Asche und Staub von Naenia (Marys Vermächtnis) ================================================================================ Kapitel 2: Johnnys Zweifel -------------------------- Einst gab es eine Zeit, die stillzustehen schien, ein Lächeln, das die Welt bedeutete und Lieder, die von ihrer Freundschaft erzählten, doch das, was seit Jahren einen dunklen Schatten über Johnnys Erinnerungen warf, hüllte jeden dieser Momente in Finsternis. • Müde Augen blickten Johnny aus dem Spiegel entgegen, umrandet von tiefen schwarzen Schatten. Er war zu blass und sein hellblondes Haar zu lang, die Strähnen hingen ihm ständig wirr ins Gesicht. Er strich sie zurück und band sie zu einem lockeren Zopf, drehte sich um und versuchte das zweite Augenpaar, das ihn beobachtete zu ignorieren. Seine Wohnung war nie besonders groß gewesen, doch jetzt kam sie ihm plötzlich winzig vor. Er fühlte sich eingeengt und hatte das starke Bedürfnis vor dem Mann, der so deplatziert auf der dunkelroten Ledercouch wirkte, zu fliehen. Natürlich gab er diesem Drang nicht nach, griff stattdessen nach der halbleeren Zigarettenschachtel, die auf der Kommode neben ihm lag, und ließ sich in seinen Lieblingssessel sinken. Immerhin hatte er jetzt etwas, womit er seine rastlosen Finger beschäftigen konnte. Jims Blick war noch genauso durchdringend wie damals, nur wollte das lockige Haar mit dem modernen Schnitt nicht so recht in das Bild eines Priesters passen, ebenso wenig wie die Tattoos, von denen Johnny wusste, dass sie unter dem schlichten Schwarz der Robe verborgen lagen. Er kannte die Schriftzüge, die Symbole und Linien vermutlich besser als jeder andere, denn er hatte sie mit seinen eigenen Händen auf die Haut seines damaligen Freundes gezeichnet. Angefangen mit einem Namen, doch darüber wollte er nicht nachdenken. „Ich weiß nicht, warum du überhaupt hergekommen bist“, sagte er, mehr um sich selbst von seinen Gedanken abzulenken, als um mit seinem Gegenüber zu kommunizieren, „Ich bin fertig mit diesem Mist und ich will damit nichts zu tun haben.“ Johnny sank tiefer in das weiche Leder und führte die im Dämmerlicht des Zimmers glimmende Zigarette an die schmalen Lippen. In seiner Hosentasche vibrierte das Handy, um ihn unnötigerweise daran zu erinnern, dass er einen Anruf verpasst hatte. Er blies den Rauch in die Luft und beobachtete konzentriert, wie er sich im Raum auflöste. Das Seufzen des Priesters musste er nicht sehen, er konnte es hören und wahrscheinlich hätte er auch gewusst, dass es da war, wenn es nicht sein Ohr erreicht hätte. Es war erstaunlich, wie viele unwichtige Dinge ihm im Gedächtnis geblieben waren, obwohl er doch versucht hatte, alles zu verdrängen. Jims Schweigen fühlte sich nach einer stummen Anklage an und das machte ihn wütend. Es gab keinen Grund für ihn, sich schuldig zu fühlen, denn es war seine Entscheidung gewesen, den vorherigen Abschnitt seines Lebens zu beenden und damit alle Brücken hinter sich niederzureißen. Warum hatte man ihn überhaupt angerufen? Woher wusste Jim, dass er nun hier wohnte? Jim hatte immer diese Angewohnheit gehabt, über alles informiert zu sein. Johnny hingegen lebte im Vergleich dazu in einem abgeschlossenen Raum, durch dessen Wände nichts hindurch drang. Er war bis zu diesem Abend überzeugt davon gewesen, dass keiner seiner früheren Freunde irgendwelche Kontaktdaten von ihm besaß. Er hatte darauf geachtet, keine Spuren zu hinterlassen. „Ich habe immer gedacht, du würdest mal anrufen.“ Die Worte trafen Johnny unvermittelt und brachten seine sture Determiniertheit, Jim schon jetzt wieder hinauszuwerfen, ins Wanken. „Es ist so lange her… Zeit…“ … heilt alle Wunden. Bullshit. „Ich hatte einfach gedacht, du würdest irgendwann zurückkommen.“ Ein kleiner Teil von ihm konnte das verstehen. Es hatte Momente gegeben, in denen er an ihre frühere Freundschaft gedacht hatte, aber jedes Mal, tauchte auch ihr Gesicht vor seinem inneren Auge auf und dann verschwand alles hinter einem grauen Schleier und verlor sich in trockenen Tränen. Er konnte nicht an Jim denken, ohne Marys Augen vor sich zu sehen und er konnte nicht an Jack denken, ohne zu sehen, wie das Leuchten aus eben diesen Augen verschwand. „Ich hab’ gehört, du arbeitest jetzt in so einem riesen Betrieb. Sitzt du wirklich den ganzen Tag in so einer kleinen Büronische und verschickst Katzenbilder an Kollegen?“ Jims forschender Blick brannte auf seiner Haut und Johnny konnte ihn noch immer nicht ansehen. Ja, er arbeitete in so einem verdammten Job, für den er morgens ein Hemd anziehen musste und seine Skizzenblöcke lagen allesamt in einer Kiste, die er niemals öffnete. Er zuckte mit den Achseln und entschied sich dazu, die Frage unbeantwortet im Raum stehen zu lassen, stattdessen wollte er das Thema wechseln. „Warum denkst du, ist er raus? Wieso gerade jetzt?“ Er riskierte einen Blick in Jims Richtung, fixierte entweder den kleinen Fleck auf der Couch, direkt neben dessen Bein oder beobachtete, wie sich der Stoff der Priesterrobe über die muskulösen Oberarme spannte. Ernsthaft, wer zur Hölle nahm einen Priester mit so breiten Schultern und einem Drei-Tage-Bart das Amt überhaupt ab? Vermutlich halten die meisten ihn für einen Stripper, überlegte Johnny und hätte gerne darüber gelacht. Jim lehnte sich weiter nach vorn und stützte die Ellbogen auf die Knie. Johnny schaffte es gerade noch, dem veränderten Blickwinkel seines Gegenübers auszuweichen. „Ich weiß es nicht, wirklich. Ich hab’ keine Ahnung. Wir haben in den letzten Jahren nicht viel miteinander geredet.“ „Aber ihr habt mal geredet. Hast du ihn besucht?“ „Am Anfang… selten. Er war nicht mehr der Selbe. Keiner von uns war das. Er hat kaum gesprochen und wenn doch, dann nur über Belanglosigkeiten: das Wetter, das Essen und über Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt. Dann war ich für einige Zeit lang auf Reisen, da brach der Kontakt ab. Meine Nummer war als Notfallkontakt gelistet.“ „… und woher hat er meine?“ Die Frage drängte sich auf und beschäftigte ihn, seit sein Handy das erste Mal in dieser Nacht geklingelt hatte. Jim schüttelte den Kopf und lachte müde, bis er mit rauer Stimme erklärte: „Tjah, ich hab’ dich ja auch gefunden und es war wirklich nicht schwer. Dafür musste ich nicht mal ein Genie sein.“ Jacks vermeintliche Genialität war damals das gewesen, was ihr Vorhaben immer weiter vorangetrieben hatte. Es waren seine Ideen und ihr blinder, naiver Enthusiasmus für das Phantastische, die das Unglück heraufbeschworen hatten. Da war der gleiche Glanz in auch in Marys Augen zu sehen. Jack lernte sie erst auf der Universität kennen, zwei Wissenschaftsfreaks, die sich für Archäologie, Mythologie und Geschichte interessierten. Der einzige Grund, warum Johnny in deren Gegenwart nicht verrückt geworden war, war Jim gewesen. Der teilte seine Leidenschaft für Kunst, wenn er auch eher im Bereich der Literatur, Philologie und eben auch in der Religionswissenschaft aktiv war. „Wo bist du denn gewesen?“ Jim lächelte und auch wenn diesem Lächeln die frühere Wärme fehlte, weckte es Erinnerungen. „Hier und da“, begann er kryptisch zu erzählen und Johnny sah ihm an, dass kein Ort auf der Welt weit genug weg gewesen war, um irgendetwas zu vergessen, „Es war allerdings nicht das gleiche. Das Motorengeräusch des Chevy Nova hat mir gefehlt.“ „Dafür bist du auf dieser Reise keinen Hirngespinsten nachgejagt.“ „Bin ich nicht? Manch einer würde das anders sehen. Besteht denn wirklich ein so großer Unterschied darin, ob man nach Drachen oder nach Gott sucht?“ Johnny wusste darauf nichts zu erwidern, aber er spürte wie sich der feine Ansatz eines Lächelns auf seine Lippen legte. „Ich glaub ich hab’ überall auf der Welt Häuser gebaut und anstatt mich am Ende irgendwo niederzulassen, bin ich nur wieder hier gelandet. Schon komisch.“ Ja, als Bauarbeiter konnte er sich Jim vorstellen: „Wenn du dabei auch in diesem Fummel rumgelaufen bist, dann wird das sicher ein lustiger Anblick gewesen sein.“ Jim sah an sich selbst runter und Johnnys Lächeln verwandelte sich in ein Grinsen. Er konnte sich Jim in Muskelshirt und Jeans vorstellen, aber beim besten Willen nicht in diesem formellen Kleidchen und wie sollte man damit überhaupt richtig arbeiten können? „Haha. Ich bin eben gleich losgelaufen, nachdem ich den Anruf bekommen hatte. Ich wollte unbedingt vor ihm hier sein…“ Das Unbehagen, das ihm Jims Gegenwart zu Anfang bereitet hatte, war mehr und mehr gewichen. Fast hätte er sich sogar wohl fühlen können, doch diese eine Bemerkung reichte völlig aus, um die Anspannung wieder in seine Glieder zurückkehren zu lassen. Er war mittlerweile regelrecht in seinem Sessel versunken, doch jetzt nahm er wieder eine aufrechte Sitzposition ein. Der Blick auf die Uhr an der Wand verriet ihm, dass es auf Mitternacht zuging. Johnny wünschte sich, dass Jim einfach weiter von Reisen und Häusern erzählte. Dann hätte er langsam vergessen, warum sie wirklich in dieser Nacht nach sieben Jahren beieinander saßen. „Es wäre besser, wenn Jack nicht herkommen würde. Ich will ihn nicht sehen.“ Jim atmete hörbar aus, lehnte sich wieder zurück und starrte an die Decke. „Ich weiß... Aber…“ Dann machte er eine Pause, die sich für Johnny endlos in die Länge zog. Er zählte die Sekunden, die ihm vorkamen wie Minuten und verfolgte den kleinsten Zeiger der Wanduhr. Er hatte schon nicht mehr daran geglaubt, dass der Priester noch etwas zu sagen hatte, doch dann traf es ihn unvermittelt hart. „Er ist unser bester Freund“, erklärte Jim schließlich, so als wären die letzten sieben Jahre nie vergangen. Es klang anmaßend, Jim musste sich doch denken können, dass für ihn jede Minute seit diesem Vorfall eine Qual gewesen und jeder Atemzug ein verdammt hartes Stück Arbeit war. Es war nicht richtig, irgendetwas davon mit einer solchen Bedeutungslosigkeit wegzuwischen. „Sie, Jim. Sie ist zuletzt mein bester Freund gewesen. Sie war alles.“ Er stand auf und blickte Jim nun zum ersten Mal direkt in die Augen. Seine Hände suchten Halt an der Rückenlehne des Sessels und trotzdem hatte er das Gefühl, zu fallen. Er sah nichts von dem, was er erwartet hatte. Nur klares Blau und Wahrheit und es tat so weh, denn es waren die gleichen Augen, die ihn jede Nacht verfolgten und wieder verschwanden, bevor die ersten Strahlen der Sonne sein Gesicht erreichten. Er hatte vergessen, wie sehr Jims Augen denen seiner Schwester ähnelten und das war eine Wunde, die niemals hätte wieder aufreißen dürfen. Das zaghafte Klopfen an der Tür machte alles nur noch schlimmer und zeigte ihm endgültig, dass etwas zu verdrängen nicht das Gleiche war, wie damit abzuschließen. Er dachte an Drachen und Legenden, an Gott und Gerechtigkeit und er wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte und erst recht nicht, ob er diese Tür wieder öffnen wollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)