behandelte. Er war kein kleiner, dummer Junge mehr. "Dann beantworte doch deine eigene Frage", zischte er bösartig und versuchte sich, so gut es in dieser Situation möglich war, zu entspannen. "Dein Bruder, er war ein außergewöhnlicher junger Mann. Ich wusste, er hatte große Pläne, vielleicht waren sie zu groß für ihn, aber das ist nicht das was du wissen willst... Wie er seinen Auftrag vollbrachte, weiß ich nicht, dass musst du ihn schon selbst fragen. Das einzige was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass Katlar verändert zu uns zurückkehrte. Auch in seinen Augen loderte damals dieses Feuer, dieses Feuer welches ich so sehr an dir schätze, Gerin. Doch an jenem Tag, es war erloschen, unwiederbringlich erloschen war es... Katlar hatte sich verändert. Jungend, sie war mit deinem Vater fortgegangen. Er bat uns darum, dass er nie wieder ins Feld ziehen musste, um ein Haus für seine Frau und sich und um eine kleine Region welche unter seiner Herrschaft stehen sollte. Das war alles was wir ihm gaben, aber wir hätten mehr gegeben, wenn er es gewollt hätte..." "Was", schrie Gerin, sprang auf und packte seinen ehemaligen Lehrmeister am Kragen seines Gewandes. "Wir hatten ihm deinen Posten angeboten, den Posten des Botschafters und Beraters. Einen Posten mit großer Macht, wie du weißt. Er lehnte ab, seit diesem Tag wuchs unsere Feindschaft und sie hat sich seitdem um ein vielfaches vergrößert." Zitternd vor Wut löste Gerin seinen Griff um Neroms Kragen, wich Schritt um Schritt zurück. Ihm schwindelte, nie war er sich bewusst gewesen, zu was diese Männer in der Lage waren. Wie einfach es für sie war ein Lebenslicht auszublasen, für sie war es nur ein einziger Atemzug, welche Konsequenzen dieser haben würde, dass berührte sie nicht...Sie waren davor geschützt... "Was hast du, mein Junge?" fragte Nerom und ein Lächeln breitete sich auf seinem Antlitz aus. "Warum erschüttert dich das alles so sehr? Du wusstest es, du hast bereits für uns getötet. Du kennst unsere Prinzipien, du weißt genau, dass man entweder für oder gegen uns ist...Du weißt das, Gerin." "Ja", flüsterte Gerin und blickte Nerom fest ins Gesicht. Abscheu stieg in ihm auf, und er hätte dieses Etwas vor sich am liebsten mit seinen eigenen Händen erwürgt. "Ja, ich weiß das alles, doch ich hätte nie gedacht, dass alles voran ich jemals geglaubt habe eine Lüge war." Schwungvoll drehte sich Gerin um, durchquerte das Zimmer mit wenigen Schritten. Er musste fort von hier, sein Geist war wie erloschen, kein Gedanke vermochte es durch diese Schwärze hindurch zu brechen...Vernebelt war er, trunken von Schuld und Erkenntnis. "Gerin", laut hallte die kalte Stimme Neroms in Gerins Ohren wider und er blieb wie angewurzelt stehen. "Überleg dir gut was du jetzt tust, jeder ist ersetzbar, für jeden gibt es ein Gegenstück." Unbewegt starrte Gerin Nerom an, senkte dann seinen Blick und lächelte leicht. "Auch das weiß ich, alter Freund", spie er verächtlich aus, hob seinen Kopf an und blickte seinen ehemaligen Lehrmeister kalt und wütend an. "Für jeden gibt es ein Gegenstück, Nerom. Auch für dich..." Warm schien die Sonne vom stahlblauen Himmel, feine Sonnenstrahlen tanzten auf der schneebedeckten Landschaft, und ließen sie wie gefallene Sterne aufleuchten. Kalt war der Wind, welcher durch die kahlen Baumkronen strich, doch die junge Frau spürte diese Kälte nicht wirklich. Ihr Körper hatte weit schlimmere Kälte erdulden müssen, und so war auch dieser bitterkalte Tag wie ein Frühling. Sanft streichelte der Wind über ihr blondes Haar, kühlte ihre erhitzen Wangen und sie schloss genüsslich die Augen. Lange hatte sie an diesem Ort verweilen dürfen, ihr war Unterstützung und Freundschaft zuteil geworden, obwohl sie geglaubt hatte, dass ihr nie wieder jemand solche Gefühle entgegen bringen würde. Sie hatte sich geirrt, wie so oft... Doch, die Zeit war gekommen, die Zeit Abschied zu nehmen. So sehr es sie auch schmerzte, und so sehr sie sich wünschte an diesem Ort bleiben zu können, so wusste sie auch, dass es unmöglich war. "Ich würde sie nur in Gefahr bringen", dachte Teleri wehmütig und blickte das Heim Widos an. Trauer stieg in ihr auf, Bara hatte sie aufgenommen, als wäre sie eine verlorene Tochter. Schmerzend war die Erkenntnis, dass Teleri nie wirklich gewusst hatte was eine Familie eigentlich war. Wie sollte sie auch, sie hatte es nur für eine kurze Zeit erleben dürfen, einige Jahre welche bereits so sehr verblasst waren, dass von diesen Erinnerungen nur Schatten übrig geblieben waren. Sie erinnerte sich nicht einmal an das Gesicht ihrer Mutter... Hart schluckte Teleri und wandte ihren Blick von dem kleinen Haus ab, sie musste gehen, sie hatte keine Wahl. "Ryan", dachte Teleri und lächelte bitter. "Jetzt verstehe ich dich erst, jetzt, da du gegangen bist. Nie habe ich verstanden warum du jedes Mal gehen musstest...Doch jetzt, da auch ich zu einer Gefahr für geliebte Menschen geworden bin, verstehe ich...Jetzt, obwohl ich es nicht mehr verstehen müsste..." Ein heftiger Schauer durchflutete Teleris Körper, als das Gesicht Ryans in ihren Gedanken auftauchte. Diese Augen, diese unergründlichen Augen...So viel Kraft lag in ihnen und so viel Schmerz... "Für mich hast du niemals diese Maske abgelegt...Nie...Ich dürfte niemals einen Blick auf diesen verborgenen Platz in dir werfen. Du hast ihn immer vor mir verborgen...Hast du für sie dein zweites Gesicht abgelegt. Darf das Mädchen das erblicken, was du mir nie zeigen wolltest?" Bitter waren diese Gedanken, Eifersucht stach ihr noch immer wie feine Nadeln ins Herz. Wie viele Jahre hatte sie ihr Leben mit jemand geteilt, der eigentlich dazu verdammt war alleine zu sein. Mit jemandem der sich immer hinter Lügen und Masken verbarg. Wie lange... Und dennoch bereute es Teleri nicht, nicht einmal jetzt. Viel war passiert, doch sie hoffte immer noch...Hoffnung war das einzige was ihr geblieben war. "Wolltest du dich wirklich einfach so und ohne ein Wort von dannen stehlen, Teleri?" Erschrocken drehte sich Teleri um, blickte in das ernste Gesicht Baras, und senkte schuldbewusst ihren Blick. "Nein", wisperte sie und trat einige Schritte näher. "Ich wollte mich nicht wortlos davon stehlen, gewiss nicht." Abschätzend blickte Bara die junge Frau vor sich an, legte dann ihren Kopf schief und sagte leise: "Für mich sah es jedoch genau nach diesem Vorhaben aus, mein Kind. Du willst mich doch verlassen, oder?" Zitternd starrte Teleri auf die mit schneebedeckte Erde, was sollte sie nur antworten. Gab es überhaupt eine Antwort auf die Frage, ob man ein neues Zuhause verlassen wollte? "Ich will nicht, ich muss...Ich muss...Verzeih mir, Bara", flüsterte Teleri und fand sich im nächsten Augenblick in den Armen Baras wider. Fest drückte die ältere Frau ihren Körper an den ihren. "Du musst es nicht", flüsterte sie ebenso leise und streichelte ihr beruhigend über ihr Haar. "Du musst es wirklich nicht, Teleri." Tränen durchweichten den Kragen von Baras Gewand, und sie zog dieses zitternde Wesen noch fester in ihre Arme. Dieses arme Geschöpf, wo wollte sie nur hin, was würde aus ihr werden? Sie war doch noch viel zu jung, um ihren Lebenswillen aufzugeben, sie war doch noch viel zu jung. "Ich bin eine Gefahr geworden", schluchzte Teleri und barg ihr Gesicht an Baras Schulter. "Ich kann nicht bei dir bleiben, so gerne ich das auch wollte, ich kann nicht. Was ist wenn sie mich finden? Was ist dann? Sie würden dich vielleicht töten, du hast Kinder, sie brauchen dich. Ich kann das nicht verantworten...Es geht nicht...Verzeih." "Da gibt es nichts zu verzeihen", raunte Bara, nahm Teleris Gesicht zwischen ihre Hände und wischte ihr die Tränen fort. "Aber, wo willst du denn nur hin? Wo willst du hingehen, Teleri?" "Das weiß ich noch nicht", bekannte Teleri und vermied es Bara ins Gesicht zu blicken. Diese Augen, sie blickten sie so besorgt an, wie die Augen einer Mutter... "Vielleicht gehe ich nach Kalmas oder Aranei, ich weiß es noch nicht", flüsterte Teleri, doch plötzlich legte sich ein bitteres Lächeln um ihren Mund. "Für eine Avatara gibt es immer Arbeit...Immer..." "Hör auf so etwas zu sagen", zischte Bara wütend und zwang Teleri ihr in die Augen zusehen. "Willst du wirklich so enden? Soll so dein Leben aussehen? Willst du das, Teleri?" Zerknirscht biss sich Teleri auf ihre Unterlippe. Nein, sie wollte es nicht, doch das Schicksal hatte sie bereits zu dem geformt, was sie nun einmal war und womöglich immer sein würde... "Mach dir keine Sorgen um mich", versuchte sie die ältere Frau vor sich zu beruhigen, doch sie wusste auch, dass es vergebens war. "Solch eine Arbeit ist nicht die schlechteste. So lange ich noch jung bin, und halbwegs weiß den Männern zu gefallen, werde ich durchkommen. Glaub mir, ich kenne dieses Leben, und mir ist nun einmal nicht gegeben anders zu sein." "Das ist der größte Unfug, denn ich je gehört habe", stieß Bara gequält hervor und verdrehte ihre Augen. "Glaubst du wirklich, dass das Leben dir keine anderen Möglichkeiten bietet? Glaubst du wirklich, du könntest nicht auch anders durch dieses Leben gehen, als dich anzupreisen wie ein Stück Vieh?" Das Lächeln um Teleris Mundwinkel wurde intensiver, doch ihr Blick blieb traurig. "Nenn mir welche, Bara", wisperte sie und löste sich aus den Armen der älteren. "Glaubst du etwa, ich hätte es nicht versucht? Ich habe es versucht, Ryan könnte es bezeugen. Ich habe es versucht, doch immer wieder bin ich zurückgefallen. Ich kann nichts dafür, ich bin nun einmal so, wie ich bin... Das wird sich wohl nicht ändern lassen." Seufzend zog Bara Teleri erneut in ihre Arme und flüsterte: "Bleib doch hier. Ich kann diese Gewissheit nicht ertragen, dass du irgendwo unglücklich bist." Schluchzend klammerte sich Teleri an Bara fest, suchte Halt, fand ihn aber auch dieses Mal nicht. "Ich kann nicht. So sehr ich mich danach sehne, es würde nicht gut gehen, was ist, wenn sie mich wirklich suchen. Nein, das ist zu viel Verantwortung für mich." Widerstrebend löste sich Teleri aus dieser tröstlichen Umarmung, wich einige Schritte zurück und schenkte Bara einen ausdruckslosen Blick. "Ich werde dich besuchen, sobald es mir möglich ist, werde ich zurückkommen. Weißt du eigentlich, wie grotesk diese Situation für mich ist?" Argwöhnisch beobachtete Bara Teleri und schüttelte ihren Kopf ohne ein Wort zu sagen, sie versand nicht, was Teleri ihr sagen wollte. "Es ist grotesk, dass ich nun wie Ryan bin", wisperte Teleri und ihr Gesicht wurde unbewegt wie ein Fels. "Ich bin jetzt wie sie..." Niedergeschlagen sah Bara zu, wie Teleri auf sie zu ging, sich vorbeugte und ihr einen Kuss auf die Stirn hauchte. Ein letztes Mal blickten sich beide Frauen an. Was war das für ein Blick in den blauen Augen Teleris? Er war so hoffnungslos, als habe sich dieser junge Mensch bereits mit einem Schicksal abgefunden, als wäre er bereit ein Leben lang alleine zu sein. Tränen glitzerten in Baras Augen und ließen die Welt vor ihren Augen verschwimmen. Immer weiter entfernte sich die zierliche Gestalt von ihr, verschwand bald zwischen den kahlen Bäumen... "Lebwohl, mein Kind", dachte Bara und wischte sich die Tränen aus den Augen. Eine Vorahnung beschlich sie, und ihr schwindelte. Sie spürte etwas, sie hatte dieses Gefühl bereits schon einmal gehabt. Damals, als Wido aufgebrochen war. Ja, damals hatte sie dieses Gefühl ebenfalls beschlichen... Ihre Hände begannen zu zittern, ob vor Kälte oder vor Angst, dass wusste Bara nicht, dass einzige was sie in diesem Moment klar und deutlich wusste, war, dass sie Teleri womöglich nie wieder sehen würde...Nie wieder... Weißes Licht umhüllte den zitternden Körper Markos, sein Geist trieb langsam hinfort. Die in Nebel eingehüllten Bilder begannen sich langsam zu lichten. Er lächelte sanft. Deutlich erblickte er sie, zwei schlafende Kinder, noch jung, noch unschuldig und er wäre bereit sein Leben dafür zugeben, dass sie in dieser Unschuldigkeit noch lange verharren durften. Vorsichtig streckte er seine Hand aus, berührte ihr Haupt, sacht regte sich eines der Mädchen und er zuckte zurück. Er durfte sie nicht aufwecken, sie waren noch zu jung, um zu verstehen... Traurig wurde sein Lächeln, fast wehmütig. Wie lange hatte er sie nicht mehr gesehen? Sie waren gewachsen, die Zeit verging ja so schnell und er verpasste so viel von ihr. Markos hatte bereits so viel versäumt, ihre ersten Schritte, ihre ersten Worte. Würden sie ihn überhaupt wieder erkennen? Zitternd löste er sich von ihnen, ihr Bild verschwand wieder im Nebel... "Markos? Bist du das?" Deutlich vernahm er diese wunderschöne Stimme, er lächelte schief, konzentrierte sich und ein weiteres Bild tauchte vor ihm auf. Ein Gesicht, braune, liebevolle Augen schienen ihn anzublicken und er seufzte leise. "Ja, ich bin es", wisperte er in seinen Gedanken und fühlte die nahe Präsenz eines anderen Geistes. "Du hast dir viel Zeit gelassen bis zu deinem nächsten Besuch, mein Lieber", rügte die sanfte Stimme ihn. Zerknirscht senkte Markos sein Haupt, ja, er war lange nicht mehr da gewesen. "Verzeih mir, Nima. Es ist sehr viel passiert...Sehr viel..." "Das weiß ich, Markos", flüsterte die Stimme ihm entgegen und er zuckte leicht zusammen, als er der Nähe Nimas gewahr wurde. Sanft schienen Hände die seinen zu umfangen, sie liebevoll festzuhalten. Tröstlich und Kraft spendend... "Wann wirst du zu uns zurückkehren?" fragte die Stimme in seinem Geist, und der flehende Unterton in ihr war nicht zu überhören. "Bald", versicherte er und versuchte die andere Präsenz fester an sich zu binden. "Ich habe hier noch einige Dinge zu erledigen, dann kehren wir zurück..." "Diesen Satz höre ich schon seit vielen Jahren von dir", erwiderte der Geist seiner Frau missmutig. "Du hast sie also gefunden?" "Ja", bestätigte Markos und lächelte versonnen. "Ich habe Karas Tochter gefunden, sie ist ihr so ähnlich, du kannst dir womöglich nicht vorstellen, wie sehr mich diese Tatsche erschreckt..." "Ich verstehe", flüsterte der Geist und eine flüchtige Berührung traf Markos auf seiner Wange. "Aber, tue mir einen Gefallen, bitte..." "Jeden", wisperte Markos und legte seine Hand vorsichtig auf die unsichtbare welche auf seiner Wange zu liegen schien. "Komm bald zurück, ich vermisse dich. Wir brauchen dich auch hier..." "Ich weiß", flüsterte er ebenso leise und seufzte. "Bald...ich schwöre es dir..." Vorsichtig löste sich die Präsenz seiner Frau aus seinen Empfindungen, glitt zurück wie ein Schatten. "Ich liebe dich", hauchte die feine Stimme noch, dann war Markos wieder alleine. Schwerfällig atmete er durch, das weiße Licht kroch zurück in seinen Anhänger und es wurde still um ihn. Vorsichtig wischte sich Markos mit dem Handrücken über seine Stirn, ihm schwindelte und er sackte in sich zusammen. Kraft raubend waren diese Treffen, doch es war das einzige was ihn jedes Mal wieder aufrichten konnte... Sehnsucht brannte in seinem Körper, die Sehnsucht nach seiner Frau und seinen Kindern. Schmerzend war sie in einsamen Nächten, doch er hatte auch hier Aufgaben. Wer sollte sie sonst ausführen, er war der einzige der es vermochte... "Verzeih mir, Nima", flüsterte er und schloss seine Augen. "Ich weiß, ich tue dir weh, auch wenn es nicht meine Absicht ist. Verzeih mir..." "Sie hat dir bis jetzt doch immer verziehen, oder?" Abrupt öffnete Markos seine Augen, richtete sich auf und blickte Ragan an, welcher in der offenen Luke seines Zeltes stand, und ihn musterte. "Ragan? Was willst du? Ist etwas geschehen?" Das Lächeln auf Ragans Antlitz wurde breiter und er trat vorsichtig näher, ließ sich neben seinem Freund nieder und blickte ihn prüfend an. "Wie war deine Familienzusammenkunft? Geht es ihnen gut?" "Ja", sagte Markos und lächelte ebenfalls leicht. "Ihnen geht es gut, aber Nima will das ich bald zurückkehre." "Das wollen wir alle, mein Freund." Vorsichtig faltete Ragan seine Hände und blickte Markos abschätzend an. "Wir alle wollen zurück zu unseren Familien, du doch auch. Der Winter ist da, wir sollten uns in den nächsten Tagen auf die Reise begeben. Was hält uns noch hier?" Seufzend fuhr sich Markos durch sein Haar, spielte gedankenverloren mit dem weißen Stein über seiner Brust. "Ich...ich kann noch nicht fort..." "Ist es wegen dem Mädchen?" fragte Ragan und bemerkte wie Markos leicht zusammen zuckte. "Es ist also wegen ihr. Was willst du noch von ihr? Du hast sie gefunden, mehr wolltest du doch nicht." "Das sagt sich so einfach", murmelte Markos leise. "Ich habe sie gerade erst wieder gefunden, und nun soll ich sie wieder verlassen. Ich möchte noch so viel von ihr erfahren..." "Wir beide wissen doch", flüsterte Ragan und legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter. "Sie wird nicht bei uns bleiben, ich habe es heute gespürt. Es zieht sie in eine andere Richtung...Nicht zu uns, sondern zu einer anderen Person..." Schweigend nickte Markos. Ja, er wusste wohin es Ryan zog. Er kannte die Richtung, er spürte diese Gefühle. Liebe, er lächelte schief. Ja, Liebe zog seine Nichte in eine andere Richtung... "Ich will ihr es wenigstens anbieten, verstehst du?" fragte er seinen Freund. "Ich will ihr nur das Angebot machen mit uns zu kommen. Was sie tut, ist dann ihre Entscheidung." Zaghaft nickte Ragan und ergänzte dann leise: "Aber du kennst ihre Antwort bereits, nicht wahr?" "Ja, ich kenne sie, aber sie soll wenigstens wissen, wo sie uns wieder finden kann, wenn sie es wünscht." Schweigend saßen beide Männer neben einander, jeder vertieft in seine eigenen Gedanken. Beide wussten, dass die Zeit gekommen war. Je länger sie hier blieben, umso größer wurde die Gefahr. Die Bäume welche ihnen Schutz geboten hatten, waren zu kahlen Feinden geworden. Erst wenn der Frühling wiederkehrte, konnte auch sie zurückkehren... Leise räusperte sich Ragan, blickte zu Markos hinüber und flüsterte: "Das war aber nicht der Grund, warum ich zu dir gekommen bin." "Nein?" fragte Markos irritiert und hob eine Augenbraue an. "Warum dann? Ist doch etwas geschehen?" "Wie man es nimmt", entgegnete Ragan viel sagend und zog aus seinem Lederbeutel ein zusammengerolltes Stück Pergament. "Das ist heute überbracht worden. Mir gefällt das nicht, Markos. Mir gefällt das ganz und gar nicht." Schweigend nahm Markos die Pergamentrolle aus Ragans Hand. Ein rotes Siegel prangte auf der Oberseite und hielt die Form zusammen. Er kannte es, sehr gut sogar. "Was hast du, Markos?" fragte Ragan leise, als er den Gesichtsaudruck seines Freundes bemerkte. Bleich war er geworden, fast wie der Schnee welcher draußen die Welt in sein weißes Leichtuch hüllte. "Ragan", flüsterte Markos ebenso leise und sah ihn ernst an. "Morgen wirst du die Männer veranlassen die Zelte abzubrechen. Wir müssen weg. Sag Ryan nichts, ich werde Morgen selbst mit ihr sprechen..." "Aber was..." "Tu was ich dir gesagt habe, und lass mich jetzt alleine", schnitt Markos seinem Freund das Wort ab und funkelte ihn an. Augenblicklich erhob sich Ragan, bedachte Markos mit einem Blick der voll Verwirrtheit und Sorge war, verschwand dann jedoch ohne ein weiteres Wort zu sagen. Zitternd blieb Markos zurück, fest umschloss seine Hand die Pergamentrolle. Er hatte es geahnt... Vorsichtig brach er das Sigel auf, rollte die Pergamentrollen auseinander und las die Botschaft, welche all seine Sorge und Ängste bestätigte: Der Wolf muss dem Raben eine dringende Botschaft ausrichten. Er hofft, dass der Rabe ihm diese Unvorsichtigkeit verzeiht. Der Wind beginnt sich zu drehen, Wolken ziehen auf. Ein Sturm wird kommen. Gewaltig wird er sein, und der Wolf kann ihn nicht mehr aufhalten. Er hat sein möglichstes getan, um den Schaden zu begrenzen. Die Zeit kommt näher, bald werden sich der Wolf und der Rabe wieder sehen. Doch wer von ihnen wird auch die Sonne des nächsten Tages erblicken? Der Wolf hofft, dass der Rabe alle Vorklärungen treffen wird und weiß, was er nun zutun hat. Der Rabe soll sich vorsehen, seine Flügel müssen ihn schnell tragen, die Wölfe sind hungriger als je zuvor. Das Rudel wird kommen...Bald... Nachwort: So, ein neues Kapitel, hoffe es wird noch im alten Jahr zu lesen sein. Tja, dieses Mal (leider) ohne Ryan und Ayesha, doch ich denke, dass es auch einmal wichtig ist den anderen Charakteren ein Kapitel zu widmen. Sie sind genauso wichtig, teilweise haben ihre Rollen ein noch größeres Gewicht für die Handlung... Nun, was soll ich schreiben. Ich hoffe, es wird nicht langsam langweilig. Weiß nicht warum ich das denke, aber dieses Gefühl war mal kurz vorhanden. Im nächsten Kapitel gibt es wieder einige Überraschungen (wenn es nicht hier schon offensichtlich war). Dann kommen auch wieder Ryan und Ayesha vor. Ich bedanke mich für das Lesen dieses Kapitels, einen Gruß wieder an Igel und Mondscheinelfe und auch an alle anderen die diese Gesichte lesen. Ich wünsche euch einen guten Rutsch ins nächste Jahr. Bleibt mir dann vielleicht auch im neuen Jahr gewogen. Bis dann © 2003 by seen Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)