Asche und Staub von Naenia (Marys Vermächtnis) ================================================================================ Kapitel 6: Jacks Vision ----------------------- Einst gab es eine Zeit, in der die Nächte zu kurz und jeder Moment voller Leben war, doch Jack musste einsehen, dass es nie wieder so sein würde. • Jims Pullover war weich und warm und passte perfekt. Seine eigene Kleidung hatte zu sehr nach der Klinik gerochen, Jack fühlte sich mehr wie er selbst, wenn dieser Geruch nicht an ihm haftete. Gedankenverloren zeichnete er die Kugelschreiberschmierereien auf der Rückenlehne des Beifahrersitzes nach und fragte sich, ob Jim seine Finger dabei spürte. Er folgte den Linien von Marys Namen und denen des Herzchens, das sie damals darum herum gemalt hatte. Er verlor die Orientierung auf dem Leder, als der Wagen ins Schleudern geriet und das Vibrieren des Abends zurückkehrte. Stärker und überall um sie herum bebte die Erde. „Fuck!“, hörte er Johnny Zischen und Jim presste sich tiefer in den Sitz, gegen dessen Lehne Jack gefallen war. Er hätte sich wirklich besser anschnallen sollen. Johnny hielt den Wagen unter Kontrolle, aber der regennasse Boden machte diese Fahrt zu einem Höllenritt. Er rappelte sich wieder hoch, setzte sich und legte den Sicherheitsgurt um. „Es wird stärker werden, wir müssen uns beeilen.“ Jack hob die Bücher auf, die aus seiner Tasche gefallen waren und verstaute sie wieder sicher. Er wusste längst alles, was er wissen musste, aber es fühlte sich sicherer an, seine Notizen dabei zu haben. „Das ist noch nicht alles.“ Er hatte selbst nur eine vage Vorstellung davon, was vor ihnen lag. Aber immer stärker werdende Gewitter und Erdbeben waren eindeutiger Teil davon. Darin war sich jede der Schriften, die er studiert hatte, einig. Auch die stickige Hitze des Abends ging damit einher. Wetterphänomene kündigten seit jeher das Erscheinen von Drachen an, Jack hatte darüber gelesen und Jahre damit verbracht, alles miteinander zu verbinden. Das Ende der Welt, der Gedanke an das Jüngste Gericht, Ragnarök und die Mythen und Sagen, die davon erzählten, waren für ihn mehr als nur Geschichten gewesen. Er hatte bereits als kleiner Junge versucht, die Wahrheit hinter den Buchstaben zu erkennen. Hatte in Bildern mehr gelesen als das Offensichtliche und sich in alten Büchern verloren. Schon immer glaubte er, dass es eines Tages so weit sein würde und die Drachen ihren Platz im Schicksal der Welt einnahmen. Mary hatte seine Begeisterung von Anfang an geteilt und es war ganz leicht, Jim mitzureißen. Als Johnny sich einige Jahre später ihrer kleinen Gruppe anschloss, fühlte Jack, dass bald etwas passieren würde, das ihrer aller Leben veränderte. Es war, als gäbe es Fäden, die sie zusammenführten und in die richtige Richtung zogen. Er wusste auch damals, dass es nicht sein Fehler war, aber die Schuld trübte trotzdem seinen Blick. „Wow, danke für den optimistischen Ausblick“, Jack konnte im Rückspiegel sehen, wie Johnny die Augen verdrehte und fand sich in der Gegenwart wieder. Der Boden wackelte nach wie vor bedrohlich, aber der Regen hatte mittlerweile nachgelassen. „Es wäre mir auch lieber, wenn ich euch etwas anderes sagen könnte.“ Der Horizont färbte sich bereits heller, die dichten Wolken verzogen sich nicht, aber der Sonnenaufgang nahte und die Welt verwandelte sich in ein überhitztes Treibhaus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)