Heterochromie von Yoa-chan ================================================================================ Prolog: Erstarrt ---------------- Das Mädchen dreht sich zur Seite und Sanji hört an ihren gleichmäßigen Atemzügen, dass sie eingeschlafen ist. Leise steht er auf und zieht sich an; eine Handynummer oder eine Adresse hinterlässt er nicht. Es hat keinen Sinn, bei ihr zu bleiben. Auch sie kann ihn nicht vor seinen Albträumen bewahren, dazu müsste sie erkennen, was mit ihm los ist, was in ihm vorgeht, aber wenn man sich vor kaum zwei Stunden das erste Mal getroffen hat, kann man so etwas wie Verständnis oder Vertrauen wohl nicht erwarten. Trotz der späten Stunde (Seine Armbanduhr zeigt 2.39 Uhr) ist die Luft heiß und stickig, als er die Wohnung verlässt. Der Qualm seiner frisch angezündeten Zigarette vermischt sich mit den Abgasen der vorbeifahrenden Autos und LKWs und treibt Sanji beinahe die Tränen in die Augen. Beinahe. Seine Brust schmerzt, als hätte er Glasscherben in seinen teerverseuchten Lungenflügeln. -- Fast lautlos schließt Sanji die Tür auf. Den Blick ins Wohnzimmer spart er sich; sein Großvater hat wieder einmal auf ihn warten wollen und ist wieder einmal vor dem Fernseher eingeschlafen. Gerade will er sich still und heimlich die Treppe zu seinem Zimmer hinauf stehlen, da öffnet Jeff die Augen und stellt die leise summende Mattscheibe ab. Das bedeutet, er will reden. Sanji will NICHT reden. Trotzdem bleibt er auf der dritten Stufe stehen, denn er weiß, dass sein Großvater nicht locker lassen wird. "Was willst du, alter Mann?", fragt Sanji, ohne seinem Erziehungsberechtigtem in die Augen zu sehen. "Du warst heute schon wieder nicht bei der Arbeit, Junge." Jeff mustert seinen Enkel eindringlich. "Keine Lust." "Hast du schon was gegessen?" "Keinen Hunger." "Es ist spät. Wo kommst du jetzt her?" 'Das geht dich einen Scheiß an, alter Sack!', denkt Sanji. 'Ich bin neunzehn und kann tun und lassen, was ich will.' Trotzdem antwortet er. "Bei Freunden." Normalerweise schaut Jeff seinem Gegenüber einfach in die Augen, wenn er eine Frage stellt; wenn jemand lügt, merkt er es sofort. Aber gerade versteckt Sanji seine Augen hinter langen, blonden Haarzotteln. Und außerdem ist es nicht das erste Mal, dass er seinen Großvater anlügt, und wenn ihm dafür langatmige Sitzungen bei diesem seltsamen Seelenklempner erspart bleiben, nimmt er das Risiko einer Lüge gern in Kauf. "Hm.", macht Jeff und seufzt leise. Wie eine unsichtbare Schlinge zieht sich die Stille um Sanjis Hals. Er bekommt keine Luft mehr, die einzige Möglichkeit ist die Flucht. "Ich bin müde. Ich gehe schlafen." Sanji ist bereits bei der vorletzten Stufe angekommen, da ruft ihn sein Großvater noch einmal zurück. "Wie geht es dir, Sanji?" Jeff's Stimme ist sanft, so sanft. Sanji zuckt zusammen. Diese Frage hat sein Großvater ihm schon lange nicht mehr gestellt. "Gut.", würgt er hervor und hofft, dass Jeff ihm seine erneute Lüge wieder abkauft. "Mir fehlen sie auch.", sagt sein Großvater leise. "Wir schaffen das, mein Junge. Gib dir noch etwas Zeit." Sanji antwortet nicht mehr, stattdessen beeilt er sich, in sein Zimmer zu kommen und die Tür hinter sich zu verschließen. Dann lässt er sich auf sein Bett fallen, vergräbt sein Gesicht im Kopfkissen und versucht mit aller Macht die Tränen zurück zu halten. Vor einem Jahr war dieses Haus noch voller Lachen und voller Leben. Damals, als es noch eine richtige Familie gab; eine Familie mit seinen Eltern. Nach dem Autounfall von vor einem Jahr hat das Lachen dieses Haus verlassen und ist nicht mehr zurückgekommen. -- Sein eigenes, gequältes Wimmern holt Sanji aus seinem Albtraum. Hektisch schnappt er nach Luft, pumpt gierig Sauerstoff in seinen Körper. 'Wird es je aufhören?', fragt er sich, während er mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit starrt. Noch lange liegt Sanji wach. Schließlich, als schon die ersten Sonnenstrahlen eines neuen Morgens durch die Ritzen seiner Rollos strahlen, fällt er in einen ohnmächtigen Schlaf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)